Kitabı oku: «Musikeinsatz im Französischunterricht», sayfa 7
Der Schiedsspruch des Sage im Stil eines Nathan des Weisen entspricht damit der Moral des conte philosophique und des (auktorialen) Erzählers in Person des Lehrmeisters Hauchecorne. Dabei favorisiert Hauchecorne die aristotelische Lehre vom goldenen Mittelweg, der aurea mediocritas.75
Die Moral Les trésors de cette terre ne font point notre bonheur wird als Notenbeispiel und im Anschluss auch der Text darunter abgedruckt (Abb. 9). Vermutlich wurde das Stück als Operette im Schultheater in Hauchecornes Schule aufgeführt. Als Titel ist angegeben Nouveau Vaudeville pour l’opérette: Zémire & Azor.76 Hauchecorne hat 1790 offensichtlich eine für die Jugend didaktisierte Fortsetzung des opéra-ballet Zémire et Azor des belgischen Komponisten André-Ernest-Modeste Grétry von 1771 verfasst, wobei die für die Glücksdebatte der Aufklärung wichtigen Konzepte bonheur, fortune, le bon cœur, l’âme pure, vertu anhand der Protagonisten Zémir, Ali, Azor und Lisbé in einem (philosophischen) Streitgespräch erörtert werden.77
Abb. 9:
Frédéric Guillaume HAUCHECORNE, Lectures pour la jeunesse. Tome III. Première partie. Berlin: G. F. Starcke 1790, S. 123-125.
In der Ausgabe seiner Lectures pour la jeunesse von 1794 wird das Jahr als Tagebuch dargestellt und beginnt mit den bonnes résolutions des Kindes: „Janvier 1794: Résolutions d’un enfant sage en commençant l’année.“78 Wichtige Leitelemente der kindgemäßen philanthropischen Ideale werden aufgenommen:
Je viens de commencer une nouvelle année. Mes bons parens m’ont si tendrement embrassé lorsque je leur présentai les vœux que j’avois fait en leur faveur; ils en faisoient de si ardents pour ma sagesse, & sembloient me dire que leur félicité en tenant étroitement à la mienne dépendoit de mes efforts pour me conforter à leurs intentions paternelles; j’étois si touché en les embrassant moi même, je sentois dans ce moment combien je les aimois, combien il étoit important pour moi de m’abandonner à leur sage direction! Je veux maintenant mettre à profit l’impression que cette journée m’a faite, & tâcher d’être aussi heureux toute ma vie. Je veux me rappeler les bons avis qu’ils m’ont donné [sic] pour diriger mes résolutions. Je les relirai quelquefois pour ne pas en perdre le souvenir, & j’aurai la satisfaction de porter la joie dans le cœur de mes parens & la tranquillité la plus douce dans le mien.79
Verschiedene französische Gedichte sind den Prinzessinnen Luise und Friederike von Mecklenburg Strelitz und Ferdinand von Preußen, dem Neffen Friedrichs des Großen, gewidmet. Ein Lokalkolorit der preußischen Dorflandschaft wird durch eine Chanson pour un jour de naissance. Air: Les jeux d’amour et du village wiedergegeben. Hierbei wird wieder die Technik der Kontrafaktur benutzt:80 Auf eine damals allen bekannte Melodie wird ein neuer Text gesungen und so die Verbreitung des neuen Texts erleichtert. Durch die drei Asterisken kann jede Person individuell eingesetzt und das Lied auch in der Klasse nach der Lektüre gesungen werden. Der Text wurde vermutlich von einem Schüler vorgesungen und der Refrain im Chor dann gemeinsam von der gesamten Klasse:
Chantons, amis, chantons la fête
De l’amour & du sentiment.
Que ce soit le cœur qui nous prête
De sa voix le divin accent.
Le cœur est tout, pour ***
Elle fait grâce du talent ;
Offrons lui, pour présent unique
Les hommages du sentiment. (bis)81
Weitere Theaterstücke mit Chorsequenzen zu Ehren der königlichen Prinzessin Luise werden dargestellt und der Text zum Mitsingen abgedruckt.82 Es folgen speziell für Hauchecornes Schule inszenierte Komödien und Theaterstücke, die auch Stimmvariationen im Theaterspiel der Schüler verlangen, oft werden auch Gedicht- und Liedelemente integriert.83 Neben den von Hauchecorne aus dem Deutschen ins Französische übersetzten Fabeln findet man zur Illustration die französische Version der Fabeln der Moralisten Gellert, Hagedorn, Lichtwer und Gleim.84 Die Affinität zum friedlichen, glücklichen Dorfleben wird dargestellt in Jonival; ou, l’Enfant empressé à célébrer l’Anniversaire du Jour de Naissance de sa Mère; Divertissement.85 In einer unterhaltsamen Parodie der bukolisch-akadischen Dichtung verschmelzen lyrisch-musikalische Elemente mit Dialogen zur Idealisierung des Hirtenlebens und werden in einer Art Mise en abyme in eine Theatersituation integriert. Es handelt sich also um Theater im Theater für das Schülertheater! Bekannte Fabeln und Gedichte werden in die Rollenspiele integriert. In der fünften (und letzten) Szene kommen die Schauspielerinnen und Schauspieler auf die Bühne und als Krönung tanzen alle den Schweizerischen Ranz des Vaches.86 Als Form der Realia fügt Hauchecorne eine Klappkarte mit den Noten und Instrumenten (Kuhglocke und Cornemuse) an und gibt in einer Fußnote dazu Rousseaus Erklärungen aus dem Dictionnaire de la musique wieder: „Air célèbre parmi les Suisses, & que leurs jeunes Bouviers jouent sur la Cornemuse en gardant le bétail dans les montagnes.“87 Hauchecorne übernimmt diesen Teil der Erklärung und fügt aus Rousseaus Artikel zur Musique hinzu: „Il est défendu sous peine de mort de le jouer dans leurs troupes, parce qu’il fait fondre en larmes, déserter ou mourir ceux qui l’entendent, tant il excite en eux l’ardent désir de revoir leur pays.“88 Rousseau unterstreicht hierbei die emotionale, identifizierende, memorisierende und identitätsstiftende Funktion von Musik:
On chercheroit en vain dans cet Air les accents enérgiques capables de produire de si étonnants effets. Ces effets, qui n’ont aucun lieu sur les étrangers, ne viennent que de l’habitude, des souvenirs, de mille circonstances qui, retracées par cet Air à ceux qui l’entendent, & leur rappellant leur pays, leurs anciens plaisirs, leur jeunesse, & toutes leurs façons de vivre, excitent en eux une douleur amère d’avoir perdu tout cela. La Musique alors n’agit point précisément comme Musique, mais comme signe mémoratif. Cet Air, quoique toujours le même, ne produit plus aujourd’hui les mêmes effets qu’il produisoit ci-devant sur les Suisses; parce qu’ayant perdu le goût de leur première simplicité, ils ne regrettent plus quand on la leur rappelle. Tant il est vrai que ce n’est pas dans leur action physique qu’il faut chercher les plus grands effets des Sons sur le cœur humain.89
Diese detaillierte Beschreibung der Gebräuche deckt sich mit Hauchecornes realienkundlicher Unterrichtskonzeption.90
I. 6. 2 Unterrichtsmethodische Entwicklungen bei den Philanthropen Wolke und Trapp
Christian Heinrich Wolke, der an Basedows Elementarwerk mitgearbeitet hat, ist neben Basedow ein weiterer wichtiger Vertreter der Philanthropen. Für Wolke steht, noch stärker als bei Basedow, der praktisch-spielerische Aspekt der Spracherlernung im Vordergrund. Grundlage des Anfangsunterrichts ist die naturgemäße Lehrmethode1, die eine Affinität zum muttersprachlichen Lernprozess aufweist. Für die Philanthropen erfolgt dieses imitative, nachahmende Lernen durch den bloßen Gebrauch2 und auf angenehme, natürliche und spielerische Weise. Das Spiel im Unterricht ist für Basedow und Wolke zentral und bildet eine naturgemäße Form des Lernens.3 Dabei spielt die phonetisch-artikulatorische Komponente eine elementare Rolle. Der Zweitspracherwerb orientiert sich an der evolutiven Entwicklung des Erstspracherwerbs:
Man mache den Kindern nur Lust zur Aufmerksamkeit […]. Zuerst gewöhnt sich das Ohr zu den Tönen; hernach erhalten dieselben anfangs eine schwankende und etwas unrichtige, mit der Zeit aber eine festere und richtigere Bedeutung […]. Unterredet euch nur fleißig mit der Jugend von sinnlichen Dingen, die ihr angenehm sind; sorget nur, dass eine gewisse Anzahl Wörter in der ersten, eine andere in der zweiten Woche herrschen; alsdann wird die Fähigkeit, euch zu verstehen, unfehlbar anwachsen, die Jugend wird euch nachahmen wollen, besonders dann, wenn ihr sie für die geringste Bemühung rühmet.4
Wolke zeigt die natürliche, kindgemäß-spielerische Anwendung der Sprache in seiner Anweisung für Muetter und Kinderlehrer […] anhand einer Musikmetapher: Die menschliche Stimme wird als Instrument charakterisiert, dessen vielseitige Verwendung die Schüler zunächst aufmerksam beobachten sollten, um dann auf ihm zu spielen und es zu meistern und zu beherrschen. Das funktioniert aber nur in täglicher Übung. Diese naturgemäße Lernmethode zeigt die natürliche, menschliche Stimme als „Tonwerkzeug“:
Der Lerning werde veranlaßt, zu hoeren und zu bemerken, wie Jemand singt, anstimt, die Toene schleift, trillert; wie er jubelt, groelet, juchet, jucheiet, jauchzet; wie er lullet oder trallallet; wie er laut lacht […]; wie Jemand mit der Zunge klackt oder schnalzet […].5
Wie Basedow nutzte Wolke im Rahmen seines Anschauungsunterrichts6 Realia, die einen Sachunterricht anhand eines „Schulkabinet[s] von Nachahmungen sinnlicher Gegenstände in Modellen und Kupferstichen […]“7 ermöglichte. Es wurden meist die Kupferstiche Chodowieckis verwendet. Dabei sollte der Fremdsprachenunterricht nahezu ausschließlich in der Fremdsprache stattfinden. Diese Versinnlichungsmethode8 wurde von Basedow theoretisch begründet und Wolke setzte sie in seinem Französisch- und Lateinunterricht erfolgreich in die Praxis um. Es handelt sich um eine ganzheitlich-holistische Methode, bei der die Einsprachigkeit des Unterrichts (in der Fremdsprache) im Vordergrund steht. Im Französischunterricht von Wolke erfährt das Einsprachigkeitsprinzip eine psychologische Rechtfertigung und bereitet den Weg zur Anschauungsmethode der neusprachlichen Reformbewegung. Wolke argumentiert, dass
bei deutschsprachigen Worterklärungen […] neu eingeführte französische Wörter nicht aufmerksam und nicht bewußt genug wahrgenommen [werden würden], da der Text allzu transparent sei […]. Daher schenke der Schüler sowohl der Aussprache als auch der Bedeutung des französischen Wortes zuwenig Aufmerksamkeit.“9
Wolkes psychologische Reflexionen nehmen schon en germe einige Elemente der méthode directe des ausgehenden 19. Jahrhunderts vorweg. Marcus Reinfried hat nachgewiesen, dass die Versinnlichungsmethode der Dessauer Philanthropen aber nicht als eine direkte Methode bezeichnet werden kann, da zu deren Charakteristika nach Christian Puren10 auch die „Berücksichtigung der altersgemäßen Interessen und Bedürfnisse der Schüler, die Selektion der Vokabeln (Auswahl nach centres d’intérêt) und die Progression der grammatikalischen Strukturen [gehören].“11 Da diese beiden Charakteristika bei den Philanthropen noch keine wichtige Rolle spielen, befindet sich ihre Versinnlichungsmethode „noch auf dem halben Weg zwischen der natürlichen Methode der Gouvernantenpädagogik und der direkten Methode, wie sie sich kurz vor der Jahrhundertwende ergeben hat.“12 Deshalb ist es sensu stricto noch keine direkte Methode.13
Ernst Christian Trapp, der oft als „Theoretiker der philanthropischen Bewegung“14 bezeichnet wird und einige Jahre lang die erste deutsche Professur für Pädagogik besetzte, gibt in einer Reihe von Schriften eine relativ systematische Darstellung der philanthropischen Unterrichts- und Erziehungsmethode. Trapp lehnt die formale Bildungstheorie ab und orientiert sich an den Realien. Wie alle Philanthropen favorisierte Trapp eine natürliche Sprachenerlernung und folgte Wolkes naturgemäßer Lernmethode nach dem Grundsatz,
dass man der Natur folgen, die Natur zu Rate ziehen müsse, und (in Bezug auf die Erlernung der Muttersprache) zu untersuchen habe: wie macht es die Natur, dass man eine Sprache ohne kunstmässigen Unterricht lernt? Und wie ist die Natur des Menschen in Rücksicht sowohl auf sein Vermögen, als auf sein Bedürfnis, Sprachen zu lernen, eingerichtet? Mit anderen Worten: wie lernt ein jeder Mensch seine Muttersprache, und wie geht es zu, dass er sie versteht oder spricht?15
Trapp orientiert sich beim Erlernen einer Fremdsprache vor allem am Erstspracherwerb, also der Sprachverwendung, und leitet daraus ein möglichst frühes Erlernen einer Fremdsprache ab. Es handelt sich um eine kindgemäße, intuitive Methode, die sich an der menschlichen Natur orientiert. Aufgrund des inhärenten „Nachahmungstriebs“ beginnt das Kind nach Trapp zunächst mit der
Nachbildung gehörter Töne; anfangs geht es schwer; mit dem Erstarken der Sprechorgane wird die Fähigkeit aber grösser, und dann wird das Kind unter den Tönen immer denjenigen wählen, den das jedesmalige Bedürfnis erfordert, wobei vorauszusetzen ist, dass es allmählich gemerkt hat, was für eine Sache mit irgend einem Ton oder Wort bezeichnet wird.16
Die Ausführungen über das Erlernen der Muttersprache überträgt Trapp auf das Erlernen fremder Sprachen:
Dass man bei Erlernung fremder Sprachen sorgfältig und so genau als möglich nachahmen müsse, was bei Erlernung der Muttersprache geschieht, wenn man auf dem kürzesten und leichtesten Wege seinen Zweck, das gewöhnliche und gemeinnützige Verstehen und Anwenden fremder Sprachen, erreichen will.17
Danach schließt sich das Vorsprechen der fremden Worte in ähnlicher Weise wie die Laute der Muttersprache und deren Nachahmung an.18 Neben den phonetisch-artikulatorischen Übungen der Philanthropen wurde auch gesungen, das lässt sich indirekt aus Trapps Versuch einer Pädagogik ableiten. Im Abschnitt III. Vom Unterricht erklärt Trapp die spielerische Vermittlung des Einmaleins, das mit entdeckendem Lernen und Belohnung verbunden wird:
Die Ziffern lernen die Kinder zugleich mit den Buchstaben. Hier laeßt sich die Versinnlichung leicht anbringen. Man schreibt jede Ziffer auf ein Zettelchen und laeßt das Kind aus einer Ecke […] Nuesse, Rosinen, Mandeln u. d. gl. holen, so viel als die auf dem Zettel stehende Ziffer anzeigt. Fehlt das Kind, so verliert es eine Nuß; bringt es die rechte Zahl, so gewinnt es eine. Es scheint, daß man auf diese Art in einem Nachmittage die Kinder die Ziffern von 1 bis 20 lehren koenne. Das Einmaleins scheint am besten so gelernt werden zu können, daß man, wenn z. B. von zweimal zwei bis zweimal zehn gelernt werden soll, neun Haufen von Nuessen, Kirschensteinen u. d. gl. mache, deren jeder zwei Abtheilungen habe. In jeder Abtheilung des ersten Haufens liegen zwei; in jeder Abtheilung des zweiten Haufens liegen drei u. s. f. Nun laeßt man die Kinder die Einheiten beider Abtheilungen zusammen zaehlen, und fragt sie jedesmal: Wie viel macht nun zweimal drei, zweimal vier u. s. w. Wann man dis eine Zeitlang getrieben hat, so geht man von Haufen zu Haufen nach der Reihe, und fragt: Zweimal drei macht? Zweimal vier macht? u. s. w. Wer es ohne Fehler weiß, bekoemmt eine Rosine zur Belohnung. Wie bald sich das in Musik gesetzte Einmaleins singend erlernen lasse, weiß ich aus Mangel der Erfahrung nicht zu bestimmen.19
Diese Textpassage gilt für Schmeck als Beweis für den Musikeinsatz im (Fremdsprachen-) Unterricht:
Übrigens haben die Philanthropisten das Singen in ihrem Unterrichte auch schon zu Hülfe genommen. […] Die Anwendung dieses Huelfsmittels [des gesungenen Einmaleins, A. R.] steht darnach fest. Ob auch speziell im fremdsprachlichen Unterricht gesungen wurde, ist direkt nicht festzustellen, aber bei der angewandten Methode mit grosser Sicherheit anzunehmen. Wenn man in der fremden Sprache spielte, betete u. s. w., warum sollte man denn nicht auch in ihren Lauten singen?20
Auch das Lesen und Schreiben erfolgen unter Umgehung der Muttersprache und der Vermeidung grammatischer Übungen. Trapps bedingslose Anwendung der Einsprachigkeit, die Schmeck als „Radikalismus“ bezeichnet,21 findet einhundert Jahre später in der Méthode Berlitz ihre Anwendung, worauf Schmeck hinweist.22 In den Lehrbüchern dieser in den USA entwickelten Sprachlehrmethode wird darauf verwiesen, dass eine Orientierung am Erstspracherwerb erfolgt: „La Méthode Berlitz est l’imitation dans la pratique de la manière dont la nature enseigne la langue maternelle aux enfants.“23
In den 1770er Jahren waren Lesebuchsammlungen für Kinder, die sich an den Philanthropen orientieren, sehr beliebt. Der deutsche Buchhändler Gottlieb August Lange gab in seiner 1749 gegründeten Lange’schen Verlagsbuchhandlung mehrere fremdsprachige Lesebücher speziell für Kinder heraus. Es handelt sich um eine Sammlung kurzer Lesestücke, denen wie bei Hauchecorne und Rochow ein katechisierendes Gespräch zwischen Kind und Lehrer vorangestellt wird:
Anweisung zum Franzoesischen Lesen.
Erstes Gespraech. Das Kind und der Lehrer.
Kind. Liebster Lehrer, ich moechte gern Franzoesisch lesen lernen. Karl lieset schon recht gut, wie Papa sagt.
Lehrer. Das ist schoen. Da hab ich eben ein franzoesisches Alphabet.24
Wie bei Wolke und Trapp folgen nun mehrere Gespräche zur Aussprache.25 Im Vorwort verweist der Herausgeber auf die kinder- und lehrerfreundliche Intention seines Lehrwerks: „Dieses Lesebuch ist eigentlich nur zum Behuf einer Privatanstalt gedruckt worden. Es enthaelt solche Stuecke, von denen man gemerkt hat, daß sie theils den Kindern gefallen, theils den Unterricht sehr erleichtern.“26
Lange nennt explizit als Textsorte Lieder, die nicht nur förderlich zum Lesenlernen sind und den Lernprozess akzelerieren, sondern vor allem als Gesprächsanlass dienen:
Durch die Lieder z. B. kann man die Kinder nicht nur geschwinder lesen lehren, sondern man hat auch Gelegenheit, bei der unumgaenglich nothwendigen Erklaerung eines jeden Wortes, ihnen mancherlei Belehrungen ueber Gott, Natur und Religion zu ertheilen, die sich um so fester in ihr weiches Gehirn eindruekken, als sie ueberhaupt Verse leichter und lieber im Gedaechtnisse behalten denn Prosa.27
Der Bezug zu John Lockes Empirismus und seiner sensualistischen Theorie der tabula rasa wird deutlich durch das „Eindrücken“ der Erkenntnisse, das bessere Memorisieren durch den Einsatz von Liedern und Gedichten. Hiermit wird der Liedeinsatz mit einer Lerntheorie verbunden. Locke beeinflusste entscheidend die philanthropische Bewegung, denn Basedow beruft sich in Bezug auf das spielerische Lernen auf Lockes 1693 erschienene Erziehungsschrift Some thoughts on education. Für den englischen Philosophen ist das Lernen – vor allem bei Kindern – im besten Falle fröhliches Spiel und eine Quelle des persönlichen und gesellschaftlichen Glücks.
I. 7 Musikalische Elemente in Salons, Konversationszirkeln, Sprachgesellschaften und Damenorden
Das Französische wurde in Deutschland in der Mitte des 17. Jahrhunderts zur „mit großem Abstand wichtigsten neueren Fremdsprache – eine Position, die es zweieinhalb Jahrhunderte lang halten sollte.“1 Die französische Sprache nahm eine wichtige Stellung als langue véhiculaire des europäischen Adels ein und fungierte beispielsweise am kursächsischen Hof in den zwanziger Jahren des 17. Jahrhunderts als lingua franca der Aristokratie. Koldau2 und Kuhfuß3 berichten über frankophile Damenkränzchen am anhaltinischen Hof von Fürst Ludwig von Anhalt-Köthen. Am Hof wurde die Bildung in verschiedenen europäischen Sprachen durch Übersetzung, Schulversuche und Damenorden gepflegt.4 Als Gegenreaktion auf die starke Französierung am anhaltinischen Hof wurde 1617 die Fruchtbringende Gesellschaft5 von Fürst Ludwig I. gegründet. Nach dem Vorbild der italienischen Accademia della Crusca sollte sich die älteste deutsche Sprachgesellschaft der Pflege der deutschen Hoch-Sprache und Literatur widmen.6 Die Fruchtbringende Gesellschaft war mit 890 Mitgliedern die größte und bedeutendste der deutschen Sprachgesellschaften des Barocks.7 Bei diesem Palmenorden handelte es sich fast ausschließlich um einen Männerorden. Koldau zeigt, dass in der Fruchtbringenden Gesellschaft „künstlerisch besonders begabte Ehefrauen der Mitglieder zwar an den Sitzungen teilnehmen [konnten], jedoch nur unter dem Gesellschaftsnamen ihres Mannes und nicht als ordentliche Mitglieder.“8 Musik spielte in der Fruchtbringenden Gesellschaft eine geringe Rolle. Wenn Musik „überhaupt in den Statuten erwähnt wird, dann nur als geringfügiger Zeitvertreib – zu Beginn des 17. Jahrhunderts dennoch ein wichtiger Hinweis, dass die Adelsdamen selbstverständlich gewohnt waren, zu musizieren und dies auch häufig in Gesellschaft taten.“9
In allen Sprachgesellschaften bekam das neue Mitglied bei seiner Hänselung (wie die Aufnahmezeremonie genannt wurde) einen Gesellschaftsnamen, der immer der Pflanzenwelt entnommen war, einen Spruch und ein Emblem. Fürst Ludwig I. erhielt als Gründungsmitglied der Fruchtbringenden Gesellschaft den Beinamen Der Nährende.10
Als Gegenentwurf zur männlich dominierten Fruchtbringenden Gesellschaft erfolgte am 21. 10. 1617, also nicht einmal zwei Monate nach Gründung des Palmenordens, die Gegengründung der frankophilen Noble Académie des Loyales11 durch Fürstin Anna von Anhalt-Bernburg, die Schwägerin von Fürst Ludwig I. Es handelt sich um eine geheimgehaltene Gesellschaft, die exklusiv Frauen und Angehörigen von Adelsfamilien vorbehalten waren. Die Akademie „hielt sich […] im Rahmen der damals modernen französischen Bildung.“12 Ziel war es, die Errungenschaften der französischen Kultur und Bildung unter den vornehmen, adeligen Damen zu verbreiten.13 Es gibt mehrere Indizien dafür, dass es sich um eine Replik auf den Palmenorden handelte, hatte die Fruchtbringende Gesellschaft als Emblem eine Kokospalme, wählte die Noble Académie des Loyales als Ordenszeichen „eine goldene Palme, die mit dem Phönix als Sinnbild wechselte […] und nannte sich auch L’ordre de la Palme d’or, sie führte den Wahlspruch ,sans varier‘ und als Unterschrift unter dem Phönix ,Rare mais perpétuel‘ […].“14
Ein bewusster Gegensatz zum Palmenorden ist hier die starke Betonung der französischen Sprache. So wurden die Statuten ursprünglich nur auf französisch verfasst und „erst 1633 in revidierter Fassung ins Deutsche übertragen […].“15 Christian I., der Gatte von Fürstin Anna von Anhalt-Bernburg, korrespondierte selbst mit seinem Bruder Ludwig in französischer Sprache.16
Die Akademie bestand aus 20 Mitgliedern, „wobei genaue Vorgaben für die Verteilung auf fürstliche (10), gräfliche (7) und ritterbürtige (3) Damen bestanden und die ständischen Differenzen strikt zu beachten waren […].“17 Außerdem mussten alle Mitglieder reformierten Glaubens18 sein. Im Gegensatz zu anderen Sprachgesellschaften sollten die Mitglieder nach den Satzungen der Noble Académie des Loyales
[…] ihre Zeit / wie auch sonsten / mit Ehrlichen / Ihnen und ihrem Stande wohl anstehenden auch frölichen Ubungen [sic] und Gesprächen zubringen / unter welchen auch diese sein sollen / daß sie sich befleißigen / unterschiedlicher Sprachen / allerhand schöner Hand-Arbeit / auch anderer feiner künstlicher Sachen / darunter auch die Musick / Gedichte / und ingemein in allen dem / was ihnen und ihres gleichen rühmlich ist / und wohl anstehet / nach einer jeden Fähigkeit.“19
Die Mitglieder wählten sich französische Beinamen wie la Pourvoyante, la Constante, la Paisible, l’Obéissante, la Concorde, l’Invariable, la Débonnaire und eine französische Devise.20 Heinz Engels vermutet, dass „die Musik und die Gedichte […] sich natürlich bei diesem [besonders frankophilen, A. R.] Damenorden auf französische Lieder und Gedichte“ beziehen.21 „Die adligen Damen sangen in gemeinsamer Runde auch gerne französische Lieder.“ stellt Kuhfuß22 fest. Koldau bezweifelt jedoch, ob die Frage nach dem Repertoire und der vokalen und instrumentalen Ausführung der französischen Lieder auf den Sitzungen der Académie des Loyales aufgrund der spärlichen Quellenlage dieses geheimen Damenordens je beantwortet werden kann.23
Viele dieser Damen gehörten parallel einer weiteren Damengesellschaft an, die neben dem gesellschaftlichen Miteinander und der standesgemäßen Konversation, die bei der Académie des Loyales im Vordergrund stand, besonders auf die christlich-moralische Sittsamkeit und Tugend achteten. 1619, also zwei Jahre nach der Noble Académie des Loyales, gründeten neun Adelsdamen als „neün newe Kunstgöttinnen auf dem gräflichen Schloss zu Rudolstadt die Tugendliche Gesellschaft, einen Damenorden, der der Fruchtbringenden Gesellschaft eng verbunden war, sich allerdings ein „Werck“ zum Ziel setzte, „das mehr als singen“ sei.24 Koldau stellt fest, dass das „Singen“ hier „primär als Dichtung und nicht als Musikausübung zu verstehen [ist]“ und sich „das ‚mehr‘ auf die bereits im Ordensnamen enthaltene Zielsetzung [bezieht], die weiblichen Tugenden und dadurch die christlich-evangelische Sittlichkeit im gesamten Staatsgefüge zu fördern.“25 Dabei stand die Tugendliche Gesellschaft nicht nur „Frauen aus reformierten Kreisen, sondern Angehörigen aller reformatorischer Bekenntnisse offen.“26 Klaus Conermann zitiert zeitgenössische Quellen von Damen der Tugendlichen Gesellschaft, die sich als Dichterinnen, Verfasserinnen von Erbauungsschriften, Sinnbildern und Frauenlexika, als musikalische Liebhaberinnen, sogar als Komponistinnen engagierten.27 Das gesellschaftlich-kirchliche Engagement reichte von der Gründung von Schulen und dem regelmäßigen Abhalten von Hausandachten mit Gebet (der „Haus-Kirche“) bis zu geistlicher Lektüre mit Kirchenliedern.28 Bis auf die frankophile Noble Académie des Loyales und die Tugendliche Gesellschaft waren alle weiteren Gesellschaften größtenteils Männerorganisationen, die einen deutschen Sprachpurismus förderten.29 Die von Barthold30 und Conermann31 erwähnte bukolische frankophile Académie des Vrais Amants, die aus Verehrern des Schäferromans Astrée von Honoré d’Urfé bestand und „deren Mitglieder in die Rollen von Schäfern und Hirten schlüpften und diese lesend, phantasierend und spielend an den Höfen Anhalts und Thüringens nachahmten“32, ist jedoch nach Dünnhaupt erfunden: „[…] die Erklärung, warum weder Barthold noch Conermann dokumentarische Beweise für die Existenz einer ‚Académie des Vrais Amants‘ auftreiben konnten, ist sehr einfach – es hat nie eine solche Akademie gegeben!!“33
Weitere Akademien und Sprachgesellschaften waren männlich dominierte germanophile Nachahmungen der Fruchtbringenden Gesellschaft: Die Deutschgesinnte Gesellschaft mit dem Sinnbild der Rose hatte zwei weibliche Mitglieder und nahm neben Angehörigen des Adelsstands auch mehrfach Mitglieder aus bürgerlichen Kreisen auf.34 Der Pegnesische Hirten- und Blumenorden an der Pegnitz, später auch Nürnberger Dichterschule genannt, widmete sich der Förderung der deutschen Sprache und Poesie.35 Der Elbschwanenorden stand vor allem deutschen Gelehrten und Dichtern36 offen und beschäftigte sich unter anderem mit der Übersetzung französischer Romane ins Deutsche.