Kitabı oku: «Logotherapie und Existenzanalyse heute», sayfa 6

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Wenn man dies nun umlegt auf die Frage, ob Sinnmöglichkeiten wirklich vorhanden oder bloß subjektive Wertungen sind, dann spricht uns im konstruierten Sinn im Grunde ja gar nichts Gesolltes und nichts Verbindliches an – und damit gar nichts, für das wir wirklich Verantwortung tragen – also nichts, von dem ein echter Ruf ausgeht, der uns auffordern würde, konstruktiv und nicht nur konstruierend Stellung zu nehmen. Die Philosophen der Frankfurter Schule, die ja ganz maßgeblich an der zeitgenössischen Metaphysikskepsis gegenüber dem objektiven bzw. transsubjektiven Sinnbegriff mitgearbeitet haben, sprechen in diesem Zusammenhang vom selbstkonstruierten „Projekt“, das sich jemand eine Weile lang zu eigen macht. Dieses Projekt hat aber Gültigkeit und subjektive Bedeutung nur in dem Maße und nur so lange man es sich eben zu eigen macht. Man kann es genauso gut wieder weglegen und damit verliert es auch schon alle Verbindlichkeit bzw. hat diese Verbindlichkeit eigentlich nie besessen – eben, weil von einem konstruierten Sinn prinzipiell nichts Verbindliches ausgeht, da dieser voll und ganz der Beliebigkeit der eigenen Entscheidung, was gerade sinnvoll sei, ausgesetzt ist.

Das deckt sich auch erneut mit der eingangs angesprochenen Unterschätzung der Welt: Sie hat unter diesem Vorzeichen keinen Aufgaben- und Bewährungscharakter; sie ist Spielball und Material unseres jeweiligen „Projekts“. Hier von Sinn zu sprechen ist dann schon sprachlich fragwürdig – von den ethischen und ästhetischen Dimensionen ganz zu schweigen.

Lukas: Zum Wort „Bewährung“ noch ein Hinweis aus der naturwissenschaftlichen Ecke: Der Sinn liegt nicht nur nicht in der Hand des Menschen, sondern überhaupt nicht in der Hand der lebendigen Natur. Denn aus der Evolutionstheorie wissen wir, dass sich alles Leben nach den Prinzipien der Mutation und Selektion entwickelt hat. Aber aufgepasst! Ein drittes Prinzip schwang immer mit: die Bewährung. Bevölkerte zum Beispiel eine mausähnliche Tierart ein beutearmes Territorium, und spross bei einigen dieser Tiere auf Grund genetischer Mutationen plötzlich ein Ansatz von Krallen hervor, dann konnte es sein, dass sich die Krallen bewährten. Mit ihrer Hilfe konnten die Tiere Bäume erklettern, auf denen sie reichlich Nahrung fanden. Trat nun die Selektion auf den Plan und wählte die Krallenbesitzer fürs Überleben aus, während ihre Artgenossen verhungerten und ausstarben, dann folgte die Selektion keiner Willkür, sondern einem allwaltenden Logos, demzufolge es sich in der Situation dieser Tiere eben „bewährt hatte“ („sinnvoll war“), mit Krallen ausgestattet zu sein. Demnach lautet das Dreier- (und nicht Zweier)gespann des sich entfaltenden Lebens: Mutation (= Angebot an Möglichkeiten) – Bewährung (= Feststellung der sinnvollsten Möglichkeiten) – Selektion (= Begünstigung und Umsetzung dieser sinnvollsten Möglichkeiten).

Wenn also schon der gewaltige Antriebsmotor der gesamten lebendigen (und vielleicht auch analog der unbelebten?) Natur einem Sinnprinzip folgt, das sie sich nicht „irgendwie“ aussuchen kann, wie anmaßend muss dann ein kleines Menschlein entgleisen, sich für den „Herrn und Gebieter über den Sinn“ zu halten?

In der logotherapeutischen Theorie und Praxis unterscheiden wir zwischen dem „großen“ (umfassenden) Sinn und dem „kleinen“ Sinn des Augenblicks, wobei selbstverständlich kein „Bruch“ zwischen beiden besteht. Meine Schüler liebten die Metapher von mir, wonach der Sinn des Augenblicks einem Lichtstrahl gleicht, der zwischen den Lamellen einer abgesenkten Jalousie auf den Boden eines Zimmers fällt. Der gelbe Fleck, den er dort aufblitzen lässt, kommt nicht aus dem Nichts, sondern ist „angebunden“ an die unvorstellbar weit entfernte Sonne, die ihre Strahlen aussendet. Diese Sonne steht in der Metapher für den großen, umfassenden Sinn, den wir nicht schauen können, weil wir bei seinem Anblick erblinden würden. Den kleinen Lichtstrahl im abgedunkelten Raum jedoch können wir erspähen. Was aber nicht Sinn des Augenblicks ist, weil es jeglicher Anbindung gebricht, wäre ein gelber Farbklecks, den wir mit einem Pinsel auf den Zimmerboden hinmalen. Er wäre das subjektive Surrogat eines objektiven Lichtstrahls, den zu erspähen wir verfehlt haben.

Frankl, der sich der Philosophie genauso wie den Naturwissenschaften zugeneigt fühlte, war weise, diese Unterscheidung zwischen dem „großen“ und dem „kleinen“ Sinn zu treffen. Der „große“, nicht fassbare Sinn steht nicht minder außerhalb menschlichen Zugriffs wie unsere Sonne am Firmament. Am (metaphysischen) Firmament leuchten nebst Logos noch weitere „Sonnen“: Ethos, Veritas, Pax, Misericordia, Agape, Ästhetik und wie sie alle heißen mögen; jene großen Werte, die nach Frankl zu einer höchsten Wertperson konvergieren. Auch die Justitia sendet von dort ihre Strahlen aus, wie eine Debatte im österreichischen Parlament ins Bewusstsein vieler Menschen gerufen hat. Es ging um die Frage, ob die Politik dem Recht oder das Recht der Politik zu folgen habe. Filtert man die Frage aus dem Geflecht parteipolitischer Polemik heraus, zeigt sie – wie bereits angedeutet – etwas Interessantes auf, nämlich dass auch „das Recht“ bzw. „die Gerechtigkeit“ transsubjektiv sind und nur gesucht und in redlicher Annäherung gefunden werden können, nicht aber mit dem Pinsel der Macht in irgendwelche willkürlich beschlossenen Gesetze hingekleckst werden können.

Bereits Kinder empfinden in den Untiefen ihres geistigen Schlummers, was gerecht ist und was nicht. Sind etwa fünf Kinder zum Spiel eingeladen, und wird eine Tafel Schokolade an vier dieser Kinder verteilt, wohingegen das fünfte Kind unberücksichtigt bleibt, regt sich etwas in der Schar. Ein Lichtstrahl von Justitia fällt durch die Jalousie in ihre Seelen – und würde ein Erwachsener behaupten, das Geschenk an diese vier Kinder sei völlig in Ordnung, bliebe dennoch ein Unbehagen in den Kindern zurück, und dies nicht nur im fünften Kind, sondern in allen! Dasselbe Unbehagen regt sich in Völkern, deren Führer vermeinen, sich herrschaftlich über „das Recht“ stellen zu dürfen, was nichts Neues unter der Sonne ist, aber noch nie erbauliche Früchte getragen hat.

Ich stimme Ihnen völlig zu, dass eine Unterschätzung des vorfindlichen Wertehimmels äußerst problematisch ist. Sie ähnelt fast dem veralteten geozentrischen Weltbild mit seinem menschlichen Mittelpunktswahn. Die Folge ist, dass dann frei erfunden werden muss, was gut, schön, wahr oder gerecht ist – ein unlösbares, Chaos stiftendes Unterfangen! Wie problemkalmierend ist es dagegen, sich klarzumachen, dass die großen Werte am Wertehimmel allesamt keine Produkte menschlicher Erfindungsgabe sind, sondern sich uns nur deswegen teiloffenbaren, weil sich in unserer Erkenntnis (zwischen Milliarden Jahre lang „geschlossenen Lamellen“) ein Spalt für sie geöffnet hat. Am einfachsten scheint mir dies anhand der „Wahrheit“ vermittelbar. Wer zweifelt schon daran, dass „Wahres“ nur entdeckbar und nicht konfabulierbar ist? Am schwierigsten scheint es mir anhand von „Schönheit“ vermittelbar. Sofort taucht der Einwand auf, dass die Geschmäcker verschieden sind. Trotzdem ist unser Innerstes auf Schönheit hin angelegt und sträubt sich gegen Hässlichkeit, und dies im wilden Auf und Ab aller Kunstepochen. Wenn wir folglich Standards entwickeln wollen, an denen wir uns festhalten können, wie etwa die Menschenrechte, demokratische Strukturen, Sittenkodices u. Ä., dann ist es der Versuch, von erspürten Werten abzuschreiben, was konsensfähig ist, weil es eine Mehrheit im Menschengeschlecht gibt, die Ähnliches erspürt.

Wer ein solches Weltbild vertritt, das große, vorfindliche Werte inkludiert, wer also den Aufbau unserer Welt nicht unterschätzt, tut sich mit der Alltagssinnerfahrung leichter.

Wechseln wir jetzt in diesen Alltag hinüber. Wahrscheinlich ist es uns deshalb so suspekt, den Sinn des Augenblicks als transsubjektiv zu erachten, weil er dermaßen flexibel ist. Sein Lichtstrahl tänzelt geradezu beschwingt über den Boden unseres Lebensraumes, nirgends verweilend, immer dynamisch, zwischendurch kurz wegflackernd, dann wieder hell auflodernd. Da dünkt uns der fix hingemalte gelbe Farbfleck bequemer und stetiger, und manchmal vereint er sich ja auch für eine Weile mit dem objektiven Sinn.

Sehen wir uns ein Beispiel aus den Wintertagen an. Jemand erachtet Schifahren als sinnvoll. Das kollidiert nicht mit den einfallenden Lichtstrahlen des Logos. Sport ist gesund. Bewegung in frischer Luft ist ein idealer Ausgleich zu sitzenden Berufen. Es bereitet dem Fortgeschrittenen Lust, über die Pisten zu sausen. Dabei kann er innerlich von sämtlichen Sorgen und Bedrängnissen abschalten und psychisch auftanken. Ha, der (subjektive) gelbe Fleck sitzt für ihn am richtigen Platz, und der (objektive) Lichtstrahl gießt seinen Glanz darüber.

Aber plötzlich gleitet der Sinn des Augenblicks hinweg, und der gelbe Fleck verliert an Glanz. Nein, diese Piste ist wegen Lawinengefahr gesperrt – hier und jetzt (ad situationem) ist es nicht sinnvoll, Schi zu fahren! Nein, diese Abfahrt ist für untrainierte Knie zu steil – für dich (ad personam) ist es nicht sinnvoll, in sie einzubiegen. Bedenke: Wenn du verunglückst, gefährdest du auch eventuelle Rettungstrupps, die dich bergen müssen. Du reduzierst eigene Chancen, setzt ein falsches Vorbild, überschattest das Glück deiner Familie. Sinnvoll ist nur, was für alle Beteiligten gut ist … Lässt sich daraus der Schluss ziehen, dass hohes Sinnerleben beim Schifahren ein Risiko darstellt? Natürlich nicht. Geringes Horchen auf den Sinn des Augenblicks ist riskant, und das mit oder ohne Schivergnügen.

6. SELBSTÜBERSCHÄTZUNG UND DAS WOHLTUENDE MASS DER WIRKLICHKEIT

Batthyány: Wenn man sich dieses Beispiel ansieht, dann scheint es, als hingen Selbstüberschätzung und Sinnfrage in sogar noch viel unmittelbarer Weise zusammen, als ich das vorgeschlagen habe …

Lukas: Gestatten Sie mir, ein paar Informationen zum Phänomen der menschlichen Selbstüberschätzung anzufügen. In der Psychologie ist dieses Phänomen (auch unter dem Begriff „Überlegenheitsillusion“) ausführlich untersucht worden. Als Erste hat Ola Svenson von der Universität Stockholm 1981 nachgewiesen, dass eine überwältigende Mehrheit von schwedischen und amerikanischen Autofahrern davon überzeugt ist, gewandter und geschickter zu fahren als der Durchschnittsautofahrer (was sich rein statistisch nicht rechnet).41 Inzwischen ist gesichert, dass Polizisten, Zeugen, Lehrer, Handwerker, Studierende etc. ihre Fähigkeiten, anfallende Aufgaben ordentlich erfüllen zu können, gründlich überschätzen. Der in der Zeitschrift „Nature“ 201142 veröffentlichte Satz der beiden Sozialwissenschaftler Dominic Johnson von der Universität Edinburgh und James Fowler von der University of California: „Menschen weisen zahlreiche psychologische Wahrnehmungsverzerrungen auf, aber zu den hartnäckigsten, stärksten und am weitesten verbreiteten gehört die Selbstüberschätzung“ ist das Endergebnis einer ganzen Serie von Experimenten43.

Nun ist Selbstüberschätzung weder für Tier noch für Mensch überlebensfreundlich. Ein Panther, der sich bei einem Sprung über eine Schlucht überschätzt, stürzt ab. Ein Mensch, der sein Reaktionsvermögen im Straßenverkehr überschätzt, landet im Graben. Ein Mensch, der seine Rückzahlungskapazität bei Aufnahme eines hohen Kredits überschätzt, gerät ebenfalls in Kalamitäten. Es fragt sich, warum die Evolution nach ihrem bewährten Ausleseprinzip nicht längst alle Individuen mit Überlegenheitsillusionen durch Scheitern-Lassen ausgemerzt und damit aus dem Genpool herausgenommen hat? Offenbar gibt es trotz der Gefahren versteckte Vorteile der Selbstüberschätzung, zumindest bei uns Menschen. Vielleicht ist es so, dass wir ohne ein Mindestmaß an Illusionen viele Unternehmungen gar nicht starten würden. Vielleicht beginnen Hunderte junger Leute ein Studium zu einem Zeitpunkt, da es ihnen noch an Konzentration und Lernausdauer dafür mangelt – und doch wachsen etliche von ihnen im Laufe der Semester in ihr Fachgebiet hinein. Vielleicht gründen viele verliebte Menschen eine Familie zu einem Zeitpunkt, da sie noch zu unreif sind, um Berufs-, Ehe- und Elternpflichten ausgewogen zu kombinieren – und doch schaffen schließlich die meisten von ihnen diese komplexe Herausforderung. Ich selber, die ich nie eine Vorlesung in Pädagogik besucht habe, hätte wahrscheinlich ohne eine gehörige Portion Selbstüberschätzung kein Institut zu leiten gewagt, das mich zu kontinuierlichem Dozieren nötigte. Selbstüberschätzung scheint im besten Fall ein Wachstumsmotor und im schlechtesten Fall ein Versagensgrund zu sein.

Wenn das stimmt, braucht es ein Regulativ, das die anfeuernde Kraft der Selbstüberschätzung nicht ausbläst, aber ihre Waghalsigkeit einbremst. Ich könnte mir vorstellen, dass exakt unser „Wille zum Sinn“ solches leistet. Das Element „Wille“ entzündet sich am „Gewollten“ (Frankl) und eilt mit Begeisterung zukunftsweisenden Projekten entgegen. Das Element „Sinn“ aber kontrolliert deren Leitplanken und stellt sich als Mahner und Wächter in den Weg, sobald der Pfad brüchig und das Vorhaben abgründig wird (siehe Schifahrbeispiel). Freilich: Nur ein „Gegenüber zur Person“, ein objektiver Sinn, ist dazu imstande. Ein subjektiv ausgedachter Sinn wäre gleichsam ein Handlanger der Person, wäre ein Vasall ihres Willens und hätte ihrem unbedachten Vorpreschen nichts entgegenzusetzen.

Logotherapeutisch kann man das seltsame Phänomen der Selbstüberschätzung auf dreifacher Dimensionsebene betrachten. Auf der körperlichen Ebene liefert unser Gehirn – sofern keine Störung vorliegt – ein leicht positiv getöntes Grundgefühl, wie man heute weiß. Das heißt, wir fühlen uns (bei allen Schwankungen) normativ eine Spur wohler, als es der Realität entspricht. Auf der psychischen Ebene halten wir uns in überwiegendem Maße für ein wenig tüchtiger und gescheiter, als wir realiter sind. Beides miteinander fördert ungeahnte Entwicklungsschübe, aber auch dramatische Entwicklungseinbrüche. Ob es zu dem einen oder anderen kommt, wird auf geistiger Ebene entschieden. Schwappt die Überlegenheitsillusion auch in diesen Bereich über, indem sich der Mensch zum Macher des Sinns – zum „Farbkleckser“ – erkört, büßt er jegliches Regulativ ein. Das rächt sich, wovon genug traurige Geschichten künden. Macht er sich hingegen auf die Suche nach dem „einfallenden Lichtstrahl“, dann wird er sich auch bei überschäumendem Optimismus noch dahin entwickeln, wohin er sich entwickeln soll.

Wir haben die Wahl. Die Jalousie ist nicht komplett geschlossen.

Obwohl die Forscher also eine frappierende Mehrheit von „Selbstüberschätzern“ in der Bevölkerung enttarnt haben, gibt es (neben „Richtigeinschätzern“, die hoffentlich ebenfalls vorhanden sind!) die Gruppe der „Selbstunterschätzer“. Mit dieser Gruppe haben wir es bei der psychotherapeutischen Arbeit zu tun. Es sind die armen, geknickten Kerle, die sich nichts zutrauen, zumindest nichts Gutes. Es sind Personen mit Minderwertigkeitsgefühlen, denen irgendwer eingeredet hat, dass sie nichts taugen, und die es prompt glauben. Es sind Enttäuschte und Verbitterte, chronische Pessimisten oder zynische Skeptiker. Obwohl Sie die These aufgestellt haben, dass die Selbstüberschätzung des postmodernen Menschen mit dessen Unterschätzung der Wertewelt zusammenhängt, möchte ich doch einwenden, dass die individuellen Selbst-, Welt- und sogar Gottesbilder sich fast immer decken. Das heißt, wer sich selbst unterschätzt, neigt dazu, auch andere und anderes zu unterschätzen. Gemäß den Worten, die Friedrich Nietzsche seinem „Zarathustra“ in den Mund gelegt hat: „Also gab dem Hungrigen das Meer einen Stein“ – in Analogie: „Also gab Gott den Sinnhungrigen eine sinnleere Welt“ – halten sich Selbstunterschätzer für unfähig, etwas wirklich Sinnvolles zustande zu bringen. Ob das nun an ihnen liegt, weil sie sich zu keinem sinnvollen Leben aufraffen können (man habe sie nicht gelehrt, Fische aus dem Meer zu fangen), oder ob das daran liegt, dass dem Leben grundsätzlich kein Sinn innewohnt (es gäbe bloß Steine im Meer), schwankt. Generell ist es die vermeintliche Minderwertigkeit, die eigene und/oder die ringsum vorhandene, die den „Willen zum Sinn“ verebben lässt.

30Brown, K. W. & Ryan, R. M. (2003). The benefits of being present: mindfulness and its role in psychological well-being. In: Journal of Personality and Social Psychology, 84 (4); Khoury, B., Lecomte, T., Fortin, G., Masse, M., Therien, P., Bouchard, V. … & Hofmann, S. G. (2013). Mindfulness-based therapy: a comprehensive meta-analysis. In: Clinical Psychology Review, 33 (6), 763–771; Grossman, P., Niemann, L., Schmidt, S. & Walach, H. (2004). Mindfulness-based stress reduction and health benefits: A meta-analysis. In: Journal of Psychosomatic Research, 57 (1), 35–43

31Mills, E. (2004). Cultivation of moral concern in Theravada Buddhism: Toward a theory of the relation between tranquility and insight. In: Journal of Buddhist Ethics, 11, 21–45

32Es ist eine erwiesene Tatsache, dass die Freude an Gütern mit dem Zuwachs an Gütern sinkt und mit der Spärlichkeit von Gütern steigt.

33Aus: Schnell, T. (2016). Psychologie des Lebenssinns. Berlin: Springer, 166

34Vgl. Frankl, V. E. (1992). Der unbewusste Gott. Psychotherapie und Religion. München: dtv (7. Auflage), 72f.

35Frankl, V. E. (1987). Logotherapie und Existenzanalyse. Texte aus fünf Jahrzehnten. München: Piper, 113

36Frankl. Der unbewusste Gott, s. Anm. 34, 41

37Leser, die an dieser Debatte interessiert sind und eine freiheitspositive Deutung der aktuellen Befunde zu Hirnforschung und Willensfreiheit suchen, seien verwiesen auf: Batthyány, A. (2017). Gehirn und Handlung. Anmerkungen zum Bereitschaftspotential. Heidelberg: Universitätsverlag Winter; Hasler, F. (2012). Neuromythologie. Eine Streitschrift gegen die Deutungsmacht der Hirnforschung. Bielefeld: Transcript-Verlag

38Spaemann, R. (1996). Personen: Versuche über den Unterschied zwischen „etwas“ und „jemand“. Stuttgart: Klett-Cotta, 234

39Kinnier, R. T., Kernes, J. L. & Dautheribes, T. M. (2000). A short list of universal moral values. In: Counseling and Values, 45 (1), 4–16; Sachdeva, S., Singh, P. & Medin, D. (2011). Culture and the quest for universal principles in moral reasoning. In: International Journal of Psychology, 46 (3), 161–176

40Siehe hierzu etwa: Brink, D. O. (1989). Moral Realism and the Foundations of Ethics. Cambridge: Cambridge University Press; Robinson, D. N. (1980). Psychology and Law: Can Justice Survive the Social Sciences? New York: Oxford University Press; Robinson, D. N. (2009). Praise and Blame: Moral Realism and its Applications (Vol. 54). Princeton: Princeton University Press; Finlay, S. (2007). Four faces of moral realism. In: Philosophy Compass, 2 (6), 820–849; Rottschaefer, W. A. (1999). Moral learning and moral realism: How empirical psychology illuminates issues in moral ontology. In: Behavior and Philosophy, 19–49

41Svenson, O. (1981). Are we all less risky and more skillful than our fellow drivers? In: Acta Psychologica, 47 (2), 143–148

42Johnson, D. D. & Fowler, J. H. (2011). The evolution of overconfidence. In: Nature, 477 (7364), 317

43Vgl. Shaw, J. (2016). Das trügerische Gedächtnis. Wie unser Gehirn Erinnerungen fälscht. München: Wilhelm Heyne, 159ff.

IV. WEGE ZUR SINNFINDUNG
1. HEILSAMES LESEN: BIBLIOTHERAPIE HEUTE

Batthyány: Sie zitierten eben Nietzsche, dem die Logotherapie u. a. ein von Frankl oft verwendetes Zitat – „Wer ein Warum zu leben hat, erträgt fast jedes Wie“ – verdankt. Um nun einen kleinen thematischen Sprung zu wagen, aber beim geschriebenen Wort und seinem Verhältnis zu sinnfördernden und realistischen Zugängen zur Welt zu bleiben: Frankl selbst war, wenn man sich die überfüllten Bücherregale seiner Bibliothek in seiner Wiener Wohnung in der Mariannengasse anschaut, nicht nur ein profilierter Autor, sondern auch selbst ein vielseitig interessierter Leser – übrigens nicht nur von einschlägiger Fachliteratur, sondern auch von Belletristik und Lyrik.

Vor allem in den frühen Jahren nach seiner Befreiung aus dem KZ und der Rückkehr nach Wien gingen Literaten wie Ingeborg Bachmann, Hans Weigel, Ilse Aichinger, Arthur Miller etc. im Haushalt der Frankls ein und aus.44 Die Mariannengasse – obwohl in der unmittelbaren Nachkriegszeit noch nicht einmal richtig möbliert und beheizt – war ein Treffpunkt vieler derjenigen Intellektuellen und Dichter, die damals ans Werk gingen, wie Frankl es formulierte, „geistige Wiederaufbauarbeit“ zu leisten.

Und zu der von Adorno (rhetorisch) gestellten Frage, ob Dichtung nach Auschwitz überhaupt noch möglich sei, antwortete Frankl einmal in einem Radiointerview, Dichtung sei nach Auschwitz nicht nur noch möglich, sondern sie sei sogar nötiger denn je, um dem Menschen Inhalte zu vermitteln, die ihn vor einem erneuten Abgleiten in Zivilisationseinbrüche bewahren könnten. Jahrzehnte später sprach Frankl dann öfters vom „Buch als Therapeutikum“45:

Wenn vom Buch als Therapeutikum gesprochen wird, so geschieht dies durchaus im klinischen Ernst. Nimmt doch die sogenannte Bibliotherapie bereits seit Jahrzehnten im Rahmen der Neurosenbehandlung einen legitimen Platz ein. Dem Patienten wird jeweils die Lektüre bestimmter Bücher – und zwar keineswegs nur die von Sachbüchern – empfohlen. […] Die Möglichkeit, das Buch therapeutisch einzusetzen, geht weit über das Pathologische hinaus. So vermag das Buch etwa in existentiellen Krisen – von denen ja niemand verschont bleibt – einfach Wunder zu wirken. Das rechte Buch zur rechten Zeit hat viele Menschen vor dem Selbstmord bewahrt, und davon wissen wir Psychiater sehr wohl ein Lied zu singen. In diesem Sinne leistet das Buch echte Lebenshilfe.46

Und jüngere Arbeiten vor allem von Stefan Schulenberg, einem logotherapeutisch arbeitenden und forschenden Psychologen an der University of Mississippi, weisen auf die Bedeutung des Films als einsichtsförderndes Medium für eine mittlerweile etwas weniger lesegewohnte jüngere Generation hin.47

Auch Sie selbst nahmen in Ihren Veröffentlichungen und Vorträgen bisweilen Bezug auf die Bibliotherapie – also das Erkenntnis stimulierende, aktivierende und hilfreiche Lesen etwa von Weisheitsgeschichten, die Inhalte und Einsichten transportieren, die man rein intellektuell oder kognitiv bisweilen gar nicht so leicht direkt vermitteln kann. Das greift auf eine uralte Tradition zurück, die Geschichte und Geschichten als Weg der lebensnahen Vermittlung von Weisheit, aber auch als Therapeutikum nutzt.

Lukas: Nun, die Bibliotherapie ist meines Erachtens ein Auslaufmodell. Ich habe noch eine Zeit erlebt, in der die Kinder (sehr zum Ärger ihrer Eltern) mit einer Taschenlampe unter der Bettdecke Indianergeschichten und Mädchenromane gelesen haben. Eine Zeit, in der sie Klavier oder Blockflöte spielen lernten, Reime in Poesiealben schrieben, sich mit Gesellschaftsspielen unterhielten, sonntags wandern gingen und später die Tanzschule besuchten. Nicht dass ich dieser Idylle nachtrauern würde, ich will nur sagen, dass diese abendländische Kultur einer Götterdämmerung gleich zu Ende geht. Die „digital natives“ haben andere Sorgen und andere Sehnsüchte. Sie beschränken ihren Lesehorizont auf Kurznachrichten, laden sich musikalische Berieselung aus dem Internet herunter und sitzen viel mehr als sich zu bewegen. Aber ich will das gar nicht bedauern, denn der epochale Wandel, in dem wir uns gegenwärtig befinden, verlangt eben andere Skills.

Auf die Gefahr hin, das Thema zu verfehlen, möchte ich doch darauf hinweisen, dass sich die Welt von morgen erheblich von der Welt von gestern unterscheiden wird. Deswegen werden lehrreiche Texte und Gedichte, ja sogar Filme aus der Welt von gestern nicht mehr nahtlos passen. Die Fähigkeiten, die sich die Jugendlichen von heute im Wechselbad zwischen Fortschritt und Fehlschritt gerade erarbeiten, werden in ausgedehntem Maße nötig sein, um auf die neuen Gegebenheiten reagieren zu können.

Dank der umfassenden internationalen Vernetzung müssen die nächsten Generationen imstande sein, blitzschnelle soziale Kontakte kreuz und quer zu knüpfen, zu pflegen und auf Ehrlichkeit und Fairness hin abzuschätzen. Eine riesige Herausforderung! Aber auch ein riesiges Begegnungsforum für verschiedene Kulturen, für einen Austausch von Ansichten und für das Entdecken von Gemeinsamkeiten – für das Herauskristallisieren des spezifisch Humanen in Frankl’scher Diktion.

Ferner müssen sie die Beherrschung und Handhabung von unglaublich leistungsstarken und intelligenten Maschinen trainieren – eine noch viel gigantischere Herausforderung! Schon schaudert es einem vor Waffensystemen aus Killerrobotern, die im Kriegsfall selbständig entscheiden können, welche Feindesgruppen sie als Nächstes auslöschen werden. Aber Technik hat immer auch das „zweite Gesicht“: Perfekt ausgerüstete Drohnen könnten z. B. bei Flutkatastrophen Verunglückte aus dem Schlamm ziehen oder Hilfsgüter überbringen, ohne sich um Wassermassen, geborstene Brücken und verschwundene Straßen zu scheren.

Schlussendlich werden sich die nächsten Generationen angesichts steigender Machbarkeit bei gleichzeitiger Absenkung jeglicher Vorhersagbarkeit mit Horrorentscheidungen herumschlagen müssen, von denen die Menschheit bislang verschont geblieben ist. Soll man mit menschlichen Chromosomen experimentieren, darf man ins Erbgut eingreifen? Soll man künstliche Organismen schaffen, darf man Gehirne manipulieren? Auch sind viele der dräuenden Gefahren auf unserem Planeten wahrscheinlich nur noch über einen massiven Eingriff ins Naturgeschehen abzuwenden, etwa durch künstliche Wetterlenkung, mechanische Luftsäuberung oder chemische Nahrungsproduktion, aber welche unabsehbaren Risiken sind damit verbunden? Das werden die Fragen der Zukunft sein, und dazu findet man keine Antworten in den Lehrbüchern der Vergangenheit.

Oder doch? Na ja, eine Klammer zwischen Gewesenem und Künftigem gibt es wohl schon. Das Thema der Sinnhaftigkeit und Verantwortlichkeit menschlichen Tuns und menschlicher Unterlassungen wird sich in alle Dilemmata mit hineinmischen. Und es wird sich immer sprachlicher Formen bedienen. Vielleicht wird sich die „Bibliotherapie“ der Zukunft in aufrüttelnden Nachrichtenüberblicken verbergen, in authentischen Berichten Betroffener, in Informationen über Heldentaten, in Petitionen kleiner Leute mit großen Herzen. Vielleicht werden berührende Appelle an das Gewissen im Menschen nicht ungehört verhallen. Ich könnte mir vorstellen, dass eines Tages so etwas wie ein ethisches Navigationsgerät in den elektronischen Begleitern der nächsten Generationen installiert werden wird, das mitten in der Ambiguität gegenläufiger Tendenzen und Strebungen unbeirrt vom Guten und Wahren und Schönen kündet.

Wenn man an das Geistige im Menschen glaubt, lässt man die Hoffnung nicht fahren. Was man aber sicherlich aufgeben muss, ist das Vorhaben, in einer Lesemuffel-Gesellschaft das Buch als Therapeutikum einzusetzen.

Batthyány: … und wir beide sitzen hier und arbeiten an einem Buch! Ich hoffe jedenfalls, dass das Buch nicht so schnell ausgedient haben wird, und die Einsichten, die durch die Lektüre von Büchern vermittelt werden, auch sinnvolle Hinweise geben können auf die Herausforderungen einer sich ändernden Lebenswelt. Kant etwa schrieb ja in einer vollkommen anderen Lebenswelt; dennoch sind seine Gedanken zur Aufklärung und kritischen Vernunft noch immer für viele wertvolle Leitlinien für Individuum und Gesellschaft. Zudem: Wenn Einzelne das Lesen alleine nicht mehr oder immer weniger beherzigen, so hat es zumindest in Gruppen eine einende Funktion. Darauf wies ja auch Frankl hin:

Ich kenne Briefe, die auf dem Sterbebett geschrieben wurden, und andere, die aus dem Kerker geschmuggelt wurden, und in all diesen Briefen wird rührend zum Ausdruck gebracht, wie viel irgendein Buch, ja auch nur ein einzelner Satz, gerade in einer solchen Situation äußerer Abgeschlossenheit und innerer Aufgeschlossenheit bedeuten konnte.

Solche therapeutischen Effekte lassen sich noch potenzieren, wo immer sich eine ganze Gruppe zusammentut und zusammenfindet, um irgendwelche Bücher gemeinsam zu studieren beziehungsweise durchzustudieren. Ich verfüge etwa über Protokolle, aus denen hervorgeht, wie sich unter den Häftlingen des Staatsgefängnisses in Florida eine Studiengruppe ganz spontan herauskristallisierte und wie therapeutisch sich dann die Gruppenlektüre auswirkte.48

Zufällig kenne ich aus meiner Arbeit an Frankls privatem Nachlass die zahlreichen Briefe dieser Gefängnislesegruppe (Logo 7) – bewegende Zeugnisse innerer Wandlung, die unter anderem auch dadurch zustande kam, dass sich die Häftlinge regelmäßig die Zeit nahmen, gemeinsam einen sinn- und einsichtsfördernden Text durchzulesen und darüber zu sprechen. Wenige wissen übrigens, wie sehr Frankl diese Gruppe unterstützt und aus der Ferne begleitet hat; er nahm sogar eigens Tonbänder für diese Gruppe auf, die er regelmäßig ins Staatsgefängnis nach Florida schickte.

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