Kitabı oku: «Perry Rhodan Neo Paket 3: Das galaktische Rätsel», sayfa 7
10.
Crest da Zoltral
Vor den Azoren
Crest da Zoltral rannte durch den Tunnel, der die verborgene Station mit der Kuppel verband.
Sein Atem ging stoßweise, sein Puls hämmerte, und mehr als einmal stolperte er auf dem unebenen Boden, den provisorische Lichter nur spärlich erhellten.
Die Schriftrolle drückte er so fest gegen die Brust, dass es schmerzte. Als hinge sein Leben davon ab. Der Drang, einfach stehen zu bleiben, die Rolle unter der Jacke hervorzuziehen und zu lesen, war beinahe übermächtig. Doch der alte Arkonide widerstand ihm. Gleich!, sagte er sich immer wieder. In meiner Kabine, ungestört!
Während er rannte, gingen ihm immer wieder die beiden Sätze durch den Kopf, die er zu lesen vermocht hatte, bevor er die Rolle heimlich eingesteckt hatte.
»Heute musste ich Cunor begraben, meinen letzten Gefährten aus den alten Tagen. Er war ein alter Mann geworden.«
Eine Person, die berichtet, dass sie eine zweite begraben hat. Zwei Personen – und in der geheimen Station existierten zwei Kälteschlafliegen, beide benutzt.
Crest kannte den Namen Cunor. Ein üblicher Vorname, der seit der Anfangszeit des Imperiums immer wieder für eine oder zwei Generationen in Mode gewesen war, um dann als altmodisch selten zu werden, um wiederum von späteren Generationen als neu und unverbraucht wiederentdeckt zu werden.
Der Tote musste also ein Arkonide gewesen sein. Obwohl er begraben wurde, was eine irdische Sitte darstellte.
Das wiederum bedeutete, dass die Person, die ihn begraben hatte, ebenfalls ein Arkonide gewesen war. Und dieser Arkonide betonte, dass Cunor ein alter Mann geworden war.
Wieso diese Betonung? Sollte der Schreiber etwa nicht alt geworden sein?
Crest war ein Derengar. Ein Wissenschaftler, zu dessen Gebieten nicht zuletzt die historische Forschung gehörte. Skepsis gehörte zum Grundgerüst seines Handwerks. Arkoniden neigten dazu, Entdeckungen in das Bild einzuordnen, das sie sich bereits gemacht hatten. Man sah, was man sehen wollte.
Das galt auch in diesem Fall. Aber: Zu dem Bild gehörte die DNS, die sie in der Kuppel gefunden hatten. Telomere, die nicht verkürzt waren und damit Zellen, die potenziell unsterblich waren. Und er, Crest, war auf der Suche nach der Unsterblichkeit zur Erde gekommen.
Unter diesen Umständen war seine Schlussfolgerung nicht weit hergeholt, sondern plausibel. Und womöglich würde der gesamte Text der Schriftrolle den Beweis für seine Vermutungen erbringen.
Crest erreichte das Ende des Tunnels. Er trat in die Kuppel und musste für einen Augenblick innehalten und sich gegen die Wand stützen.
Es gibt die Unsterblichkeit!, schoss es ihm durch den Kopf. Sie ist keine Legende! Und ich bin an den richtigen Ort gekommen!
Als er sich wieder einigermaßen sicher auf den Beinen fühlte, eilte er weiter. Der Arkonide nahm seine Umgebung wie aus weiter Ferne wahr. Immer wieder begegnete er Menschen. Es waren Forscher und Spezialisten, die versuchten, die Kuppel und ihre Anlagen zu verstehen. Sie grüßten ihn respektvoll. Er grüßte flüchtig zurück und eilte weiter.
Niemand hielt ihn auf. Er war eine Respektsperson für die Menschen. Und zugleich, vermutete Crest, kam ihm ein irdisches Klischee zugute: das des zerstreuten Professors, der so sehr in der Welt seiner eigenen Gedanken gefangen war, dass er kaum noch Notiz von der Welt um ihn herum nahm.
Er gelangte zum zentralen Antigravschacht. Das Energiefeld trug ihn in die Höhe. Quälend langsam, wie es Crest schien.
Der Arkonide dachte wieder an den Bericht. Der Kommandant der Kuppel musste ihn verfasst haben. Wer sonst? Würde er endlich seinen Namen erfahren? Und würde ihm der Bericht vielleicht sogar den Weg zur Unsterblichkeit weisen?
Crest verließ den Antigravschacht an dem Stockwerk, auf dem seine Kabine lag. Keine zehn Türen trennten ihn mehr von seinem Ziel.
Und eine Echse mit einer Augenklappe und einer Umhängetasche.
Sie stand im Korridor und rief: »Crest da Zoltral! Was für eine glückliche Fügung, Sie anzutreffen!«
Die Echse sprach Arkonidisch ohne die Hilfe eines Translators. Sie beherrschte die Sprache akzentfrei. Nur ein unterschwelliges Hauchen verriet, dass ihre Sprechwerkzeuge ein Kunststück vollbrachten, für das sie nicht ausgelegt waren.
»Trker-Hon! Schön, Sie zu sehen!« Crest machte keine Anstalten anzuhalten. »Ich wünsche Ihnen einen guten Tag!«
Er wollte an dem Topsider vorbeischlüpfen, aber Trker-Hon machte einen Schritt zur Seite und versperrte ihm den Weg.
Crest hielt an. Was fiel dem Topsider ein? Sein Puls hämmerte. Die Schriftrolle, die gegen seine Brust drückte, schien brennend heiß. Der Arkonide wollte weiter. Nur wie? Trker-Hon war alt, aber das galt auch für ihn selbst, Crest. Und Topsider waren Arkoniden körperlich deutlich überlegen, allein schon deshalb, weil auf ihrer Heimatwelt eine um ein Fünftel höhere Schwerkraft herrschte als auf Arkon.
»Haben Sie einen Augenblick Zeit für mich, Crest?«
Nicht einen einzigen!, dachte der Arkonide. Doch er sagte es nicht. Selbst eine höfliche Ablehnung hätte ungewollte Aufmerksamkeit auf ihn gezogen.
»Einen kurzen«, antwortete Crest. »Wie kann ich Ihnen helfen, Trker-Hon?«
»Nun …« Der Topsider streckte seinen Schwanz aus und lehnte sich dagegen, als mache er es sich für einen längeren Zeitraum gemütlich. »Ich hatte in den letzten Wochen, seit ich auf die Erde gekommen bin, Zeit zum Nachdenken. Diese Menschen sind faszinierend. Ihre Gesellschaften stehen vor einem Umbruch, der schwindelerregend ist. Sie vollziehen den Schritt von einer planetengebundenen Kultur zu einer raumfahrenden Kultur in Wochen und Monaten – einen Entwicklungsschritt, der für gewöhnlich Jahrhunderte in Anspruch nimmt. Und der dennoch, wie Sie ja als Derengar sicher wissen, oft in einer Katastrophe endet, die zum Erlöschen von Zivilisationen führt.«
Wollte der Topsider ihn mitten im Korridor in eine philosophische Diskussion verwickeln? Crest mühte sich vergeblich, die Miene oder Körpersprache Trker-Hons zu lesen. Als Echse hatte der Topsider keine mit Arkoniden oder Menschen vergleichbare Mimik. Und was seine Körpersprache anging: Sie war nicht vorhanden. Trker-Hon schien für einen Arkoniden oft wie zufällig in der Bewegung erstarrt.
»Sie haben recht«, entgegnete Crest ebenso höflich wie unverbindlich. »Wir leben in interessanten Zeiten.« Der Arkonide fragte sich, ob sein Gegenüber den chinesischen Fluch kannte, auf den er anspielte.
Trker-Hons Kopf wackelte hin und her. Zufall? Eine Nachahmung der menschlichen Geste des Kopfschüttelns? Oder ein Zeichen der Erheiterung?
»Und an einem interessanten Ort«, sagte der Topsider. Er hob einen Arm und rückte die leuchtend rote Stoffklappe zurecht, die er über dem linken Auge trug. Crest wurde bewusst, dass er den Echsenabkömmling, der sich als »Weiser« bezeichnete, nie danach gefragt hatte, was mit seinem Auge geschehen war. Die topsidische Technologie war nicht so fortgeschritten wie die arkonidische, aber musste sie nicht ausreichen, um ein Auge zu ersetzen? Oder hinderte Trker-Hon seine Weltanschauung daran, angemessene medizinische Hilfe zu suchen?
»Topsider und Arkoniden scheinen einander unendlich fremd, nicht?«, sagte Trker-Hon, als erriete er Crests Gedanken. »Sie sind Säugetiere, wir Echsen. Die Arkoniden sind eine alte, ehrwürdige Zivilisation, wir Topsider sind jung, ungestüm und – wie ich eingestehen muss – zuweilen etwas grob. Und doch existieren erstaunliche Übereinstimmungen zwischen unseren Kulturen.«
Crest spürte die Rolle, die gegen seine Brust drückte. Er hatte jetzt keinen Sinn für müßiges Philosophieren. »Trker-Hon, hören Sie, ich …«
»Nur einen kurzen Augenblick, ja? Sie kennen die soziale Weisung, die Grundlage, die das Zusammenleben aller Topsider leitet? Sie umfasst lediglich elf Sätze – eine geradezu absurd niedrig erscheinende Zahl, zieht man die Komplexität einer sternenfahrenden Gesellschaft in Betracht.«
»In der Tat.« Crest fragte sich, ob Höflichkeit auch dazu zählte, und versuchte erneut, an dem Topsider vorbeizuschlüpfen. Trker-Hon verlagerte wie beiläufig das Gewicht und versperrte ihm den Weg. Mit einer Extremität hielt er dabei seine Tasche fest. Der Topsider schien sie niemals abzulegen.
Einmal hatte Crest durch Zufall mitgehört, wie sich Menschen über diese Angewohnheit lustig machten. »Ein aufrecht gehendes Krokodil mit Fahrradkuriertasche!«, hatte ein Techniker einem anderen zugeflüstert. »Was er wohl drin hat? Ersatzschlauch und Luftpumpe?« Crest hätte auch das nicht überrascht – und fragte sich gleichzeitig, was Trker-Hon tatsächlich in der Tasche transportierte.
»Nehmen Sie den achten Satz: ›Die Lüge schmeichelt. Die Wahrheit schmerzt. Suche den Schmerz und gewinne die süße Frucht der Erkenntnis!‹«, fuhr der Weise fort. »Lautet nicht eine alte arkonidische Weisheit ›Nur wer leidet, lernt‹?«
»Das sollten Sie den Rat des Regenten fragen.« Crests Geduld war erschöpft.
»Sie schätzen Ihren Herrscher und seine Anhänger nicht, scheint mir.«
»Schätzen Sie den Ihren?«
»Das Despotat, das einen verbrecherischen Krieg gegen die Ferronen vom Zaun gebrochen hat? Ich dachte, die Antwort auf diese Frage wäre offensichtlich.«
Das war sie. Trker-Hon hatte sein Leben aufs Spiel gesetzt, um den Krieg zu beenden. Und im Anschluss daran hatte er sich entschieden, bei den primitiven Menschen zu bleiben.
»Mir scheint, Crest da Zoltral«, fuhr der Weise fort. »Wir beide haben viel gemeinsam. Wir schätzen die Wahrheit so sehr, dass wir bereit sind, großes Leid auf uns zu nehmen, um sie zu erlangen. Sogar das Exil unter reichlich barbarischen Fremden.«
»Was Sie angeht, ja«, entgegnete der alte Arkonide. »Sie vergessen, dass ich nicht freiwillig bei den Menschen geblieben bin.«
»Ursprünglich nicht. Aber hat sich das nicht längst verändert? Sie hätten diesen Primitivplaneten längst wieder verlassen und nach Arkon zurückkehren können.«
Wo Thora und ich keine vier Wochen überleben würden, dachte Crest. Wir haben uns zu viele Feinde gemacht.
»Ich habe ein gewisses Gefallen an den Menschen gefunden«, räumte der Arkonide laut ein. »Und wie Sie schon richtig bemerkt haben, bin ich gegenüber der Regierung des Imperiums durchaus kritisch eingestellt.«
Der Topsider schnappte nach Luft, schlug in raschem Rhythmus mit dem Schwanz auf dem Boden auf. »Sie besitzen einen feinen Sinn für Humor, Crest!« Das Klatschen hörte auf. »Aber im Ernst: Ich kann Ihre Gründe zu bleiben nachvollziehen. Aber was ich mich eigentlich frage, ist: Was hat Sie hierher geführt?«
»Eine unglückliche Havarie. Sie haben sicher davon gehört.«
»Sicher. Aber auch das erklärt nur Ihr Bleiben. Was aber hat Sie in diesen abgelegenen Sektor der Galaxis geführt?« Der Topsider straffte sich, erinnerte den Arkoniden unvermittelt an ein Raubtier, das zum Sprung auf seine Beute ansetzt. »Was suchen Sie hier, Crest da Zoltral?«
Der Puls des alten Arkoniden machte einen Satz. Was wusste Trker-Hon? War es möglich, dass er …?
»Das könnte ich genauso gut Sie fragen, Trker-Hon. Was sucht eine Echse unter Menschen?«
»Antworten. In diesem System verbirgt sich ein Geheimnis. Und ich glaube, dass wir beide demselben Geheimnis auf der Spur sind. Nicht wahr?«
Der Topsider wusste es! Trker-Hon wusste, dass er den Planeten des Ewigen Leben suchte!
Die Beine drohten unter Crest nachzugeben. Er war nicht der einzige Sucher! Der alte Arkonide streckte den Arm aus, stützte sich an der Wand ab. Und wennschon!, sagte er sich. Trker-Hon hat bewiesen, dass er guten Willens ist. Er ist wie du. Was macht es schon, dass er ein Topsider ist! Du kannst ihm vertrauen!
Crest nahm Blickkontakt mit dem Weisen auf. Zumindest versuchte er es. Die Echsenaugen waren kalt und glänzend. Keine Wärme lag in ihnen.
Du kannst ihm vertrauen!
Trker-Hon hatte es bewiesen, mit dem Einzigen, was wirklich zählte: mit Taten. Und der Weise wäre ein wertvoller Verbündeter …
Du kannst ihm vertrauen!
Crest da Zoltral wollte es. Aber er konnte es nicht. Noch nicht. Er musste zur Ruhe kommen, sagte er sich, nachdenken. Die Schriftrolle lesen, die gegen seinen Brustkorb drückte. Dann …
»Wir haben eine Spur gefunden«, sagte Crest. »Die Mutanten der Menschen haben sie gerochen.«
»Was sagen Sie da?«
»Eine weitere, kleinere Station, angebunden durch einen getarnten Tunnel. Und darin … sehen Sie es sich selbst an, Trker-Hon. Der Historiker Cyr Aescunnar sichtet in diesem Augenblick die Funde. Ich bin sicher, er wird Ihre Hilfe zu schätzen wissen.«
»Was für Funde? Arkonidische …«
»Sie werden es sehen, Trker-Hon. Danach sprechen wir. Ich verspreche es Ihnen, ja?«
»Ja.« Der Topsider rannte los. In seinem Eifer ging er beinahe auf allen vieren. Mit einem langen Satz, der nicht zu einem alten Mann wie ihm passen wollte, sprang er in den Antigravschacht und sank dem Boden entgegen.
Crest sah ihm einige Augenblicke nach, dann eilte er mit vergleichbarer Eile zu seiner Kabine. Er erreichte sie ohne weitere Störung.
Der alte Arkonide setzte sich auf das Bett und holte die Schriftrolle aus seiner Jacke. Seine Hände zitterten so stark, dass sie ihm um ein Haar aus den Fingern geglitten wäre. Die Rolle roch nach Holz und Harz. Vorsichtig schob er sie auseinander. Das Papier – oder um was auch immer es sich bei dem Material handeln musste – war ungewöhnlich dick und verfärbt, besaß aber eine überraschende Geschmeidigkeit.
Crest da Zoltral las.
»Heute musste ich Cunor begraben, meinen letzten Gefährten aus den alten Tagen. Er war ein alter Mann geworden.«
Der Text begann übergangslos. Kein Datum war angegeben, keine Überschrift. Die Buchstaben waren zum Teil verschmiert. Als hätte die Hand, die sie schrieb, gezittert.
»Ein primitiver Mensch hat Cunor erschlagen«, las der Arkonide weiter. »Aus Angst, nehme ich an. Die Menschen sind von Natur aus nicht grausam, aber sie neigen zur Gewalt, wenn sie bedroht werden. Und Fremdes, Unerklärliches scheint für die meisten von ihnen eine Bedrohung zu sein. Die Menschen müssen noch viel lernen.«
Crest rollte weiteren Text aus.
»Cunors Tod trifft mich hart. Umso mehr, als er unnötig war. Er hätte nicht geschehen dürfen. Der Energieschirm seines Anzugs hätte ihn schützen sollen. Und wenn nicht der Schirm, dann der Anzug selbst. Er hat es nicht. Wieso? Ich habe den Anzug überprüft, er arbeitete einwandfrei. Cunor muss freiwillig aus dem Leben geschieden sein. Weshalb, kann ich nur vermuten. Cunor war still geworden. An meiner Seite zu altern, muss ihm unerträglich geworden sein …«
Crests Pod summte. Das Gerät war ein Prototyp, den ihm Homer G. Adams übergeben hatte. Ein Amalgam aus irdischer und ferronischer Technologie, dazu in der Lage, durch beinahe dreitausend Meter Ozean Verbindung zur Oberfläche herzustellen.
Der Arkonide wollte ihn zur Seite legen – und erkannte mit einem Seitenblick auf das Display, dass Eric Manoli ihn zu erreichen suchte. Dr. Eric Manoli, der Mensch, dem er sein Leben zu verdanken hatte.
Crest legte die Schriftrolle ab, zog ein Kissen über sie, damit sie nicht in den Erfassungsbereich der Pod-Kamera geriet, und nahm den Anruf an.
Der Mediziner hatte die Stirn gerunzelt, wirkte ernst. So ernst, kam Crest der Gedanke, wie damals, als der Mensch ihn auf dem Mond zum ersten Mal untersucht hatte.
»Doktor Manoli, ist etwas geschehen?«
»Crest, wir brauchen Ihre Hilfe. Dringend!«
»Natürlich«, entgegnete Crest. »Sprechen Sie! Was ist geschehen?«
Manoli schüttelte den Kopf. »Nicht über den Pod. Ich … bitte, Crest, kommen Sie an die Oberfläche. Ja? Ich bin auf São Miguel.«
»Selbstverständlich.« Der Arkonide hätte alles darum gegeben, in seiner Kabine bleiben zu können, aber der Ernst Manolis erschreckte ihn. Der ehemalige Bordarzt der STARDUST war ein Mann, der niemals unnötige Aufregung verursachte. »Ich komme, so schnell ich kann!« Crest unterbrach die Verbindung, zog das Kissen zur Seite und flüsterte, als handele es sich bei der Rolle um ein fühlendes Wesen: »Tut mir leid. Es soll nicht sein. Später!«
Er rollte das Papier auf und steckte es in die Brusttasche. Vor dem Spiegel blieb er kurz stehen und stellte sicher, dass sich der Umriss der Rolle nicht abzeichnete.
Dann machte sich Crest da Zoltral auf den Weg.
11.
Perry Rhodan
Terrania
Zwei Stunden nach dem Abgang Adams' hatte sich Perry Rhodan an dem Blick aus dem fünfzigsten Stock des Stardust Towers sattgesehen.
Sein Schädel brummte, er fühlte sich ausgelaugt – und auf die Frage, was er den Menschen der Erde in seiner Rede vor der Vollversammlung sagen sollte, hatte er noch immer keine Antwort gefunden.
Immerhin hatte er eine andere Erkenntnis gewonnen: Auf diese Weise würde er keine Antwort finden.
Er ging ins Bad, füllte aus dem Wasserhahn den unberührten Zahnputzbecher und trank. Das Wasser war kühl, und im Gegensatz zu dem, das er vor zehn Tagen gekostet hatte, war der salzige Beigeschmack verschwunden. Terrania machte Fortschritte, auch auf vermeintlich profanen Gebieten wie der Wasserversorgung. Rhodan wusch sich das Gesicht mit dem kühlen Wasser und machte sich auf, frische Luft zu schnappen.
Er kam nicht weit.
Auf dem Absatz, der die Tür seines Büros und den Antigravschacht des Stardust Towers trennten, standen zwei Männer. Als Rhodan die Tür öffnete, wirbelten sie herum. Sie trugen konservativ geschnittene Anzüge, die nicht so recht zu ihrem wuchtigen Körperbau passen wollten. Rhodan erinnerten sie an Ringer.
Die beiden Männer, einer war blond, der andere dunkelhaarig, kamen zum Stehen. Rhodan konnte sich des Eindrucks nicht erwehren, dass sie nur mit Mühe den Impuls unterdrückten, zu salutieren.
Der Blonde sagte laut: »Guten Tag, Administrator!«
Rhodan blieb im Türrahmen stehen. »Wer sind Sie?«
»Agent Willicot, Administrator«, antwortete der Blonde. Er nickte in Richtung des Dunkelhaarigen. »Und darf ich Ihnen Agent Jennings vorstellen?«
»Was machen Sie vor meiner Tür?«
»Sie schützen, Administrator!«
»Wie bitte?« Rhodan unterdrückte ein ungläubiges Auflachen. »Wie kommen Sie darauf, dass ich Schutz benötigen könnte?«
»Mit Verlaub, Administrator«, antwortete Willicot. »Es gibt unbelehrbare Menschen, und Sie sind unersetzlich für die Menschheit. Es ist Jennings und mir eine Ehre, Sie …«
»Wessen Idee ist das?«, unterbrach ihn Rhodan. »Bai Jun?«
»Nein.« Willicot lächelte. »Allan D. Mercant schickt uns.«
Der Veteran des amerikanischen Homeland-Security-Ministeriums. Mercant hatte der Welt der Geheimdienste den Rücken gekehrt, als er vom Mondflug der STARDUST erfahren hatte, und war auf Rhodans Seite gewechselt. Mercant blickte auf Jahrzehnte der Erfahrung zurück. Er besaß ein Gespür für Gefahren und zukünftige Entwicklungen, das geradezu unheimlich anmutete. Wenn Mercant handelte, dann aus gutem Grund.
Dennoch … Rhodan musterte die beiden breitschultrigen Männer, die vor ihm standen und ihre Aufregung zu verbergen suchten. Das sollte seine Zukunft sein?
»Sie sind meine Leibwächter?«, fragte Rhodan.
»Ja. Wir werden nicht von Ihrer Seite weichen! Sie können sich auf uns verlassen, Administrator.«
»Daran hege ich keinen Zweifel.« Rhodan machte einen Schritt nach vorne. Die Tür schloss sich hinter ihm automatisch. »Agent Willicot, bitte richten Sie Mister Mercant aus, dass ich ihm sehr dankbar für seine Fürsorge bin, aber keinen Schutz benötige. Ich wünsche Ihnen einen guten Tag!«
Rhodan wollte weitergehen, zum Antigravschacht, aber die beiden stämmigen Männer machten keine Anstalten, den Weg freizugeben.
»Bitte, Administrator.« Ein beinahe flehender Ausdruck stand in Willicots Blick. »Wir haben unsere Befehle. Wir könnten es uns nicht verzeihen, sollte Ihnen etwas zustoßen.«
Rhodan überlegte. Die Agenten würden sich nicht fortschicken lassen. Ein Anruf bei Mercant? Rhodan verwarf den Gedanken. Mercant würde sich nicht umstimmen lassen. Er war ein Dickkopf. Deshalb war ihm eine Karriere bei Homeland Security versagt geblieben, deshalb war er einer der wertvollsten Gefährten, die Rhodan hatte.
»In Ordnung«, sagte Rhodan. »Sie dürfen mich begleiten. Aber unter einer Bedingung.«
»Selbstverständlich, Administrator.« Willicots Erleichterung war beinahe mit den Händen zu greifen. »Ihre Bedingung lautet?«
»Hören Sie auf, mich Administrator zu nennen. Sonst sorge ich nach meiner Wahl dafür, dass Sie den Personenschutz auf der Robotstation auf Pluto übernehmen, die demnächst den Betrieb aufnimmt. Klar?«
Willicot schluckte hörbar. »Selbstverständlich, Adm… ich meine, Sir!«
»Freut mich, dass wir einer Meinung sind. Kommen Sie, wir machen einen Spaziergang!«
Rhodan schlug zielstrebig den Weg zur Äußeren Stadt ein, dem Bereich Terranias, der von Menschen geschaffen wurde – und unablässig weiterwuchs.
Es war heiß in der Äußeren Stadt. Die wenigen bereits fertiggestellten Gebäude standen zu weit auseinander, um Schutz vor der sengenden Mittagssonne zu bieten. Und es war laut. Überall waren Baustellen, erfüllt vom Lärm der Maschinen. Zwischen den Baustellen waren provisorische Zeltstädte, trotz der betäubenden Hitze erfüllt vom Stimmengewirr ihrer Bewohner. Etwas weiter entfernt wurde gerade das riesige Zelt aufgestellt, in dem in wenigen Stunden die Vollversammlung stattfinden würde.
Niemand erkannte Rhodan, obwohl zahllose Fotos und Videoaufnahmen von ihm im Netz kursierten. Es gab wahrscheinlich keinen erwachsenen Menschen auf der Erde, der nicht schon einmal sein Gesicht gesehen hätte. Dennoch grüßte man ihn wie einen gewöhnlichen Mitmenschen. Rhodan konnte lediglich vermuten, wieso. Aber ein Gefühl sagte ihm, dass die Menschen das Bild, das sie sich von ihm machten, und den realen Menschen Rhodan nicht in Einklang brachten. Der Rhodan im Netz war überlebensgroß, der Rhodan, der durch die staubigen Ausläufer Terranias spazierte, nur ein Mensch unter vielen.
Nicht aber für seine Leibwächter. Sie folgten ihm mit zwei Schritt Abstand. Ehrfürchtig. Rhodan war sich sicher, dass Willicot und Jennings sich um Diskretion bemühten. Sie versuchten, ihn ihre Anwesenheit vergessen zu lassen. Doch Rhodan wollte es nicht gelingen. So würde er nicht zum Nachdenken kommen.
Rhodan blieb an einer Baugrube stehen. »Willicot?«
»Sir?« Der Agent schloss zu ihm auf. Sein Gesicht war gerötet, Schweiß stand in Perlen auf seiner Stirn. Willicot war Hitze offenbar nicht gewohnt.
»Darf ich Ihnen eine persönliche Frage stellen?«
Willicots Überraschung war nicht zu übersehen. »Natürlich, Sir!«, brachte er hervor.
»Was hat Sie nach Terrania geführt?« Rhodan zeigte auf die stählerne Kugel der TOSOMA. Selbst aus einer Entfernung von dreißig Kilometern gebot ihr Anblick Ehrfurcht. »Abenteuerlust? Die Sehnsucht nach den Sternen?«
»Nein, Sir.« Willicot senkte den Kopf, sah zur Seite. »Ehrlich gesagt habe ich die Raumfahrt für Spinnerei gehalten. Teuer, aber harmlos. Und Leute wie Sie, Sir, Leute wie Sie waren für mich Spinner. Sie …«
»Erzählen Sie ruhig weiter«, forderte Rhodan ihn auf. »Sie sind nicht der Erste, der mich so genannt hat.« Er lächelte aufmunternd. »Ich gehe davon aus, dass Sie Ihre Meinung zumindest ein wenig geändert haben.«
»Ja, Sir. Das heißt … als Sie mit der STARDUST in der Gobi gelandet sind, habe ich Sie für einen gefährlichen Spinner gehalten. Ich habe Präsident Drummond vertraut. Die arkonidische Technik musste der USA gehören, glaubte ich. Dann …« Der Agent trat gegen einen Stein. Er flog im hohen Bogen in die Grube. Willicot sah ihm nach, bis er zum Liegen gekommen war. Schließlich fuhr er fort: »Dann kamen die Fantan. Wissen Sie, meine Familie gehörte zu den ersten Siedlern in Vermont. Mein Ururururgroßvater hat den Boden urbar gemacht. Er hat ein Haus gebaut, in dem meine Familie wohnte – bis die Fantan kamen.«
»Besun?«, fragte Rhodan. Der Begriff stammte aus der Sprache der Fantan. Er ließ sich nicht in seiner ganzen Bedeutungsvielfalt übersetzen. Alles oder nichts konnte für die Fantan ein Besun sein. Und die Fantan ließen sich von nichts abhalten, ein Besun zu nehmen, das ihnen ins Auge gefallen war.
»Besun«, bestätigte der blonde Leibwächter. »Irgendetwas an unserem Haus hat ihnen nicht gefallen. Mein Vater versuchte, den Fantan zu vertreiben. Er hatte keine Chance. Der Fantan flog mit unserem Haus davon, mein Vater blieb tot liegen.«
»Das tut mir leid, Willicot.«
»Danke, Sir! Nach dem Tod meines Vaters war ich wütend. Ich wollte mich an diesen Mördern rächen. Aber als ich mehr über die Fantan erfuhr – ich wollte ihre Schwächen herausfinden –, erkannte ich, dass es kein Mord gewesen war. Der Fantan hatte nur das Besun im Sinn gehabt, und mein Vater stand im Weg.«
Der Agent blickte auf, sah Rhodan an. »Und da erkannte ich, dass es uns, der Menschheit, so ergehen kann wie meinem Vater. Wir stehen jemandem im Weg – und sind platt, wenn wir nicht in der Lage sind, unsere Rechte durchzusetzen. Deshalb, Sir, bin ich auf Ihre Seite gewechselt.«
Die beiden Männer schwiegen. Schließlich sagte Rhodan: »Ich danke Ihnen für Ihre Offenheit, Willicot.«
Rhodan drehte sich auf dem Absatz, sah zur Inneren Stadt. Keine hundert Meter trennten ihn von der äußeren Häuserreihe. Ihm fiel es schwer, was er nun tun würde. Aber es musste sein. Er musste Klarheit finden. Er musste allein sein.
Rhodan wandte Terrania wieder den Rücken zu. Dann rief er laut: »Oh nein, sehen Sie nur!« Er zeigte hoch in den Himmel, direkt auf die Sonne.
»Was ist, Sir?«, fragte Willicot. Er hatte die Lider zusammengekniffen.
»Sehen Sie es nicht?«, entgegnete Rhodan. »Dort!« Er winkte Jennings heran. Der zweite Leibwächter eilte herbei, den Kopf in den Nacken gelegt.
Rhodan stellte ihm ein Bein. Jennings stürzte auf Willicot. Die beiden Leibwächter gingen zu Boden.
»Machen Sie sich keine Sorgen um mich!«, rief Rhodan und sprintete los. Innerhalb weniger Augenblicke hatte er die Innere Stadt erreicht und tauchte in den Schatten ihrer engen, verwinkelten Gassen.
Er ignorierte die Rufe der Leibwächter. Sie blieben bald hinter ihm zurück. Rhodan ging in den Laufschritt über. Hier kannte er sich aus.
An einem Haus blieb er stehen. Jemand hatte mit Kreide zwei Buchstaben an die Wand geschrieben: E. E.
Rhodan legte die Hand auf die Buchstaben. Lautlos öffnete sich ein Durchlass in der Wand. Ohne zu zögern, trat er durch.
Eine steile Treppe führte in einen fensterlosen Keller. Gedämpftes Licht erhellte ihn. In der Mitte des Raums stand ein Bett, wie man es in Kliniken nutzte. Am Kopfende stand eine Batterie von medizinischen Geräten. Ihre Displays zeigten Werte an, die sich nicht veränderten.
In dem Bett lag ein Mann. Er war bleich, vielleicht Mitte dreißig. Dunkle Stoppeln bedeckten sein Kinn, darüber die leicht eingefallenen Wangen. Seine Augen waren geschlossen.
Rhodan trat an das Bett. »Hallo, Ernst Ellert!«
Ernst Ellert antwortete nicht.
»Darf ich Ihnen etwas Gesellschaft leisten?«
Rhodan nahm das Schweigen als Zustimmung, zog einen Rollenhocker heran und setzte sich auf ihn. »Vielleicht können Sie mir weiterhelfen? Ich … nun, ich weiß nicht, wie ich es sagen soll … Ich hatte vor Kurzem ein Erlebnis. Auf Gol, dem vierzehnten Planeten der Wega. Oder eigentlich nicht auf Gol, sondern im All. Ich habe einen Planeten gesehen, der …«
Schritte.
Rhodan brach ab. Ein Mädchen huschte die Treppe hinunter. Sue Mirafiore. Am Fußende der Treppe hielt sie an: »Störe ich?«
Rhodan war im Begriff, mit einem barschen »Ja« zu antworten, aber im selben Moment erkannte er, dass es nicht der Fall war. Er würde von dem Mann, der vor ihm lag, keine Antworten erhalten. »Nein«, sagte er laut. »Überhaupt nicht.«
Sue ging an das Bett, angelte sich den zweiten Hocker und setzte sich. Das Mädchen benutzte dafür den linken Arm. Bewusst, war sich Rhodan sicher. Bis vor wenigen Wochen hatte der linke Arm in einem Stumpf geendet. Dann war er auf wundersame Weise nachgewachsen. Oder, in der Terminologie des Arztes Fulkars, aufgrund der »seltenen, aber glücklichen Kombination der Paragabe der Patientin, der von mir geleisteten klinischen Vorarbeiten und außerordentlicher, kurzfristiger allgemeiner Paraentfaltung.« Fulkar, der fast seine gesamte Zeit in Lakeside zubrachte, hatte auch einen Begriff für die Parafähigkeit Sues geprägt: »Metabio-Gruppiererin«.
Rhodan widersprach Fulkar nicht. Der Arzt war irdischen Medizinern weit voraus. Doch für Rhodan war Sue vor allem eines: ein Mädchen von außergewöhnlichem Mut, das ihre außergewöhnliche Gabe endlich zum eigenen Nutzen eingesetzt hatte – und im Dienst der Menschheit noch weit mehr zu leisten vermögen würde.
»Bist du öfter, hier, Perry?«
Es tat gut, nicht mit »Administrator« oder »Sir« oder einem anderen Titel angesprochen zu werden.
»So oft ich kann«, antwortete er. Er grinste. »Also nicht sehr oft. Was ist mit dir?«
»Seit ein paar Wochen jeden Tag. Reg hat mir erzählt, dass Ernst hier liegt. Und dass er einsam ist, seit seine alten Kameraden nicht mehr so oft nach ihm sehen.«
»Kameraden?«
»Walt und KaHe. Ich habe sie nie getroffen. Sie haben wohl auf der TOSOMA angeheuert.«
»Ich habe die Namen noch nie gehört«, sagte Rhodan. Er nahm sich vor, bei Gelegenheit die beiden auf der TOSOMA zu suchen.
»Na ja, jetzt hat Ernst ja mich.« Sie zwinkerte ihm zu. »Ich glaube, Reg hatte so seine Absichten, mir von Ernst zu erzählen. Er hofft, dass ich mit meiner Gabe Ernst helfen kann.«
»Kannst du?«
»Nun, Mister Rhodan, der Patient ist scheintot, aber stabil«, sagte sie mit verstellt ernster Stimme. Dann lachte sie auf. »Keine Ahnung. Aber ehrlich gesagt wäre ich mir nicht sicher, ob Ernst Ellert erfreut wäre, hier aufzuwachen. Er scheint draußen im Universum die verrücktesten Abenteuer zu erleben.«
»So könnte man es wohl auch nennen.«
»Ras hat mir erzählt, du hättest Ellert im Wega-System getroffen. Stimmt das?«
»Ja. Auf Lannol, einem der Monde. Ellert hat dort auf mich gewartet.«
»Ohne dieses Bett zu verlassen, wie die Logdateien der Überwachungskameras belegen. Wie kann das sein?«
»Ich wünschte, ich wüsste es. Die Berührung eines arkonidischen Energieschirms ist tödlich. Von Ellert hätte nur ein Häufchen Asche bleiben sollen. Stattdessen ist er in dieses … diesen Zustand gefallen. Und sein Geist hat sich von seinem Körper losgemacht und reist durch Raum und Zeit …«
Das Mädchen und Rhodan schwiegen, hingen ihren Gedanken nach. Dann flüsterte Sue: »Weißt du was? Du klingst beinahe, als würdest du Ernst Ellert beneiden.«
Rhodans Kopf ruckte herum. Überrascht musterte er dieses Mädchen, deren Reife nicht zu ihrem kindlichen Körper passen wollte. »Aber nein! Ich würde …« Rhodan brach ab, als ihm klar wurde, dass Sue recht hatte.


