Kitabı oku: «Systemische Personal-, Organisations- und Kulturentwicklung», sayfa 5
1.10 Beispiel: Kernkompetenzorientierte Besetzung der obersten Führungsebenen im Nahrungsmittelproduktionsbetrieb
Ausgangslage: Ein Nahrungsmittelproduktionsbetrieb (ca. 1600 MA) im Besitz eines Detailhandelskonzerns wurde in am Markt selbstständig operierende Teilprozesse umgebaut. Der designierte Prozessleiter des größten Prozesses (ca. 1000 MA) wollte parallel zur Entwicklung von Strukturen und Prozessen des neuen Geschäftsbereiches die oberen und mittleren Führungskräfte des Unternehmens sorgfältig neu positionieren und hierzu die Aspekte Kernkompetenzen und Passung mit berücksichtigen. Sein Ziel war es, alle Führungskräfte ihren (Kern-)Kompetenzen entsprechend in der neuen Struktur zu positionieren. Angesichts der Tatsache, dass manche altbewährten Fachpersonen, welche Topführungsfunktionen innehatten, ihre hierarchischen Topfunktionen im Laufe des Prozesses verlieren würden, war es dem Prozessleiter besonders wichtig, ein Vorgehen zu gestalten, in welchem transparent entschieden und alle Beteiligten im Veränderungsprozess nach Möglichkeit qualitative Entwicklungen machen können sollten. Zentrale Bedeutung hatte die Würdigung und die optimale Nutzung unterschiedlicher Zugänge und Kompetenzen.
Vorgehen:
• Der Prozessleiter setzte sich im Coaching mit seinen eigenen Neigungen, seinen Stärken und Schwächen auseinander. Damit war die Voraussetzung gegeben, dass er sich in allen folgenden Maßnahmen immer als Teil der Systeme begreifen und auch kritisch seine eigene Rolle mitbedenken konnte.
• Alle 40 Führungskräfte nahmen an einem Workshop teil, in welchem sie sich mit ihren Kernkompetenzen und Leistungsbedingungen auseinander setzten.
• Danach führten alle mit dem Prozessleiter ein erstes Laufbahngespräch, in welchem es um Standortbestimmung und um den Austausch darüber ging, wie der Betroffene seine Zukunft und mögliche Funktionen und der Prozessleiter dessen Potenziale und Herausforderungen sah. Dabei wurden auch lebensphasen-gemäße Entwicklungs- und Gestaltungsinteressen in die Überlegungen mit einbezogen.
• Die Projektgruppe, welche die neue Prozessorganisation entwickelte, wurde primär nach Prozesskompetenz und Innovationsfähigkeit zusammengestellt.
• Gleichzeit wurde dieser Gruppe ein sog. »Weisenrat« zur Seite gestellt, in welchem die erfahrenen, eher fachlich orientierten Führungskräfte versammelt waren. Ein verbindliches Zusammenspiel dieser beiden Gremien hat zu einer wechselseitigen Befruchtung und Würdigung geführt.
Methodische Zugänge: Ein auf der Jung’schen Persönlichkeitstypologie basierendes Instrument, mit welchem individuelle Persönlichkeits- und Verhaltenspräferenzprofile erstellt wurden, diente als einer der Ausgangspunkte, die es erleichterten, Persönlichkeitsunterschiede als Ressourcen erkennen zu können. Diese Profile wurden als »Hypothesengeneratoren« genutzt, um mögliche Dynamiken und Wechselwirkungen in bestimmten Szenarien in szenischer Weise durchspielen zu können.
Eine bestimmte Form der Szenariotechnik spielte eine zentrale Rolle. Es wurden z.B. bestimmte Szenarien im Rahmen einer Funktion angenommen und dann eigentliche Szenenentwicklungen und mögliche Abläufe und Wechselwirkungen simuliert und gefragt, was dieselben für die Beteiligten (mit deren Neigungen) bedeuten könnten. Dies geschah etwa in der Art: Wie würde es sein, wenn Sie sich in der Situation X, Rolle X entwickeln resp. verhalten würden? Welche Arten von Wirklichkeit würden daraus entstehen, und was wiederum könnte dies für die relevanten Partner bedeuten? Was würde dies insbesondere für den Vorgesetzten bedeuten? Welche Führungsaufgabe wäre damit verbunden und wie würde sich der Vorgesetzte darauf beziehen können resp. wollen? In diesem Szenarioprozess entwickelten die Beteiligten ein gemeinsames, aufeinander bezogenes Situationsverständnis und tauschten Meinungen darüber aus, was sinnvolle und weniger sinnvolle Varianten sein könnten.
Eine zentrale Rolle in dem Prozess spielten szenische Feedbacks. So wurden z.B. erst Computer-Profile abgegeben und zum Thema gemacht, nachdem sich die Beteiligten selbst mit den relevanten Dimensionen auseinander gesetzt und sich wechselseitig zugeordnet hatten (Was erlebe ich als Deine Neigungen? In welchen Situationen habe ich sie wie wirken erlebt? Etc.)
Wirkungen: Im Rückblick wird die daraus erwachsene Organisation als sehr aufeinander bezogen erlebt mit der ihr eigenen Fähigkeit, auch ohne beraterische Unterstützung sorgfältige Passungsprozesse zu gestalten. Innerhalb von drei Jahren hat nur eine der 40 Führungskräfte die Organisation aus familiären Gründen verlassen (Umzug). Dadurch, dass in der intensiven Szenarioarbeit sowohl Erfolgs- als auch mögliche Crashszenarien vorweggenommen wurden, sind wesentliche Beziehungsthemen enttabuisiert und ansprechbar geworden. Für den Prozessleiter bedeutete der Neubesetzungsprozess eine enorme persönliche Ausbildung als Führungskraft und Regisseur.
2. Auf dem Weg zu einer Verantwortungskultur
Verantwortung in der Führungskraft-Mitarbeiter-Beziehung und – auf organisationaler Ebene, als Verantwortungskultur – spielen in Zeiten gesteigerter Komplexität und Unüberschaubarkeit eine zentrale Rolle. Oft wird »Verantwortung« im Unternehmen ganz einfach vorausgesetzt und daher nur zu selten bewusst reflektiert und gestaltet. Hierzu definieren wir zentrale Dimensionen und Prozesse von Verantwortung und beschreiben Ansatzpunkte zur Entwicklung einer Verantwortungskultur.
2.1 Das Verantwortungssystem
Die zunehmenden Anforderungen an die Ausrichtung und das Zusammenspiel von Prozessen erfordern heute eine wesentlich intensivere wechselseitige Abstimmung zwischen den handelnden Personen und der Organisation. Die Qualität dieses Zusammenwirkens kann dabei immer weniger allein strukturell durch Zuständigkeiten definiert werden, sondern muss situativ immer wieder neu hergestellt werden. Die dafür notwendigen Klärungen können Verantwortungsdialog genannt werden und finden in einem Verantwortungssystem statt.
2.1.1 Dimensionen im Verantwortungssystem
Wir unterscheiden vier Dimensionen eines Verantwortungssystems
Abb. 4: Vier Dimensionen eines Verantwortungssystems
Im Kern von »Ver-Antwort-ung« steht der Begriff »Antwort«. Verantworten heißt, dass Personen bezogen auf ihre jeweiligen Funktionen
• antworten wollen: Das ist eine Frage der Werteorientierung.
Will jemand die mit einer Funktion verbundene Verantwortung wahrnehmen? Passt die Rolle und die damit verbundene Verantwortung zu seinem Wertempfinden, zu seinen zentralen Gestaltungsinteressen?
• antworten können: Das ist eine Frage der Befähigung durch Qualifikation.
Verfügt eine Person über passende Qualifikationen, um die erforderlichen Antworten geben zu können? Beherrscht sie die Funktion? Versteht sie den Kontext?
• antworten dürfen: Dies ist eine Frage der Befähigung durch Ausstattung.
Ist die Funktion mit für die erwarteten Antworten notwendigen Gestaltungsmitteln ausgestattet? Stehen den Verantwortlichen Befugnisse und erforderliche Ressourcen zur Verfügung? Sind sie durch Mächtige autorisiert und mit geeigneten Machtmitteln ausgestattet?
• antworten müssen: Dies ist eine Frage der Zuständigkeit.
Auf welche Fragen muss der Funktionsträger wem gegenüber Antwort geben? Sind ihm Antworten freigestellt? Bei welchen Mängeln wem gegenüber werden von wem Konsequenzen gezogen?
Antworten wollen und können sind mit der Person verbunden. Identität und Kernkompetenzen der Personen spielen hierbei eine entscheidende Rolle.
1. Passung von Person und Organisation
1.2 Herausforderungen in Passungsprozessen
Antworten dürfen und müssen beziehen sich hingegen eher auf die Organisation. Die Funktion als Teil der Konstruktion der Organisation (Kernprozesse, Rollen, Verantwortung) muss mit der erforderlichen Ausstattung verbunden sein, und die Organisation muss das Ausfüllen der Zuständigkeit auch einfordern (Führung).
8.1.2.1 Hoheitsmacht
Alle vier Verantwortungsdimensionen müssen aufeinander bezogen und abgestimmt werden.
Mit der Darstellung der vier Dimensionen eines Verantwortungssystems und der Bedeutung der sorgfältigen Klärung und Abstimmung postulieren wir kein neues unrealistisches Idealbild. In Wirklichkeit werden wir es immer mit Situationen zu tun haben, in denen Verantwortung eines Funktionsträgers nicht in allen vier Dimensionen optimiert werden kann. So kann es durchaus möglich sein, dass jemandem ein Teil der erforderlichen Qualifikationen fehlt. Systemisch gesehen ist es nicht wichtig, dass alle Anforderungen 100-prozentig durch den Funktionsinhaber erfüllt werden, sondern dass in diesem Fall z.B. fehlende Qualifikationen anderswo im System aktiviert und sinnvoll im entsprechenden Verantwortungssystem integriert werden. Auch kann es vorkommen, dass ein Funktionsträger nicht mit der erforderlichen Autorisierung ausgestattet werden kann. Auch dann kann ein funktionierendes Verantwortungssystem gestaltet werden, indem der autorisierte Verantwortungsträger in relevante Prozesse eingebunden wird.
1.2.2 Kooperationssystem im Passungsprozess
2.1.2 Verantwortung als komplementäres, aufeinander bezogenes Gesamtsystem
Die vorhergehenden Überlegungen machen deutlich, dass Verantwortung nicht nur bezogen auf die einzelnen Personen und ihre Funktionen betrachtet werden darf, sondern als komplementäres, aufeinander bezogenes Gesamtsystem verstanden und gestaltet werden muss. Nahtlose Prozesse erfordern ein System von sich ergänzenden und aufeinander bezogenen Verantwortungen (SCHMID/CASPARI 1997b).
Wir unterscheiden deshalb zwischen einer
• Verantwortung für... z.B. eine bestimmte Funktion mit entsprechenden Aufgaben und Leistungen. Diese Verantwortung impliziert auch formelle Zuständigkeiten, bei deren Vernachlässigung eine Person arbeitsrechtliche Probleme bekommen kann.
• Verantwortung bezogen auf ... ein bestimmtes Zusammenwirken mit (internen und externen) »Kunden« und »Lieferanten« in den Wertschöpfungs- und Führungsprozessen. Die »Verantwortung bezogen auf« erfordert auch die Entwicklung und Pflege einer unternehmerischen Ethik und eine (Selbst-) Verpflichtung auf Komplementarität und Integrierbarkeit des eigenen Tuns.
Abb. 5: Komplementäre Verantwortung
2.1.3 Ebenen von Verantwortung
Im Weiteren ist es sinnvoll, folgende zwei Ebenen von Verantwortung zu unterscheiden:
• Verantwortung bezüglich der Aufgaben: Ein Funktionsträger trägt Verantwortung für ein bestimmtes Set von Aufgaben, die es schlüssig wahrzunehmen gilt.
Beispiel: Bei seiner Einstellung übernimmt der Sicherheitsbeauftragte eines Chemieunternehmens die Verantwortung für die Sicherstellung der Funktionstüchtigkeit von zehn Sicherheitsstufen. Er hat bezüglich jeder Sicherheitsstufe bestimmte Verantwortungen (z.B. Qualitätssicherung für Notfallprozeduren).
• Verantwortung bezüglich der Schlüssigkeit des Verantwortungssystems: Ein Funktionsträger ist mitverantwortlich für die Konfiguration des gesamten Verantwortungssystems bezogen auf seine Funktion.
Beispiel: Im Laufe eines mehrjährigen Reorganisationsprozesses werden im Sicherheitskonzept des Unternehmens aus Kostengründen Sicherheitsstufen gestrichen. Dies muss Anlass sein, mit anderen im Unternehmen in einen Verantwortungsdialog einzutreten. Wenn der Sicherheitsverantwortliche seine Verantwortung nicht mehr wahrnehmen kann, ist es seine Pflicht, daraus Konsequenzen zu ziehen. Wenn er dies z.B. aus Existenzängsten nicht tut, gefährdet er sich und die Vitalität seines Unternehmens.
2.2 Symbiosen als wesentliche Störungen im Verantwortungssystem
Wenn Verantwortungen in einem System nicht wahrgenommen werden, entstehen leicht sog. dysfunktionale Symbiosen (SCHIFF u.a. 1975). Während in der Natur auch Symbiosen als natürliche Zweckgemeinschaften bekannt sind, die für alle Beteiligten Nutzen stiften, schädigen dysfunktionale Symbiosen die eigenen Lebensinteressen und/oder das umgebende Lebensmilieu. Für die Beteiligten selbst stellen sie – meist unbewusst – ein scheinbar »gutes Geschäft« dar, führen aber letztlich zu einer Beeinträchtigung von Gesundheit und Wohlbefinden. Zwischen sich und anderen bestehende dysfunktionale Symbiosen zu erkennen und damit sinnvoll umgehen zu können, ist daher ein zentraler Schritt in Richtung des Lebens einer als passend erlebten Verantwortungskultur.
Wir definieren symbiotische Beziehungen in zwei Dimensionen komplementär:
Dysfunktionale symbiotische Beziehungen sind solche,
• in denen Verantwortung nicht wahrgenommen oder verschoben wird, oder in denen das daraus entstehende Unbehagen verschoben wird;
• in denen Potenziale nicht aktiviert oder nicht entwickelt werden.
2.2.1 Entstehung und Funktion von Symbiosen
1. Nicht-Übernahme von Verantwortung: Der Ausgangspunkt des symbiotischen Prozesses besteht darin, dass jemand (Person A) eine mit seiner Funktion verbundene Verantwortung aus irgendwelchen Gründen nicht wahrnimmt. Dadurch wird im System ein Unbehagen erzeugt.
Die PE-Abteilung des Unternehmens, welches sich im Reorganisationsprozess befindet, müsste sich eigentlich angesichts neuer Anforderungen und knapper Ressourcen neu positionieren. Während der Vorgesetzte den wachsenden (aber noch ungerichteten) Druck von verschiedenen Seiten an die Mitarbeiter weitergibt, ohne sich grundlegenden strategischen Fragen zu stellen (was Teil seiner Führungsverantwortung ist), gerät das Team angesichts knapper werdender Ressourcen zunehmend in Konfliktsituationen und in Streit über die »richtige« PE-Arbeit.
2. Verschiebung des Unbehagens: Die Nichtübernahme von Verantwortung bewirkt im System eine Verschiebung des Unbehagens an eine andere Stelle. Eigentlich sollte der Verantwortliche (oder andere Beteiligte) das wachsende Unbehagen als Gelegenheit wahrnehmen, über (seine) Verantwortung (evtl. mit anderen) nachzudenken. Wenn diese Verantwortung nicht wahrgenommen wird, entsteht durch die Verschiebung des Unbehagens folgendes Phänomen:
3. Einladung in die Symbiose: Andere beteiligte Personen lassen sich von der unbewussten »Einladung« von A dazu »veranlassen«, selbst ihnen nicht angemessene Verantwortung zu übernehmen. Damit treten sie zusammen mit dem Verantwortlichen in die dysfunktionale Symbiose ein. Ein wirksamer Verantwortungsdialog wird vermieden, um Konfrontation zu vermeiden und/oder um eigene »Vorteile« zu schützen.
Ein Mitarbeiter aus der PE-Abteilung, der sich schon immer für mehr Zusammenarbeit ausgesprochen hat, nimmt das Unbehagen wahr und versucht verschiedene Formen des strategischen Dialogs anzuregen. Schließlich beauftragt der Vorgesetzte auf sein Drängen hin einen Berater damit, das Team in strategischen Fragen zu beraten. In einem Zwei-Tage-Workshop wird die Situation analysiert, erste Lösungsansätze entwickelt und es werden Arbeitsgruppen vereinbart. Da der Vorgesetzte dafür jedoch keine Beiträge leistet, insbesondere die Spielräume und Anforderungen der Organisationsumwelt nicht vertritt und verantwortet und auch danach wenig Interesse daran zeigt, sich und den Bereich umzusteuern, bleiben die Arbeitsgruppen weitgehend wirkungslos. Dawird beiauch wirksam, dass das weitere Team größtenteils nur wenig Interesse an Veränderungen hat, da ihnen wenig einsichtig ist, weshalb sie traditionelle Freiheitsgrade zugunsten gemeinsamer strategischer Absprachen aufgeben sollten. Vielleicht spielen die externen Berater letztlich auch noch mit, wenn sie immer wieder Aufträge abarbeiten, ohne dass sich an den entscheidenden Stellen etwas tut.
Wenn eine Person B Verantwortung übernimmt, die einer Person A zukommt und für die A vielleicht autorisiert oder verpflichtet ist, trägt B damit dazu bei, dass das System in seiner Dysfunktionalität aufrechterhalten und stabilisiert wird. Wenn jemand durch sein Verhalten (im Beispiel der Vorgesetzte) zur Symbiose einlädt, gibt es fast immer jemanden (im Beispiel der interne PE-Berater), der die »heiße Kartoffel« aufnimmt, ohne die Passivität zu konfrontieren.
2.2.2 Hintergründe für symbiotische Prozesse
Folgende Zusammenhänge für die Entstehung und Aufrechterhaltung von Symbiosen können aufgezählt werden:
• Unklarheit und Veränderung: Symbiosen entstehen oft einfach, weil jemandem sein Beitrag unklar ist oder seine bewährten Vorstellungen angesichts neuartiger Herausforderungen ihre Gültigkeit verloren haben.
• Konfliktscheue: In der Frühphase werden positiv kritische Gespräche verschleppt. In unserem Kulturkreis neigt man entweder dazu, sich gegenseitig aus Furcht vor emotionalen Verwicklungen unangemessen zu schonen, oder (»wenn das Fass voll ist«) übermäßig oder verletzend zu kritisieren.
• Opportunismus: Gelegentlich ist in symbiotischen Prozessen auch Opportunismus im Spiel. Die Nicht-Übernahme von Verantwortung oder das Ertragen von Unbehagen ist oftmals mit symbiotischen Kompensationsgeschäften verbunden. Eigene Verantwortung wird auf Kosten von Unbehagen beim Gegenüber oder bei Dritten vernachlässigt. Gemeinsam werden weitere Personen in die Verwaltung von Verantwortungsmängeln oder in das Ertragen der Folgen einbezogen.
Beispiel: »Ich (als dein Mitarbeiter) verlange von dir als Führungskraft nicht, dass du Prioritäten klar machst, rechtzeitig planst und Strategien mit deinen Vorgesetzten abstimmst, ... Dafür schaust du mir nicht auf die Finger, ob die Qualität meinen Kunden gegenüber stimmt bzw. duldest, dass ich die fehlende Prioritätenklarheit als Ausrede benutze, wenn ich meine Arbeit nicht effektiv organisiere. Gemeinsam kümmern wir uns nicht um die Probleme, die für andere daraus erwachsen.
• »Naives« Engagement: Wenn z.B. Menschen durch Veränderungen überfordert sind und Lücken hinterlassen, sind oft andere da, die in naivem Engagement und Begeisterung solche Lücken unangemessen zu füllen versuchen. Ein Vorstandsassistent könnte z.B. versucht sein, gegenüber einem anderen Vorstand etwas durchzusetzen, weil sein eigener Chef den Konflikt mit dem Kollegen meidet. Dies kann gelingen und durchaus eine Lösung sein, wenn es gewollt ist und im Konfliktfall fair gehandhabt wird. Doch wird es dysfunktional, wenn der Vorstandsassistent einer falsch verstandenen Loyalität folgt, während der Vorstand die Größe der anstehenden Aufgabe nicht erkennt oder an untaugliche Lösungen, Qualifikationen und Zuständigkeiten glaubt. Die Zeche bezahlt dann im Konfliktfall meist der Assistent.
• Dilemmata: Ein bei Dienstleistungsunternehmen häufiges Beispiel kann darin bestehen, dass der Unternehmer im Vorfeld Leistungen verkauft oder verspricht, die von den Leistenden konkret nicht oder so nicht erbracht werden können. Wenn dann der Unternehmer nicht neu in Kontraktklärungen gehen möchte, aber auch keine Verantwortung für die Unmöglichkeit des Gelingens übernehmen will, kann dies dilemmahafte Züge annehmen (SCHMID/MESSMER 2004a). Insbesondere dann, wenn Prozesse schon so weit und kostenträchtig vorangeschritten sind, dass aufrichtige Klärung die bisherigen Mängel aufdecken würde. Man will sich »durchstrampeln«, anstatt loszulassen und die Fehlinvestitionen abzuschreiben. Als Folge werden die Verluste immer größer und die Energie im System ist zunehmend damit gebunden, sich Verantwortung (i.S.v. Haftung) nicht zuschreiben lassen zu müssen.
• Taktische Verantwortungsvermeidung: Manchmal wird Verantwortungsunklarheit von Anfang an gefördert, um sich Hintertüren offen zu halten, anstatt frühzeitig einen Risiko- und Verantwortungsdialog auch bezüglich des Unabwägbaren zu führen. Angesichts der Undurchschaubarkeit von Prozessen kann auch von symbiotischem Verhalten gesprochen werden, wenn wir von anderen Sicherheit verlangen, wo keine gegeben ist, und wir gleichzeitig nicht entscheiden, was wir angesichts fehlender Sicherheit überhaupt verantworten können.
Diese »pointierten« Bilder sollen niemandem böswilliges Fehlverhalten unterstellen. Symbiotische Verhaltensweisen sind angesichts wachsender, nicht bewältigter Komplexität nur allzu verständlich, aber eben schädlich und/oder entwicklungshemmend, weshalb einer Kultur des Verantwortungsdialoges eminente Bedeutung zukommt.