Kitabı oku: «Neue Schweizer Bildung (E-Book)», sayfa 2
Die Berufsmaturität wird fester Bestandteil der neuen Lehre.
Im Zentrum der angestrebten Bildungsreform steht der duale Weg. Es geht darum, das bestehende Erfolgsmodell, die Berufsmaturität und die Fachhochschule, zu öffnen. Bei der Berufsmaturität soll der grösste Schritt erfolgen. Sie soll flächendeckend für alle Berufslernenden eingeführt werden. Damit findet ein Paradigmenwechsel statt vom nachobligatorischen Modell hin zur Pflicht. Die neue Bildungspflicht bis zum Alter von 18 Jahren ist eine Verlängerung der bisherigen Schulpflicht. Schon heute wird praktisch flächendeckend eine Berufslehre oder eine allgemeinbildende Schule in Angriff genommen. Die Bildungspflicht bis zum 18. Lebensjahr ist also nichts Neues, sondern sie hält gesetzlich fest, was faktisch weitgehend der Fall ist. Eine Bildungspflicht bis 18 kennt zum Beispiel der Kanton Genf seit Längerem.[4] Im Fokus stehen in Genf jene Jugendlichen, die keine Berufslehre antreten. Es geht vor allem um Kinder mit Migrationshintergrund und Kinder beziehungsweise Jugendliche aus prekären Verhältnissen, die durch das soziale Netz zu fallen drohen. Die Genfer Bildungspflicht verpflichtet vor allem den Staat, den gefährdeten Jugendlichen Bildungsangebote zur Verfügung zu stellen, um ihnen einen Start ins Erwerbsleben zu ermöglichen.
Dieser Vorschlag geht aber weiter und fordert die Maturapflicht. Das Erlangen einer der drei Maturitäten soll obligatorisch werden. Übertragen auf die Berufsmaturität 1 bedeutet das: Es muss nicht nur ein Tag Schule pro Woche besucht werden, sondern anderthalb bis zwei Tage. Die Betriebe werden verpflichtet, ihren Lernenden die nötige Schulzeit zu gewähren. Im Fall der Berufsmaturität 2 findet die zusätzliche Schulbildung im Anschluss an die Lehre statt.
Ob man eine Berufsmaturität machen will oder nicht, soll nicht länger von den einzelnen Jugendlichen beziehungsweise deren Eltern abhängen. Die BM soll zum Normalfall werden. Mit dem Schritt von der Chance zur Pflicht werden zwei Ziele erreicht. Zum einen ist die ausgebaute Lehre Teil des dringend notwendigen Upskillings. Zum anderen ist dies ein Beitrag zu mehr Chancengerechtigkeit. Die bisherige nachobligatorische Bildung basiert auf Freiwilligkeit. Es wird ein enormer Aufwand betrieben mit Kampagnen, Informationsveranstaltungen, mehrsprachigen Broschüren. Das ist bewundernswert. Doch diesem Ansatz sind Grenzen gesetzt, die Grenzen der bildungsfernen Kultur. Dazu gehört, nicht zur Schule gehen zu wollen. Allzu oft prallen Angebote an dieser Kultur ab. Bildung wird nicht als Chance wahrgenommen, eher als notwendiges Übel, das man so schnell wie möglich hinter sich lassen möchte. Chancengerechtigkeit, die den Namen verdient, nimmt diese kulturellen Barrieren ernst. Sie nimmt die bildungsfernen Jugendlichen samt ihrer kulturellen Prägung ernst. Sie erwartet keine Wunder von ihnen. Sie erwartet nicht, was man mit dem gänzlich unangebrachten Begriff der Eigenverantwortung bezeichnet: dass sie von sich aus jenen Sprung tun. Dass sie quasi Verrat begehen an ihrem Umfeld, ihrer Kultur. Dass sie ihre Bildungsverachtung ablegen. Dass sie letztlich ihre eigene Identität hinterfragen und sich selbst neu erfinden – gegen den Widerstand ihres Umfelds, allein und ohne Hilfe, noch als halbe Kinder. So etwas zu erwarten und dies Eigenverantwortung zu nennen – man fragt sich, wovon das zeugt. Jedenfalls nicht von Menschenkenntnis.
Der Schritt von der Chance zur Pflicht macht Ernst mit der Chancengerechtigkeit. Das war bei der Einführung der allgemeinen Schulpflicht so und es ist bei der Ausweitung dieser Schulpflicht nicht anders. Die Frage, die sich hier als Erstes aufdrängt, ist die nach dem Niveau. Die Annahme, das Niveau sinke zwangsläufig bei einer steigenden Maturitäts- oder Akademiker*innenquote, beruht auf einem klassischen Denkfehler. Er ist vielfach aufgezeigt und widerlegt worden. Trotzdem hält er sich hartnäckig. Man verwendet, wenn man von einem sinkenden Niveau ausgeht, ein falsches Bild. Das Denkmuster vom leergefischten Teich und was der diesbezüglichen Metaphern mehr sind, trifft hier nicht zu. Passendere Bilder wären jene von einem Garten, dessen Blumen besser wachsen, wenn man sie hegt und pflegt. Die historische Erfahrung lehrt zur Genüge, dass sowohl qualitatives als auch quantitatives Wachstum möglich ist – in der Bildung, im Wohlstand, im gesamten Fortschrittsgedanken und der gesellschaftlichen Entwicklung. Jede Bildungsexpansion war begleitet von Ängsten um das Niveau. Solche Ängste begleiteten die flächendeckende Einführung der Berufslehre in der Nachkriegszeit oder die Expansion der Gymnasialquoten ab den Sechzigerjahren. Die Ängste erwiesen sich jeweils als unbegründet. Die neuen Quoten etablierten sich schnell als neuer Normalfall – der aber, Ironie der Geschichte, ja nicht weiter erhöht werden durfte, weil sonst das Niveau sinken würde … und so weiter.
Mit der Steigerung des Bildungsniveaus wie auch der Quote dehnte sich die Dauer der Bildung aus. Der Primarschule folgte eine Sekundarschule. Dieser folgten breiter zugängliche Mittel- und Hochschulen. Der jetzt fällige Schritt schreibt sich ein in die Geschichte dieser langen Bildungsexpansion. Es ist an der Zeit, die Berufsmatur, die man aus heutiger Perspektive als Pilotversuch verstehen kann, flächendeckend einzuführen.
Es gibt eine Binnendifferenzierung in ein Niveau A und ein Niveau B.
Es ist sinnvoll, innerhalb der Berufsmaturität verschiedene Niveaustufen einzuführen, also eine Berufsmaturität A und eine Berufsmaturität B. Dies in Analogie zu den unterschiedlichen Leistungsklassen innerhalb der Sekundarschule. Eine solche Differenzierung wird den unterschiedlichen Voraussetzungen der Lernenden besser gerecht. Gegenwärtig wird die Berufsmatura von einzelnen Berufsgruppen intensiv, von anderen aber kaum absolviert. Um auch sie zu erfassen, ist eine Binnendifferenzierung der Berufsmaturität hilfreich.
Im Kern geht es darum, den Anteil schulischer Bildung in der Berufslehre zu erhöhen. Wenn man das erreichen will, ohne den ebenso wichtigen praktischen Anteil abzubauen, braucht es eine Verlängerung der Lehre. Will man eine solche Verlängerung nicht, müssen bei der praktischen Ausbildung Abstriche gemacht werden. Nicht alle Berufslernenden schaffen die BM1 in ihrer jetzigen Form, sie ist zu anspruchsvoll. Diese Entscheidung kann nur in Absprache mit Akteur*innen der Berufslehre getroffen werden. Es gilt, bei den Erwartungen realistisch zu bleiben. Die Lernenden erreichen nicht auf mirakulöse Weise bessere schulische Leistungen. Sie werden schlicht anders oder länger gebildet.
Das Wording ist nicht entscheidend, doch der Begriff der Maturität ist treffend. Er bringt zum Ausdruck, dass beide Wege, der duale und der akademische, zu Reife führen, zu Mündigkeit und Vollwertigkeit. Matur ist nicht nur ein Teil der Bevölkerung, matur werden alle. Der Begriff zeigt, um was es in der Bildung geht: um den Menschen, seine Entfaltung und sein Recht, vollwertiger Teil der Gesellschaft zu werden. «Maturität» ist deshalb ein Begriff, der zu Recht nicht dem Gymnasium vorbehalten ist. Er sollte auch nicht einem kleinen Teil der Berufslernenden vorbehalten bleiben. Auf der anderen Seite ist es verständlich, dass gewisse Lernende vor dem Begriff «Matura» zurückschrecken. Sie sehen darin nicht das Versprechen, nicht das Schillernde und Noble, sondern Matura ist für sie bloss Ausdruck der verhassten Schule. Wenn sie noch mehr davon über sich ergehen lassen müssen, verzichten sie lieber darauf. Wenn das Wort abschreckend wirkt, so wie der Begriff «Akademiker*innen» für Gewisse ein Reizwort ist, dann ist es kontraproduktiv, den Begriff zu verwenden. Es braucht dieses Siegel nicht. Aber mehr Schule in der Lehre – das braucht es.
Gegenwärtig verfolgt die Berufsmaturität ein doppeltes Ziel:[5] Zum einen die Vorbereitung auf das Studium an einer Fachhochschule, zum anderen eine erweiterte Allgemeinbildung. Letzteres ist Bildung in einem umfassenden Sinn. Es geht darum, sich in einer von Upskilling geprägten Welt selbstbestimmt zu bewegen. Es geht um Entwicklung – im Beruf, in der Gesellschaft, privat. Dazu gehört der Aufbau von Wissen und Kompetenzen, von Arbeits- und Lernstrukturen, von reflektierten Haltungen. Sowohl die gymnasiale als auch die Berufs- und Fachmaturität stehen in humanistischer Bildungstradition. Ihr gemeinsames Bildungsziel ist die persönlichen Reife. Mit der flächendeckenden Einführung der Berufs- und Fachmaturität verschiebt sich die Gewichtung der bisherigen Bildungsziele. Wichtiger wird neben der Studienreife die erweiterte Allgemeinbildung. Die neue Berufsmaturität befähigt weiterhin zum Wechsel auf die Tertiärstufe. Sie hat aber nicht den Anspruch, dass alle Lernenden diesen Wechsel vollziehen. Es müssen nicht alle Berufsmaturand*innen studieren gehen. Wenn ein grösserer Teil als bisher auf die tertiäre Stufe wechselt, ist ein wichtiges Ziel bereits erreicht. Das ist keine Verschwendung von Bildungsressourcen. Berufs- und Fachmaturand*innen, die nicht studieren, hat man nicht «umsonst» gebildet. Die erweiterte Bildung der Berufsmaturität erfüllt klare Aufgaben. Sie passt die duale Bildung an die Anforderungen der Gegenwart an. Sie legt eine stabile, zukunftstaugliche Grundlage für weitere Bildung. Das schafft die Voraussetzungen, dass mehr junge Erwachsene ein Fachhochschulstudium aufnehmen oder den Weg über die höhere Berufsbildung in Angriff nehmen können. Die Berufsmaturität verbessert die Anschlussfähigkeit für das lebenslange Lernen, auch ausserhalb der Hochschule. Sie verkleinert die Lücke zwischen den steigenden Anforderungen und der bisherigen Bildung. Damit reduziert sie die Gefahr von Überforderung. Sie eröffnet berufliche Chancen und mindert das Risiko von Arbeitslosigkeit. Sie platziert die Allgemeinbildung ins Jugendalter, wo sie hingehört. Man soll sie nicht während des Erwerbslebens nachholen müssen.
Eine flächendeckende Berufsmaturität wertet die Lehre auf. Die Berufslehre wird noch stärker als bisher zu einer echten Alternative, die nicht nur ausbildet, sondern Bildung in humanistischem Sinn umfasst. Das nimmt Druck vom Gymnasium – und es nimmt das Recht aller Jugendlichen auf Bildung ernst. Die Binnendifferenzierung in ein Niveau A und ein Niveau B erlaubt eine spezifische Gewichtung der jeweiligen Bildungsziele innerhalb der Berufs- und Fachmaturität. Niveau A kann stärker auf die Fachhochschulen ausgerichtet sein als Niveau B. Diese Unterschiede im Niveau sind kein Novum für die Berufsmaturität. Schon jetzt lebt sie mit Niveauunterschieden zwischen den verschiedenen Branchen. Die Berufs- oder Fachmaturität mit Niveau B soll ebenfalls zum Studium an der Fachhochschule berechtigen. Das ist insbesondere für jene Jugendlichen aus bildungsfernen Verhältnissen eine Chance, die erst später Ambitionen auf ein Studium entwickeln. Diese Möglichkeit soll offen bleiben, selbst wenn sie nicht intensiv genutzt wird. Um die Chancen auf ein erfolgreiches Studium zu verbessern, können Vorbereitungskurse eingeschoben werden. Ähnlich wie die Passerelle auf das Studium an der Universität vorbereitet, können diese Vorbereitungskurse auf das Studium an einer Fachhochschule vorbereiten. Die Anforderungen der Fachhochschulen bleiben auf demselben Niveau wie bisher. Wer Mühe mit diesem Niveau hat, kann seine Chancen über den Vorbereitungskurs verbessern. Das verlängert die Bildungszeit, steht aber im Dienste der dringend notwendigen Tertiarisierung. Und es verbessert die Aufstiegschancen von schulisch Schwächeren oder Spätzündern.
Duales Lernen wird weiterentwickelt.
Die Frage, wie die schulische Bildung mit der Arbeit im Betrieb kombiniert werden soll, ist alles andere als trivial.[6] Die Doppelbelastung der Lernenden durch Arbeit und Schule ist gross, so gross, dass man sich immer wieder die Frage stellt, ob die Berufsmaturität im Grunde nicht ein Murks ist, eine Zwängerei. Ob versucht wird, den schulischen Anteil in die Lehre zu stopfen. Das Problem zeigt sich schon bei der normalen Berufslehre mit einem Tag Schule pro Woche. Bei der Berufsmaturität verschärft es sich. Wenn das Modell auf alle Lernenden ausgeweitet wird, verschärft es sich noch einmal. Das Modell kann nur funktionieren, wenn der Doppelbelastung der Jugendlichen von beiden Seiten her Rechnung getragen wird: von der schulischen und der betrieblichen. Der duale Weg ist nicht einfach. Trotzdem ist es sinnvoll, diesen Weg in der Schweiz auszubauen. Es ist die Berufslehre, die hierzulande die grösste Akzeptanz geniesst. Es ist sinnvoll, dieses hohe Prestige zu nutzen, und auf diesem Weg mehr schulische Bildung in die Ausbildung einfliessen zu lassen, so wird sie eher akzeptiert. Jugendliche sind in vielen Fällen eher bereit, die Doppelbelastung des dualen Wegs auf sich zu nehmen, als weiterhin die ganze Woche die Schulbank zu drücken.
Beim SBFI ist man sich der hohen Belastung natürlich bewusst. Eine Steuergruppe hat eine Reihe von Modellen entwickelt, mit denen sich Arbeit und Schule kombinieren lassen:[7] Gegenwärtig werden in einzelnen Kantonen verschiedene Modelle erprobt. Je nach Branche sieht eine sinnvolle Verknüpfung von Schule und Arbeit unterschiedlich aus. Aktuell wird intensiv darüber debattiert, ob eher BM1-nahe oder BM2-nahe Flexibilisierungsmodelle geeignet sind. Im Modell BM1 gehen die Lernenden anderthalb bis zwei Tage in die Schule. Schule und Praxis können laufend aufeinander abgestimmt und optimal verknüpft werden. Der Nachteil: Die Doppelbelastung ist hoch.
Im Modell BM2 wird der schulische Anteil gebündelt und in einem zusätzlichen Jahr am Ende der Lehre vermittelt. Vorteil: Man kann sich auf beides besser konzentrieren. Nachteil: Es gibt diesen biografischen Knick: Man steht am Ende der Lehre, hat seinen eigenen Lohn – und soll plötzlich wieder in die Schule. Hängt sich an diese BM2 noch die Passerelle an, so gibt das lange Bildungswege.
Die Erfolgsquote in der BM1 beträgt nur zwei Drittel. Das ist tief, deutlich tiefer zum Beispiel als in der BM2 (84 Prozent) oder am Gymnasium (86 Prozent). Das Drittel, das die BM1 abbricht, tut dies meist früh in der Ausbildung. Die Anforderungen in der BM1 sind derart hoch, dass sie selbst leistungsstarke Lernende überfordern. Auf möglichst kurze Bildungswege drängen Wirtschaftsverbände wie economiesuisse. Sie wollen die BM1 – nicht die BM2. Die gegenwärtige Reform «Berufslehre 2030» verschärft das Problem bereits auf Ebene der Grundbildung. Wie in jeder Reform – nicht nur der Berufslehre – versucht man auch dort, in der Grundbildung, noch mehr hineinzupacken. Doch bekanntlich soll man das Fuder nicht überladen. Die BM1 kann nur wachsen, wenn der schulischen Bildung mehr Zeit zuteilkommt. Noch mehr Lektionen in einen bereits vollen Schultag zu drücken, funktioniert nur auf dem Papier. In der Praxis führt es dazu, dass die Lernenden abschalten. Wenn sie schon acht Lektionen an einem Tag haben, kann man nicht einfach eine neunte anhängen.
Ein Modell mit möglicherweise weitreichenden Konsequenzen kann man hier als BM3 bezeichnen. In diesem Modell steht ein Jahr schulischer Bildung am Anfang der Lehre. Man könnte es als ein Schuljahr zwischen dem Abschluss der Sekundarschule und dem Beginn der Lehre bezeichnen. Das SBFI hat ein Modell vorgeschlagen, das dieses Jahr zur Sekundarstufe II rechnet. Der Unterricht wird an Berufsfachschulen erteilt. Ein Lehrvertrag kann, muss aber nicht vorliegen. Während diesem Berufsmaturitätsschuljahr werden allgemeinbildende Fächer wie Mathematik, Informatik, Deutsch, Französisch und Englisch unterrichtet, nicht aber spezifische Berufsbildung. Die Idee ist bestechend: Ein solches Modell kann interessant sein für anspruchsvolle Berufslehren, in denen die Lernenden erst richtig von Nutzen sind, wenn sie eine gewisse schulische Basis mitbringen. Allerding hält sich die Begeisterung für dieses Modell bisher in Grenzen. Eine Umfrage des SBFI unter Verbundspartnern (Politik, Bildung, Wirtschaft) zeigt, dass die Idee mehrheitlich abgelehnt wird.[8] Trotzdem sollte man die Variante einer BM3 nicht vorschnell abschreiben. Das Modell eröffnet neue Kombinationsmöglichkeiten mit der Sekundarstufe I. Führt man das Modell BM3 flächendeckend ein, wird daraus ein zusätzliches Schuljahr für alle. Statt wie bisher elf Jahre (mit Kindergarten) bis zum Abschluss der obligatorischen Schulzeit sind es mit dem Modell BM3 zwölf.
Theoretisch kann man einen Schritt weitergehen und das zusätzliche Schuljahr der Sekundarstufe I zuordnen. Der Unterricht kann an der Sekundarschule stattfinden. Diese würde dann vier Jahre dauern statt drei. Gestaltet man die Sekundarstufe als Einheitsschule mit Binnendifferenzierung, so findet die Aufteilung der Schüler*innen nach Gymnasium oder Lehre erst nach zwölf gemeinsamen Schuljahren und im Alter von 16 Jahren statt. Entscheidend in diesem Modell wäre die Ausgestaltung der Binnendifferenzierung beziehungsweise der Durchlässigkeit. Es müsste möglich werden, vom zwölften Schuljahr aus sowohl in eine Lehre als auch in den gymnasialen Zug zu wechseln.
Vieles spricht für eine solches System, aber einiges auch dagegen. Das frühe Aufteilen der Kinder in unterschiedliche Schultypen ist in der Schweiz breit abgestützt, einer Aufweichung der Grenze zwischen Sekundarstufe I und II begegnet man skeptisch. Oft ins Feld geführt wird die Schulmüdigkeit. Dieses Argument ist jedoch problematisch. Keinem käme es ernsthaft in den Sinn, Kinder nicht zur Schule zu schicken, weil sie keine Lust dazu haben. Trotzdem sei das Argument hier ein Stück weit berücksichtigt. Viele Jugendliche freuen sich auf die Lehre, auf die Arbeit im Betrieb. Ihnen diese Möglichkeit ein Jahr länger vorzuenthalten, kann kontraproduktiv sein. Mit zunehmendem Groll gegen die Schule, empfunden als Gefängnis, als Ort von Misserfolg, sind die Voraussetzungen für effizientes Lernen nicht gegeben. Vielleicht wird das Lernen als sinnvoller empfunden, wenn man in der Arbeit erfährt, wofür man es braucht. Allerdings kann zum Nachteil werden, was zunächst als Vorteil erscheinen mag: Nach zwölf Jahren Schule könnte man fälschlicherweise meinen, dass die schulische Bildung erledigt sei. Das ist kontraproduktiv im Hinblick auf die Tertiarisierung. Wenn die Schule in der Lehre nur noch an einem Tag pro Woche stattfindet und einzelne Fächer jahrelang nicht unterrichtet werden, tut sich ein ziemliches Loch auf bis zur Fachhochschule. Vieles wird vergessen. Auch die Haltung wird dadurch beeinflusst. Wird die Schule während der Lehre als erledigt abgehakt, begreift man sie nicht als Zwischenschritt im Hinblick auf die tertiäre Stufe und auf das lebenslange Lernen.
Der Vorschlag einer «Matura für alle», also die flächendeckende Einführung der Berufsmaturität, verleiht dem Modell BM3 eine ganz neue Bedeutung. Wenn alle das neue Schuljahr besuchen, kann daraus ein neues Scharnier werden zwischen Sekundarstufe I und II. Das ist eine Variante, die man unbedingt im Blick behalten muss. Die Bildungsreform, die hier skizziert wird, ist offen dafür. Sie setzt aber eine Vereinheitlichung der Sekundarstufe I nicht voraus.
Das Modell BMX bringt mehr Flexibilität.
Ein Modell, das immer mehr Verbreitung findet, ist der Blockunterricht. In mehrwöchigen Blöcken, die über die ganze Lehre verteilt werden, kann konzentriert und vertieft schulische Bildung stattfinden. Viele Betriebe begrüssen diese Bildungsform. Es kann die Arbeitsplanung vereinfachen, wenn der*die Lernende blockweise fehlt statt tageweise. In anderen Betrieben ist es gerade umgekehrt. Im Blocksystem wird schulische Bildung immer wieder aufgegriffen und wiederholt. Es entsteht kein mehrjähriges Loch im Hinblick auf die tertiäre Stufe. Meist lässt sich der Blockunterricht mit anderen Formen kombinieren, etwa dem weiterhin üblichen Tag Berufsschule pro Woche.
Es gibt kein einzig richtiges Modell der Berufsmaturität. Was es braucht, ist ein flexibles Modell. Hier soll ein Modell mit dem Namen BMX vorgeschlagen werden. X steht für Flexibilität. Wenn man die Abkürzung noch mit anderem assoziiert als mit Bildung, ist das auch gut. Um Verwechslungen vorzubeugen: Das vorgeschlagene Modell BMX ist nicht dasselbe wie die bereits existierenden Modelle «BM1 Flex»[9] und «BM2 Flex»[10]. Diese stellen eine Art Verbindung aus BM1 und BM2 dar. Wie das Modell BMX aussehen kann, ist noch offen. Sinnvollerweise knüpft es an bei Modellen, wie sie im SBFI derzeit diskutiert und in den Kantonen erprobt werden.[11] Das Modell BMX gibt lediglich den Umfang des schulischen Anteils vor sowie das obligatorische Ziel der Berufsmaturität. Wie die schulische Bildung und die betriebliche Arbeit kombiniert werden, wissen die jeweiligen Branchen am besten, entsprechend soll die Entscheidung zur genauen Ausgestaltung verbundspartnerschaftlich erfolgen. Derzeit wird von Expert*innen der Berufslehre grosse Arbeit in diesem Gebiet geleistet. Ihre Erfahrungen kann man nutzen, um das System flächendeckend einzuführen. Flächendeckend muss nicht einheitlich heissen. Es sollen Innovation und Flexibilität möglich bleiben.