Kitabı oku: «Die Zweite Welt», sayfa 2
Der Händler und seine Söldner
Kapitel 1
Die letzten wärmenden Strahlen des Tages legten sich über das saftige Gras der Hügel, nördlich von Naars Zweifel. Gesunde, vor Kraft strotzende Pappeln säumten den einfachen Fuhrweg zur Linken, in den Blättern schon den ersten orangen Schimmer des Herbstes. Die nördlichsten Getreidefelder der Menschenstadt verschwanden gerade hinter der zuletzt überwundenen Anhöhe. Ein ängstliches Feldkaninchen huschte zur Seite, als es dem sich nähernden Lärm gewahr wurde. Das konstante, monotone Rasseln von Kettenhemden, Plattenpanzern und klirrenden Waffen erfüllte die Luft rund um den Trupp von gut fünfundzwanzig Mann, die müde vor sich hin marschierten. In ihrer Mitte fuhr ein Wagen, quietschend und knarrend. Zwei Maultiere zogen schwer schnaufend das Gefährt.
Der Wagen selbst war aus einfachem, wenn auch solidem Eichenholz gefertigt. Der Händler Meisterlich saß auf dem Kutschbock und stierte ins Nichts, auch er müde vom langen Tag. Er drehte sich kurz um und schaute auf die offene Ladefläche. Die wertvolle Ladung war immer noch dort, wo er sie vor zwei Tagen in Naars Zweifel verstaut, mit Wolfsfellen bedeckt und mit geflochtenen Kuhlederbändern festgezurrt hatte. Es war schon fast zu einem Ritual geworden, sich umzudrehen. Meisterlich versicherte sich andauernd vom Vorhandensein seiner Fracht. Die grauen Haare wehten ihm in die Augen. Er strich sie stets mit der Linken zur Seite. Meisterlich war alt geworden und diese anstrengende Reise ließ ihn noch älter wirken. Vor gut zwei Mondwechseln war er von Naars Zweifel aus nach Westen in Richtung Rekars Ehr aufgebrochen. Der angeheuerte Söldnertrupp brachte ihn sicher zu den Zwergen. Dort machte er gute Geschäfte, denn er erwarb eine beträchtliche Anzahl an feinsten Schwertern und Äxten aus hartem Zwergenstahl. Auch die Rückreise nach Naars Zweifel verlief gut. Fast zu gut. Dies war Meisterlichs letzte Handelsreise. Er wollte nach Hause, nach Salzheim. Er wollte endlich seine Frau, seine Tochter und seine Freunde wiedersehen.
Es gab bis jetzt nur einen einzigen Überfall. Nichts wirklich Bedrohliches. Ein kleiner Trupp schlecht bewaffneter Räuber hatte ihnen aufgelauert und war wenige Augenblicke später geflüchtet. Noch nicht einmal einen Oger hatte er in den vergangenen drei Mondwechseln gesehen. Und das, obwohl er mitten durch die Toten Sümpfe gezogen war. Dies war nicht nur die letzte, sondern auch die wichtigste Handelsreise seines Lebens. Noch nie waren so viele Goldmünzen im Spiel wie dieses Mal. Die Vorstellung, dass alles so einfach verlaufen würde, machte ihn unruhig. So einfach konnte es nicht sein. Nicht in diesen Zeiten.
Durch eine leichte Linkskurve wollte der Weg nun um eine kleine Anhöhe herumführen. Die Schatten wurden immer länger. Die Nacht würde bald hereinbrechen. Der Zwerg, ein äußerst ruhiger, gleichwohl besonnener Mann, welcher den Trupp anführte, hob die Hand ohne sich umzudrehen und rief: „Halt!“
Verwundert knurrend kamen die Männer zum Stehen. Meisterlich hielt seinen Wagen an und blickte auf. Mit zusammengekniffenen Augen sah er nach vorne, konnte aber nicht mehr erkennen, als dass sich sein besoldeter Anführer mit einem seiner Gefolgsleute unterhielt. Wenig wurde gesagt, dann kurz genickt. Der Zwerg drehte sich zu seinen Männern und brüllte mit tiefer Stimme: „Wir lagern auf dem Hügel. Scheint der sicherste Platz weit und breit. Alle an ihre Aufgaben, und das nicht zu langsam! Cebrid! Warte! Nimm dir zwei Mann und hilf dem Händler, seinen Wagen auf den Hügel zu bringen. Die Maultiere haben genug geschunden.“
Der Mann, den der Zwerg Cebrid nannte, salutierte lässig, wobei sein schwerer Plattenpanzer laut schepperte. Dann fing er selbst an, nach einigen Männern zu brüllen und Befehle zu geben.
Das Lager war schnell aufgebaut. Einige Männer brachten Holz und gingen dann anderen Beschäftigungen nach. Der Anführer selbst entfachte mit geübter Hand zwei Feuer mit einfachen Steinen, welche er von der Erde auflas. „Zwergisches Geschick für Feuer und Stein“, sinnierte der Händler anerkennend.
Cebrid und zwei weitere Männer schoben den schweren Wagen langsam auf den Hügel. Meisterlich tat die ganze Zeit über nichts anderes, als die müden Tiere mit seiner Peitsche anzutreiben. Als sie endlich oben waren, streckte sich Meisterlich träge, spannte dann die Maultiere ab und gab ihnen zu fressen. Anschließend begab er sich langsam zu einer der lodernden Feuerstellen. Er grübelte ein wenig vor sich hin, seinen müden Blick auf den Zwerg gerichtet. Dieser stand einfach da, jeweils einen der Steine, die er zum Feuer machen benutzt hatte, in jeder Hand. Erschöpft blickte er in die Flammen. Oder war es Wehmut, die Meisterlich in seinem Gesicht sehen konnte? ‚Egal‘, dachte der Händler bei sich. Er hatte wenig Lust sich zu unterhalten und dann schon gar nicht mit dem schweigsamen Zwerg. Die wenigen Versuche, die er bis jetzt in diese Richtung unternommen hatte, unterband Garantor, wie jener sich nannte, gemeinhin mit wenigen Worten. Zu sehr schien er stets in seine Pflichten versunken.
Die ersten Söldner hatten ihre täglichen Aufgaben erfüllt und saßen rund um eines der Feuer. Auf dem anderen zischten einige Fleischstücke in kleinen Pfannen. Zwei der Männer bereiteten dort ein karges Abendmahl. Drei Mann entzündeten Fackeln, postierten sich rings um das Lager und begannen die erste Wachschicht. Einer von ihnen, mit jugendlichem Gesicht und viel zu gut gekleidet für einen Söldner, teilte Wasserrationen aus. Auch diese waren knapp bemessen. Ein weiterer saß ein wenig abseits und präparierte im Halbdunkel einige Pfeile mit Harz.
Begierig aßen die Mannen ihre spärlichen Rationen, welche aus Fleisch und getrocknetem Brot bestanden. Auch die Wachen holten sich ihren Anteil und verzehrten ihn auf ihren Posten.
Es war eine laue Nacht. Kein Wind störte die Streiter. Nur hin und wieder von einzelnen Nebelschwaden verdeckt, leuchtete der Vollmond mild und beruhigend. Die Wachen der ersten Schicht weckten die Ablöse, legten die Waffen ab und begaben sich zur Ruhe.
Meisterlich schlief schon lange. Er hatte in der vorangegangenen Nacht kaum Rast gefunden. Deswegen hatte er sofort nach dem Essen sein Lager bereitet und war sofort in einen tiefen Schlaf gefallen.
Im Lager war Ruhe eingekehrt. Alles schlummerte regungslos oder ruhte sich aus, so gut es eben ging. Ab und zu war eine Eule zu hören, oder das weit entfernte Jaulen eines einsamen Wolfes. Einige der Männer schnarchten leise, andere wälzten sich von einer Seite zur anderen. Abgesehen von den Wachablösungen tat sich nichts mehr.
Meisterlich erwachte beim ersten Tageslicht, reckte sich und gähnte laut. Die anderen im Lager waren noch nicht auf den Beinen. Er war einer der ersten, die wach geworden waren. Der bittersüße Geruch von abgebranntem Kirschholz stieg ihm in die Nase. Dünne Rauchschwaden zogen von den erlöschten Feuerstellen gen Himmel. Ein metallisches Schnarren, leise aber stetig, drang an sein Ohr. Meisterlich schaute sich um, und sah den Hünen Cebrid und seinen noch größeren Bruder Brube. Die beiden saßen an der Nordseite des Lagers. Offensichtlich gehörten sie zur dritten und letzten Wache. Das Schnarren kam von Brubes Schleifstein. Mit Geduld, ja gar zärtlicher Fürsorge, schärfte er seine Hellebarde. Cebrid saß daneben und putzte seinen Zweihänder liebevoll mit einem feinen Lappen. Sie unterhielten sich, während sie ihr Werk verrichteten und auf die Weiterreise warteten. Alle Knochen schmerzten Meisterlich, als er sich erhob. Das graue Haar aus den Augen wischend, begrüßte er den Tag mit erschöpftem Knurren. Er nickte den Wachen zu, welche ihn nunmehr bemerkt hatten, ging zu seinem Wagen und überprüfte die Fracht. Die morgendliche Schwere vertreibend, stand er einen Augenblick da. Danach machte er sich daran, die Maultiere wieder anzuspannen und seine spärlichen Habseligkeiten zu verstauen. Während er seine Decke um sein kleines Kissen rollte und auf den Wagen legte, hörte er das Brüllen des Zwergs.
„Auf! ... Die Sonne steht schon am Himmel!“ Allzu lange Monologe waren nicht das, wofür sich ein Mitglied des kleinen Volkes rühmen konnte.
Traumschwere Gesichter mühten sich auf die Füße, packten mit unwilligen Händen, fast mechanisch, das wenige an Ausrüstung zusammen. Murren und Gähnen lag in der Luft. Einige brauchten länger, andere waren schon marschbereit. Ein großer Krug machte die Runde. Jeder stärkte sich unmittelbar vor dem Abmarsch ein wenig mit Wasser und trockenem Brot.
Der Trupp setzte sich wieder in Bewegung und marschierte schnell den Hügel hinab.
Zrak der Minotaurus bremste den Wagen von Händler Meisterlich ein wenig, indem er ihn mit seinen gewaltigen Armen am Ende der Ladefläche hielt und sich mit seinen stämmigen behuften Beinen gegen die Fahrtrichtung lehnte. So verhinderte er das Schnellerwerden des Gefährts. Mehrere Männer beobachteten sein Tun. Sicher, es war leichter, einen abwärts fahrenden Wagen zu bremsen, als ihn bergauf zu schieben. Dennoch war ein Schimmer von Neid oder Anerkennung in manchem Gesicht zu erkennen. Nun ließ Zrak den Wagen aus, schnaubte geräuschvoll durch seine breiten Nüstern und streckte seine Schultern. Knirschende Steine kündeten vom Ankommen des schweren Wagens auf dem schmalen Fuhrweg. Meisterlich machte es sich auf seinem Kutschbock so bequem wie möglich. Ein langer Tag wartete auf ihn.
Die Sonne strahlte schon bald ruhig vom Himmel. Weder Wolken noch Wind wollten dem schönen Tag seinen spätsommerlichen Glanz rauben. Nach kurzem Marsch waren die letzten Hügel im Norden von Naars Zweifel überwunden. Weite Ebenen taten sich auf. Sie versprachen einen einfachen und vor allem sicheren Weg, bis hin zu Naars Auge, dem Mittelpunkt des Landes, dem manifestierten Versagen Naars, dem unendlichem Loch im Herzen der Welt. Mit allerlei Fährnissen behaftet, würde Naars Auge das schwierigste Teilstück ihrer Reise sein. Nahe den weit gestreckten Hängebrücken, welche die gewaltigen Klüfte um das „Auge“ passierbar machten. Mitten im Toten Land, mussten sie unweigerlich auf Oger treffen.
Naars Auge lag aber noch in einiger Ferne. Mit lustigen Liedern über Frauen zweifelhaften Rufs, vertrieben sich einige der Männer die Zeit. Die Stimmung war gut, weit besser als am Tag zuvor. Mittlerweile, drei Tage nach dem Aufbruch aus Naars Zweifel, der Hauptstadt der Menschen, waren fast alle Mitglieder des Trupps wieder in bester körperlicher Verfassung. Die Stadt bot viel Abwechslung für Reisende. Zwei Tage war der Trupp dort verblieben. Während Garantor und der zweite die Ressourcen auffrischten, hatten die Menschen genügend Zeit, um ihre Familien zu besuchen. Vor allem aber, um alle möglichen leiblichen Genüsse auszukosten. So mancher wusste am Morgen der Weiterreise nicht mehr, ob er seinen Sold versoffen oder im Freudenhaus gelassen hatte.
Zur Mittagszeit machten sie eine kleine Rast unter einem einsamen Apfelbaum. Ein wenig Wasser machte die Runde und mit großer Freude aßen die Mannen die vermutlich letzten Wildäpfel dieses Herbstes. Einige davon wanderten auch in ihre Rucksäcke. Als sie sich erhoben um ihren Weg fortzusetzen, erschien Brand aus westlicher Richtung. Der alte Bogenschütze trug ein leichtes Lächeln auf seinen schmalen Lippen. Keiner hatte überhaupt bemerkt, dass er aus dem Lager verschwunden war. Sein knorriger Eichenholzbogen lag locker über seiner linken Schulter. In der rechten Hand hielt er ein saftiges Wildhuhn und einen kleinen Rotfuchs, beide tot. Die Männer applaudierten bei diesem Anblick und johlten freudig. Viele klopften Brand auf die Schulter und gratulierten ihm zu seinem treffsicheren Auge. Freudige Erwartung auf das Abendessen trieb den Trupp an. So blieb die Stimmung den ganzen Tag über ausgelassen.
Der Händler Meisterlich saß wie immer auf seinem Kutschbock und stierte von Zeit zu Zeit auf seine Ladung. Er war unruhig. Nur wenig der allgemein guten Stimmung färbte auf ihn ab. Er war immer noch müde. Schon viel zu lange müde. Sein Alter und der von ihm befürchtete Angriff von Räubern machten ihm zu schaffen. Zudem würden sie in einigen Tagen die östlichsten Ausläufer des Toten Sumpfes kreuzen. Es gab keinen anderen Weg nach Salzheim. Nur über die Brücken, welche dies unwirtliche Stück Land zusammenhielten. Meisterlich schauderte beim Gedanken an das Bevorstehende. Er hatte sie schon oft überquert, jedoch nur selten ohne Kampf oder eine wilde Flucht. Zu einfach war alles gelaufen. ‚Zu einfach’, dachte er immer wieder bei sich.
Als sich die Sonne vom immer noch wolkenfreien Himmel verabschiedete, befahl Garantor das Lager ein wenig abseits des Weges aufzuschlagen. Wachen bezogen ihre Posten, lange Holzstöcke wurden mit Harz eingestrichen, um als Fackeln zu dienen. Der alte Bogenschütze Brand zog dem erlegten Fuchs das Fell ab und weidete ihn sorgfältig aus. Neben ihm saß der kleingewachsene Thef und rupfte das Wildhuhn. Der Zwerg entzündete die Feuerstellen, blickte sich dann im Lager um, und überprüfte, ob alle Arbeiten ordnungsgemäß durchgeführt wurden. Alles lief bestens. Einige der Söldner hatten ihre Arbeiten schon erledigt und ruhten sich aus. Garantors breite Brust hob sich, als er anfing neue Befehle zu brüllen. „Kalad, Bloj, macht mal ´ne Halterung und zwei Spieße, damit wir die Viecher über‘s Feuer legen können! Dimite, sieh zu, dass du noch ein wenig Holz auftreibst!“
Sofort gingen die Genannten ans Werk. Dimite murrte ein wenig in seinen Bart, was ihm allerdings nichts half. Trotz seiner langen Zeit als Söldner hatte Dimite immer noch Probleme mit fremder Autorität. Er war nun seit gut dreißig Mondwechseln bei diesem Haufen und eines hatte er mittlerweile gelernt: Schreit der Zwerg, halt’s Maul und tue was er sagt. Eine wahrlich hilfreiche Grundregel.
Blass und durchsichtig zeigten sich die ersten Sterne. Die Feuer loderten mit Zischen und Knistern ruhig unter einem gütigen Vollmond. Meisterlich saß an der großen Feuerstelle und bat Thef darum, das Wildhuhn grillen zu dürfen. Thef klopfte dem alten Händler auf die Schulter und stand auf. Es war nicht das erste Mal, dass Meisterlich ihm eine derartige Arbeit abnahm. Auf diese Weise konnte der alte Mann sich ein wenig ablenken. Außerdem verbesserte der Anblick des saftigen Tieres seine Stimmung. Gutes Essen war immer willkommen. Neben ihm saß Brand, immer noch mit seinem Fuchs beschäftigt. Auch dieser brutzelte über dem Feuer. Einer der jungen Rekruten stimmte ein Lied an und mehrere sangen mit. Brube lachte lauthals über einen mittelmäßigen Witz von Thef.
Der Minotaur Zrak saß an der kleineren Feuerstelle und unterhielt sich nachdenklich mit Mauran Falkenflug, dem zweiten Mann im Lager. Lediglich Garantor saß abseits alleine da und stierte aus einigen Schritt Entfernung in die lodernden Flammen. Das Licht des Feuers reflektierte auf seinem Stahlhelm. Zuckende Lichtflecken erhellten die Schatten in seinem Gesicht. Seine derben Züge lagen unter buschigen, zusammengezogenen Augenbrauen versteckt. Keiner hätte seine Emotionen deuten können. Oder war er einfach nur müde und nachdenklich?
Das Abendmahl hielt, was es versprach. Jeder erhielt neben Trockenfleisch und Brot, eine Portion des frischen Wilds. Genügend Wasser machte die Runde. Kurz vor der zweiten Wache schliefen die meisten der Mannen. Auch Meisterlich hatte sich, hoffend auf eine ruhige Nacht, hingelegt. Cebrid schürte zum Ende seiner Wache nochmals die Flammen und begab sich zur Ruhe.
Obwohl er unruhig geschlafen hatte, erwachte der Händler erst spät. Die Sonne war schon halb aufgegangen und das Lager zum größten Teil zusammengeräumt. Eines der Feuer war erloschen, das andere züngelte noch schwach auf verkohltem Holz. Schnell stand er auf. Mit einem lauten Fluch fing er an, seine Sachen zu packen. Sein Rücken schmerzte ihn. Unverhofft kam Cebrid scheppernd zu ihm gerannt und half, die Maultiere anzuspannen. Kurz darauf waren sie wieder auf ihrem Weg. Ein leichter Wind zog von Osten her auf. Der Tag war sichtlich kälter als die vorangegangenen. Zwar leuchtete die Sonne immer noch von einem wolkenfreien Himmel, richtig wärmen wollte sie jedoch nicht mehr. Bis zum Horizont war nichts Ungewöhnliches zu erkennen. Die einfache Straße zog sich durch die Landschaft wie ein Schwertstreich. Das Gras, zum großen Teil gesund, wurde von immer mehr braunen Stellen durchzogen. Sträucher wehten im Wind. Vogelgezwitscher war rar. Nur einige Krähen saßen auf einer abgestorbenen Trauerweide, welche den Weg zur Linken säumte.
Der Trupp kam in Bewegung. Es ging wieder konstant, aber nicht wirklich schnell voran. Dazu war Meisterlichs Karren zu schwer. Die Maultiere würden ein höheres Tempo nicht durchhalten. Auf jeden Fall waren die Mannen gut erholt, gut genährt und nicht allzu sehr gefordert. Die gute Stimmung des vergangenen Tages herrschte auch heute wieder unter ihnen. Kleinere Gruppierungen bildeten sich, Gespräche verschiedenster Art wurden geführt.
Der alte Brand entfernte sich in nordwestliche Richtung von der Gruppe. Vielleicht konnte er irgendwas erbeuten.
Mit gewaltigem Brüllen und weit ausholender Gestik, veranschaulichte Brube, wie er einst in einer Kneipe fünfzehn Mann zur Strecke gebracht hatte, weil einer von ihnen eine unangebrachte Bemerkung über seine Mutter gemacht hatte. Thef, seinen schwarzen Mantel lässig über die Schulter geschwungen, lachte laut. Veoen, ein junger Mann mittlerer Statur und ebensolchen Aussehens, wollte Brube gar bezichtigen, ihnen eine Lüge aufzutischen. Daraufhin wurde die Unterhaltung natürlich noch heftiger und mehrere Männer brachten sich und ihre Meinung mit ein. Die Diskussion währte den ganzen Vormittag. Enden sollte das ganze damit, dass Brube Veoen mit beiden Händen packte, den gut achtzig Stein schweren Mann von den Beinen riss und ihn auf seine, nicht unmaßgebliche, Augenhöhe hob. Hernach erklärte er nochmals eindringlich, dass er nicht lügen würde, wobei spürbarer Zorn in der Luft lag und die dicken Venen am Hals des Hünen hervortraten. Damit war die Sache vom Tisch. Keiner schien mehr die Intention einer Widerrede zu hegen.
Meisterlich hörte dem Ganzen von Anfang an mit mildem Lächeln zu. In seinem langen Leben hatte er so manche Prahlerei miterlebt. Gerade überlegte er sich, ob er die Frage einbringen sollte, wie viel Bier Brube denn in der Kneipe konsumiert habe. Als Auftraggeber und zahlender Kunde, könnte er sich diese Dreistigkeit erlauben. Während er sich noch den passenden Wortlaut zurechtlegte, kam Zrak an seine Seite. Meisterlich drehte den Kopf zur Linken und grüßte ihn freundlich. Der Minotaur blähte die Nüstern, schnaubte laut aus. Mit dumpf tönender Stimme gab er zurück: „Naars Sohn, sei gegrüßt!“
Ein breites Grinsen lag nun auf Meisterlichs Gesicht. Den Hang der Minotauren zu den Göttern der Welt, hatte er nie verstanden. Zrak entging Meisterlichs Grinsen nicht. „Du lachst mich aus?!“, fragte er scharf nach, wobei sein mächtiges Organ sich noch einen Hauch gedämpfter vernehmen ließ.
Schlagartig verschwand der belustigte Ausdruck des Händlers. „Nein mein Freund, nein. Ich habe mit den Göttern nur sehr wenig gemein, so wenig wie ich über sie weiß. Ich empfinde die Ansprache als Naars Sohn ungewohnt. Das ist alles.“
Zrak wand seinen Kopf nach vorne auf die Straße und nickte nachdenklich. Der Minotaur trug von einem Ohr zum anderen eine Bleikette aus einfachen kleinen Ringen. Sie schwang im Rhythmus seines Nickens zwischen Hals und Kopf, vor und zurück. Kurze Zeit verging, dann sprach der Minotaur wieder, ohne sich direkt an Meisterlich zu wenden: „Du fühlst dich nicht als Naars Sohn ... dennoch bist du Mensch ... dennoch lebst du das Leben, das er dir zugedacht ... auf die Art wie er es dich lehrte.“
Meisterlich war verwirrt. Das war doch keine Frage. Oder verstand er sie nur nicht? Unbehagen machte sich in ihm breit. Wie sollte er reagieren? Sollte er überhaupt reagieren? Nein, beschloss er. Was sollte er auch sagen? Das Beste war, still zu sein. Zrak ging noch eine Weile neben dem Wagen her und stierte auf Meisterlich. Irgendwann jedoch verstand er, dass er hier keine Antwort bekommen würde. So begab er sich in die Mitte des Trupps, marschierte jedoch für sich allein weiter. Mit erleichtertem Aufatmen sackten die Schultern des alten Händlers ein wenig ab, als er sich aus dieser unangenehmen Situation befreit sah.
Im Laufe des Vormittags wurde der Wind ein wenig stärker, die Luft rauer. Die Straße blieb unverändert. Immer wieder knarrte der Wagen, als er einen Stein überwand. Als die Sonne ihren Zenit erreicht hatte, trat Mauran Falkenflug an Garantors Seite.
Bei ihm angekommen, richtete er seinen Blick nach unten, hin zum Zwerg. „Seht“, sagte der gut gekleidete Mann und zeigte mit der Rechten in nordöstliche Richtung.
„Hmmm ...“, erwiderte Garantor, während er den Horizont in der angegebenen Richtung mit den Augen absuchte. Schnell hatten seine scharfen Zwergenaugen das Ziel ausgemacht. In der tiefen Stimme Garantors schwang ein leicht besorgter Unterton mit, als er sprach: „Verdammt ... das ist Brand. Er rennt in unsere Richtung und hat kein Wild bei sich. Das könnte Ärger bedeuten.“
Mauran antwortete: „Ich kann ihn noch kaum erkennen, doch in der Tat, dieser unstete Lauf mag von Unannehmlichkeiten künden …“
Brand hatte schon viele Mondwechsel gezählt, war aber noch immer erstaunlich behände. Bald hatte er das Lager erreicht. Der Trupp blieb stehen, alle Augen waren auf ihn gerichtet. Ein wenig außer Atem, fing er an zu berichten: „Direkt auf der Straße ... ein Trupp Menschen nähert sich. Sie haben mich nicht gesehen. Es sind mindestens dreißig Mann, alle bewaffnet.“
Mauran wandte sich knapp an Garantor: „Ein Risiko! Was obliegt uns zu tun?“
Der Zwerg strich sich mit der Hand über den Bart und blinzelte nach Norden. „Kann sie noch nicht erkennen. Sind wahrscheinlich eh Händler.“
Mauran erwiderte: „Bedenkt die Möglichkeit einer Falle. So mancher Räubertrupp bedient sich derlei Spielereien.“
Mit dem üblichen Geschepper trat Cebrid vor und ergriff das Wort: „Reicht die Zeit für einen Umweg?“
Brand schüttelte den Kopf. Gleichzeitig brüllte Brube von hinten: „Ach, mein kleiner Bruder wieder, hehe. Brauchst keine Angst zu haben! Ich pass‘ ja auf dich auf.“ Der Riese grinste breit bei dieser Spöttelei, schnallte seine Hellebarde vom Rücken und marschierte demonstrativ zu seinem Bruder. Cebrid kniff nach Brubes Aussage Augen und Mund zusammen, um seinen Bruder nicht beleidigt anzuschreien.
„Ruhe!!“, wetterte Garantor. „Verdammt ... wenn ich wen brauche der den Chef spielt, meld‘ ich mich!“, schrie er dann im selben Tonfall.
Meisterlich saß unruhig auf seinem Kutschbock und beobachtete angespannt die Ereignisse.
Garantor kam in Fahrt und brüllte mit der vollen Wucht seiner Befehlsgewalt mitten in den Trupp hinein: „Kampfformation! Aber keiner killt irgendwen oder irgendwas, bevor ich es befehle! Ist das klar?! Das ist eine reine Sicherheitsmaßnahme, also dreht hier nicht durch!“
Augenblicklich brachte sich der Trupp in Gefechtsstellung.
Jeder war sich über seine Aufgabe im Klaren. Alles ging schnell und reibungslos vonstatten.
Mauran Falkenflug sammelte die ihm unterstellten Mannen um sich, und bildete den rechten Flügel. Er bezog mit ihnen Position, ungefähr zehn Schritt von Garantor entfernt und einige Schritt nach vorne versetzt. Cebrid formte mit seinen Leuten den linken Flügel. Auch dieser war zehn Schritte entfernt vom Zwerg und ein wenig weiter vorne. Waffen rasselten. Das Stampfen schwerer Stiefel erfüllte die Luft. Meisterlich drehte auf Anordnung Brands seinen Wagen nach Süden und stellte sich zu seinen Maultieren. Die Unruhe in ihm nahm rapide zu. Brand selbst begab sich mit drei Bogenschützen des Trupps auf die Ladefläche des Wagens. Dort knieten er und ein anderer Schütze namens Gaal sich nieder und fingen an, Pfeile vor sich auszubreiten. Die beiden anderen standen hinter jenen, die knieten. Die Köcher gefüllt mit Pfeilen, die Bögen fest in den Händen und den ersten Pfeil leicht aufgelegt. Garantor stand einfach da. Er hatte nichts mehr zu befehlen. Zu seiner Linken stand Brube. Der rammte den Schaft seiner mächtigen Stangenwaffe vor sich in den Boden, wohl nur, um überflüssige Energie abzubauen. Rechts von Garantor stand Zrak, eine schwere zweischneidige Streitaxt aus einfachem Stahl in der rechten Hand. Lautes Schnauben brach konstant aus seinen Nüstern. Des Öfteren trat er mit dem linken Huf hart auf das steinige Erdreich.
Hinter den dreien brachte sich Thef in Stellung. Seinen schwarzen Mantel legte er ruhig über die Schultern. Vom Hals bis zum Becken lief ein breiter Gürtel über seine schmale Brust. Eine hohe Anzahl feinster Wurfdolche aus Zwergenstahl war darin verborgen. Zwei einfache, gekrümmte Stahldolche hingen an der linken und rechten Hüfte.
Die Zeit wollte nicht recht verstreichen. Garantor brüllte über die Schulter hinweg: „Meisterlich! Holt eure Handelsflagge raus und hisst das Ding!“
Erschrocken reagierte der Händler: „Natürlich ... natürlich ...“, pflichtete er hastig bei.
Kurz darauf war der sich nähernde Trupp zu erkennen. Garantor ging zum Wagen und damit zu Meisterlich. Jener hatte seine grüne Flagge auf einem langen, dafür vorgesehenen Holzstock angebracht. „Gut“, sagte Garantor. Ohne weitere Worte nahm er das Banner aus Meisterlichs Händen und ging wieder nach vorne, an seine Position. Verhaltenes Schweigen und grimmige Gesichter prägten das Bild. Einige der unerfahrenen Rekruten fühlten sich sichtlich unwohl und warfen ihren Blick unsicher nach beiden Seiten. Der junge Bloj zitterte gar ein wenig. Er hielt sein Schwert krampfhaft in der Scheide umschlossen. Das konstante metallische Knacken von Schaft und Scheide verriet ihn. Bloj war im Flügel von Cebrid, und stand direkt neben ihm. Cebrid war ein Veteran vieler Schlachten. Väterlich legte er dem Jüngling die Hand auf die Schulter. Er drückte sie leicht, und gab Bloj zu verstehen, dass er nicht alleine war. Jener vergalt es mit einem dankbaren, wenn auch ein wenig gezwungen wirkendem Lächeln.
Der Zwerg brummte in seinen Bart. Zrak blickte ihn fragend an. Als keine Antwort kam, fragte er schließlich: „Nun?“
Garantor murrte erneut und antwortete dann: „Hmmm ... entweder die sehen uns nicht, oder sie wollen sich nicht als Händler ausweisen.“
Zrak schnaubte laut und entgegnete mit erstaunlicher Gelassenheit: „Gib ihnen Zeit. Sie verfügen nicht über die Schärfe deiner Augen.“ Für ihn schien es einerlei, ob es einen Kampf auf Leben und Tod geben würde, oder nicht.
Es dauerte nicht lange, bis alle den sich nähernden Trupp erkennen konnten. Meisterlich zitterte ein wenig, stand unruhig da und stierte nach vorne. Garantor drehte sich um und sprach bestimmt: „Sie haben die Handelsflagge gehisst!“
Entschlossen stand der Zwerg da. Nichts konnte ihn wirklich beunruhigen. Dafür hatte er schon viel zu viel erlebt. Auch Meisterlich hatte in den vielen Jahren als Händler so seine Erfahrungen gemacht. Dennoch stellte er nun das genaue Gegenteil zu dem entschlossenen Zwerg dar. Schnell atmend und zitternd ging er zu ihm und zusammen schritten sie nun aus, in Richtung des anderen Trupps. Langsam, ohne Hast.
Ihnen direkt gegenüber, näherten sich zwei Personen. Würde sich alles als korrekt herausstellen, waren es der Händler und der Söldnerführer des anderen Trupps.
„Alles klar?“, fragte Garantor seinen Auftraggeber, während er von den Lederschlaufen an seinen Schenkeln seine Kriegsaxt und den Streitkolben feinster zwergischer Machart löste. Der alte Händler zitterte immer noch, schaffte es jedoch, sich zu Garantor zu wenden und zu nicken.
Meisterlich hatte den Zwerg nie im Kampfeinsatz gesehen. Dennoch traute er ihm viel zu und erwartete in ihm den gleich guten Kämpfer wie Führer.
Nun waren die sich nähernden Männer kaum zwanzig Schritt von ihnen entfernt. Nur noch wenige Momente und beide Parteien würden stehenbleiben. Die Nahenden waren beide Menschen, als Händler und Söldner schon rein äußerlich zu erkennen. Der eine war großgewachsen und muskulös. Bewaffnet war er mit einem schweren Zweihänder, welchen er locker in beiden Händen vor seiner schwer gepanzerten Brust hielt. Der andere war eher hager und gut gekleidet. Dem Aussehen nach ein Händler, wenn auch bei weitem nicht so unruhig wie Meisterlich. Es war soweit. Die vier blieben stehen. Garantor stand kampfbereit da. Bald würden sie Gewissheit erlangen. Ruhig atmete er, seine Augen auf die vermeidlichen Gegner gerichtet. Es gab nichts zu sagen. Das war auch nicht nötig. Die Beine hatte der Zwerg leicht angewinkelt, als wolle er nach vorne springen. Er würde seiner Aufgabe gerecht werden. „Und?“, fragte er, ohne den Blick vom gegnerischen Krieger zu nehmen. Einen Moment geschah nichts. Garantor wollte eine Bewegung beim Händler gegenüber gesehen haben. Das konnte aber auch vom wehenden Wind herrühren.
Meisterlich hatte seine Stimme wieder gefunden. „Es sind Händler.“ Erleichtert atmete er auf, sein Zittern ließ nach, und seine Schultern entspannten sich.
Garantor lachte sein seltenes Lachen und schnallte die Waffen wieder an die Hüften. Die Stimmung war auf einmal wie umgekehrt. Von Angst oder Vorsicht keine Spur. Freundschaftlich nährten sich die vier einander. Mit gewichtslosem Schulterklopfen trafen sich die Händlerkollegen. Schwer schlugen die Handflächen der Söldner zusammen, als sie sich begrüßten. Der menschliche Söldner sagte erleichtert: „Ich versteh‘s nicht. Hast du was mitgekriegt?“
Noch einmal lachte Garantor laut und antwortete dann: „Nein, verdammt, nein. Mach die Arbeit, seit mehr Mondwechseln als die beiden Händler zusammen. Hab immer noch keine Ahnung was das für ´ne Zeichensprache, oder was auch immer ist!“
Beide Söldner lachten laut. Der Mensch mit dem Zweihänder packte selbigen weg und schrie seinen Mannen zu, dass sie kommen sollten. Garantor brüllte ebenfalls nach seinen Leuten.
Bald standen alle zusammen und begrüßten sich gegenseitig. Informationen wurden ausgetauscht und es wurde viel gelacht. Meisterlich befragte seinen Kollegen nach möglichen Problemen, welche der weitere Marsch wohl bereithalten mochte. Jener konnte nur antworten, dass sie auf keine Hindernisse gestoßen waren seit sie aus Salzheim aufgebrochen waren. Ungläubig fragte Meisterlich nochmals nach. Er wollte wissen, wie sie ohne Schwierigkeiten an Naars Auge vorbeigekommen waren. Mit dem Lachen eines Mannes, der darum wusste, dass die größte Gefahr seiner Reise schadlos überstanden war, entgegnete der hagere Händler: „Nichts. Kein verdammter Oger ließ sich blicken. Wir sind einfach durchmarschiert.“