Kitabı oku: «Amerikanische Reise 1799-1804», sayfa 5
8. WISSENSCHAFTLICHE ARBEITEN IN SALZBURG
Humboldt wachsen tausend Hände
Humboldt hatte während seines dreimonatigen Aufenthalts in Wien sehr oft allein in seinem Zimmer gearbeitet und sich deshalb einsam gefühlt. Der zweite Band seines Werks über die gereizte Muskel- und Nervenfaser sollte endlich abgeschlossen werden. Sämtliche Experimente, die sein Tagebuch, eine Art Beobachtungsjournal, aufführte, ließen sich in ihrer Überfülle nicht verwerten. Er musste auswählen. Gespräche und Besuche in Wien halfen ihm dabei. So hat er z. B. mit dem älteren Jacquin und dem Metallurgen v. Tiharsky aufschlussreiche eudiometrische Versuche angestellt. Zudem war der jüngere Jacquin hochverdient um die Einführung der antiphlogistischen Chemie in Wien und hatte in Humboldt einen Partner gefunden, der ähnliche wissenschaftliche Methoden vertrat.
Alexander v. Humboldt zur Zeit seiner sechsjährigen Reisevorbereitungen auf die Tropen in der Neuen Welt (Federzeichnung von Friederike Beck)
Die literarischen Arbeiten vermehrten sich noch, als Freiesleben das Manuskript des Werks Ueber die unterirdischen Gasarten … nach Wien sandte. Er hatte aus dem »Paquet einzelner Zettel und Notizen … ein Gerüst zusammengestellt« und den Stoff so fleißig bearbeitet105, dass Alexander sein Werk »kaum darin wiedererkennen« konnte. »Du hast Dir mehr, mehr Mühe damit gegeben, als die Sache verdient, nicht bloß Materialien geordnet, sondern viele neue dazugeschafft … Es wird mir nun ein Leichtes sein, ein Buch daraus zu machen …« konnte er Freiesleben mitteilen.106 Er selbst hat das Manuskript dann noch durchgefeilt, die Herausgabe aber musste er seinem Bruder Wilhelm überlassen.
Die Reisepläne forderten Humboldts ganze Kraft. Im Augenblick sah es allerdings aus, als sollten sie sich nie erfüllen. Die Familie des Bruders und Haeftens sorgten sich, ob man mit den Kindern bei den unsicheren Zuständen nach Ober- und Mittelitalien gehen könne. So reiste der ältere Humboldt mit seiner Familie, mit Wilhelm v. Burgsdorff und dem Bildhauer Friedrich Tieck am 11. Oktober 1797 von Wien ab und fuhr über München, Schaffhausen, Zürich und Basel nach Paris.107 Alexander hielt dagegen noch an seiner Italienreise fest und wollte zunächst mit den Haeftens in der Schweiz die Beruhigung der politischen Lage abwarten. Er dachte, dort seine Vorbereitungen weiter zu betreiben, und liebäugelte vor allem mit einem erneuten Besuch Genfs.
Die Ankunft Leopold v. Buchs in Wien wies einen anderen Weg. Dieser hatte bereits geschrieben, er wolle sich in Italien »häuten und … in Äther kleiden«. »Ich habe mich herzlich über ihn gefreut«, meinte Alexander. »Es ist ein trefflicher, genievoller Mensch, der viel und richtig beobachtet – aber das ganze Wesen – wie aus dem Monde. Mich deucht, das Alleinsein auf der Reise hat ihm schon wieder geschadet. Ich habe ihn zu einigen Menschen herumgeführt, aber meist ist es unglücklich abgelaufen. Gewöhnlich setzt er gleich nach dem ersten Besuch die Brille auf und untersucht im äußersten Stubenwinkel die Sprünge in dem glasierten Ofen, auf die er ganz erpicht ist, oder er schleicht wie ein Igel an den Wänden umher und betrachtet die Simse. Er versichert mich selbst dabei, daß er im Alleinsein oft ¼ St[unde] lang fast alle Besinnung verliere. Übrigens ist er unendlich interessant und liebenswürdig – ein Schatz von Kenntnissen, mit denen er mir sehr nützlich wird. Er bleibt 14 Tage hier, geht dann über Ischl und Gmunden nach Salzburg, bleibt einige Wochen bei mir und will im Winter durch Tirol nach Italien. Sein Gemütszustand ist gewiß bedenklich und, ich glaube, meist physischen Ursachen, angestrengtem Denken und Mangel an Nahrung zuzuschreiben. Ich bin in ihn gedrungen, mehr zu essen und einmal einige Monate recht sinnlich zu leben.«108
Beide kamen überein, im Winter in Salzburg meteorologische, eudiometrische, astronomische und barometrische Messungen durchzuführen. Alexander verabschiedete sich im Oktober in Wien. Er verließ die österreichische Hauptstadt »recht ungern«109, das Ende dieser »köstlichen Zeit« bedrückte ihn110. Wien hatte ihm derart viele Anregungen geschenkt, dass er dankbar sein musste. Doch die Unruhe der Weltstadt störte ihn auf die Dauer, er verlangte nach einem ruhigeren Ort, der indes in Grenznähe liegen sollte, um bei einer günstigen Wendung sofort nach Italien reisen zu können.111 Der ältere Bruder hatte ohnehin nach Italien und Frankreich gehen wollen. Ihm bedeutete die Änderung der zeitlichen Folge nicht viel. Bei Alexander war es anders. Er durfte keine Zeit vergeuden. In Linz sprach er mehrere Gelehrte und besuchte von dort aus Gmunden, den Traunfall und den Traunsee; er reiste »der schönen Gegend wegen« sehr langsam und meinte: »Ich gestehe, daß ich in der Schweiz kaum solche große Naturszenen kenne, als diese Oberösterreichischen.«112
So kam Humboldt erst am 26. Oktober 1797 in Salzburg an. Leopold v. Buch folgte ihm später nach. Hier begann erneut die intensive Übung im Gebrauch von Spiegelsextant, Barometer und Eudiometer u. a. sowie eine nochmalige Lektüre vieler Reisewerke. Er schrieb am 31.12. 1797 von Salzburg an Josef van der Schot: »Ich erfülle meine Zwecke treulich, die ich mir vorgesetzt, aber da diese Zwecke keine anderen als die des Lernens, Studirens, Einübens mit meinen physikalischen und astronomischen Instrumenten, Präparirens zur westindischen Reise sind, so läßt sich selbst dem Freunde wenig davon erzählen … Ich lese und schreibe ununterbrochen fort, laufe in Sturm und Regen mit dem Electrometer in Luftschichten [?] umher und durchblättere alle Reisebeschreibungen, die ich schon sonst gelesen und von denen die Bibliothek des hiesigen Botanikers Baron Moll (der aber selbst keine Pflanze kennt) leider! eine Menge enthält … Mein Plan ist noch immer, Mitte Februar nach Italien aufzubrechen und Sommer 1799 in Deutschland zu sein, wo Sie mich haben wollen.«113 Er hoffte immer noch, van der Schot als Reisegefährten gewinnen zu können. Mit Grüßen bedachte er vor allem Joseph Barth, die beiden Jacquin, Nikolaus Thomas Host – und nicht zuletzt Franz Boos: »Wenn ich von Dankbarkeit rede, so habe ich aber besonders unseres Freundes Boos114 zu gedenken. Sagen Sie diesem, wie innigst ich ihn liebe und hochschätze.«115
Humboldt hatte nur zwei Monate in Salzburg bleiben wollen, es wurde ein halbes Jahr daraus, und er schrieb innerlich verzweifelt an Joseph Franz Jacquin: »Könnte ich doch nur nach Westindien – aber wenn man sechs Wochen zur See ist, bringt einen ein Kaper dahin zurück, wo man ausläuft. Ich denke, das alles in Paris deutlicher zu sehen.«116
Von seinem Lehrer Zach angespornt, bestimmte er die Polhöhe Salzburgs, führte eine große Zahl von Höhenmessungen zwischen dieser Stadt und Aussee aus und analysierte den Sauerstoffgehalt der Luft, die zu gleicher Zeit in verschiedener Höhe in Flaschen gefüllt wurde. Am 19. Dezember 1797 bestimmte Buch mit Alexanders neuem Senkbarometer den Gaisberg, gegenüber von Humboldts Wohnung. 453 Toisen über dem Spiegel der Salzach füllte Buch eine Flasche mit Luft, ohne sie mit Wasser zu sperren und zu dichten, um die »Azotirung«, die Anreicherung mit Stickstoff, zu vermindern. »Der eingeriebene Stöpsel war so luftdicht, daß das Wasser, als sich die Flasche unter seiner Oberfläche öffnete, mit Gewalt in die Höhe stieg. Ich untersuchte diese Gebirgsluft und eine andere, die ich in demselben Momente im Thale gesammelt hatte.« Die höhere Luft war sauerstoffärmer, und so galt Voltas am Legnone gewonnene Erkenntnis auch für Berge, die diese zweimal an Höhe übertreffen.117 Lust am Experimentieren, überlegte Versuchsanordnung und Wiederholungen waren stets für Humboldts Vorgehen bezeichnend, und so wurde die gleiche Messung nochmals durchgeführt. Buch kletterte trotz Schnee und Eis wieder auf den Gaisberg. Die gleichzeitigen Thermometerbeobachtungen ergaben dabei eine Temperaturumkehr, d. h. die kältere Luft lag wie eingeschnürt im Tal. Während Buch auf dem Gaisberg + 8½ °R maß, stellte Alexander im Tal nur + ¾ °R fest! Die Sauerstoffabnahme mit der Höhe bestätigte sich erneut.118
In dieser Zeit benutzte Humboldt häufig die Bibliothek des Freiherrn Karl Ehrenbert v. Moll119, eines fähigen und weithin bekannten Naturforschers, in dessen »Jahrbüchern der Berg- und Hüttenkunde« von nun an auch Aufsätze von ihm erschienen. Moll hatte bereits 1785 mit seinem Freund Franz de Paula Schrank in zwei Bänden Naturhistorische Briefe über Österreich, Salzburg, Passau und Berchtesgaden herausgegeben. Darin waren u. a. Beobachtungen über Härte und Temperatur des Gletschereises, Statistiken und anthropogeographische Tatsachen mitgeteilt worden. Sie lernten auch die Patres Dominikus Beck, von dessen meteorologischen Messungen und Höhenbestimmungen Humboldt allerdings nicht viel hielt, und Prof. Ulrich Schiegg kennen.
Seit Hacquets Eingreifen bemühte man sich auch in Österreich, auf dem von Scheuchzer und Saussure eingeschlagenen Wege voranzukommen. Dabei war eine erhebliche geographische Arbeit geleistet worden, deren Reflex Humboldt zugutegekommen ist. Im südlichen Bayern war damals kein einziger Ort astronomisch bestimmt gewesen. Auf den Karten unterliefen Abweichungen von 5–6’ »nach allen Weltgegenden«.120 Humboldt versuchte, wirkliche Festpunkte für die Kartographie zu schaffen, wenn auch nicht an vielen Orten, dazu reichte die Zeit nicht. »Nein, ich suche wenige Punkte zu bestimmen, diese aber mit aller Genauigkeit, deren ich und mein schwerer 12zölliger Sextant fähig sind.« So konnte er denn die Polhöhe für Salzburg, Berchtesgaden und Reichenhall ermitteln.
Der Aufenthalt in Salzburg erwies sich insgesamt als wichtige Station auf dem Weg nach den südamerikanischen Tropen. Dazu zählen selbstverständlich auch sämtliche Exkursionen, die er von hier aus unternahm:
Am 26. Oktober 1797 war Humboldt in Salzburg eingetroffen. Bereits am 7. November reiste er über Fuschl am See und St. Gilgen am Abersee nach Ischl an der Traun, wo er den originellen Leopold v. Buch traf, der ihn von nun an begleitete. Gemeinsam reisten sie zum Ischler Salzberg, nach Hallstatt zum gleichbenannten Berg, nach Aussee und Altaussee, zum Bergwerk am Sandling und über Aussee und Grisern zurück nach St. Gilgen und waren am 13. November 1797 wieder in Salzburg.
Am 28. November 1797 besuchten beide die Eiskapelle am Fuß des Watzmanns. Am 3. Dezember weilte Alexander in Berchtesgaden. Den Gaisberg bestieg er am 4. März 1798, wie wir gesehen haben. Vom 7. bis zum 17. April 1798 blieb er in Berchtesgaden; sechs Tage davon weilte er auf Schloss Adelsheim beim Administrator des Hauptsalzamtes Joseph v. Utzschneider.
Er glaubte, in Salzburg »ein wahres Klosterleben geführt« zu haben, »aber … ein sehr arbeitsames«. Er vollendete Manuskripte, redigierte, korrigierte, experimentierte intensiv wie nie zuvor, korrespondierte, observierte und charmierte in Wort und Tat. Es war, als wüchsen ihm tausend Hände.
An keinem Ort hat er während seiner sechsjährigen Vorbereitung mehr gearbeitet als hier. In Versuchen und Messungen schuf er sich planmäßig eine Vergleichsgrundlage für die Tropen.
Im Winter 1797/98 hatte er das gesamte Werk H. B. de Saussures erneut gelesen, »Wort für Wort«. Er schrieb später aus Paris: »J’aime à marcher sur les traces d’un grand homme.« [»Ich liebe es, den Spuren eines großen Mannes zu folgen.«] Das instrumentenreiche Genf erschien ihm wie »le foyer du génie«, wie »der Mittelpunkt des Geistes«, wie er am 22. Juni 1798 im gleichen Brief mitteilte.
Kein Wunder, dass er nach den Erfolgen in Salzburg das deutsche Genf erkennt, eine Stadt »nicht minder von der Natur bestimmt …, einst unter begünstigenden politischen Verhältnissen die Schule deutscher Physiker (Naturforscher) zu werden«.121
9. DIE »VERSUCHE ÜBER DIE GEREIZTE
MUSKEL- UND NERVENFASER«
Gegen jede Tierquälerei
In Salzburg hat Alexander den zweiten Band seines Werkes Versuche über die gereizte Muskel- und Nervenfaser abgeschlossen. Es ist ein Buch, das in überzeugender Fülle Versuchsanordnungen und Experimente beschreibt. Auffallend sind die klare Form der Darbietung und die Methode, die ausdrücklich formuliert und betont wird. Auch muss Humboldts humanes Vorgehen beachtet werden. Bei seinen zahlreichen Tierversuchen hatte er jede Tierquälerei vermieden. Vivisektion lehnte er ab. »Alle Tiere, mit denen ich je experimentirt, habe ich durch Abschneiden des Kopfes und Durchbohren des Rückenmarks zu tödten gesucht. Ich füge diese Anmerkung einmal für immer bei, um den unangenehmen Eindruck zu mildern, den eine Sammlung zootomischer Versuche bei einer gewissen Klasse reizbarer Leser erregen muß. Nach meiner eigenen Art zu empfinden, würde ich ohne diese Vorsicht, die Thiere vorher zu tödten, auch nicht einen einzigen galvanischen Versuch je haben anstellen können.«122
Seit 1792 hatte er galvanische und anatomische Experimente miteinander verknüpft und zunächst einfach die Wirkung des elektrischen Stromes bei steter Änderung der Versuchsanordnung auf das anatomische Präparat erforschen wollen. Die notwendigen Instrumente, einen galvanischen Apparat, ein paar Metallstäbe, Pinzetten, Glastafeln und anatomische Messer hatte er selbst zu Pferde mit sich geführt. Seine jetzigen Versuche betrachtete er als eine Fortsetzung seiner Beobachtungen über die Reizempfänglichkeit der Pflanzen. Von daher erschien ihm das Studium des tierischen Körpers unerlässlich. Er betrachtete die Pflanzen nicht als Tiere wie etwa Baptista Porta, sondern »als Object einer allgemeinen vergleichenden Physiologie und Anatomie«. Er wollte sich nicht zu »falschen Analogien« versteigen, sondern den »thierischen Stoff« genauestens kennenlernen. Diese Studien hatten ihn Bescheidenheit gelehrt. Je tiefer er in die anatomischen Geheimnisse eindrang, desto mehr lockte ihn »der wundersame Bau der menschlichen Organisation an«.123 Hier hatte die Wissenschaft am stärksten vorgearbeitet, und keine andere »thierische Faser« hatte er so leicht erregbar wie die des menschlichen Körpers, den er als Teil des Naturreichs verstand, gefunden. »Wer sich daher irgend einem Theile der Naturbeschreibung ernsthaft widmet, sollte jenes Studium nicht vernachlässigen, wäre es auch nur, um einzusehen, welche unabsehbare Fülle von Kräften in ein Aggregat irdischer Stoffe zusammengedrängt sein kann. Ich habe mich bemüht, bei meinen Versuchen über den Galvanismus von aller Theorie zu abstrahiren, oder vielmehr, ich habe diese Versuche so abgeändert, als wenn gerade das Gegentheil der bisher aufgestellten Gesetze des Metallreizes erwiesen werden müsse. Diese Methode schien mir, so lange ich experimentirte, die fruchtbarste zum Erfinden zu seyn … Freilich ist es dem menschlichen Geiste unmöglich, sich während des Experimentirens aller theoretischen Vermuthungen zu enthalten; freilich ist, wie Darwin sagt, das Denken selbst ein Theoretisiren. Man reiht das Halbgesehene immer an analoge Erscheinungen an und glaubt oft, Gründe in unwesentlichen Nebendingen zu finden. Wohl dem Experimentator aber, den abgeänderte Versuche von einer Theorie zu anderen hinführen, dessen Vermuthungen nicht früh eine Gewißheit erlangen, die von der ferneren Beobachtung zurückscheucht!«124
Es ging Humboldt um Tatsachen und deren scharfe Trennung von der Deutung. Als solche galten ihm nur die Ergebnisse der Experimente. Er war als Empiriker stets darauf bedacht, sie nicht mit ihrer Interpretation zu verquicken oder sie vorgefassten Theorien zu opfern. Scharlatanerie von der Art Mesmers lehnte er ab, unterstrich aber gleichzeitig, dass keineswegs jedes »Manipuliren physisch unwirksam sey«. So verdienten z. B. Johann Nathanel Petzolds Dresdner Versuche größte Aufmerksamkeit bei Naturforschern, »die nicht gewohnt sind facta von sich zu stoßen, um Hypothesen aufzunehmen … Der Naturphilosoph muß alle Erscheinungen in Verbindung setzen; durch diese Verbindung allein schon tritt er den Ursachen näher«125 (Hervorhebung durch HANNO BECK).
Dies alles macht das Buch noch heute lesbar. Es enthält außerdem mehr, als sein Titel verrät. Es muss besonders beachtet werden, weil es das umfangreichste Werk ist, das Humboldt vor seiner großen Reise veröffentlicht hat. Die Versuche selbst stellte er zunächst nur zu seiner eigenen Unterrichtung an. Erst als bedeutende Physiologen ihre Publikation wünschten, arbeitete er systematischer. Wegen seiner Tätigkeit als Bergmann und wegen der häufigen Unterbrechungen seiner Arbeit konnte er die einschlägigen Forschungen anderer nicht verfolgen, so dass er manches Experiment durchführte, das anderen schon vor ihm gelungen war. Die galvanischen Versuche selbst hielt er für einfach. Die Schwierigkeiten entstanden erst durch die Einführung erregender und leitender Substanzen in die Versuchsanordnung. Trotzdem schien es ihm notwendig, die Literatur streng zu überprüfen, um nur diejenigen Untersuchungen in sein Werk aufzunehmen, die über ältere hinausführten und der Erweiterung der Physiologie dienen konnten.
Im Frühjahr 1795 schien sich das Ende seiner Bemühungen abzuzeichnen. Humboldt hatte bereits Teile seines Manuskripts an Soemmerring und Blumenbach geschickt, als ihn Pfaffs Schrift Über thierische Elektricität und Reizbarkeit auf eine angenehme und unangenehme Art überrascht hatte.126 Diese Arbeit fand er ausgezeichnet, sah aber zugleich, dass Pfaff auf anderen Wegen die gleichen Resultate wie er selbst erreicht hatte, und musste sich zu einer »gänzlichen Umschmelzung« seines Buches entschließen. Die Hälfte der Versuche wurde gestrichen. Sein Aufenthalt in der Schweiz und in Italien hinderte die Verwirklichung seines Planes, förderte ihn aber gleichzeitig, weil er nun Jurine, Pictet, Scarpa, Tralles und Volta persönlich kennenlernte und seine Gedanken korrigieren konnte. Er dankte diesen Persönlichkeiten öffentlich, denn ihr Rat befähigte ihn zu neuen Schritten oder veranlasste ihn zu einer streng überwachten Wiederholung älterer Experimente, z. B. auch der Überprüfung der Versuche auf seinem Rücken.
Die hier mitgeteilten Stellen verraten eine auffällige sprachliche Prägnanz. Humboldt pflegte sich sogar zu entschuldigen, wenn er von der Regel abwich, um in der Darstellung schneller zum Ziele zu kommen, und stellte stets fest, wo er sich unsicher fühlte. Reizvoll ist, dass die Sichtweise des Landreisenden häufig erkennbar wurde. So wies er auf eine Unart vieler Reisender seiner Zeit hin, die nur das untersuchten, »was sie mit nach Hause tragen können, weil viele nur an ihrem Schreibtisch mit äußerer Bequemlichkeit arbeiten«, statt die Objekte an Ort und Stelle zu erforschen.127
Die Versuche selbst wurden nicht chronologisch, sondern sinngemäß aneinandergereiht. Der erste Band beschreibt den Einfluss des Galvanismus auf sezierte tierische Körper, der zweite betrachtet dann den Einfluss »chemischer Stoffe auf die erregbare Faser«.128 Mit diesem folgerichtigen Aufbau hoffte er, einer Verallgemeinerung seiner Ergebnisse dienen zu können. Der erste Band bildete eine Vorstufe der Elektrophysiologie, der zweite begründete die »vitale Chemie«. Diese bezeichnete Humboldt selbst auch als eine »Experimental-Physiologie«; sie wurde später von seinem Freund Emil Du Bois-Reymond ehrlich anerkannt und vervollkommnet. Seit Galvani 1791 seine epochemachenden Entdeckungen bekannt gegeben hatte und der Galvanismus in Deutschland spielerisch in Gesellschaftszirkeln und ernsthaft in Kreisen der Wissenschaft diskutiert wurde, bemühte man sich auch, die biologischen Hauptfragen der Zeit – Reizproblem, Erregungstheorie und Vitalismus – wissenschaftlich mit ihm zu verknüpfen. Humboldts eigene Bemühungen gingen weit über den bloßen Galvanismus hinaus. »Er untersuchte systematisch zuerst die Bedingungen, unter denen der galvanische Reiz entsteht, dann die Wirkungen desselben auf Nerv und Muskel. Ebenso ging er dem Einfluss der Wärme, Licht, Wasser, Luft, verschiedenen Gasen und chemischen Substanzen nach, indem er die Reizwirkungen derselben am Nerv-Muskel-Präparat feststellte und besonders die Veränderungen der Reizempfänglichkeit beachtete.«129
Humboldt wies erstmals auf die großen Verschiedenheiten in der Erregbarkeit reizbarer Teile hin und lenkte den Blick auf die Einflüsse, von denen sie abhängen. Sein Buch ist eine Übersicht der Reizerscheinungen in der belebten Natur. Bei den Amphibien untersuchte er beispielsweise die Abhängigkeit der Erregbarkeit von der Jahreszeit. Während des Winterschlafs fand er die Reizempfänglichkeit am größten.130 Die zum Teil schmerzhaften Versuche auf seinem Rücken zeigten wahrscheinlich erstmals in der Geschichte des physiologischen Galvanismus dessen Einfluss auf Blutgefäße und deren Absonderungen.131 Besonders bezeichnend sind die Versuche des zweiten Bandes, die der »Stimmung der Erregbarkeit« gewidmet sind, d. h. der Untersuchung ihrer Änderung unter dem Einfluss physikalischer und chemischer Stoffe. In verschiedenen Experimenten untersuchte er vor allem die Zu- und Abnahme der Herztätigkeit. Er bemerkte wie Fontana, dass schwache elektrische Schläge die Herztätigkeit erhöhten, starke sie verminderten, beobachtete die anregende Wirkung erhöhter Temperatur und den wiederbelebenden Einfluss des Blutes und richtete hauptsächlich seine Aufmerksamkeit auf die »Stimmung der Erregbarkeit« durch Gase.
Am Rand werden noch viele andere Experimente erwähnt, etwa die vergeblichen Bemühungen »durch Einsenken von Thermometern in die geöffneten Brusthöhlen frisch-getödteter Thiere den Unterschied der Temperatur von Frosch-, Kröten-, Fisch- und Eidexen-Blut zu finden«.132