Kitabı oku: «Sommer Bibliothek 11 besondere Krimis», sayfa 27
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Am nächsten Morgen lag eine Kopie des Obduktionsberichts von 'Smith' auf dem Schreibtisch des Dienstzimmers, das Milo und ich uns seit ewigen Zeiten im FBI-Headquarter teilten.
Ich überflog die Ergebnisse.
Mit Überraschungen rechnete ich nicht.
Milo hatte indessen den Bericht der Ballistik vor sich.
Auch der enthielt keine Überraschungen. Wir hatten es jetzt amtlich, dass Lansing, Manzaro und Ridger mit Smith' Waffe erschossen worden waren.
Aber das hatte ohnehin niemand von uns noch ernsthaft in Zweifel gezogen.
"Nichts Weltbewegendes also", meinte Milo.
Ich stutzte, als ich die Photos des Obduktionsberichts betrachtete.
"Was ist los?", fragte Milo.
Ich zeigte ihm das Foto, das plötzlich meine Aufmerksamkeit gefesselt hatte.
Es zeigte den Rücken des toten Smith.
Zwischen den Schulterblättern war deutlich eine Tätowierung zu sehen. "Siehst du das hier?", fragte ich und deutete dabei auf die entsprechende Stelle.
"Ja, und?"
"Sally Hiram hat das gleiche Zeichen auf dem Rücken."
"Dann schlage ich vor, dass wir die Lady mal danach fragen", schlug Milo vor.
Ich griff zum Telefon und wählte die Nummer von Sally Hirams New Yorker Wohnung. Vergeblich. Es nahm niemand ab.
Dann rief ich die beiden Kollegen an, die zur Zeit mit Sallys Überwachung beauftragt waren. Agent Cronin meldete sich. Er war noch ziemlich neu in unserem Field Office. Er hatte gerade seine Prüfung an der FBI-Akademie in Quantico abgelegt.
"Mrs. Hiram muss in ihrer Wohnung sein", war er überzeugt.
"Gut", sagte ich. "Wir sind gleich bei euch."
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Die beiden Möbelpacker schoben die mannshohe Kiste auf Rädern durch den Eingang des Apartmenthauses. Die Schiebetür öffnete sich selbsttätig.
Überwachungskameras folgten dabei jeder ihrer Bewegungen.
Ein dunkel gekleideter Security-Mann ging auf sie zu. Er schob sich die Uniformmütze etwas in den Nacken. "Moment mal, zu wem wollen sie damit?"
Einer der Möbelpacker - ein grauhaariger, hagerer Mann mit hervorspringenden Wangenknochen - zog einen Lieferschein aus der Gesäßtasche und las dann vor. "Mrs. Sally Hiram", erklärte er.
"Einen Augenblick. Ich werde eben bei Mrs. Hiram nachfragen, ob das seine Richtigkeit hat."
Der Möbelpacker machte eine wegwerfende Handbewegung.
"Meinetwegen. Hauptsache, das dauert keine Ewigkeit. Für uns ist Zeit nämlich Geld, wenn Sie wissen, was ich meine..."
"Ja, ja..."
"Wir sollen das Ding hier abliefern und damit fertig, der Rest interessiert uns nicht."
"Was ist denn in der Kiste drin?"
"Ein Schrank."
"Von welcher Firma kommen Sie?"
"Lewis Express!"
Der Wachmann musterte die beiden Möbelpacker kurz. Der Hagere griff in die weite Seitentasche seines Blaumanns.
Seine Rechte umfasste den zierlichen Griff eine 22er Revolver.
Wenn es sein musste, konnte er die Waffe blitzschnell herausreißen.
Der Wachman ging zu seinem Kollegen, der in einem mit Panzerglas gesicherten Büro saß.
Die beiden Möbelpacker beobachteten ihn aufmerksam.
Schließlich kehrte der Wachmann zurück.
"Alles in Ordnung", erklärte er. "Aber nehmen Sie mit dem Riesending da bitte den Lastenaufzug!"
"Okay", sagte der Hagere.
Er ließ den Revolvergriff los. Seine Körperhaltung entspannte sich. Ein kaltes Lächeln spielte um seine dünnen Lippen.
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Die Straßen waren ziemlich verstopft und so brauchten wir fast zwanzig Minuten, um bis zur New Yorker Adresse der Hirams vorzudringen.
Am Eingang hielten uns die Mitarbeiter eines privaten Sicherheitsdienstes auf. Sie wollten über die Haussprechanlage bei Sally Hiram nachfragen, ob ihr unser Besuch auch genehm wäre.
Als Milo und ich ihnen unsere FBI-Dienstausweise unter die Nase hielten, verzichteten sie darauf.
"Es war vor einer halben Stunde schon einmal jemand da, der zu Mrs. Hiram wollte", berichtete uns einer der Wachleute.
Ich hob die Augenbrauen.
"Ach, ja?"
"Möbelpacker, die einen Schrank brachten."
Und so standen wir wenig später vor der Wohnungstür der Hirams.
Ich klingelte.
Niemand machte auf.
Ich versuchte es noch einmal.
"Irgendetwas stimmt da nicht", meinte Milo.
Er hatte die P226 bereits aus dem Gürtelholster herausgezogen und sich seitlich der Tür postiert.
Sally Hiram hatte das Telefon nicht abgenommen und nun machte sie die Tür nicht auf. Aber nach Aussage unserer Agenten war sie zweifellos noch im Haus. Und auch das, was die Wachmänner uns gesagt hatten, deutete darauf hin.
Mir schwante nichts Gutes.
Was, wenn die Möbelpacker in Wirklichkeit etwas ganz anderes gewesen waren.
Innerlich fluchte ich darüber, dass man unerfahrene Neulinge mit Sallys Überwachung betraut hatte.
Ich zog ebenfalls die Waffe.
"Mrs. Hiram! Hier ist der FBI! Machen Sie die Tür auf!"
Wieder keine Antwort.
Ich wechselte einen kurzen Blick mit Milo. Mein Partner nickte. Mit einem gezielten Tritt öffnete ich die Tür. Sie sprang auf. Mt der Waffe im Anschlag stürmte ich in den Raum, drehte mich herum.
Es war niemand da.
Milo folgte mir.
Ich erreichte die Tür zum Wohnzimmer. Auch sie öffnete ich mit einem Fußtritt. Mit einem ächzenden Geräusch flog sie zur Seite. Mein Blick schweifte durch das großzügig angelegte Wohnzimmer.
"Niemand da", stellte ich fest.
Milo nahm sich Küche und Bad vor, ich mir das Schlafzimmer und dann den begehbaren Kleiderschrank. Aber von Sally Hiram war nirgends eine Spur zu finden.
Ich steckte die Waffe ein.
"Wie vom Erdboden verschluckt", hörte ich Milo kopfschüttelnd sagen. Er blickte sich um und setzte dann hinzu: "Nirgends die Spur einer Gewalteinwirkung zu sehen."
"Das sollen sich unsere Spurensicherer mal genau ansehen", presste ich zwischen den Zähnen hindurch.
Dann griff ich zum Handy, um die Fahndung nach Sally Hiram einzuleiten.
Ich hoffte nur, dass wir sie lebend fanden.
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Nachdem wir die Wachmänner befragt hatten, ließ sich zumindest vermuten, was geschehen war. Die angeblichen Möbelpacker waren mit einer großen Kiste bis zu Sally Hirams Wohnung vorgedrungen. Später hatten sie diese Kiste wieder mitgenommen. Aller Wahrscheinlichkeit nach hatte sich Sally darin befunden.
Oder ihre Leiche.
Je nachdem, ob es sich nun um einen Mord oder eine Entführung handelte.
"Ich hatte sie eindringlich gewarnt", sagte ich irgendwann zu Milo. "Sie hätte mit uns zusammenarbeiten sollen..."
"Die Fahndung nach ihr läuft. Mehr können wir im Moment nicht tun, Jesse", sagte Milo.
"Ich weiß."
Unsere Erkennungsdienstler nahmen sich die Hiram-Wohnung sehr gründlich vor. Es fanden sich keinerlei Fingerabdrücke.
Nicht einmal von Sally Hiram. Das war mehr als seltsam. Es sah fast so aus, als hätte da jemand auf Nummer sicher gehen wollen und und alles an Spuren beseitigt.
Die Einrichtung war sehr unpersönlich. Die Wohnung wirkte fast wie ein Hotelzimmer. Kaum persönliche Stücke darin.
Keine Zeitschriften, nur eine Handvoll Bücher. Die Fortsetzung von "Vom Winde verweht", eine Bibel und eine Ausgabe des "Kleinen Prinzen" von Saint-Exuperie. Das war alles.
"Vielleicht waren die Hirams nicht oft in dieser Wohnung, seit George keinen Zugang mehr zu den Labors hatte", versuchte Milo eine Erklärung dafür zu finden.
"Oder es hat jemand sehr gründlich aufgeräumt", erwiderte ich.
"Hast du irgendeine Theorie, Jesse?"
"Sobald ich eine habe, weißt du sie als erster, Milo."
Milos Handy schrillte.
Er sagte nur zweimal kurz hintereinander "Ja", nachdem er sich zuvor mit "Agent Tucker" gemeldet hatte.
Milos Gesicht verlor jegliche Farbe.
Selten zuvor hatte ich ihn so erschrocken gesehen.
"Was ist los?", fragte ich.
"Das war die Zentrale", erklärte er. "Im Saint James Hospitel in Queens wurde heute ein Mann eingeliefert, der eindeutig Symptome der Pest aufweist."
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Das Licht war im ersten Moment furchtbar grell. Sally Hiram kniff die Augen zusammen und hob die Hand. Aber die Helligkeit war überall. Scheinwerfer leuchteten von allen Seiten. Eine kräftig zupackende Hand ergriff ihren Oberarm und half ihr, aus der großen Kiste herauszuklettern.
Undeutlich nahm Sally die beiden Möbelpacker wahr.
Aber da war noch eine dritte Gestalt.
Sie hob sich als dunkler Schemen gegen das grelle Licht ab, schritt langsam näher.
"Es ist schön, dich wieder bei uns zu wissen, Schwester Sally", sagte die Gestalt. Die Stimme war sehr tief. Die verhallte Akustik in diesem Raum gab ihr etwas Überlegenes, Allgewaltiges.
Die Gestalt kam näher.
Das Licht der Scheinwerfer beleuchtete ein kantiges, männliches Gesicht. Das sanfte, fast entrückte Lächeln stand im Widerspruch dazu. Der Blick der dunkelbraunen Augen hatte eine geradezu hypnotische Intensität. Der Mann hatte langes, fast weißes Haar, das in seinem Nacken zu einem Zopf zusammengefasst war.
Der Weißhaarige breitete die Hände aus.
Sally blieb stehen.
Sie wagte es nicht, in seine Augen zu sehen. Sie senkte den Blick, starrte auf das goldene Amulett, das ihr Gegenüber an einer Kette um den Hals trug.
Es hatte die Größe einer Faust.
Und es zeigte drei Kreuze, die sich deutlich von einer kreisförmigen Grundfläche abhoben.
Der Weißhaarige wandte sich kurz an die Möbelpacker.
"Ihr könnt gehen!"
Sie gehorchten wortlos und verschwanden durch seitlich gelegene Türen.
"Wo bin ich?", fragte Sally dann.
"Ist das von Bedeutung, meine Schwester im Glauben?" Der Weißhaarige trat näher, seine Hände berührten Sallys Schultern. "Vertrau mir. Oder hast du je Grund dazu gehabt, dies nicht zu tun?"
"Nein."
"Ich weiß, dass ein steiniger Weg der Prüfungen hinter dir liegt, meine Schwester."
"Es war so furchtbar..."
"Sei getrost! Die Tage der Herrschaft des Bösen sind gezählt! Der HERR vernichtete Sodom und Gomorra, und das sündige Babylon ist zu Staub zerfallen... Er wird auch New York, das neue Babylon, richten..."
Sally hob den Kopf. Einen Augenblick lang blickte sie in das unheimliche Feuer dieser hypnotischen Augen.
"Wann?", fragte sie.
"Sehr bald, meine Schwester. Die Zeit der Reinigung hat schon begonnen. Bald schon wird man das Wehklagen in den Straßen hören - so wie damals, als der Herr den Todesengel ausschickte, um die Häuser der Ägypter heimzusuchen. Aber diesmal wird es noch viel furchtbarer sein!"
Er sah Sally an. Sie wandte den Blick und schluckte. Er fasste ihr Kinn, zwang sie dazu, ihm direkt ins Gesicht zu sehen. "Was sind es für Gedanken, die dich quälen, meine Schwester?"
"Es ist nichts", wehrte sie ab.
"Vor mir kannst du nichts verbergen. Genauso wenig, wie vor Gott. Ich bin sein Gesandter, und ich blicke bis zum Grund deiner kleinen Seele! Du kennst die Gesetze unserer Gemeinschaft."
"Ja", flüsterte sie schluckend.
"Keine Geheimnisse."
"Keine Geheimnisse", wiederholte sie, fast wie in Trance.
Ihre Lippen murmelten diese Worte fast wie automatisch.
"Du weißt, wer ich bin?"
"Du bist der letzte Prophet", murmelte Sally. "Der Prophet der Apokalypse, gesandt von Gott."
"Also gehorche!"
Sally atmete tief durch. Die Stimme des Weißhaarigen klang eiskalt und unerbittlich. Du musst ihm alles sagen, hämmerte es in ihr. Alles!
"Ich frage mich, ob es richtig ist, was wir tun", sagte sie dann zögernd.
"Seit wann stellst du dir diese Frage?"
"Ich weiß nicht. Sie war einfach da..."
"Seit wann?", wiederholte der Weißhaarige scharf.
"Seit vorgestern."
Der Weißhaarige strich ihr über das Haar. "Du hast lange im Einflussbereich des Bösen leben müssen. Vielleicht zu lange... Deine Gedanken sind Einflüsterungen Satans. Nichts anderes."
"Ja", murmelte sie.
"Wir haben jedes Recht, das zu tun, was der Plan des Höchsten ist!"
"Ja."
"Wir handeln nicht anders, als jemand, der Ungeziefer zertritt!"
"Ich bin eine Närrin!"
"Nur verwirrt, meine Schwester!"
"So wird es sein!"
"Sterben soll die wiedererstandene Hure Babylon! Sterben soll New York!" Der Weißhaarige ballte dabei beschwörend die Hände zu Fäusten. Allmählich entspannte sich sein Gesichtsausdruck etwas. Die Ahnung eines Lächelns kehrte zurück. "Und nun berichte mir, meine Schwester..."
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Als wir die Quarantäne-Abteilung des St. James Krankenhauses in Queens erreichten, trafen wir dort den Epidemiologen Dr. James Satory wieder. In seinem Schlepptau befand sich ein grauhaariger Schwarzer, dessen Hände tief in die Taschen seines blütenweißen Kittels vergraben waren.
"Trevellian, FBI", stellte ich mich mit dem Ausweis in der Hand vor. "Dies ist mein Kollege Agent Tucker."
Der Schwarze nickte stirnrunzelnd.
"Ich bin Dr. Miles Gray", erklärte er. "Ich habe schon mit Dr. Satory gesprochen und..."
"Wir möchten gerne mit dem Patienten sprechen", sagte ich.
"Ich fürchte, das ist unmöglich", erwiderte Dr. Gray. "Der Mann ist vor wenigen Augenblicken gestorben. Wir haben getan, was wir konnten, aber sein Allgemeinzustand war einfach zu schlecht..."
"Seit wann ist der Mann hier eingeliefert gewesen?", fragte ich.
"Seit heute Morgen."
Ich wandte mich an Satory. "Warum erfahren wir erst jetzt davon?"
"Die Symptome sind den Ärzten heute nicht mehr so geläufig, Mr. Trevellian."
"Sobald wir sicher waren, haben wir den Fall gemeldet", verteidigte sich Gray. Ich ballte innerlich die Fäuste.
"Schon gut", sagte ich.
"Dr. Satory hat mir erläutert, dass dieser Mann vermutlich von genveränderten Yersinia Pestis-Erregern befallen war, die durch ihre Antibiotika-Resistenz besonders gefährlich sind", murmelte Gray.
Ich warf Satory einen kurzen Blick zu. Dann sagte ich an Gray gewandt: "Das ist eine streng vertrauliche Information."
"Natürlich."
"Wie kam der Patient hier her?"
"Er muss sich bis zum Eingang der Notaufnahme geschleppt haben. Dort wurde er von Pflegern gefunden. Das war gegen 8.00 Uhr. Wie wir jetzt wissen, hatte er Lungenpest im letzten Stadium. Auf Grund des hohen Fiebers war er gar nicht mehr ansprechbar."
"Hatte er Papiere bei sich?"
"Sogar eine Karte seiner Krankenkasse."
Satory erklärte: "Sein Name war Aaron Jackson, er wohnte hier in Queens, 23 Cayard Street. Seine persönlichen Sachen sind unter Umständen infektiöses Material. Sie müssen ins Labor. Außerdem möchte ich, dass sich so schnell wie möglich ein Pathologe an die Obduktion macht. Sämtliche Personen, die mit Jackson oder seinen Sachen in Kontakt gekommen sind, müssen untersucht und gegebenenfalls unter einstweilige Quarantäne gestellt werden..."
"Wir tun, was wir können", versprach Gray.
"Hat Jackson Angehörige?", fragte ich.
"Er trug einen Ehering", sagte Gray. "Unter seiner Telefonnummer hat sich allerdings niemand gemeldet und es ist uns nicht gelungen, jemanden ausfindig zu machen."
"Wir brauchen ein Foto des Toten", sagte Milo.
"In Ordnung", erwiderte Gray. "Noch etwas?"
"Ja", sagte ich. "Ich möchte wissen, ob der Tote eine Tätowierung hat."
Auf Grays Stirn erschienen tiefe Furchen, als er fragend die Augenbrauen hob.
"Woher wissen Sie das, Agent Trevellian?"
"Lassen Sie mich raten: Drei Kreuze, genau in der Mitte zwischen den Schulterblättern."
Gray nickte. "Sie haben recht. Als ich den Patienten untersuchte, ist mir tatsächlich so eine Tätowierung aufgefallen..."
"Ich möchte, dass auch die fotografiert wird!"
"Jetzt?"
"Ja, unverzüglich! Wir haben nicht eine Sekunde zu verlieren!"
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32


Während Milo unseren Dienstwagen in Richtung Cayard Street lenkte, saß ich auf dem Beifahrersitz und betrachtete nachdenklich das Polaroid des Toten, das in der St. James Klinik gemacht worden war. Natürlich unter entsprechenden Sicherheitsmaßnahmen.
Aaron Jacksons Gesicht sah furchtbar aus.
Die grausame Krankheit hatte es zu einem Sinnbild des Todes werden lassen.
"Was wird hier eigentlich gespielt, Jesse?", fragte Milo in die bedrückte Stille hinein. "Dieser Mann muss irgendetwas mit dem Raub des CX-Behälters zu tun haben. Vielleicht wusste er nicht um die Gefährlichkeit des Inhalts..."
"Das ist eine Möglichkeit", murmelte ich vor mich hin.
"Und was denkst du?"
"Es ist genauso möglich, dass Jackson absichtlich infiziert wurde."
"Bakterien als Mordwaffe?"
"Es gibt einige Geheimdienste, die das in der Vergangenheit praktizierten. Etwa der Staatssicherheitsdienst der DDR, der nachweislich Tollwut-Erreger als Mordwaffe verwendete."
Milo atmete tief durch. "Es gibt noch eine dritte Möglichkeit, an die ich gar nicht zu denken wage: Irgendein Wahnsinniger infiziert mehr oder minder wahllos Menschen, um eine Epidemie auszulösen."
"Wer käme dafür in Frage?"
"Terroristen, Fanatiker aller Schattierungen, Psychopathen, die auf sich aufmerksam machen wollen... Oder Erpresser! Sag mal, hörst du mir eigentlich zu, Alter?"
Ich war in Gedanken.
"Weißt du, mich beschäftigen diese drei Kreuze zwischen den Schulterblättern. Smith, Sally Hiram und jetzt dieser Pest-Tote... Sie alle hatten dieses seltsame Symbol auf dem Rücken."
"Vielleicht sind wir schlauer, wenn wir uns Jacksons Wohnung unter die Lupe nehmen."
Wir erreichten die Cayard-Street. Die Nummer 26 war ein mehrstöckiger Klotz mit kleinen bis mittelgroßen Wohneinheiten. Hier lebten Leute, die vorwiegend in Manhattan arbeiteten, denen das Leben dort aber zu teuer geworden war.
Aaron Jackson wohnte in der dritten Etage.
Eine Frau Mitte dreißig öffnete uns die Tür. Sie hatte dunkelbraunes Haar mit leichtem Rotstich. Es war zu einem sehr streng wirkenden Knoten zusammengefasst. Das Kostüm, das sie trug, wirkte konservativ.
"Mein Name ist Jesse Trevellian, ich bin Special Agent des FBI", stellte ich mich vor. "Dies ist die Wohnung von Aaron Jackson?"
"Ja, aber... Was wollen Sie von meinem Mann? Er ist nicht hier."
"Sie sind Mrs. Jackson?"
"So ist es. Vielleicht erklären Sie mir mal, was das alles soll."
"Können wir einen Moment hereinkommen?", fragte ich. "Ich möchte das ungern auf dem Flur besprechen."
Sie sah zweifelnd von einem zum anderen.
"Bitte", sagte Milo. "Es muss sein."
Sie wurde bleich. Dann nickte sie. Sie führte uns in ein einfach eingerichtetes Wohnzimmer. "Bitte, nehmen Sie Platz", sagte sie. "Darf ich Ihnen etwas anbieten?"
"Nein, danke."
"Was ist mit meinem Mann?"
"Wann haben Sie in zuletzt gesehen?"
Sie seufzte. "Das müsste beinahe vier Wochen her sein."
"Vier Wochen?"
"Ja."
"Wo war er in dieser Zeit?"
"Mein Gott, das weiß ich doch nicht. Ich dachte, Sie könnten mir darüber etwas sagen..." Sie schwieg einen Moment.
Dann sah sie mich sehr ernst an. "Was ist mir Aaron?"
Es gibt Dinge, an die ich mich in meinem Job einfach nicht gewöhnen kann. Dazu gehört das Überbringen schlechter Nachrichten. Ab und zu lässt sich das leider nicht umgehen.
"Ihr Mann ist tot", sagte ich. "Er wurde heute Morgen vor dem St. James Hospital gefunden, wo man versucht hat, ihm zu helfen. Er starb an einer sehr ansteckenden Krankheit. Bleiben Sie bei Ihrer Aussage, dass Sie ihn in den letzten vier Wochen nicht getroffen haben?"
"Ja", flüsterte Mrs. Jackson und schluckte.
"Es tut mir leid", sagte ich. "Für Ihren Mann kam jede Hilfe zu spät. Aber möglicherweise können viele weitere Menschenleben gerettet werden, wenn Sie uns helfen. Auch, wenn es Ihnen im Moment schwer fallen mag..."
Mrs. Jackson strich sich mit einer nervösen Handbewegung ein paar verirrte Haarsträhnen aus dem Gesicht. Dann biss sie sich auf die Unterlippe. Tränen glitzerten in ihren Augen.
"Was war das für eine Krankheit und... Ich begreife überhaupt nichts."
"Da geht es Ihnen leider so wie uns", erklärte ich. Dabei beugte ich mich etwas vor. Ich legte meine Hand auf die ihre, die eiskalt war. "Ihr Mann hatte eine Tätowierung auf dem Rücken..."
Mrs. Jackson blickte auf.
"Ja, das stimmt."
"Was bedeuten diese drei Kreuze?"
"Hat das irgendetwas mit seinem Tod zu tun?"
"Mrs. Jackson, das weiß ich nicht. Bitte beantworten Sie einfach meine Frage."
Sie wischte sich die Tränen aus dem Gesicht. "Es ist das Zeichen des Propheten", sagte sie dann.
"Welches Propheten?", hakte ich nach.
"Ich weiß nicht viel darüber. Aber, als ich meinen Mann kennenlernte, hatte er eine gute Stellung in der Grand National Bank. Er war Leiter der Kreditabteilung in seiner Filiale. Aber dann ist er nach und nach unter den Einfluss dieser Leute geraten..."
"Welcher Leute?"
"Einer Art Kirche oder Sekte. Erst habe ich das nicht so ernst genommen. Ich bin sogar zu Veranstaltungen hingegangen, die diese Gruppe organisierte. Ein Mann mit langen weißen Haaren predigte vom jüngsten Gericht und gegen die Sünde. Wissen Sie, ich komme aus dem mittleren Westen. Das klang für mich alles sehr bekannt. Solche Wanderprediger gibt es da wie Sand am Meer. Ich bin gläubig, aber das was diese Prediger von sich geben, war immer schon zu engstirnig... Aber Aaron hat es sehr angesprochen. Ich habe das gar nicht so richtig mitgekriegt. Wir entfremdeten uns. Er war kaum noch zu Hause. Dann hat er plötzlich seinen Job aufgegeben, um hauptberuflich für diese Gruppe tätig zu sein. Ich will ehrlich sein: Wir standen kurz vor der Scheidung. Er lehnte das zwar prinzipiell ab, aber ich hätte das nicht mehr lange mitgemacht. Wochenlang war er auf sogenannten Seminaren, für die er unsere ganzen Ersparnisse ausgab."
"Wie heißt diese Gruppe?", fragte ich. "Die Anhänger dieses Propheten..."
"Sie nennen sich DIE AUSERWÄHLTEN DER APOKALYPSE oder so ähnlich." Sie erhob sich und ging zu dem Bücherregal, auf dem sich kaum mehr als ein Dutzend Bände befanden. Mit zielsicherem Griff nahm Mrs. Jackson einen davon heraus. Ich sah sofort das Zeichen auf dem Ledereinband. Drei Kreuze, genau so angeordnet, wie ich es auf dem Rücken von Sally Hiram gesehen hatte. Mrs. Jackson reichte mir das Buch.
"Lesen Sie sich das durch, wenn Sie sich gruseln wollen... Im Wesentlichen geht um das Ende der Welt, um die Bestrafung der Sünder und darum, dass die Erde vom Satan beherrscht wird."
"Ich würde das gerne mitnehmen", erklärte ich.
"Tun Sie das."
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