Kitabı oku: «Wildfell Hall», sayfa 3
»Zugegeben — würden Sie aber das Gleiche in Bezug auf ein Mädchen sagen?«
»Nein keinesfalls.«
»Nein, Sie möchten sie zärtlich und vorsichtig pflegen lassen, wie eine Gewächshauspflanze — ihr lehren, sich an Andere zu schmiegen, um sich lenken und stützen zu lassen und sie so viel als möglich schon vor der bloßen Kenntniß des Bösen bewahren. Wollen Sie aber so gut sein, mir zu sagen, weshalb Sie diese Unterscheidung machen? Denken Sie etwa, daß sie keine Tugend hat?«
»Sicherlich nicht.«
»Nun, aber Sie behaupten, daß Tugend nur durch die Versuchung hervorgerufene wird, und Sie denken, daß ein Frauenzimmer nicht zu wenig der Versuchung ausgesetzt, oder mit dem Laster oder irgend einem demselben nahe kommenden Gegenstande bekannt gemacht werden kann, — Sie müssen es also entweder für so wesentlich Verderbt oder so schwach halten, daß es der Versuchung nicht widerstehen kann — und wenn es auch rein und unschuldig ist, so lange es in Unwissenheit und Zwang gehalten wird, so muß, da es der ersten Tugend ermangelt, wenn man ihr lehrt, wie man sündigt, eben so viel sein, als es zu einer Sünderin zu machen, und je größer sein Wissen, je weiter seine Freiheit ist, desto tiefer wird seine Schlechtigkeit sein, während das edlere Geschlecht eine angeborene Neigung zur Tugend besitzt und von einer größeren Stärke beschirmt wird, die sich durch Prüfungen und Gefahren nur um so mehr entwickelt —«
»Der Himmel bewahre mich, so zu denken,« fiel ich endlich in die Rede.
»Nun wohl, so müssen Sie denn denken, daß sie beide schwach und zum Irren geneigt sind, daß aber der höchste Schatten eines Unrechts das Weib ins Verderben stürzt, während der Charakter des Mannes durch einige praktische Bekanntschaft mit verbotenen Dingen gekräftigt und verschönert und seine Erziehung dadurch gehörig beendigt wird. Eine solche Erfahrung wird für ihn — um ein ideales Bild zu gebrauchen — wie der Sturm für die Eiche sein, die er, wenn er auch die Blätter abreißt und die kleinen Zweige zerbricht, doch in ihren Wurzeln nur noch fester macht und in ihren Fasern abgehärtet und verdichtet. Sie verlangen, daß unsere Söhnen Alles durch eigene Erfahrung erproben sollen, während unsere Töchter nicht einmal von der Erfahrung Anderen Vortheil ziehen sollen. Ich möchte aber, daß beide von der Erfahrung anderer und den Lehren einer höheren Gewalt solchen Vorteil ziehen sollen, daß sie im Voraus das Böse meiden und das Gute wählen können um keines Experimentalbeweises bedürfen, um ihnen das Unrecht der Uebertretung zu zeigen. Ich möchte ein armes Mädchen nicht gegen ihre Feinde unbewaffnet und unwissend über die Fallstricke, welche auf ihrem Wege liegen, in die Welt hinausschicken eben so wenig sie aber auch bewachen und bewahren, bis sie aller Selbstachtung und alles Selbstvertrauens beraubt, die Macht oder den Willen verlieren würde, sich selbst zu bewachen und zu bewahren, und was meinen Sohn betrifft, so möchte ich, wenn ich dächte, daß er zu dem, was Sie einen Weltmann nennen, der das Leben mitgemacht hat und sich auf seine Erfahrung etwas zu Gute thut, aufwachsen würde, selbst, wenn er insofern davon Vortheil zöge, daß er sich endlich zu einem nützlichen und geachteten Mitgliede der bürgerlichen Gesellschaft ernüchterte, lieber, daß er morgen sterbe. — Ja, tausendmal lieber,« wiederholte sie ernstlich, indem sie ihren Liebling an sich drückte und mit inniger Liebe seine Stirn küßte. Er hatte seinen neuen Freund bereits verlassen und eine Zeitlang am Kniee seiner Mutter gestanden, in ihr Gesicht geblickt und in schweigender Verwunderung auf ihre unverständlichen Reden gehorcht.
»Nun, die Damen müssen immer das letzte Wort haben,« sagte ich, als ich bemerkte, wie sie aufstand und von meiner Mutter Abschied nahm.
»Sie mögen so viele Worte sprechen, als Sie wollen, — nur kann ich nicht verweilen, um Sie anzuhören.«
»Nein, so geht es immer; Sie hören von den Gründen einer Streitfrage nur so viel, als Sie wollen, und das Uebrige kann in den Wind gesprochen werden.«
»Wenn Sie danach verlangen, etwas mehr über den Gegenstand zu sagen,« entgegnete sie, als sie Rosa die Hand gab, so müssen Sie mich eines schönen Tages mit Ihrer Schwester besuchen, und ich werde dann mit aller Geduld, wie Sie nur wünschen können, Alles, was Sie darüber sagen wollen, anhören. Es würde mir lieber sein, Ihre Vorlesung zu erhalten, als die des Vikars, weil es mich weniger dauern würde Ihnen am Ende der Predigt zu sagen, daß ich gerade dieselbe Meinung behalte, wie zu Anfang derselben — was, meiner Ueberzeugung nach, bei jedem von den beiden Logikern der Fall sein würde.«
»Ja, natürlich,« entgegnete ich, entschlossen, eben so ausfordernd, wie sie zu sein, »denn wenn sich eine Dame herabläßt, auf Gründe, die ihren Ansichten zuwiderlaufen, zu hören, so ist sie immer im Voraus entschlossen, ihnen Widerstand zu leisten, nur mit ihren körperlichen Ohren zu hören und die geistigen Organe fest gegen die stärksten Argumente verstopft zu halten.«
»Guten Morgen, Mrs. Markham,« sagte meine Gegnerin mit einem mitleidigen Lächeln, machte dann, ohne mich einer weiteren Entgegnung zu würdigen, eine leichte Verbeugung und war im Begriff zu gehen.
Ihr Sohn hielt Sie aber mit kindischer Impertinenz fest, indem er rief:
»Mamma, Du hast Mr. Markham keine Hand gegeben.«
Sie wendete sich lachend um und hielt mir ihre Hand hin. Ich gab ihr einen boshaften Druck, denn ich war ärgerlich über das Unrecht, welches sie mir vom ersten Augenblicke unsrer Bekanntschaft angethan hatte. Sie war, ohne etwas von meinem wahren Charakter und meinen Grundsätzen zu wissen, offenbar gegen mich eingenommen und schien nur darauf bedacht zu sein, mir zu zeigen, daß ihre Ansichten über mich in jeder Beziehung weit unter denjenigen standen, welche ich selbst hegte.
Ich war von Natur empfindlich, sonst würde mich dies nicht so geärgert haben. Vielleicht war ich auch von meiner Mutter und Schwester und einigen anderen Damen meiner Bekanntschaft etwas verzogen, und doch war ich keineswegs ein Geck, davon bin ich vollkommen überzeugt, mögen Sie es sein oder nicht.
Viertes Kapitel.
Die Gesellschaft.
Unsere Gesellschaft am 5. November lief trotz Mrs. Grahams Weigerung, sie durch ihre Gegenwart zu verherrlichen, recht gut ab. Es war sogar wahrscheinlich, daß, wenn in sie da gewesen wäre, weniger Herzlichkeit, Freiheit und Lustigkeit unter uns geherrscht haben würde, als ohne sie der Fall war.
Meine Mutter war wie gewöhnlich munter und gesprächig, voller Beweglichkeit und Gutmüthigkeit und versah es nur durch ihren zu großen Eifer, es ihren Gästen angenehm zu machen, wodurch sie mehrere davon zwang in Bezug auf Essen und Trinken, Sitzen vor dem lodernden Feuer oder Sprechen, wenn sie lieber geschwiegen hätten, zu thun, was ihre Seele verabscheute.
Dessenungeachtet ertrugen sie die Sache recht gut, da sie Alle in ihrer Feiertagslaune waren.
Mr. Milward erging sich in wichtigen Lehrsprüchen und sentenziösen Späßen, wortreichen Anekdoten und orakelhaften Predigten zur Erbauung der ganzen Gesellschaft im Allgemeinen und der bewundernden Mrs. Markham, des höflichen Mr. Lawrence, der gesetzten Mary Milward, des stillen Richard Wilson und des hausbackenen Robert als die aufmerksamen Zuhörer im Besonderen.
Mrs. Wilson war mit ihrem Budget von frischen Neuigkeiten und alter Medisance, die sie mit trivialen Fragen und Bemerkungen und oft wiederholten Wahrnehmungen aneinander reihte, und wie es schien nur zu dem Zwecke, um ihren unermüdlichen Redeorganen keinem Augenblicke Ruhe zu gestatten, von sich gab, glänzender als je. Sie hatte ihr Strickzeug mitgebracht und es schien, als sei ihre Zunge mit ihren Fingern eine Wette eingegangen, wer es dem Andern in schneller, unablässiger Bewegung zuvorthun könne.
Ihre Tochter Jane war natürlich so graziös und elegant, so witzig und verführerisch, wie es ihr nur immer möglich war, denn sie hatte alle Damen zu verdunkeln und alle Herren zu bezaubern und Mr. Lawrence besonders zu fesseln und zu besiegen Ihre kleinen Künste, womit sie seine Eroberung bezweckte waren zu fein und unerfaßbar, um meine Aufmerksamkeit an sich zu ziehen, aber es kam mir vor, als habe sie eine gewisse feine Affektastion von Superiorität und ein unangenehmes Selbstvertrauen an sich welches alle ihre Vorzüge zunichte machte, und nachdem sie fort war, legte mir Rose alle ihre verschiedenen Blicke, Worte und Handlungen mit einem Gemisch von Scharfsinn und Bitterkeit aus, das meine Verwunderung eben sowohl über die Kunstgriffe der Damen den Scharfblick meiner Schwester erregte und innerlich fragen ließ, ob sie nicht auch ein Auge auf den Squire habe.
Sie brauchen sich aber nicht darum zu bekümmern, Halford, denn dem war nicht so.
Richard Wilson, Jane’s jüngerer Bruder, saß in einer Ecke, wie es schien, gutmüthig, aber schweigsam und scheu, mit dem Wunsche, der Beobachtung zu entgehen, aber bereit genug, selbst zu hören und zu beobachten, und obgleich er etwas außer seinem Elemente war, würde er in seiner stillen Weise glücklich genug gewesen sein, wenn ihn meine Mutter nur ungeschoren hätte lassen können.
In ihrer mißverstandenen Gutmüthigkeit verfolgte sie ihn aber fortwährend mit ihren Aufmerksamkeiten, drängte ihm, in der Ansicht, daß er zu schüchtern sei, um selbst zuzulangen, alle Arten von Speisen auf und nöthigte ihn, seine einsylbigen Antworten auf die Menge von Fragen und Bemerkungen, wodurch sie vergebens versuchte, ihn in das Gespräch zu ziehen, über das Zimmer hinweg zu schreien.
Rosa sagte mir, daß er uns nicht mit seiner Gesellschaft beglückt haben würde, wenn nicht seine Schwester Jane eifrig darnach verlangte, dem Mr. Lawrence zu zeigen, daß sie wenigstens einen gentlemänischern und gebildeteren Bruder, als Robert, besitze, auf das Aeußerste in ihn gedrungen wäre. Sie war ebenso bemüht gewesen, dieses achtungswerthe Individuum fern zu halten; er behauptete aber, daß er nicht einsähe, warum er nicht ebenso gut, wie der Beste von uns, mit Markham und der alten Dame — meine Mutter war noch gar nicht so alt — und der hübschen Miß Rosa und dem Pfarrer ein Wort sprechen solle — und er hatte dazu ein volles Recht. Er sprach also mit meiner Mutter und Rosa von alltäglichen Dingen und diskutirte mit dem Vikar über Gemeindesachen, Ackerbauangelegenheiten mit mir und Politik mit uns Beiden.
Mary Milward war ebenfalls stumm — nicht so sehr von grausamer Güte geplagt, wie Richard Wilson, weil sie eine gewisse kurze, entschiedene Art zu antworten und abzuschlagen hatte und eher für mürrisch als schüchtern gehalten wurde.
Wie dem auch sein mochte, so verbreitete sie in der Gesellschaft keinesfalls viel Vergnügen, schien von dieser aber auch nicht viel zu erhalten. Elise sagte mir, daß sie nur gekommen sei, weil ihr Vater daraus bestanden habe, da er es sich in den Kopf gesetzt, daß sie sich zu aus schließlich mit ihren Haushaltungspflichten beschäftige und darüber die für ihr Alter und Geschlecht passenden unschuldigen Freuden und Erholungen vernachlässige. Mir erschien sie im Ganzen gutlaunig genug. Ein paar Mal wurde sie durch den Witz oder die Lustigkeit eines begünstigsten Individuums unter uns zum Lachen gebracht und dann bemerkte ich, wie sie das Auge des ihr gegenüber sitzenden Richard Wilson aufsuchte, Da er seine Studien unter der Anleitung ihres Vaters machte, hatte sie trotz der zurückgezogenen Gewohnheiten Beider einige Bekanntschaft mit ihm und ich denke mir, daß zwischen ihnen eine Art von Gedankenaustausch bestand.
Meine Elise war über alle Beschreibung reizend, kokott ohne Affektastion und offenbar von dem Verlangen beseelt, meine Aufmerksamkeit mehr als die der ganzen übrigen Gesellschaft zu fesseln. Ihr Entzücken, mich in ihrer Nähe zu haben, wenn ich neben ihr saß oder stand, ihr ins Ohr flüsterte oder ihre Hand im Tanze drückte, war ihrem glühenden Gesichte und wogenden Busen deutlich lesbar, wie sehr sie dasselbe auch durch schelmische Worte Geberden zu verleugnen suchte; aber ich würde besser thun davon zu schweigen; denn wenn ich mich jetzt dieser Dinge rühme, werde ich später erröthen müssen.
Um also mit den verschiedenen Individuen unserer Gesellschaft fortzufahren.
Rosa war einfach und natürlich, wie immer, und voller Munterkeit und Lebenslust.
Fergus war impertinent und absurd, aber seine Impertinenz und Thorheit brachte Andere zum Lachen, wenn sie ihn auch nicht in ihrer Achtung hob.
Und schließlich — denn ich lasse mich selbst aus — Mr. Lawrence war gentlemänisch und harmlos gegen Alle und höflich gegen den Vikar und die Damen, besonders seine Wirthin und ihre Tochter und Miß Wilson — der irre geleitete Mensch, er hatte nicht den guten Geschmack, Elise Milward vorzuziehen.
Mr. Lawrence und ich standen in ziemlich vertrautem Verhältnisse. Von wesentlich zurückhaltenden Gewohnheiten und nur selten den abgeschiedenen Ort seiner Geburt verlassend, wo er seit dem Tode seines Vaters in einsamer Pracht gelebt hatte, besaß er weder die Gelegenheit noch die Neigung, viele Bekanntschaften zu machen und von Allen, die er je gekannt hatte, war ich — nach dem Resultate zu urtheilen — der für seinen Geschmack angenehmste Gefährte. Ich konnte den Mann gut genug leiden, aber er war zu kalt und scheu und verschlossen, um meine herzliche Sympathie zu erhalten. Er bewunderte an Andern Offenheit und ein freimüthiges Wesen, wenn es ganz ohne Rohheit war, konnte sich diese Eigenschaften selbst aber nicht aneignen. Seine ausnehmende Zurückhaltung in Bezug auf alle seine eignen Angelegenheiten war in der That ärgerlich und erkältend genug,aber ich verzieh sie, in der Ueberzeugung, daß sie weniger aus Stolz und Mangel an Vertrauen auf seine Freunde, als einem gewissen krankhaften Gefühle von Delikatesse und einer eigenthümlichen Schüchternheit, die er recht gut kannte, welche er aber zu besiegen nicht Energie genug besaß, entsprang. Sein Herz glich einer Sinnpflanze, die sich zwar im Sonnenschein auf einen Augenblick öffnet, aber bei der leichtesten Berührung des Fingers oder dem schwächsten Windhauche zusammenrollt und in sich selbst zurückzieht.
Im Ganzen war unser vertrautes Verhältniß eher gegenseitiges Vorziehen unseres Umgangs, als eine tiefe feste Freundschaft, wie sie sich seitdem zwischen mir und Ihnen, Halford, erhoben hat, den ich trotz seiner gelegentlichen Rauhheit mit nichts besser vergleichen kann, als mit einem alten Rocke von untadelhaftem Gewebe, aber bequemer Facon, der sich der Gestalt des ihn Tragenden angeschlossen hat, und den er gebrauchen kann, wie er will, ohne sich von der Furcht, ihn zu verderben, quälen zu lassen — während Mr. Lawrence einem neuen Kleide glich, dessen Aussehen wohl recht nett und fein, das aber in den Ellbogen so eng ist, daß man fürchten muß, durch die freie Bewegung der Arme die Nähte aufzusprengen und eine so platte feine Oberfläche besitzt, daß man Anstand nimmt, es auch nur einem einzigen Regentropfen auszusetzen.
Bald nach der Ankunft der Gäste erwähnte meine Mutter der Mrs. Grahams, bedauerte, daß sie nicht da sei, erklärte den Milwards und Wilsons, welche Gründe für die Vernachlässigung, ihre Besuche zu erwiedern, gegeben, und hoffte, daß diese sie entschuldigen würden, da sie sicherlich keine Unhöflichkeit beabsichtigt habe und jederzeit erfreut sein würde, sie bei sich zu sehen.
»Aber sie ist eine höchst sonderbare Dame,« Mr. Lawrence, fügte sie hinzu. — »Wir wissen nicht, was wir aus ihr machen sollen — aber Sie, werden uns wohl etwas von ihr sagen können, denn Sie sind ja ihr Gutsherr, wissen Sie, — und sie sagte, daß sie Sie ein wenig kenne.«
Alle Augen richteten sich auf Lawrence, es war mir, als sähe er unnöthig verwirrt aus, als man sich so auf ihn berief.
»Ich, Mrs. Markham,« sagte er, »Sie irren sich — ich weiß nicht — das heißt — ich halbe sie allerdings gesehen, bin aber die letzte Person, an die Sie sich wenden dürfen, um Auskunft über Mrs. Graham zu erlangen.«
Hierauf wendete er sich augenblicklich zu Rosa und bat sie, die Gesellschaft mit einem Liede oder einem Clavierstücke zu erfreuen.
»Nein,« sagte sie, »da müssen Sie Miß Wilson fragen, die uns im Gesang und in der Musik Alle verdunkelt.«
Miß Wilson erhob dagegen Einwendungen
»Sie wird zum Singen bereit genug sein,« warf Fergus ein, »wenn Sie ihr versprechen, bei ihr zu stehen, Mr. Lawrence, und ihr die Noten umzuwenden.«
»Ich werde dies mit dem grüßten Vergnügen thun,« Miß Wilson; wollen Sie mir erlauben, Sie an’s Clavier zu begleiten.«
Sie streckte ihren langen Hals in die Höhe, und lächelte, und ließ sich von ihm an das Instrument führen, wo sie auf das Beste ein Stück nach dem andern hören ließ, während er geduldig dabeistand, die eine Hand auf die Lehne ihres Stuhles legte und mit der andern die Notenblätter umwendete. Er war vielleicht von ihrem Spiele eben so sehr entzückt, als sie; es war in seiner Art recht schön, ich, kann aber nicht sagen, daß es mich sehr tief gerührt hätte, es war Geschicklichkeit und Brillanz genug darin, aber ausnehmend wenig Gefühl.
Wir waren mit Mrs. Graham aber noch nicht fertig.
»Ich trinke keinen Wein, Mrs. Markham,« sagte Milward, als die Gläser kamen; »ich will lieber etwas von ihrem Hausbiere trinken. Ich ziehe Ihr Hausbier allem andern vor.«
Von diesem Complimente geschmeichelt, zog meine Mutter die Klingel und bald darauf erschien ein Porzellankrug von unserm besten Ale und wurde vor den hochmütigen Herrn gesetzt, der dessen gute Eigenschaften so zu schätzen verstand.
»Nun, das ist das Rechte!« rief er, indem er sich in einem langen Strome, der geschickt aus dem Kruge in das Glas gegossen wurde, so daß er eine Menge von Schaum hervorbrachte, ohne einen Tropfen zu verschütten, einfüllte, und nachdem er es einen Augenblick gegen das — Licht betrachtet, that er einen tiefen Zug, schwatzte dann mit den Lippen, athmete tief auf und füllte sein Glas abermals, wobei ihm meine Mutter mit der größten Zufriedenheit zuschaute.
»Es giebt nichts Besseres als dies, Mrs. Markham,« sagte er, »ich bleibe dabei, daß sich mit Ihrem Haus-Ale nichts vergleichen läßt.«
»Ich bin wirklich froh, daß es Ihnen behagt, Sir, ich beaufsichtige das Brauen eben so gut wie das Käse und Butter-machen immer selbst — ich habe es gern, wenn Alles gut gemacht wird.«
»Ganz richtig« Mrs. Markham.«
»Aber, Mr. Milward, Sie halten es doch nicht für unrecht, von Zeit zu Zeit etwas Wein oder etwas Branntwein zu genießen?« fragte meine Mutter, als sie einen dampfenden Becher mit Gin und Wasser gegen Mrs. Wilson hinreichte, die behauptete, daß ihr der Wein schwer im Magen liege, und deren Sohn Robert sich in diesem Augenblicke ein ziemlich starkes Glas von demselben Getränke bereitete.
»Keineswegs,« antwortete das Orakel mit jupitergleichem Kopfnicken. »Diese Dinge sind Segensgaben Gottes, wenn wir nur den rechten Gebrauch davon machen.«
»Aber Mrs. Graham denkt nicht so. — Hören Sie, was sie neulich zu uns sagte — ich habe es ihr aber gesagt, das kann ich Ihnen sagen.«
Hierauf beglückte meine Mutter die Gesellschaft mit einer ausführlichen Darstellung der irrigen Ideen und Benehmungsweise dieser Dame in Bezug auf den vorliegenden Gegenstand und schloß mit:
»Nun, denken Sie nicht, daß es unrecht ist?«
»Unrecht!« wiederholte der Vikar mit mehr als gewöhnlicher Salbung; »sündhaft würde ich es nennen — sündhaft! — sie macht nicht nur aus dem Jungen einen Narren, sondern verachtet auch die Gaben der Vorsehung und lehrt ihm, sie mit Füßen zu treten.«
Hierauf ging er tiefer in den Gegenstand ein und — erklärte die Thorheit und Gottlosigkeit solchen Gebahrens auf das ausführlichste.
Meine Mutter hörte ihm mit der grüßten Ehrerbietung zu und selbst Mrs. Wilson gewann es über sich, ihre Zunge einen Augenblick ruhen zu lassen und schweigend zuzuhören, während sie gemächlich ihren Gin-Grog schlürfte.
Mr. Lawrence saß, mit dem Ellbogen auf den Tisch gestützt da, spielte nachlässig mit seinem halb geleerten Weinglase und lächelte verstohlen vor sich hin
»Denken Sie aber nicht, Mr. Milward,« meinte er, als Jener endlich seine Predigt geendet hatte, daß, wenn ein Kind von Natur zur Unmäßigkeit geneigt ist — zum Beispiel von seinen Eltern oder Voreltern her — einige Vorsichtsmaßregeln räthlich sind.« — (Man glaubte allgemein, daß Mr. Lawrence’s Vater sein Leben durch Unmäßigkeit verkürzt habe.)
»Einige Vorsichtsmaßregeln wohl, aber Mäßigkeit ist Eines und Enthaltsamkeit ein Anderes.«
»Aber ich habe gehört, daß für manche Personen Mäßigkeit fast unmöglich ist, und wenn Enthaltsamkeit ein Uebel ist — was Manche bezweifeln — so wird Niemand leugnen, daß Uebermaß ein noch größeres ist. — Manche Eltern verbieten ihren Kindern gänzlich, berauschende Getränke zu berühren, aber die elterliche Gewalt kann nicht ewig dauern. Die Kinder sind von Natur geneigt, sich nach dem Verbotenen zu sehnen, und ein Kind würde in einem solchen Falle höchst wahrscheinlich sehr neu gierig sein, dasjenige, was von Andern so gelobt und genossen wird, aber ihm so streng verboten ist, zu kosten und dessen Wirkungen zu versuchen, eine Neugier, die gewöhnlich bei der ersten Gelegenheit befriedigt würde und wenn der Zwang einmal durchbrochen wäre, so könnten daraus ernstliche Folgen entstehen. Ich gebe mich für keinen Kenner in dergleichen Dingen aus, es scheint mir aber, als ob das von Ihnen, Mrs. Markham, beschriebene System der Mrs. Graham, so ungewöhnlich es auch ist, seiner Vortheile nicht ermangelt, denn hier sehen Sie, daß dem Kinde die Versuchung gänzlich benommen ist — es hat keine Neugier, keinen verstohlenen Wunsch, ist mit den verlockenden Flüssigkeiten so bekannt, wie es nur je wünschen kann, und dieselben ekeln es an, ohne daß es von ihren Wirkungen zu leiden gehabt hat.«
»Und ist das recht, Sir? — Habe ich Ihnen nicht bewiesen, wie unrecht — wie sehr im Widerspruche mit der heiligen Schrift und der Vernunft es ist, wenn man einem Kinde lehrt, die Segensgaben der Vorsehung mit Verachtung und Ekel anzublicken, statt sie richtig zu benutzen.«
»Sie mögen das Opium auch für eine Segensgabe der Vorsehung ansehen, Sir,« antwortete Mr. Lawrence lächelnd, »und doch werden Sie zugestehen müssen, daß die Meisten von uns am besten thun werden, sich selbst des mäßigen Genusses desselben zu enthalten; aber,«i fügte er hinzu, »ich wünsche nicht, daß Sie mein Gleichniß zu streng ausführen und leere zum Zeichen davon mein Glas.«
»Und genießen doch hoffentlich noch eines, Mr. Lawrence,« sagte meine Mutter, indem sie ihm die Flasche hinschob.
Er lehnte es höflich ab, rückte seinen Stuhl etwas von dem Tische fort, neigte sich zu mir zurück — ich saß im Hintergrunde auf dem Sopha neben Elise Milward und fragte mich nachlässig, ob ich Mrs. Graham kenne.
»Ich habe sie ein paar Mal gesehen und gesprochen,« entgegnete ich.
»Was denken Sie von ihr?«
»Ich kann nicht sagen, daß sie mir sehr gefällt, sie ist von schönem — oder ich sollte vielmehr sagen, vornehmen und interessantem Aeußern, aber keineswegs liebenswürdig; sie kommt mir vor wie eine Frau, die gern starke Vorurtheile annimmt und durch Dick und Dünn mit ihnen geht, wobei sie Alles in Uebereinstimmung mit ihren vorgefaßten Meinungen zu drehen und zu wenden sucht — zu hart, zu schroff, zu bitter für meinen Geschmack.«
Er antwortete nicht, sondern blickte nieder und biß sich die Lippen und kurz nachher stand er auf und schlenderte zu Miß Wilson hin, wie es mir vorkam, gleich stark von mir zurückgestoßen, wie von ihr angezogen. Ich bemerkte es zu jener Zeit kaum, später aber erinnerte ich mich an diese und andere Kleinigkeiten ähnlicher Art, als — doch ich darf meiner Erzählung nicht vorgreifen.
Wir beendigten den Abend mit einem Tänzchen, dem beizuwohnen unser guter Pfarrer für keine Sünde hielt, obgleich einer von den Dorfmusikanten gemiethet worden war, um unsere Evolutionen mit seiner Violine zu leiten.
Mary Milward weigerte sich indeß hartnäckig, daran Theil zu nehmen und das Gleiche that Richard Wilson, obgleich meine Mutter ernstlich in ihn drang und sich ihm sogar zur Tänzerin anbot.
Es ging jedoch auch ohne sie recht gut. Mit einem einzigen Quarré zum Contretanze und einigen Anglaisen trieben wir es bis ziemlich spät und endlich rief ich unsern Musikus auf, einen Walzer aufzuspielen und wollte, von Lawrence mit Jene Wilson und Fergus mit Rosa gefolgt eben anfangen, Elisen in diesem schönen Tanze umherzuwirbeln, als sich Mr. Milward in’s Mittel legte und sprach:
»Nein, nein, das erlaube ich nicht! — Komm, es ist jetzt Zeit zum Gehen.«
»Ach nein, Papa,« bat Elise
»Hohe Zeit, meine Tochter — hohe Zeit! — Seid mäßig in allen Dingen! das ist mein System.«
Zur Rache aber folgte ich Elisen in den schwach erleuchteten Hausgang, wo ich unter dem Vorwande, ihr den Shawl umzulegen, mich leider schuldig bekennen muß, ihr hinter dem Rücken ihres Vaters einen Kuß geraubt zu haben, während Jener Hals und Kinn in einen ungeheuren, wollenden Shawl wickelte. Aber ach, als ich mich umwendete, stand meine Mutter dicht neben mir, und die Folge davon war, daß ich, sobald die Gäste Abschied genommen hatten, eine äußerst ernsthafte Strafpredigt anhören mußte, die den Galopp meiner guten Laune auf unangenehme Weise zügelte und einen häßlichen Schluß des Abendvergnügens abgab.
»Mein lieber Gilbert,« sagte sie, »ich wollte, Du thätest das nicht! — Du weißt, wie sehr mir Dein Wohl am Herzen liegt, wie ich Dich über Alles in der Welt liebe und schätze und wie sehr ich mich sehne, Dich im Leben gut untergebracht zu sehen, — und wie bitterlich es mich bekümmern würde, wenn ich Dich mit diesem Mädchen oder irgend einem andern in der Nachbarschaft verheirathet erblicken sollte. Ich weiß nicht, was Du an ihr siehst, ich denke nicht nur an ihre Vermögenslosigkeit — ganz und gar nicht — aber sie besitzt weder Schönheit noch Talente, noch Güte, noch irgend etwas Anderes, was man sich sonst wünschen könnte. Wenn Du Deinen Werth so gut kenntest, als ich, so würdest Du nicht im Traume an sie denken. Warte doch noch eine Weile und sieh zu — wenn Du Dich an sie, bindest, so wirst Du es lebenslänglich bereuen, sobald Du Dich nachher umschaust und siehst, wie viele Bessere es gibt, als sie. — Nimm mein Wort darauf, daß es so kommen wird.«
»O Mutter, sei doch ruhig! — ich hasse die Vorlesungen! — ich denke noch nicht an’s Heirathen, das sage ich Dir, aber Du lieber Gott, soll ich denn mein Leben gar nicht genießen?«
»Ja, lieber Junge, aber nicht aus diese Art. Du solltest wirklich dergleichen Dinge nicht thun, Du würdest dem Mädchen Unrecht zufügen, wenn sie das wäre, was sie sein sollte; aber ich versichere Dir, daß sie eine schlaue kleine Kröte ist, wie man sie nur zu sehen wünschen kann, und Du wirst Dich in ihren Netzen fangen, ehe Du weißt wo Du bist, und wenn Du sie heirathest, Gilbert, so wirst Du mir das Herz brechen. — Weiter sage ich Dir nichts.«
»Nun. weine nicht darum, Mutter,« sagte ich, denn die Thränen standen ihr in den Augen. »Da, laß diesen Kuß denjenigen, den ich Elisen gegeben, verwischen, schilt nicht mehr auf sie und beruhige Dich, denn ich verspreche Dir, nie — das heißt, ich will Dir versprechen, mich — mich zweimal zu bedenken — ehe ich einen wichtigen Schritt thue, den Du ernstlich mißbilligst.«
Hiermit zündete ich mein Licht an und ging mit bedeutend gedämpfter guter Laune zu Bett.