Kitabı oku: «Fiskalstrafrecht», sayfa 9
Anmerkungen
[1]
Vgl. EuGH IStR 2006, 132 ff. – Optigen m. Anm. Dübbers; DStR 2006, 1274 ff. – Kittel; IStR 2008, 627 ff. – Sosnowska.
[2]
Wabnitz/Janovsky/Dannecker/Bülte Kap. 2 Rn. 228 ff.
[3]
EuGH GRUR Int. 1974, 467 – Dassonville; NJW 1979, 1766 – Cassis de Dijon.
[4]
EuGH LMRR 1997, 69 f. – Morellato; vgl. auch Rengeling/Middeke/Gellermann/Dannecker/Müller § 39 Rn. 32.
[5]
EuGH Slg. 1981, 2595 ff. – Casati; NJW 1996, 579 ff. – Gebhard; Wabnitz/Janovsky/Dannecker/Bülte Kap. 2 Rn. 271; Rengeling/Middeke/Gellermann/Dannecker/Müller § 39 Rn. 35; Sieber/Satzger/v. Heintschel-Heinegg/Vogel/Brodowski § 5 Rn. 44.
[6]
EuGH 24.11.1993 – Keck, Slg. 1993, 6097 ff.
[7]
EuGH LMRR 1997, 69 f. – Tomasso Morellato.
2. Kapitel Europäisierung des Strafrechts › V. Begrenzung nationalen Strafrechts durch europäische Freiheitsrechte und Grundfreiheiten in der Rechtsprechung des EuGH › 2. Allgemeines Diskriminierungsverbot (Art. 18 ff. AEUV)
2. Allgemeines Diskriminierungsverbot (Art. 18 ff. AEUV)
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Art. 18 ff. AEUV normieren ein allgemeines Diskriminierungsverbot[1], das die Gleichbehandlung von Angehörigen des eigenen Staates und eines anderen Mitgliedstaates – unter ansonsten gleichen Voraussetzungen – gebietet. Das Diskriminierungsverbot gilt auch für das Strafrecht und Strafverfahrensrecht einschließlich des Rechts der Entschädigung der Opfer von Straftaten.[2] In den Entscheidung Gebhard und Auer (vgl. auch Rn. 47 ff.) wurde deutlich, dass eine Sanktionierung wegen unzulässiger Berufsausübung mit dem Unionsrecht unvereinbar ist, wenn die Berufsausübung unter Verstoß gegen die Freizügigkeit oder das Diskriminierungsverbot verwehrt worden ist.[3]
Anmerkungen
[1]
Hierzu Wabnitz/Janovsky/Dannecker/Bülte Kap. 2 Rn. 229.
[2]
EuGH NJW 1989, 2183 – Cowan; Rengeling/Middeke/Gellermann/Dannecker/Müller § 39 Rn. 38.
[3]
EuGH NJW 1984, 2022 f. – Auer; Rengeling/Middeke/Gellermann/Dannecker/Müller § 39 Rn. 33.
2. Kapitel Europäisierung des Strafrechts › V. Begrenzung nationalen Strafrechts durch europäische Freiheitsrechte und Grundfreiheiten in der Rechtsprechung des EuGH › 3. Steuerneutralität
3. Steuerneutralität
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Den Grundsatz der Steuerneutralität hat der EuGH in einer Vielzahl von Entscheidungen betont: In der Rechtssache Kittel hat der EuGH entschieden, die Steuerneutralität gebiete, verbotene Umsätze grundsätzlich steuerlich nicht anders zu behandeln als nicht verbotene.[1] In der Rechtssache Sosnowska[2] hat der EuGH den Grundsatz der Steuerneutralität und das Recht auf einen Vorsteuerabzug noch einmal deutlich bestätigt. Ein Wirtschaftsteilnehmer darf nach dieser Rechtsprechung steuerlich keinen Nachteil dadurch erleiden, dass er eine Leistung über die Binnengrenzen der Union und nicht rein national anbietet oder erbringt.[3]
Anmerkungen
[1]
EuGH DStR 2006, 1274-1278 (Kittel); vgl. auch Bülte BB 2010, 1759 ff.; ferner Wabnitz/Janovsky/Dannecker/Bülte Kap. 2 Rn. 225 ff.
[2]
EuGH DStRE 2009, 438.
[3]
Vgl. auch EuGH DStR 2007, 1811, 1813 – Teleos; vgl. auch Bülte CCZ 2009, 98 ff.
2. Kapitel Europäisierung des Strafrechts › V. Begrenzung nationalen Strafrechts durch europäische Freiheitsrechte und Grundfreiheiten in der Rechtsprechung des EuGH › 4. Niederlassungsfreiheit (Art. 49 ff. AEUV)
4. Niederlassungsfreiheit (Art. 49 ff. AEUV)
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Besonders deutlich kann die Wirkung der Verkehrsfreiheiten und Freiheitsrechte des Unionsrechts, hier insb. der Niederlassungsfreiheit,[1] auf die straffreie Berufsausübung an der Entscheidung Gebhardt illustriert werden: Gegenstand dieses Urteils des EuGH war der Fall eines deutschen Rechtsanwalts mit Zulassung in Stuttgart, der in Italien tätig war. Er war zunächst als angestellter Anwalt beschäftigt, eröffnete dann aber eine eigene Kanzlei in Mailand. Dort war er als außergerichtlicher Beistand tätig und beriet deutschsprachige Personen in Italien sowie italienischsprachige Deutsche und Österreicher. Einen kleinen Anteil seiner Tätigkeit machte die Beratung italienischer Kollegen im deutschen Recht aus. Aufgrund einer Beschwerde der Sozietät, in der er zunächst angestellt gewesen war, kam es zu einem berufsrechtlichen Disziplinarverfahren. In diesem Verfahren wurde gegen ihn eine Sanktion verhängt, weil Gebhardt ohne italienische Anwaltszulassung praktizierte.[2]
Der EuGH hat diese Sanktion als unzulässige Diskriminierung und als Verstoß gegen Art. 52 Abs. 2 EGV unter Berücksichtigung der Richtlinie zur Anerkennung von Diplomen, die als Ausprägung der Niederlassungsfreiheit anzusehen ist, qualifiziert. Ähnlich hat der EuGH im Fall Auer[3] entschieden, in dem einem Tierarzt in Frankreich die Zulassung verweigert worden war, weil er nicht über ein französisches Diplom verfügte.
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Der Gerichtshof führte in der Entscheidung zur Rechtssache Gebhardt aus: Das Gericht des Mitgliedstaates hätte überprüfen müssen, ob Gebhardt für die konkrete, von ihm ausgeübte Beratungstätigkeit aufgrund seiner Berufserfahrung und Zulassung in Deutschland fachlich hinreichend qualifiziert war. Nur wenn ein Dienstleister, der nicht über eine Zulassung verfügt, Beratungsleistungen ohne die Gewähr der notwendigen Fachkenntnisse anbietet, sei eine Sanktion zulässig. Ein hinreichender Grund für eine Andersbehandlung liege aber nicht bereits darin, dass der Betroffene in dem Staat, in dem er tätig ist, über keine Anwaltszulassung verfügt. Strafvorschriften, die eine Ausübung bestimmter Berufe als unerlaubt sanktionieren, seien nur unter engen Voraussetzungen zulässig. Sie dürfen zu keiner Diskriminierung der Angehörigen anderer Mitgliedstaaten führen, müssen durch zwingende Gründe des Allgemeininteresses gerechtfertigt werden sowie geeignet und verhältnismäßig sein.[4]
Anmerkungen
[1]
Wabnitz/Janovsky/Dannecker/Bülte Kap. 2 Rn. 230.
[2]
EuGH NJW 1996, 579 ff. – Gebhard; vgl. auch Wabnitz/Janovsky/Dannecker/Bülte Kap. 2 Rn. 271.
[3]
EuGH NJW 1984, 2022; Rengeling/Middeke/Gellermann/Dannecker/Müller § 39 Rn. 33.
[4]
EuGH NJW 1996, 579, 581, Rn. 39 f. – Gebhard.
2. Kapitel Europäisierung des Strafrechts › V. Begrenzung nationalen Strafrechts durch europäische Freiheitsrechte und Grundfreiheiten in der Rechtsprechung des EuGH › 5. Dienstleistungsfreiheit (Art. 56 ff. AEUV)
5. Dienstleistungsfreiheit (Art. 56 ff. AEUV)
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Ähnlich hat der EuGH in der Sache Arblade/Leloup[1] entschieden: Werden Arbeitnehmer in einen anderen Mitgliedstaat entsandt, so stelle die Anforderung, auch in diesem Zielstaat die Dokumentationspflichten zu erfüllen, eine unzulässige Beschränkung der Dienstleistungsfreiheit[2] nach Art. 56 ff. AEUV dar, soweit im Ausgangsstaat vergleichbare Dokumentationspflichten bereits erfüllt werden. Eine Strafbarkeit dürfe auf die Verletzung solcher Dokumentationspflichten nicht gestützt werden.
Anmerkungen
[1]
EuGH EuZW 2000, 88 – Arblade/Leloup.
[2]
Wabnitz/Janovsky/Dannecker/Bülte Kap. 2 Rn. 233 ff.
2. Kapitel Europäisierung des Strafrechts › V. Begrenzung nationalen Strafrechts durch europäische Freiheitsrechte und Grundfreiheiten in der Rechtsprechung des EuGH › 6. Kapitalverkehrsfreiheit (Art. 63 ff. AEUV)
6. Kapitalverkehrsfreiheit (Art. 63 ff. AEUV)
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Ebenfalls auf die Dienstleistungsfreiheit und zusätzlich auf die Kapitalverkehrsfreiheit[1] (Art. 63 ff. AEUV) hat der EuGH in der Entscheidung Luisi/Carbone das Recht eines Unionsbürgers gestützt, wirtschaftliche Dienstleistungen in der gesamten Union frei in Anspruch zu nehmen.[2] Der Gerichtshof hatte einer italienischen Staatsbürgerin das Recht zuerkannt, auch unter Verletzung italienischer Ausfuhrbestimmungen einen ausreichenden Bargeldbetrag mit sich zu führen, um sich in Deutschland medizinisch behandeln zu lassen. Die Verhängung einer Geldbuße wegen eines Devisenvergehens verletze in einem solchen Fall die Dienstleistungsfreiheit und die Kapitalverkehrsfreiheit. Die Mitgliedstaaten seien zwar zur Kontrolle von Devisen berechtigt; diese dürfe aber nicht zur willkürlichen Beschränkung der Kapitalverkehrsfreiheit führen.
51
Aus dieser Entscheidung folgt etwa für Bankdienstleistungen, dass Bankkunden und Kreditinstitute sich im Rahmen von Bankgeschäften, die Transfers innerhalb der Europäischen Union beinhalten, auf die Kapitalverkehrsfreiheit berufen können. Aus solchen Bankgeschäften dürfen grundsätzlich keine negativen steuerlichen Schlüsse gezogen werden und sie dürfen nicht unverhältnismäßig erschwert werden.[3]
Anmerkungen
[1]
Hierzu Wabnitz/Janovsky/Dannecker/Bülte Kap. 2 Rn. 236 f.
[2]
EuGH NJW 1984, 1288 – Luisi/Carbone.
[3]
Vgl. hierzu auch Wabnitz/Janovsky/Dannecker/Bülte Kap. 2 Rn. 256 ff.
2. Kapitel Europäisierung des Strafrechts › V. Begrenzung nationalen Strafrechts durch europäische Freiheitsrechte und Grundfreiheiten in der Rechtsprechung des EuGH › 7. Freizügigkeit (Art. 21 AEUV)
7. Freizügigkeit (Art. 21 AEUV)
52
Ebenfalls im strafrechtlichen Kontext in der Entscheidung Calfa hat der EuGH[1] entschieden, dass die Verhängung eines Einreiseverbots gegenüber Unionsangehörigen das Recht auf Freizügigkeit aus Art. 21 AEUV verletzen kann.[2] Ein solches Verbot sei nur unter Wahrung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zulässig und dürfe nur zum Schutz zwingender Interessen der inneren Sicherheit verhängt werden. Eine Sanktion wegen der Verletzung eines unverhältnismäßigen Einreiseverbots sei unzulässig, eine entsprechende Sanktionsvorschrift müsse zur Wahrung der Freizügigkeit außer Anwendung bleiben.
Anmerkungen
[1]
EuGH EuZW 1999, 345.
[2]
Vgl. Wabnitz/Janovsky/Dannecker/Bülte Kap. 2 Rn. 237.
2. Kapitel Europäisierung des Strafrechts › V. Begrenzung nationalen Strafrechts durch europäische Freiheitsrechte und Grundfreiheiten in der Rechtsprechung des EuGH › 8. Beschränkung der europäischen Grundfreiheiten auf wirtschaftliche Betätigung
8. Beschränkung der europäischen Grundfreiheiten auf wirtschaftliche Betätigung
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In der Entscheidung Unborn Child[1] hat der EuGH allerdings deutlich gemacht, dass die Berufung auf die Verkehrsfreiheiten und Freiheitsrechte, die dem Schutz und dem Ausbau des europäischen Binnenmarkt dienen, unter der Bedingung wirtschaftlicher Betätigung stehe. Daher könne sich niemand außerhalb wirtschaftlicher Tätigkeit auf die Dienstleistungsfreiheit, Kapitalverkehrsfreiheit etc. berufen.
Anmerkungen
[1]
EuGH NJW 1993, 776, 777 Rn. 22 ff. –Unborn Children.
2. Kapitel Europäisierung des Strafrechts › V. Begrenzung nationalen Strafrechts durch europäische Freiheitsrechte und Grundfreiheiten in der Rechtsprechung des EuGH › 9. Europäische Missbrauchsrechtsprechung (Missbrauchsverbot)
9. Europäische Missbrauchsrechtsprechung (Missbrauchsverbot)
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Eine weitere – grundsätzlich völlig selbstverständliche – Beschränkung finden die Freiheitsrechte im allgemeinen Missbrauchsverbot.[1] In den Entscheidungen Halifax[2] und Emsland[3] hat der EuGH dies im Kontext des Mehrwertsteuerrechts exemplifiziert: Jeder Unionsbürger habe das Recht, sein Handeln steuerlich oder auch ansonsten rechtlich günstig einzurichten. Das schließe auch das Recht ein, seinen Geschäftsbetrieb in einen anderen Mitgliedstaat zu verlagern, um dort Steuervorteile wahrzunehmen, die man im Ausgangsstaat nicht erhalten würde. Genauso dürfe der Unternehmer seine Produktion in einen anderen Mitgliedstaat verlagern, um dort Waren herzustellen und diese dann in den Ausgangsstaat importieren, wenn er die eingeführten Waren im Ausgangsstaat nicht hätte herstellen dürfen. Das Unionsrechts decke aber keine Handlungen, die keine wirtschaftliche Begründung haben, sondern nur zum Schein getätigt werden, um Vorteile aus dem Unionsrechts zu erlangen. Niemand dürfe sich missbräuchlich auf das Unionsrechts berufen.[4]
55
Bei missbräuchlichen Umsätzen besteht nach der Judikatur des EuGH kein Recht auf einen Vorsteuerabzug. Missbräuchlich seien Umsätze, hinsichtlich derer die Gewährung des Vorsteuerabzugs den ausdrücklichen Zielen der Mehrwertsteuerrichtlinien zuwiderliefe. Dies sei dann der Fall, wenn die fraglichen Umsätze zwar formal die Bedingung der einschlägigen Vorschriften des nationalen Rechts zur Umsetzung des Mehrwertsteuerrechts der Union erfüllen, die Gewährung des steuerlichen Vorteils jedoch dem Sinn und Zweck des Unionsrechts zuwiderlaufe.[5] Ein Missbrauch dürfe angenommen werden, wenn aufgrund objektiver Anhaltspunkte ersichtlich sei, dass im Wesentlichen oder sogar ausschließlich der Steuervorteil und nicht die wirtschaftlichen Vorteile des Geschäfts selbst gewollt sind. Die Gestaltung müsse sich also als wirtschaftlich weitgehend sinnlose Umgehungsgestaltung darstellen.[6]
56
In der Collée-Entscheidung[7] hat der Europäische Gerichtshof jedoch deutlich gemacht, dass nicht jede wirtschaftlich unsinnig erscheinende Gestaltung zwangsläufig einen steuerlichen Gestaltungsmissbrauch bedeutet. Ungewöhnliche Gestaltungen können durchaus durch ungewöhnliche wirtschaftliche Situationen oder einfach persönliche Gründe bedingt sein. Letztlich sei damit die Frage des Missbrauchs im konkreten Einzelfall zu beurteilen.[8]
57
Im Rahmen der Bekämpfung von Steuerhinterziehungen hat der EuGH sowohl in der Rechtssache Kittel[9] als auch in der Rechtssache „R“[10] konstatiert, dass ein grundsätzliches Verbot der Mitwirkung an Steuerhinterziehungen, Steuerumgehungen und Steuermissbrauch besteht. Dieses Verbot kann zu weitreichenden Verlusten steuerlicher Vorteile des Unternehmers führen:[11] Zwar sei die Mitwirkung an einer Steuerhinterziehung oder Steuerumgehung solange für die mehrwertsteuerliche Behandlung eines Steuerpflichtigen unschädlich, wie dieser nicht wissentlich und auch nicht anderweitig vorwerfbar zur Verletzung des Steueranspruchs beigetragen habe.[12] Wirkt der Steuerpflichtige jedoch an der Steuerhinterziehung mit, weil er die Rechtswidrigkeit des Geschäfts sorgfaltswidrig nicht erkennt, dann sei er auch dann als Steuerhinterzieher anzusehen, wenn er sich nach nationalem Strafrecht nicht strafbar gemacht hat, weil er nach strafrechtlichen Kategorien nicht Beteiligter ist. Das Unionsrechts verwendet damit einen weiten Beteiligtenbegriff, um dem Ziel der Bekämpfung von Hinterziehung und Umgehung der Mehrwertsteuer effektiv zu dienen. Aus diesem Grund könne sich der unwissend, aber schuldhaft an einer Steuerhinterziehung beteiligte Unternehmer nicht auf das europäische Mehrwertsteuerrecht berufen. Die nationalen Finanzbehörden dürfen und müssen gewährte Mehrwertsteuervorteile zurückverlangen.[13]
58
In der Italomoda-Entscheidung[14] ist der EuGH noch deutlich weiter gegangen: Der Vorsteuerabzug sei zu versagen, wenn der Steuerpflichtige wusste oder hätte wissen müssen, dass er sich mit dem betreffenden Umsatz an einem Umsatz beteiligte, der in eine vom Lieferer oder von einem anderen Wirtschaftsteilnehmer auf einer vorhergehenden oder nachfolgenden Umsatzstufe der Lieferkette begangene Steuerhinterziehung einbezogen war. Damit wäre für jede Lieferung, die in eine Kette eingebunden ist, die Gegenstand einer Hinterziehung war oder nach der Lieferung geworden ist, der Vorsteuerabzug zu versagen, wenn der Empfänger die Einbindung in die Hinterziehungsstruktur schuldhaft verkannt hat. Diese Versagung des Vorsteuerabzugs sei – so der EuGH weiter – keine Sanktion, sondern eine systemimmanente Folge aus dem gemeinsamen Mehrwertsteuersystem. Diese These des Gerichtshofs ist unplausibel: Der Vorsteuerabzug ist nach der Rspr. des EuGH ein fundamentaler Bestandteil des europäischen Mehrwertsteuersystem, dessen Versagung ein Verstoß gegen die Steuerneutralität darstellt.[15] Die Versagung muss daher systemfremd sein und kann daher nur durch äußere Gründe – (kriminal-)politische Notwendigkeit einer Sanktion – gerechtfertigt werden.
Anmerkungen
[1]
Hierzu Wabnitz/Janovsky/Dannecker/Bülte Kap. 2 Rn. 242 ff.; zum Missbrauch Schaumburg/Peters Kap. 10.103 ff.
[2]
EuGH DStR 2006, 420, 422 – Halifax.
[3]
EuGH ZfZ 2001, 92 ff. – Emsland-Stärke.
[4]
Vgl. hierzu u.a. EuGH DStR 2006, 420 ff. – Halifax; DStR 2006, 1274 – Kittel; IStR 2007, 249 ff. – Thin Cap.
[5]
Hierzu BGH NStZ 2014, 331, 333 f.
[6]
Dabei ist jedoch die Frage danach, ob es sich mehrwertsteuerlich um eine Lieferung oder Leistung handelt, von der Frage zu trennen, ob ein Vorsteuerabzug besteht, EuGH DStR 2006, 1139 ff.; zu den Einzelheiten vgl. Graf/Jäger/Wittig/Bülte § 370 AO Rn. 394 ff.
[7]
EuGH DStR 2007, 1811 ff.; m. Anm. Braun EFG 2008, 656, Schauf/Hoink PStR 2009, 58 ff.; vgl. ferner Bülte CCZ 2009, 98 ff.; Sackreuther PStR 2009, 62; Sterzinger UR 2008, 169 ff.; Wulf StbG 2009, 313 ff.
[8]
Zu Aufspaltung einer Leistung als Missbrauch EuGH IStR 2008, 258 ff. – Part Service Srl.
[9]
EuGH DStR 2006, 1274.
[10]
EuGH NJW 2011, 203 ff. („R“), m. Anm. Adick PStR 2011, 217 f.; Bülte DB 2011, 442 ff.; Jope NZWiSt 2012, 153 f.; Sterzinger UR 2011, 20 ff.; Wulf/Alvermann DB 2011, 731 ff.; vgl. auch Bürger/Paul BB 2011, 540 ff.; Schenkewitz BB 2011, 350 ff.
[11]
Vgl. nur Schaumburg/Peters Internationales Steuerstrafrecht, Kap. 1082. ff.
[12]
Vgl. EuGH DStR 2008, 450 ff.; Urt. v. 21.06.2012 – C-80/11 und 142/11 – Mahageben und David, DStR 2012, 1336; vgl. auch BGH NStZ 2014, 331, 333.
[13]
EuGH NJW 2011, 203 ff. (“R”); ferner BGH NStZ 2014, 331, 333; vgl. auch Wabnitz/Janovsky/Dannecker/Bülte Kap. 2 Rn. 282 ff.
[14]
EuGH MwStR 2015, 87, 90 f., Rn. 50 ff. m. Anm. Grube.; krit. Wäger UR 2015, 81 ff.
[15]
EuGH DStRE 2014, 97, 99 Rn. 32 – Rodopi.
2. Kapitel Europäisierung des Strafrechts › VI. Unionsgrundsätze und Unionsgrundrechte im Strafrecht und Strafverfahrensrecht
VI. Unionsgrundsätze und Unionsgrundrechte im Strafrecht und Strafverfahrensrecht
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Auch wenn der EuGH die Grundfreiheiten bereits zu Freiheitsrechten weiterentwickelt hat, sind die europäischen Grundrechte der Charta der Europäischen Grundrechte (GRCh) eine vergleichsweise neue Errungenschaft. Mit Inkrafttreten des Lissabon-Vertrages hat das Unionsrecht einen eigenen Grundrechtskatalog erhalten (vgl. Art. 6 I EUV), so dass sich zwangsläufig die Frage nach dem Konkurrenzverhältnis zwischen nationalen und europäischen Grundrechten stellt: Welche Grundrechtsstandards sind in einem Strafverfahren anzuwenden?[1]
Anmerkungen
[1]
Vgl. hierzu Bülte/Krell StV 2013, 713, 716 ff.; Wabnitz/Janovsky/Dannecker/Bülte Kap. 2 Rn. 292 ff.; Rönnau/Wegner GA 2013, 561 ff.
2. Kapitel Europäisierung des Strafrechts › VI. Unionsgrundsätze und Unionsgrundrechte im Strafrecht und Strafverfahrensrecht › 1. Grundrechtskonkurrenz und Grundrechtsstandards