Kitabı oku: «Wiener Wohnwunder», sayfa 5
ELLA-LINGENS-HOF
Ein freundliches Gesicht
„Früher hat man gesagt ‚Grüß Gott‘, heute sagt man ‚Hi‘.“
In dieser Kürze lassen sich nicht alle Veränderungen in den Nachbarschaftsbeziehungen im 23. Wiener Gemeindebezirk zusammenfassen, aber vielleicht ist es eine gute erste Spur.
„Hier und da lernen die Leute das Grüßen“, sagt dann einer der Anwesenden hoffnungsvoll.
Und mit diesen zwei Statements ist eigentlich schon die Richtung vorgegeben für ein Gespräch im Gemeinschaftsraum des Ella-Lingens-Hofes über Erfahrungen mit der Grußkultur im Gemeindebau im Allgemeinen und dem „Willkommen Nachbar“-Programm im Speziellen.
Ein elegant gekleideter Herr mit Krawatte hat eine ganz klare Philosophie: „Ich grüße so oft, wie es notwendig ist.“ Der andere könne ja gedankenverloren sein und den Gruß einfach nicht bemerkt haben, daher müsse man eben öfter grüßen, um ihn aus seinen Gedanken zu reißen: Mit „Bei mir hüft eam des nix!“ sorgt er für zustimmendes Lachen. Aber Lachen hin oder her, seine Grußerfolgsquote gibt ihm Recht, meint er, geschätzt liege sie mittlerweile bei beachtlichen 90 Prozent.
Auch eine ursprünglich aus St. Pölten stammende Mietervertreterin stimmt mit diesem durchaus rigorosen Ansatz überein: „Je unfreundlicher einer ist, umso freundlicher werde ich.“
Ob es nun kulturelle Unterschiede sind oder ob es die individuelle schlechte Erziehung mancher Menschen ist, die sie heute am Grüßen hindert, darüber gehen die Meinungen im Ella-Lingens-Hof auseinander. Während manche meinen, viele Ausländer würden zumindest nicht von sich aus grüßen, ist einer der anwesenden Herren überzeugt, dass es vorwiegend die Eingeborenen sind, die die Höflichkeitsregeln missachten: „Es sind die Wiener, die nicht grüßen können!“
In jedem Fall wird das „Willkommen Nachbar“-Programm, bei dem Neumieterinnen und Neumieter begrüßt und informiert werden, vielleicht gerade deshalb von einigen der Anwesenden durchaus mit Verve betrieben:
„Wir können etwas beitragen, um eine Atmosphäre zu schaffen, das erzeugt einen Schneeball-Effekt. Mich grüßen die Kinder inzwischen schon aus 15 Metern Entfernung“, berichtet der Herr mit der hohen Grüßerfolgsquote.
Außer gezieltem Erstgrüßen tut er allerdings noch einiges anderes für die Mieterinnen und Mieter in seinem Bau: Einer neu eingezogenen albanischen Familie mit vier Kindern schenkte er etwa zwei von ihm nicht mehr benötigte Kindersessel – eine von vielen kleinen Aktionen, die das Klima verbessern und Freundschaften entstehen lassen: „I glaub, des waß do eh a jeder: Wenn sie die Leut verstehen, dann gibt’s weniger Streit. ‚Strebe eine Win-Win-Situation an‘, hat man uns bei wohnpartner gelehrt.“
Das tun augenscheinlich alle, die sich für „Willkommen Nachbar“, „Hallo Du“, im Mieterbeirat oder beim alltäglichen Grüßen auf der Stiege engagieren.
„Meine Motivation ist ein freundliches Gesicht“, sagt der elegante Herr zum Abschluss. Es geht also doch nicht ausschließlich ums Grüßen.
BACKBONE
„Es fühlt sich zusammen an“
„Backbone“ heißt der Verein für mobile Jugendarbeit im 20. Bezirk, in dem die beiden jungen Frauen Valona und Habibe einander kennengelernt haben, als sie ungefähr 13 Jahre alt waren. Damals gab es am Freitagnachmittag hier jede Woche den Mädchentag, „und das war für mich immer ein Tag, wo ich hier meine zweite Familie treffe. Ich wusste jahrelang nicht, was man an einem Freitag anderes machen soll als das“, sagt Habibe lachend. „Wir haben hier gemeinsam gekocht, uns unterhalten, Tanzsessions gemacht und über das Leben gelacht. Das war wichtig für uns“, erzählt sie von den glücklichen Zeiten, die sie mit Valona und einer Handvoll anderer Mädchen hier zugebracht hat.
„Die Betreuer waren dabei, aber irgendwie ein Teil von uns. Und irgendwann hatten wir uns so viel Vertrauen verdient, dass wir auch den Schlüssel bekommen haben“, ergänzt Valona, die inzwischen selber als Streetworkerin des „Fairplay“-Programmes für Backbone aktiv ist.
Habibe kam mit ihren Eltern und Geschwistern mit zehn Jahren aus Bulgarien nach Österreich, in der Anfangszeit schliefen sie zu fünft in einem Zimmer. „Als wir dann eine Gemeindebauwohnung bekommen haben, war das eine extreme Erleichterung, denn im Vergleich zu unserer ersten Wohnung ist sie uns riesengroß vorgekommen.“
Zehn Jahre lang hat Habibe mit ihrer Familie im Gemeindebau gewohnt, vor einem Jahr ist sie in ihre erste eigene Wohnung, eine SMART-Wohnung der Stadt Wien, umgezogen. Nach der Schule hat die 25-Jährige eine Lehre als Zahntechnikerin gemacht, studiert jetzt nach einer Berufsmatura aber auch noch Europäische Wirtschafts- und Unternehmensführung.
Valona wiederum wohnt in einer eigenen Gemeindebauwohnung, seit sie 19 ist; bereits mit 16 hat sie sich dafür angemeldet. „Das war damals ganz neu, dass man sich schon so früh anmelden kann und dafür dann fix eine Wohnung bekommt, wenn man alt genug ist. Für mich war immer klar, dass ich in eine Gemeindewohnung will, jetzt wohne ich seit sechs Jahren im Goethehof. Die allererste Wohnung, die mir angeboten wurde, wäre eine Kategorie D in der Brigittenau gewesen, aber da hätte man zu viel investieren müssen.“
Dass gutes Wohnen keine Selbstverständlichkeit ist, lernte Valona schon in ihrer Kindheit: „Ich bin in Oberwart aufgewachsen und musste alle paar Jahre umziehen, weil meine Eltern nicht so gut Deutsch konnten und immer nur befristete Mietverträge bekommen haben. Deshalb war die Wohnsicherheit, die der Gemeindebau bietet, für mich ganz wichtig.“
Einig sind sich Valona, die neben ihrer Arbeit bei Backbone an der PH Wien studiert, und Habibe darüber, dass es das Soziale ist, das den Gemeindebau von anderen Wohnformen unterscheidet: „Die Leute schauen aufeinander. Es fühlt sich einfach zusammen an“, sagt Valona. „Ich verstehe mich am besten mit meinem Nachbarn, der Pensionist ist“, ergänzt Habibe. Sie meint damit aber nicht ihren derzeitigen Nachbarn, sondern einen aus dem Gemeindebau, in dem sie ihre Jugend verbrachte.
Beiden ist es aufgrund ihrer Kindheitserfahrungen besonders wichtig, dass angemessener Wohnraum für alle erschwinglich ist. „Ich wünsche mir wirklich sehr, dass es das weiterhin gibt und dass es leistbar bleibt. Es darf nicht wie in München enden, dass man sein halbes Gehalt für die Miete ausgeben muss“, bringt es Valona auf den Punkt.
Und als Besucher denkt man: Wenn die Jugendlichen bei Backbone lernen, ihre Ansichten so klar und selbstbewusst zu artikulieren, wie Habibe und Valona es tun, dann trägt der Verein seinen Namen wohl zu Recht.
Beim wöchentlichen Mädchentag hat Habibe als Jugendliche viele Freundinnen gefunden
JHERINGGASSE
Der Weg zur Freundlichkeit
Die Initiative zur Gründung der Gartengruppe in der Jheringgasse stammt von Frau Lammerhuber
„Das Wichtigste ist der freundliche Umgang miteinander. Dann traut man sich vielleicht auch einmal hingehen, wenn es einen Notfall gibt. Wir arbeiten hier an der Freundlichkeit, aber ganz sind wir noch nicht dort“, sagt Frau Hörschläger am Beginn des Gesprächs in der Jheringgasse 3–5, wo sich eine Gartengruppe gebildet hat, die den Hof in Rudolfsheim-Fünfhaus begrünt und die Nachbarschaft pflegt.
In der Gruppe sind Altösterreicher und zugewanderte Menschen bunt gemischt, Sprachbarrieren scheinen beim gemeinsamen Garteln kaum bis gar nicht zu stören.
Aber, erklärt Frau Kömürcü, der Kontakt klappe nicht mit allen Mieterinnen und Mietern in der Jheringgasse gleichermaßen gut: „Ich weiß nicht genau, woran das liegt, aber man kommt nicht wirklich ins Gespräch miteinander, sondern grüßt sich nur.“
Frau Hörschläger meint den Grund zu kennen: „Ich glaube, dass manche Leute einfach ein bisschen schüchtern sind. Auch wenn man sie einlädt, schließen sie sich selber aus. Man muss erst einmal einen Schritt machen und dann wird’s leichter.“
„Es ist nicht allein Schüchternheit, sondern manchen ist der Kontakt mit den Nachbarn einfach zu viel“, glaubt Frau Köse, und dann spricht Frau Kömürcü aus, was alle Anwesenden ein wenig zu belasten scheint: „Ich bin seit 18 Jahren in der Wohnhausanlage und hatte nie mit irgendjemandem Probleme, aber seit Kurzem gibt es einen Konflikt.“
Am Vortag habe es einen Vorfall gegeben, berichtet schließlich Frau Kömürcüs Schwiegertochter, bei dem eine Mieterin alle möglichen Schimpfwörter aus dem Fenster geschrien habe, weil es ihr zu laut war, obwohl nur in Zimmerlautstärke gesprochen worden sei: „Das hat mich sehr verletzt. Und innerhalb von zwei Wochen war überhaupt dreimal die Polizei da, weil wir angeblich so laut sind. Jedes Mal ist der Polizist hereingekommen, ist erst einmal vorbei und hat dann erst gemerkt, dass vielleicht wir gemeint sind und uns darauf angeredet.“
Abgesehen von diesem Problem fühlen sich Frau Kömürcü und ihre Schwiegertochter sowie Frau Köse in der Jheringgasse sehr wohl. Umso ärgerlicher ist es, dass der schwelende Konflikt die Stimmung in der Wohnhausanlage ein bisschen dämpft.
Das gibt Frau Lammerhuber, bei der sich alle Anwesenden für ihre Initiative zur Gründung der Gartengruppe bedanken, das Stichwort und sie erklärt, warum sie überhaupt auf die Idee gekommen ist, hier gemeinsam zu garteln: „Ich hab die Überlegung gehabt, was können wir tun, um die Gemeinschaft zu stärken? Je besser wir ein Wir-Gefühl entwickeln, umso eher können sich die Aggressionen, die es zum Teil gibt, abbauen. Aber in jeder Wohnanlage gibt’s Menschen, die alles verweigern, das is einfach so. Trotzdem kann man’s auflockern und entspannen, und je mehr sichtbar wird, dass es eine Gemeinschaft gibt und Menschen aufeinander schauen, umso besser. Und die Hofpflege geht damit auch einher, weil mich stört das, wenn überall Dreck herumliegt. Drum würd ich mich freuen, wenn das alles hier noch ein bisschen wächst.“
Damit ähnliche Konflikte wie der geschilderte in Zukunft vermieden werden, setzt Frau Lammerhuber darauf, ab jetzt auch schon Neuzugänge in der Jheringgasse von Anfang an in die Gartengruppe einzuladen: „Wir versuchen neu Eingezogene jetzt gleich zu integrieren und in die Hofgemeinschaft aufzunehmen. Damit es gar nicht zu diesen Verhärtungen kommt, die es dann schwierig machen, das aufzubrechen.“
ELLA-LINGENS-HOF
Gegrüßt soll wieder werden
„Man hat früher mehr miteinander geredet.“
„Man hat früher mehr miteinander geredet“ – so bringt gleich zu Beginn des Gesprächs einer der drei Mietervertreter aus dem Ella-Lingens-Hof in Liesing die Stimmung auf den Punkt. War früher alles besser? Nun, alles vielleicht nicht, aber wenn es nach der im wohnpartner-Lokal versammelten Runde geht, dann doch so einiges: „Kommuniziert haben früher die Mütter der Kinder, die sich im Hof getroffen haben.“
Das Band zwischen den Bewohnerinnen und Bewohnern sei ein wenig zerrissen, manche wegen negativer Vorfälle wieder ausgezogen. Die neu zugezogenen türkischen Nachbarinnen und Nachbarn wiederum hätten sich nicht vorgestellt, klagt eine Mieterin, und sie lebten außerdem sehr zurückgezogen.
Eine Dame berichtet gar davon, dass ihr Sohn hier in der Nähe überfallen wurde, und fügt resigniert hinzu: „Früher hatten die Kinder Respekt, jetzt nicht mehr.“
So viele Probleme in der Gegenwart machen deutlich, dass für eine gute gemeinsame Zukunft etwas geändert werden muss. Was wünscht sich die Gruppe der Mietervertreter für den Ella-Lingens-Hof?
„Dass wieder gegrüßt wird.“
„Es sollen wieder Hausbesorger her, die sich um alles kümmern.“
Schlendert man nach dem Gespräch hinaus in den Hof und sieht die großzügig dimensionierte Wiese mit Kinderspielpatz und die liebevoll gepflegten Vorgärten der im Erdgeschoß lebenden Mieterinnen und Mieter, dann kann man sich schwer vorstellen, dass sich die drinnen gerade diskutierten Probleme in der Steinergasse nicht mit ein bisschen gutem Willen in Zukunft doch noch lösen lassen.
BRIGITTENAUER LÄNDE
„Man soll nie vergessen, woher man kommt“
Eine Gruppe von Kindern und Jugendlichen hat sich mit den wohnpartner-Mitarbeiterinnen und -Mitarbeitern auf der Grünfläche vor ihrem Wohnhaus in der Brigittenauer Lände 170 zusammengesetzt, auch ein paar Eltern sind dabei. Die Stimmung ist gut, es gibt am Anfang des Gesprächs sogar gemeinschaftlichen Applaus für alle Gesprächsteilnehmerinnen und alle Gesprächsteilnehmer.
Nach einer kurzen Einführung für die Kinder über die Geschichte der Gemeindebauten ist es die höchst eloquente Sunna, die sich als Älteste unter den anwesenden Kindern und Jugendlichen auch als Erste zu Wort meldet: „Ich bin schon seit meiner Geburt hier in der Anlage, mit sehr vielen Menschen kommt man sehr gut zurecht, mit anderen weniger. Aber die Gemeinschaft hier ist wie eine Familie, es gibt auch viele Neuankömmlinge, und die nehmen wir sozusagen in die Familie vom 20. Bezirk auf.“
Eine starke Ansage, und Familie bleibt eines der bestimmenden Themen des Gesprächs, das andere heißt Freundschaft – beides bringt der neunjährige Mert später in einem rührenden Satz auf den Punkt: „Jeder hat hier viele Freunde, weil wir alle eine Familie sind.“
Lustig wird es, als die Kinder beschreiben, wie sie sich einen idealen Geburtstag vorstellen. Mert beschreibt ernsthaft und wie aus dem Lehrbuch für Kindergeburtstage: „Ich kaufe eine Torte, und ich bekomme Geschenke, und dann kommen alle und feiern meinen Geburtstag.“
Woraufhin der kleine Furkan gelassen hinzufügt:
„Ja, so wie Mert gesagt hat. Und ich chill mich an meinem Geburtstag. Eh nur an dem Tag.“
Der Alltag der hier wohnenden Kinder ist stark mit ihrer Wohnhausanlage und den umliegenden Grünflächen verbunden, denen sie mangels offizieller Benennungen zum besseren Verständnis ihre eigenen, internen Namen verpasst haben, wie Mert erklärt: „Es gibt die Statuenwiese und die Kuniburg, die heißt aber auch Billa-Park, wegen dem Billa, der dort in der Nähe ist.“
Und wie heißt eigentlich die Wiese, auf der das Gespräch gerade stattfindet?
„Die hat keinen Namen. Sie heißt Wiese.“
Klar, war auch eine blöde Frage.
Geben wir lieber wieder Sunna das Wort, die eine Geschichte über ihre Erfahrungen im nahe gelegenen Fußballkäfig zu erzählen hat: „Ich habe, als ich acht Jahre alt war, das erste Mal dort mitgespielt, da wollten mich die älteren Jungs aber nicht mitspielen lassen, weil sie gesagt haben, ich bin zu jung. Dann mit der Zeit haben die bemerkt, dass ich ein bisschen Ballkontrolle hab, und im Sommer gab’s dann jeden Tag irgendein Turnier. Wir hatten dann Whatsapp-Gruppen, wo wir uns zum Trainieren verabredet haben. Jetzt ist weniger los, aber ich hoffe, dass es im Sommer wieder so voll wird wie früher.“
Auch wenn es um Probleme oder Verbesserungspotenzial hier in der Brigittenauer Lände geht, spielt der Fußballkäfig eine prominente Rolle. Es sei schade, dass der Boden aus Beton ist, meint einer der Buben, und Sunna ergänzt, dass auch ein Netz fehle, das zu hoch angetragene Bälle am Abflug Richtung Donau hindern würde.
Und dann gibt es da natürlich noch das ewige Thema Lärmbelästigung: Der Käfig wird seit zwei Jahren bereits um acht Uhr abends zugesperrt, weil manche Anrainerinnen und Anrainer ein Problem mit der Lautstärke der dort spielenden Kinder haben. Dafür hat die Kindergruppe überraschend viel Verständnis, auch wenn acht Uhr manchen von ihnen (wie auch dem Autor dieser Zeilen) etwas gar früh für die Nachtruhe erscheint: „Meistens sind wir auf eine Wiese gegangen und trotzdem zusammengeblieben, aber nicht hier, damit wir die Leute nicht stören, das war im Sommer ein großes Thema“, erzählt Sunna, die sich für den Abschluss des Gesprächs noch ein ähnlich starkes Statement wie für den Anfang aufgehoben hat:
„Je älter ich geworden bin, desto größer ist mein Sichtfeld für andere Parks geworden. Ich glaube, wenn die anderen größer sind, werden sie auch woanders hingehen. Aber man soll nie vergessen, woher man kommt.“
Und dafür gibt es zu Recht noch einmal gemeinsamen Applaus.
„Jeder hat hier viele Freunde, weil wir alle eine Familie sind.“
Architektur & Infrastruktur
Simmeringer Vogelperspektive
Seit mehr als 50 Jahren lebt Karl Hawelka im Gemeindebau
„Es war vor über 50 Jahren. Unsere Kinder waren ganz klein, drei und weniger als eins. Wir haben vorher in einem Untermietzimmer in Stadlau mit 16 Quadratmetern gewohnt, ohne Badewanne und Waschmaschine, obwohl es noch keine Wegwerfwindeln gab. Mein Mann hat dann die Wohnung einmal angeschaut, weil er gerne bastelt. Er hat es sehr geliebt, dass wir einen Ziegelbau hatten. Mich haben die echten Fliesen im Badezimmer fasziniert, und ich bin mir hier wie im Paradies vorgekommen.“
So erzählt Ilse Hawelka heute von ihrem Einzug im Gemeindebau auf der Simmeringer Hauptstraße 190–192, Stiege 1, Tür 1.
Und auch Karl Hawelka kann sich noch gut an die zu erfüllenden Bedingungen für den Erhalt einer Gemeindewohnung erinnern: „Man musste damals zuerst einmal irgendwo wohnen, um eine Chance zu haben, auf eine Liste für die Gemeindewohnungen zu kommen. Unsere Tochter war noch nicht ganz ein Jahr alt, erst dann hat sie aber als volles Mitglied bei der Berechnung mitgezählt.“
So mussten die Hawelkas noch ein bisschen warten, bis sie sich ihre neue Wohnung herrichten konnten: „Als wir in den Gemeindebau gezogen sind, mussten wir uns eine Zentralheizung einbauen lassen, weil es keine gegeben hat und es für die Kinder nötig war. Das hat viel Kraft und Geld gekostet, aber es hat sich ausgezahlt. Eine Küche war dann die nächste Investition. Gasherd und Abwasch waren drin, eine Hochschrankküche aus Resopal haben wir uns gekauft. Die schaut heute noch gut aus, das Material is ein Wahnsinn, das is unzerstörbar, noch über ein halbes Jahrhundert später“, schwärmt Herr Hawelka.
Und seine Frau fügt hinzu: „In unserem Haus gibt’s übrigens auch eine Waschküche, die benutzen wir auch heute noch. Ich kann die Wäsche nur nicht mehr dort hinauf- und hinuntertragen, das muss jetzt mein Mann machen …“
„Ja, ich bin das Wäschermädel“, sagt Herr Hawelka kokett, seine Frau lacht, und man merkt: Das Ehepaar hat nach über 50 Jahren offensichtlich immer noch eine sehr lustige Zeit miteinander.
Herr Hawelka, als Kind Sängerknabe und heute noch Schubert-Lieder singend in einem Chor aktiv, ist bei der Vereinigung der Mietervertreter Gebietsteilleiter der Gruppe Ost. Die Geschichte darüber, woraus dieses Engagement entstand, ist bemerkenswert und erzählt viel über die Veränderungen sowohl des Bezirks wie auch der Stadt in den vergangenen Jahrzehnten: „Neben uns hat eine Autofirma zu bauen begonnen und musste davor die Anrainer verständigen. Das war 1997 oder 1998. Da habe ich eine Einladung bekommen zur ersten Sitzung, da wurden Pläne vorgestellt. Da ich die ominöse Adresse Stiege 1, Tür 1 hatte, wurde ich als Erster eingeladen. Ich habe ja bei der Semperit gearbeitet und kannte mich mit Autos daher natürlich ein bisschen aus. Also bin ich hin. Und man hat uns einen Plan vorgelegt, wo die Montageboxen und all das auf unsere Seite, auf unsere Wiese herüberschauen sollten. Da wär auch der ganze Lärm hier herübergegangen. Ich hab mir das eine halbe Stunde angeschaut, wie die alle verhandelt haben, und dann hab ich gesagt: ‚Ich weiß nicht, ob’s geht, aber ich hätt das gern umgedreht, die Mauer bei uns und den Lärm auf der anderen Seite.‘ Wir waren ja damals eine Wohnhausanlage im Grünen. Es hat rundum fast nichts gegeben, es hat auch das Bad gegenüber nicht gegeben. Drum hat mich das unheimlich gestört. Dann hat sich das der Architekt kurz angeschaut und gesagt: ‚Ja, das geht.‘“
Dieser frühe Erfolg in Sachen Mietervertretung bestätigte Herrn Hawelka darin, dass sich Engagement auszahlt: „Ich hab dann auch den geänderten Plan bekommen, den hab ich noch heute. Ich war davon so überrascht, dass man wirklich was verändern kann, das hat mich auf die Idee gebracht, dass man das ausnützen sollte. Und heute bin ich wirklich dankbar. Da werden pro Tag hundert Autos umgerüstet, der Lärm bleibt auf der anderen Seite. Damals hat es offiziell noch keine Mietervertreter gegeben. Ich wurde damals ‚Stiegensprecher‘ genannt. Aber unmittelbar danach ist das erste Mietermitbestimmungsstatut verabschiedet worden, und ich bin dann zum Mietervertreter gewählt worden.“
Ohne Frau Hawelkas Unterstützung würde sich ihr Mann die Aufgabe allerdings nicht zutrauen: „Ich frag meine Frau immer um Rat, was meine Mieterbeiratsarbeit betrifft. Wir versuchen in ganz Wien die Mietervertreter zu betreuen, sind aber keine Obermietervertreter, sondern wollen Leuten Rat und Hilfe geben.“
Dass Herr Hawelka ein erfolgreicher Hansdampf-in-allen-Gassen ist, bestätigt Frau Hawelka lächelnd und unterstützt es ausdrücklich: „Mein Mann setzt sich für alle und alles ein, und das ist einfach wichtig. Wir ergänzen uns wunderbar, weil ich brauch meine Auszeiten. Ich weiß ja, wo er is, und er rührt sich, und wir sprechen dann danach darüber. Und wir haben Glück mit unserer Stiege: Seit wir dort wohnen, haben wir nie irgendeinen Unfrieden gehabt. Das ist unheimlich viel wert. Als wir eingezogen sind, gab’s 24 Kinder auf der Stiege. Da hat sich’s ordentlich abgespielt, aber es gab nie Probleme. Vorne hatten wir zum Einkaufen einen Konsum. Und mit den Kindern spazieren war ich sehr viel am Zentralfriedhof, das war die größte Parkanlage. Damals gab’s dort noch unheimlich viele Eichkatzerln, wir haben Nüsse mitgenommen und die gefüttert. Die Kirche mit der tollen Kuppel ist ja auch wunderschön.“
Von ihrer Dachgarten-Parzelle genießen Ilse und Karl Hawelka den Blick über Wien
Was mit der Zeit allerdings aus dem Wohnumfeld der Hawelkas verschwand, waren die Glashäuser der Simmeringer Gärtner, mit ihren Märzenbechern und Tulpen, die Frau Hawelka so sehr liebte: „Auf der Simmeringer Hauptstraße ist ein Bau nach dem anderen entstanden, das schaut heute ganz anders aus.“
Deshalb fügte es sich ideal, als sich für die Hawelkas die Möglichkeit ergab, in ihrem Nachbarhaus eine Dachgarten-Parzelle zu mieten, in der sie nun, wann immer es geht, gärtnern, entspannen und den unverbauten Blick über die Stadt genießen. „Von hier oben sieht man schon sehr weit“, sagt Herr Hawelka und deutet Richtung Horizont. „Man sieht zum Beispiel den gesamten Zentralfriedhof.“
„Und wenn man sich zu Silvester von da oben das Feuerwerk anschaut, dann hätte man am liebsten einen Hals, der sich 360 Grad dreht“, fügt Frau Hawelka hinzu, während sie dem Besucher die verschiedenen Blumenarten zeigt, die die Hawelkas in ihrem Kleingarten bereits erfolgreich angepflanzt haben.
Bei einem so weiten Blick ergibt es sich fast wie von selbst, noch auf die Zukunft des Konzepts Gemeindebau zu sprechen zu kommen, und Herr Hawelka hat dazu Gewichtiges zu sagen: „Ich hoffe, dass das alles in öffentlicher Hand bleibt. Und zwar nicht nur die Bauten selber, sondern auch die Zubringer: Energie, Wasser, Strom, Gas und so weiter. Sonst geht der Sinn des Sozialbaus verloren. Der Sozialbau und Aktionäre sind etwas, was sich absolut nicht verträgt. Es kann kein Sozialbau überleben, wenn er Gewinn machen muss. Mir fällt da immer der Perikles, der alte Grieche ein: ‚Wenn sich Bürger in einer Stadt nicht für die Belange einer Stadt interessieren, dann sind das keine stillen Bürger, sondern schlechte Bürger.‘ Ich bin kein stiller Bürger, ich will kein stiller Bürger sein. Daher versuch ich überall meine Meinung kundzutun.“
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