Kitabı oku: «Sommer Bibliothek 11 besondere Krimis», sayfa 30
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Sally fühlte sich schwach und elend. Sie taumelte vorwärts.
Schweißperlen rannen ihr über das Gesicht.
Sie zitterte.
Ich muss es tun, dachte sie. Ich muss einfach...
Sie wankte die enge Seitenstraße entlang. Eine streunende Katze huschte hinter übervollen Mülleimern hervor und jagte quer über die Straße.
Sally zuckte zusammen.
Sie drehte sich um. Ihr Puls raste. Stundenlang war sie einfach nur gelaufen. Durch dunkle Straßen und enge, schmale Seitengassen. Bei jedem Geräusch war sie bis ins Mark erschrocken.
Und immer war ihr so, als würde sie beobachtet.
Sie werden mir folgen, ging es ihr durch Kopf. Es hat keine Sinn! Du bist zu schwach, Sally... Sie versuchte gegen diese lähmenden Gedanken anzukämpfen, so gut es ging.
Aber sie fühlte kaum noch Kraft in sich.
Sie lehnte gegen die Wand eines Brownstone-Hauses.
Ein Wagen bog um die Ecke. Sally drückte sich an die Wand.
Sie wartete ab. Es war schon ziemlich hell geworden.
Der Wagen jagte die schmale Straße in viel zu hohem Tempo entlang.
Sally hielt den Atem an. Sie duckte sich hinter einen rostigen Ford, den jemand halb auf dem Bürgersteig geparkt hatte.
Die Bremsen des Fords quietschten. Türen wurden geöffnet.
"Sie muss hier irgendwo sein!", rief eine heisere Männerstimme.
Sally zitterte. Sie hörte die Schritte näherkommen.
Nur Augenblicke blieben ihr.
Aber sobald sie sich erhob, würde sie ins Blickfeld der Verfolger geraten.
Sie legte sich flach auf den Boden und rollte sich unter den parkenden Wagen.
Dann verhielt sie sich still. Sie wagte kaum zu atmen.
Die Schritte hatten sie erreicht.
Sally sah nur die Füße von zwei Verfolgern.
Sie hörte ein ratschendes Geräusch, so als ob jemand eine Waffe durchlud.
"Verdammt, wo kann sie geblieben sein?"
"Jedenfalls kann sie sich nicht in Luft auflösen..."
"Hier ist sie jedenfalls nicht..."
Die Schritte entfernten sich. Sally rührte sich noch immer nicht. Eine ganze Weile noch blieb sie unter dem parkenden Wagen liegen. Auch noch, als sie hörte, wie die Verfolger in den Wagen stiegen und davonfuhren.
Tränen standen in ihren Augen.
Ich will leben, dachte sie und blanke Verzweiflung stieg in ihr auf. Für mich ist es zu spät, ging es ihr durch den Kopf.
Viel zu spät...
Es ist nicht richtig, Hunderttausende oder noch mehr Menschen umzubringen, dachte sie. Selbst im Namen des Kampfes gegen das Böse nicht... Unter der Oberfläche hatte diese Erkenntnis immer in ihr geschlummert. Aber sie war verschüttet gewesen. Verschüttet durch die mit sonorer Stimme vorgetragenen Worte des Propheten Josiah Morgan - jenem Mann, von dem Sally geglaubt hatte, er sei die Sense Gottes.
Das sind die Einflüsterungen des Bösen, hörte sie eine andere Stimme in ihrem Kopf. Und vor ihrem inneren Auge sah sie dabei Josiah Morgans kantiges Gesicht vor sich.
Sie schüttelte sich.
"Nein!", stieß sie hervor.
Verzweifelt versuchte sie, diese Gedanken abzuschütteln.
Aber sie waren einfach in ihr und würden sie weiter verfolgen. Es war ein gnadenloser Kampf, der in ihrem Inneren stattfand. Sally fühlte sich elend.
Sie kroch aus ihren Versteck hervor. Sie war ziemlich dreckig geworden.
Sie wankte vorwärts, bog in eine andere Straße ein, blickte sich alle paar Schritte um. Schüttelfrost hatte sie erfasst.
Ich habe Fieber, ging es ihr durch den Kopf. Bestimmt! Das erste Zeichen der Geißel Gottes... Oder nur Einbildung...
Alles wirbelte in ihren Gedanken durcheinander.
Es fiel ihr schwer, sich überhaupt auf etwas zu konzentrieren.
Schließlich erreichte sie eine etwas belebtere Straße. Um diese Zeit waren noch keine Passanten unterwegs. Aber es quälten sich bereits Autoschlangen durch die Straßen der Riesenstadt New York.
Wo bin ich?, dachte sie.
Sie hatte etwas die Orientierung verloren. Ihre Flucht war ein heilloses Davonlaufen gewesen. Ohne Ziel, ohne Plan. Nur diktiert von nackter Angst.
Das Zittern erfasste ihren gesamten Körper.
Sie blieb stehen.
An der nächsten Ecke sah sie eine Telefonzelle.
Sie wankte darauf zu. Mit nervösen, hektischen Bewegungen holte sie eine Handvoll Kleingeld aus den Taschen ihrer Jeans heraus. Sie steckte ein paar Münzen in den Schlitz.
Und dann wählte sie eine bestimmte Nummer.
Sie musste sich sehr konzentrieren, um sich an die Reihenfolge der Zahlen richtig zu erinnern.
Es war die Nummer des FBI Field Office von New York City.
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Gegen Mittag waren wir zurück im Hauptquartier an der Federal Plaza.
Zusammen mit Orry und Clive saßen wir in unserem Dienstzimmer vor dem Bildschirm, um doch noch irgendeinen Strohhalm zu finden, der uns in dieser Sache weiterbringen konnte.
Max Carter von der Fahndungsabteilung schaute zwischendurch kurz bei uns herein.
"Wir haben einen Wagen gefunden, der höchstwahrscheinlich diesem mysteriösen Killer namens Smith gehörte", berichtete er uns. "Jedenfalls lag im Handschuhfach ein Führerschein mit Lichtbild - allerdings auf einen ganz anderen Namen. Milton Leclerk."
"Und?", hakte ich nach. "Haben wir irgendetwas unter diesem Namen?"
"Nein, gar nichts. Straffällig ist der Mann nie gewesen. Zumindest nicht so, dass es aktenkundig wurde. Aber vielleicht finden wir noch was raus."
Jedes Detail konnte am Ende entscheidend sein.
Milo wollte gerade aufstehen, um sich einen Becher Kaffee zu holen, da schrillte das Telefon.
Ich nahm ab.
"Hier Agent Trevellian, FBI", meldete ich mich korrekt.
Die Stimme am anderen Ende der Leitung war mir bekannt.
"Jesse..." flüsterte sie. Ich hörte ihren Atem. Eine Frau in höchster Todesangst. Die Stimme vibrierte. "Können Sie mich hören?"
Es war Sally Hiram, da gab es für mich keinen Zweifel.
Ich drückte einen Knopf und das Gespräch wurde aufgezeichnet. Ich schaltete den Lautsprecher ein, damit alle im Raum mithören konnten.
Milo ging kurz hinaus, um zu veranlassen, dass der Anruf zurückverfolgt wurde.
"Jesse, hören Sie mir gut zu..."
"Sagen Sie nur wo Sie sind, Sally!"
"Das spielt keine Rolle..."
Der Geräuschkulisse nach telefonierte sie aus einer Zelle heraus. Im Hintergrund war Motorenlärm zu hören.
"Hören Sie mich Jesse... Es wird es etwas Furchtbares geschehen! Sie werden einen grausamen Plan vollenden und ich weiß nicht..." Sie stockte. Ich hörte sie schlucken. "Ich kann nicht glauben, dass Gott das will... Ich bin so verwirrt..."
"Wer sind SIE?" fragte ich. "Die AUSERWÄHLTEN DER APOKALYPSE?"
Ich musste sie irgendwie dazu animieren weiter zu reden.
Das Gespräch durfte auf keinen Fall abreißen.
"Sie wissen davon?"
"Sie sprachen von einem Plan..."
"Die Geißel Gottes soll New York vernichten", brachte sie dann hervor. "Die U-Bahn... Von der U-Bahn aus wird sie sich über die ganze Stadt verbreiten... Mein Gott... Sie..."
"Bleiben Sie dran, Sally!", rief ich.
"Ich bin ganz verwirrt... Ich will nicht sterben!" Ich hörte sie schluchzen.
"Wenn Sie mir sagen, wo Sie sind, komme ich zu Ihnen", versprach ich. "Dann kann ich Ihnen helfen."
"Mir helfen?", echote sie.
Ihre Stimme klang müde. Fast lethargisch.
Ich fragt mich, was um alles in der Welt mit ihr geschehen sein mochte.
Plötzlich sagte sie: "Mir kann niemand mehr helfen..."
"Wo sind Sie?", fragte ich noch einmal.
"Sie kommen..."
"Wer...?"
"Die Männer des Propheten! Mein Gott!"
Das letzte war beinahe ein Schrei.
"Sally!", rief ich.
Aber es war zu spät. Die Verbindung war unterbrochen.
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Das Gespräch konnte zu einer Telefonzelle in der Bronx zurückverfolgt werden. Wir machten uns sofort mit mehreren Wagen auf den Weg.
"Sie klang, als wäre sie wirklich in Gefahr", meinte ich unterwegs, während ich den Sportwagen über den Broadway lenkte.
"Vor allem klang sie etwas durcheinander", erwiderte Milo ziemlich nüchtern. "Jesse, es spricht viel dafür, dass sie freiwillig mit ihren 'Entführern' mitgegangen ist. Die Tätowierung deutet darauf hin, dass sie eine der AUSERWÄHLTEN DER APOKALYPSE ist. Warum sollten die es jetzt plötzlich auf sie abgesehen haben?"
"Vielleicht ist sie abtrünnig geworden..."
"Jesse!"
"Worauf willst du hinaus, Milo?"
"Ich frage mich einfach nur, ob wir nicht manipuliert werden."
"Warten wir es ab!"
Die Telefonzelle, von der aus der Anruf gekommen sein musste, lag an einer vierspurigen Straße. Wir hielten am Straßenrand, stiegen aus. Ein paar Meter dahinter parkten Clive Caravaggio und 'Orry' Medina mit einem Chevy unserer Fahrbereitschaft. Unser Kollege Fred LaRocca war mit ihnen hergefahren.
Wir sahen uns um.
Es war keine gute Gegend. Mindestens jedes zweite Haus schien leerzustehen. Hier und da waren Fenster zerstört und mit Spanplatte vernagelt. Graffitis prangten an den Wänden.
Ein herzliches FUCK OFF!, begrüßte uns in grellgelb von einer ansonsten dunkelgrauen Hauswand.
Orry nahm sich die Telefonzellen vor, die an der Ecke standen.
Es waren insgesamt vier, dicht nebeneinander.
Nur eine einzige funktionierte überhaupt. Und wie diese dem allgegenwärtigen Vandalismus hatte entgehen können, war ein Rätsel.
Die vierspurige Straße war stark befahren.
"Die Anruferin ist längst über alle Berge!" war Orry überzeugt. "Wir hätten gar nicht erst herzufahren brauchen..."
"Sie kann sich nicht in Luft aufgelöst haben", widersprach ich.
"Sie kann sonstwo sein, Jesse!" erwiderte Milo ernst.
Er hatte natürlich recht. Vor allem dann, wenn sich seine Vermutung bestätigte, dass wir manipuliert werden sollten.
Aber ich hatte ein anderes Gefühl bei der Sache.
Ich ging in die Telefonzelle und überlegte.
Ein Telefonbuch gab es nicht mehr in der Zelle.
Jemand hatte es herausgerissen.
Hier, an dieser Stelle hat sie gestanden, ging es mir durch den Kopf. Und dann hatte Sally jemanden gesehen. So musste es gewesen sein. Panik hatte sie erfüllt...
Ich verließ die Zelle.
"Wahrscheinlich haben Sallys Verfolger sie gekriegt", meinte Milo.
"Wo ist die nächste U-Bahnstation?", fragte Orry. "Ich an ihrer Stelle würde dorthin flüchten..."
"Ich glaube zwei Straße weiter", sagte Clive Caravaggio.
"Aber wer sagt uns, dass sie sich hier auskennt?"
Ein dumpfer Knall übertönte für den Bruchteil einer Sekunde den Straßenlärm.
Kurz darauf geschah dasselbe noch einmal.
Ich wirbelte herum. Zwei Schüsse. Daran gab es für mich keinen Zweifel.
"Das kam dort her!", rief Milo. Er hatte bereits seine P226 in der Hand und deutete mit der Linken in Richtung des fünfgeschossigen Hauses an der Ecke. Im Erdgeschoss war früher mal ein Lebensmittelladen gewesen. Die Reklameschilder waren zum Teil noch vorhanden. Manche hatten Sprayer in ihre Bilder einbezogen. Der Putz bröckelte von den Wänden. Hier und da wurde der Blick auf die Steinwände freigegeben.
Die oberen Geschosse waren Wohnungen.
Die Fenster waren zum Teil eingeschlagen. Das Ganze wirkte wie eine Ruine und man konnte nur hoffen, dass niemand mehr darin wohnte.
Wieder war ein Schuss zu hören.
An einer der zerstörten Fenster im zweiten Stock war für Sekunden eine dunkle Gestalt zu sehen.
Ich überlegte nicht lange.
Mit der Waffe in der Hand stürmte ich vorwärts.
Nur Sekunden später hatte ich den Eingang erreicht. Eine Tür gab es nicht mehr.
Milo war mir auf den Fersen.
Vielleicht hatte Sally Hiram sich hier her retten können und sich vor ihren Verfolgern versteckt. Es war zumindest eine Möglichkeit...
Die Aufzüge funktionierten nicht.
Es gab keinen Strom.
Mit weiten Schritten hetzte ich die Treppenstufen hinauf.
Die anderen folgten mir.
Nur Augenblicke brauchte ich, um den zweiten Stock zu erreichen. Hier waren tatsächlich früher Wohnungen gewesen, wenn man nach dem Grundriss urteilte. Allerdings war alles herausgerissen worden, was sie bewohnbar gemacht hätte. Es gab keine Türen, kaum noch unbeschädigte Fenster und selbst der Fußbodenbelag fehlte.
Ein Labyrinth.
Ich tastete mich vorsichtig vor, wandte für den Bruchteil einer Sekunde den Kopf und sah Milo, der mich von hinten absicherte.
Die P226 hielt ich mit beiden Händen.
Ich hörte Schritte.
Und Stimmen.
"Ein verdammt guter Schuss, Buddy", sagte irgendjemand.
Und dann tauchte in der nächste Sekunde eine hoch aufragende Gestalt in dem engen Flur auf. Ein Mann in schwarzer Ledermontur.
Er hielt eine große Magnum in der Linken.
Sein Gesicht verzog zu einer Maske des Entsetzens, als er in den Lauf meiner P226 blickte.
"Waffe weg! FBI!", brüllte ich.
Der Kerl in Leder grunzte etwas Unverständliches, riss die Magnum empor und feuerte sofort wild drauflos.
Ich ließ mich seitwärts fallen, prallte gegen die Wand und schoss meine P226 ab. Tückische Querschläger ritzten am Beton.
Funken blitzen auf.
Ich feuerte ein zweites Mal.
Der Kerl in Leder schrie auf. Die Kugel erwischte ihn an der Schulter seines Waffenarms. Er wurde nach hinten gerissen.
Der Schuss aus seiner Magnum ging in die Decke. Der Mann taumelte zurück, strauchelte und rutschte an der von Schimmel angefressenen Wand hinunter. Er hielt sich die Schulter.
Milo stürmte jetzt vor, während ich wieder auf die Beine kam.
Mit wenigen Sätzen war Milo bei dem am Boden Liegenden. Der versuchte, seine Waffe erneut zu heben. Aber das gelang ihm nicht. Ein Zittern ging durch seinen Arm, der ihm nicht mehr so recht zu gehorchen schien. Milo kickte ihm die Waffe aus der Hand. Sie rutschte drei Meter über den Boden.
Milo richtete die Waffe auf den Kerl in Leder.
Dieser bleckte die Zähne wie ein Raubtier.
"Alles Okay", meinte Milo.
Ich hatte mich indessen bis zu der Tür vorgearbeitet, durch den der Mann in den Flur getreten war.
Ich blickte in einen kahlen Raum.
Auf dem nackten Beton lag eine Gestalt lang hingestreckt.
Das Gesicht sah ich nur von der Seite.
Zwischen den Schulterblättern war die Jacke des Mannes durch ein Projektil zerfetzt. Eine Blutlache hatte sich gebildet.
Neben dem Toten lag eine Pistole.
Ich trat an die Leiche heran, kniete nieder und drehte den Mann etwas herum. Das Gesicht kannte ich nicht. Aber etwas ließ mich stutzen.
Er trug ein Goldkettchen um den Hals, an dem ein kleines Amulett hing. Drei Kreuze hoben sich von einer kreisförmigen Oberfläche ab.
Das Zeichen der AUSERWÄHLTEN!
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44


Ich zuckte hoch, als ich ein Geräusch hörte.
Eine weitere Tür führte in einen Nebenraum.
Ich tastete mich bis dorthin vor.
Dann hörte ich Schritte aus dem Nebenraum heraus.
Als ich versuchte eben einen Blick ins Innere zu werfen, knatterte eine Maschinenpistole los. Rot züngelte das Mündungsfeuer aus einem kurzen Lauf heraus und ein Kugelhagel von mindestens dreißig Geschossen wurde in meine Richtung abgefeuert.
Blitzschnell zog ich mich zurück in meine Deckung.
Kurz nachdem der Kugelhagel verebbte, hörte ich Schritte.
Ich setzte alles auf eine Karte, stürmte in den Raum hinein und hielt dabei meine P226 im Anschlag.
Ein kühler Luftzug kam mir entgegen. Er rührte von einem zerstörten Fenster her. Einen Ausgang gab es aus diesem Raum nicht, es sei denn durch das Fenster.
Ich rannte hin.
Ein Sprung aus dem zweiten Stock ist genau so hoch, um sich dabei den Hals zu brechen.
Ich blickte durch das Fenster in einen Hinterhof.
Aber in der nächsten Sekunde musste ich mich ducken. Ein Feuerstoß von drei, vier Schüssen, ließ mich zusammenzucken. Die Kugeln ließen das Holz des längst völlig verzogenen Fensterrahmens splittern. Einen Moment später kam ich aus meiner Deckung hervor und sah eine Gestalt über den Hinterhof davonlaufen. Ein Mann, schätzungsweise etwas kleiner als der, den ich außer Gefecht gesetzt hatte. Aber er trug ebenfalls eine Ledermontur. Auf dem Rücken war in blutroten Buchstaben das Wort TERROR aufgestickt. Mit einer Hand wirbelte er die MPi herum, mit der er bewaffnet war. Ein Feuerwerk ungezielter Schüsse. Er musste ziemlich große Angst haben.
Ein paar Meter noch und er verschwand hinter der ausgebrannten Ruine eines Lastwagens, den man genauso ausgeschlachtet hatte, wie alles andere hier. Lediglich das Firmenemblem des ehemaligem Lebensmittelladens im Erdgeschoss hatte man ihm noch gelassen.
Etwa in der Mitte des Hinterhofs lag ein weiterer Toter.
Der Mann nahm eine seltsam verrenkte Stellung ein. Seine Rechte hatte sich um den Griff einer Pistole mit langgezogenem Schalldämpfer gekrallt. Er trug Schlips und Kragen, dazu ein kleinkariertes Jackett.
Der Flüchtende mit dem Wort TERROR auf der Lederjacke konnte mit seiner Ballerei dafür nicht verantwortlich sein.
Dazu war die Blutlache viel zu groß, die sich neben dem Toten gebildet hatte.
Ich blickte aus dem Fenster.
Unten befand sich ein völlig überfüllter Müllcontainer mit halbverrotetem Verpackungsmaterial.
Der Flüchtende war vermutlich dort hineingesprungen.
Wenn ich noch eine Chance haben wollte, den Kerl zu kriegen, dann musste ich das auch tun.
"Jesse! Was machst du da?", hörte ich noch Orrys Stimme, als ich bereits auf der Fensterbank war.
Ich sprang.
Der Kerl mit der MPi tauchte indessen wieder hinter dem Lastwagen hervor und feuerte in meine Richtung. Grellrot sah ich das Mündungsfeuer am Heck des Lastwagens aufblitzen.
Dann kam ich unsanft auf den Pappkartons auf, die in den Container gequetscht worden waren. Der Regen hatte sie sich mit Wasser vollsaugen lassen. Ich duckte mich, riss die P226
hoch und feuerte in Richtung des Lastwagens.
Mein Gegner zog sich zurück.
Ich rappelte mich hoch, sprang aus dem Container.
Dann setzte ich zu einen Spurt an.
Eine breite Einfahrt führte aus dem Hinterhof heraus auf eine schmale Nebenstraße.
Der Kerl mit der MPi tauchte plötzlich hinter dem Lastwagen auf und spurtete in diese Richtung.
Ziemlich ungezielt ballerte er dabei in meine Richtung.
Dann machte es 'klack!'.
Das Magazin der Maschinenpistole war leer.
Der Flüchtende verlangsamte seinen Lauf, riss das Magazin aus seiner Halterung heraus und schleuderte es davon. Mit einem harten, metallisch klingenden Laut kam es auf den Asphalt auf.
Ein Ersatzmagazin holte er aus der Jacke heraus.
Aber er hatte Schwierigkeiten, es schnell genug einzusetzen.
Ich spurtete los.
"Bleib stehen!", rief ich. "Du bist verhaftet."
Der Kerl rannte wieder schneller. Das Magazin hielt er noch in der Linken. Das bedeutete, dass er im Moment nicht auf mich schießen konnte. Ich holte auf. Das Gesicht des Flüchtigen verlor den Großteil seiner Farbe.
Der Kerl hatte die Seitenstraße erreicht, bog nach links.
Ich folgte ihm.
Die Nebenstraße ähnelte eher einem Autofriedhof. Dutzende von schrottreifen, verrosteten Fahrzeugen standen hier herum.
Die meisten davon sahen aus, als wären sie als Ersatzteillager missbraucht worden. Die Fassaden der Häuser mussten schon seit einer Ewigkeit nicht mehr erneuert worden sein.
Ich rannte hinter dem Kerl mit der TERROR-Jacke her.
Er wurde nervös.
Immer öfter drehte er sich zu mir herum.
Ich kam auf zehn Meter heran, schließlich auf fünf. Dann hatte ich ihn. Ich sprang ihn an, riss ihn zu Boden. Gemeinsam kamen wir auf dem Asphalt auf. Aber dann reagierte er schneller als ich. Er schleuderte mir das volle MPi-Magazin ins Gesicht und rammte mir gleichzeitig die ungeladene Waffe in den Magen. Ich ächzte. Eine Welle aus Schmerz und Benommenheit durchflutete meinen gesamten Körper.
Der Flüchtige war schon wieder auf den Beinen. Ich erwischte gerade noch seinen Fuß. Wieder er fiel hin. Und ehe er sich dann rühren konnte, hielt ich ihm die P226 ins Gesicht.
"Keine Mätzchen mehr", zischte ich. "Ich bin Special Agent Trevellian vom FBI. Sie sind verhaftet. Sie haben das Recht zu schweigen. Falls Sie auf dieses Recht verzichten, kann alles, was Sie von nun an sagen, vor Gericht gegen Sie verwendet werden..."
Mein Gegenüber sah mich an, als hätte er diesen Spruch nicht zum ersten Mal gehört.
Er kniff die Augen zu schmalen Schlitzen zusammen. Als er den Kopf drehte, sah ich, dass er am Hals eine Narbe hatte, die sich vom Ohrläppchen fast bis zum Adamsapfel hinzog. Sie sah aus wie aus einer Messerstecherei.
Der Mann verzog das Gesicht zu einer zynischen Grimasse.
"Was soll das werden?", fragte er dann.
"Genau das, was ich gesagt habe! Sie werden uns eine Menge erklären müssen. Und so, wie das für mich auf den ersten Blick aussieht, wird eine Anklage wegen Mordes dabei herauskommen."
"Da sei dir mal nicht zu sicher, G-man!"
Ich erhob mich.
"Aufstehen!", sagte ich.
Er gehorchte. Dann wies ich ihn an, mit erhobenen Händen die paar Meter bis zur nächste Hauswand zu gehen. Dort stellte er sich hin. Ich durchsuchte ihn nach Waffen. Außer der MPi hatte er nur noch einen Schlagring bei sich. Papiere hatte er auch bei sich. Einen Führerschein auf den Namen David Lennox.
Außerdem trug er ein Handy bei sich.
Auch das nahm ich an mich.
"Warum haben du und dein Komplize die beiden Männer umgebracht?", fragte ich. "Den im zweiten Stock und den im Hinterhof..."
"Du machst 'nen gewaltigen Fehler, G-man! Glaub mir..."
"Nein, der Fehler liegt auf deiner Seite!"
"Du wirst es noch sehen und dir wünschen niemals so eine Dummheit begangen zu haben!", zischte er zwischen den Zähnen hindurch.
"Mach dir um mich mal keine Sorgen", erwiderte ich kühl.
Ich registrierte, dass jeder Muskels, jede Sehne seines Körpers angespannt waren. Wie eine Raubkatze, kurz vor dem entscheidenden Sprung, mit dem sie ihre Beute erlegt.
Ich musste auf der Hut sein.
Trotz der Tatsache, dass ich im Moment eine P226 in der Hand hielt, während er unbewaffnet war.
"Hände auf den Rücken!", befahl ich.
Er gehorchte.
Ich nahm die Handschellen von meinem Gürtel, legte sie im an und ließ sie ins Schloss schnappen.
"Wie gesagt, ein großer Fehler, G-man. Dies ist UNSER Gebiet. Hier hat niemand etwas zu sagen... Hier regieren nur wir..."
"War das auch der Grund, weshalb ihr die beiden über den Jordan geschickt habt?"
"Das verstehst du nicht, du Cop!"
"Ich an deiner Stelle würde langsam den Mund aufmachen."
"Ach, ja?"
"Besser für dich! Ansonsten kommt dir dein Komplize zuvor und das kann für dich nur von Nachteil sein."
Er verzog verächtlich das Gesicht.
Dann spuckte er aus.
Ich holte indessen das Handy aus der Innentasche meiner Lederjacke heraus. Den Lauf der P226 hielt ich dabei nach wie vor in David Lennox' Richtung.
Ein Knopfdruck und ich hatte Milo am Apparat.
"Ich hab den Flüchtigen", sagte ich.
In diesem Augenblick brausten zwei Geländewagen um die Ecke. Reifen quietschten. Es waren große, sechssitzige Chrysler.
Die Wagen bremsten.
Die Türen sprangen auf.
In dunkles Leder gekleidete Gestalten sprangen heraus.
Ich wirbelte herum, packte den Gefangenen und stellte ihn vor mich, während mit einem scharf klingenden Ratsch die Waffen der Ledermänner durchgeladen wurden.
Mit grimmigen Gesichtern starrten sie in meine Richtung.
Ich blickte in die Läufe von mehr als einem Dutzend Maschinenpistolen.
"Ich dachte schon, ihr kommt gar nicht mehr!", knurrte Lennox.
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