Kitabı oku: «Handbuch des Strafrechts», sayfa 10

Yazı tipi:

IV. Handlung als Straftat oder als normwidriges Verhalten

21

Jakobs[10] hat versucht, einen auf Hegel zurückgehenden, die gesamte Straftat umfassenden Handlungsbegriff wiederzubeleben. Handlung sei „das Sich-schuldhaft-zuständig-Machen für einen Normgeltungsschaden. Ein solcher – und nur ein solcher – Handlungsbegriff ist mehr als ein strafrechtlicher Hilfsbegriff, nämlich ein Begriff von demjenigen Verhalten, das Strafe notwendig macht. Begriffe unterhalb dieses Niveaus erfassen allenfalls Vorläufigkeiten. Nur die Erstreckung des Begriffs bis in die Schuld gibt diesem einen strafrechtlich verbindlichen Inhalt.“

22

Ein solcher Handlungsbegriff ist mit dem der Straftat identisch und hat daher keine selbstständige Bedeutung. Er hat durchweg Ablehnung gefunden.[11] Jakobs will auch die verschiedenen Verbrechensstufen und selbst ein auf die Filterfunktion begrenztes Deliktselement als „Hilfsbegriffe“ gelten lassen. Damit reduziert sich der Streit auf die Terminologie.

23

Nicht ganz so weit geht Kindhäuser,[12] wenn er die Handlung mit dem tatbestandsmäßigen Verhalten gleichsetzt: „Strafrechtlich relevantes Handeln ist … auf die Tatbestandsverwirklichung bezogenes vermeidbares Verhalten.“ Aber es geht nicht um tatbestandlich relevantes Verhalten, sondern um einen Handlungsbegriff, an den das Wertprädikat der Tatbestandsmäßigkeit erst anknüpft. Außerdem würde die Tatbestandserfüllung besser als Verwirklichung eines unerlaubten Risikos gekennzeichnet. Denn auch ein vermeidbares Verhalten ist nicht tatbestandsmäßig, wenn es sich im Rahmen des erlaubten Risikos bewegt.

6. Abschnitt: Die Straftat › § 28 Handlung › C. Die Anknüpfungsfunktion des Handlungsbegriffs

C. Die Anknüpfungsfunktion des Handlungsbegriffs

I. Der Streit um die Notwendigkeit eines Handlungsbegriffs als Gegenstand strafrechtlicher Bewertungen

24

Bei der Anknüpfungsfunktion des Handlungsbegriffs geht es darum, ein gemeinsames Kriterium – einen Oberbegriff – für sämtliche Erscheinungsformen strafbaren Verhaltens zu finden. Die Handlung ist danach – in Begriffen Maihofers[13] ausgedrückt – das „Grundelement“ jeder Straftat und zugleich das „Verbindungselement“ zwischen den Kategorien des Verbrechensaufbaus, indem sie auf jeder Deliktsstufe wiederkehrt und durch zusätzliche Attribute (Tatbestandsmäßigkeit, Rechtswidrigkeit, Schuld) eine immer genauere Kennzeichnung erfährt. Der Handlungsbegriff soll die rechtlichen Bewertungen der nachfolgenden Systemelemente im Regelfall nicht vorwegnehmen. Er soll aber andererseits auch nicht inhaltsleer sein, sondern ein aussagekräftiges Merkmal angeben, das allen Erscheinungsformen strafbaren Verhaltens auf allen Stufen des Verbrechensaufbaus gleichermaßen zu eigen ist.

25

Es ist bisher nicht gelungen, Einigkeit darüber zu erzielen, wie ein solcher Handlungsbegriff zu bestimmen ist. Denn er muss notwendigerweise wegen der Vielfalt seiner Erscheinungsformen abstrakt sein, gleichzeitig aber so viel Inhalt haben, dass er zu den rechtlichen Wertungsprädikaten hinleitet.

26

Nicht wenige Autoren halten die Lösung dieser Aufgabe für unmöglich. Sie schlagen daher vor, auf einen vortatbestandlichen Handlungsbegriff ganz zu verzichten und den Tatbestand zum Grundbegriff des Verbrechenssystems zu machen. Eine solche Lösung hatte schon Radbruch in seinen späteren Jahren vorgeschwebt.[14] Gallas[15] hat dann in einflussreichen Darlegungen ausgeführt:[16] „Alle Versuche …, … ein dem Begehungs- und Unterlassungsdelikt gemeinsames Moment ausfindig zu machen, an das … die strafrechtliche Wertung allererst anzuknüpfen hätte, … sind gescheitert.“ Er will daher den Handlungsbegriff auf die „negative Funktion“, die hier als „Filterfunktion“ bezeichnet wird, beschränken. Mit Hilfe des Handlungsbegriffs lasse sich nur „ausscheiden, was überhaupt nicht Handlung sein kann …“.

27

Diese Meinung wird auch gegenwärtig noch vertreten. „Vielfach wird heute die Leistungsfähigkeit eines dem Tatbestand vorgelagerten Handlungs-Begriffs überhaupt bezweifelt“, heißt es bei Fischer.[17] So lehren etwa Krey/Esser[18] einen „Verzicht auf die Bildung eines Handlungsbegriffs als Oberbegriff für alle Begehungs- und Unterlassungsdelikte“ und seine „Beschränkung auf eine rein negative Funktion (Ausscheidung von Nichthandlungen)“.

28

Auch wenn man die Bedeutung des Problems nicht überschätzt, sollte man jedoch auf die Herausarbeitung eines positiven Handlungskriteriums nicht verzichten. Denn wenn man von tatbestandsmäßiger Handlung spricht, muss die Tatbestandsmäßigkeit eine Eigenschaft der Handlung und nicht die Handlung selbst sein. Schon Welzel[19] hat die Notwendigkeit betont, das „sachliche Substrat zu finden, an das die Rechtsordnung ihre Wertprädikate anknüpft …. Hierfür aber wäre ein Handlungsbegriff mit nur ‚negativer Funktion‘ völlig ungeeignet.“ Wenn man, wie es allgemein anerkannt ist, bestimmte menschliche Regungen und Wirkungen als „Nichthandlungen“ aus der Deliktsprüfung ausscheiden will, muss das, was als Handlung übrig bleibt, sich notwendig durch irgendwelche Merkmale auszeichnen, die es von den Nichthandlungen abhebt.

29

Dem soll im Folgenden nachgegangen werden. An die kritische Überprüfung der wichtigsten in der Literatur vertretenen Handlungsbegriffe soll sich der eigene Vorschlag anschließen.

II. Handlung als menschliches Verhalten

30

Es liegt nahe, die Gemeinsamkeit von Tun und Unterlassen im Begriff des menschlichen Verhaltens zu finden. „Ausgangspunkt jeder Strafbarkeit ist stets ein konkretes menschliches Verhalten“, sagt etwa B. Heinrich.[20] Aber der Verhaltensbegriff enthält kein gemeinsames Sachkriterium für Tun und Nicht-Tun, sondern ist nur eine zusammenfassende Bezeichnung für heterogene deliktische Erscheinungsformen. Tun und Nicht-Tun bleiben Gegensätze, auch wenn man sie einem gemeinsamen Sammelbegriff unterstellt. Schon Radbruch[21] hat dargelegt, dass Begehung und Unterlassung im Hinblick auf das äußere Verhalten überhaupt „nicht einem gemeinsamen Oberbegriff unterstellt zu werden vermögen“, sondern sich wie „Position und Negation, a und non a“ zueinander verhalten.

31

Der Begriff des Verhaltens ist auch inhaltlich nicht aussagekräftiger als der der Handlung. Seine Bedeutung erschöpft sich in der Terminologie. Wenn man die „Handlung“ als Oberbegriff für alle deliktischen Erscheinungsformen ansieht, muss man Begehungs- und Unterlassungshandlungen anerkennen. Wenn man den Begriff der Handlung nicht auf Unterlassungen anwenden will und stattdessen von Begehungs- und Unterlassungsverhalten spricht, hat man lediglich ein Wort gegen ein anderes ausgetauscht. Man hat dann aber kein gemeinsames inhaltliches Kriterium für das gefunden, was als „Handlung“ oder „Verhalten“ bezeichnet wird. Ersetzt man den Begriff der Handlung durch den des Verhaltens, bleibt also die Frage nach einem inhaltlichen Verhaltenskriterium in derselben Weise offen wie beim Handlungsbegriff.

32

Die Charakterisierung der „Handlung“ als „Verhalten“ führt also nicht weiter.

III. Der natürliche Handlungsbegriff

33

Die heute wohl überwiegende Meinung konkretisiert daher den Verhaltensbegriff durch den Rückgriff auf das der kausalen Handlungslehre entnommene Merkmal der Willentlichkeit. So heißt es bei Fischer:[22] „In der Rechtspraxis wird idR ein sog. natürlicher Handlungsbegriff verwendet: Er begreift Handlung als willensgetragenes menschliches Verhalten.“ Auch in der wissenschaftlichen Literatur definieren beispielsweise Baumann/Weber/Mitsch/Eisele[23] und Walter[24] die Handlung übereinstimmend als „willensgetragenes menschliches Verhalten“.

34

Diese Lösung hat den Vorzug, dass sie mit der Willentlichkeit ein den meisten Fällen von Vorsatz, Fahrlässigkeit und Unterlassung gemeinsames Merkmal benennt. Auch z.B. eine fahrlässige Tötung (etwa durch ein verkehrswidriges Überholmanöver) beruht ja auf einem willentlichen Verhalten (auch wenn dieser Wille nicht auf eine Todesverursachung gerichtet war). Ebenso sind die meisten Unterlassungstaten (z.B. die unterlassene Hilfeleistung) von einem Willen zum Untätigbleiben getragen.

35

Ein auf die Willentlichkeit gestützter Handlungsbegriff ist außerdem insofern leistungsfähig, als er Handlungen, die keiner Willenskontrolle unterliegen (z.B. Bewegungen im Schlaf oder Delirium, Reflexhandlungen, Auswirkungen der vis absoluta u.ä.) aus dem Begriff der Handlung ausschließt und dadurch seiner „Filterfunktion“ in weitgehendem Maße gerecht wird. Daraus wird die Beliebtheit verständlich, die der „natürliche Handlungsbegriff“ auch heute noch genießt.

36

Gleichwohl hat dieser Handlungsbegriff Schwächen, die ihn als Anknüpfungskriterium für die strafrechtssystematischen Bewertungsprädikate untauglich machen.

37

Zunächst erfasst der Begriff der Willentlichkeit nicht alle Erscheinungsformen strafbaren Verhaltens. So ist bei unbewusst fahrlässigen Unterlassungen ein Wille des Delinquenten nicht aufweisbar. Wenn ein Bahnbeamter eine Weichenstellung vergisst und dadurch einen Zugzusammenstoß mit vielen Toten herbeiführt, fehlt es bei der ihm vorzuwerfenden fahrlässigen Tötung an einem willensgetragenen Verhalten.

38

Das bestreitet zwar Walter, wenn er sagt:[25] „… das Vergessen ist nicht Abwesenheit eines jeden Gedankens; der Täter wird schließlich nicht bewusstlos. Das Vergessen bezieht sich allein auf das Sorgfaltserfordernis und die Möglichkeit des deliktischen Erfolges. Im Übrigen ist das Bewusstsein des Täters ohne Abstriche tauglich, seinem Verhalten strafrechtliche Bedeutung zu geben.“

39

Aber das überzeugt nicht. Denn erstens kann sogar das Bewusstsein fehlen, wenn etwa der Beamte sorgfaltswidrigerweise eingeschlafen ist. Zweitens ist das Bewusstsein noch keine Willensäußerung. Wenn der Beamte über irgendetwas nachsinnt und darüber das Stellen der Weiche vergisst, kommt darin kein auf einen Erfolg gerichteter Wille zum Ausdruck. Und drittens kann ein die Vergesslichkeit auslösender Wille – z.B. der Entschluss, demnächst einen Arzt aufzusuchen – auch die Prädikate der Tatbestandsmäßigkeit, Rechtswidrigkeit und Schuld nicht tragen. Denn nicht dieser Wille, sondern seine Vergesslichkeit ist Gegenstand der strafrechtlichen Bewertung.

40

Dieser dritte Einwand gilt auch für unbewusst fahrlässige Begehungsdelikte. Wenn sich beim Gewehrreinigen unachtsamerweise ein tödlicher Schuss löst, knüpfen die strafrechtlichen Wertprädikate nicht an das willentliche Gewehrreinigen, sondern an die unwillentliche Unachtsamkeit an.

41

Auch wird bei vielen Begehungsdelikten das eigentliche Handlungselement durch Reduzierung der Handlung auf „gewillkürte Körperbewegungen“ oder willentliche Kausalanstöße nicht richtig gekennzeichnet. Zwar sagt Walter:[26] „Es ist auch selbst bei einer Beleidigung nicht verkehrt, wenn man sub specie Handlung nur fragt, ob der Täter willentlich Körperkraft eingesetzt habe.“ Dass aber eine Beleidigung – etwa ein Schimpfwort – als tatbestandsmäßiger Einsatz von Körperkraft zu verstehen sei, wird einem juristisch unverbildeten Menschen nicht plausibel zu machen sein.

42

Es fehlt dem Abstellen auf die lediglich faktisch-kausalen Auswirkungen des Täterverhaltens die Sinndimension, die auch der Handlungsbegriff haben muss. Schon Welzel[27] sagte im Anschluss an von Liszt mit Recht: „Gewiss kann die Handlungslehre nicht die weiteren dogmatischen Schritte überflüssig machen; wohl aber muss sie so beschaffen sein, dass sie zu ihnen ‚hinleitet‘, d.h. dass an ihren Handlungsbegriff die rechtlichen Beurteilungs- und Wertprädikate anknüpfen können.“ Das trifft beim Einsatz von Körperkraft nur auf die wenigsten Tatbestände zu.

43

Dem Einwand, dass ein auf die Willentlichkeit zurückgeführter Handlungsbegriff den unbewusst fahrlässigen Delikten oder mindestens den unbewusst fahrlässigen Unterlassungen nicht gerecht werden könne, versucht eine verbreitete Meinung dadurch zu entgehen, dass sie der Beherrschung durch den Willen die „Beherrschbarkeit“ zur Seite stellt, die auch bei allen Erscheinungsformen der Fahrlässigkeit und des Unterlassens vorliegt.

44

So sagt etwa Rengier,[28] Handlung setze „ein vom menschlichen Willen beherrschtes oder beherrschbares Verhalten … voraus“. Auch Beulke[29] vertritt die Auffassung – unter weiterer Hinzuziehung des noch zu erörternden Kriteriums der Sozialerheblichkeit – Handlung sei „das vom menschlichen Willen beherrschte oder beherrschbare sozialerhebliche Verhalten“.

45

Aber eine solche Definition verfehlt die eigentliche Aufgabe des Handlungsbegriffs, einen einheitlichen Anknüpfungspunkt für alles deliktische Verhalten zu liefern. Die bloße „Beherrschbarkeit“ ist das Gegenteil einer tatsächlichen Beherrschung, so dass man auf diese Weise bei dem schon von Radbruch beklagten Ergebnis angelangt, „a und non-a“ unter demselben Begriff zusammenfassen zu müssen. Hinzu kommt, dass auch ein solcher Handlungsbegriff seiner Anknüpfungsfunktion dort kaum gerecht wird, wo ein strafrechtliches Verhalten, wie bei der Beleidigung, weniger auf der Beherrschung oder Beherrschbarkeit bestimmter Vorgänge als auf sozialen Bewertungen beruht.

IV. Der negative Handlungsbegriff

46

In verschiedenen Varianten wird in der Literatur sodann ein „negativer“ Handlungsbegriff vertreten, demgemäß die Gemeinsamkeit aller strafrechtlich relevanten Vorgänge darin besteht, dass der Täter den Erfolg nicht vermieden hat.

47

So heißt es etwa bei Kahrs:[30] „Dem Täter wird ein Erfolg zugerechnet, wenn er ihn nicht vermieden hat, obwohl er ihn vermeiden konnte und das Recht es ihm gebot.“ Herzberg[31] vertrat die Lehre: „Die Handlung des Strafrechts ist das vermeidbare Nichtvermeiden in Garantenstellung.“ Dabei ging er davon aus, dass bei Begehungsdelikten „sich in der deliktischen Körperbewegung die Person als potenzieller Gefahrenherd aktualisiert“[32] und dadurch zum Garanten wird. Schon Herzberg hat gesehen, dass echte Unterlassungsdelikte wie §§ 138, 323c StGB durch diesen Handlungsbegriff nicht zu erfassen sind, weil es an einer Garantenstellung fehlt.

48

Auch Jakobs[33] hatte anfänglich die These vertreten, Verhalten sei „vermeidbare Erfolgsherbeiführung“. Behrendt[34] hat versucht, den negativen Handlungsbegriff durch ein psychoanalytisches Modell als „unterlassene Gegensteuerung“ zu deuten und als „vermeidbares Nichtvermeiden der tatbestandsmäßigen Situation“ zu verstehen.

49

Aber ein solcher Handlungsbegriff ist durchschlagenden Einwendungen ausgesetzt. Erstens werden durch das Kriterium des Nichtvermeidens alle strafbaren Verhaltensweisen in Unterlassungshandlungen umgedeutet: Der Täter hat es unterlassen, den Eintritt des Erfolges zu vermeiden. Wenn man aber erkennt, dass die bei weitem größte Anzahl aller Delikte in aktivem Tun besteht, leuchtet es nicht ein, dass die strafrechtlichen Wertprädikate an ein Unterlassen anknüpfen sollen. Wenn der Mörder sein Opfer durch Messerstiche tötet, sind diese Verletzungsakte Gegenstand tatbestandsmäßiger, rechtswidriger und schuldhafter Bewertung. Dies als unterlassene Tötungsvermeidung zu beurteilen, wird dem sozialen Sinn des Geschehens nicht gerecht.

50

Zweitens ist die Nichtvermeidung auch in Wahrheit kein gemeinsames Merkmal von Begehung und Unterlassung. Man kann sicher die unterlassene Abwendung eines Todeserfolges als dessen „Nichtvermeidung“ ansehen. Bei aktiven Taten aber ist das Vermeiden eine „Nichtherbeiführung des Erfolges“. Das Nichtvermeiden ist dann also die „Nicht-Nicht-Herbeiführung“ des Erfolges. Diese doppelte Verneinung hat logisch den Sinn einer Bejahung, bedeutet also: Herbeiführung des Erfolges. Durch eine solche sprachliche Umformulierung kann aber kein gemeinsames Sachkriterium gefunden werden. Puppe[35] spricht hier mit Recht von der unlösbaren Aufgabe, „non A und non non A unter einen Begriff zu bringen“.

51

Drittens ist der negative Handlungsbegriff weit davon entfernt, das sachliche Substrat zu kennzeichnen, an das ggf. das Prädikat der Tatbestandsmäßigkeit angeknüpft werden kann. Vielmehr ist die Tatbestandsmäßigkeit bei dieser Charakterisierung schon vorausgesetzt. Von einem „vermeidbaren Nichtvermeiden“, einer „vermeidbaren Erfolgsherbeiführung“ oder einer „unterlassenen Gegensteuerung“ kann nur gesprochen werden, wo etwas vermieden werden soll. Das setzt ein tatbestandsmäßiges Verbot voraus.

52

Wenn Kahrs[36] schon vor vielen Jahrzehnten verlangte, dass das Recht eine Erfolgsvermeidung geboten haben müsse, wenn Behrendt ein Nichtvermeiden „der tatbestandsmäßigen Situation“ fordert und wenn Herzberg[37] nunmehr seine ursprüngliche Definition dadurch verbessern will, dass er „das sorgfaltswidrige und strafrechtlich missbilligte Unterlassen“ als das allen Delikten Gemeinsame bezeichnet, so tritt in aller Klarheit hervor, dass mit diesen Charakterisierungen eine tatbestandsmäßige Handlung bezeichnet werden soll. Während aber an zusammenfassenden Charakterisierungen des tatbestandlichen Unrechts kein Mangel besteht, geht auf diese Weise die Anknüpfungsfunktion des Handlungsbegriffs gänzlich verloren.

53

Viertens schließlich wird durch die Berufung auf einen negativen Handlungsbegriff verschleiert, dass es sich bei der Vermeidbarkeit keineswegs um ein handlungsbegründendes Merkmal handelt, sondern dass vielmehr die Nichtvermeidbarkeit ein Prinzip des Zurechnungsausschlusses darstellt, das auf allen Stufen des Deliktsaufbaus in spezifisch unterschiedlicher Form wiederkehrt.

54

So ist es zwar zutreffend, dass Wirkungen, die keiner Willenskontrolle unterliegen (wie etwa eine durch einen epileptischen Krampfanfall verursachte Sachbeschädigung), unvermeidbar sind und der Handlungsqualität entbehren. Hier wird also die Unvermeidbarkeit der Filterfunktion des Handlungsbegriffes gerecht. Aber auf der Tatbestandsebene sind z.B. auch völlig irreguläre Kausalverläufe unvermeidbar. Das ändert aber nichts daran, dass derjenige, der einen solchen Kausalverlauf anstößt, eine Handlung vorgenommen hat (auch wenn diese Handlung nicht tatbestandsmäßig ist). Hier schließt die Unvermeidbarkeit also zwar den Tatbestand, aber nicht das Vorliegen einer Handlung aus. Unvermeidbar ist auch ein Erfolg, der durch einen Geisteskranken herbeigeführt wird oder auf einem unerkennbaren Verbotsirrtum beruht. Hier liegt aber nicht nur eine Handlung, sondern sogar eine tatbestandsmäßige und rechtswidrige Handlung vor. Nur die Schuld ist ausgeschlossen.

55

Der spezifische Grund der Unvermeidbarkeit, der nicht nur die strafrechtliche Zurechnung im Rahmen irgendeiner Deliktskategorie, sondern gerade die Zurechnung zur Handlung ausschließt, geht also in den negativen Handlungsbegriff nicht ein.

V. Der soziale Handlungsbegriff

56

Auch ein sozialer Handlungsbegriff ist in verschiedenen Spielarten weitverbreitet. Eberhard Schmidt[38] hatte schon 1932 unter bewusster Distanzierung von seinem Lehrer Franz von Liszt geschrieben: „‚Handlung‘ interessiert uns nicht als physiologisches Phänomen unter naturwissenschaftlichen Gesichtspunkten, sondern als soziales Phänomen in seiner ‚Wirkungsrichtung auf die soziale Wirklichkeit hin‘.“ Das führte ihn zu der Definition der Handlung als „willkürliches Verhalten zur sozialen Außenwelt“[39]. Ganz ähnlich ist für Engisch[40] Handlung „das willkürliche Bewirken berechenbarer sozialerheblicher ‚Folgen‘“. Maihofer[41] beurteilt als Handlung „jedes objektiv beherrschbare Verhalten mit Richtung auf einen objektiv voraussehbaren sozialen Erfolg“.

57

Auch in der Literatur der Gegenwart ist dieser Handlungsbegriff lebendig. Für Jescheck[42] ist Handlung „sozialerhebliches menschliches Verhalten“. Beulke[43] betont in der am meisten verbreiteten Darstellung des Allgemeinen Teils: „Den Vorzug verdient die soziale Handlungslehre …“ Er schließt dann die bei Fn. 29 wiedergegebene Definition an, die auf das „sozialerhebliche Verhalten“ abhebt.

58

Die soziale Handlungslehre[44] hat den einen großen Vorzug, dass sie sich, wie schon die frühe Stellungnahme Eberhard Schmidts deutlich macht, von der Fixierung des Handlungsbegriffs auf naturalistische Kriterien löst und den sozialen Bedeutungsgehalt des Geschehens in das Zentrum ihrer Definition rückt. Als allgemeiner Handlungsbegriff ist er gleichwohl nicht geeignet. Er ist erstens zu weit, zweitens aber auch zu eng, drittens zu unbestimmt und viertens zu sehr mit der rechtlichen Bewertung des Geschehens verquickt.

59

Er ist zunächst zu weit. Denn er umfasst auch menschliche Wirkungen, die aus dem Handlungsbegriff gerade ausgeschieden werden sollen. Schädigungen durch unbeherrschbare Reflexe, Folgen einer vis absoluta oder eine Unfallverursachung durch das bewusstlose Herumrollen eines Betrunkenen auf der Fahrbahn sind durchaus sozialerheblich. Eine Handlung liegt solchen Erfolgen aber nicht zugrunde. Deshalb sehen sich die Vertreter des sozialen Handlungsbegriffs, wie die zitierten Definitionen zeigen, denn auch durchweg veranlasst, eine Anleihe beim natürlichen Handlungsbegriff zu machen und eine Willkürlichkeit oder Beherrschbarkeit des Geschehens zu verlangen. Damit ist aber der Ausgangspunkt des sozialen Handlungsbegriffs schon teilweise preisgegeben.

60

Andererseits ist zweitens aber auch der Begriff der Sozialerheblichkeit zu eng. Denn da es auch sozialunerhebliche Handlungen gibt, kann nicht erst die Sozialerheblichkeit ein Verhalten zur Handlung machen. Wenn ich einen Apfel von meinem Obstbaum pflücke, ist das sozial gewiss unerheblich. Aber eine Handlung ist es trotzdem.

61

Wenn die Vertreter des sozialen Handlungsbegriffs dies bestreiten, konstruieren sie ähnlich wie die Befürworter des negativen Handlungsbegriffs einen strafrechtsspezifischen Anknüpfungspunkt. Dieser ermöglicht jedoch keine überzeugenden Differenzierungen. Zwar ist tatsächlich jedes strafrechtsrelevante Verhalten sozialerheblich. Warum das Pflücken eines Apfels keine Handlung, dessen Kauf aber – als sozialerhebliches Rechtsgeschäft – eine Handlung sein soll, ist nicht einzusehen.

62

Welzel[45] war noch als selbstverständlich davon ausgegangen, dass „Spielen, Spazierengehen, Reiten, Turnen, Tanzen“ menschliche Handlungen seien. Nach der sozialen Handlungslehre dürfte dies nur noch dann gelten, wenn dabei ein Schadensfall eintritt. Denn sonst sind diese Verhaltensweisen, wenn man diesen Begriff nicht überdehnen will, sozial unerheblich. Jäger[46] sagt daher mit Recht: „Die soziale Begriffsbestimmung kennzeichnet daher nicht die Handlung selbst, sondern bei Lichte besehen nur deren Folgen.“

63

Das führt auf den dritten Einwand. Der Begriff der Sozialerheblichkeit ist so vage, dass er schon deshalb als Grundstein des Strafrechtssystems ungeeignet ist.

64

Puppe[47] sagt: „Sozialerheblich ist fast alles, was auf unserem Planeten geschieht“ und schließt in diesen Begriff auch Naturprozesse ein. Aber selbst wenn man den Begriff auf menschliches Verhalten reduziert, kann man lange ergebnislos darüber nachgrübeln, ob die von Welzel erwähnten Verhaltensweisen nicht vielleicht doch schon unabhängig von etwaigen Folgen Handlungen sind, weil sie als quasi „sportliche“ Betätigungen der Volksgesundheit dienen und damit sozialerheblich sind. Dass man von solchen Überlegungen die Handlungsqualität nicht abhängig machen kann, dürfte klar sein.

65

Die Vertreter der sozialen Handlungslehre haben auch fast nie den Versuch gemacht, diesen Begriff näher zu bestimmen. Eine Ausnahme bildet nur Beulke[48] mit der Aussage: „Sozialerheblich ist jedes Verhalten, das die Beziehungen des Einzelmenschen zu seiner Umwelt berührt und nach seinen erstrebten oder unerwünschten Folgen im sozialen Bereich Gegenstand einer wertbezogenen Betrachtung sein kann.“ Danach ist etwa eine Skiabfahrt von einer Anhöhe aus eine Handlung, weil über die Umweltverträglichkeit von Skiliften und landschaftsverändernden Pisten gestritten wird, während das Skiwandern auf gebahnten Wegen keine Handlung ist, weil niemand das kritisch beurteilt. Ein plausibler Handlungsbegriff ergibt sich aus solchen Distinktionen aber nicht.

66

Ein vierter Einwand folgt schließlich daraus, dass die Sozialerheblichkeit nicht nur bei Unterlassungen, wo dies in einem noch zu erörternden Umfang unvermeidlich ist, sondern auch bei Begehungstaten in großem Umfang von gesetzgeberischen Wertungen abhängt, so dass der soziale – auch insoweit ähnlich wie der negative – Handlungsbegriff vielfach mit der Tatbestandsmäßigkeit identisch und nicht erst der Anknüpfungspunkt für sie ist.

67

So standen z.B. homosexuelle Handlungen unter Erwachsenen bis 1969 unter Strafe. Damit waren derartige Betätigungen sozialerheblich und Handlungen im Sinne der hier erörterten Konzeption. Seit die Strafbarkeit aufgehoben ist, unterliegt dieses Verhalten, weil es den „sozialen Bereich“ nicht berührt, keiner „wertbezogenen Beurteilung“ mehr. Es ist nicht mehr sozialerheblich und daher auch keine Handlung im Sinne der sozialen Handlungslehre. Abgesehen davon, dass nicht recht verständlich ist, warum bestimmte aktive Betätigungen wegen der Aufhebung ihrer Strafbarkeit keine Handlungen mehr sein sollen, ist die aus dieser Konzeption sich ergebende Identität von Handlung und Tatbestandsmäßigkeit evident.

68

Das lässt sich an vielen vergleichbaren Beispielen demonstrieren, selbst im Bereich des Lebensschutzes. In § 218 Abs. 1 S. 2 StGB heißt es: „Handlungen, deren Wirkung vor Abschluss der Einnistung des befruchteten Eies in der Gebärmutter eintritt, gelten nicht als Schwangerschaftsabbruch im Sinne dieses Gesetzes.“ Derartige Handlungen sind also nicht sozialerheblich und damit keine Handlungen im Sinne der sozialen Handlungslehre. Hätte der Gesetzgeber dagegen die Strafbarkeit auf den Zeitpunkt der Vereinigung von Ei- und Samenzelle vorverlegt, wäre dasselbe Verhalten sozialerheblich und eine Handlung. Auch insofern entscheidet also erst die Tatbestandsmäßigkeit über die Handlungsqualität. Die Kategorie der Sozialerheblichkeit ist also dem Tatbestand weniger vor- als eingelagert.

69

Aus den geschilderten Gründen kann also auch der soziale Handlungsbegriff keinen geeigneten Anknüpfungspunkt für die Wertprädikate des strafrechtlichen Systemaufbaus liefern.

Türler ve etiketler

Yaş sınırı:
0+
Hacim:
2428 s. 31 illüstrasyon
ISBN:
9783811449442
Yayıncı:
Telif hakkı:
Bookwire
İndirme biçimi:
Metin
Ortalama puan 0, 0 oylamaya göre
Metin
Ortalama puan 0, 0 oylamaya göre