Kitabı oku: «Segel setzen (E-Book)», sayfa 7

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Umgang mit Stressoren

Im letzten Abschnitt zum Thema Führung wollen wir gerne noch fragen, wie es um Ihre eigenen Emotionen im Klassenzimmer bestellt ist. Kennen Sie Situationen, in denen Sie unter Stress kommen, weil Sie meinen, Ihren eigenen Ansprüchen nicht gerecht zu werden? Ein solcher Stress kann in Ihnen Gefühle auslösen, die Sie dann womöglich nicht mehr souverän beherrschen. Inwieweit sind Sie dann vielleicht nicht mehr Führende oder Führender, sondern womöglich Getriebene oder Getriebener? Getrieben von Ihren eigenen Ansprüchen, Ihren Wünschen und Vorstellungen, ja auch Ihren Erwartungen?

Erwartungen nehmen die Zukunft vorweg und richten sich auf das Wünschen und Wollen, nicht immer auf die Realität. Erwartungen setzen die körpereigenen Unterstützungssysteme manchmal unter Druck. Wie steht es um das eigene Stressverarbeitungssystem, wenn zur Erfüllung eigener Erwartungen ein bestimmtes Ziel erreicht werden muss? Wie um das eigene Selbstberuhigungssystem, wenn Sie genau fühlen, dass etwas «falsch» läuft? Wie fühlen oder bewerten Sie sich, wenn Sie bestimmte Erwartungen (vermeintlich) nicht erfüllen? Wie motivieren Sie sich bei Misserfolg – und was ist das für Sie überhaupt? Wie kontrollieren Sie Ihre Impulse, und wie sehr bleiben Sie bindungsfähig und empathisch bei nicht erfüllten Erwartungen? Wie realistisch schätzen Sie die Situation jeweils ein?

Wir beziehen uns hier auf Gerhard Roth und führen sechs von ihm beschriebene Grundsysteme an, die unsere Persönlichkeit mitprägen:[17]

•Stressverarbeitung,

•Selbstberuhigung,

•Selbstbewertung und Motivation,

•Impulskontrolle,

•Bindung und Empathie,

•Realitätssinn und Risikowahrnehmung.

Alle Systeme entziehen sich der bewussten Einflussnahme. Sie beginnen sich bereits vorgeburtlich zu entwickeln und reifen in der Zeit nach der Geburt. In Stresssituationen, in denen wir keine Zeit zum bewussten Nachdenken haben, können sie uns durch ihr Zusammenspiel stabilisieren.

Stressempfinden ist weitgehend individuell. Stressoren können physikalischer Natur (Hunger, Kälte …) oder emotionaler Natur (Erwartungshaltungen, Ängste, Sorgen …) sein. Entsprechend individuell sind Stressprophylaxe und Bewältigungsmechanismen wie Achtsamkeits- und Atemübungen, Entspannungstechniken und andere.

Wir konzentrieren uns auf das Stresskonzept aus der Transaktionsanalyse. Hier wird von inneren Antreibern als Stressoren ausgegangen.[18] Das sind eher unbewusste Muster, die wir irgendwann im Leben (meist schon sehr früh) entwickelt haben und die unser Denken und Handeln in Stresssituationen steuern. Solche früh entwickelten Verhaltensmuster entstanden vielleicht als Antwort auf (formulierte oder nur gefühlte) Erwartungen von unseren Autoritätspersonen (Mutter, Vater, Bezugspersonen). Bis zu einem gewissen Punkt sind diese Aufforderungen durchaus ein hilfreicher Antrieb im Leben. Zum stressbesetzten Antreiber werden sie dann, wenn wir nicht mehr steuern können, ob und inwieweit wir einer Aufforderung nachkommen – wenn die Aufforderung also zum «Selbstläufer» wird. Allgemein bekannt sind vor allem folgende fünf Antreiber:

•Sei perfekt!

•Machs (anderen) recht! Sei gefällig!

•Streng dich an!

•Sei stark!

•Beeil dich!

Falls Sie an sich testen möchten, ob und welche Antreiber für Sie persönlich relevant sein könnten, empfehlen wir Ihnen, sich online zu testen.[19]


REFLEXION
Vielleicht haben Sie den Test ja durchgeführt: Welche Stressoren sind für Sie übermäßig bedeutsam?

Um die eigenen Stressoren zu wissen, ist eine Sache – der Umgang damit eine andere. Dazu können Sie sich fragen, ob und welche Situationen aus Ihrer Kindheit und Jugend Ihnen dazu einfallen.


REFLEXION
Erinnern Sie typische Situationen, in denen genau diese Aufforderung(en) Ihrer Eltern oder Bezugspersonen formuliert wurde(n) oder nonverbal zu spüren war(en)?

Erwachsene haben andere Handlungsoptionen. Vergegenwärtigen Sie sich, dass Sie fremde Erwartungen nicht mehr automatisch und ohne sie zu hinterfragen erfüllen müssen. Heute dürfen Sie sich die Erlaubnis geben, anders zu handeln. Dafür sind die sogenannten Entlastungssätze hilfreich. Für den Stressor «Beeil dich!» könnte der Satz lauten: «Ich darf mir die nötige Zeit für mich nehmen!» Oder: «Ich entscheide, ob und wie sehr ich mich beeile!» Eigene Wünsche, eigene Gefühle, eigene Botschaften ersetzen also nach und nach die Erwartungsformulierungen aus der Kindheit.[20]


REFLEXION
Welcher Erlaubnissatz fällt Ihnen zu Ihrer (Ihren) oben benannten Situation(en)/Stressor(en) ein?

Lehrkräfte berichten, dass die Identifikation eigener Stressoren sehr hilfreich ist, um bewusster damit umgehen und im Unterricht den Stress nicht auf die Schülerinnen und Schüler, sondern auf die eigenen Stressoren zu beziehen.

Eine Kollegin störte sich an einer unglaublich langsamen Schülerin, auf die die ganze Klasse beim Sport, in der Pause, beim Abschreiben usw. warten musste. Sie löste bei ihr ein körperliches Unwohlsein aus. Erst als die Kollegin verstand, dass ihr eigener Antreiber «Beeil dich!» lautete, konnte sie mit dieser Schülerin entspannter umgehen, weil sie sich endlich selbst die Erlaubnis zu mehr Langsamkeit geben konnte.

Ein Kollege geriet immer wieder mit einem sehr weinerlichen Jungen in Konflikt. Dieser verhielt sich in den Pausen sehr zurückhaltend und schüchtern. Wenn andere Kinder ihn hänselten oder schubsten, wandte er sich sofort weinend an den Lehrer – der den Jungen aus Überforderung oft schroff anfuhr, er solle sich doch mal wehren. Auch im Unterricht lief es dann nicht gut mit dem Jungen. Der Kollege identifizierte durch einen Test «Sei stark!» als seinen Stressor. Er musste sich über mögliche Entlastungssätze Gedanken machen, bevor er auf den Jungen mit einer veränderten Haltung zugehen und ihn in seiner Entwicklung unterstützen konnte.


ANKERPLATZ
Eine sichere Führung, die auf Glaubwürdigkeit, Gerechtigkeit, Feinfühligkeit, Selbstvertrauen und fachlicher Kompetenz basiert, vermittelt Vertrauenswürdigkeit. Führen ist nicht er-ziehen; Schülerinnen und Schüler sollen auf etwas hingeführt, nicht hingezogen (gezerrt) werden. Motivation entsteht durch Sinnhaftigkeit, Verstehbarkeit und Machbarkeit. Es ist eine Führungshandlung zu wählen, die dem Reifegrad des jungen Menschen entspricht und situativ angemessen ist. Das Spektrum umfasst delegieren, begeistern, fördern/unterstützen und anweisen. Die eigene Persönlichkeit ist maßgebend für das eigene Führungsverhalten. Es kann hilfreich sein, die persönlichen Stressoren zu identifizieren und die Spiegelung von Schülerverhalten in den eigenen Erwartungen und Ansprüchen zu erkennen. Erst durch die bewusste Reflexion eigener Anteile entspannt sich der Umgang mit Schülerinnen und Schülern.


2 REISEROUTE 2IN DIE EIGENE FÜHRUNGSROLLE FINDEN – SO WIRD MEIN UNTERRICHT AUSSEHEN
Meine FührungsrolleWoran erkennen meine Schülerinnen und Schüler, dass ich es (bereits) umsetze?Das möchte ich entwickelnDiese Schritte brauche ich dazu noch
So lebe ich meine Vertrauenswürdigkeit (Glaubwürdigkeit, Gerechtigkeit, Feinfühligkeit, Selbstvertrauen und fachliche Kompetenz):
Mein Führungsstil ist geprägt durch (Erziehen/Führen, Sinnhaftigkeit, Verstehbarkeit, Machbarkeit …):
Folgende Schülerinnen und Schüler habe ich beim situativen Führungsstil besonders im Blick.1) Delegieren:2) Begeistern:3) Fördern:4) Anweisen:
Diese Stressoren prägen meinen Führungsstil:

3.3Techniken der Klassenführung


ORIENTIERUNGSPUNKTE FÜR DIE REISE
Die «4 P» wirksamer KlassenführungPräsent sein: Achtsamkeit für sich und andere – Unterrichtsfluss – Präventive Strategien•Plausibel sein: Berechenbarkeit – Ehrlichkeit und Authentizität – Rahmensetzung durch Regeln, Routinen und Rituale – Kriteriengeleitete Zielformulierungen für das Arbeits-, Lern- und Sozialverhalten•Prüfen und Prämieren: Führung und Controlling – Vereinbarungs- und Einforderungskultur – Konsequenz statt Strafe – Tokensysteme/positive Verstärkung statt Strafe – Selbstregulation der Lehrkraft•Perspektiven pflegen: Systemische Betrachtungsweise – Inselmodell der Kommunikation – Beziehungskompetenz – Wertschätzung und Resonanz – Steuerungsinstrument Kommunikation

Haltung und Bewusstwerden über die eigene Führungsrolle sind die Voraussetzung für eine wirksame Klassenführung. Zur Umsetzung bedarf es aber auch bestimmter Techniken und Kompetenzen, wie wir sie bereits bei Kounin (Unterrichtskompetenzen) und Evertson (vorausschauende Planung) finden und in Abschnitt 2.1 auf den hier aufgeführt haben. Zur Gliederung haben wir eine Struktur geschaffen, die sich an Aspekten aus der Führungsliteratur sowie an der «neuen Autorität» von Haim Omer orientiert.[21] Vier Schlüsselbegriffe markieren Bereiche, denen fast jede Technik zugeordnet werden kann. Das sind die 4P wirksamer Klassenführung und damit die vier Streifen der Kapitänsuniform.


ABB. 17DIE 4P WIRKSAMER KLASSENFÜHRUNG


ABB. 18PRÄSENT SEIN

Achtsamkeit für sich und andere

Im Raum sein, bewusst sein, beobachten, steuern, andere wahrnehmen, innehalten, sich selbst spüren, wieder auf die Situation schauen, überprüfen, eventuell eingreifen – das heißt Allgegenwärtigkeit und Überlappung bei Kounin.

Herr Maier schließt bereits vor der Zeit die Klassenzimmertüre auf; die Klasse ist noch in der Pause. Er tritt ein, genießt die Ruhe, nimmt die (Un-)Ordnung wahr und beginnt, seinen Platz und seine Materialien herzurichten. – Es gongt zum Unterricht, Herr Maier steht an der Tür und begrüßt jeden und jede einzeln mit einem Kopfnicken, mit ein paar persönlichen Worten, mit einem Hinweis oder etwas Ähnlichem. Die Schülerinnen und Schüler kennen das, deswegen stürmen sie nicht alle herein, sondern kommen der Reihe nach ins Zimmer. Gegebenenfalls bittet Herr Maier die Klasse vor Beginn des Unterrichts, für einen angenehmen Unterrichtsraum zu sorgen und kurz aufzuräumen. – Der Unterricht beginnt, der Lehrer erteilt den Arbeitsauftrag und sieht, dass sich zwei Schülerinnen um ein Mäppchen streiten. Er nähert sich ihnen, ohne die Erklärung zu unterbrechen, und blickt sie an; die Mädchen verstehen das Zeichen und hören auf. – Die Schülerinnen und Schüler arbeiten an ihren Plätzen. Jemand meldet sich mit dem verabredeten Signal (zwei Hände gehen nach oben, um zu signalisieren, dass man nichts zum Unterricht beitragen, sondern ein persönliches Bedürfnis anmelden möchte) und bittet Herrn Maier leise, sich an das offene Fenster stellen zu können, um den heraufziehenden Kopfschmerz einzudämmen. – Der Lehrer wird von einem Schüler für eine Aufgabe zu Hilfe gerufen. Er geht zu ihm hin und unterhält sich in Flüsterlautstärke mit ihm. Hinter ihm beginnen zwei Schüler intensiv zu diskutieren. Die Lehrkraft entschuldigt sich kurz bei dem Schüler, mit dem er spricht, dreht sich um, weist auf die Flüsterlautstärke hin und erinnert an das angrenzende Arbeitszimmer, in dem Diskussionen geführt werden können. Die beiden Schüler nicken, stehen auf und gehen in das Arbeitszimmer. Herr Maier will sich wieder umdrehen, da segelt ein Papierflieger an ihm vorbei. Er verfolgt ihn direkt zurück und gibt dem Bastler zu verstehen, dass er am Ende der Stunde zu ihm kommen soll. Dann dreht er sich direkt wieder zu dem Schüler und bespricht die Aufgabe mit ihm fertig; der Rest der Klasse arbeitet leise, auch die beiden Schüler im Arbeitsraum.

Präsent sein bedeutet, an Bord zu sein, das Geschehen zu überblicken und den Kurs zu halten – so, wie es eine Kapitänin und ein Kapitän auf einem Schiff tun. Sie steuern es mit der Hilfe aller Beteiligten durch alle Wetter und schaffen Bedingungen, unter denen alle Crewmitglieder arbeitsfähig sind. Dieses erste P ist Kompetenz und Haltung zugleich. Schülerinnen und Schüler spüren beides, und ihr Verhalten und Handeln richtet sich danach.


REFLEXION
Wie sehen Sie sich selbst im Unterricht? Wie präsent fühlen und zeigen Sie sich? Wie definieren Sie Präsenz? Wie viel Ruhe liegt in Ihrer Präsenz? Wie viel Klarheit?

Präsent sein heißt für die Lehrkraft auch, die eigenen Bedürfnisse wahrzunehmen und zu vertreten. Und es bedeutet gleichermaßen, anderen ihre Bedürfnisse zuzugestehen und gemeinsame Lösungen zu ermöglichen. Dadurch fühlen sich die Schülerinnen und Schüler anerkannt und gleichwürdig[22] und nehmen im Gegenzug auch die Lehrkraft ernst. Denn: Wie man in den Wald hineinruft, so schallt es zurück. Oder: Druck erzeugt Gegendruck, und Respekt schafft Raum – für alle Beteiligten.

Die Bedürfnisse zu berücksichtigen, ist ein Weg, Veränderung in einer Situation zu ermöglichen, ein Wechsel des Umfeldes ein zweiter.[23] Dieser ist im Klassenzimmer allerdings meist mit einem Gesichtsverlust verbunden. Auf jeden Fall gilt: Solange Sie nur auf der Ebene des reinen Verhaltens bleiben, entwickelt sich die Situation zu einem Verhaltens-Pingpong:

Lehrkraft: «Bitte höre auf zu tuscheln.» Der Schüler hört nicht auf. Lehrkraft: «Wenn du jetzt nicht aufhörst, dann bekommst du eine Strafarbeit.» Der Schüler hört nicht auf. Lehrkraft: «Jetzt bekommst du folgende Strafarbeit!» Der Schüler macht immer noch weiter. Lehrkraft: «Du fliegst gleich vor die Tür.» Der Schüler hört nicht auf. Lehrkraft: «Du verlässt jetzt bitte das Zimmer.»

Wenn der Schüler jetzt reagiert, dann ist die Sache für den Moment erledigt. Diese Umfeldveränderung hat gewirkt. Allerdings ist damit nicht bedacht, wie der Schüler vor der Klasse mit dem erlebten Gesichtsverlust umgeht. Aber was, wenn er sitzen bleibt? Weiter wie gehabt? «Wenn du jetzt nicht hinausgehst, musst du zur Schulleiterin.» Und dann? Ein Perspektivenwechsel liefert in solchen Situationen hilfreiche Ideen für eine Alternative zum immer Gleichen. Die Kurzformel lautet: Nicht mehr desselben, sondern etwas stattdessen.

Im geschilderten Fall könnte die Frage nach dem Bedürfnis des Schülers alle weiterbringen. «Was brauchst du,

•damit du dich jetzt still verhalten kannst?»

•damit du dich wieder am Unterricht beteiligen kannst?»

Damit wird das Verhaltens-Pingpong aufgelöst, das Muster der ermahnenden und maßregelnden Lehrerrolle wird durch gleichwürdiges Interesse aufgelöst. Erfahrungsgemäß fangen Schülerinnen und Schüler auf diese Musterunterbrechung hin wirklich an, darüber nachzudenken, was sie eigentlich brauchen. Schön, wenn dann die Frage wirklich als Musterunterbrechung gedacht und nicht ironisch gemeint ist.


REFLEXION
Spüren Sie Ihre Bedürfnisse während des Unterrichts klar und deutlich? Wie leben Sie Ihre Bedürfnisse im Unterricht?
Benennen auch Schülerinnen und Schüler ihre Bedürfnisse? Inwiefern können sie im Unterricht dafür Lösungen anstreben/vorschlagen/umsetzen? Wie erhalten sie von Ihnen Rückmeldung dazu? Wie weit müssen sie «funktionieren»?

Hier ein Beispiel für die Berücksichtigung der Bedürfnisse von Schülerinnen und Schülern:

Frau Blume beginnt nach der Begrüßung den Unterricht in ihrer Klasse. Eine Schülerin kramt in ihrer Tasche. Die Lehrerin bittet sie, ihre Aufmerksamkeit auf die Stunde zu richten und mit Kramen aufzuhören. Die Schülerin nickt, kramt sofort danach jedoch weiter. In kürzester Zeit entsteht ein Getuschel um sie herum. Frau Blume ermahnt die Schülerin nun ernsthaft. Die Schülerin nickt wieder und kramt weiter. Das Getuschel wird immer intensiver.

Hier hält die Lehrerin inne und fragt die Schülerin: «Was brauchst du, damit du aufhören kannst zu kramen und die anderen abzulenken?» Die Schülerin antwortet sofort und ohne zu zögern: «Ich muss in der nächsten Stunde ein Referat halten, aber alle meine Unterlagen liegen zu Hause, in meinem Ranzen sind sie nicht. Ich muss raus und meine Mutter anrufen, damit sie diese herbringen kann.» Eine Mitschülerin bietet an, sie ins Sekretariat und dann auf den Schulparkplatz zu begleiten und dort mit ihr auf die Mutter zu warten.

Frau Blume nickt, beide Schülerinnen verlassen den Raum. Nun läuft der Unterricht sehr störungsarm weiter. Später kommen die Schülerinnen leise wieder ins Klassenzimmer auf ihre Plätze, die Schülerin hält für alle sichtbar die Unterlagen hoch. Ein kurzer Jubel bricht aus. Dann fädeln sie sich unbemerkt in den laufenden Unterricht ein. Die Lehrerin erfährt in dieser Stunde keine weiteren Störungen mehr.

Hätte die Lehrerin nicht nach den Bedürfnissen der Schülerin gefragt («Was brauchst du, um der Rahmensetzung Genüge tun zu können?»), dann wäre die Stunde sicher anders verlaufen: Vermutlich hätte die Schülerin irgendwann einen Verweis oder eine Strafe bekommen, und die Mitschülerinnen, die ja alle um ihre Not wussten, hätten die Lehrerin als unerbittlich und blöd empfunden und sich in der Stunde entsprechend abweisend verhalten.

Präsenz und Achtsamkeit im Umgang mit sich und anderen brauchen Zeit. Im ersten Beispiel kommt die Lehrkraft schon einige Minuten früher in den Raum. Woher nimmt sie die Zeit?

Sie entscheidet für sich eine Entlastungsstrategie.[24] Natürlich bleibt auch sie gerne im Lehrerzimmer, um die kollegiale Gemeinschaft zu genießen. Mit Kolleginnen und Kollegen bespricht sie sich nach Unterrichtsschluss, das ist an ihrer Schule so geregelt. Sie empfindet den Austausch als bereichernd; so manche Situation kann durch das kollegiale Miteinander entwirrt werden. Gleichzeitig weiß sie, dass ihr diese wenigen Minuten allein im Klassenraum Erleichterung bringen; sie kann mit Ruhe und Gelassenheit starten. Außerdem braucht sie nicht alle 90 Minuten eine Pause und bleibt gern in der Klasse. Ihren Schultag teilt sie in größere Blöcke von nicht nur 90 Minuten, um für ihre Schülerinnen und Schüler besser ansprechbar zu sein.


REFLEXION
Wie finden Sie diese Entlastungsstrategie? Könnten Sie sie in Ihren Schulalltag integrieren?
Welche eigenen Entlastungsstrategien können Sie sich vorstellen, um mit Achtsamkeit und Präsenz im Unterricht zu stehen?

Präsent sein heißt auch im Fluss sein: mit sich und anderen und dem, was im Moment gerade geschieht. Dadurch kommt auch der Unterricht in Fluss. Kounin sagt dazu Reibungslosigkeit und Schwung.

Unterrichtsfluss

Man mag am Schreibtisch einen noch so schönen Lauf geplant haben, in der Stunde fließt der Fluss nicht ungehindert durch sein Bett. Das liegt daran, dass wir alle – zuweilen, ohne es zu merken – Geröll und Gerümpel hineinwerfen, Dämme bauen und stauen. Wenn eine Lehrkraft in der Absicht, Hindernisse und Störfaktoren aus dem Wasser zu räumen, selbst hineinsteigt, wirbelt sie das Wasser oft nur trüb auf. Besser, sie analysiert erst, wodurch sie möglicherweise selbst den Fluss stört, und schafft Abhilfe. Anschließend kann sie mit der Klasse besprechen, wie die verbliebenen Felsbrocken gemeinsam beseitigt und Dämme abgebaut werden können.

Beispiele dafür, wie die Lehrkraft den Fluss selbst hemmt:

a)Sie beginnt den Unterricht, dann fällt ihr der Elternbrief ein, den sie eigentlich noch austeilen muss. Sie unterbricht und bittet die Klasse, sie am Ende der Stunde daran zu erinnern.

b)Die Schülerinnen und Schüler arbeiten still. Die Lehrkraft bemerkt die Unordnung im Klassenzimmer und unterbricht die Stillarbeit mit dem Hinweis, dass die Klasse nicht gut für Ordnung gesorgt hat.

c)Die Lehrkraft will das Arbeitsblatt austeilen und merkt erst jetzt, dass der kopierte Stapel im Lehrerzimmer liegen geblieben ist.

d)Die Lehrkraft möchte mitten im Unterricht eine Powerpoint-Folie zeigen; der PC ist zwar hochgefahren, aber die Datei lässt sich nicht öffnen.

Beispiele dafür, wie die Schülerinnen und Schüler den Unterrichtsfluss stauen:

e)Die Lehrkraft stellt während des Unterrichtsgesprächs eine Frage. Viele Schülerinnen und Schüler melden sich. Die Lehrkraft ruft jemanden auf, der nicht antwortet, sondern fragt, ob er zur Toilette darf.

f)Einzelne Kinder haben ihre Hausaufgaben nicht gemacht, gestehen es aber erst, wenn sie aufgerufen werden, weil sie die Lösung nennen sollen.

g)Eine Schülerin kommt zu spät zum Unterricht, klopft an, bleibt an der Tür stehen und erklärt den Grund ihrer Verspätung.

h)Tischnachbarn reden miteinander, die Lehrkraft weist sie zurecht.

i)Einige Schülerinnen und Schüler haben zu Beginn der Stunde keine Unterrichtsmaterialien auf dem Tisch. Erst auf Aufforderung der Lehrkraft kramen sie in ihren Ranzen und holen langsam alles hervor.

Beispiele für Hindernisse, die sich quasi von außen, durch Drittpersonen oder aus bestimmten Situationen, ergeben:

j)Zwei Minuten vor Stundenende kommt eine Durchsage zur Vorführung der Theater-AG am Abend.

k)Die Lehrkraft will zu Beginn der Stunde den PC hochfahren. Dieser bleibt jedoch ohne Leben, weil der Kollege ein Kabel mitgenommen hat.

l)Zu Beginn des Schuljahres klopft es mitten in der Stunde an der Tür. Eine Vertretung der Schülermitverantwortung (SMV) kommt unangemeldet vorbei, um ihre Arbeitskreise vorzustellen und neue Mitglieder zu werben.

m)Die Lehrkraft öffnet den Klassenraum und stellt fest, dass ein Drittel der Stühle fehlt. Sie wurden am Vorabend in der Aula gebraucht und nicht mehr zurückgestellt.

n)Es fällt der erste Schnee im Jahr, ein Kind weist laut darauf hin, und alle schauen aus dem Fenster.


REFLEXION
Welche Steine gibt es in Ihrem Unterrichtsfluss?
Bitte sortieren Sie diese Steine nach ihrer Herkunft. Wer/Was staut den Fluss, inwiefern wird er–von Ihnen,–von Schülerinnen und Schülern,–von Externen durch bestimmte Gegebenheiten gestört?

Für (fast) jedes genannte Beispiel gibt es Möglichkeiten, wie das Geröll entfernt oder die Störung des Unterrichtsflusses verhindert werden kann. Vieles liegt in der Hand der Schülerinnen und Schüler. Damit sie aktiv werden, braucht es Ideen und Initiativen der Lehrkraft.

Die Lehrkraft …

a)installiert in ihrer Klasse ein Hängeregister. Jedes Kind hat dort ein Fach. In dieses sortiert die Lehrkraft den Elternbrief während einer Stillarbeitsphase ein. Die Schülerinnen und Schüler wissen, dass sie am Ende der Stunde oder des Tages in diesem Fach nach Post sehen müssen. Umgekehrt deponieren sie dort alles, was sie der Lehrkraft abgeben müssen. Diese kann die Fächer während einer ruhigen Unterrichtsphase leeren.

b)legt sich ein leeres Blatt bereit, auf dem sie alle Ideen, die ihr in der Stunde einfallen, notiert. Sie beendet den Unterricht 5 Minuten früher und arbeitet dann mit der Klasse alle Punkte ab.

c)arbeitet an ihrer eigenen Selbstregulation und ändert ihre Kopierstrategie: Alle kopierten Blätter kommen in einen für jede Klasse neu angelegten Ordner. Dieser Ordner muss in jeder Stunde in die Klasse mitgenommen werden oder befindet sich direkt in der Schultasche.

d)Die Lehrkraft kommt einige Minuten vor Unterrichtsbeginn, überprüft die Technik und ist zum Beispiel durch zusätzliche Speichermedien für Pannen gerüstet.

Die Schülerinnen und Schüler …

e)befolgen eine Melderegel: Wer eine Antwort bereit hat, streckt einen Finger/die Hand in die Luft; wer eine Frage stellen möchte, meldet sich mit drei Fingern; wer auf die Toilette möchte, streckt den Daumen heraus. Nach erfolgtem Blickkontakt mit der Lehrkraft (und soweit nicht sonst schon jemand auf der Toilette ist) geht er auf die Toilette (Abbildung 56, hier).

f)halten sich an die klare Regel, dass zu Beginn jeder Stunde alle, die die Hausaufgaben gemacht haben, eine Murmel in ihr Sammelglas legen können (siehe Abbildung 39, hier). Alle anderen verhalten sich ruhig und stören die Hausaufgabenbesprechung nicht. Wenn sie trotz fehlender Hausaufgabe eine Antwort geben können, melden sie sich mit einem Finger; Schüler, die die Hausaufgaben gemacht haben, melden sich mit der ganzen Hand.

g)gehen leise an ihren Platz, wenn sie zu spät zum Unterricht kommen und besprechen mit der Lehrkraft den Grund der Verspätung erst am Ende der Stunde.

h)kennen Präsenz- und Stoppsignale, welche die Lehrkraft als präventive Strategie anwendet, wenn an den Tischen zu viel geredet wird (siehe Abschnitt 3.7).

i)holen zu Beginn des Unterrichts wortlos und zügig alle für die Stunde nötigen Materialien hervor. Damit das funktioniert, verwendet die Lehrkraft (eventuell zusammen mit der Klasse gefertigte) Icons der Unterrichtsmaterialien (Buch, Stift, Geodreieck, Atlas usw.). Direkt vor Unterrichtsbeginn pinnt jemand im Amt der Materialwächterin, des Materialwächters die Icons an die Tafel. Dieses Vorgehen kann auch nur für eine Übergangszeit nach Beginn des Schuljahres vereinbart werden, danach probieren die Schülerinnen und Schüler, ob sie es jetzt ohne Erinnerung selbst schaffen. Falls nicht, wird das Amt neu vergeben und die Klasse wieder für einen weiteren Zeitraum unterstützt (Abbildung 52, hier).

Zu den Fällen j) bis n), hier: Weitere beteiligte, externe Personen und/oder andere Lehrkräfte der Schule …

klären mit der Lehrkraft in resonanten Gesprächen, was vorgefallen ist; gemeinsam suchen sie nach Abhilfe für die auftretenden Hindernisse. Schulorganisatorische Maßnahmen können hier helfen, bestimmte Abläufe zu überdenken und zu verändern. Dazu braucht es einen Austausch in den entsprechenden Gremien (Schulentwicklungsgruppe, Konferenzen usw.). Zu gelingenden Lösungen kann ein solcher Austausch dann führen, wenn an der Schule eine Dialogkultur gelebt wird (siehe Abschnitt 5.2) und die Kolleginnen und Kollegen den Willen und die kollegiale Loyalität erkennen lassen, sich an gemeinsam getroffene Absprachen zu halten und die Folgen des eigenen Handelns mehrperspektivisch zu betrachten. Den Schneefall können Sie natürlich mit den besten kollegialen Absprachen nicht verhindern: Genießen Sie doch einfach die Freude der Kinder und ihre noch erhaltene Fähigkeit zum Staunen und «reframen» (siehe Abschnitt 3.4) und nutzen Sie diese Gelegenheit zu einem gemeinschaftsförderlichen Erlebnis.


REFLEXION
Welche Abhilfen können Sie sich für Ihre Hindernisse vorstellen?Bitte unterscheiden Sie zwischen solchen, die–Ihrer eigenen Verantwortung unterliegen,–eventuell vorhandene Bedürfnisse von Schülerinnen und Schülern oder–wirksame Veränderungen in den schulorganisatorischen Abläufen betreffen:
HindernisseMögliche Abhilfe

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