Kitabı oku: «Musikeinsatz im Französischunterricht», sayfa 6

Yazı tipi:

I. 6 Grundlegende Reformideen der Dessauer Philanthropen und die Auswirkung auf den Musikeinsatz im Unterricht
I. 6. 1 Hauchecorne, Rochow und Basedow als Wegbereiter des Philanthropismus

Hauchecorne spielt nicht nur eine wichtige Rolle als Theologe, sondern auch als Pädagoge und Erzieher. In seiner autobiographischen Schrift Ma carrière pédagogique de cinquante ans stellt er seinen pädagogischen Werdegang vor. Hauchecorne kann als einer der „umtriebigsten Pädagogen der französischen Kolonie“ bezeichnet werden.1 Nachdem er das Französische Gymnasium in Berlin besucht hatte, studierte er Theologie am Séminaire und war als Repetitor für Griechisch in den höheren Klassen tätig.2 Seine besonderen pädagogischen Fähigkeiten3 bewies er als Katechet (Ministre catéchiste) der französisch-reformierten Gemeinde und an der École de Charité, am Waisenhaus sowie als Privatlehrer und Erzieher, als Inspektor des hugenottischen Schullehrerseminars (Pépinière des chantres et maîtres d’école). Nach Prüfung durch das französische Generaldirektorium gründete er sein eigenes Erziehungsinstitut, das in seinem Haus untergebracht und auf die Erziehung von Knaben aus gehobenen Familien des europäischen Adels ausgerichtet war.4 Unter seinen Schülern soll auch Heinrich von Kleist gewesen sein.5 In dieser sogenannten Ritterakademie6 wurden die Knaben in den Elementarfächern unterrichtet. Dieser Elementarunterricht ging weit über die Vermittlung der gängigen Bildungsrudimente hinaus.7 Seine Lehrbücher zeigen bereits realienkundliche Inhalte.8 In den höheren Klassen erfolgte eine Ausbildung entsprechend den beruflichen Vorstellungen der Zöglinge. Neben Latein, Französisch, Englisch, Deutsch, Geographie, Geschichte, Arithmetik, Zeichnen, dem Lesen nützlicher und geistreicher Bücher, Moral und biblischer Geschichte wurden unter anderem auch angewandte Mathematik,9 Experimentalphysik, Schifffahrt, Mechanik, militärische Baukunst und Landwirtschaft unterrichtet.

Das im Unterricht erworbene theoretische Wissen wurde durch Ausflüge, Reisen und praktische Übungen gefestigt. Es zeigen sich aufklärerische und reformpädagogische Elemente und Ansätze von Künstlerwerkstätten, die später in Kerschensteiners Arbeitsschule und der Waldorfpädagogik Anwendung finden:10

Ich bin davon überzeugt, […], dass für den Staat der größte Vortheil daraus erwächst, wenn seine Bürger in ihrer Jugend die gehörige Anleitung zur Thätigkeit, zu guten Sitten und menschenfreundlichen [meine Hervorhebung, A. R.]11 Gesinnungen erhalten haben. […]. Das Kind ist, wie die junge Pflanze, biegsam. Auch ohne harte Strafen, vermittels eines auf Achtung und Ernst gegründeten Ansehens, kann man eine zahlreiche Jugend an einen Grad von Folgsamkeit und Gehorsam gewöhnen.12

Bereits im obenstehenden Zitat wird Hauchecornes Nähe zu den Philanthropen13 deutlich. Die Bewegung wurde von Johann Bernard Basedow initiiert, den Hauchecorne in Dessau persönlich kennen lernte.14

Basedow hatte dort 1774 das berühmte Philanthropin gegründet, eine „Werkstätte der Menschenfreundschaft“.15 Es handelt sich um eine Versuchsschule mit Internat, deren Entwicklung von der an pädagogischen Reformen interessierten Öffentlichkeit verfolgt wurde.16 Die Philanthropen standen unter direktem Einfluss von Jean-Jacques Rousseaus Pädagogik vom Kinde aus, die mit seinem Émile ou de l’éducation „eine kopernikanische Wende“17 in der Entwicklung des Schulwesens und der Pädagogik markierten.

1774, im gleichen Jahr wie Basedow, gründete Hauchecorne sein Pensionat und wendete hier seine pädagogischen Konzeptionen an: Wie Basedow setzt Hauchecorne auf strenge Disziplin, aber auch auf Fröhlichkeit und Kameradschaft. Die Leistungen sollten nicht durch Drohungen und Strafen gesteigert werden, sondern durch Lob und Freude am Unterricht. Nicht nur das theoretische Wissen, sondern die praktische Erfahrung im Umgang mit Realia und eigener Tätigkeit, Erkenntnissen und Erfahrungen durch Ausflüge in die Natur, Sport und die Aneignung nützlichen Wissens wurden zu Eckpfeilern in der Elementarbildung der Kinder.18

Aufklärerische Pädagogik sollte eine Antwort auf politisch-soziale Probleme geben. So entwickelte der Aufklärungspädagoge und Schulreformer Friedrich Eberhard von Rochow eine reformorientierte Pädagogik und Schulpolitik mithilfe seines Konzepts einer „rationalen Elementarbildung für den ‚gemeinen Mann‘ auf dem Lande und errichtete auf seinem Gut Reckahn eine Musterschule.19 Rochows pädagogische Konzeption bot neben der Elementarbildung im Lesen, Schreiben, Rechnen sowie dem Katechismus vor allem praktische handwerkliche Tätigkeiten, durch die die Kinder zu Arbeitsamkeit, Fleiß, Ordnung und Pünktlichkeit erzogen wurden.

Ein bisher noch wenig berücksichtigter Aspekt ist Rochows Wertschätzung des Singens als Teil der Elementarbildung. Auch die Mädchenbildung wurde gefördert. In den Mädchenschulen sollten die künftigen Vorsteherinnen des Hauswesens die nötigen Kenntnisse der Hauswirtschaft erlernen.20 1776, also zwei Jahre nach Eröffnung des Basdowschen Philantropins und von Hauchecornes Pensionatsschule erscheint von Rochows Kinderfreund.21 Schon im Titel wird die Rousseausche Konzeption des Autors deutlich. Hauchecorne überträgt das pädagogische Werk zusammen mit dem hugenottischen Pfarrer Samuel Henri Catel ins Französische. Es erscheint 1778 in Berlin in der französischen Kolonie bei Starcke unter dem Titel L’Ami des enfans à l’usage des écoles in zwei Bänden.

Die französische Version sollte als Lehr- und Lesebuch kostenlos verteilt werden an die Kinder der Maison des orphelins und der École de la Charité in Berlin: „Notre but étoit de leur offrir [aux enfants, A. R.] à la fois un manuel de lecture & un cours de Morale pratique, proportionné à leur âge & à leur capacité.“22 Das Lehrbuch beginnt mit einer Gebetsammlung für Kinder: 1. Prière pour les enfans, 2. Prière avant le repas, 3. L’enfant sincère und kurzen Geschichten und Parabeln. Am Ende schließt sich ein Psalm, ein Bibelspruch oder eine Moral in der Tradition des Exemplums an. In 4. La fille d’enfans geht es um die soziale Empathie der maîtresse d’école, die ein armes Mädchen kostenlos unterrichtet:

Dieu veut que nous ayons compassion des pauvres, & le plus grand bien qu’on puisse faire à quelqu’un, c’est de l’instruire. Depuis ce tems elle envoya régulièrement la jeune fille à l’école, pendant quelques heures de la semaine, & plus elle s’instruisoit, plus elle travailloit avec ardeur & fidélité.23

Im letzten Absatz folgt dann das Bibelzitat, mit dem der Leser, also das Schulkind direkt angesprochen werden soll: „Aye soin non seulement de tes propres enfans, mais des enfans d’autrui. Prov. XIX. 17.“24 Das Leben auf dem Gut Reckahn stellt einen pädagogischen Gegenentwurf zur traditionellen Schule dar. Es sollte eine freie, kindgerechte Erziehung ermöglichen mit dem Ziel, die Schüler glücklich25 zu machen, unabhängig von der finanziellen Situation der Familie. Hauchecorne schreibt dazu in seiner Préface zu seiner Übersetzung in L’ami des enfans:

Mr. de Rochow […] rend heureux ses justiciables, & goute la volupté pure du séjour de la campagne.26 Persuadé que le moyen le plus efficace de contribuer à la perfection successive des hommes,27 est celui d’éclairer les classes inférieures & de procurer aux cultivateurs le bienfait inestimable d’une instruction populaire & rélative [sic] à leur destination future, il a établi des écoles gratuites dans ses terres; il a composé plusieurs livres classiques, & dirige lui-même les maîtres qu’il employe.28

Hauchecorne verweist darauf, dass Rochows Lehrbuch sowohl im Muttersprach- als auch Fremdsprachenunterricht angewendet werden kann. Deshalb empfiehlt er auch kontrastive intertextuelle und interkulturelle Vergleiche, bei denen sich die Schüler individuell korrigieren können:

[La traduction] pourra servir aux François & aux Allemands de texte également agréable & utile pour les traductions; on sait combien cet exercice est indispensable, si l’on veut connoitre à fond le génie & les beautés d’une langue. Notre petit livre pourra procurer cet avantage aux enfans de l’une & de l’autre nation. On fera tour-à-tour usage & de l’original, & de la version, & l’on pourra même alors, sans le secours d’un maître, rectifier ses fautes à l’aide de ces deux écrits.29

Teilweise werden bestimmte Kapitel des ersten Bands durch Realien bezeichnet, wie beispielsweise Brennglas, Magnet, Globus. Rochow ist davon überzeugt, dass die Vermittlung von Unterrichtsinhalten ohne die Verwendung von Realia nicht kindgemäß sein kann: „Ohne Vergrößerungsglas, welches doch nur sehr einfach seyn darf, Magnet, Globus, und das Bild […] möchten diese Zwecke schwerlich erreicht werden.“30 Die Verbindung von Theorie und Praxis zeigt sich in der utilitaristischen Verwendung von Realien.31

Der zweite Band enthält u. a. nachgestellte Unterrichtssequenzen (21. Frage eines Schulkindes an seinen Lehrer), Rätsel mit Bezügen zu entsprechenden Bibelstellen (1. Enigme). Bestimmte Tugenden werden in der Überschrift, in einer kurzen Geschichte, oft als Exemplum, vorgestellt. Es folgt die Moral anhand eines Bibelspruchs mit exaktem intertextuellen Verweis auf die Bibelverse.32 Dabei ist ein intertextueller Vergleich der deutschen Originalversion mit der französischen Übertragung von Hauchecorne aufschlussreich. In 98. Der Abschied / 102. Les Adieux verabschiedet sich der Maître d’École von seinen Schülern, die es bedauern, dass sie ihm nicht genug Freude bereitet haben.33 „S’il pouvoit être témoin du bonheur qui sera la suite de notre docilité à ses instructions!“34 Der Lehrer appelliert an die Emanzipation der Schüler und das eigenverantwortliche, lebenslange Lernen, das die individuelle Grundlage für das persönliche Glück jedes Einzelnen darstellt:

Le Maître vous intéressoit plus que les préceptes. Maintenant que je vous quitte, vous serez obligés de penser vous mêmes, & ce sera votre bonheur. Je pars, mais mes instructions ne vous quittent point; elles vous seront plus utiles que ma présence, si vous avez soin d’en faire l’objet de vos réflexions fréquentes, de les retracer souvent à votre mémoire, & de les appliquer à votre conduite. Jean, XVI. 7.35

In der französischen Version folgt thematisch darauf 103. Cantique sur le chant du Psaume LXXXVI. Diese Version wurde im Anschluss an die Textarbeit zu 102. Les Adieux in der Klasse auf französisch gesungen. Gleichzeitig werden wesentliche Elemente der Parabel wieder aufgenommen:

Ô toi qui nous donnas l’être,

Dieu des cieux! Ô mon bon maître!

Quand mon cœur s’élève à toi,

Ne t’éloigne point de moi.

Je bénis la Providence,

Qui si sagement dispense

Ses dons à tous les humains,

Les ouvrages de ses mains.36

Damit endet die französische Version. Im deutschen Original werden exemplarisch fünf Lieder dargestellt, bei denen die schwere Arbeit der Menschen aus sozial benachteiligten Bevölkerungsschichten gezeigt wird. Trotz der mühseligen Arbeit und des entbehrungsvollen Lebens sind die Menschen glücklich und preisen Gott: 99. Morgenlied einer frommen Magd, 100. Morgenlied eines frommen Knechts, 101. Lied des frommen Sämanns, 102. Lied des frommen Tageloehners.37

Ein Großteil der Texte wird als Vater-Sohn-Gespräch präsentiert. Diese auf den Dialog aufbauende Gesprächsführung in Form des sokratischen Gesprächs ist ein zentrales Element philanthropischer Schriften, Rochows Kinderfreund orientierte sich an diesem entwickelnden Unterrichtsgespräch als Vermittlungsform: „Die Popularität der von ihm reformierten Reckahn’schen Landschule basierte nicht zuletzt auf der sehr geschickten Gesprächsführung der dort tätigen Lehrer, über die begeistert und wirkungsvoll berichtet wurde.“38 Die Philanthropen schätzten die sokratische Methode als „Mittel der Verstandes- und Vernunftbildung, sahen jedoch auch, dass sie nur bei einer kleinen Zahl von Schülern funktionieren konnte […].“39 Rochow folgte wie Basedow, Wolke, Hauchecorne oder Salzmann der in der Aufklärungszeit aufkommenden Idee einer Sokratik für Kinder, die freilich nur schwer umzusetzen war, da solch ein Gespräch eine demonstratio ad hominem darstellte, in der nicht die Denkinhalte, sondern die Gedanken der an der Unterredung teilnehmenden Personen bestimmend waren.“40

In einigen Parabeln wurden Kirchenlieder eingebettet, bei denen komplexe soziale und moralisch-ethische Zusammenhänge kindgemäß nahegebracht werden sollen. Ich führe die deutsche und französische Version nebeneinander auf.41

20. Die Kunst, ohne Reue froehlich zu sein

Klaus konnte den ganzen Fruehling hindurch Blumen sehen, Nachtigallen schlagen hoeren, die schoensten Kornfelder durchwandeln, und ihm kam auch nicht ein froher Gedanke in den Sinn. Wenn er froh werden sollte, so mußte Bier, oder Kaffeh und Kuchen da seyn – er mußte im Spiele gewinnen, oder den besten Rock in der Gesellschaft anhaben – oder es mußte ein einfaeltiger Mensch gegenwaertig seyn, den er aufziehen konnte.

Einst ging er ueber ein kleines Feld an einem Orte zu Gaste, und sah, wie gewoehnlich, gedankenlos vor sich nieder. Da fand er seinen armen Vetter Carl vor einem wilden Apfelbaume, der eben in voller Bluethe stand. Er sang mit leiser Stimme den Vers:

„Mich ruft der Baum in seiner Pracht!

„Auch mich, auch mich hat Gott gemacht! „Gebt unserm Gott die Ehre.“272

Und weinte vor freudiger Empfindung des allguetigen Schoepfers. „Wie kannst du dich über einen Baum so freuen?“ sagte Klaus muerrisch zu Carl, der ihn nun mit froher und wohlwollender Seele grueßte. „Ey, lieber Vetter! (antwortete Carl), wenn es nicht wohlfeile Freuden gaebe, wo wollte ich Armer welche hernehmen? Ich kann keine Freuden bezahlen. Aber darum habe ich Gott so lieb, daß er auch fuer uns Arme Freuden bereitet hat – Denn ich kann ohne Kosten und ohne Reue froehlich seyn. Aber es ist eine ordentliche Kunst.“ „Nun, was ist das denn fuer eine?“ sprach Klaus. „Das ist sie, wenn du mich hoeren willst,“ antwortete Carl: „Ich sehe alles recht an, was da ist; Großes und Kleines, was Gott gemacht hat, und finde alle Tage was Neues und Schoenes. Dann denke ich nach, warum, und wozu dieses und jenes wohl da seyn, oder wozu es wohl nuetzen mag? Und wenn ich dabey der Weisheit des Schoepfers zuweilen auf die Spur komme, dann kann ich gleich mit meinen eigenen Worten bethen; weil ich von der Allmacht, Weisheit und Guete Gottes alsdann ganz durchdrungen bin. Und so geh’ ich mit Vorsaetzen, dem Allguetigen zu gefallen, munter und froh an meine Arbeit.“ „Lebe wohl!“ sprach Klaus, und ging fort.

2. Kor. 13, 11. 1. Thess. 5, 16. 18.

20. Les plaisirs innocents

Claude n’éprouvoit aucun sentiment de joie à la vue des fleurs du printemps & du vert naissant des campagnes. Le rossignol chantoit en vain pour lui. Pour réjouir son cœur, il lui falloit du vin, du café, du gâteau. .. il falloit que la fortune le favorisât au jeu, ou qu’il fut le mieux habillé de la compagnie. […] ou qu’il se trouvât un pauvre imbécile, qu’il pût tourner en ridicule. Dans ces occasions Claude étoit gai & content.

Un jour, qu’il traversoit une petite étendue de champs labourés, pour se rendre à un festin, & qu’à son ordinaire il marchoit, sans penser à rien; il trouva un de ses pauvres cousins, appelé Charles qui considéroit un pommier sauvage en fleurs. Charles chantoit tout bas ce vers d’un cantique:

L’arbre s’écrie en sa beauté

Célébrez un Dieu de bonté!

Car je suis son ouvrage.

& des larmes de joie & de reconnoissance couloient le long de ses joues … „Comment est-il possible de se réjouir à la vue d’un arbre dit Claude, en l’interrompant brusquement?“

Charles, après l’avoir salué affectueusement lui répondit: „Mon cher Claude, s’il n’y avoit pas des plaisirs qui ne coûtent rien, comment pourrois-je m’en procurer dans mon indigence? Je n’en puis pas payer: mais Dieu qui nous aime & que j’aime à mon tour, nous a aussi préparé des plaisirs, à nous autres indigens. Je puis être gai & heureux sans frais & sans remords. Je considère tout ce qui existe autour de moi; depuis les choses les plus grandes jusqu’aux plus petites; en un mot, tout ce que Dieu a fait, & tous les jours je découvre de nouvelles beautés? Je me demande alors, quel est l’usage & le but de toutes ces choses? & après avoir longtemps réfléchi, je parviens quelquefois à entrer dans les vues de la sagesse divine; & pénétré de la Puissance, de la Sagesse & de la Bonté de mon Dieu, je lui adresse une prière que mon cœur me dicte au moment même. Plein de ces idées & de la résolution de plaire au souverain Bienfaiteur des hommes, je retourne à mon ouvrage avec ardeur & sérénité! Claude lui dit froidement adieu & s’en alla.

2 Cor. XIII, 11. 1 Thess. V, 16. 18.42

Der (von mir hervorgehobene) Psalm steht im Zentrum des Texts und bildet sowohl inhaltlich als auch typographisch dessen Herzstück. Intertextelle Bezüge bestehen zu Psalm 1,3: „Der ist wie ein Baum, gepflanzt an den Wasserbächen, der seine Frucht bringt zu seiner Zeit, und seine Blätter verwelken nicht; und was er macht, das gerät wohl.“43 Die französische Version (Bible Segond 21) lautet: „Il ressemble à un arbre planté près d’un cours d’eau.“44 Im Berliner Hugenottenpsalter Les Pseaumes de David en Vers avec des prières aux dépens de la Compagnie du Consistoire (Abb. 7) findet man die leicht veränderte gereimte Version in der 2. Strophe des Psaume I:

Tel que l’on voit un arbre toujours beau,

Qui fut planté sur les bors d’un ruisseau,

Et qui ses fruits en leur saison rapporte,

Sans que jamais sa feuille tombe morte:

Tel est le juste, & tout ce qu’il fera,

Béni d’en haut, toujours prospérera.45

Es handelt sich also um ein wichtiges biblisches Gleichnis zu Beginn des Psalters, das in der französischen Ausgabe Louis Segond mit der Überschrift Deux hommes, deux destinées46 verbunden ist. Der Weg des Frommen – der Weg des Gottlosen wird also anhand eines Exemplums für die Kinder vorgestellt.

Hauchecornes französische Übertragung präzisiert und interpretiert. In der Rochowschen deutschen Originalversion lässt sich die egoistische, herrschsüchtige Figur Klaus durch das Exemplum der Dankbarkeit und des Fröhlichseins vor Gott seines armen Vetters Carl nicht überzeugen. Das wird bei Rochow stilistisch durch ein lakonisches „Lebe wohl!“ sprach Klaus, und ging fort. dargestellt. In der Hauchecorneschen Übertragung unterstreicht das moralisch-gefühlsbetonte Adverb „froidement“ und das kursivgedruckte „adieu“ die pädagogisch-didaktische Absicht. Der Verweis auf die Bibelverse des Neuen Testaments am Schluss des Texts ist nicht nur als Quellenangabe zu verstehen, sondern als Illustration der Moral, die durch die exemplarischen Eigenschaften von Carl / Charles zusammengefasst und allegorisch exemplifiziert werden:

Seid allzeit fröhlich

Seid dankbar in allen Dingen;

Denn das ist der Wille Gottes

In Christus Jesus an euch.

[…] freut euch

laßt euch zurechtbringen,

laßt euch mahnen

habt einerlei Sinn,

haltet Frieden!

So wird der Gott der Liebe und

des Friedens mit euch sein.

Soyez toujours joyeux (1 Thess 16)

exprimez votre reconnaissance

en toute circonstance,

car c’est la volonté de Dieu

pour vous en Jésus-Christ.

[…] soyez dans la joie, (2 Cor. XIII, 11)

travaillez à vous perfectionner,

encouragez-vous,

vivez en plein accord

dans la paix,

et le Dieu d’amour et de paix

sera avec vous.

Hiermit wird die Topikkette „Freude“, „fröhlich“, „plaisirs“, „innocents“ wieder aufgenommen. Parallelen zum Aufbau einer Predigt und Bibelexegese werden deutlich. Diese Tradition ist typisch für das frühe 18. Jahrhundert. So wurden als Lehrmaterialien kaum Schulbücher verwendet, sondern in der Tradition des Bibelunterrichts die Heilige Schrift und Nacherzählungen biblischer Geschichten.47 Für Rochow und Hauchecorne waren die damaligen Schulbücher unzulänglich: „Es scheint mir ganz unnötig, hier zu wiederholen, was nun endlich allgemeiner geglaubt zu werden scheint, daß die Bibel, so ehrwürdig sie auch ist, doch kein zweckmäßiges Lesebuch für diese erste Schulzeit sei.“48 Rochow schrieb im „Vorbericht“, einer Art „Einleitung“ zur Funktion des Buchs Kinderfreund: „Uebrigens hat der Verfasser geglaubt, daß dieses Buch so lange, bis ein besseres da ist, geschickt sey, die große Lücke zwischen Fibel und Bibel auszufüllen.“49 Albert Reble stellt dazu fest: „Wie Comenius’ Orbis pictus der Urahn aller Bilderbücher ist, so stellt Rochows ‚Kinderfreund‘ den Urahn aller Schullesebücher dar.“50

1789, also vier Jahre nach Rochows Kinderfreund, erscheint mit Hauchecornes Lectures pour la jeunesse51 ein realienkundliches Lehrbuch, das ab 1790 im Französischunterricht eingesetzt wurde.52 Hauchecorne stellt in seinem fünfbändigen Werk das Wissen seiner Zeit in der Tradition der Enzyklopädisten kindgemäß dar. Dazu nutzt er wiederum die Dialogform als Form des katechisierenden Gesprächs. Tome I beginnt mit einem entretien zwischen einem Vater und seinen Söhnen über Les Plantes Botaniques. In einem 24-seitigen Gespräch stellt der Vater die wichtigsten Pflanzen kindgerecht vor mit viel Poesie:

Le père […]

L’aspect de ces plantes n’est ni aussi riant, ni aussi varié que celui des fleurs; mais leur existence est plus utile,53 elle intéresse davantage l’humanité; et, sous ce rapport, elles sont bien dignes de fixer toute notre attention. Les fleurs semblent créées pour ajouter un nouveau charme aux jouissances de l’homme; celles-ci pour le soulager dans ses douleurs […].

Le cadet. A ce compte il y a donc ici vingt classes de plantes botaniques; car je viens de compter ce même nombre de planches.

Le père. Cela est vrai. Lisez maintenant les petites inscriptions qui sont posées à la tête de chaque planche, et vous saurez quelle est la vertu des plantes qui croissent.54

Wesentliche Elemente des Philanthropismus werden deutlich: Es handelt sich um ein entdeckendes Lernen, die Empathie mit den Kindern wird deutlich durch das Beachten der Altersstufenspezifik und Individualität des Kindes. Anhand der Realia wird die Anschaulichkeit des Unterrichts unterstrichen. Hauchecorne vermittelt durch die Person des Le père die vertrauensstiftende Lehrperson (in seiner religiösen Doppelrolle). Die Pflanzen werden auf französisch beschrieben und da es ein Französischlehrbuch für deutschsprachige Lerner ist, folgt der Fachbegriff in Klammern auf deutsch:

1° Commençons par la planche qui contient les plantes pectorales ou béchiques. Là sont, le capillaire (Mauerraute), qui se plaît dans les lieux pierreux et humides; on confond sous ce nom trois ou quatre espèces de fougères, dont la fructification est à la partie inférieure des feuilles; on en fait un sirop pectoral.55

Die Dialoge zwischen Vater und Söhnen werden durch enzyklopädische Texte ergänzt: In weiteren entretiens werden Principales découvertes faites en Europe depuis quelques siècles56 dargestellt wie die Entdeckung Amerikas durch Kolumbus, die Erfindung des Biers, des calcul différentiel von Leibniz, die Erfindung des Porzellans (u. a. „La porcelaine de Saxe […] inventée en 1706 par le baron de Bötticher“57). Handwerkerkünste wie Holzschnitt werden anhand von Dürers Holzstichen vorgestellt, Musikinstrumente wie „L’Harmonica, cet instrument de musique; composé de cloches ou tasses de verre, dont les sons inimitables approchent beaucoup de la voix humaine, est de l’invention du célèbre Franklin, établi en Pensilvanie.“58 Des Weiteren werden einige Spiele dargestellt, wie das jeu d’oie59 und das Schachspiel, das mit der Musik verglichen wird:

Il y a de grands musiciens qui sont en même tems grands joueurs d’échecs. Peut-être existe-t’-il plus de ressemblance qu’on ne croit entre les échecs et la musique. Il n’y a de chaque côté que 16 pièces aux échecs, dont 8 principales et 8 subalternes; et l’échiquier sur lequel elles se promènent n’est que de 64 cases. Il n’y a de même que 6 à 7 tons dans la musique, 12 ou 13 sons qui s’arrangent sur 5 lignes. En les combinant, on exécute la musique la plus difficile, comme on fait des coup variés sur un échiquier de peu d’étendue avec un petit nombre d’échecs.60

Hauchecorne hatte schon vor seiner ersten Pfarrstelle an der Friedrichstadtkirche in Berlin (1783-1822) erste Privatschüler. Im Archiv Französischer Dom Berlin habe ich in Hauchecornes Nachlass ein unveröffentlichtes Lieder-Buch 1814-1820 gefunden. Das handgeschriebene Büchlein sieht wie ein Tagebuch aus, es enthält verschiedene Liedtexte und auch handgeschriebene Noten, Wiegenlieder, die eventuell selbst komponiert wurden. Mehrere Lieder sind in einer Interlinearversion (linke Seite französisch, rechte Seite deutsch) dargestellt. Als Thema wählt Hauchecorne vor allem (philanthropische) Tugenden wie Fidélité / Treue (Abb. 8),61 kindgemäße Empathie (Wiegenlied) und Bezüge zu Reformation und Spiritualität Das neue Leben.62


Abb. 8:

Frédéric Guillaume HAUCHECORNE, Liederbuch (1814-1820). Manuskript, o. O., S. 11 f. Archiv Französischer Dom Berlin, Signatur AFrD. Rep 04-NL III, Nr. 4.

Tome II der Lectures pour la jeunesse ist als Sammlung von Reiseerzählungen konzipiert. Der Vater als Ich-Erzähler reist mit seinen Kindern durch Preußen, Franken, Bayern und Sachsen, wobei er geographische und soziokulturelle Besonderheiten beschreibt: z. B. Voyage dans le Cercle de Ruppin, Frédéric II. Dans une Église de village, Le Roi & le chef de file du régiment de Bernburg, Anecdotes concernant quelques métiers, Voyage en Franconie. Auf dieser Reise kommen die Protagonisten nach Dessau63 und beurteilen die Philanthropen nicht ohne Kritik. Damit wird Hauchecornes pädagogisch-didaktische Einschätzung deutlich:

Le Philanthropin institué par Mr. Le Prof. Basedow & généralement connu dans toute l’Europe m’intéressoit particulièrement. Cette fondation indépendamment des secours qu’elle offre encore actuellement à la jeunesse aura toujours le mérite d’avoir dans son origine réveillé l’attention de tous ceux qui sont chargés du soin de l’éducation. On ne peut pas nier que cet objet se soit perfectionné depuis quelques années; il y a peut-être eu des gens qui ont été trop loin dans les réformes & qui pour faire disparoître quelques défauts ont renversé le tout. Ceux qui ont proposé les réformes ne sont pas responsables de l’excès auquel d’autres les ont portées. L’éducation de la jeunesse64 sera toujours redevable à Mrs. Basedow, Campe, Wolcke [sic] des améliorations qu’elle a reçues dans plusieurs contrées & la postérité n’oubliera pas que le Prince de Dessau a consacré des sommes considérables à une entreprise aussi utile à l’humanité.65

Der Ich-Erzähler beschreibt mit dem Lernumfeld die personelle und räumliche Ausstattung des Philanthropins: „Il y a actuellement vingt à trente Elèves au Philantropin, ils y reçoivent les leçons de plusieurs Professeurs & Maîtres. Le bâtiment est spacieux, propre, bien aëré, & l’inspection particulière des Elèves est partagée entre plusieurs Maîtres.“66

In den Pausen können sich die Kinder in einem Garten erholen.67 Auch sportliche Aktivitäten sind in der Pause vorgesehen.68 Charakteristisch sind Solidarität und Altruismus, die sich aus der christlichen Religion speisen. Dabei tauchen die Begriffe plaisir und bonheur69 als Leitthemen wieder auf. Eine wichtige Rolle dabei spielt der Gesang im Philanthropin beim Gottesdienst:

Dans un autre voyage que je fis à Dessau il y a deux ans, j’eus occasion d’assister pendant toute une matinée aux leçons que les Maîtres avoient soin de rendre intelligibles pour les enfans. Cette fois-ci, nous assistâmes au service Divin où nous entendîmes Mr. Du Toit expliquant aux Elèves rassemblés dans la grande salle le devoir de prendre plaisir au bonheur d’autrui. Pour leur rendre les exercices de piété plus utiles on tâche d’y mettre les instructions à leur portés, & pour soutenir leur attention on entremêle l’explication de leurs devoirs du chant des cantiques qui ont été composés pour la jeunesse recueillie au Philanthropin.70

Musik in Form des gemeinsamen Gesangs im Philanthropin erhält neben der gemeinschaftlichen gruppendynamischen Komponente eine lernpsychologische: Durch das gemeinsame Singen wiederholen die Kinder besser (mnemotechnisches Element). Das gemeinsame Singen im Chor stärkt die Motivation und das Zusammengehörigkeitsgefühl. Die Lieder wurden speziell jugendgemäß konzipiert und für die Jugend komponiert, es handelt sich also um eine Form didaktischer Lieder. Durch das Singen wird die Aufmerksamkeit verstärkt. Vielleicht wurde indirekt sogar schon das mehrkanalige Lernen mit allen Sinnen avant la lettre praktiziert. Bestimmte Anschauungsmodelle und -objekte im (Schul-) Garten erleichtern Unterricht und gestalten ihn praxisnah. Der Bezug Hauchecornes zur reformierten Kirche und sein Treffen mit Basedow werden auch in den Text integriert, um die Verbindung zwischen reformierten Glaubensgrundsätzen und den Philanthropen zu verdeutlichen:

Nous assistâmes l’après dinée au service divin dans l’Eglise réformée & nous passâmes quelques heures chez M. Basedow. Il s’occupoit encore du soin de rendre plus facile la méthode d’enseigner aux enfans à épeler, & me donna quelques ouvrages qu’il venoit de composer sur ce sujet.71

Hauchecorne integriert in seinen Lectures pour la jeunesse Tome III verschiedene Textsorten wie Fabeln, Moralgeschichten und sogar Theaterstücke, bei denen wieder eine Moral am Ende steht. In den Lectures pour la jeunesse N° VIII steht die Suche nach dem bonheur im Zentrum.72 Dabei wird die Fragestellung als Fallbesprechung anhand eines conte philosophique und conte moral73 dargestellt. Hierbei treten in mehreren verschachtelten Erzählsträngen in einer Mise en abyme bestimmte Eigenschaften als Allegorien auf und zum Abschluss erfolgt die Moral als Schiedsspruch eines Sage im Streit zwischen Mr. Alerte und Mr. Qu’importe: „Le Sage: Voyez vous, Monsieur; vous commencez à vous faire. C’étoit fort bien dit. – Quand on emprunte d’un ami, il faut parler comme Mr. Alerte, mais quand on tire un ami d’embarras, il faut tenir le langage de Mr. Qu’importe.“74

Türler ve etiketler

Yaş sınırı:
0+
Hacim:
806 s. 94 illüstrasyon
ISBN:
9783823301776
Telif hakkı:
Bookwire
İndirme biçimi:

Bu kitabı okuyanlar şunları da okudu