Kitabı oku: «Neue Schweizer Bildung (E-Book)», sayfa 3
Ausbilden ist ein Dienst an der Gesellschaft.
Der ökonomische Nutzen ist ein wichtiger, doch nicht der alleinige Grund, weshalb Betriebe Lernende ausbilden. Es geht den meisten Betrieben darum, den Nachwuchs zu fördern für Beruf und Branche. Das entspricht der Tradition der Berufsbildung. Aus dem Zunftwesen entwickelt, dient sie der Pflege und Tradierung des Berufs. Daran kann man anknüpfen, wenn es gegenwärtig darum geht, Betriebe für die Berufsmaturität zu gewinnen.
Zunächst zur Bildungsrendite aus betrieblicher Sicht: 3100 Franken pro Jahr. So viel verdiente ein Betrieb im Schnitt an einem*einer Lernenden im Ausbildungsjahr 2016/17.[12] 60 Prozent der Betriebe erreichen einen Nettonutzen, 40 Prozent legen drauf. Die Unterschiede in der Rendite sind gross. Am höchsten ist der Nettonutzen in der Baubranche. Auch im Gewerbe und in den persönlichen Dienstleistungen ist er überdurchschnittlich. Angehende Maler*innen, Sanitärinstallateur*innen, Elektriker*innen, Coiffeusen und Coiffeure sind rentabel, sie bringen dem Betrieb während der Lehre über 20000 Franken ein. Auch die vielen Lernenden im KV-Bereich werfen eine gewisse Rendite ab. Am teuersten hingegen kommt einen Betrieb die Ausbildung einer IT-Fachkraft zu stehen. Dort betragen die Kosten über 20000 Franken. Auch die Ausbildung von Polymechanikerinnen und Automobil-Mechatronikern geht richtig ins Geld.
Fast ein Drittel der Betriebe (29 Prozent) bildet Lernende aus. Die Pflege des Nachwuchses und der ökonomische Nutzen gehen Hand in Hand. Die Betriebe geben eine Reihe von Gründen an, weshalb sie Lernende ausbilden. Sie sehen es als Gemeinschaftsaufgabe der Wirtschaft und damit als Dienst an der Gesellschaft. Oft gehört die Lehre zur Firmentradition. Zudem ist sie ein Instrument, um künftige Fachkräfte zu rekrutieren. Und warum bilden zwei Drittel der Firmen keine Lehrlinge aus? Als Gründe nennen die Firmen die fehlende Zeit, eine zu hohe Spezialisierung oder einen zu geringen Nutzen.
Gegenwärtig ist die Berufsmaturität ins Stocken geraten, obwohl sie ein strategisches Ziel des Bundes darstellt und obwohl viel zu ihrer Förderung getan wird.[13] Hauptgrund für die Stagnation sind die Betriebe. Es muss sich lohnen, Berufslernende auszubilden. Wenn diese zu oft im Betrieb fehlen, geht die Rechnung nicht mehr auf. Es sind vor allem Branchen mit anspruchsvollen Lehrstellen, etwa die Maschinen-, Elektro- und Metallbau-Branche, welche die Berufsmaturität fördern. Zudem sind es oft grosse Firmen, die entsprechende Kosten tragen können. Andere, kleinere Betriebe sind oft stärker auf den ökonomischen Nutzen der Lernenden angewiesen. Genaue Zahlen dazu liefert der vierte Trendbericht zur Berufsmaturität des Eidgenössischen Hochschulinstituts für Berufsbildung EHB.[14] Umfragen unter Firmen zeigen: Wenn sie keine Berufslernenden ausbilden, liegt dies weniger an der erschwerten Arbeitsorganisation als vielmehr am ökonomischen Faktor.
Es fällt auf, dass sich die BM-Absolvierenden nur auf wenige Berufe konzentrieren. Es sind vor allem Berufe mit schulisch anspruchsvoller Grundbildung. Drei Viertel aller BM-Lernenden verteilen sich auf nur acht EFZ-Berufe. Besonders hoch ist der BM-Anteil in den Berufen Elektroniker*in, Laborant*in, Konstrukteur*in, Mediamatiker*in, Zeichner*in, Informatiker*in, Automatiker*in und bei den Kaufleuten. Diese Berufe setzen eine hohe schulische Leistungsfähigkeit voraus. Zudem sind es typische Mangelberufe, die mit der Berufsmaturität attraktiver werden für motivierte Jugendliche mit guten Leistungen. Viele der BM-Lernenden haben tertiär gebildete Eltern, eher wenige – aber mehr als am Gymnasium – kommen aus sozial benachteiligten Familien.
An der Berufsmaturität verdienen die Betriebe nicht.
Derzeit bilden nur neun Prozent der Betriebe BM1-Lernende aus. Selbst die Branchenorganisationen versuchen, die Betriebe zu überzeugen. Teilweise zahlen sie ihnen Beiträge. Im Unterschied zur EZF-Ausbildung ergibt sich aus der BM1-Ausbildung kein Nettonutzen für die Betriebe. Ein*e BM1-Lernende*r kostet sie pro Jahr 800 Franken. Dass einige Betriebe dennoch bereit sind, BM1-Lernende auszubilden, hat vor allem mit ihrem Verständnis von Lehrlingsausbildung zu tun.

Abbildung 1: EFZ mit und ohne BM: Nettonutzen pro Ausbildungsjahr[15]
Trotz etwas höherem Leistungsgrad der BM-Lernenden führt ihre häufige Abwesenheit zu tieferer Produktivität. Der Aufwand für die Betreuung der Lernenden mit BM ist praktisch gleich hoch wie bei EFZ-Lernenden ohne BM, an die Schule lässt sich die Betreuung nicht delegieren. Als Kostenpunkt kann ausserdem gelten, dass BM-Lernende den Betrieb mehrheitlich für ein Studium verlassen – und somit für den Lehrbetrieb häufiger verloren sind als EFZ-Lernende ohne BM. Hinzu kommt: Während des Studiums verlässt über ein Drittel das Berufsfeld. Das schmälert den Sinn der Ausbildung, Nachwuchs für die eigene Zunft heranzubilden. Der Trendbericht zeigt, welche Wechsel beim Übertritt von der Berufsmatura zur tertiären Stufe stattfinden.[16] Insgesamt bleiben rund zwei Drittel im Berufsfeld. Das heisst: Es finden zwar Wechsel statt, aber sie bleiben im Rahmen. Zudem ist der Wechsel teilweise systemimmanent: Es gibt nicht für jeden Hochschulbereich einen entsprechenden BM-Bereich. Studiengänge wie Pädagogik oder Mathematik lassen sich keiner Berufslehre zuordnen, ein Wechsel ist unumgänglich. Aus volkswirtschaftlicher Sicht ist ein Wechsel nicht nur schlecht. Spätestens nach der Grundbildung spielt der Arbeitsmarkt für die jungen Erwachsene eine zunehmend wichtige Rolle bei der Studienwahl. Pointiert formuliert: Jugendliche machen eine Lehre in ihrem Traumjob, junge Erwachsene studieren, was der Arbeitsmarkt verlangt.
Die Berufsmaturität stellt die Betriebe vor einen Zielkonflikt: Einerseits sollen die Lehrlinge schon während der Lehre produktiv sein, andererseits brauchen Branchen mit hohen Anforderungen tertiär gebildete Fachkräfte. Der Konflikt lässt sich nicht wirklich lösen. Der Trendbericht nimmt denn auch keine Schuldzuweisungen vor, er liefert Erklärungen.
Betriebe erhalten ein Lehrgeld.
Es muss für die Betriebe wirtschaftlich bleiben, Berufslernende auszubilden. Hier bietet sich der alte Gedanke von einem Lehrgeld an. Der Staat kann die Betriebe für die BM-Ausbildung finanziell unterstützen. Wenn die Betriebe weniger an der Ausbildung verdienen, ist es nur folgerichtig, dass der Staat einen Teil der Ausbildungskosten übernimmt. Schliesslich bleibt Bildung eine Staatsaufgabe. Ein solches Lehrgeld, das über die Steuern eingenommen wird, sorgt für mehr Gerechtigkeit zwischen den Betrieben: Jene, die nicht ausbilden, bezahlen für jene, die diese Verantwortung wahrnehmen.
Noch ist die Anzahl BM-Lernender zu tief. Knapp ein Viertel der EFZ-Absolvent*innen besitzt 2017 einen BM-Abschluss. 13 Prozent haben die BM1 gemacht, 10 Prozent die BM2.
Nur zwei Drittel der BM-Absolvierenden treten in eine Hochschule ein. Diese Quote liegt deutlich unter dem Anteil der Gymnasiast*innen, die an eine Universität übertreten. Die Gründe dafür liegen in der hybriden Natur der Berufsmaturität. Sie berechtigt zum Studium, gleichzeitig steht den BM-Absolvierenden die Arbeitswelt offen. Nur ein Drittel der BM-Lernenden nennt ein Studium als Grund, die BM zu absolvieren. Zwei Drittel sehen darin generell bessere Karrieremöglichkeiten. Beim Übergang von der BM auf die Tertiärstufe wiederholt sich, was für viele Jugendliche mit ein Grund für die Lehre war: Der Arbeitsmarkt lockt mit sofortigen Verdienstmöglichkeiten. Im Gegensatz zu Maturand*innen müssen sich BM-Lernende bewusst gegen Erwerbstätigkeit und Verdienst entscheiden. Das ist ein schwieriger Gratifikationsaufschub, besonders in diesem Alter. Er muss getragen werden von einer Bildungskultur, die man bisher dem akademischen Weg zuschreibt. Vor diesem Hintergrund lässt sich sagen: Es sind nicht nur, sondern immerhin zwei Drittel der BM-Lernenden, die sich für ein Fachhochschulstudium entscheiden – und damit gegen die Möglichkeit, sofort zu verdienen. Das verdient Respekt.
Gegenwärtig wird viel erwartet von der Berufsmaturität und die hier vorgeschlagene Bildungsoffensive erwartet noch mehr. Kann die Berufsmaturität diese Erwartungen erfüllen? Kann sie die Schweizer Bildung als Zugpferd ins digitale Zeitalter führen? Oder ist die Arbeit in der Moderne 4.0 so anspruchsvoll, dass eine Berufslehre schlicht nicht mehr funktioniert? Muss man zur Schule statt in den Betrieb?
Avenir Suisse publizierte 2001 eine programmatische Schrift mit dem Titel «Die Zukunft der Lehre».[17] Avenir Suisse setzt vor allem deshalb auf die Lehre, weil sie in der Schweizer Bildungskultur stark verwurzelt ist. Die Trends der Gegenwart – Globalisierung, technische Neuerungen, höhere Anforderungen, der Zuwachs wissensintensiver Bereiche – fordern die Lehre heraus. Trotzdem sieht Avenir Suisse eine grosse Zukunft für die Lehre. Sie ist kein Auslaufmodell – in erster Linie dank der Berufsmaturität. Doch es braucht Modernisierungsschritte, insbesondere eine Stärkung der Allgemeinbildung innerhalb des dualen Systems. Zudem wird eine Straffung und Vereinfachung der Lehrberufe vorgeschlagen – ein Vorschlag, der immer noch kontrovers diskutiert wird.
Die Berufslehre geniesst eine hohe Akzeptanz in der Bevölkerung.[18] Sie modernisiert sich laufend. Mit ihrer Verbindung von Theorie und Praxis ist sie bestens aufgestellt im technologischen Wandel. Das macht sie zur idealen Bildungsform, um den Mittelpunkt einer neuen Bildungsreform zu bilden.
Die gymnasiale Maturitätsquote soll bis 2030 auf 30 Prozent steigen.
Neben der flächendeckenden Einführung der Berufsmaturität braucht es einen Anstieg der gymnasialen Maturitätsquote. Damit die Reformschritte bewältigbar bleiben, ist eine moderate Steigerung angezeigt. Ein realistisches Ziel ist das Anheben der Quote um einen Prozentpunkt pro Jahr. Die Jahreszahlen dieses Jahrhunderts tun uns zufälligerweise den Gefallen, quasi Paten zu stehen. Wir standen im Jahr 2020 bei rund 20 Prozent Gymnasialquote. Im Jahr 2030 sind 30 Prozent eine erreichbare Quote, 2040 sollen es 40 Prozent und 2050 schliesslich 50 Prozent werden. Dies immer vorausgesetzt, dass die Nachfrage entsprechend hoch bleibt. Davon ist auszugehen. Zwar hinkt die Schweiz damit Entwicklungen wie in Deutschland hinterher, denn dort ist man schon heute bei rund 50 Prozent. Die Schweiz ist eine ausgeprägte Hochleistungsgesellschaft. Es gäbe gute Gründe, das Bildungssystem schneller und radikaler zu modernisieren, als Deutschland das tut. Trotzdem empfiehlt sich eine langsamere Entwicklung für die Schweiz. Sie erlaubt es den verschiedenen Akteur*innen, die Reform mitzugehen und mitzugestalten.
Die Erhöhung der gymnasialen Maturitätsquote ist keine Gefahr für das schulische Niveau. Derzeit gehen viele nicht ans Gymnasium, obwohl sie die Voraussetzungen dafür mitbringen würden. Von ihnen ist wenig die Rede. Im Fokus stehen umgekehrt jene Akademiker*innenkinder, von denen behauptet wird, sie gehörten nicht ans Gymnasium. Das mag sein. Doch es gibt neben der Intelligenz noch andere Faktoren, die für den Eintritt ins Gymnasium relevant sein können. Die Motivation darf durchaus eine Rolle spielen. Wir wollen kein allzu rigides, totalitäres System. Zu einem liberalen System gehört eine gewisse Unschärfe, was den Zusammenhang von Wollen und Können, von Motivation und Leistung angeht. Doch es ist klar: Das Gymnasium darf nicht als Instrument dienen, um Klassenunterschiede zu zementieren. Der Ansatz ist und bleibt die Chancengerechtigkeit und die Orientierung an der Leistung. Oft werden soziale Ungerechtigkeiten im Bildungssystem als Argument für eine strengere Selektion verwendet, oder zumindest gegen eine weitere Öffnung des Gymnasiums.[19] Diese Argumentation ist mit der Kehrseite der Geschichte, quasi dem umgekehrten Narrativ, zumindest zu ergänzen.[20] Es ist die Geschichte jener Kinder und Jugendlicher aus sozial benachteiligten Familien, die sehr wohl ans Gymnasium gehören würden. Ihr Potenzial kann man nur zum Teil wahrnehmen. Durch Selbstexklusion nehmen sie sich eigenständig aus dem Rennen. Sie wollen nicht in die Schule, sie wollen keine guten Vornoten schreiben, sie wollen nicht an der Aufnahmeprüfung teilnehmen. Man darf sie in diesem Nichtwollen nicht noch bestätigen. Man darf nicht aus jugendlicher Naivität und Schulmüdigkeit ein Bildungssystem ableiten. Man darf den Jugendlichen nicht vorwerfen, dass sie durch ihr kulturelles Umfeld geprägt werden. Ihr Nichtwollen, ihre Bildungsverachtung, ihre Haltung und ihre Bildungsentscheide sind nicht einfach nur Ausdruck individuellen Wollens oder Nichtwollens. Sie sind kulturell geprägt. Die Jugendlichen sind nicht selbst schuld. Eigenverantwortung ist hier der falsche Ansatz – so wie umgekehrt viele Hochgebildete nicht ganz allein, sondern auch dank einem förderlichen Umfeld dorthin gelangt sind, wo sie jetzt sind, und viel von Eigenverantwortung schwadronieren. Dass Begabung und Schultyp nicht immer genau übereinstimmen, gilt in beide Richtungen. Es dürfte jedoch sehr viel mehr Jugendliche geben, die an ein Gymnasium gehören, aber eine Lehre machen, als umgekehrt. Dass von einer Öffnung des akademischen Wegs die Leistungsstarken profitieren und nicht einfach die Akademiker*innenkinder, muss zumindest angestrebt werden. Oft wird dem Gymnasium vorgeworfen, es würde ganze Bevölkerungsschichten ausschliessen, es fungiere mitunter als Klassensortierungsanlage.[21] Allerdings ist es nicht der Fehler des Gymnasiums, dass es von vielen bildungsfernen Jugendlichen gar nicht angestrebt wird. Es ist der Fehler des nachobligatorischen Systems. Angesichts der Selbstexklusion der Jugendlichen braucht es eine Verbesserung dieses Systems. Es braucht die Maturitätspflicht.
Wer ein sinkendes Niveau befürchtet, tut gut daran, diese Befürchtung auf ihre Verhältnismässigkeit hin zu überprüfen. Ab Mitte bis Ende des 20. Jahrhunderts stieg die gymnasiale Quote von zwei oder drei auf rund 20 Prozent. Die hier vorgeschlagene Steigerung auf 30 Prozent im Jahr 2030 ist demgegenüber herzlich wenig. Zu Recht ist darauf aufmerksam gemacht worden, dass sich im Lauf der Bildungsexpansion die Funktion des Gymnasiums verändert hat.[22] Das Gymnasium ist nicht mehr einer schmalen Elite vorbehalten. Gemäss seinen Bildungszielen[23] bereitet es auf zwei Ziele vor: auf das Studium und auf anspruchsvolle Aufgaben in der Gesellschaft. Diese doppelte Funktion macht seine Stärke aus. Das Gymnasium ist nicht zu verwechseln mit Spitzensport, es setzt keine Genialität voraus. Zu Recht ist es entmystifiziert worden. Es ist ein Bildungsweg, über den eine grössere Menge Schüler*innen ausgebildet werden soll für unsere neue Wirklichkeit.
Endnoten
1 1Pfister, Andreas: Matura für alle. Arisverlag 2018.
2 2Zimmerli, Walther Ch.; Malaguerra, Carlo; Künzli, Rudolf; Fischer, Markus: Zukunft Bildung Schweiz. Anforderungen an das schweizerische Bildungssystem 2030. Akademien der Wissenschaften 2009.
3 3EDK: Weiterentwicklung der gymnasialen Maturität. Mandat «Projekt Zuständigkeiten und Kompetenzen im Bereich Qualität (Governance)». 27.07.2020.
4 4Miserez, Marc-André: Genève inaugure la formation obligatoire jusqu’à 18 ans. SWI Swissinfo. 11.09.2018.
5 5Bonati, Peter: Rahmenlehrplan Berufsmaturität. SBFI 2017. S. 5.
6 6Gonon, Philipp: Ein Handwerk studieren. Zur Zukunft der Bildung in der Schweiz. Abschiedsvorlesung. 17.12.2020. Online unter: tube.switch.ch/videos/cc975a91 [19.08.2021].
7 7Eidgenössische Berufsmaturitätskommission EBMK: Stärkung der lehrbegleitenden Berufsmaturität (BM 1): Flexibilisierung der schulischen Umsetzung. 2016.
8 8Ebd.
9 9Berufsinformationszentrum Zürich: BM1 Flex. 2020.
10 10Berufsinformationszentrum Zürich: BM2 Flex. 2020.
11 11SBFI: Stärkung der Berufsmaturität. 2021.Eidgenössische Berufsmaturitätskommission EBMK: Stärkung der lehrbegleitenden Berufsmaturität (BM 1): Flexibilisierung der schulischen Umsetzung. 2016.SBFI: Ergebnisbericht – Konsultation zu den Eckwerten BM1. 05.05.2017.
12 12SBFI: Kosten und Nutzen der Ausbildung von Lernenden – vierte Erhebung. 2019.
13 13Berufsmaturitaet.ch.
14 14Eidgenössisches Hochschulinstitut für Berufsbildung EHB: Trendbericht 4. Berufsmaturität – Bildungsverläufe, Herausforderungen und Potenziale. 2020.
15 15Ebd., S. 17.
16 16Ebd., S. 15.
17 17Schellenbauer, Patrik; Walser Rudolf; Lepori, Daniela; Hotz-Hart, Beat; Gonon, Phililpp: Die Zukunft der Lehre. Avenir Suisse 2001.
18 18Widmer, Josef: Berufsbildung 2030. EDU-Forum. 25.09.2018.;Widmer, Josef: «Mit dieser Kampagne stärken wir das Image der Berufsbildung». Interview. Berufsbildungplus.ch. 2021.
19 19Stern, Elsbeth; Neubauer, Aljoscha: Intelligenz – Grosse Unterschiede und ihre Folgen. DVA 2013.;Oelkers, Jürgen: Die Qualität der Schweizer Gymnasien. hep 2008.;Hartmann, Evelin: Herr Moser, wie gerecht ist das Schweizer Bildungssystem? Interview mit Urs Moser, Universität Zürich. In: Fritz und Fränzi, 16.5.2017.;Reichenbach, Roland; Bossart, Rolf (Hg.): Bildungsferne. diaphanes 2020.
20 20Stamm, Margrit: Arbeiterkinder an die Hochschulen! Hintergründe ihrer Aufstiegsangst. Dossier. 18/1. 2018.
21 21Sarasin, Philipp: Das Gymnasium ist kein Luxus. In: Pfister, Andreas (Hg.): Das Gymnasium im Land der Berufslehre. Kantonsschule Zug 2011.
22 22Criblez, Lucien: Schweizer Gymnasium. Ein historischer Blick auf Ziele und Wirklichkeit. In: Eberle, Franz; Schneider-Taylor, Barbara; Bosse, Dorit: Abitur und Matura zwischen Hochschulvorbereitung und Berufsorientierung. Springer Fachmedien 2014. S. 39.
23 23Bundesrat: Verordnung über die Anerkennung von gymnasialen Maturitätsausweisen. 1995, 2013.
Bildungskultur
Im Zentrum steht die Wertfrage.
Der duale Weg geniesst in der Schweiz hohe Wertschätzung. Sein Ausbau ist eine Erfolgsgeschichte.
Berufsmaturität und Fachhochschulen sind echte Alternativen zur akademischen Bildung.
Dank der Berufsmaturität wird das Bildungssystem durchlässiger.
Für sozial benachteiligte Schichten sind Berufsmaturität und Fachhochschulen ein wichtiger Weg zum sozialen Aufstieg.
Trotzdem müssen sie im Verhältnis zum akademischen Weg gedacht werden.
Die Berufsmaturität etabliert eine neue Bildungskultur.
Der Ausbau des dualen Wegs etabliert eine neue Bildungskultur in humanistischer Tradition.
Die Berufsmaturität versteht sich als erweiterte Allgemeinbildung und als Vorbereitung auf das Studium.
Die Bildungsziele der Berufsmaturität werden von Bildungsexpert*innen gesetzt und verbundspartnerschaftlich festgelegt, nicht allein von den Organisationen der Arbeit.
Das Verhältnis von Bildung und Ausbildung muss neu gedacht werden.
Mit der Berufsmaturität kehrt die Bildung in die Ausbildung zurück.
Schule und Industrialisierung stehen in einem dialektischen Verhältnis zueinander.
Auch Berufslernende haben ein Recht auf Bildung, nicht nur Gymnasiast*innen.
Nützlichkeitsdenken geht nicht den Bildungswegen entlang.
Die neue Phase der Digitalisierung stärkt die Phil-I-Fächer.
Das Nützlichkeitsdenken geht quer durch alle Fächer.
Die Wirtschaft folgt nicht vulgär-utilitaristischem Denken.
Die Maturitätspflicht erreicht sozial Benachteiligte.
Das Erlangen von einer der drei Maturitäten wird zur neuen Bildungspflicht. So erreicht man Jugendliche aus bildungsfernem Milieu.
Die Maturitätspflicht macht Ernst mit der Chancengerechtigkeit.
Im Zentrum steht die Wertfrage.
Zu den Eigenheiten des Schweizer Bildungssystems gehört es, dass die Bildung ab einem bestimmten Zeitpunkt in zwei Wege aufgeteilt wird: in den dualen und in den akademischen. Diese Wege sind historisch gewachsen und unterscheiden sich in ihrer Kultur.[24] Doch durch die Einführung der Berufsmaturität und der Fachhochschulen sind sie einander nähergekommen.
Der Ausbau des dualen Wegs zielt von Beginn weg auf Gleichwertigkeit. Die Idee dahinter lautet, etwas enthusiastisch ausgedrückt: Es soll letztlich keine Rolle spielen, welchen Bildungsweg man einschlägt. Beide Wege, der akademische und der duale, sollen am Ende im Arbeitsmarkt zusammenkommen und gleich gute Chancen ermöglichen. Die Wege sind gleichwertig, aber andersartig.[25] Die unterschiedlichen Profile werden denn auch betont: Praxis und Arbeitsmarkttauglichkeit im Fall der dualen Bildung, Theorie und Forschung auf der akademischen Seite. Im Lauf des Arbeitslebens sollen sich die Spuren des ursprünglichen Bildungswegs verwischen beziehungsweise es soll zunehmend unwichtig werden, über welchen Bildungsweg man damals, als junge*r Erwachsene*r, in den Arbeitsmarkt eingetreten ist. Akademiker*innen und Praktiker*innen arbeiten Seite an Seite – so das Idealbild.
Die meisten kennen Beispiele, Freund*innen oder Bekannte, die mit einem Fachhochschulabschluss einem Konkurrenten mit akademischer Bildung vorgezogen wurden, etwa weil sie Erfahrung mitbrachten. Doch in der Regel kennt man auch Fälle, wo zur Besetzung von Spitzenstellen die Bewerberin mit dem Universitätsabschluss zum Zug kam – nicht jene aus der Fachhochschule. Solche Erfahrungen und Geschichten prägen, vielleicht stärker als Statistiken. Gern werden Anekdoten von erfolgreichen Politikerinnen und Firmenchefs herumgeboten, die es über den dualen Bildungsweg an die Spitze geschafft haben. Diese Beispiele dürfen in keiner Jubiläumsausgabe einschlägiger Zeitschriften fehlen.[26] Als homo narrans, als erzählende Wesen, bahnen wir uns den Weg durchs Leben, treffen Entscheidungen. Darin liegt das Potenzial der Narrative: Die Gleichwertigkeit der Berufslehre wird durch das Erzählen, das Bestätigen und den Glauben daran zur Realität. Man stellt tatsächlich den*die Bewerber*in ein, der*die Erfahrung mitbringt. Als «self-fulfilling prophecy» wird die gemeinsam geglaubte Geschichte wahr. So, dass sie schliesslich von der Statistik bestätigt wird. Ältere Generationen haben die neue Realität nicht erlebt und können sie nicht weitererzählen. Ihre Erzählungen betreffen ihr eigenes Erleben und das ihrer Generation. Sie sind – hoffentlich – stolz auf ihre Lehre. Wahrscheinlich sind sie bis zur Pensionierung gut gefahren damit. Dass sie die eigene Geschichte hochhalten und weitergeben wollen, liegt auf der Hand, man könnte auch sagen, in unserer Natur. Die neuen Erzählungen, jene vom Upskilling, von den höheren Ansprüchen und Bildungsabschlüssen, von der Internationalisierung, müssen sich erst ihren Weg ins öffentliche Bewusstsein bahnen. Sie müssen sich erst verbreiten. Und sie machen viel weniger Spass als die romantischen Räubergeschichten, wie es diese oder jener trotzdem geschafft habe im Leben, auch ohne formale Bildung. Man muss auch träumen dürfen. Doch man darf auch kritische Fragen stellen. Zum Beispiel, ob das Idealbild der gleichwertigen Bildungswege der Wirklichkeit entspricht. Ist es tatsächlich so, dass akademische und duale Bildung am Ende im Arbeitsmarkt zusammenfliessen? Spielt es im Laufe des Arbeitslebens tatsächlich keine Rolle, ob eine Fachkraft über den dualen oder den akademischen Weg gebildet wurde? Ist das die neue Realität – oder bleibt das bloss ein Wunschbild?
Eine zentrale Frage ambitionierter Jugendlicher und Eltern ist die nach der beruflichen Position. Wo kommt man mit dualer Bildung im Leben hin? Das kann man heute, noch keine dreissig Jahre nach der Einführung von Berufsmaturität und Fachhochschulen, nicht abschliessend beantworten. Wie viele werden mit einem Fachhochschulabschluss den Sprung ins Topkader schaffen? Man kann einwenden, diese Frage sei nicht relevant. Das mittlere Kader sei für FH-Absolvent*innen gut genug. Wenn man das mittlere Kader als eigentlichen Bestimmungszweck des dualen Wegs ansieht, wird man sich damit zufriedengeben. Dann sind Berufsmaturität und Fachhochschulen die moderne Form des dualen Wegs – nicht mehr und nicht weniger. Wenn dieser Weg jedoch ehrgeizigeren Ansprüchen genügend soll, wird man sich mit dem mittleren Kader nicht zufriedengeben. Hinzu kommt: Es geht nicht nur um die berufliche Position und den Lohn, es spielen sehr viel mehr Faktoren mit, vom Eigenwert der Bildung über den Traum vom Forscherdasein bis zum sozialen Status.
Viele Akademiker*inneneltern wollen es genau wissen: Was ist der duale Weg wert? Wie weit kommt mein Kind damit? Kann man den Informationsveranstaltungen vertrauen? Vonseiten der Berufslehre heisst es häufig, man müsse mehr informieren. Was ist damit gemeint? Mehr Werbung betreiben? Die Haltungen mancher Eltern und Jugendlichen sind ambivalent. Manchmal nerven die Kampagnen. Andererseits ist es beeindruckend, wie der duale Weg seinen Erfolg erschafft, seinen eigenen Wert setzt. Wie er mutig die Zukunft gestaltet, Schmied seines Glücks.
Die Frage nach der Zielabsicht begleitet Berufsmaturität und Fachhochschule seit ihrer Gründung: Die Idee der Berufsmaturität war es, einen Schultyp zu kreieren, der sich zwischen der Lehre und dem Gymnasium befindet.[27] Was bedeutet dieses «Dazwischen» konkret? Und was bedeutet es heute für die Situation auf dem Arbeitsmarkt? Entspricht dem mittleren Niveau zwischen Lehre und Gymnasium im Arbeitsleben das mittlere Kader? Das wäre ein anderes Ziel als dasjenige, das der duale Weg explizit für sich in Anspruch nimmt, nämlich die völlige Gleichwertigkeit. Ist der duale Weg über die Fachhochschule nur der zweitbeste Weg – oder ist er wirklich gleichwertig? Ist er sogar besser, nämlich der Königsweg? Man kann diese Fragerei als mühsam abtun. Doch es sind die Fragen, welche die Eltern und Jugendlichen umtreiben bei der Wahl des Bildungswegs.
Einfache Antworten gibt es nicht. Was für die eine Branche gilt, muss für die andere nicht gelten. Die eine persönliche Erfahrung steht im Kontrast zur anderen. Gewisse Firmen legen Wert auf akademische Abschlüsse. Andere, lokale KMUs vielleicht, haben Vorbehalte gegenüber akademischen Titeln und ziehen Bewerber*innen mit höherer Berufsbildung vor. Zudem gibt es viele Jobs, für die beide Abschlüsse geeignet sind. Gewisse Firmen mischen die Teams bewusst, anderen ist das nicht so wichtig, sie achten auf andere Kriterien. Das Feld ist bunt und vielfältig. Entscheidend ist: Realitäten werden gemacht. Wenn Schweizer KMUs lieber Fachhochschulabgänger*innen einstellen, schaffen sie damit genau diese Realität, die sich dann als Statistik niederschlägt: Sie setzen das um, woran sie glauben – nämlich dass der duale Weg der Königsweg sei.
Allerdings ist die Schweiz keine Insel. Welche Jobs man mit welcher Ausbildung bekommt, wird durch globale Player in diesem Land mitdefiniert. Auch sie gestalten die Realität. Wenn Personalchef*innen solcher Firmen lieber auf akademische Titel setzen, dann ist auch das eine Realität. Mit den internationalen Firmen kommt deren Macht. Lippenbekenntnisse zum Schweizer Bildungswesen müssen an den tatsächlichen Fakten überprüft werden.
Zweifellos ist der duale Weg ein Erfolgsmodell. Was hier aber nicht beabsichtigt wird, ist ein rhetorisches Einebnen der Unterschiede. Das schulische Niveau muss in der Berufsmaturität ein anderes bleiben als am Gymnasium, schon allein, weil auf den beiden Stufen nicht gleich viel Zeit in die schulische Bildung investiert werden kann. Dafür wird auf dem dualen Weg anderes gelernt, das man in der Schulbank nicht lernen kann. Auch künftig wird die Frage nach dem Wert des dualen Wegs zentral sein. Was hat es mit all den Beteuerungen seitens der Fachhochschulen auf sich, keine Hochschulen zweiter Klasse zu sein?[28] Die Formel der Gleichwertigkeit, aber Andersartigkeit, die bei der Gründung der Fachhochschulen geprägt wurde, ist aus politischer Perspektive völlig richtig: Keine Arbeit ist mehr wert als eine andere, so wie auch kein Mensch mehr wert ist als ein anderer. Aus wirtschaftlicher Perspektive hingegen sieht es anders aus: Auf dem Arbeitsmarkt werden unterschiedliche Arbeiten und Qualifikationsniveaus sehr wohl unterschiedlich entlöhnt. Hier gelten andere Massstäbe. Wir leben in einem Wirtschaftssystem, das Unterschiede und Hierarchien kennt. Diese Realitäten sind bei der Berufs- beziehungsweise Studienwahl ebenso wichtig wie die theoretische Gleichwertigkeit.