Kitabı oku: «Pumping Art», sayfa 4

Yazı tipi:

__11__

Seine Schwester Fanny war bereits ausgezogen, als die Mutter noch da war. Fanny war zu dem Zeitpunkt fünfzehn Jahre. Zuerst wohnte sie bei einer älteren Freundin, die eine eigene Wohnung in Hamburg hatte. Ein Jahr später zog Fanny alleine nach Berlin. Die Schule brach sie ab. Das schrieb sie ihm. Irgendwann hatte sie begonnen, ihm Briefe zu schreiben. Zuerst über ihre Mutter. Beziehungsweise über deren Ehe mit dem Vater. Wie verlogen das alles war. Krank. Kaputt. Dann schrieb sie von Berlin. Von Leuten, die sie traf. Ihrer Wohnung, die sie mit zwei Frauen teilte. Von Musik, die sie hörte und Büchern, die sie las. Frank konnte aus alledem eine Art Richtung ablesen. Junge Frauenliteratur von Autorinnen, die nur drei, vier Jahre älter waren als Fanny selbst. Anfang Zwanzig. Die aus China stammten und jetzt in London lebten. Oder dahin eingewanderte Italienerinnen. Die unverblümt von ihrem ausschweifenden Leben berichteten. Wollte Fanny ihnen nacheifern? Schrieb sie deshalb von Partys, von Typen, mit denen sie zusammen war? Und das vor dem Hintergrund Berlin? Der einzigen ernstzunehmenden Großstadt in Deutschland? Sie schrieb von Ausstellungen, die sie besuchte, Penck, Baselitz, Daniel Richter. Kopierte sie nur?

Nein, es mußte etwas anderes sein.

Eigenes.

Einen ihrer Briefe trug er wochenlang in der hinteren Hosentasche mit sich herum. Das Papier war an den Falzkanten schon dünn und weich.

Lieber Frank,

ich möchte dir noch rasch von meinem Ausflug nach Hamburg erzählen, von der Rothko-Ausstellung, die ich besucht habe, ohne dich zu sehen. Ich hatte es dir vorher schon geschrieben, daß ich es nicht zu dir schaffen werde. Um es gleich vorweg zu sagen, es war schrecklich. Nicht dich nicht zu sehen. Du weißt, wie ich das meine. Auch nicht Rothko, seine Bilder. Was ich meine: die Leute dort und ich möchte versuchen, es dir zu erklären. Das ist schwierig genug, damit du mich nicht wieder für die eingebildete Kuh hältst, für die du mich sicher schon oft gehalten hast. Oder nicht? Denn ich glaube, das du mir immer noch nicht zutraust, das ich nicht blasiert und eingebildet bin und was sonst noch alles. Aber das ist ja vielleicht Teil meiner Werbung um dich, das ich dir auch hiermit wieder das Gegenteil beweisen möchte. Also. Nach zweieinhalb stündiger Zugreise von Berlin nach Hamburg, die schon schrecklich genug war, weil der Zug vollgestopft mit Menschen und es im Wagen unerträglich heiß war, genauso wie draußen auf den Bahnsteigen und den Straßen, klebrig und ... , war die Ausstellung dann voller Besucher, die, bis auf Ausnahmen, alle diese Kopfhörer trugen und damit vor den einzelnen Bildern stehen blieben, genau nach den auf dem Boden davor angebrachten Nummern und ich konnte mir vorstellen, wie die Stimme vom Band in den Kopfhörern jeden dieser Idioten von Nummer zu Nummer schickte und ihre Kunsterklärungen zum Besten gab. Und das war der Punkt. Sie alle hatten nie gelesen, wie Rothko seine Bilder betrachtet wissen wollte. Wetten? Er selbst meinte ja, daß die Bilder für sich sprechen, eine Beziehung zum Betrachter aufbauen. Rothko empfahl dazu sogar eine bestimmte Entfernung beim Anschauen. Nicht mehr, nicht weniger. Er selbst hatte nie eine weitere Erklärung bezüglich seiner Bilder abgegeben. Eine Interpretation. Es sollten immer nur die Bilder selbst sein, die sich dem Betrachter mitteilen. Ja, die ohne den Betrachter keinen eigenen Wert an sich hätten. Es gab nur diese empfohlene Entfernung zum Bild. Und dann hättest du wirklich alle diese Idioten sehen müssen, wie sie sich mit ihren blöden Kopfhörern vor ein Bild nach dem anderen stellten. Verstehst du? Sie kriegten das Bild selbst erklärt und wußten gar nichts! Diese Idioten hatten schlicht und ergreifend keine Ahnung von dem, was sie betrachteten. Jeder Kopfhörer signalisierte sozusagen einen vollkommenen Ignoranten. Blöderweise waren die wenigen ohne diese Kopfhörer auch nicht besser zu ertragen mit ihrem dummen Gewäsch, das sie vor jedem Bild ihrem jeweiligen Begleiter mitteilten, alle diese wiedergekäuten Klischees von schwebenden Farbflächen und dem Diffusen, das ... blah blah blah ... in sich trägt. Alles, was man sonst auch über Rothko liest. Es war fürchterlich! Es war ganz schrecklich. Wie soll man unter solchen Umständen in eine solche Ausstellung gehen? Wie soll man so ein Bild von Rothko ansehen können? Es war eigentlich unmöglich! Die Ausstellung selbst machte es unmöglich, die Bilder anzusehen. Das war der Punkt. Die Ausstellung machte es unmöglich. Stell dir das vor! Und ich war darüber plötzlich so verzweifelt, daß ich die Ausstellung verließ, ich mußte weg von all diesen Leuten. Ich bin mir tausendmal sicher, das Rothko selbst eine Zurschaustellung seiner Bilder unter solchen Bedingungen und vor solchem Publikum niemals gebilligt hätte. Kopfhörer! Aus denen gestanzte Texte nach Nummern zu hören sind! Da sollen diese Bilder für jeden Blödmann konsumerabel gemacht werden!

Und dann, am Ende, in diesem unvermeidlichen Shop, durch den man durch MUSSTE, um zum Ausgang zu gelangen, diese Bildkataloge mit den lachhaft winzigen Abbildungen seiner Werke ... Oh mein Gott, auch das ist unbeschreiblich ... falsch, öde, dumm - mir fehlen die richtigen Worte - auf jeden Fall meinen die Menschen in solchen Ausstellungen, das sie etwas gesehen und nachher sogar noch etwas mit nach Hause genommen hätten in Form solch lächerlicher Bildbändchen. Was sie beides nicht haben. Nichts gesehen, nichts mitgenommen.

Aber das alles wollte ich dir gar nicht schreiben, sondern ich wollte davon reden, das ich dort einen Mann getroffen habe, einen sehr viel älteren und interessanten und wem zum Teufel sollte ich davon erzählen, der mir nicht gleich wieder Vorhaltungen macht, wenn nicht dir? Er trug einen auffallend hellen, gutgeschnittenen Anzug und zuerst...

__12__

„Der da winkt uns durch.“

„Ja.“

„Echt geiler Typ. Bestimmt ein Schmusebär. Der steht sicher auf Arschfingern.“

„Klar. Vater von drei Kindern, seit achtzehn Jahren verheiratet, arbeitet seit zehn Jahren hier und schmust gerne mal mit einem von der Fähre. Ey, was machst du jetzt?“

„Ich fotografiere ihn.“

„Laß das doch.“

„Warum? Nur ein paar Bilder. Der Typ sieht so geil aus. Guck´ ihn dir an.“

„Der sieht das doch!“

„Soll er ja. Vielleicht post er sogar ein bißchen.“

„Der wird doch erst aufmerksam!“

„Nur ein paar Fotos.“

„Der sieht uns!“

„Er soll in die Kamera gucken. Das ist nachher auf dem Bild besser, wenn er direkt heraus guckt. Da kann man besser darauf abspritzen. Quasi mit Augenfick.“

„Gott, der winkt uns.“

„Der winkt uns durch.“

„Der winkt uns.“

„Die winken hier immer durch, weil man erst da hinten rausgewunken werden kann, in die Halle. Wenn man denn rausgewunken wird.“

„Wer entscheidet ...?“

„Die hier durchwinken. Die sagen über diese Funkteile an ihren breiten männlichen Schultern den Kollegen Bescheid, wer ihnen aufgefallen ist.“

„Der da macht das gerade.“

„Nein.“

„Doch.“

„Der guckt nur zur Seite.“

„Aber er spricht dabei. Guck doch.“

„Nein, tut er nicht. Der kaut was.“

„Der spricht.“

„Der kaut. Schöner Mund. Der könnte mir mal was kauen.“

„Der spricht.“

„Nein, tut er nicht.“

Und dann rutschen sie wie Papierboot auf Bach einfach durch den Zoll hindurch. Geradewegs mit dem Autostrom. Plötzlich verlassen sie das Gelände und fahren auf einer normalen Straße.

Nur daß Frank auf der linken Fahrbahn fährt.

Das fühlt sich sehr unwirklich an.

Peter beugt sich vor und schaltet das nachträglich eingebaute Tapedeck ein. Der USB-Stick ragt aus einer Anschlußstelle heraus. Auf dem Display steht eine 30. Soviel Songs sind darauf geladen. Peter drückt nun die Wiedergabetaste. Während der erste Song losgeht, fahren sie durch die Stadt Harwich, die wie ein Dorf anmutet. Eine Durchgangsstraße, gesäumt mit einfachen, kleinen Häusern. Auf einem der Bürgersteige steht ein Mädchen mit großer Umhängetasche. Julia. Sie steht einfach da und raucht. Sie muß schon länger von der Fähre herunter sein.

Frank überlegt, vorbeizufahren.

Er überlegt wirklich.

Aber Peter setzt sich eben wieder gerade hin und sieht sie.

„Da!“

Frank fährt an den Bordstein.

Peter steigt aus und läßt das Mädchen einsteigen, obwohl auf der Rückbank eigentlich kein Platz ist, weil alles voller Sachen liegt. Aber sie drückt in der lauten Musik eine der Taschen in den Fußraum hinter Franks Sitz. Dann schiebt sie den weichen Karton weit genug zur Seite und stapelt Tüten darauf. Dadurch schafft sie einen schmalen Sitzplatz.

„Vorsicht mit meiner Tasche“, sagt Peter laut von draußen neben dem Wagen in die Musik hinein.

„Ja“, ruft sie zurück.

„Geht´s denn?“ meint Frank noch lauter.

__13__

Sein Vater benutzte seinen speziellen Hebel, den er seit jeher benutzte: Geld. Frank merkte es, als er in der Innenstadt in der Nähe des Rathausmarktes, an einem Automaten Geld ziehen wollte. Seine Karte wurde einbehalten. Es gab kein Geld. Überraschte ihn das? Eher nicht. Aber das war noch nie passiert. Mit seinem Rennrad fuhr er den ganzen Weg zurück nach Hause.

Der Audi stand nicht auf der Auffahrt.

Frank war allein im Haus.

Er ging hoch in sein Zimmer, zwei Liter Cola und eine Tüte Chips im Anschlag. Es war mittlerweile 20 Uhr. Er mußte umdisponieren. Ratz anrufen. Er schaltete seine X-Box ein und fing eine Kampagne COD Modern Warfare an. Trank Cola. Er wußte nicht mal, ob er wütend war. Er vergaß die Zeit. Obgleich ein Gedanke immer latent vorhanden war. Nur nicht mehr der an Ratz. Es war der, wie er zu Geld kommen konnte.

Ratz fiel ihm erst sehr viel später wieder ein. Er nahm das Telefon. Ratz hatte offenbar schon geschlafen. Er schlief fast immer. Daher der Spitzname.

„Mhmm?“

„Ich bleib zu Hause.“

„Wer?“

„Ich.“

„Frank oder was?“

„Ja, Mann.“

„Wie spät ist es?“

„Äh,... irgendwas vor halb Eins.“

„Ah, warum?“

„Was? Warum es vor halb Eins ist?“

„Warum du jetzt anrufst!“

„Sorry. Hab nicht auf die Uhr geguckt. Ist das jetzt schlimm?“

„Ich hab geschlafen.“

„Klar.“

„Und ... was ist jetzt los?“

„Ich kann dir kein Geld bringen. Heute. Freitag. Okay? Heute ist schon Freitag. Aber das wird nichts. Mein Alter hat mein Konto gesperrt. Und ich hab auch nichts mehr hier."

„Was ist?“

„Ich kann dir kein Geld leihen. Heute ist Freitag. Ich wollte dir Freitag Geld leihen. So gesehen ruf´ ich echt rechtzeitig an.“

„Oh, Kacke!“

Frank sah über seinen Schreibtisch. Leere Gläser. Leere Chipstüten. Leere Flaschen. Undefinierbare, turmartige Papierstapel, uralte Schulbücher, Romane, leere CD-Hüllen.

„Gott ... ! Und warum hat er das gemacht?“

„Kennst du Celvin und Hobbes? Ein amerikanischer Cartoon. Celvin ist sechs oder sieben Jahre. Und sein Vater ein Bürohengst, der immer meint, das dies und jenes Celvins Charakter stärke und da ...“

„Frank.“

„Was?“

„Ich kann dir echt nicht folgen.“

„ ... sagt Celvin einmal, das ... .“

„Ich kenn das Comic nicht.“

„Okay.“

„Aber ich brauch das Geld. Dringend.“

„Aber ich hab´s nicht.“

„Echt Kacke! Und nun?“

„Ich zocke noch ein Deathmatch. Dann ruf ich dich zurück. Vielleicht fällt mir was ein.“

„Alter, ich ... .“

„Du kannst eh nicht mehr schlafen. Und ich noch nichts.“

„Was weißt du noch nicht?“

„Wenn ich das wüßte, würde ich es jetzt nicht nicht wissen, okay?“

„Wa ...?“

„Ich ruf´ dich an.“

„Frank, du ... .“

„Ich ruf dich zurück.“

„Okay.“

„ Vielleicht kann meine Mutter sozusagen posthum ... .“

„Ich kann dir wieder nicht folgen ...“

„Ich ruf dich zurück.“

„Deine Mutter ist doch lange weg.“

„Deswegen posthum.“

„Okay.“

„Ist dein Vater eigentlich noch da?“

„Was meinst du?“

„Ob er ... naja, da ist?“

„Ja. Er ist jetzt nicht da. Er ist irgendwo über Nacht. Und er ist sonst selten da. Aber er wohnt hier, wenn du das meinst.“

„Das meinte ich.“

„Sonst wär´ ich hier schon weg.“

„Okay.“

„Ich ruf dich gleich zurück.“

„Okay.“

„Ich ruf dich an.“

„O-kay.“

Frank ging durchs leere Haus. Inzwischen fühlte er sich alleine nicht nur sehr viel besser. Er wollte ganz alleine sein. Jetzt blieb er auf diesem mittleren von drei Stockwerken. Hier war sein Zimmer neben dem von Fanny, das er, seit sie weg war, als seines mitbenutzte, aber mit den Sachen darin, die sie zurückgelassen hatte. Deshalb betrachtete er sein Zimmer als privat. Deshalb schloß er es immer ab, sobald er hineinging oder fortging. Fannys Zimmer nicht. Das benutzte er öffentlich. Dort gab es unter anderem eine zweite Konsole, stapelweise Videospiele, DVDs, CDs. Alles das benutzte er. Aber es gab keine Geheimnisse.

Die weiteren Räume auf der Etage waren: ein Wirtschaftsraum, den ihre Putzhilfe für die anfallende Wäsche benutzte, zwei Bäder und das elterliche Schlafzimmer, in dem sein Vater schon lange nicht mehr schlief. Er hatte eins der Gästezimmer im Erdgeschoß, das nie Gäste gesehen hatte, zu seinem Schlafzimmer umfunktioniert. Das war Frank auch lieber, weil sie sich so weniger begegneten und weil Vaters neue Freundin hier manchmal schlief.

Das, wonach er suchte, fand er im ehemaligen Elternschlafzimmer in einer Schublade neben einem Stapel Seidenschals. Eine Schmuckkassette. Der Schlüssel lag im Nachtschränkchen. Frank war überrascht, beides, Kassette und Schlüssel so vorzufinden, wie er sie erinnerte. Er hatte beides oft gesehen, als er hier noch als kleiner Junge herumgeflitzt war. Er schloß die Kassette auf. Sie war voller Schmuck.

Sein Vater hatte ihn der Mutter gekauft, als sie noch eine Art Ausstattung vor Anderen sein mußte wegen der Firma und der Schmuck ein Zeichen des Erfolgs. Zu der Zeit sah sie gut aus. Es gab noch ein paar Fotos von ihr. Seine Mutter aufwendig, nicht aufdringlich frisiert, blond, mit einem Schimmer Rot. Teuer angezogen. Schlank. Tolle Figur. Sie mußte so aussehen.

Auf einem Foto stand sie in einem eleganten weißen Kleid, Halskette und Armband golden, aufeinander abgestimmt. Eine umwerfende Farbkombination mit ihrem Haar und dem Kleid. Alle anderen Fotos waren weg. Er hatte sie schon einmal gesucht. Aber es gab im ganzen Haus, außer diesen wenigen, offenbar kein einziges Bild mehr von ihr. Und der Laptop seines Vaters, auf dem vielleicht noch welche abgespeichert waren, war durch ein Paßwort geschützt.

Aber er fand das Armband, das er im Sinn gehabt hatte. Es war schwer.

Er legte es in seinem Zimmer neben die Tastatur auf dem Schreibtisch und suchte im Internet nach einem Goldhöker in der Stadt. Es gab Dutzende. Die meisten warben damit, daß sie Zahngold kauften.

Einen davon suchte er aus.

Dann rief er Ratz wieder an.

Der Höker war ein Mann Ende Zwanzig, vollbärtig, mit Brille, reserviert, er saß auf einem rollbaren Bürostuhl hinter einem Thresen mit Glasplatte obenauf. Das war Arbeitsfläche und Vitrine in einem. Darin Goldschmuck. Auch Silber. Frank legte das Armband darauf.

„Von deiner Mutter, sagst du?“

„Genau.“

„Geerbt oder ...?“

„Genommen.“

„Also geklaut?“

„Nein. Sie ist weg. Vor zwei Jahren. Sie hat´s einfach dagelassen. Es liegt ewig rum. Das gehört niemandem mehr. Willst du´s haben?“

Der Typ beugte seinen Lockenkopf darüber. Es war sein Geschäft. Sein eigener Laden. Er konnte davon leben. Er hatte keine Freundin und noch nie wirklich eine gehabt. Seine Mutter war vor Jahren mit ihrem zweiten Ehemann weit fortgezogen. Er fühlte selten etwas in Bezug auf andere Menschen. Er sammelte Comics aus den Siebziger-, Achtzigerjahren. Er masturbierte einmal am Tag ohne irgendwelche krankhaften Anflüge. Ansonsten sah er abends zwei, drei Filme und aß grundsätzlich Fertiggerichte, ohne auch nur ein Kilo Übergewicht zu haben. Autismus bei vollem Bewußtsein.

„Dann gehört es dir auch nicht.“

„Es gehört keinem. Vermutlich wollte sie nichts von meinem Vater mitnehmen. Und der rührt den Schmuck nicht an. Liegt also nur da. Willst du´s haben?“

„Und wenn´s doch gestohlen ist?“

„Das weißt du nicht.“

„Ist es das?“

„Nein.“

Der Höker sah Frank an.

„Und dein Vater taucht nicht hier auf?“

„Nein.“

„Und wenn doch?“

„Tut er nicht.“

Der Höker sah das Armband genauer an, indem er es einem Okular, das er vor ein Auge hielt, näherte. Ansonsten regte er sich eine Minute nicht.

„Du brauchst dringend Geld, was?“

„Das geht dich nichts an.“

„Wozu?“

„Das geht dich nichts an.“

„Wenn ich das hier nehmen soll, möchte ich das wissen. Drogen?“

Frank wußte die Antwort seit gestern. Er hatte es gestern noch beschlossen. „Nein. Für ein Zimmer. Ich will ein eigenes Zimmer anmieten.“

„Stimmt das?“

Der Höker sah Ratz an, der hinter Frank in dem kleinen Laden stand. Sie hatten sich kurz vorher verabredet. Ohne Ratz´ Freundin, wie Frank ihn gebeten hatte. Es war nur, daß er einen Zeugen dabei haben wollte und ihm das Geld dann auch gleich geben konnte.

Ratz zog die Schultern hoch.

„Keine Ahnung, Mann.“

„Du weißt nichts von einem Zimmer?“

„Nein. Weiß er nicht. Ich hab´ gestern erst beschlossen, auszuziehen. Okay?“

„Ich weiß nicht ...“

„Ja oder Nein. Keine Fragen mehr.“

„Und du hast noch mehr davon?“

„Ja. Noch fünf passende Stücke. Uhr. Ohrringe, sowas.“

„Das ist viel Geld.“

Frank zeigte auf das Armband.

„Ich will ein Drittel dessen, was es wert ist.“

„Ein Drittel?“

„Ja.“

Warum?“

„Meine Sache.“

Der Höker hob den Kopf und sah auf einen unsichtbaren Punkt außerhalb des Ladens.

„Das wären ... etwa 3500,- Euro.“

Das war Feststellung und Frage.

„Okay.“

Der Höker brauchte noch ein paar Sekunden.

„Ich ... hab´ nur nicht soviel Geld hier.“

„Wieviel hast du hier?“

„Tausend ... ungefähr.“

„Dann hol´ ich den Rest Morgen. Geht das?“

„Ja. Gut. Morgen.“

Noch draußen vor dem Laden gab Frank Ratz eine Anzahlung auf den Betrag, den der geliehen haben wollte. Etwa die Hälfte der gesamten Summe. Bisher hatten sie sich immer gegenseitig Geld geliehen. Aber das hier war neu. Ratz war schon länger klamm, weil er kein Geld mehr verdiente. Er hatte keine Eltern, von denen er sich einfach welches nehmen konnte. Stattdessen verkaufte er Shit aus Holland. Aber es hatte Engpässe gegeben, sowohl mit Geld, als auch mit Shit. Neu war vor allem, daß Frank jetzt zum ersten Mal Geld beschafft hatte, er hatte es nicht einfach von einem Konto abgebucht.

„Rest Morgen. Ich brauche selbst noch was.“

„Alles klar. Kommst du noch mit, Milli treffen?“

„Nein. Ich will noch einkaufen.“

„Aber du kommst heute zu Ippi oder was?“

„Ja. Deswegen einkaufen.“

„Okay.“

„Sehen wir uns da.“

„Ich bring ihm noch zwei Bobbel mit.“

Frank sah ihm noch hinterher, wie er in der Menge verschwand. Wie unglaublich bescheuert ist das, wenn man seit zwei Jahren scharf auf die Freundin seines besten Freundes ist, dachte er.

__14__

Das Mädchen sitzt inmitten Franks Sachen auf der Rückbank und hat kaum Platz für ihre Beine, denn der Fußraum hinter dem Beifahrersitz ist zusätzlich dicht vollgestopft mit Bettdecke und Kissen. Peter meinte, das die Wohnung in Billericay vollmöbliert ist, wozu auch Bettzeug gehört, und hat deswegen keins mitgenommen. Frank hatte das vermutlich in dem entsprechenden Gespräch nicht mitgekriegt. und seins eingepackt.

Als das Mädchen sich endlich zurechtgerückt hat, schließt Peter die Augen.

Sie rollen bereits wieder durch Harwich und aus Harwich heraus.

Die Musik ist immer noch laut.

Es fängt an, zu regnen.

Das Mädchen beugt sich nach vorne und sagt etwas, das Frank nicht versteht. Peter reagiert gar nicht. Er scheint weggeratzt zu sein. Das Mädchen sagt wieder etwas.

„D E MU I ! L I ER!“

„WAS?“

Frank schaut einmal kurz zu ihr nach hinten.

„WAS?“

„DIE MUSIK LEISER!“

Wie sie sich da nach vorn schiebt, erinnert ihn an die Anfangsszene von Dune von David Lynch, als der Gilde-Navigator in dem trüben Medium seines Behältnis´ nach vorne schwimmt und etwas sagt. So sieht sie auch aus. Blaß, mit zu kleinen Augen. Sie hat gestern Abend auf der Fähre mit Peter noch viel Whisky getrunken. Frank war irgendwann aufgestanden, um zu dem Kinosaal zu gehen. Er hatte bis dahin nur Bier gehabt. Frank trinkt keine stärkeren Sachen. Peter hatte Franks Abgang schon nicht mehr registriert. Und mit dreizehn konnte das Mädchen in Sachen Whisky nicht mit einem mehr als doppelt so alten Alkoholiker mithalten.

Genauso sieht sie jetzt aus.

Übermüdet, verkatert.

Aber Frank hat andere Sorgen.

Hier in England im Linksverkehr schrubbt man als Fahrer direkt am Fahrbahnrand längs, wenn man, wie in diesem Toyota, das Lenkrad auf der linken Seite hat. Und man kann nicht mal sagen, daß das für Frank ein ungewohntes Gefühl ist, da er sowieso kaum Fahrpraxis hat. Es ist für ihn einfach Streß, überhaupt zu fahren, und dann noch mit diesen ständigen Kreisverkehren, in die er im Uhrzeigersinn hineinfahren und aufpassen muß, die Fahrbahnen nicht zu kreuzen, weil außen die bleiben, die zuerst wieder abbiegen wollen und innen die, die geradeaus oder nach rechts fahren. Frank nimmt hingegen eine Art Diagonale. Hinter ihm bremst einer. Er hat keinen Überblick.

„WOHIN?“

„G ck d e ilde !“ ruft das Mädchen.

„WAS?“

„GUCK DIE SCHILDER!“

„JA!“

„JA UND MACH DIE SCHEISSMUSIK LEISE!“

„JA!“

Da er aber einfach weiterfährt, weil er damit mehr als genug zu tun hat, haut das Mädchen Peter auf die Schulter. Der sieht hoch, während Frank weiter im Kreis fährt. Sie drehen inzwischen die zweite Runde. Immerhin bleibt Frank nun in der Außenspur.

„Wohin?“

Peter schaut sich immer noch um.

„Da“, sagt er dann.

„Wo?“

„Da. Die nächste Ausfahrt.“

„Da?“

„Ja.“

„Da?“

„Ja! DA! DU ... ! Du bist vorbei!“

„Ich fahr´ noch einmal rum.“

„Okay. Und wir müssen vorher noch einmal anhalten.“

„WO? HIER?“

„Nein, in Colchester.“

„Wo ist das?“

„Auf dem Weg.“

„Wo?“

„Sag ich dir. Colchester. Ich muß da zu einer Adresse.“

„Was für eine Adresse?“

Ücretsiz ön izlemeyi tamamladınız.

₺151,37
Türler ve etiketler
Yaş sınırı:
0+
Hacim:
230 s.
ISBN:
9783844240139
Yayıncı:
Telif hakkı:
Bookwire
İndirme biçimi:
epub, fb2, fb3, ios.epub, mobi, pdf, txt, zip