Kitabı oku: «Eigensinn und Bindung», sayfa 15
Joseph Bernhart (1881 – 1969)
Joseph Bernhart
Die Krisis menschlichen Handelns und der Geschichte
Rainer Bendel
„Man sagt, die wichtigsten Fragen seien die vergeblichsten, und meint, man sollte sie deshalb aufgeben. Sagen wir lieber umgekehrt, daß die vergeblichsten Fragen, wie die nach dem Menschen und nach Gott, die wichtigsten sind, was alsdann so zu verstehen wäre, daß es von unendlicher Wichtigkeit ist, nicht aufzuhören zu fragen, so wichtig wie die Unendlichkeit selbst, mit der wir uns der wahren Lebensluft beraubten, wenn sie unser Fragen, gerade unser vergebliches Fragen nicht mehr beschäftigte. Ist dieses Fragenmüssen ins Vergebliche nicht die großartigste, über alles menschenwürdige Antwort auf unser Fragen? Die docta ignorantia ist gelehrte, aber auch belehrte Unwissenheit.“1
Diese Notwendigkeit, Fragen zu stellen, macht den katholischen Intellektuellen Joseph Bernhart zum Wegweiser in eine neue Zeit, deren Signum das Finden neuer Paradigmen ist, die das Profil schärfen, die aber auch das Wissen um und die Intention zur Integration haben: Der Intellektuelle will sich einbringen in die wissenschaftlichen, gesellschaftlichen, kulturellen Debatten, in die religiösen Suchbewegungen der Zeitgenossen. Er versucht Antworten aus dem reichen Fundus christlicher Traditionen und erschüttert mit seinen Fragen manche gesellschaftlichen und religiösen Fassaden und Zwänge. Er will damit die Menschen hinweisen auf den tieferen, den inneren, den größeren Zusammenhang: das Humanum, die Catholica. Der Intellektuelle erscheint hier als Prophet, als Kritiker, als Mahner, Deuter und Wegweiser in den Suchbewegungen, in den Umbrüchen und Aufbrüchen, in den Katastrophen des ausgehenden 19. und des 20. Jahrhunderts.
Die ersten Suchbewegungen des jungen Seelsorgers zielten auf Wege aus der ,kulturellen Inferiorität‘ der Katholiken im Bismarckreich; die partielle Ausgrenzung empfand Bernhart schmerzlich. Rückzug in das eigene Milieu, Ghettoisierung waren für ihn keine akzeptable Antwort. Aufbruch und Ausbruch, Anregung und Austausch suchte er in diesem Klima in erster Linie im Umfeld der Zeitschrift „Hochland“. Während seines Studiums der katholischen Theologie von 1900 bis 1904 in München hatte er diese Öffnung und Offenheit weitgehend vermisst. Allein der Rückgriff auf die pluriforme theologische Tradition in seinen dogmenhistorischen Studien und seiner eigenen Dissertation zu unterschiedlichen mystischen Ansätzen in der mittelalterlichen Theologie zeigten ihm dort einen Ausweg aus der neuscholastischen Ghettotheologie. Bedrückende Enge und Bespitzelung im eher intellektuellenfeindlichen Klima empfand er schmerzlich. Eine Antwort sah er allein im Ausbruch aus der kirchenamtlich verordneten Unzeitgemäßheit und damit verbundenen Inferiorität.
Als Bernhart 1910 auf dem Augsburger Katholikentag, aufgrund seiner Mitarbeit am „Hochland“ von einigen Bischöfen kritisch beäugt, über die „Bildungsaufgaben der Katholiken“ sprach, wollte er Letztere zu einem verstärkten Engagement auf allen Sektoren der Kulturarbeit anstacheln und so aus ihrer damaligen, zumindest von ihnen so wahrgenommenen Ghettosituation herausführen; gleichzeitig warnte er vor polemischer Haltung gegenüber modernen außerkirchlichen Richtungen in Wissenschaft und Kunst. „Das ganze Tagwerk unserer Zeit, stolz in seiner Mühsal, mag nur immer tiefer graben draußen in der Welt und drinnen in der Menschenbrust; wir vertrauen, das Ende kann nur dieses sein: Entdeckung Gottes in der Außenwelt, Allelujasang der Schöpfung, Kreuzauffindung in der Menschenseele.“2 Gegen Verdächtigungen und Verurteilungen des Modernismus und Reformkatholizismus durch die Kirchenleitung vertrat der junge Theologe eine optimistische Position im Hinblick auf einen Dialog der Theologie mit den modernen Wissenschaften und der Kultur; er zeigte keine Berührungsängste, keinen Ghettogeist.
Mit allen Fasern seines Intellektes und Gemütes mühte Bernhart sich um das Gespräch von Theologie und modernen Wissenschaften, um die Zeitgenossenschaft von Kirche und moderner Kultur, um den Einsatz der Kirche in den drängenden sozialen Fragen und schließlich darum, die Erkenntnisse seiner Forschungen und Reflexionen zur Mystik auch für die Seelsorge fruchtbar zu machen. Der Theologe, „der mit so feiner Witterung auf den Fährten des modernen Denkens geht“, der um die Fähigkeit seiner Kirche zur Zeitgenossenschaft, damit zu einer Frucht bringenden Seelsorge rang, litt an der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert daran, „daß wir im kirchlichen Leben am Ausgang des Mittelalters stehen“.3 Kein Wunder, dass er als Reformkatholik kritisch beäugt, zuweilen gar in die Nähe der so genannten Modernisten gerückt wurde.
Wo viele nach 1918 der Sehnsucht nach dem „Sacrum Imperium“ verfielen, dem katholisch geprägten mittelalterlichen Kaiserreich, stand Bernhart im Aufschwung des katholischen Geisteslebens der 20er-Jahre: Münchener „Hochland“-Kreis, Kreis um Ildefons Herwegen und Maria Laach, um Max Scheler in Köln, um Guardini und Burg Rothenfels, Schell-Kreis um Hermann Platz in Bonn.
Trotzdem erahnt man auch bei Bernhart das Störpotenzial, das mit dem Zusammenbruch der Monarchie kam – noch in den Erinnerungen spürt man sehr deutlich die tiefe Verstörung durch den Umsturz der alten Ordnung.
Der Intellektuelle zwischen Poesie und Gelehrsamkeit
„Halb Poet und halb Gelehrter“ lautet Bernharts Fazit einer Szene, die er selbst erzählt, um sich zu charakterisieren: Er erlebt, wie ein Kunde in einer Buchhandlung nach Werken Bernharts sucht, worauf der Buchhändler nachfragt, welchen Bernhart er meine: Es gebe da den Poeten und den Gelehrten. Diese Selbsteinschätzung Bernharts trifft den Kern seines Schaffens und die Problematik seiner Biographie. Sie sagt mehr aus und lässt mehr aufscheinen als Begriffe, vor allem wenn man mitschwingen hört, dass sowohl der Poet wie der Gelehrte sich in ihrer Erkundung und Aussage um die Schöpfung mühen, im Innersten also immer der Theologe spricht, der in aller Wirklichkeit Bewegung und damit Veränderung entdeckt. Wenn nun die Alteration im Betrachter eine einfühlsame Teilnahme erweckt, wie Bernhart unterstreicht, „eine unausweichliche, im ursprünglichen Sinne poetische Affektion“, dann ist jede Wahrnehmung – in unterschiedlicher Intensität und auf verschiedenen Ebenen – eine poetische Empfängnis, dann ist auch der Gelehrte, der erkennt, dass er um so stärkere Bilder und Begriffe braucht, je mehr er sich abgrenzt, im Innersten ein Poet. So sieht sich denn Bernhart auch zeit seines Lebens durch „die Qual einer doppelten Anlage“ vor die Berufswahl gestellt.
Bernharts Werk ist engstens verwoben mit dem zeitgenössischen Kontext in Theologie, Kirche und Gesellschaft. Nicht nur die sich überschlagenden politischen und geschichtlichen Ereignisse des 20. Jahrhunderts bestimmten seinen Denkweg, es ist auch – vielleicht zuerst – seine eigene Biographie. Das zeigt sich bereits an dem Bändchen „Tragik im Weltlauf“, veranlasst durch das Grauen des Ersten Weltkrieges, aber auch durch eine tiefe persönliche Konfliktsituation: Bernhart, am 8. August 1881 im schwäbischen Ursberg geboren, stammt aus einer gläubigen Familie mit einem sehr traditionellen Verständnis von christlicher Frömmigkeit und auf Seiten des Vaters einer Aufgeschlossenheit für geistige Fragen. Das patriarchalische, autoritäre Umfeld im München des ausgehenden 19. Jahrhunderts hat ihn beeindruckt und nicht wenig zu seiner Berufsentscheidung beigetragen; es lässt sich eine stark ausgeprägte Pietät Bernharts gegenüber der unterschiedlich strukturierten Religiosität seiner Eltern erkennen. 1904 zum Priester geweiht, verbrachte er seine Kaplansjahre zum großen Teil in bayerisch-schwäbischen Dorfpfarreien, damals bereits mit seinem Dissertationsthema „Bernhardische und Eckhartische Mystik in ihren Beziehungen und Gegensätzen“ beschäftigt. Er suchte den anspruchsvollen, anregenden Ausgleich zum eher körperlich denn geistig anstrengenden Seelsorgsdienst auf dem Lande, dessen Eintönigkeit und Einsamkeit er in „Der Kaplan“ später so trefflich skizziert hat. Aus der Begegnung mit der Provinzialität, mit der bedrängenden Enge der ländlichen Seelsorgearbeit wuchs ein Roman zum Meisterwerk.
Seit 1904 arbeitete er im „Hochland“ mit; nach seiner Eheschließung stellte er die Mitarbeit ein, weil er das „Hochland“ nicht mit den Schwierigkeiten des verheirateten Priesters belasten wollte. Erst seit 1934 erschienen dann im „Hochland“ wieder Beiträge aus Bernharts Feder. 1907 wurde er Sekretär der Gesellschaft für christliche Kunst in München. In dieser Funktion hielt er an Pfingsten 1908 einen Vortrag vor dem Verein katholischer deutscher Lehrerinnen; bei dieser Gelegenheit lernte er Elisabeth Nieland (1882 – 1943), die Sekretärin des Vereins, kennen, die er 1913 in London heiratete. Davor liegt die Zeit des Murnauer Benefiziaten, ein Abschnitt tiefsten Ringens um den eigenen rechten Weg und mit der Situation in seiner Kirche, das sich nicht zuletzt am erzwungenen Antimodernisteneid entzündete. Mit der Verheiratung zog sich der Benefiziat die excommunicatio latae sententiae zu. So sehr Bernhart zwischen der äußeren Gestalt, der rechtlichen Struktur und der geistlichen Dimension der Kirche zu unterscheiden wusste und damit auch spürte, welchem Gesetz er zu folgen hatte, so sehr litten er und seine Frau unter dem Ausschluss aus der vollen Gemeinschaft mit der römisch-katholischen Kirche, deren Geistigkeit und Geistlichkeit er mit allen Fasern seines Innersten anhing. Mit zahlreichen Vorstößen und auf vielfältigen Wegen bemühte sich der Schriftsteller, der immer im Dienst der Kirche schreiben wollte, um die Sanierung dieser Angelegenheit. Erst nach über 25 Jahren glücklicher Ehe und nur wenige Jahre vor dem Tod Elisabeth Bernharts erhielten sie den Bescheid der Aufhebung der Exkommunikation – und auch den zunächst nur foro interno.
Bernhart ist ein Theologe, der zuinnerst in und mit und von seiner Mutter Kirche lebt. Im gleichen Atemzug ist er sich der Tragik jeglicher Mutterschaft bewusst: Sie fördert, um frei zu lassen; sie muss bestrebt sein, sich überflüssig zu machen.
1916 starb Bernharts Vater. Bis zu dessen Tod hatte er ihm die Tatsache seiner Verheiratung vorenthalten, aus Furcht, der Vater würde innerlich daran zerbrechen. Nach dem Tod des Vaters aber grämte sich der Sohn darüber, dass er sich ihm nicht eröffnet hatte, dass der Vater nicht mehr erfahren hatte, wer er eigentlich gewesen ist. So wollte er zwar Gutes tun und den Vater schonen, gleichzeitig aber hatte er damit nicht der Wahrhaftigkeit und der Aufrichtigkeit gedient, war nicht dazu gestanden, dass er als Priester „das erbarmungslose Gesetz seiner Kirche gebrochen“ hatte „und so der Ehrlichkeit seines Gewissens gefolgt“ war. „Meine Gedanken kreisten hartnäckig um ein lateinisches Diktum, das mich zugleich verklagte und entschuldigte: ,Facto pius sceleratus eodem‘, was besagt, daß der Mensch mit einem und demselben Tun zum Frommen und zum Ruchlosen werden kann. Ich weiß nicht mehr, auf welchen Dichter das Wort zurückgeht, nur daß es den Menschen unheimlich scharf gesehen hat. Fortan ging es mir nach und trug dazu bei, daß ich die Weltverfassung als von Hause aus unheimlich verstehen lernte. Da nun auch der Krieg mit all seinen Verstrickungen von Schuld und Recht den Erdkreis erfüllte, stellte sich mir das Thema ein, über das ich aus eigenem Bedürfnis und fremder Anregung zu schreiben begann. Was schließlich heraus kam, ist im Frühjahr 1917 in der Beckschen Verlagsbuchhandlung als ,Tragik im Weltlauf‘ erschienen.“4
Geistig prägte Bernhart die Jenaer Studienzeit 1911/12, die Begegnung mit dem modernen Denken seiner Zeit. Weit gespannt sind die Beziehungen und Begegnungen des freien Schriftstellers – sie reichen von nationalkonservativen Kreisen um Paul Nikolaus Cossmann bis zu Thomas Mann. Nicht um Themen und Arbeit, wohl aber oft um die ökonomische Grundlage musste Bernhart in den Münchener Jahren seit 1913 bangen. 1934 zogen er und seine Frau ins schwäbische Türkheim, in das Elternhaus um, nicht zuletzt aus wirtschaftlicher Notwendigkeit und um Konzentration zu finden für einige größere Vorhaben: In den Folgejahren entstand die Auswahl aus der „Summa theologica“ des Thomas von Aquin und die 1955 erschienene, mit sensibler Präzision und Sprachgewalt komponierte Übersetzung der „Confessiones“ von Augustinus. Überschattet waren diese Jahre von den Schrecken der nationalsozialistischen Herrschaft und des Krieges, nicht zuletzt aber von der schweren Krankheit und dem Tod (1943) seiner Frau. Sie war ihm Weggefährtin, kongeniale Mitarbeiterin, sie war die Künstlerin, Mahnerin und Trösterin, die ihn zu seiner vollen Schaffenskraft befreit, motiviert, getragen hat. Schon in dem Essay „Der eheliche Mensch“ (aus: „De profundis“, 1935) setzte er ihr ein Denkmal.
Bernhart war ein Brückenbauer, ein Interpret und Übersetzer mit Empathie und Präzision, ein Theologe, der die biblische Botschaft ins Gespräch brachte mit im Katholizismus seiner Zeit gemiedenen oder verfemten Autoren wie Goethe und Nietzsche.
Die Suche nach dem Sinn der Geschichte
Der Seelsorger, Theologe und Historiker wurde angesichts der Trümmer zum Deuter der Geschichte, der zeitgeschichtlichen Ereignisse, ja der Geschichtlichkeit von Mensch und Schöpfung überhaupt. Bernharts Geschichtsverständnis wurde in „Tragik im Weltlauf“ in einem ersten Anlauf vorgelegt. In diesem Themenfeld bewegen ihn vorrangig die Fragen, wie man die dunklen Seiten des Geschichtsverlaufs aushalten kann, wie deren Sinnhaftigkeit durch das Stellen in eine höhere Ordnung aufzuweisen ist. Bernhart formuliert hier bereits 1917 sein Ringen um den Umgang mit dem zerbrochenen Sinn der Geschichte, die Trauer über Vernichtung und Trümmer, die die Ereignisse hinterlassen. Ihm ist deswegen vielfach Tragizismus unterstellt worden, ein Vorwurf, der nicht zu halten ist, wenn man den Ernst hört, mit dem Bernhart an vielen Stellen seiner Schriften die Bedeutung der ethischen Dimension in der Realisierung der christlichen Botschaft unterstreicht und gleichzeitig sein Ringen um die Klärung des Verhältnisses von Freiheit und Notwendigkeit, von Ewigkeit und Zeit kennt.
„Tragik im Weltlauf“, „Sinn der Geschichte“, „Chaos und Dämonie“ und dazwischen noch der Ruf des „De profundis“ sind zentrale Schriften. Bernhart hat ohne Zweifel ein sehr feinfühliges Sensorium für die Zeitfragen und die subkutanen Probleme der Zeitgenossen, leidet er doch selbst nicht nur an den Erwartungen seiner Eltern, an dem Unausgesprochenen in seiner Familie, an der vielfach sich äußernden Machtdemonstration seiner Kirche, an den Grausamkeiten der Ideologien. Wie ein roter Faden durchzieht die Konfrontation des reichen geistesgeschichtlichen Erbes in der Geschichtsphilosophie und Geschichtstheologie mit den abgründigen Erfahrungen der Geschichte des 20. Jahrhunderts sein Werk.
In und nach den Erfahrungen des Ersten Weltkrieges bezeichnete er zwar die Situation als eine, die die Menschheit sich selbst zum Rätsel mache, aber letztlich den Fragen der Theodizee keine neue hinzugefügt habe. Erschrecken bereite die Häufung des sittlichen und physischen Elends. Bernhart sieht eine Alternative, mit diesem Elend umzugehen, darin, dass der Mensch sich durch den Aufschwung in Illusionen rette. Er verurteilt diese Flucht nicht per se. Der Mensch könne sich aber auch, und diesem Lösungsweg gilt die Sympathie Bernharts, mit dem Mute wahrer Bildung dem Walten der Tragik im Weltgang nicht verschließen.5 Bernhart meint gerade nicht in eine Scheinwelt abzudriften, wenn er sich im Disput mit der Traditionslinie des Denkens des Tragischen befindet: mit Heraklit, Nikolaus von Kues, Johann Wolfgang Goethe, mit dem Prolog des Johannes-Evangeliums. Damit sind auch die Protagonisten angeführt: zum einen der menschliche Geist mit seinem Erkenntniswillen und der gleichzeitigen Einsicht in die Unzulänglichkeit eigener Erkenntnisfähigkeit im Gegenüber zur Wirklichkeit – und daraus resultierend die diskursive Struktur der Erkenntnis –, zum anderen der Logos, seinem Wesen nach ewig und deswegen tragisch in seinem zeitlichen Geschick unter den Menschen. Dreh- und Angelpunkt für die Schuldbewältigung ist nach Bernhart letztlich die Deutung des Christusgeheimnisses. Auf dieses Zentrum hin entfaltet er seine Antwort in diesem Bändchen: Es ist eine, die vorgegeben ist und ihren überzeugenden Ausdruck im Logos crucifixus findet, eine Antwort, die in ihrer tragischen Verfasstheit dem Duktus menschlichen Erkennens in den Bereichen von Geschichte, Natur, Mensch, Kultur und Kunst entspricht.
Konsequenterweise befasst Bernhart sich im letzten Kapitel von „Tragik im Weltlauf“ mit dem Logos crucifixus. Und das nicht zuletzt in einer zumindest subkutan mitschwingenden Auseinandersetzung mit Friedrich Nietzsche. Er stellt dem Kapitel den Vers aus einem alten Passionsspiel voran: „Oh große Not, Gott selbst ist tot.“ Noch deutlicher wird diese Antwort aus dem Johannes-Evangelium formuliert. „Das Kreuz als Zeichen der äußeren Vernichtung ist zugleich das Zeichen der Erhaltung der höchsten Werte und der inneren Bewahrung geworden. Aber diese Erkenntnis war nicht die Sache der Vernunft, sondern der persönlichen Erfahrung im Anschluß an den tragischen Logos, den man in Jesus sah.“6 Christus mit dem Kreuz erscheint als der Umwerter aller Werte.
„Tragik im Weltlauf“ ist eine Warnung vor dem zum Übermenschen stilisierten Menschen, vor der Erklärung oder Hinnahme der Welt mit rein innerweltlichen Kräften. Sie ist vielleicht weniger eine Warnung vor dem Ende der Metaphysik, wenngleich sie auch das ist, als vielmehr ein Versuch, zwischen Neuscholastik und Idealismus mit dem Logos des Evangeliums, mit Augustinus und der Mystik eine Zwischenposition zu finden, jenen Antwort zu geben, „die in der allgemeinen Erschütterung der Dinge die Frage nach den Fundamenten unseres Daseins stellen“.
Die bleibende Bedeutung der Kreuzestheologie, ihre Zentralität für Bernharts Beschäftigung mit der Theodizee, zeigt sich auch in dem Essay „Tragische Welt“ (in: „De profundis“), der sowohl als Warnung Bernharts vor einer Tragisierung Gottes zu sehen ist wie auch als ein Antwortversuch auf jene, die ihm mit dem Bändchen „Tragik im Weltlauf“ selbst Tragizismus vorgeworfen haben. In dieser Abhandlung über die tragische Welt findet sich als Korrelat zum Kreuz der Hinweis auf die Herrlichkeit des Auferstandenen, die freilich nicht ohne die Spuren des Kreuzes zu denken ist. Der Auferstandene behält seine verklärten Wunden: „Wir sind nicht von der Tragik der Welt erlöst, sondern hineinerlöst in ihre volle Gültigkeit vor Gott. Erst dann, wenn dies erkannt ist, fassen wir die Herrlichkeit des Auferstandenen. Er ist auferstanden, aber mit Wunden. Mit Wunden, aber mit verklärten.“7
Zeit und Ewigkeit: Der mystische Mensch
Theologie und Geschichtsdeutung sind zuinnerst charakterisiert durch Bernharts Blick auf den mystischen Menschen, der Ziel jeder seelsorgerischen Bemühung der Kirche sei. Eine beispielhafte Ausführung dieses Gedankens findet sich in dem nachgelassenen Fragment „Das Stehen des Heiligen in der Geschichte“, das wohl 1943 entstanden ist – etwa zeitgleich mit seinen Überlegungen zum „mystischen Menschen“. Bernhart präsentiert dort ein Verständnis von Geschichte, das sehr deutlich auf Thomas von Aquin verweist; seine Sammlung und Kommentierung von Texten aus der „Summa theologiae“ liegt erst wenige Jahre zurück. Es kommt eine Tendenz zur Metaphysik in die Argumentation, wenn er das letzte „Was“ der Geschichte in der Rückbewegung des Menschen zu seinem erhabenen, weil ewigen Seinsgrund liegen sieht.
Die Frage nach dem Austarieren von Zeit und Ewigkeit steht für ihn im Mittelpunkt, einer Ewigkeit, die das Zeitliche nicht aufsaugt, sondern vor ihr Gericht fordert. Das Zeithafte, jeder Augenblick wird mit einer ungeheuren Entscheidungsintensität aufgeladen. Jeder Augenblick menschlichen Lebens, der Kirche, der Geschichte wird im Blick der Ewigkeit zur Krisis. Weil aber Freiheit und Notwendigkeit zusammengedacht werden müssen, ist es nicht nur das Handeln des Menschen, sondern auch sein Schicksal, das die Geschichte prägt. Gottes stets schöpferisches Handeln – Bernhart legt großen Wert darauf, die creatio continua zu unterstreichen – und das des Menschen prägen den Lauf der Dinge. Eschatologie ist nicht nur im Sinne einer Teleologie ans Ende der Zeiten verlegt, sondern sie ist eine präsentische, die das menschliche Handeln in jedem Augenblick vor den göttlichen Endsinn aller geschöpflichen Wirklichkeit fordert: Die Allgegenwart Gottes auch in der Zeit ist zugleich die Allgegenwärtigkeit jeglicher Zeit und Geschichte vor Gott.8
In der Christologie plädiert Bernhart dafür, dass das Wort „wahrer Mensch“ nichts von seiner Wucht verlieren dürfe. Es dürfe nicht dahin kommen, dass gleichsam unter der erhabenen Regie des Christus-Gottes der Mensch Jesus nur ein Spiel auf der irdischen Bühne aufführe.