Kitabı oku: «Sommer Bibliothek 11 besondere Krimis», sayfa 15
![]() | ![]() |

16


Milo war mir gefolgt und half mir, Brodie zu entwaffnen.
Außerdem leisteten wir Erste Hilfe. Auf Grund der Schussverletzung konnten wir auf Handschellen verzichten. Brodie war ohnehin nicht in der Lage zu flüchten.
Ich rief über Handy den Emergency Service, die City Police und unser Field Office an.
Von überall her waren jetzt bereits Sirenen zu hören.
Brodie hatte ziemliches Chaos angerichtet.
„Sie haben das Recht zu schweigen, aber falls Sie auf dieses Recht verzichten wollen, kann jedes Wort, das Sie von nun an sagen, vor Gericht gegen Sie verwendet werden!“
„Ihr könnt mich alle mal!“, presste Brodie mit schmerzverzerrtem Gesicht zwischen den Zähnen hindurch. „Mir soll doch sowieso nur wieder etwas angehängt werden!“
„Sie haben einen Wachmann bestochen, um in Jack Mancusos Wohnung zu gelangen“, stellte ich fest, während Milo den Verbandskasten aus dem Kofferraum des ziemlich lädierten Mercedes Coupés herausholte und dabei zunächst erhebliche Schwierigkeiten hatte, die verkantete Kofferraumklappe überhaupt öffnen zu können.
„Was haben wir jetzt? Die Märchenstunde des FBI?“, fauchte Brodie empört. „Ich bin vollkommen sauber, aber wahrscheinlich werden Sie mir jetzt ein halbes Kilo Kokain in mein Zimmer legen und vor Gericht behaupten, dass ich damit gehandelt hätte!“
„Sie haben irgendwie ein völlig falsches Bild von uns“, erwiderte ich kühl.
„Ich sage keinen Ton, bevor ich keinen Anwalt habe!“
„Ja, aber wenn es soweit ist, dann achten Sie darauf, dass dieser Anwalt nicht von Sonny Ricone bezahlt wird, denn ich weiß nicht, ob sich seine Interessen mit Ihren wirklich in jedem Punkt decken!“
Er sah mich etwas verdutzt an.
Seine Augen wurden schmal.
„Was wollen Sie, G-man?“
„Die Wahrheit über Jack Mancuso“, mischte sich Milo in das Gespräch ein.
„Und außerdem alles, was Sie über Eileen Genardo wissen“, ergänzte ich.
Er wollte ausspucken, aber das bekam ihm nicht. Ein Krampf erfasste ihn. Er biss die Zähne aufeinander.
„Wir sollten uns nicht weiter mit ihm aufhalten“, meinte Milo, nachdem er Brodie einen provisorischen Verband angelegt hatte. „Er ist an einer Kooperation nicht interessiert. Aber wir haben seine Waffe und ich wette, dass wir auch noch seine DNA in Mancusos Wohnung finden werden. Ein paar Hautschuppen oder ein Tröpfchen, das bei einem Niesen ausgestoßen wurde, reicht dazu aus.“
„Mancuso wurde nämlich auf einer Müllkippe gefunden... samt dem Projektil, das ihn tötete.“
Letzteres wusste ich überhaupt noch nicht. Aber ich hoffte zumindest, dass es so war. Und Brodie reagierte auf diesen Bluff.
„Das mit Mancuso war Notwehr!“
„Sie geben also zu, ihn erschossen zu haben!“
„Ja, aber das war rechtens!“
„So wie es rechtens war, ihm die Chip Card abzunehmen, in seine Wohnung einzudringen und alles zu durchwühlen?“, hakte ich nach.
Brodie rang nach Luft. Schließlich fuhr er fort: „Es war ganz anders, als Sie denken!“
„Dann sagen Sie es uns!“, forderte Milo.
Brodie schluckte. „Jack Mancuso kam hier wie ein wild gewordener Stier ins Hotel gestürmt. Er wollte wissen, wo Eileen Genardo sei. Mancuso hat sie jahrelang auf den Strich geschickt und ihr das Geld abgenommen. Hier im Hotel Parrinder hatte Sonny ihr ein Zimmer gegeben.“
„Natürlich ganz selbstlos und auch nicht, um ihr den Großteil ihres Verdienstes abzuknöpfen!“
„Damit habe ich nichts zu tun! Jedenfalls war Jack Mancuso der Meinung, dass ihm eine Ablöse für Eileen zustünde! Er ist dann wutentbrannt auf Sonny Ricone losgegangen. Ich konnte gerade noch rechtzeitig dazwischen gehen. Leider hatte ich keine andere Wahl, als Jack Mancuso zu erschießen, sonst hätte es Sonny erwischt!“
„Aber als Sie den Toten in Cellophan einwickelten, ihn in ihren Wagen verfrachteten und schließlich auf einer Müllkippe auf Staten Island wieder an die Luft setzten, da hätten Sie doch eine andere Wahl gehabt, oder?“
„Ein Toter ist schlecht fürs Geschäft“, sagte Norman Brodie. „Jedenfalls meinte Sonny das und hat mich darum gebeten, den Toten wegzuschaffen. Außerdem hat Jack Mancuso seit kurzer Zeit ein paar einflussreiche Freunde und ich glaube Sonny hatte auch Angst davor, dass einer von denen spitz kriegt, dass der Kerl bei uns gestorben ist.“
„Was sind das für Freunde?“
„Ich denke, ich habe Ihnen schon mehr als genug gesagt. Schließlich will ich auch noch eine Weile leben.“
Die Geschichte, die er uns erzählte, klang für mich logisch. Ob es der Wahrheit entsprach oder nur eine Kette von Schutzbehauptungen darstellte, würde sich zeigen, sobald die Kollegen aus den Labors ihre Arbeit gemacht hatten.
„Können Sie uns noch irgendetwas zu Eileen Genardo sagen?“, fragte ich.
„Nur ihre Zimmernummer.“
„Für den Anfang wäre das doch auch schon mal was!“
„Es ist die 15. Sie war ziemlich beliebt und verstand es hervorragend, ihre blauen Flecke mit Make-up zu kaschieren. Jack Mancuso muss sie grün und blau geschlagen haben und da wundert der Kerl sich, dass Eileen ihm durchgebrannt ist!“
„Was habe Sie in seiner Wohnung gesucht?“
„Sonny Ricone wollte sicher gehen, dass sich dort nicht noch irgendwelche Sachen zu finden wären, die ihn mit Mancuso in Verbindung bringen konnten.“
![]() | ![]() |

![]() | ![]() |

17


Norman Brodie wurde vom Emergency Service übernommen. Zwei Beamte der eintreffenden City Police begleiteten ihn während seines Abtransports. Außerdem wurde noch ein Einsatzwagen als Eskorte abgestellt. Norman Brodie wurde in die Gefängnisklinik auf Rikers Island gebracht.
Nach und nach schafften es die Kollegen vom Fire Service in enger Zusammenarbeit mit der City Police, die Straße wieder frei zu machen. Das Mercedes Coupé wurde als Beweisstück konfisziert.
„Ich wette, der bekommt von Sonny Ricone einen besonders guten Anwalt und ist nach ein paar Stunden wieder draußen.“
„Er hat FBI-Agenten angegriffen“, gab ich zu bedenken. „Und bei Angriffen auf Gesetzeshüter kennen weder die Richter noch später die Jury irgendein Pardon.“
Milo kratzte sich nachdenklich am Kopf, während wir zum Hotel zurückgingen. „Der Kerl hat hier herumgeballert wie ein Wahnsinniger.“
„Allerdings, Milo! Und um ein Haar hätte er mich auch getroffen.“
„Aber warum diese heftige Gegenwehr, Jesse? Das ergibt doch keinen Sinn!“
Ich zuckte mit den Schultern. „Wieso nicht? Er wollte sich einfach nicht gerne verhaften lassen!“
„Wenn es wirklich Notwehr war, dann hätte er doch nichts zu befürchten. Und da er innerhalb eines Privatgrundstücks geschossen hat, wäre das dann noch nicht einmal ein Verstoß gegen die Waffengesetze gewesen! Und trotzdem schießt der Kerl um sich, als würde es für ihn um Leben und Tod gehen.“
„Immerhin - der Einbruch ist eine Tatsache, für die er – zusammen mit dem Angriff auf uns – die Quittung erhalten wird.“
„Trotzdem, Jesse. Du kannst es drehen und wenden, wie du willst, seine Reaktion ist damit nicht erklärbar.“
„Wenn man voraussetzt, dass alle Menschen zu vernünftigen Reaktionen neigen, hättest du Recht, Milo.“
Etwas später befragten wir den Portier, während bereits die ersten Kollegen vom Erkennungsdienst sich in der Eingangshalle des Hotels breit machten. Eins schien wohl auf jeden Fall festzustehen. Die Geschäfte, die im Hotel Parrinder stattfanden, würden wohl zum Erliegen kommen, solange wir hier ermittelten. Wer wollte schon gerne unter den Augen des Gesetzes mit einer Prostituierten erwischt werden?
Der Portier Brad Myers und gab uns etwas unwillig Auskunft. Immerhin bestätigte er die Geschichte, die Norman Brodie uns erzählt hatte.
Über Eileen Genardo wusste er angeblich nichts Näheres.
„Wie ich Ihnen schon einmal sagte, hier werden nur Zimmer vermietet. Manche dauerhaft, andere nur stundenweise. Von wem Miss Genardo Besuch bekam, wie oft oder womit sie ihr Geld verdiente, geht mich nichts an.“
„Wo finden wir Mister Ricone?“, fragte ich.
„Er bewohnt ein Penthouse über dem ‚Hidden Joy’. Soll ich dort anrufen?“
„Ja, bestellen Sie ihn ruhig her“, schlug ich vor.
In der Zwischenzeit hatten unser Erkennungsdienstler Sam Folder und Mell Horster einen Blutfleck auf dem Boden gefunden. Zwar war der Boden der Eingangshalle gründlich gereinigt worden, aber es gab noch immer kleinste Blutreste die Sam mit Luminol sichtbar machte.
„Über einen DNA-Vergleich können wir feststellen, ob es sich um das Blut von Jack Mancuso handelt“, meinte er.
Etwas später wurde auch ein Einschussloch in der Wand hinter der Rezeption entdeckt. Es war frisch zugespachtelt worden und sollte durch ein Bild verborgen werden.
Zur Verstärkung tauchten unserer Kollegen Fred LaRocca und Josy O'Leary am Ort des Geschehens auf.
Wir machten uns systematisch daran, erstens Eileen Genardos Zimmer nach Hinweisen zu durchsuchen und zweitens die anderen Bewohnerinnen des Hotels zu befragen.
Leider erwiesen sich die als wenig gesprächig. Angeblich hatte keine der jungen Frauen, die hier einquartiert waren, näheren Kontakt zu Eileen gehabt.
Das Gegenteil konnten wir ihnen leider nicht beweisen.
Das Telefon auf Eileens Zimmer war ein altmodisches Modell ohne Display. Aber über die Anruflisten der Telefongesellschaft konnten wir vielleicht näheres über ihre Freier erfahren, von denen sie möglicherweise einer umgebracht hatte. Wir fanden außerdem ein handschriftliches Verzeichnis von Telefonnummern. Dahinter waren jeweils nur Vorname oder Abkürzungen angegeben.
Unsere Innendienstler würden die zu den Nummern gehörenden Anschlüsse im Handumdrehen herausbekommen.
„Vielleicht ist ja ein Treffer dabei“, hoffte Milo.
„Kommt immer darauf an, was man als Treffer bezeichnet“, erwiderte ich.
„Zum Beispiel jemanden, der schon mal einschlägig aufgefallen ist.“
„Warten wir es ab.“
![]() | ![]() |

![]() | ![]() |

18


Ein ziemlich lautes Stimmengewirr brachte uns dazu, in die Eingangshalle zurückzukehren, um zu sehen, was dort los war.
Unsere irischstämmige Kollegin Josy O'Leary war in ein ziemlich heftiges Wortgefecht mit Sonny Ricone verwickelt. Ich erkannte Ricone sofort von den Polizeifotos, die man sich über NYSIS ansehen konnte. Er war ziemlich ungehalten, aber man konnte beim besten Willen nicht verstehen, worüber er sich nun eigentlich so aufregte.
„Myers hat ihn offenbar schon in Grundzügen informiert“, stellte ich fest.
Wir gingen die Freitreppe hinunter.
Ricone schwieg auf einmal und starrte uns an.
„Ich habe Mister Ricone zu erklären versucht, was wir hier tun, aber er hat leider nicht viel Verständnis dafür“, sagte Josy.
„Guten Tag, Mister Ricone. Ich denke, wir können uns in gepflegterer Atmosphäre unterhalten, oder?“, begrüßte ich ihn.
„Wenn Sie meinen Rausschmeißer verhaften und außerdem noch die Privatsphäre meiner Hotelbewohner missachten!“, hielt er mir entgegen und verschränkte die Arme vor der Brust. Dabei reckte er sich hoch empor, sodass er Ähnlichkeit mit einem Soldaten hatte, der Haltung annahm.
„Norman Brodie ist verhaftet worden und auf Sie wird auch noch ein Verfahren im Zusammenhang mit Jack Mancusos Tod zukommen!“ Während ich das sagte, hielt ich ihm meinen Ausweis unter die Nase.
„Wieso ich?“
„Sie hängen mit drin, weil auf Ihre Veranlassung hin die Leiche verschwinden sollte!“
„Dann verhaften Sie mich doch!“, meinte er provozierend und hielt mir seine überkreuzten Arme entgegen. „Na, los!“
„Keine Sorge, Sie werden schon vor Gericht kommen“, versicherte ich ihm. „Einstweilen könnten Sie uns noch verraten, wieso Sie Ihrem Bluthund befohlen haben, die Leiche verschwinden zu lassen, wenn es wirklich Notwehr war?“
Er grinste schief. „Erstens dürfte es Ihnen angesichts der Tatsache, dass es mehrere Zeugen gibt, schwer fallen, das Gegenteil zu beweisen. Und zweitens hatte Jack...“ Er zögerte.
„Na los!“, forderte ich ihn auf. „Sie können Jack nicht mehr schaden, wenn Sie etwas Unschmeichelhaftes über ihn erzählen!“
Er sprach in einem gedämpften Tonfall weiter und kam etwas näher. „Ich möchte, dass Sie keinen falschen Eindruck von Jack bekommen. Er war früher bei mir Türsteher im ‚Hidden Joy’. Aber die Zeiten sind lange vorbei. Er hat ein paar Jahre an der Nadel gehangen und vielleicht hat das seine Persönlichkeit verändert. Jedenfalls hat er seit einiger Zeit ziemlich schlechten Umgang.“ Sonny Ricone grinste. „Er soll häufig mit Jaden Nichols gesehen worden sein.“
Ein Krieg unter Zuhältern!, dachte ich. Das ist genau das, was uns im Moment noch fehlt.
„Sind Sie mit diesem Nichols verfeindet?“, fragte Milo.
„Er macht mir das Leben zur Hölle, wo er nur kann“, berichtete Ricone. „Wir hatten vor acht Wochen eine Razzia im Club ‚Hidden Joy’. Es stellte sich heraus, dass jemand Rattendreck in die Küche gebracht hatte, damit das Gesundheitsamt die Zulassung zurücknimmt. Da steckten auch die Leute von Jaden Nichols dahinter.“
„Sind Sie mit diesen Vorwürfen zur Polizei gegangen?“
Sonny Ricone lachte heiser. „Machen Sie Witze? Jedenfalls denke ich, dass Nichols hinter Jack Mancusos Auftritt steckt.“
„Es soll um eine Ablösesumme für Eileen Genardo gegangen sein.“
Ricone verzog das Gesicht. „Wollen Sie jetzt, dass ich mich selbst belaste und Sie mich wegen Zuhälterei einbuchten können? Versuchen Sie so etwas gar nicht erst! Das haben schon Ihre Kollegen vom Vice nicht geschafft und Sie werden sich auch die Zähe ausbeißen. Es gibt hier keine Ablösesummen! Und das Wort Prostitution kommt in meinem Wortschatz gar nicht vor.“
Er hob erneut die Hände und kreuzte sie übereinander. „Was ist? Bringen Sie mich nach Rikers? In einem halben Tag bin ich wieder draußen!“
„Verlassen Sie in nächster Zeit die Stadt nicht. Es könnte sein, dass wir noch ein paar Fragen an Sie haben“, sagte ich.
Und Milo ergänzte: „Der Staatsanwalt wird Ihnen wahrscheinlich wegen Behinderung der Justiz an den Karren fahren. Schließlich haben Sie dafür gesorgt, dass die Schießerei hier im Hotel Parrinder vertuscht wurde, anstatt zur Polizei zu gehen.“
Sonny Ricone grinste. „Ich stand unter Schock!“, erklärte er.
Ich gab ihm meine Karte. „Falls Sie noch etwas wissen, was für uns interessant sein sollte, sagen Sie uns das bitte. Sie könnten damit im Hinblick auf das Verfahren, das Sie erwartet, schon mal ein paar Punkte bei der Staatsanwaltschaft sammeln...“
![]() | ![]() |

![]() | ![]() |

19


Ein kühler Wind strich durch die Häuserzeilen von Brooklyn, als wir das Hotel Parrinder verließen. Schräg gegenüber befand sich eine Snack Bar und da uns erstens der Magen knurrte und wir zweitens unsere bisherigen Ermittlungsergebnisse resümieren wollten, begaben wir uns dort hin. Zuvor gingen wir mit dem Rechner unseres Sportwagens kurz online, um über NYSIS die verfügbaren Daten abzurufen, die über Jaden Nichols vorhanden waren.
Wir wussten ja bereits, dass er der Vorbesitzer des ‚Hidden Joy’ gewesen war und den Club unter dubiosen Begleitumständen an Sonny Ricone verloren hatte.
„Also fest steht, dass hier im Hintergrund eine Zuhälterfehde läuft“, stellte Milo fest. „Und das schon seit Jahren.“
„Zeitgleich mit dem ersten Mord des Barbiers“, murmelte ich.
„Du willst doch nicht behaupten, dass das eine mit dem anderen zusammenhängt!“, erwiderte Milo. „Der Barbier ist ein Psychopath und...“
„Ich habe nur laut gedacht, Milo.“
Die Snack Bar war im Stil eines Diners aus den Fünfzigern gehalten. Wir nahmen jeder einen Hot Dog und Kaffee. Milo zusätzlich noch einen Salat.
„Man soll ja auch auf die Vitamine achten“, meinte er grinsend.
„Sieh mal, wer dort ist!“
Eine dunkelhaarige Frau in einem konservativ geschnittenen Business Kostüm saß an einem Tisch am Fenster für sich allein. Von ihrem Platz aus hatte sie eine hervorragende Aussicht auf die Vorderfront des Hotel Parrinder.
Ihr elegantes Äußeres wirkte schon als starker Kontrast zu der eher schlicht gehaltenen Einrichtung der Snack Bar. Ein Fast Food Fan schien sie auch nicht zu sein, denn vor ihr stand nur eine Tasse Kaffee.
Sie blickte nachdenklich hinaus auf die Straße.
„Wer soll das sein?“, fragte Milo.
„Ist dir die Lady nicht aufgefallen? Eine besonders dreiste Gafferin am Heckscher Playground, die wohl glaubte, dass das Flatterband nur zur Zierde gespannt worden ist!“
„Und du glaubst nicht daran, dass sie zufällig hier ist?“
„Jedenfalls passt ihr Aufzug weder zu dieser Snack Bar, noch zu den Girls, die für Sonny Ricone anschaffen gehen!“
„Sag das nicht zu laut, sonst verklagt dich Sonny Ricone wegen übler Nachrede, Jesse!“
Wir traten an den Tisch der Dunkelhaarigen.
„Guten Tag.“
Ein Ruck durchfuhr sie.
Ich zeigte ihr meinen Ausweis. „Jesse Trevellian, FBI. Vielleicht erinnern Sie sich. Wir sind uns kürzlich auf dem Heckscher Playground begegnet.“
Einen Augenblick wirkte sie etwas verunsichert. „Natürlich erinnere ich mich“, erwiderte sie.
„Dies ist mein Kollege Spezial Agent Milo Tucker. Haben Sie etwas dagegen, wenn wir uns zu Ihnen setzen?“
„Nein. Ich bin auch schon so gut wie fertig.“
Wir setzten uns. Mir fiel auf, dass ihr Kaffee nicht mehr dampfte und wohl längst kalt geworden war.
Ich begann meinen Hot Dog zu essen.
Seit dem Frühstück hatte ich nichts mehr zwischen die Zähne bekommen und dasselbe galt auch für Milo.
„Haben Sie inzwischen etwas Neues über den Mörder herausgefunden, der für den Tod der jungen Frau im Central Park verantwortlich war?“
„Die Ermittlungen sind zäh“, sagte ich.
„Die Zeit spielt immer für den Mörder, nicht wahr?“
„Das ist leider so.“
„Ich habe gelesen, dass dieser Barbier schon seit Jahren sein Unwesen treibt, aber in letzter Zeit besonders aktiv geworden ist. Was glauben Sie, wie lange es noch dauern wird, bis Sie den Kerl haben. Sie gehen doch davon, dass es ein Kerl ist oder?“
Ich nickte. „Die statistische Wahrscheinlichkeit spricht dafür. Derzeit ist uns ein Psychologe zugeordnet. Seiner Analyse nach ist der Täter zwischen 25 und 35 Jahre alt, männlich, und fiel als Kind durch Tierquälerei, Aggression gegenüber Mitschülern und so weiter auf.“
„Was glauben Sie, weshalb er jetzt plötzlich so aktiv geworden ist und mehrere Morde innerhalb relativ kurzer Zeit verübte?“
„Ein Auslöser könnte ein besonderer Stress durch eine Umbruchsituation in seiner Lebensführung sein. Verlust des Jobs oder der Partnerin zum Beispiel.“
Sie lächelte.
„Interessant in welcher Reihenfolge Sie das sagen, Agent Trevellian.“
„Wenn der Täter ein Mann ist, kann der Verlust des Jobs tatsächlich mit mehr Stress verbunden sein als eine Scheidung.“ Ich machte eine Pause und fuhr schließlich fort: „Was ich Ihnen bis jetzt gesagt habe, hätten Sie selbst in jedem Lehrbuch nachlesen können. Wenn wir uns richtig über die Sache unterhalten wollen, müsste ich schon wissen, mit wem ich es zu tun habe...“
„Oh, das tut mir leid.“
Sie zeigte mir einen Presseausweis. Danach hieß sie Donna McNolan und war freie Reporterin.
„Da Sie kein Kamera- oder Sound-Team in Ihrer Nähe haben, gehe ich davon aus, dass Sie zur schreibenden Zunft gehören“, sagte Milo.
Sie wandte den Kopf in Richtung meines Kollegen und lächelte hintergründig. Ein Blick, den ich nicht wirklich einzuschätzen wusste. „Als FBI-Agent sollten Sie doch wissen, dass die Kamera- und Aufnahmetechnik heute so winzig geworden ist, dass Sie schon mit einem falschen Knopf in exzellenter Qualität filmen können!“
„Ich hoffe nicht, dass das hier so etwas wie die Versteckte Kamera ist“, gab ich zurück.
Sie schüttelte den Kopf. „Keine Sorge. Sie hatten Recht. Ich schreibe.“
„Und gegenwärtig recherchieren Sie über den Barbier?“
„Ja.“
„Ich habe gleich gewusst! Es konnte kein Zufall sein, dass wir Ihnen am Heckscher Playground und hier begegnet sind. Woher wussten Sie, dass Eileen Genardo hier wohnte?“
„Ich...“ Sie stockte. Dann setzte sie noch einmal an und brach erneut ab. Irgendwie schien meine Frage sie etwas durcheinander gebracht zu haben. „Wie gesagt, ich recherchiere schon länger in der Sache und habe mit Susan Michaels gesprochen, einer Bekannten von Gail Montgomery.“
„Dem Opfer Nummer eins“, stellte ich fest.
„Richtig. Der Fall Gail Montgomery liegt ja bereits sieben Jahre zurück. Inzwischen ist Susan mehrfach umgezogen und jetzt wohnt sie hier.“
Ich zog einen Zettel aus der Innentasche meines Jacketts, auf dem ich mir die Personalien der Bewohnerinnen des Hotel Parrinder notiert hatte. Eine Susan Michels war dabei. Sie war von unserem Kollegen Fred LaRocca befragt worden. Angeblich hatte sie keine sachdienlichen Angaben machen können.
„Sie ist da drin! Warum gehen Sie nicht einfach hinein und sprechen mit ihr?“, fragte ich.
„Ich war bereits im Hotel. Aber man hat mich wieder vor die Tür gesetzt, als ich begonnen habe, Fragen zu stellen. Jetzt hoffe ich, dass Susan Michaels irgendwann mal vor die Tür geht, damit ich sie abpassen kann.“
„Wie kommen Sie darauf, dass Susan Michaels wichtige Angaben machen könnte?“
„Damals, im Fall Montgomery, war sie sehr redselig. Wir hatten uns beinahe etwas angefreundet, wenn das der richtige Ausdruck ist. Ich machte eine Reportage über die Prostitution in New York gemacht, wie die Frauen dieses Doppelleben in der Illegalität verkraften und so weiter. Natürlich wurde Susan darin nicht namentlich erwähnt, dann hätte ihr Zuhälter sie so grün und blau geschlagen, dass sie nie wieder hätte arbeiten können.“
„Unserem Kollegen LaRocca gegenüber gab sie sich eher verschlossen“, antwortete ich.
„Kein Wunder. Dieser Sonny Ricone ist ein brutaler Hund. Jedenfalls sagt man das über ihn. Ich kann schon verstehen, dass sie vorsichtig ist. Aber mir vertraut sie, denke ich.“
„Was hat Sie Ihnen damals gesagt?“
„Susan Michaels kam zu einem unserer Treffen mit kahl rasiertem Kopf. Man konnte sehen, dass da kein Meisterfrisör seine Hand im Spiel hatte. Jemand hatte ihr mit einer Rasierklinge ziemlich grob die Haare abrasiert. Der Kopf war übersät von kleineren Schnittwunden. Ich dachte erst, ihr Zuhälter hätte unseren Kontakt bemerkt und sie bestraft.“
„Dann hätte er sich selbst bestraft, weil sie doch so nicht mehr arbeiten konnte, wie ich annehme“, ergänzte Milo.
„Notfalls gibt es Perücken“, erwiderte Donna McNolan.
„Wer war ihr Zuhälter damals?“
„Jaden Nichols.“
„Sieh an! Ein alter Bekannter!“, sagte ich. „Hatte er was damit zu tun?“
Donna McNolan schüttelte den Kopf. „Sie sprach von einem perversen Freier, der Spaß daran hätte, einer Frau die Haare abzuschneiden. Und zwar auf die grobe Tour. Wenig später war Gail Montgomery dann tot.“
„Warum hat Susan nie gegenüber der Polizei diesen Kerl erwähnt?“, fragte Milo. „Wir sind die Protokolle von damals mal durchgegangen, aber davon stand da nichts drin, da bin ich mir sicher.“
„Ich denke, Jaden Nichols hat ihr damals den Mund verboten.“
„Wie kam es, dass Susan jetzt für Sonny Ricone arbeitet?“
„Das hing irgendwie mit dem Besitzerwechsel im ‚Hidden Joy’ zusammen.“
„Sie meinen, Susan Michaels gehörte zur Handelsmasse?“
„Das klingt menschenverachtend, aber Sie wissen ja wohl besser als ich, wie brutal die Regeln in diesem Geschäft sind. Susan hat es mir nie genau gesagt, aber es war wohl so, wie Sie vermuten.“
Milo mischte sich jetzt in das Gespräch ein. „Vielleicht sollten wir beide Susan Michaels noch einmal wegen diesem Perversen auf den Zahn fühlen“, meinte er. „Schließlich könnte es doch sein, dass der in letzter Zeit wieder in der Gegend aufgetaucht ist und er irgendwann dazu überging, die Frauen nicht nur zu rasieren, sondern auch zu töten.“
„Ja, aber bevor wir das versuchen, sollen wir Miss McNolan eine Chance lassen. Ich denke, dass Susan Michaels ihr gegenüber offener ist. Wir können immer noch mit einer regulären Vorladung kommen.“ Ich schob Donna McNolan meine Karte über den Tisch. „Rufen Sie mich an, sobald Sie mit Susan gesprochen haben.“
„Ja, aber wie Sie sehen, kann das noch etwas dauern!“
„Ihre Nummer hätte ich auch gerne.“
Sie schob mir ebenfalls eine Visitenkarte über den Tisch.
„Wir hören voneinander“, versprach sie.
![]() | ![]() |
