Kitabı oku: «Die Zweite Welt», sayfa 3

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Meisterlich nahm diesen Umstand als schlechtes Omen auf. Nichts verlief so, wie er es erwartet hatte.

„Keine Oger ...“, sagte Meisterlich und schüttelte leicht den Kopf ohne irgendjemanden anzusehen. In seinem Geist malte sich der alte Händler aus, wie sich alle Oger des Landes irgendwo versammelt hatten, dem einzigen Ziel folgend, ihm aufzulauern. Mit Absicht rührten sie sich nicht. Ihrer Dummheit und Kampflust zum Trotz, hielten sich alle zusammen irgendwo verschanzt, bis er ihnen endlich in die Arme laufen würde.

Für einige Momente hatte er gar nicht registriert, was um ihn herum geschah. Zu sehr war er in seine paranoiden Gedanken vertieft. Der andere Händler hatte wohl irgendwas gesagt. Auf eine Antwort wartend, stand er nun da. Mit den Worten „Nicht normal ... viel zu einfach ...“, drehte sich Meisterlich um, und ging langsam zurück zu seinem Wagen. Der jüngere Händler stand perplex da, kratzte sich am Kopf, sagte noch: „Der spinnt!“, wandte sich zur Seite und fing eine Unterhaltung mit Mauran Falkenflug an, welcher eben freundlich grüßend an ihn herangetreten war.

Ruhig zog die Sonne ihre Bahn und kam ein gutes Stück voran, ehe sich die Mannen lösen konnten. Der menschliche Söldnerführer hatte drei Flaschen Kartoffelbrand dabei. Von den Barbaren, wie er sagte. Sehr stark, dafür umso schlechter im Geschmack. Selbst Garantor konnte sich nicht lösen, bevor die Flaschen leergetrunken waren. Die Diskrepanz zwischen Pflicht und Schnaps war überhaupt eine oft diskutierte Frage bei den Zwergen. Und noch einmal lag eines seines seltenen Lächeln auf dem Zwergengesicht, als sie sich verabschiedeten. Irgendwie passte dieser Ausdruck gar nicht in das derbe Antlitz. Zu sehr waren die tiefen Furchen der Verantwortung und die schwere Bürde der Vergangenheit eingebrannt.

Wieder waren sie in Bewegung und marschierten weiter. Weit würden sie nicht mehr kommen, ehe die Sonne untergehen würde. Dennoch versuchte Brand sein Glück nochmals auf der Jagd. Schnell entfernte er sich nach Nordwesten. Meisterlich tat, was er immer tat Er saß da und grübelte über die Begebenheiten. Ab und zu sah er kurz nach hinten auf die Ladefläche. Das war aber auch schon alles. Der Trupp marschierte locker voran. Einige unterhielten sich, andere schritten monoton aus, waren versunken in irgendwelche Gedanken. Die Nacht war schon angebrochen, als Brand zurückkam. Ihm war kein Glück beschieden. Mit leeren Händen betrat er das halb aufgebaute Lager und setzte sich hin, ohne etwas zu sagen. Keiner fragte ihn, warum er nichts erlegt hatte. Das würde auch nichts bringen. Dass er keinen Erfolg gehabt hatte, konnte man sehen und es war nicht nötig, ihn mit unnützen Fragen zu bedrängen. So verrichtete jeder seine Arbeit mit dem Wissen um ein kärgliches Abendmahl.

Es war eine kalte Nacht. Der Wind frischte merklich auf. Jene die nicht Wache schieben mussten, wickelten sich in ihre Decken und schliefen unruhig. Garantor hatte eine zusätzliche Feuerstelle entzündet, um seinen Männern ein wenig mehr Wärme zu spenden.

Lange saß der Zwerg da und betrachtete seinen Rekar-Stein.

Dieses Wort, Rekar, stellte gleichermaßen den Namen für den Gott der Zwerge wie für den Stein, den ein jeder von ihnen bei sich trug. Es war der Stein, mit dem das Zwergenkind am liebsten spielte. Dieser Stein war das Symbol der Liebe zu Stein und Erdreich, Feuer und Metall. Es war der wichtigste Besitz eines jeden Zwergs. Niemals würde er freiwillig weggegeben werden. Garantors Rekar-Stein war ein einfacher Klumpen Eisenerz. Er trug ihn normalerweise an einer Lederschlinge um den Hals. Nun hielt er ihn in seiner Linken, fest umschlossen. Dumpf stierte er in die Flammen, die buschigen Augenbrauen zusammengezogen, die Lippen geschürzt. Die rechte Hand fuhr langsam, mit mechanischer Konstanz, über seinen Bart. Wie so oft saß er alleine da, und wie so oft wusste keiner um seine Gedanken. Es war keineswegs so, dass sich niemand zu ihm setzten wollte. Im Gegenteil. Ein jeder seiner Mannen hegte größten Respekt für ihn. Alle die mehr als einige Mondwechsel im Trupp waren, schätzten Garantor als hervorragenden Strategen und Kämpfer. Viele würden ihn sogar als Freund bezeichnen. Dennoch setzte sich keiner zu ihm. Der Zwerg schätzte keine Gesellschaft; schon gar nicht, wenn er am Feuer saß. Und alle wussten das. Irgendwann, kurz vor der dritten Wache, begab sich Garantor zur Ruhe und legte sich auf eine große Steinplatte mitten im Lager. Er streckte sich auf dem kalten Basalt, legte seine Handflächen auf den rauen Untergrund und schlief ein.

Auch Meisterlich schlief. Wenn auch lange nicht so gut wie der Zwerg. Finstere Gedanken schlichen sich in seinen Geist. Visionen von Tod und Verderben ließen ihn immer wieder aufschrecken. Schweißgebadet quälte er sich durch die kalte Nacht.

Am Morgen stand er sehr früh auf und entfernte sich ein wenig vom Lager in Richtung Naars Auge. Die Wachen im Norden und Nordosten verrichteten zu diesem Zeitpunkt Dimite und Kalad. Die beiden Söldner sahen zwar, wie sich Meisterlich aus dem Lager entfernte, unternahmen aber nichts dagegen. „Egal“, raunte Dimite durch seinen Bart an Kalad gerichtet. Auch jener hatte nichts dagegen. Der Tag war angebrochen und etwaige Gefahren der Nacht waren nicht mehr zu fürchten.

Meisterlich blieb stehen und sah zu, wie die Sonne aufging. Die Nacht hatte ihn müde zurückgelassen. Getroffen stand der alte Mann da. Der Wind fuhr ihm in die Haare, blies sie ihm in die Augen. Das war Meisterlich egal. Er wischte sie nicht, wie gewöhnlich, aus dem Gesicht. Leichtes Fieber hatte ihn befallen, gesellte sich zu Angst und Ermattung. Keine aufmunternde Mischung für ein desolates Nervensystem wie das seine.

Wolken zogen von Osten her auf. Es würde wohl bald regnen. Immer noch waren seine Augen nach Norden gerichtet, so als wolle er ersehen, was sich bei Naars Auge tat. Das Brüllen Garantors nach seinen Mannen zog an Meisterlichs Ohren vorbei. Das Lager machte sich zum Aufbruch bereit.

Mit kräftiger Stimme gab der muskelbepackte Cebrid Anweisungen. Der Hüne war nach Mauran Falkenflug der dritte Mann der ziehenden Schar. Neben seinen erstklassigen kämpferischen Fähigkeiten zeichnete er sich vor allem durch ein beobachtendes Auge aus. Oft war er der erste, der einen Missstand erkannte und meistens behob er ihn ohne größeres Aufsehen. Auch jetzt war er es, der Meisterlichs seelische Verfassung richtig einschätzte und ihn auf die bestmögliche Art versuchte zu unterstützen. Schnell spannte er die Maultiere des Händlers an und übergab den Wagen samt Gespann an Kalad. Kurz bevor die Mannen weitermarschierten, ging Cebrid voran, um mit Meisterlich zu reden.

„Morgen ...“, sagte er. Meisterlich antwortete nicht.

Wenige Momente verstrichen. Immer noch wehte der Wind, unangenehm und stetig. Nachdem Cebrid den Händler eindringlich gemustert hatte, sprach er mit fester Stimme: „Wir werden durchkommen, sorgt euch nicht. Ihr habt den besten Trupp, den man für Geld kriegen kann.“

Der Händler sagte nichts, drehte sich aber langsam zu Cebrid. Er sah ihm in die Augen, die eigenen glasig und matt. Durchdringend musterte er Cebrid einige Zeit, als wolle er den Wahrheitsgehalt der Aussage prüfen. Cebrid begegnete dem Blick mit einem zuversichtlichem Lächeln.

Nun sprach Meisterlich: „Es scheint alles so unwahrscheinlich. Der Händler, der uns begegnete ... er zog durch Naars Auge, ohne einen einzigen von Grors verfluchten Ogern zu treffen.“

Cebrid wollte antworten, aber Meisterlich war noch nicht fertig mit seinen Ausführungen.

„Wir sind nach Rekars Ehr gezogen und wieder zurück. Ich hab die wertvollste Fracht, die sich je in meinem Besitz befand bei mir und keiner will sie mir nehmen ... das gibt es nicht!“ Die letzten Worte stieß er leicht hysterisch hervor.

Cebrid nickte und erwiderte: „Ja, es ist höchst ungewöhnlich. Wir hatten praktisch keinen Kampf bis jetzt.“ Schnell fügte er noch hinzu: „Das will nicht heißen, dass wir bei Naars Auge auf eine Übermacht Oger treffen werden.“

Meisterlich straffte die Schultern, wie zum Trotz: „Ich habe mich mit allem abgefunden. So oder so, diese Reise wird ihr Ende bald finden.“ Mit diesen Worten drehte er sich nach Süden und wollte zum Lager zurückkehren.

Cebrid packte den Händler an der Schulter und bedeutete mit festem Wort: „Wir sollten unser Glück schätzen, anstatt nach Grors Kreaturen zu flehen!“

Meisterlich wollte sich losreißen. Cebrid hielt ihn fest und sprach weiter: „Und eines sag ich euch. Gnade dem Oger, der auf uns trifft! Seit vollen achtzig Mondwechseln bin ich zusammen mit meinem Bruder Brube unter Garantors Söldnern. Kein Oger, den wir trafen hat überlebt, kein ...“

Unvermittelt unterbrach ihn der Händler: „Einen verdammten Oger ... ich fürchte mich vor …“ Nun stoppte Cebrid den Händler: „Das braucht ihr nicht!“

Meisterlich hielt inne. Ein Funke Hoffnung keimte in seinen Augen. Er ließ seinem Gegenüber die Zeit, um weiterzusprechen. Cebrid war sich nun seines Zuhörers sicher und setzte an, mit bedächtiger Stimme, tief und klar: „Es gibt keine großen Ogerhaufen. Sie sammeln sich niemals in größeren Gruppierungen.“ Nun gedachte er seine Ausführungen mit einer rhetorisch anrührenden Frage zu unterstreichen. „Was ist die größte Sippschaft, von der ihr gehört habt?“

Der alte Händler sprach ohne nachzudenken: „Eine Familie von gut vierzig Ogern, mehr als die Hälfte von ihnen ausgewachsen, bei Naars Auge und sagt jetzt nicht, das wären nicht genug, um uns auszulöschen!“

Cebrid antwortete nicht sofort, sah verlegen nach hinten. Der Trupp würde sie in wenigen Augenblicken eingeholt haben. Meisterlich sah den Hünen noch kurz an, und ging dann zurück zu seinem Wagen. Nun stand Cebrid da und stierte ins Nichts. Er wollte dem Händler Trost spenden, Mut einflößen. Er hatte versagt. Ohne ein weiteres Wort schloss er sich den anderen Mannen an, und marschierte ebenso stumm wie gedankenverloren weiter.

Die näher kommenden Wolken kündeten mit Donner und vereinzelten Blitzen vom nahenden Gewitter und schon bald versanken Tag und Nacht im unbarmherzigen Treiben der Natur.

Kein leichter Weg
Kapitel 2

„Was für ein Ausblick ... bei Naar ...“ Kalad war mit dem jugendlich aussehenden Bogenschützen Gaal ein wenig über den verschlammten Steppenboden vorausmarschiert. So waren sie die ersten, die direkt neben dem Ausläufer von Naars Auge standen. Eine kalte Mittagssonne beleuchtete die Ebene und den Riss in der Welt. Die gewaltige Schlucht lag kaum fünf Schritt vor ihren Füßen und schlängelte sich südöstlich weiter ins Land hinein. Nach Norden wand sie sich hin zum Herzen der gespaltenen Welt, zu Naars Auge.

Auch Gaal war sichtlich überwältigt und stierte mit offenem Mund auf den scheinbar unendlichen Abgrund. Die beiden jungen Söldner sahen zum ersten Mal in ihrem Leben eine der Klüfte im Land. Kalad ging bedächtig zwei kleine Schritte nach vorne und beugte sich leicht vornüber, um nach unten zu spähen. Leise sprach er, fast ehrfürchtig: „Mein Vater hat mir von Naars Auge erzählt, auch von den Schluchten, die zu ihm führen, hat er mir berichtet. Nie ... niemals hätte ich etwas derart Gewaltiges erwartet.“

Gaal hatte dem nichts hinzuzufügen. Er folgte mit seinen Augen dem schier unendlichem Nichts, das sich nach Norden wandte.

Der restliche Trupp hatte sie beinahe eingeholt und mehrere der Männer kamen zu Kalad und Gaal. Brube war einer der ersten, die sich zu ihnen gesellten. Dunkel brummend, baute er sich hinter Gaal auf. Brube überragte den Bogenschützen um weit mehr als einen Kopf. Über Gaal hinweg betrachtete er den Abgrund. Ein faustgroßer Steinbrocken lag in seiner mächtigen Hand. Immer wieder warf er ihn hoch und fing ihn wieder auf. Nachdenklich stand er da, warf den Stein hoch und fing ihn wieder.

Mit den Worten, „Das wollt‘ ich schon immer mal machen“, trennte er sich von dem Stein und schleuderte ihn über Gaal hinweg in den Abgrund. Andächtiges Schweigen breitete sich aus. Nichts passierte. Weitere Gefährten gesellten sich zu ihnen, aber kein Laut ertönte.

Nur das leichte Säuseln des Windes war zu hören. Vom schweren Regen oder den krachenden Blitzen der letzten Tage war nichts mehr auszumachen. Einige wenige Wolken hingen noch vereinzelt am Himmel. Befreit von ihrer Last, verzogen sie sich langsam nach Süden.

„Habt ihr gehört? ... Hört ihr?!“, flüsterte Kalad mit belegter Stimme. Keiner antwortete. Offensichtlich hatte keiner etwas gehört. Irgendwann riss Brube der Geduldsfaden. „Pahh!“, ließ er vernehmen, drehte sich um und folgte dem Rest des Trupps, welcher mittlerweile schon an ihnen vorbeigezogen war. Bald warteten nur noch jene, die als erste angekommen waren, vergebens auf den scheinbar unendlich fallenden Stein. Leise flüsterte Kalad: „Ich dachte ich hätte ihn aufkommen hören ... du nicht?“

Mit ebensolcher Stimme antwortete Gaal: „Nein, der fällt noch immer. Wenn du mich fragst, der kommt niemals an.“

Die beiden sahen sich kurz in die Augen und verließen dann ihren vergeblichen Horchposten. Geräuschvoll folgten sie den anderen auf dem matschigen Weg.

Müde trotteten die Maultiere voran. Die großen Wagenräder waren von Schlamm und zum Teil schon verkrustetem Erdreich überzogen. Widerwillig schienen sie ihrer Aufgabe nachzukommen, knarrten und ächzten unentwegt.

Auf dem Kutschbock saß Meisterlich und blickte müde auf die Söldner, die vor ihm marschierten.

Selten benutzte er seine Peitsche. Ebenso träge wie seine Maultiere, schien Meisterlich Verständnis für die lethargische Ausführung ihrer Arbeit aufzubringen. Müde saß er da und wurde von Tag zu Tag immer erschöpfter. Es war nun der fünfte Morgen, seit sie den nach Naars Zweifel reisenden Händler mit seinen Söldnern getroffen hatten. Dennoch konnte er seinen Berufskollegen nicht aus seinem Geist drängen. So sehr er es auch versuchte, immer wieder dachte er an ihn und an Naars Auge. Immer schlechter schlief er in der Nacht und heute würde er mit Sicherheit auch keine Erholung finden. Spätestens morgen mussten sie Naars Auge erreichen.

Es wurde allgemein wenig gesprochen. Schwer lag die gewaltige Schlucht auf der rechten Seite des Weges auf den Gemütern. Der träge Marsch ließ nunmehr wenig Freudiges zurück.

Plötzlich riss Garantor den rechten Arm hoch und murrte über die Schulter nur ein dumpfes „Oger!!“

Die wenigen Wortwechsel verstummten, und die Mannen blieben ruckartig stehen. Bis auf Meisterlich. Er hatte wohl nichts gehört und fuhr stetig weiter. Mauran Falkenflug war einer der Hintersten im Trupp. Gerade hatte er sich noch mit Brand unterhalten. Nun lief er behände die wenigen Fuß zu Meisterlich, zerrte an den Zügeln der Maultiere und gab dem Händler ein Zeichen, dass er sich ruhig verhalten solle. Meisterlich erschrak, riss die Augen panisch auf. Seine Gesichtszüge erstarrten. Er verstand jedoch, um was es ging und bremste die murrenden Tiere mit festem Ruck ab.

Dann lief Mauran nach vorne, an die Seite Garantors.

Der Zwerg stand einfach da, schnüffelte in der Luft und blickte konzentriert geradeaus. Alles war ruhig. Keiner sprach. Alle sahen nach Norden und versuchten etwas zu erkennen.

„Verdammtes Biest ... ich sehe dich“, raunte Garantor und richtete den Zeigefinger nach Norden, auf einen Punkt, den außer ihm wohl keiner ausmachen konnte. Das weite Land schien bis zum Horizont nichts als ein paar Felsen und einige wenige hagere Fichten zu beherbergen. Mauran blickte konzentriert nach Norden. „Wie viele an Zahl zeigten sich euch?“

Der aristokratische Zungenschlag Maurans schien genauso fehl am Platz, wie die Schnörkel und Strickmuster an seiner Kleidung.

Garantor antwortete zögernd, jedoch keineswegs unsicher: „Es ist einer ... nur einer. Er ist ausgewachsen.“ Der Zwerg hob seinen Kopf ein wenig mehr in die Höhe, schnüffelte erneut. Kurz darauf sprach er weiter: „Ein Mann. Und wenn ich meinen Augen trauen kann, sitzt er einfach nur da, hinter einem Felsblock. Ich kann nur den Schädel erkennen. Er überragt den Fels.“

Mehrere Mannen standen um Garantor herum. Ein jeder wusste um seine gute Nase in Bezug auf Oger und an seiner Sehschärfe hatte schon längst keiner mehr Zweifel.

Cebrid hatte seinen Zweihänder aus der Scheide gezogen und lehnte sich leicht auf ihn. Offensichtlich wusste er nicht recht, was zu tun war, oder was er sagen sollte. Ähnliche Gesichtsausdrücke waren in so manchem Antlitz festzustellen. Der Wind änderte leicht die Richtung. Garantor senkte seinen Kopf wieder auf normale Höhe und drehte sich zu Mauran Falkenflug. Mit der Rechten kratzte er sich am Bart während er sprach: „Verdammt! Was sucht ein einzelner Oger hier? Was macht er einen halben Tagesmarsch von seinem verdammten Sumpf entfernt?“

Von hinten meldete sich Brube: „Ich wette, der fette Trottel hat sich verlaufen.“ Ein kindliches Grinsen lag auf seinem Gesicht und mehrere Männer konnten sich ein bescheidenes Lächeln nicht verkneifen. Kurz blickte Garantor nach hinten, und sah grimmig in Brubes Augen. So schnell wie das Lächeln gekommen war, verschwand es wieder.

„Verdammt ...“, murmelte der Zwerg nochmals. Cebrid hatte nun genug gegrübelt. „Du bist sicher, dass es nur einer ist?“, hakte er nach.

Garantor antwortete schnippisch: „Du meinst die Frage ernst, oder?“

Verlegen kratzte sich Cebrid an der linken Wange. „‘tschuldigung ... ich versteh‘ bloß nicht, was ein Oger allein so weit im Süden tut. Ich dachte halt, ich frag nochmal ... Hätte ja sein können ...“

Cebrid sprach nicht mehr weiter. Wozu auch? Nichts Treffliches wollte sich in diese unsichere Ausführung einschleichen.

Thef kam lautlos heran und stand auf einmal unbemerkt vor Garantor. Er war nur um weniges größer als der Zwerg und blickte ihm auf gerader Linie in die Augen, als er sprach: „Wo liegt das Problem? ... Gehen wir und schlachten das Schwein!“

Garantor schien diesen Plan als befriedigend zu erachten. Zustimmendes Nicken und geschürzte Lippen zeugten von seinem Einverständnis. „Guter Plan“, sagte er, und fügte nach kurzer Pause noch hinzu: „Ich hab zwar keine Ahnung was der Oger da macht, aber er ist alleine ... und er hat es nicht verdient zu leben!“

Garantor gab Anweisung, den Oger einzukreisen und ihn in die Zange zu nehmen. Mauran Falkenflug marschierte mit seinen Leuten zur Rechten und Cebrid zur Linken des Zwergs. Brand befand sich mit seinen Bogenschützen direkt hinter Garantor und prüfte während des Marschs einige Pfeile. Meisterlich fuhr ein Stück hinter seinen Söldnern. Hier war er sicher, so hoffte er wenigstens. Es war allgemein bekannt, dass Oger einfach blindlings angriffen, wenn sie auf andere Lebewesen des Landes trafen. Egal ob es Tod oder Sieg bedeuten sollte. Zielsicher führte Garantor seine Leute voran. Der Fächer seiner kleinen Armee wurde immer breiter. Immer weiter zogen sich die Söldner auseinander und immer näher kamen sie ihrem Ziel.

Das Rasseln der verschiedensten Rüstungen lag in der Luft und ließ sich weithin vernehmen. Kräftig schnaubte Zrak durch seine Nüstern, spannte seinen breiten Nacken und lockerte die Muskeln wieder. Die Männer waren bereit und immer näher kam der Felsblock, hinter dem der Oger sich verbarg. Sie waren noch ein gutes Stück entfernt, als das gewaltige Wesen sie bemerkte und aufschrak. Mit dumpfem Grollen rappelte der Koloss sich auf die Füße und sah sich um. Schnell erblickte er seine Gegner. Er ballte die wulstigen Fäuste und brüllte, was sich eher wie grollender Donner anhörte. Sein riesiges Maul war weit aufgerissen, sein ovaler Schädel leicht nach vorne gebeugt. Die breite, unbehaarte Brust des über zweieinhalb Schritt großen Ogers hob und senkte sich mit seinem dumpfen Gebrüll. Man konnte nicht wirklich von einem muskulösen Monster sprechen, wenn man dieses Wesen genauer ins Auge fasste. Viel mehr schien er wie ein viel zu großer Mensch. Fett, mit wahrlich dummem Gesichtsausdruck, spärlichem Haarwuchs und vereinzelten schrägen Zähnen im weit offen klaffendem Maul. Ein Schimmer von Intelligenz war jedoch in den milchigen Augen zu erkennen. Gehüllt in ein vor Schlamm stehendes Bärenfell, stand er da. Stinkend und schmutzig. An einem Gürtel aus geflochtenem Hanf hing eine verschwindend kleine Keule, verglichen mit der Größe des Ogers.

Entschlossen brummte Garantor in seinen Bart. Plötzlich jedoch geschah etwas, mit dem wohl keiner gerechnet hatte. Der Oger wand sich um in Richtung Norden, Richtung Naars Auge und fing an zu laufen.

Garantor traute seinen Augen nicht, schrie: „Verdammt, was soll das? ... Brand!!!“

Der alte Schütze hatte schon längst verstanden und feuerte mit seinen Mannen eine Salve auf den fliehenden Oger ab. Keiner der vier Schützen konnte einen Treffer landen. Zu groß war die Entfernung.

„Nochmal! Verdammt schießt!!!“, brüllte der Zwerg. „Der scheucht uns den ganzen Sumpf auf! Lasst ihn nicht entkommen!!“

Während der Anführer brüllte, flog die zweite Salve über seinen Kopf hinweg in Richtung des sich entfernenden Ogers. Vergebens. Wütend schnallte Brube seine Hellebarde wieder auf den Rücken und knurrte: „Den hol‘ ich ein, wenn du willst ...“

Garantor gestikulierte mit beiden Händen, während er seine Befehle gab: „Cebrid und deine Leute, Brand und der Rest der Schützen bleiben hier mit mir beim Händler.“ Daraufhin wandte er sich an Mauran Falkenflug: „Du ... Falke, verfolgst mit dem Rest den Oger. Du musst ihn einholen. Wer weiß, wo in dem verdammten Sumpf seine Sippe haust!!“

Schon rannten sie los, mit wildem Geschepper und Kampfgebrüll. An Thef hatte Garantor keinen Befehl gerichtet. Er war neben dem Zwerg geblieben. Sie waren wohl beide der Ansicht, dass eine Verfolgungsjagd dieser Art nicht zu seinen Aufgaben gehörte.

„Verdammt, verdammt ...“, brummte der Zwerg und überdachte noch angespannt die Situation. Er machte sich Gedanken darüber, ob er die vier Bogenschützen, oder wenigstens zwei von ihnen, mit dem Verfolgungstrupp hätte mitschicken sollen. Bald hatte er diesen Gedanken jedoch verworfen. Zum einen hatte der unmittelbare Schutz des Händlers oberste Priorität und zum anderen waren Oger recht plump. Nicht schnell genug, um den menschlichen Streitern entrinnen zu können. Kurz blickte er auf Meisterlich. Der schien zwar nervös, aber anscheinend hatte er sich unter Kontrolle.

Grimmig packte Cebrid seinen Zweihänder in die Scheide. Ebenso wie die anderen Männer war er enttäuscht und nervös. Nervös, weil er um ihrer aller Sicherheit bangen musste und enttäuscht, weil er hierbleiben musste, anstatt seinem Bruder zur Seite zu stehen. Dennoch stellte er Garantors Einschätzungsvermögen nicht infrage. „Marschieren wir weiter?“, fragte er schnell. Sein Drang voranzukommen war offensichtlich.

Mit der Rechten gab Garantor das Signal zum Aufbruch. So schnell es der schwere Händlerwagen zuließ, setzten sie die Reise fort. Etwas später kam Brand zu Garantor und entschuldigte sich für sein Unvermögen und dem seiner Männer. Freundschaftlich entgegnete der Zwerg: „Hör auf Brand. Für solches Gewäsch kennen wir uns schon viel zu lange. Vergiss es einfach.“

Der verständnisvolle Tonfall Garantors beruhigte Brand sichtlich.

Nach kurzer Zeit war der Verfolgungstrupp sogar für die geschärften Sinne des Zwergs außer Sichtweite geraten.

Thef grübelte die ganze Zeit vor sich hin und schritt lautlos aus, als sei er ein Schatten. Irgendwann äußerte er seine Gedanken an Cebrid gerichtet: „Glaubst du, das war ein Späher oder irgendwas in der Richtung? Ich meine … warum sonst sollte ein Oger weglaufen? Oger laufen nicht weg ... niemals!“

Cebrid sah Thef nur mit verdutztem Gesicht an, als habe ein derartiger Gedanke keine Antwort verdient.

Fest in seinen schwarzen Mantel gehüllt, richtete Thef den Blick nach vorne und verwarf diese irrwitzige Vorstellung.

Schwerer Atem und klatschende Stiefel erfüllten die Luft unter der ruhigen Nachmittagssonne. Mauran Falkenflug hatte nur eine ungefähre Ahnung davon, wie weit sie nun wirklich von Naars Auge und dem Toten Sumpf, in dem die Oger lebten, entfernt waren. Recht viel mehr als ein halber Tagesmarsch konnte es jedoch nicht mehr sein. Immer breiter wurde die Schlucht zur Rechten der Mannen und wirkte immer kolossaler und bedrohlicher.

Nichts war mehr vom Kampfgebrüll der mutigen Verfolger zu hören. Ja selbst Brube sparte sich seinen Atem für den anstrengenden Dauerlauf. Zu schnell und ungestüm waren sie dem vermeintlich langsamen Oger hinterhergestürmt. Der Oger bewegte sich noch immer mit großem Abstand vor seinen Verfolgern und schien nicht langsamer zu werden. Konstant und eigentlich zu behände für seine wuchtige Gestalt, schritt er aus. Die Mannen rannten schon ein beachtliches Stück des Nachmittags und mehrere unter ihnen würden dieses Tempo nicht mehr länger durchhalten, geschweige denn in der Lage sein, schneller zu laufen, um den Oger endlich einzuholen.

Mauran Falkenflug war sich dessen durchaus bewusst und es lag an ihm, eine Entscheidung zu treffen. Er selbst rannte ganz vorne und gab zusammen mit dem unermüdlichen Zrak das Tempo an. Des Öfteren blickte er sich um, nach denen die hinter ihm folgten und versuchte abzuschätzen, wie viele von ihnen ein schnelleres Tempo durchhalten würden.

Mauran selbst hatte mit der momentanen Geschwindigkeit aufgrund seiner sehnigen Statur und den wenigen leichten Rüstungsteilen, die er trug, kein Problem. An Zrak verschwendete er gar keinen Gedanken. Mauran war überzeugt, der Minotaur würde auch mit der doppelten Geschwindigkeit fertig werden. Leicht sarkastisch dachte er bei sich ‚in der Tat … ein Stier ist er ...‘

Der schwere Atem Brubes drang konstant an Maurans Ohr. Dennoch würde Brube es schaffen. Und sei es nur, weil Mauran nicht glauben konnte, dass diesen Mann irgendetwas aufhalten könnte.

Die jungen Rekruten Kalad und Klai waren leicht gerüstet und beide schienen den Strapazen standzuhalten. Veoen, einer der jüngsten im Trupp, trug einen leichten Plattenpanzer. Sein roter Kopf und der unregelmäßige Atem würden ihn bald zum Aufgeben zwingen. Auch Ypek und zwei weitere Männer atmeten schwer und fingen schon an zurückzufallen. Der letzte der zehn Verfolger war Dimite. Er war soeben stehen geblieben. Mit der einen Hand stützte er sich schwer auf sein rechtes Knie. Speichel rann ihm über den Bart. Gänzlich verausgabt, hob er die linke Hand in Richtung seiner Gefährten, als wolle er sich entschuldigen. Außer Mauran hatte noch niemand bemerkt, dass Dimite zurückgeblieben war und Dimite selbst fand sich wortlos damit ab. Mauran hatte an Dimites Haltung erkannt, dass es ihm unmöglich war, weiter zu laufen, ja sogar unmöglich, durch seine überforderten Lungen ein Wort der Entschuldigung zu pressen.

‚Fünf Mann bleiben übrig‘, dachte Mauran. Kurz machte er sich noch Gedanken darüber, ob sie den Oger überhaupt einholen würden, über den Druck, der ihn zwang, mit lediglich vier weiteren überanstrengten Kriegern gegen dieses Monster anzutreten, über die Gefahr, die unweigerlich aus dem Sumpf bei Naars Auge auf sie niederbrechen musste, sollten sie den Oger nicht stellen.

Es musste sein. Mauran wusste es. „Wir müssen unser Tempo erhöhen! … So wir das Untier ... einholen wollen … Zrak ... gebt das Tempo an. Alle die es schaffen, folgen ... Der Rest trifft uns im Kampf ...“

„Gut!“, sagte Zrak und zog dabei mit Nachdruck Luft in seine Lungen.

Mehr war nicht zu sagen. Unverzüglich beschleunigte er seinen Schritt und die anderen zogen nach. Es dauerte nicht lange, bis Veoen aufgab. Ohne ein Wort reduzierte er seinen Lauf auf ein langsames, fast qualvolles Gehen. Die Überanstrengung und der Schmerz waren in sein Gesicht geschrieben. Er sank auf die Knie. Sie platschten in den schweren Schlamm und Veoen rang um Atem.

Nur langsam näherten sich die Recken dem immer noch gleichmäßig vorankommenden Oger. Zu langsam. Ebenso wie die Anstrengung des Laufens, war den Männern die Verwunderung über diesen Oger ins Gesicht geschrieben. Zu schnell und vor allem konstant war er für sein Volk. Außerdem würde ein Oger eigentlich nicht die Flucht ergreifen. Dieses Volk hatte keine Vorstellung von Strategie, Übermacht oder Unterzahl. Es ging lediglich um den Kampf und um das Töten. Auch wenn dies den eigenen Tod bedeuten sollte.

Die Zeit verstrich und der Nachmittag wand sich gen Abend. Bald würde die Sonne versinken und alles würde sich noch um einiges schwieriger gebaren. Wie es Mauran vorausgesehen hatte, waren sie nur noch zu fünft. Einer nach dem anderen musste aufgeben und immer noch war der Oger ein gutes Stück entfernt. Zudem war Mauran seit einiger Zeit bewusst, dass die anderen sie nicht mehr einholen würden. Jedenfalls nicht, bevor der Kampf entschieden war.

Mit einem feinen Spitzentuch fuhr sich Mauran des Öfteren über die Stirn. Verschwitzt und voller Schlamm trieb er sich weiter voran. ‚Was würde Garantor wohl machen?‘, dachte er bei sich. Nach kurzem Nachdenken wusste er es und trotz der Anstrengung konnte er sich ein angedeutetes Lächeln nicht verkneifen. ‚Fluchen ... Garantor würde einfach nur fluchen‘. Diese Erkenntnis brachte Mauran zu diesem Zeitpunkt nicht wirklich weiter. Dennoch kreisten seine Gedanken um den Zwerg und sein notorisches Fluchen. Kurz darauf jedoch kam der Geistesblitz, auf den Mauran wartete. ‚Fluchen ... Ärgern ... Zorn ...‘

Das war es! Händeringend sammelte er Atem, formte abgehackte Worte: „Zrak, bringt den Oger zum Stehenbleiben. Macht ihn wütend! Ihr müsst es schaffen. Ihr könnt ihn einholen, auf ein paar Schritt ... er wird euch töten wollen. Kein Oger könnte dieser Verlockung widerstehen ... so können wir an ihn herankommen. Ihr weckt seine Instinkte!“

Die kugelrunden Augen des Minotaurs stierten fragend auf Mauran Falkenflug, während er seinen Plan schilderte. Nun verstand Zrak und schnaubte belustigt. So etwas wie ein tierisches Grinsen entblößte seine stumpfen Mahlzähne. Zraks schwerer Brustkorb hob und senkte sich kaum mehr als bei einem Spaziergang und mit den Worten „Die Kinder Naars haben viel Phantasie“, rammte er seine Hufe noch fester in den Matsch und beschleunigte seinen Lauf in Richtung Norden.

Mauran atmete innerlich auf. Er hatte befürchtet, Zrak würde ablehnen. Jeder Mensch würde diese Aufgabe als Selbstmordkommando ansehen. Einen Oger alleine verfolgen und ihn ärgern, bis er dich zerfleischt. Im Nachhinein erschien ihm der von ihm selbst gefasste Plan verrückt, aber was sonst sollte er machen?

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