Kitabı oku: «So sey es », sayfa 8
V
Von jenem Augenblicke an wußte ich kaum wie die Zeit verging. Ich hatte mich an einen Baum gelehnt und überließ mich meinen schönen Träumen. Endlich kam Gratian und sagte mir, die Gräfin von Chambray sey gekommen und der Ball werde sogleich anfangen.
Ich eilte in das zur Werkstätte bestimmte große Zimmer, das als Speisesaal benutzt worden war« und nun als Tanzsaal dienen sollte.
Es war mit einem Kronleuchter und einigen Candelabern, die man aus dem Schlosse gebracht hatte! hell erleuchtet. Ich gestehe, daß ich gar nicht an die Beleuchtung gedacht hatte; die Gräfin hatte dafür gesorgt.
Sie sprach mit Zoe – vielleicht von mir. Denn Beide schwiegen, als sie mich sahen. Die Gräfin lächelte mit dem ihr zur Gewohnheit gewordenen wehmüthigen Ausdruck. Dieses Lächeln glich dem matten, kaum erwärmenden Sonnenstrahl im Winter.
Die Gräfin hatte sich umgekleidet. Statt des Strohhutes und des perlgrauen Seidenkleides mit schwarzen Spitzenvolants trug sie ein weißes Crêpekleid mit Gewinden von Wintergrün; sie war in bloßem Kopfe, und ihr einziger Kopfputz war ritt Kranz von denselben Blumen, wie die Gewinde an ihrem Kleide. Uebrigens trug sie kein Geschmeide. So konnte im Grunde auch eine Bäuerin, die Geschmack hat, auf den Ball gehen.
Ich ging auf sie zu. Die heitere Ruhe meines Gemüthes mochte wohl in meinem Gesichte bemerkbar seyn, denn die Gräfin sah mich erstaunt an.
»Man hat mir von vorher getroffenen Anordnungen gesagt. Madame. Haben Sie Ihre Zustimmung gegeben?« fragte ich.
»Hinsichtlich des Contratanzes?«
»Ja, dies ist ja für den Augenblick die wichtigste Angelegenheit.«
Sie lächelte mit einer unbeschreiblich anmuthigen, aber zugleich traurigen Kopfbewegung.
»Ich tanze mit Gratian,« sagte sie. »und nachher tanzen Sie mit mir.«
»Und dann ziehen Sie sich zurück« nicht wahr?«
»Ich bin kränklich, und man hat mir gerathen, nicht zu lange zu wachen.«
Ich zog meine Uhr hervor.,«
»Es ist neun Uhr«r sagte ich-
»O, wir haben heute zwei Stunden,« erwiederte die Gräfin; »der Doctor wird mir diese kleine Zugabe schon verzeihen.«
»Der Doctor wohl – aber die Anderen?«
Die Gräfin sah mich an.
»Welche Anderen?« fragte sie.
»Sie wissen wohl, was ich meine,« erwiederte ich.
Sie schlug seufzend die Augen nieder.
»Wo ist Gratian?« sagte sie. »Wir können anfangen zu tanzen.«
Gratian zog mit großer Mühe seine Handschuhe an. Endlich gelang es ihm, nachdem die breite Hand einen Riß zwischen Daumen und Zeigefinger gemacht hatte.
Er bot der Gräfin mit recht hübschem Anstande die Hand. Die Güte der Dame nahm selbst denen, die tief unter ihr standen, die Befangenheit. mit der man sich Vornehmeren zu nähern pflegt.
Wir stellten uns an. Anfangs waren wir allein. Die Gräfin sah die Hochzeitgäste fragend an.
»Ich weiß nicht – sagte ein Bauer zögernd.
»O, wenn’s die Frau Gräfin erlaubt, erwiederte ein Anderer, »so wollen wir schon tanzen.«
»Freilich erlaubt sie’s,« versicherte Gratian. »Nur zu!«
Jeder holte sich eine Tänzerin. Man sah wohl, daß die Wahlen im Voraus getroffen waren. Das Manöver wurde in aller Ordnung ausgeführt.
Die beiden Geigen« zu denen sich noch ein Klapphorn gesellt hatte, gaben das Zeichen. Die Tanzfiguren fingen an sich zu bilden.
Wie sonderbar sind doch die Ansichten der Menschen! Unter den fünfundzwanzig bis dreißig anwesenden Personen war eine einzige, die in den Augen des großen Haufens Alles besaß, was man braucht, um glücklich zu seyn: Jugend, vornehmen Stand, Schönheit, Reichthum, und gleichwohl brauchte man auf die arme Edmée nur einen Blick zu werfen, um sich, ohne eine Frage zu thun, zu überzeugen, daß sie, wenn es möglich gewesen wäre, ihre Vergangenheit und Zukunft gegen die einer der armen Bäuerinnen gern vertauscht hätte.
Nach und nach jedoch schien sie munterer zu werden; so oft sie meine Hand berührte. hob sie ihren schönen Kopf. ihr blasses Gesicht färbte sich mit einer leichten Röthe, ihr Auge bekam einen lebhaftern Ausdruck, und man sah wohl, daß der Funke zum hellen Lichtstrahl werden konnte. Das Weib kämpfte gegen die Natur; das Blut durchdrang den Marmor.
Als der Contratanz beendet war, tanzte die Gräfin nicht mehr mir gegenüber, sondern mit mir. Sie nahm meinen Arm, ohne zu warten, daß ich ihn ihr bot. Sie schien mich absichtlich als einen Bekannten, ja als einen Freund zu behandeln. Aber an ihrer bebenden Hand, an ihrer unsichern Stimme, an ihrem scheuen Blick, war leicht zu erkennen, daß ich ihr so wenig ein Freund war wie ein Fremder.
Ich durfte nicht hoffen, daß sie mich schon liebte, aber es war kaum zu bezweifeln, daß sie mich schon fürchtete. Ich konnte eher schweigen. als von gleichgültigen Dingen mit ihr reden.
Wir sprachen daher kaum einige Worte mit einander, und wer diese Worte gehört hätte, würde kaum einen Sinn darin gefunden haben. Wir hatten schon unsere eigene Sprache, die wir in Gegenwart Anderer reden konnten, ohne von ihnen verstanden zu werden.
Nach dem Tanz führte ich die Gräfin wieder auf ihren Platz.
»Sie wollen also um eilf Uhr fortgehen?« fragte ich.
»Ja,« sagte sie.
»Haben Sie Ihren Wagen?«
»Nein, wir sind ja nur fünfhundert Schritte vom Schlosse, und ich habe meinen Pelz. Ich konnte ja zur Hochzeit eines armen Bauernmädchens nicht im Wagen kommen?«
»Ich weiß wohl, daß Sie das volle Zartgefühl des Herzens besitzen. Wie wollen Sie aufs Schloß kommen?«
»Ich lasse mich von Gratian begleiten.«
»Würden Sie es unschicklich finden, wenn ich Sie begleitete?«
Sie sah mich an.
»Ich nicht,« erwiederte sie; »ich bin sehr gern bei Ihnen.«
»Aber andere Leute werden wohl etwas dagegen einzuwenden haben. nicht wahr?«
»Vielleicht.«
»Es kann ja noch Jemand mitgehen.«
»Wer denn?«
»Josephine, Ihre Amme, die Aufseherin des Schlosses Juvigny.«
»Sie haben Recht.«
»Ich begleite Sie also ins Schloß, nicht wahr?«
»Ja.«
»Ich danke Ihnen für Ihre Einwilligung. Es ist mir, als ob ich Ihnen tausend Dinge zu sagen hatte. und es wird mir, wenn ich bei Ihnen bin, wahrscheinlich nichts davon einfallen.«
»Sie mögen reden oder schweigen,« erwiederte die Gräfin lächelnd, »nach den Worten eines Freundes ist nichts schöner als sein Schweigen.«
»Dann muß man das Schweigen aber so gut verstehen wie die Worte.«
»Das Schweigen ist zuweilen verständlicher als Worte, und deshalb auch gefährlicher.«
»Um diese Behauptung gelten zu lassen. muß man zwischen zwei Personen gewisse magnetische Beziehungen annehmen.«
»Die auch wirklich stattfinden,« sagte die Gräfin.
»Glauben Sie.«
»Ich bin fest davon überzeugt.«
»Wenn ich Sie aber um einen Beweis ersuchte?«
»Ich würde Ihnen einen Beweis geben, den ich vielleicht für mich behalten sollte.«
»Was für einen?«
»Als Sie gestern Abends in die Kirche kamen, verrichtete ich kniend mein Gebet.«
»O! ich erkannte Sie in dem Augenblick, als ich Sie bemerkte.«
»Und ich ahnte Ihre Nähe.«
»Wirklich?«
»Ich sah Sie im Geiste so deutlich, als ob Sie mir in einer Camera obscura erschienen wären.«
»Aber als Sie mich mit den leiblichen Augen erkannten, erschraken Sie wie vor einer unerwarteten Begegnung.«
»Weil ich zuweilen vor den Räthseln meines Gemüthslebens erschrecke. Wäre ich in Schottland geboren, so könnte man glauben, ich sey mit übersinnlichem Gesichtsvermögen begabt.«
»Also entscheidet bei Ihnen das erste Gefühl?«
»Ja. ich fühle mich zu einer Person, die ich zum ersten Male sehe, entweder hingezogen oder von ihr abgestoßen?«
»Und dieser Eindruck bleibt?«
»Ich habe nie Gelegenheit gehabt, einen Irrthum oder eine Täuschung zu beobachten. Noch mehr, ich ahne wer künftig auf mein Leben einen guten oder schädlichen Einfluß haben wird.«
»Das ist eine Himmelsgabe. Sie können Ihre Feinde meiden, und sich Ihren Freunden nähern.«
Die Gräfin schüttelte den Kopf.
»Der Platz, den die Frauen in unserer Gesellschaft einnehmen,« sagte sie, »ist so beschränkt, daß es ihnen schwer ist, die Freude auszusuchen oder sich von dem Unglück abzuwenden.«
»Darf ich hoffen, daß Ihre Ahnungen mir unter denen, die einen guten Einfluß auf Ihr Leben haben werden, eine Stelle angewiesen haben?«
»Ich glaube daß Sie mir einst einen großen Dienst erweisen werden. Worin dieser besteht, kann ich nicht sagen?«
»Können Sie keine genaueren Andeutungen geben?«
Die Gräfin bot ihre ganze Willenskraft auf, um nachzusinnen und sich eine Weile in sich selbst zurückzuziehen.
»Wasser – Feuer – Schwert – nein, das ist’s nicht,« sagte sie sinnend. »Und doch scheinen Sie berufen mir einst das Leben zu retten.«
»Gott gebe es!« rief ich mit solcher Begeisterung, daß die Gräfin einen Finger auf ihren Mund hielt, um mir anzudeuten, daß ich zu laut und heftig sprach.
»Es ist dunkle Nacht, fuhr sie fort. »Ich sehe nichts, – ich bin in einem Keller oder in einem Grabe. – Ich müßte einschlafen,« sagte sie lächelnd, »dann würde ich besser sehen.«
»Sie sehen im Schlafe?« fragte ich.
»Ja, in meiner frühesten Jugend war ich eine vortreffliche Somnambüle, wie meine Schwiegermutter es wenigstens sagte. Oft habe ich eine weiter gearbeitete oder halb vollendete Strickerei gefunden, ohne daß ich mir diesen Fortschritt anders erklären konnte, als durch eine nächtliche Arbeit, an die ich mich gar nicht erinnerte.«
»Ich möchte wohl versuchen,« erwiederte ich. »ob ich einige Gewalt über Sie habe.«
»Nein,« sagte sie, »versuchen Sie es nicht, ich bitte Sie!«
»Nie?« fragte ich.
»Wenigstens nur dann, wenn ich’s Ihnen selbst sage.«
»Ich kann also hoffen daß Sie einst Ihre Zuflucht zu mir nehmen werden?«
»Vielleicht; aber Sie müssen mir Ihr Ehrenwort geben, daß Sie ohne mein Wissen nie die Mittheilung, die ich Ihnen gemacht, gegen mich mißbrauchen werden.«
»Nein, ich gebe mein Ehrenwort.«
Sie reichte mir die Hand.
Es schlug halb eilf. Die Gräfin stand auf.
»Schon?« sagte ich.
»Sie sind hier die einzige Person, mit der ich gern spreche, und ich kann doch nicht immer mit Ihnen reden; es ist also besser, daß ich fortgehen.«
»Kann ich nicht, nachdem ich Sie verlassen, wenigstens noch eine kleine Weile im Geiste mit Ihnen vereinigt bleiben?«
»Sie würden mir nicht glauben, wenn ich Ihnen nein antwortete. Der Gedanke ist das biegsamste Metall; er wird durch Trennung nicht gebrochen; die Entfernung vermag nichts gegen ihn; er verbreitet sich weit über den Gesichtskreis über Berge, Ströme und Meere hinaus. Lassen Sie das eine Ende Ihres Gedankens in meiner Hand und reisen Sie gegen Osten um die Welt, so können Sie von Westen zurückkehrend das von Ihnen mir mitgebrachte Ende mit dem in meiner Hand gebliebenen zusammenknüpfen.«
»Sie können mir jetzt befehlen, Sie zu verlassen und mich tausend Meilen weit zu entfernen; nach den Worten, die Sie zu mir gesprochen, gibt es keine Trennung mehr.«
»Ueberdies,« sagte die Gräfin. zum Himmel aufblickend, »gibt es ja einen Ort, wo man sich früher oder später wiederfindet, um sich nie mehr zu verlassen.«
»Ihre Heimat ist der Aufenthalt der Engel, denn Sie selbst sind ein Engel; ich hingegen bin an die Erde gefesselt. Wenn Sie von mir scheiden, so reichen Sie mir die Hand, denn allein würde ich zu viel Mühe haben Ihnen zu folgen.«
Sie war aufgestanden und hatte meinen Arm genommen. Zoe eilte herbei.
»Sie wollen gehen, Frau Gräfin?« fragte die junge Frau.
»Ja,« antwortete die Gräfin.« »Liebes Kind, empfange meinen aufrichtigsten Glückwunsch. Du weißt, daß ich Dich wie meine Schwester, ja wie meine Tochter liebe. Sey glücklich! Die Vorsehung hat Dir das erste Element eines dauernden Glückes gegeben: die gegenseitige Liebe. Glücklich sind die, welche am Tage ihrer Verbindung sagen können: Wir lieben uns!«
Sie küßte Zoe aus die Stirn, reichte Gratian die Hand, nahm Abschied von den Hochzeitgästen, gab der alten Josephine einen Wink uns zu folgen und ging mit mir fort.
VI
Ich ging eine Weile neben der Gräfin« ohne ein Wort zu sprechen. Sie sprach auch nicht. Aber es war nicht zu verkennen, daß wir gegenseitig unsere Gedanken zu errathen suchten.
»Sie waren vorher so heiter, warum sind Sie jetzt so traurig?« fragte die Gräfin, plötzlich das Stillschweigen brechend.
»Ich bin nicht traurig,« antwortete ich; »ich bin nur nachdenkend.«
»Wollen Sie mir das erklären?«
»Seht gern.«
»Ich höre,« sagte sie.
Sie fing an langsamer zu gehen.«
»Es ist etwa ein Jahr,« begann ich, »daß ich einen großen Kummer hatte: ich verlor meine Mutter.«
»Mir hat Gott diesen Schmerz erspart,« sagte sie, »meine Mutter starb, als sie mir das Leben gab.«
»Unter der Last dieses Kummers glaubte ich, es gebe für mich keine Freude mehr auf der Welt; es schien mir, als ob sich das Grab meiner Mutter in meinem Herzen aufgethan hätte, um alle schönen Täuschungen, die mir das Leben noch bieten könnte, zu verschlingen. Ich leerte den bittern Kelch bis auf den Grund, bis ihn meine müde Hand fallen ließ. Dies war die erste Abspannung meines Schmerzes. Ich entfernte mich von den Gegenständen, die mich an die theure Verstorbene erinnerten, aber ich suchte Naturscenen auf, die so traurig und öde waren wie mein Herz; ich betrachtete das sturmbewegte Meer, um es mit den in meinem Innern tobenden Stürmen zu vergleichen, und ich sah im Menschen tiefere Abgründe als im Ocean. Dann bemerkte ich, daß die düsteren Felsenufer mein Auge ermüdeten, daß mein Ohr des brausenden Meeres überdrüssig wurde. Ich suchte freundlichere Landschaften auf, wo der Wind im Laube der Erlen säuselt, wo die Bäche im Schatten der Trauerweiden plätschern. Ich fand dort nicht die Heiterkeit, aber doch wenigstens den Schlummer des Schmerzes. In jener Zeit lernte ich Sie kennen, Madame; Sie erschienen mir wie der Genius der Wehmuth mit den Azurflügeln der Hoffnung. Meine Lippen lernten wieder lächeln. Damals glaubte ich freilich, daß ich nie mehr anders als seufzend lächeln würde; aber ich war wieder im Irrthum, und eines Tages ertappte ich mich auf einem heitern Lächeln, der Seufzer aber blieb aus. Endlich gestern – heute habe ich Alles vergessen, und das Glück, ein neues, unbekanntes, unverhofftes Glück hat das letzte Wehgefühl aus meiner Brust vertrieben. Und sonderbar, ich fühle keine Reue, daß ich meinen Schmerz vergessen. Ich habe mich im lauten, fröhlichen Getümmel befunden, ich habe an einem Feste Theil genommen, der Klang der Geigen hat mein Ohr ergötzt und ich habe die allgemeine Freude getheilt. – Das ist’s, worüber ich nachsann, als Sie mich, nachdem ich heiter und vergnügt gewesen war, für traurig hielten.«
»Wer von Leiden getroffen wird, für die es einen Trost gibt, kann sich glücklich schätzen,« sagte die Gräfin.
»Gibt es denn Leiden, für die kein Trost zu hoffen ist?«
»Es gibt wenigstens unheilbare.«
»Ich hatte geglaubt, der Verlust einer Mutter sey ein unheilbarer Schmerz.«
»Nein, denn Sie glauben doch an die Unsterblichkeit der Seele?«
»Glauben kann ich’s wohl nicht nennen, aber ich setze wenigstens meine Hoffnung darauf.«
»Aber wenn der Geist derer, die uns geliebt haben, sie überlebt, so werden Sie doch nicht zweifeln, daß dieser Geist mit derselben Liebe an Ihnen hängt, wie einst das Herz?«
»Ja.«
»Ihre Mutter liebte Sie, nicht wahr?«
»Die Mutterliebe ist das Einzige, was man mit der göttlichen Liebe vergleichen könnte.«
»Wie können Sie also glauben, daß die Mutterliebe einen ewigen Schmerz verlange? Wer würde wohl so grausam sey, beim Scheiden dem Zurückbleibenden einen Kummer aufzunöthigen, für den es keinen Trost gibt? Ihre Mutter, die unsichtbar aber stets gegenwärtig vor Ihnen hergeht, wie die Gottheiten, denen die Dichter des Alterthums ihren Platz in einer Wolke anweisen – sie selbst hat Ihnen den Weg aus dem Sterbehause gewiesen und Sie an den brausenden Ocean, dann in freundlichere Gegenden geführt, bis endlich Ihre Thränen aufhörten zu fließen. Sie wurden nach und nach von Ihrem Schmerz geheilt und von dem Grabe der Verewigten wieder in das heitere, freundliche Leben zurückgeführt. Glauben Sie denn, daß sie Ihre Thränen, Ihren Schmerz, Ihre Trauer zurückwünsche? Nein – sie freut sich Ihres Glückes, sie spricht leise zu Ihnen: Sey glücklich mein Sohn, freue Dich des Lebens!«
»Sie haben vollkommen Recht,« erwiederte ich; »Sie sind wirklich mit einem übersinnlichen Gesichtsvermögen begabt!«
Dann schwiegen wir wieder, und ohne weiter ein Wort gesprochen zu haben, kamen wir an die hübsche Kirche Notre-Dame de la Culture, deren Thurm weit in die heitere, stille Nacht hineinragte.
»Sollen wir den Weg um die Kirche machen oder über den Friedhof gehen?« fragte ich die Gräfin. »Ich glaube, daß beide Wege zum Schlosse führen.«
»Wir wollen über den Friedhof gehen,« antwortete Frau von Chambray; »ich habe Ihnen etwas zu zeigen.«
Wir stiegen die fünfzehn bis zwanzig Stufen zu dem ländlichen Camposanto hinan. Dieser ist durch keine Thür geschlossen, durch keinen Schlagbaum abgesperrt. Man könnte dies für eine poetische Anspielung auf den Tod halten, gegen den, wie vor langer Zeit ein Dichter sagte, weder Geländer, noch Gitterthor, noch Mauer schützt.
Auf der zehnten oder zwölften Stufe stand ich still.
»Hören Sie!« sagte ich zu Edmée.
Wunderliebliche Töne erklangen in der stillen Nacht.
»Ja,« sagte sie, »es ist meine Nachtigall.«
»Wie! Ihre Nachtigall?«
»Ja, ich fand sie vor zwei Jahren, als sie aus dem Nest gefallen war. Ich nahm sie mit nach Hause und fütterte sie auf. Als sie flügge ward, trug ich sie auf den Friedhof und gewöhnte sie nach und nach an ein Gebüsch. Als ich glaubte, daß sie ohne meine Hilfe leben könne, ließ ich sie den ganzen Sommer da. Ich sah sie in dem Gebüsch, sie sang noch nicht. Im Herbst zog sie fort. Im folgenden Frühling, an einem Maimorgen, hörte ich auf dem Wege zur Kirche eine Nachtigall singen. Es war meine Nachtigall.«
Wir gingen die Treppe hinauf und an der Kirche vorüber.
Als ich das erste Mal an das Gebüsch gekommen war, hatte die Nachtigall geschwiegen; aber dieses Mal ließ sie sich nicht stören, als ob sie ihre holde Pflegerin erkannt hätte.
Einige Schritte von der Mauer, an welcher das Gebüsch stand, und vor einem mit Trauerweiden bepflanzten Platz blieb Edmée stehen.
»Warum,« fragte ich, »haben Sie gerade diesen Ort für Ihre Nachtigall gewählt?«
»Weil hier meine Heimat ist,« erwiederte die Gräfin mit ihrem wehmüthigen Lächeln.
»Ich verstehe Sie nicht.«
»Sie begreifen nicht, daß das Schloß Chambray, das nur zweihundert Schritte von hier ist, zu der Kirche Notre-Dame de la Culture gehört, und folglich auf diesen Friedhof seine Todten schickt, mir eben deshalb gefallen hat; Sie begreifen nicht, daß ich in einer Anwandlung von Traurigkeit gesagt habe: Hier unter diesem Wintergrün« im Schatten dieser Weiden muß es sich gut ruhen, um den ewigen Schlaf zu thun; Sie begreifen nicht, daß ich diesen Platz gekauft, daß ich hier eine Gruft habe anlegen lassen, daß ich endlich diese Nachtigall aufs Gerathewohl hierher gesetzt habe?«
»O! Edmée!« sagte ich, ihren Arm fester an mich ziehend.
Sie schien nicht zu bemerken, daß ich sie bei ihrem Taufnamen nannte, und fuhr fort:
»Doch diese Vorkehrungen haben so wenig Folgen wie ein Testament oder eine Beichte. Der Geistliche und der Notar wird sagen: Man stirbt deshalb nicht.«
»Auf jeden Fall,« erwiederte ich,« zu lächeln versuchend, »ist Ihre Nachtigall treu.«
»Wie so?«
»Sie sehen’s ja. Dieses Gebüsch gehört nicht zu dem von Ihnen angekauften Platz, und der Vogel hat ein Grab, das glücklicherweise nicht das Ihrige ist, zum Wohnsitz gewählt.«
»Ja,« sagte die Gräfin, »die Nachtigall hat das Grab eines schönen, sanften. liebenswürdigen Mädchens gewählt. Das arme Kind hätte gern noch gelebt; aber der Tod ist nicht nur unerbittlich, sondern boshaft. Wir haben sie im vorigen Jahre begraben. Sie hatte mich sehr lieb. und ehe sie in meinen Armen verschied, bat sie mich um Zweierlei: erstens sie so nahe wie möglich an der Stelle, wo ich einst selbst ruhen werde, begraben zu lassen. Meine Nachtigall singt auf ihrem Grabe; ich habe sie ihr geliehen – aber später werde ich sie ihr nehmen.«
»O mein Gott,« sagte ich, »wie können Sie so trübe Gedanken habe?«
Sie lächelte.
»Wer sagt Ihnen denn,« erwiederte sie, »daß mir diese Gedanken keine Freude machen? Der Vogel weiß wohl, daß er nicht der armen Adele sondern mir gehört. Sie können sich davon überzeugen.«
Sie ließ meinen Arm los und ging auf den über den Boden hervorragenden Grabstein zu.
Ich wollte ihr folgen.
»Nein,« sagte sie, »die Nachtigall würde davon fliegen.«
Ich blieb zurück.
Die Gräfin ging bis an den Stein und legte sich, auf einen Ellenbogen gestützt, darauf.
Sogleich kam die Nachtigall aus dem Gebüsch hervor, setzte sich auf einen Weidenzweig über der Gräfin und fing an zu singen.
Der Mond kam eben hinter einer Wolke hervor und warf einen Lichtstrahl auf die Scene.
Die Gräfin war so unbeweglich und schien mir so blaß, daß ich schauderte. Ich eilte zu ihr und hob sie auf.
»O! keine Minute, keine Sceunde länger,« sagte ich; »kommen Sie.«
Ich führte sie wieder auf den Weg-
Der Vogel durch meine Annäherung aufgescheucht flog davon.
»Kommen Sie«et wiederholte ich; »Sie dürfen nicht länger hier bleiben.«
Sie rief Josephine. Die gute Alte kniete auf einem Grabe, das weder Stein noch Kreuz noch Nachtigall noch Trauerweide hatte, aber sie hatte es doch mitten unter den andern gefunden. Es war das Grab ihres Mannes.
Sie holte uns ein, als wir den Friedhof verließen und auf das Schloß zugingen.
»Was war das Zweite, das Sie dem jungen Mädchen versprachen?« fragte ich nach einer Weile.
»Ihr eine Grabschrift zu setzen.«
»Also jene Verse, die ich gelesen habe, die mir im Gedächtniß oder vielmehr im Herzen geblieben sind, die Verse:
Nur kurze Frist ward ihr zum Blüh’n gegeben.
Der Lilie, die nun der Sturm geknickt.
O Erde, sey ihr leicht, wie einst im Leben
Sie Dir war, eh’ der Tod sie Dir entrückt.
»Diese Verse,« sagte die Gräfin, »drücken das was ich sagen wollte, sehr unvollkommen aus; ich war nicht im Stande, meinen Gefühlen entsprechende Worte zu geben.«
Wir gingen wieder schweigend weiter und kamen an das Gitterthor des Schlosses, ohne ein Wort gesprochen zu haben.
Hier mußte ich Abschied von der Gräfin nehmen.
»Madame,« sagte ich, »in dem Augenblicke wo ich Sie – ich weiß nicht auf wie lange – verlasse, habe ich Ihnen etwas zurückzugeben.«
»Was denn?« fragte sie erstaunt.
Ich zog den Ring hervor, den sie mir für die Abgebrannten gegeben hatte, öffnete die Feder der Kette, an welcher ich den Ring trug und überreichte ihn ihr.
»Diesen Ring,« sagte ich.
Die Gräfin war ganz betroffen; wenn’s Tag gewesen wäre, würde ich ihr Erröthen gesehen haben.
»Dieser Ring gehört nicht mehr mir.« erwiederte sie, »Sie haben ihn von mir geschenkt erhalten.«
»Ja,« antwortete ich, »aber ich habe dabei ein Bedenken —«
»Was meinen Sie?«
»Sie haben ihn nicht mir, sondern den Abgebrannten geschenkt.«
»Haben Sie denn den armen Leuten nicht den Preis dafür gegeben?«
»Ja wohl, Madame.«
»Dann haben Sie ja meinen Absichten gemäß gehandelt. Der gegenwärtige Besitz des Ringes thut nichts zur Sache. Ein Anderer würde ihn gekauft haben. Sie sind zuvorgekommen. Es ist mir lieber. daß er in den Händen eines Freundes, als eines Fremden ist.«
»Sie sehen aber,« erwiederte ich, »daß der Ring nicht in den Händen, sondern auf dem Herzen eines Freundes war —«
»Dann möge er da bleiben wo er war.«
– Die Gräfin machte eine Bewegung, um in die von Josephinen inzwischen geöffnete Gitterthür zu gehen.«
»Verzeihen Sie, Madame,« sagte ich mit Zagen, »erlauben Sie einen Tausch —«
Die Stirn der Gräfin verfinsterte sich.
»O warten Sie,« sagte ich.
»Ich warte s—r«"s-
»Nehmen Sie diesen Schlüssel.«
Ich reichte ihr wirklich einen Schlüssel-
»Was ist das für ein Schlüssel?« fragte sie.
»Der Schlüssel zu dem kleinen Zimmer, das Sie gern noch einmal gesehen hätten, ehe der Graf von Chambray die Besitzung Juvigny verkauft hatte.«
»Ich verstehe Sie nicht,« sagte die Gräfin.
»Josephine wird Ihnen Alles sagen,« erwiederte ich.
Ich empfahl mich mit tiefer Ehrerbietung und ging fort.
Kaum hatte ich mich dreißig Schritte entfernt, so hörte ich hinter mir ein süßes liebliches Wort.
»Dank! rief mir die Gräfin nach.