Kitabı oku: «Pumping Art», sayfa 2

Yazı tipi:

__4__

Frank war bisher einmal in England gewesen. In London. Vor einem Jahr. Da war er noch sechzehn. Er wollte damals unbedingt in die Tate. Er kaufte teure Flugtickets und landete in Heathrow. In der Stadt hatte er ein Hotelzimmer in der Innenstadt gebucht. Er wollte einmal übernachten, um genügend Zeit für die Tate zu haben. Seine damalige Freundin war mit. Uli. Den Flug hatte er ihr bezahlt. Frank sollte in ein paar Tagen siebzehn werden. Uli war schon achtzehn. Sie hatte einmal in der Mittelstufe wiederholt und war in seine Klasse gekommen. Sie checkte federführend in dem Hotel ein. Und er tat das, wofür er sich nicht besonders anstrengen brauchte: daneben stehen und älter aussehen, als er war. Frank war vor allem groß. Und sein Gesicht war so geschnitten, das er zwar jung, aber seriös aussah. Auf keinen Fall minderjährig. Was er zu dem Zeitpunkt war. Er hatte sich zudem sauber und gut abgestimmt gekleidet. Er wußte, das er so und mit Uli leichter zurecht kam.

Danach gingen sie in einen nahen Pub und tranken Bier. Anschließend kam der erste von zwei Besuchen in der Tate. Frank wollte das splitten. Wegen der Fülle. Und das war tatsächlich notwendig. Es gab den neuen Turner Saal und es gab eine temporäre Rothko Ausstellung, ebenfalls in einem eigenen Saal. Und man schaffte schon kaum die dauerhaften Exponate an einem Tag. Außer man lief und nickte sie einfach ab.

Frank sah von der Dauerausstellung die Hälfte. Unter anderen ein Pollock Bild, das mit einer dicken roten Kordel vor Berührung geschützt werden sollte. In jedem Saal saß ein uniformierter Aufseher in eine der Ecken auf einem Stuhl. Frank paßte es genau ab, das Bild einmal kurz mit den Fingerspitzen zu berühren, als der Typ in die entgegengesetzte Richtung guckte. Frank kam sich vor wie ein dummer Teenager, der einmal das Objekt seiner Begierde berühren mußte. Das machte diese Stadt. Er spürte es. Hier war er Teil von etwas. Frank konnte es nicht benennen. Es war nicht allein das Historische dieser gewaltigen Metropole. Nicht allein der Boden, auf dem man stand. Nicht die ehrwürdigen Gebäude. Nicht diese um ihn versammelte Kunst. Es war der Zusammenschluß von allem. Dieses verdammte Bild hatte Pollock gemalt. Es stammte von ihm. Er hatte es berührt. Das war erregend. Auf unbestimmte Art. Hier wurde Zeit aufgehoben. Authentizität hergestellt. Durch Raum. Das war London. Das spürte er. Seine Freundin konnte ihm nicht folgen. Sie lachte. Und war froh, als sie endlich wieder draußen waren, auf der Straße, in der Luft, im Trubel.

Für sie war die Erregung eine ganz andere.

Er verstand das sogar.

Für ihn war Kunst manchmal etwas Besonderes.

Für seine Freundin die Stadt selbst.

Geschäfte, Restaurants, Menschen. Der ganze Moloch. Sie gingen die Marsham Street ab, sahen Westminster Abbey, liefen durch Whitehall und kamen zum Trafalgar Square. Unweit davon lag die National Gallery mit der National Portrait Gallery und Frank überlegte tatsächlich einen Moment, ob sie sich nicht aufteilen sollten. Er in die Gallery und sie Richtung Covent Garden. Vereinbarter Treffpunkt in sechs Stunden da und da. Aber er sagte nichts davon. Er ging mit ihr. Denn immerhin waren sie zusammen.

Aber er würde Morgen noch mal seinen Tate Auftritt haben. Morgen käme die andere Hälfte der regulären Ausstellung dran und Rothko und Turner. Dazu waren sie hier. Nur dazu.

Abends im Hotelzimmer genoß er dennoch den Luxus daumendicker, makellos weißer Handtücher im großzügigen Bad. Sie hatten die doppelte Größe normaler Handtücher. Er benutzte sie zum Duschen genauso wie das hauseigene Gel, das sogar noch besser war als seines zu Hause. Er hatte es nicht mitgenommen. Er kannte solche Hotels. Früher war er mit seinen Eltern und seiner Schwester gereist.

Er besah sich im Spiegel über dem ausladenden blitzsauberen Waschbecken, das er jetzt gleich entweihen würde. Er war dünn. Seine Brust wirkte zu flach. Die Haare darauf waren im Spiegel nicht zu sehen. Aber er bekam so etwas wie ein Kreuz. Seine Schultern bewirkten eine gut proportionierte Form des Oberkörpers. Er machte keinen Sport. Er aß wenig. Jetzt hatte er nur zuviel Pints intus. Zwei Ale, zwei Lager. Er war erschöpft vom Laufen durch die Stadt und von dem Bier.

Er putzte sich die Zähne.

Dann ging er zu Bett. Uli lag schon darin. Aber sein Pimmel blieb nicht lange genug hart. Ansonsten hatte er nie Probleme. Er brauchte eine Frau nur ansehen und sein Ding stand ab wie ein Metallrohr. Jetzt hatte er zwar eine Erektion, die aber, um im Bild zu bleiben, merkwürdig weich blieb, glühendweiches Eisen. So heiß, aber weich. Seiner Freundin schien das nichts auszumachen. Sie küßte ihn, als sie in dem Bett lagen, auf den Mund, die Stirn, die Wangen, liebevoll, nicht fordernd, zuletzt noch einmal seinen biegsamen Ständer.

Dann schmiegte sie sich an seine Seite und auf mehr war sie nicht aus. Sie schlief sogar als Erste ein. Erst morgens weckte sie ihn, drängender. Legte sich nackt auf ihn. Das mochte er. So viel Körper wie möglich an seinem. Diese ganze Haut überall. Die Rundungen ihres Hinterns. Uli war üppig gebaut. Und dann ging alles ohne Hinsehen. Alles paßte perfekt. Wie ein langer improvisierter Tanz mit automatisierten Bewegungen. Mit einem eigenen Rhythmus. Mit Drehungen. Gegeneinander verschieben. Harten Griffen. Dem Überfließen reiner Energie. Bis alles Eins war.

In der Tate lernte er dann, daß es etwas gab, das ihn genauso berührte wie Sex. Dabei war er kein Kunst-Spast, der las, was darüber geschrieben wurde. Der uralte gängige Urteile übernahm. Er konnte einfach nur staunen. Aber erst hier in der Tate sah er, bei seinem zweiten Besuch am zweiten Tag, daß es keine Vermittlung von Malerei gab. Nicht durch Abbildungen in Büchern. Nicht durch Reden oder darüber schreiben. Man mußte einfach nur vor ihr stehen. Vor ihren Bildern. Und dann: Bild und Betrachter. Dazwischen passierte es. Das war der Raum, in dem Kunst stattfand. Alles andere war Gefasel. Der Versuch, mit kleinen Bildchen in Büchern etwas davon wiederzugeben. Das funktionierte nicht. So einfach war das. Ein Bild war dazu da, das man es betrachtete. Nicht mehr. Aber auch nicht weniger.

Er hatte Tränen in den Augen.

__5__

Bei dem Projekt in London geht es darum, nach dem Tod des Malers Francis Bacon dessen vollkommen versifftes und zugemülltes Atelier, so wie er es hinterlassen hat, von seiner Londoner Adresse in der Mews Reece in Kensington nach Dublin, seiner Geburtsstadt, in die Huge Lane Gallery zu verfrachten und dort in einem Glaskasten für die Nachwelt original wieder aufzubauen.

Bacon hat das Atelier seinem Ex-Liebhaber, dem Kunstkritiker John Edwards hinterlassen, der es wiederum der Kuratorin Mary McGrath überantwortet hat, damit sie dieses Projekt durchführen kann. Damit dies Eins zu Eins geschieht, mit allen Gegenständen, den 100 Leinwänden,

1500 Fotos,

70 Zeichnungen,

1300 Zeitungsausrissen,

2000 Malutensilien wie Pinseln, Lappen, Dosen, Gläsern,

Briefen,

Schallplatten,

Magazinen,

werden sie, so, wie sie original herumliegen auf Regalen, Tischen, in Schränken, und vor allem auf dem Boden, zuerst kartographiert, fotografiert und dann archiviert. Dazu sind eine Archäologin, ein Fotograf und ein Archivar engagiert, jeder von ihnen mit Assistent, damit dieses Chaos genauso rekonstruiert werden kann. Bacon hat das Studio dreißig Jahre lang nie aufgeräumt oder saubergemacht, im Gegenteil, er hat sogar die Pinsel an den Wänden oder der Tür abgestrichen. Benutzte Lappen liegen lassen. Sogar als gestalterische Elemente Staub und Dreck mit in die Farben verrührt.

Peter und Frank bekommen das als eine der Wenigen und Letzten noch einmal in diesem Originalzustand zu sehen. Und Peter ist als Assistent von Perry Ogden angestellt, des Fotografen.

__6__

Die Kabine auf der Fähre ist ein Witz.

Mona hat sie gebucht. Sie kann nicht gewußt haben, daß es eine Besenkammer mit zwei übereinander an einer Wand befestigten Regalen ist, die die Betten darstellen sollen. Man erkennt das an den darauf liegenden gefalteten grauen Decken. Keine Kopfkissen. Das ganze Ding erinnert an Umkleide. Nicht allein das Platzangebot. Die Wände reichen nicht bis zum Boden und nicht bis zur Decke. Sie lassen überall freie Spalten. Das ist wirklich Umkleide. Und das ganze Ding befindet sich auch noch so tief unten im Schiffsbauch, das sie im Falle einer Havarie niemals rechtzeitig durch die verschiedenen, farblich unterschiedlich gekennzeichneten Flure und dicken Schotten und Metalltreppen zurück nach oben kämen.

„Hier penne ich nicht“, sagt Frank.

„He, ist nur für eine kurze Nacht. Ich beschwer´ mich auch nicht.“

„Das meine ich nicht.“

„Was dann?“

„Das liegt zu tief. Zu tief im Schiff. Das meine ich.“

„Laß uns erst mal was trinken. Vielleicht siehst du das danach anders. Oder gar nicht mehr.“

Er lacht.

Peter will unbedingt sein erstes Pint trinken. Die Fähre ist bereits englisches Territorium. Und Peter ist Engländer. Er ist in London geboren und aufgewachsen. Mehrmals im Jahr fährt er hin, irgendwelche Leute besuchen. Deshalb ist die Anreise für ihn nichts Besonderes. Er hat schon verschiedene Fähren genommen, auch diese hier. Und hat schon in solchen Kabinen gelegen. Aber immer so zugedröhnt, das er davon nie etwas gespürt hat. Diesmal allerdings will er länger in England bleiben, sechs Monate und wird in diesem Land zum ersten Mal außerhalb der Stadt wohnen. Mona hat fast alles organisiert, was mit diesem Projekt zusammenhängt, aber um diese Wohnung in Billericay hat er sich selbst gekümmert. Er hat schon immer einmal außerhalb auf dem Land wohnen wollen. Nun ist dazu die Gelegenheit. Mona hält in der Zeit das Atelier in Hamburg am Laufen. Telefonate, Verwaltung, Abrechnungen, Termine. Und Jan, zweiundzwanzig Jahre jung, sein Zweiter Assistent, ist zuständig für die handwerkliche Ausführung der laufenden Aufträge von Lebensmittelfotografie. Peter umgibt sich gerne mit jungen Menschen.

Sie finden auf die oberen Decks, lange, niedrige, neonbeleuchtete Gänge zwischen aneinandergereihten Geschäften und Fast Food-Ecken, alles mit offenen Türen. Man kann überall hineinspazieren. Das tun auch hunderte Menschen. Großes Gedränge und Geschlendere. Andere scheinen zielstrebiger. Viele sitzen schon und essen.

Frank will hinaus.

Peter meint, daß er ihnen Sitzplätze suche. Er müsse dringend sein erstes Pint haben. Frank könne nachkommen. Er werde ihn schon finden.

Frank nickt und geht weiter an Schaufenstern vorbei. Dahinter sieht er Mädchen vor Regalen mit gefärbten Flakons an ihren Handgelenken riechen, lachen und reden. Er sieht sie an. Er stöhnt innerlich. Er hat drei oder vier Tage nicht masturbiert. Das ist immer gefährlich. In Cezannes Biographie heißt es: Sein problematisches Verhältnis zu Frauen hält ihn von Aktstudien fern. Das könnte auch auf ihn zutreffen. Mädchenkörper sind magisch. Wie kann man nicht von ihnen angezogen werden? Wie sie nicht berühren wollen? In Frank ist das immer vorhanden. Die Gier nach Haut. Nach Wärme. Nähe. Oh Gott, er darf nicht mal daran denken!

Er nimmt einen Treppenaufgang, stößt eine schwere Doppeltür auf und findet sich plötzlich draußen wieder. Auf einem Außendeck. Es regnet immer noch. Das ist die berühmte kalte Dusche, haha. Frank stellt sich mit dem Rücken gegen eine Wand, die trocken ist. Das Deck ist fast leer. Sein Blick geht auf das Fährgelände, auf ein Kai des Hamburger Hafens. Unter trübem Tageslicht. Winternachmittag. Kalt. Bald wird es dunkel. Ein paar letzte Autos fahren noch in den Schiffskörper.

Dann ist der Parkplatz leer, bis auf die, die nicht mitfahren. Die bleiben. Und winken. Irgendwann sprudelt und gurgelt Wasser auf- und abschwellend, das Schiff vibriert, die Motoren dröhnen, es gibt eine weiche Bewegung, weg von der Kaimauer, zuerst langsam, dann schneller, die Kaimauer entfernt sich, das Vibrieren pendelt sich auf einer Höhe ein, treibt nun deutlich das Schiff über das Wasser der Elbe. Die Winkenden werden kleiner.

Frank sieht sich um.

Ein alter Mann mit Kamera in Plastikfolie filmt die Abfahrt. Fünf Meter weiter zieht eine ältere Dame an einer Leine einen kleinen Hund im Mäntelchen hinter sich her. Das Viech will nicht laufen. Die Dame redet auf es ein. Und zieht wieder an der Leine. Wer richtet jetzt wen ab? Wer prägt wessen Verhalten? Frank haßt genau dies. Nicht die Hunde als Geschöpfe. Aber den Zirkus, der mit ihnen veranstaltet wird. Rituale, die entstehen.

Er wendet sich ab. Geht.

Die Entfernung zum Ufer ist größer geworden. Das Tempo der Fähre ist erstaunlich. Das ist die Strömung. Sie sind nun mitten auf der Elbe. Häuser auf großen Grundstücken ziehen vorbei. Jetzt im Winter sind sie zu sehen. Im Sommer, wenn die Bäume voller Laub sind, nicht. Das sind die reichen Vororte. Dann kommen Häuser und Höfe in der Landschaft. Die Elbe weitet sich. Die Ufer weichen noch weiter zurück. Das Land ist absolut flach. Darauf nun geduckte Höfe, miniaturisierte Strommasten, die hinter Feldern Straßenverläufe andeuten. Bleiche Wiesen. Kaum Farben. Grau, Braun, blasse Grünflecken. Und das alles hinter diesigen Schleiern.

Irgendwann öffnet sich die Elbmündung zum Übergang in die Nordsee. Man sieht den Übergang nicht. Gerade ist es noch Elbe, dann Nordsee. Offene Nordsee. Wind darüber, eiskalter Wind. Frank muß einen anderen Platz aufsuchen. Er streift die Kapuze seines Sweatshirts über, zieht die Kordel enger. Ihm ist kalt geworden. Die Jacke, die er trägt, wärmt nicht.

Durch eine Dünung, die unter ihm rollt, schwankt er beim Gehen leicht zur Reling hin. Er beugt sich darüber, sieht nach unten zu dem Geräusch, das von den Wellen verursacht wird, wo sie gegen die Schiffswand klatschen und rauschen und smaragdgrün schaumig zurückbleiben. Frank wundert das, wo die Nordsee doch grau ist, wenn man über sie hinweg sieht.

Er beugt sich weiter vor.

Die Tiefe hat einen starken Sog.

Der Wind betäubt sein Gesicht.

Er möchte fast hinunterspringen.

Aber er richtet sich wieder auf.

Er ist inzwischen naß vom Regen geworden.

Er denkt daran, daß in dreizehn Tagen Weihnachten is und er dann zum ersten Mal nicht zu Hause sein wird. Und das sein Vater das noch nicht weiß. Er weiß noch gar nichts. Frank ist weg. Und das ist ein tieferer Einschnitt als nur die Reise. Er ist aus dem ausgezogen aus dem Elternhaus. Er ist weg von Zuhause.

Seinen Vater hat er aber schon seit einem Monat nicht gesehen. An den will er jetzt allerdings nicht denken. An ihn nicht und an niemanden.

Er will gar nicht denken.

Am liebsten will er hier oben bleiben. Die ganze Überfahrt. Aber die dauert laut Auskunft zweiundzwanzig Stunden. Über Nacht. Nein, er geht zu Peter zurück. Gesellschaft ist zwar nicht Teil des Jobs, aber Teil von etwas, das er nicht benennen kann bezüglich Peter.

Außerdem ist ihm in seinen nassen Sachen kalt. Er geht deshalb einen Eingang suchen. Vor ihm öffnet sich das hintere Deck, wie ein quergelegter Tennisplatz groß, voller Pfützen, in einer Ecke ineinander gestapelten Plastikstühle, angekettet. Ein Pärchen hat sich davon einen genommen und unter einen kleinen Dachvorsprung gestellt, um geschützt zu sein vor dem Regen. Das Mädchen auf dem Schoß des Jungen. Münder aneinander. Seine Hand wie ein Facehugger für ihren Hinterkopf, in ihren Haaren. Frank macht einen Bogen um die Beiden. Und so geht er halb über das leere Deck und weiter auf das andere Seitendeck, mitten hinein in den kalten Wind und Regen.

Aber da, da ist eine Tür.

__7__

Er stößt sie auf und schaut einen Treppenabgang hinunter. Im Gehen streift er die nasse Kapuze ab. Streicht mit der Hand die langen Haare nach hinten. Am Ende der Stufen erreicht er eine weitere Tür. Dahinter ist ein Kinosaal ohne Leinwand. Ein Aufenthaltsraum mit Reihen gepolsterter Klappsitze, auf denen einzelne Typen halb sitzen, halb liegen, nur drei haben sich auf den Boden zwischen die Sitzreihen gepackt, umgeben von Rucksäcken und ausgezogenen Turnschuhen, nach denen es hier auch riecht. Die Typen verbringen so die Nacht. Frank merkt sich den Raum angesichts des Eindrucks von der Kabine, in der sie gerade ihre Taschen abgestellt haben.

Von diesem Saal hier ist man innerhalb einer Minute im Freien. Frank durchschreitet ihn, verläßt ihn und gelangt in einen langen Flur. Shopping-Deck mit Menschengedränge. Restaurantbuchten mit billigem Plastikmobiliar. Tax-free Läden. Eine Auskunft. Und zuletzt ein Saal, in den das Deck hier drinnen mündet, in dem dutzende kleine runde Tische stehen mit Stühlen daran, nur wenige Sessel. Im Hintergrund ein Podest, das eine Bühne suggerieren soll mit drei weißen Anzugtypen darauf, die auf Gitarren spielen, was wiederum Musik suggerieren soll. Das Publikum reagiert überhaupt nicht darauf. Nur hie und da johlt ein Depp, indem er den drei Musikern zuprostet, ob aus Spott oder Anteilnahme.

In dem gesamten Saal stehen nur drei Tische mit jeweils drei Sesseln. Auf einem sitzt Peter, neben ihm ist einer frei. Frank schlängelt sich durch die Leute, die überall an den Tischen sitzen.

„Wo warst du?“

„Draußen. Hatte ich doch gesagt.“

„So lange? Bei dem Wetter?“

„Immer noch besser als das hier.“

„Ah, du mußt nur genug trinken. Hier ... !“

Peter deutet auf ein volles Glas Bier. Dann auf den freien Sessel.

„Setz dich. Trink.“

Im dritten Sessel sitzt ein Mädchen, das zu jung ist, um alleine unterwegs zu sein. Es muß irgendwo zugehören. Sie sieht goth oder emo aus. Frank kann das nicht unterscheiden. Dies hier ist schwarz gekleidet, gewollt ungepflegt, schwarzes Haar nach allen Richtungen abstehend, dunkel geschminkte Augen, große Ohrringe. Magerer Typ. Sie guckt Frank intensiv an.

Peter deutet auf das Mädchen.

„Das ist Julia. Sie fährt mit uns.“

„Sie fährt mit uns?“

„Sie fährt mit uns. Sie hat irgendwie ihr Geld für London verloren. Wir nehmen sie das Stück mit.“

„Ist sie allein?“

„Ja.“

„Du kannst mich auch selbst fragen“, sagt sie und ihre Stimme ist so hell, das sie zum vermuteten Alter paßt. Frank schätzt sie auf dreizehn, vierzehn. Sie schaut ihn immer noch an. Als müsse sie das tun.

„Hat sie dich angesprochen?“

„Yowp.“

„Peter ... .“

„Nun setz dich doch endlich!“

„Wie alt bist du?“

„Vierzehn.“

„Frank, bitte!“

„Vierzehn?“

„Ja.“

„Hast du einen Ausweis?“

„War in meiner Tasche. Die ist mir geklaut worden. Da war auch alles andere drin. Mein Laptop und mein Geld vor allem.“

„Ist dir just nach der Abfahrt gestohlen worden?“

„Nein, vor der Abfahrt.“

„Und du bist trotzdem auf dem Schiff?“

„Ja.“

„Normalerweise geht zuerst zur Polizei oder zum Amt oder so.“

„Ich bin aber hier.“

„Das ist doch scheiße!“

„Was?“ fragt Peter erstaunt.

„Wir sollen sie mitnehmen? Die ist doch niemals legal unterwegs.“

„Ich will nur nach London.“

„Und sie reist ohne Papiere ein. Mit uns. Oder was?“

„Ihr nehmt mich erst hinter dem Zollgelände mit.“

Siehst du? Alles klar“, meint Peter.

„Was sehe ich?“

„Das wir sie nicht an Land schmuggeln. Wir nehmen sie hinter dem Zollgelände mit nach London. Easy doing.“ Er hebt sein Pint, prostet Frank zu und trinkt es in vier langen Zügen leer.

„Du bist keine vierzehn.“

„Okay, ich werde vierzehn.“

„Setz´ dich doch endlich, scheiße nochmal.“

„Und du?“

„Was?“

„Wie alt bist du?“

„Was tut das jetzt zur Sache?“

Sie trägt auf ihrem mageren Körper mehrere Lagen Kleidung, jede einzelne dünn, jede einzelne sichtbar, wie gefächerte Textilproben. Ein Top, darüber ein Shirt, darüber noch ein Shirt, darüber eine Weste, ein Tuch und zuletzt eine dünne Jacke. Sie hat drei Stecker-Piercings im Gesicht, in einer Braue, einem Nasenflügel und auf der selben Seite über der Oberlippe. Und auf einem ihrer dünnen Unterarme schaut halb aus dem Ärmel ein Tattoo heraus. Das ist zu erwachsen für ein Mädchen ihres Alters.

Sie sieht ihn immer noch an.

Frank setzt sich endlich.

Die Combo im Hintergrund macht jetzt einen auf mexikanisch und ein paar Spacken im Publikum ermuntern sie noch, indem sie applaudieren. Ein älteres Paar steht Tatsache auf und beginnt, sich stocksteif und unrhythmisch umeinander zu drehen.

„Seid ihr ein Paar?“

„Wir?“ fragt Peter. „Nein.“

Erst jetzt schaut sie ihn an.

„Aber du bist doch schwul, oder?“

„Gutes Auge, mein Kind. Und er?“

„Nein.“

„Was?“

„Er nicht.“

„Woran willst du das sehen?“

„Seh´ ich.“

„Und du?“

„Was ich?“

„Freund oder Freundin?“

„Nein.“ Dann: „Gehabt.“

„Und? Sowas wie Liebeskummer?“

„Nein.“

Frank interessiert das alles nicht. Er denkt lieber an das, was vor ihm liegt. England. Der Job. Vielleicht irgend etwas Neues. Dabei schweift sein Blick durch diesen Saal voller Menschen. Überall stehen übereinander gelegte Papppaletten mit Dosenbier auf dem Boden neben den Tischen. Tax-free-Ware. Allein dafür sind einige auf dem Schiff. Und nehmen, um mehr davon einkaufen zu können, irgendwen mit, der nicht einkauft, es aber offiziell getan hat. Freund, Nachbar. Um das gesetzlich erlaubte Kontingent auszuschöpfen. Ohne Steuern ist Schnaps, Zigaretten, Parfüm spottbillig.

„ … ihr in London?“

„Ein Projekt.“

„Was für ein Projekt?“

„Wenn ich es dir sage, darf ich dich fotografieren.“

„Was?“

„Nur Portrait. Ich mache auch Portraits, in Schwarzweiß. Und du bist … so jung und … mager. Laß mich von dir Bilder machen. Ausrüstung hab ich im Wagen.“

„Nein.“

„Warum?“

„Nein. Möchte ich nicht.“

„Die Bilder kommen auch nicht ins Netz, wenn du das meinst. Die nehme ich nur für mich. Du paßt in meine Sammlung.“

„Nein.“

Peter hebt die Hände.

„Okay. Gut.“

Er ist trotzdem rot im Gesicht geworden. Frank weiß inzwischen, daß das seine Art von Schüchternheit ist. Er spricht zwar dauernd Leute an, redet mit ihnen auch offen, wird dann aber oft genug selber rot.

„Was macht ihr also in London?“ fragt das Mädchen.

„Hat was mit der Kunstszene zu tun.“

„Bist du ... Künstler?“

Sie sieht dabei aber wieder Frank an.

„Ich habe ein Fotoatelier in Hamburg. Lebensmittelfotografie. Was auf Packungen drauf kommt. Er ist mein Assistent.“

„Lebensmittel?“

„Fotos. Vorher machen wir die Dummys davon. Die echten Lebensmittel würden die Studiobedingungen nicht heil überstehen. Deshalb stellen wir Dummys von ihnen her. Spaghetti mit Sauce zum Beispiel. Aus Kunststoff.“

„Und damit verdienst du Geld?“

„Kann man so nicht sagen. Im Moment sind die Ausgaben höher als das, was reinkommt. Aber auch dafür fahre ich nach London. Als eine Art Investition ins Geschäft.“

„Aha.“

Und als wäre damit alles gesagt, steht er plötzlich auf und geht auf den Thresen im Hintergrund zu, an dem Bier ausgeschenkt wird. In englischen Pubs und Cafés gibt es keine Tischbedienung. Hier genausowenig. Peters Gang ist leicht schwankend. Er hat also nicht nur das Bier hier getrunken. Frank weiß, das er einen silbernen Flachmann einstecken hat, den er auf dieser Fähre mindestens einmal nachfüllen wird. Und das er immer noch etwas zusätzlich einwirft. Tabletten. Kicks. Eckis. Jedenfalls dockt er nun nach einem Slalom zwischen den Tischen regelrecht an dem Thresen an. Für ihn ein Stück Heimat.

Das Mädchen gräbt in ihrer riesigen Umhängetasche und holt daraus Zigaretten und Feuerzeug hervor. Sie steckt sich eine an. Hält Frank die Packung hin. Er winkt ab.

„Was genau ... machst du?“

„Hierbei? Ich bin der Fahrer.“

„Nur Fahrer?“

„Keine Ahnung. Assistent.“

„Wofür?“

Frank will sich nicht mit dem Mädchen unterhalten. Er würde ihr nicht angeboten haben, mitfahren zu können. Egal ob hinter dem Zollgelände oder nicht. Das Mädchen ist ihm nicht ganz geheuer. Etwas stimmt mit ihm nicht. Nicht nur, daß es in dem Alter, mit einem solchen Outfit, alleine unterwegs ist.

„Er soll der Assistent eines Fotografen sein, der das Atelier eines verstorbenen Malers fotografiert. Francis Bacon.“ Er weiß nicht, warum er das jetzt sagt. „Das ganze versiffte Ding soll kartographiert, fotografiert und archiviert werden, damit es original in Dublin wieder aufgebaut werden kann.“ Vielleicht sagt er es lediglich noch einmal für sich selbst. „So will es der Kunstmarkt.“

„Er ist dann also auch Assistent?“

„Ja.“

„Ein Assistent, der seinen Assistenten mitbringt?“

„Äh, ja.“

Sie stößt Rauch steil vor sich in die Luft. Und bohrt ihre schwarz geschminkten Augen in seine. Das kann sie. Und das wirkt nicht kindlich. Ist sie vielleicht doch älter? Nein. Ist sie nicht. Vielleicht aber größer, als sie da in dem Sessel aussieht. Sie sitzt mit gekrümmtem Rücken da. An ihr ist nicht viel Weibliches.

₺151,37
Türler ve etiketler
Yaş sınırı:
0+
Hacim:
230 s.
ISBN:
9783844240139
Yayıncı:
Telif hakkı:
Bookwire
İndirme biçimi:
epub, fb2, fb3, ios.epub, mobi, pdf, txt, zip