Kitabı oku: «Handbuch des Strafrechts», sayfa 11
VI. Der personale Handlungsbegriff
1. Die Entwicklung der Konzeption
70
Nach der hier vertretenen Auffassung ist Grundelement des Strafrechts ein personaler Handlungsbegriff, der den strafrechtlichen Wertprädikaten im Regelfall vorgelagert und von ihnen unabhängig ist, aber zu ihnen hinleitet und sie verbindet. Die Handlung ist danach als „Persönlichkeitsäußerung“ zu verstehen. Handlung ist alles (einschließlich der Unterlassungshandlung), was sich dem seelisch-geistigen Aktionszentrum eines Menschen zuordnen lässt. Diese Konzeption beruht auf der Idee, dass der Mensch immer dann handelt, wenn er als „Person“ in einen Geschehensablauf verwickelt ist. Das gilt für alle Lebensbereiche, insbesondere aber für das Strafrecht.
71
Ein solcher Handlungsbegriff wird der ihm abgeforderten „Filterfunktion“ (dazu näher Rn. 101 ff.) in besonderem Maße gerecht. Denn Wirkungen, die der geistig-seelischen Steuerung des Menschen nicht zugänglich sind, können nicht als Persönlichkeitsäußerungen angesehen und daher einem Verursacher oder Abwendungspflichtigen nicht zugerechnet werden. Das gilt für alle Lebensbereiche. Auch wo keine Folgen eintreten, fehlt es an einer Handlung.
72
Der personale Handlungsbegriff erfasst andererseits problemlos alle fahrlässigen Handlungen und Unterlassungstaten. Wenn jemand unter Verletzung der Verkehrsregeln einen Unfall verursacht, liegt in der Fahrweise des Täters die Persönlichkeitsäußerung eines rücksichtslos agierenden Verkehrsteilnehmers, und wenn jemand bei einem Unfall die gebotene Hilfeleistung unterlässt, äußert sich auch darin die Persönlichkeit eines hilfsunwilligen Menschen.
73
Auch unbewusst fahrlässige Unterlassungen, an denen der natürliche Handlungsbegriff scheitert, lassen sich ohne weiteres als Persönlichkeitsäußerungen verstehen. Wenn in dem oben (Rn. 37 ff.) erwähnten Beispiel ein Bahnbeamter die Weiche zu stellen vergisst und dadurch einen schweren Unfall herbeiführt, ist dies der Ausdruck einer Persönlichkeit, die mit ihren Dienstpflichten nachlässig umgeht. Dabei ist nicht etwa die strafrechtliche Relevanz für den Handlungsbegriff schon vorausgesetzt. Auch die Unaufmerksamkeit des sprichwörtlich zerstreuten Professors, die keine oder allenfalls für ihn selbst nachteilige Folgen hat, ist eine Persönlichkeitsäußerung.
74
Allerdings ist der hier befürwortete Handlungsbegriff nicht ausnahmslos tatbestandsneutral. Wo bei Unterlassungsdelikten eine Handlungserwartung allein durch die Anordnung des Gesetzgebers entsteht, schafft erst der Tatbestand die Unterlassungshandlung. Wenn beispielsweise der Gesetzgeber Steuer-, Melde- oder Ablieferungspflichten aufstellt und den Verstoß gegen sie mit Strafe bedroht, lässt erst das Gesetz die Untätigkeit zu einer Unterlassungshandlung werden. Solange das Gebot nicht existiert, wäre die Vornahme der entsprechenden Handlung absurd. Ihre Unterlassung ist dann ein Nichts und keine Persönlichkeitsäußerung.
75
Dieses Übergreifen des Handlungsbegriffs auf den Tatbestand gilt nur für den verhältnismäßig seltenen, auf spezielle staatliche Anordnung beschränkten Fall, dass erst das gesetzliche Gebot die Handlungserwartung schafft.
76
Im Regelfall macht schon eine strafrechtsunabhängige soziale Erwartung ein Untätigbleiben zu einer Persönlichkeitsäußerung und damit zu einer Unterlassungshandlung. Wenn jemand bei einem Unglücksfall nicht hilft, ist das eine Unterlassungshandlung, weil die Hilfsbereitschaft einer sozialen Erwartung entspricht. Ob diese Handlung als tatbestandsmäßig im Sinne des § 323c StGB beurteilt werden kann, ist dann erst eine anschließende, von vielen zusätzlichen Umständen abhängige Frage. Auch wer einem anderen eine von der Verkehrssitte erwartete Begrüßung in Form eines Händedrucks verweigert, nimmt eine Unterlassungshandlung vor. Denn darin liegt eine Persönlichkeitsäußerung. Ob diese strafrechtlich als Beleidigung zu würdigen ist, wird dadurch nicht präjudiziert. Das entscheidet sich erst im Rahmen der Tatbestandsprüfung.
77
Das bei einzelnen strafbewehrten staatlichen Geboten eine Unterlassungshandlung erst durch die gesetzgeberische Anordnung ermöglicht wird, ist auch kein Manko des personalen Handlungsbegriffs. Es ist vielmehr ein Vorzug, weil dadurch die Besonderheit der Deliktsstruktur verdeutlicht wird. Auch keiner der anderen Handlungsbegriffe kann hier ein vortatbestandliches Anknüpfungssubstrat aufweisen.
78
Es wird außerdem die Verknüpfung von Handlung und Tatbestand durch ihre hier vorgenommene Reduzierung auf einen engen, meist nebenstrafrechtlichen Bereich begrenzt. Dadurch wird die viel zu weitgehende Annäherung der Handlung an den Tatbestand, die dem negativen und dem sozialen Handlungsbegriff anzulasten war, rückgängig gemacht. Allein auf diese Weise lassen sich die Selbstständigkeit des Handlungsbegriffs und seine Anknüpfungsfunktionen erhalten.
79
Der personale Handlungsbegriff löst sich von der Fixierung auf ontische, naturalistische und deskriptive Faktoren, die den Kriterien der Kausalität, der Willkürlichkeit oder Finalität anhaftet. Diese Befreiung vom „Naturalismus“ hatte schon Eberhard Schmidt als notwendig erkannt und durch das Postulat der Sozialerheblichkeit zu erreichen versucht. Jedoch sollte die Normativierung des Handlungsbegriffs aus der Eigenart des Täterverhaltens und nicht aus davon unabhängigen sozialen Bewertungen begründet werden. Das meint auch Murmann,[49] wenn er sagt: „Die personalen Handlungslehren haben gegenüber den sozialen Handlungslehren den Vorzug, dass der soziale Sinngehalt einem Handeln nicht von außen zugeschrieben, sondern vom Handelnden selbst (mit-) begründet wird.“
80
Der personale Handlungsbegriff ist zudem als Anknüpfungspunkt für alles strafrechtsrelevante Verhalten auch deshalb besser geeignet als alle anderen Handlungsbegriffe, weil er den vorstrafrechtlichen Gehalt menschlichen Handelns weitaus besser zur Geltung bringt als diese. So ist es, um auf ein oben behandeltes Beispiel zurückzugreifen, wenig prägnant, eine Beleidigungshandlung auf die Verursachung von Schallwellen, auf deren finale Überdetermination, auf den willentlichen Einsatz von Körperkraft oder ein vermeidbares Nichtvermeiden zurückzuführen. Die Bezeichnung als sozialerheblich ist zwar zutreffend, erfasst aber nicht die Täterhandlung, sondern nur deren gesellschaftliche Bewertung. Dagegen trifft es den Kern der Sache, wenn man die Beleidigung in einem von strafrechtlicher Bewertung noch freien Sinn als „Persönlichkeitsäußerung“ charakterisiert.
2. Vertreter einer personalen Handlungslehre
81
Die personale Handlungslehre hat in der Literatur eine nicht geringe Zahl von Vertretern. Arthur Kaufmann[50] hatte schon 1966 eine „personale Handlungslehre“ entwickelt und Handeln als „Objektivation der Person“ verstanden. Ich hatte dann 1968[51] Handlung als „personale Zurechenbarkeit“ definiert und als „Handlung“ alles bezeichnet, „was sich einem Menschen als Person … zuordnen lässt, sei es, dass er es willentlich getan oder gelassen hat, sei es, dass er es wenigstens hätte tun oder lassen sollen“. Rudolphi[52] hat im Anschluss daran betont, dass „sich also sowohl menschliches Handeln als auch menschliches Unterlassen unter dem Begriff des personal zurechenbaren Verhaltens zusammenfassen lassen“.
82
In der Gegenwart findet der personale Handlungsbegriff eine zunehmende Zahl von Anhängern. M. Heinrich[53] versteht in „punktgenauer“ Übereinstimmung mit der hier vertretenen Auffassung unter Handlung „solche vom Menschen ausgehende Einwirkungen, die dem jeweiligen Individuum in seiner personalen Existenz zugeordnet werden können“. Kudlich schreibt:[54] „Tragfähig erscheint die Umschreibung einer menschlichen Handlung als ‚Persönlichkeitsäußerung‘.“ Lenckner/Eisele[55] betonen, „dass das Wesen der menschlichen Handlung als einer ‚Persönlichkeitsäußerung‘ … darin besteht, dass es ein geistig kontrollierbares und steuerbares Gestalten der Wirklichkeit ist“. Nichthandlungen seien nicht mehr personell zurechenbare Geschehensabläufe. Kühl[56] stellt fest, bevor man ein Verhalten auf seinen Unrechts- und Schuldgehalt untersuche, müsse man wissen, „dass der Täter sich wie ein Mensch, genauer: wie eine Person verhalten hat“. Auf die zustimmende Stellungnahme Murmanns wurde schon hingewiesen[57].
3. Kritik am personalen Handlungsbegriff
83
Freilich fehlt es auch nicht an kritischen Stimmen. Doch sind die Einwände ziemlich leicht zu widerlegen. Das gilt zunächst für die Behauptung zu großer Unbestimmtheit. So schreiben Krey/Esser,[58] der Preis für die Bildung eines solchen Oberbegriffs sei „zu hoch. Denn das Kriterium der Persönlichkeitsäußerung ist eine Leerformel ohne verbrechenssystematischen Erkenntniswert.“ Das ist aber selbst nach den Prämissen der Autoren verfehlt. Denn auch sie lehnen eine Handlung ab, wenn ein Geschehensverlauf der Willenssteuerung durch den Täter nicht zugänglich war.[59] Wo eine Willenssteuerung aber möglich ist und auch Krey/Esser eine Handlung annehmen, liegt stets ein personal zurechenbares Verhalten und damit eine Persönlichkeitsäußerung vor.
84
Andere Autoren bemängeln, dass der personale Handlungsbegriff auch sozial irrelevante oder tatbestandslose Handlungen umfasst. So sagt Jescheck,[60] der Begriff der Persönlichkeitsäußerung erfasse „zu weitgehend Ereignisse, die keinerlei soziale Relevanz besitzen“. Aber die soziale Relevanz ist nur eine Eigenschaft, die eine Handlung haben oder auch nicht haben kann. Sie entscheidet nicht über das Vorliegen einer Handlung. Der Einwand beruht auf dem schon erörterten sozialen Handlungsbegriff und ist mit diesem zu verwerfen.
85
Gropp[61] erkennt durchaus an, „dass der personale Handlungsbegriff mit der Persönlichkeitsäußerung“ die Anforderungen eines Oberbegriffs erfülle. Er bemängelt aber, dass der „personale Handlungsbegriff nicht spezifisch strafrechtlicher Natur“ sei. „Auch der Roman des Schriftstellers oder das Bild des Malers sind Persönlichkeitsäußerungen, ohne irgendetwas mit Strafrecht zu tun zu haben.“
86
Aber damit wird die Anknüpfungsfunktion des Handlungsbegriffs als Gegenstand strafrechtlicher Bewertung preisgegeben. Diese besteht ja gerade darin, dass die Handlung dem Tatbestand durchweg vorgelagert ist und mit den auf sie bezogenen strafrechtlichen Wertungen noch nichts zu tun hat. Die These Gropps läuft auf die schon oben abgelehnte Gleichsetzung von Handlung und Tatbestand hinaus (vgl. Rn. 50 f., 66 ff.).
87
Umgekehrt halten Lenckner/Eisele[62] mir vor, dass die „Persönlichkeitsäußerung“ „wegen der jedenfalls beim Unterlassen unvermeidlicher Anleihen beim Tatbestand auf den Anspruch verzichten muss, uneingeschränkt eine Handlung ‚vor dem Tatbestand‘ zu sein“. Das ist der Sache nach für einen kleinen Teil der Unterlassungen zutreffend, begründet aber keinen Einwand, weil, wie schon dargelegt wurde, kein wie immer beschaffener Handlungsbegriff dieser in der Struktur der entsprechenden Strafvorschriften angelegten Konsequenz entgehen kann: Wenn jemand die Bezahlung einer gesetzlich nicht geforderten Steuer unterlässt, ist das nicht nur keine Persönlichkeitsäußerung, sondern auch kein gewillkürtes oder sozialerhebliches Verhalten. Auch von einem Nichtvermeiden kann nicht die Rede sein.
88
Für Jescheck[63] wiederum ist der personale Handlungsbegriff nicht nur zu weit, indem er auch sozial irrelevante Handlungen erfasst, sondern auch „zu eng, weil die Unterlassung bei Unkenntnis der Gefahrenlage kaum als Persönlichkeits,äußerung‘ verstanden werden, dennoch aber (als fahrlässige Unterlassungstat) strafbar sein kann“.
89
Wenn man aber jemandem etwas als strafbare Handlung, und sei es als fahrlässige Unterlassungstat, zum Vorwurf macht, kann man nicht gleichzeitig annehmen, dass es an einer „Persönlichkeitsäußerung“ fehle.
90
Jescheck will offenbar auch, wie die Anführungszeichen andeuten, nicht den personalen Bezug, sondern dessen „Äußerung“ bezweifeln. Aber eine Persönlichkeit äußert sich nicht nur in aktiven Handlungen, sondern auch in unbewussten Unterlassungen: Auch in der fahrlässigen Vernachlässigung einer Aufsichtspflicht liegt eine Persönlichkeitsäußerung (unabhängig davon, ob sie einen Straftatbestand erfüllt). Denn sie ist Ausdruck einer wenig sorgsamen Persönlichkeit.
91
Puppe[64] schließlich meint, man könne den Begriff der „Persönlichkeitsäußerung“ „sowohl auf die einzelne Körperbewegung oder Unterlassung beziehen als auch auf das Verbrechen als Ganzes unter Einschluss seiner Erfolgselemente und seines gesamten Unrechts- und Schuldgehalts“. Dieses umfassende Begriffsverständnis setze die Konstitution des Verbrechensbegriffs und des Einzelverbrechens bereits voraus, habe „also für diese keine Funktion“.
92
Hier wird eine Deutung des personalen Handlungsbegriffs etwa im Sinne von Jakobs für möglich gehalten. Aber das ist ein Missverständnis. Denn der personale Handlungsbegriff schließt den Erfolg nicht ein, verbindet aber die einzelnen Deliktsstufen, ohne sie vorauszusetzen. Gerade dies begründet die Anknüpfungsfunktion des Handlungsbegriffs. Es gibt tatbestandsmäßige, rechtswidrige und schuldhafte Persönlichkeitsäußerungen. Aber eine Persönlichkeitsäußerung liegt auch schon unter Absehung von diesen Prädikaten vor.
93
Puppe erwägt immerhin auch eine vortatbestandliche Konzeption des Begriffs der Persönlichkeitsäußerung und findet es „wenig sinnvoll, derart anspruchsvolle philosophische Aussagen auf etwas so Banales wie eine Körperbewegung zu beziehen“. Aber erstens ist der Begriff der Persönlichkeitsäußerung im Sinne eines schlichten Alltagssprachgebrauchs zu verstehen, zweitens ist der vorstrafrechtliche Sinngehalt etwa einer Ohrfeige durch ihre Kennzeichnung als Persönlichkeitsäußerung weitaus besser erfasst, als wenn man sie als bloße Körperbewegung qualifiziert. Und drittens besteht nicht alles möglicherweise strafrechtsrelevante Verhalten in einer Körperbewegung. Dem Begriff der Persönlichkeitsäußerung können auch andere und kompliziertere Vorgänge unterstellt werden.
VII. Die systematische Verortung des Handlungsbegriffs
94
Es liegt an der Anknüpfungsfunktion des Handlungsbegriffs begründet, dass das Vorliegen einer Handlung vor der Tatbestandsmäßigkeit zu prüfen und im Regelfall von deren Bejahung oder Verneinung unabhängig ist. Trotzdem wird die Handlung in der Literatur teilweise als Tatbestandsvoraussetzung behandelt. So sagt beispielsweise Frister,[65] eine vortatbestandliche Erörterung der Handlungsvoraussetzungen sei „unnötig kompliziert und auch begriffslogisch nicht begründet. Die Handlung ist ein Teil des im Tatbestand beschriebenen Sachverhalts … und sollte von daher ebenso wie dessen andere Teile im Tatbestand selbst subsumiert werden.“
95
In vergleichbarer Weise meint Otto:[66] „Um das berechtigte Anliegen durchzusetzen, der Grundvoraussetzung strafrechtlicher Haftung, der möglichen Willenssteuerung des Verhaltens, Bedeutung zu verschaffen, bedarf es keiner vortatbestandlichen Handlungslehre. Bei der Prüfung der Voraussetzungen des konkreten Tatbestandes ist vielmehr jeweils darzutun, ob der Täter durch willensgesteuertes Verhalten die Möglichkeit hatte, den zum Erfolg führenden Kausalverlauf zu beeinflussen. Dies ist der Ausgangspunkt der Erörterung, nicht aber die Prüfung einer Handlung unabhängig vom konkreten tatbestandsmäßigen Verhalten.“
96
Andererseits wird weithin eine vortatbestandliche Handlungsprüfung favorisiert, besonders dezidiert etwa von Walter[67] und Baumann/Weber/Mitsch/Eisele[68]. Abwägend formuliert Kühl:[69] „Die Prüfung, ob eine menschliche Handlung überhaupt vorliegt, kann auch in die Prüfung der Tatbestandsmäßigkeit dieser Handlung integriert werden, sie sollte aber besser als ‚Vorprüfungsstufe‘ vor die Prüfung der Tatbestandsmäßigkeit ‚geschaltet‘ werden.“
97
Der letztgenannten Auffassung ist zuzustimmen. Man kann freilich der Handlung im Rahmen des Strafrechtssystems keine eigenständige Deliktsstufe zuweisen. Denn was den strafrechtlichen Bewertungen vorgelagert und – wenigstens in der Regel – von ihnen unabhängig ist, kann keine Deliktskategorie sein. Wer seinen Rasen mäht, nimmt eine Handlung vor; diese liegt aber natürlich nicht innerhalb eines Deliktssystems. Gerade deswegen sollte jedoch die Frage nach der Vorfindbarkeit einer Handlung vor dem Eintritt in eine Tatbestandssubsumtion geprüft werden, sofern an ihrem Vorliegen Zweifel bestehen können. Für eine Prüfung „vor dem Tatbestand“ sprechen – wo dieser möglich ist – drei Gründe.
98
Erstens ist die Frage, ob eine Handlung anzunehmen ist, gegenüber derjenigen nach den Voraussetzungen einer Tatbestandserfüllung logisch vorrangig. Es handelt sich hier gerade nicht, wie Otto meint, um eine „Prüfung der Voraussetzungen des konkreten Tatbestandes“, sondern um ein Element, das allen Tatbeständen und darüber hinaus auch allen personal zurechenbaren Verhaltensweisen eigen ist. Auch der Charakter der Handlung als Verbindungselement zwischen Tatbestand, Rechtswidrigkeit und Schuld spricht gegen die Zuordnung zu einer dieser Deliktsstufen.
99
Zweitens sind die Geschehensverläufe, die durch die Filterfunktion des Handlungsbegriffs ausgeschieden werden sollen, mit dem Zurechnungskriterium des Tatbestandes vielfach gar nicht auszuschließen. Denn auch wer z.B. in einem epileptischen Krampfanfall eine Sache beschädigt, bewegt sich nicht im erlaubten Risiko. Daher müssen auch die Autoren, die das Ausgrenzungsproblem in den Tatbestand verlagern, die Prüfung der Handlung doch derjenigen der Fahrlässigkeitskriterien voranstellen. Sie nehmen also ebenfalls eine Deliktseingangsprüfung vor, verstecken diese aber im Tatbestand und verzichten ohne Anlass auf die Sonderstellung der Handlung als Grund- und Verbindungselement.
100
Drittens wird durch die Verlegung der Handlungsprüfung in den Tatbestand auch das Verhältnis von Handlung und Tatbestand verunklart. Denn es gibt, wie oben (Rn. 70 ff.) dargelegt, einzelne Fälle echter Unterlassungen (z.B. die Nichtentrichtung einer Steuer), bei denen erst das gesetzliche Gebot im Falle der Untätigkeit aus einem Nichts eine Persönlichkeitsäußerung und damit eine Unterlassungshandlung macht. Wenn man die Handlungsprüfung in den Tatbestand verlegt, wird diese Sacheinsicht durch eine allgemeine Vermengung von Handlung und Tatbestand verdunkelt.
6. Abschnitt: Die Straftat › § 28 Handlung › D. Die Filterfunktion des Handlungsbegriffs
D. Die Filterfunktion des Handlungsbegriffs
101
Während die Anknüpfungsfunktion – die Frage also, wie die Handlung als Substrat rechtlicher Bewertungen „positiv“ zu kennzeichnen ist – bis heute hinsichtlich ihrer Notwendigkeit und Ausgestaltung äußerst umstritten ist, herrscht über die „negative“ Funktion des Handlungsbegriffs, darüber also, dass Nichthandlungen strafrechtlich von vornherein irrelevant sind, weitgehende Einigkeit. Auch Autoren, die auf eine Bestimmung dessen, was „Handlung“ ist, verzichten, wollen doch Nichthandlungen von der weiteren strafrechtlichen Prüfung ausschließen.
102
Darüber hinaus stimmen auch die meisten Autoren dahin überein, dass Nichthandlungen Geschehensabläufe sind, die zwar mit einer Person in Zusammenhang stehen, der Beherrschung oder Beherrschbarkeit durch ihren Willen aber nicht unterliegen. In diesem Ergebnis treffen sich der natürliche, der negative, der soziale und auch der personale Handlungsbegriff. Die „Filterfunktion“ ist also vom Streit um die verschiedenen der Anknüpfungsfunktion dienenden Handlungsbegriffe weitgehend unabhängig. Freilich wird der nachfolgende Text zeigen, dass das Kriterium der Persönlichkeitsäußerung nicht selten eine exaktere Abgrenzung ermöglicht als andere Handlungsbegriffe.
103
Abweichende Ansichten sind selten. So sagt Michaelowa,[70] eine Handlung sei „jede menschliche Seinsäußerung“, auch wenn es sich um eine bloße Körperwirkung ohne psychischen Anteil handelt. Herzberg[71] meint: „Schlägt jemand im Alptraum seiner neben ihm schlafenden Frau die Nase blutig, dann liegt es … sehr nahe, das ‚Verursachen‘ einer ‚Körperverletzung‘, also das Handlungsmerkmal des § 230 StGB, zu bejahen und erst die Wertung entscheiden zu lassen, dass die Fahrlässigkeit, d.h. die Pflichtverletzung, fehle.“
104
Das ist aber keine vertretbare Lösung. Denn wenn man eine Körperverletzungshandlung bejaht, stellt sich diese als Verwirklichung eines unerlaubten Risikos, also als tatbestandsmäßig dar. Denn die Sorgfaltswidrigkeit bezeichnet eine objektive, von den persönlichen Bewandtnissen des Täters unabhängige Bewertung. Höchstens ließe sich die Schuld bestreiten. Aber es erscheint als wenig sinnvoll, den Schlaf wie eine Geisteskrankheit zu behandeln. Denn die Taten eines Geisteskranken oder sonst Schuldlosen sind immerhin Persönlichkeitsäußerungen, auch wenn diese nicht vorwerfbar sind.
105
So bleibt die Frage, wo eine Persönlichkeitsäußerung fehlt und deswegen das Vorliegen einer Handlung abzulehnen ist.