Kitabı oku: «Der Chor in den Tragödien des Sophokles», sayfa 14

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Was ist damit für die Struktur des Dramas gewonnen? Versuchen wir, die spezifische Wirkung des vorliegenden Dramenbeginns e negativo zu umreißen: Die Konstruktion eines von vorneherein um die Vorgeschichte wissenden Chors hätte sicherlich schneller zu einem Handlungsfortschritt geführt. Nach einer die Geschehnisse der letzten Nacht imaginierenden Par­odos9 hätte ein direkter Auftritt des Prot­agonisten das Geschehen unmittelbar dynamisiert. Im Vergleich dazu wirkt die vorliegende Struktur des Dramas geradezu stationär und mit der Forcierung des bildgewaltigen Prologs und den gedehnten emotionalen Passagen im ersten Epeis­odion mehr auf expressive Bühnenwirkung ausgelegt. Die Konstruktion eines zunächst nur halb informierten Chors gibt dem Dichter zudem die Möglichkeit, die Figur der Tekmessa organisch in das Geschehen einzuführen und mit ihr dem Chor vor dem Auftritt des Haupthelden einen Dialogpartner gegenüberzustellen, mit dem er hinsichtlich seiner Person besonders verbunden ist. Erst die durch Amoibaion und Sprechdialog ausgeführte zweimalige Schilderung der Umstände und Thematisierung des Aias bereitet endgültig den Boden für den (zweiten) Auftritt des Haupthelden und damit den Fortgang der Handlung. Die für ein modernes, handlungsorientiertes Verständnis sich eher schleppend entwickelnde Eingangspassage der Tragödie zeugt so von der besonderen Kompositionsabsicht des Dichters, der einen solchermaßen effektvollen, das Publikum in mehreren Hinsichten überwältigenden Beginn seines Dramas einer rasch vorantreibenden Handlungsentwicklung vorgezogen hat.

Kommos Aias-Tekmessa-Chor (v. 348–429)

Effektvoll gestaltet Sophokles das Erscheinen des Aias als Kulminationspunkt der bis hierher aufgebauten spannungsvollen Erwartung in sich erneut schrittweise:1 Nach dem umfangreichen Monolog Tekmessas (v. 284–330) und einem Doppelvers des Chorführers (v. 331f.) sind zunächst hinterszenische Klagerufe zu hören (v. 333ff.), die schnell als von Aias kommend identifiziert werden. Während der Prot­agonist zunächst zweimal seinem gesammelten Schmerz durch die Klageinterjektionen ἰώ μοί μοι Ausdruck verleiht (v. 336 und 339), daraufhin mit ἰὼ παῖ παῖ (v. 339), wie Tekmessa schließt, seinen Sohn Eurysakes apostrophiert, ruft er in Vers 342f. nach seinem Halbbruder Teukros. Mit den drei klagenden Ausrufen sowie der Frage nach Teukros tritt der wieder zu Sinnen gekommene Aias hier zum ersten Mal in das Bühnengespräch ein; seiner körperlichen, visuellen Präsenz im Bühnengeschehen ab Vers 348 geht so eine akustische Ankündigung voraus.2

In Vers 346 erfolgt schließlich die Öffnung des Bühnengebäudes bzw. das Herausrollen des Ekkyklemas,3 wodurch der Blick auf Aias freigegeben wird und er zum ersten Mal nach dem Prolog wieder auf der Bühne ist. Ausgelöst durch die sicherlich bildmächtig inszenierte Ansicht des Titelhelden inmitten des von ihm angerichteten Blutbades folgt auch hier mit dem zu untersuchenden Kommos ein äußerst emotionaler Formteil, in dem der Prot­agonist ausführlich seine eigene Lage ausleuchtet.

Eine genauere formale Untersuchung des mit über achtzig Versen (347–429) sehr umfangreichen Wechselgesangs soll hier exemplarisch die Komposition eines ausgedehnten Kommos mit drei Beteiligten (Aias, Chor, Tekmessa) verdeutlichen sowie zur Einordnung der Passage hinsichtlich ihres dramaturgischen Wertes beitragen.

Das Amoibaion gliedert sich in drei Paare von Strophe und Gegenstrophe, die jeweils metrisch verschieden komponiert sind. Dabei kommen einzig Aias lyrische, d.h. gesungene Verse zu;4 sein Redeanteil ist zudem der größte: Von den 86 Verszeilen5 entfallen siebzig auf ihn, auf den Chor zehn und auf Tekmessa sechs, wobei Letztere sich iambischer Trimeter bedienen.6

Die einzelnen Verteilungen innerhalb der Strophen sind von ausgeklügelter Komposition, die durch die folgenden Tabellen verdeutlicht werden sollen:


1. Strophe 1. Gegenstrophe
Sprecher Sprecher Verse Metrik
Aias 6 Interjektion + doch./iamb./aeol. Aias 6 Interjektion + doch./iamb./aeol.
Chor 2 iamb. Trimeter Chor 2 iamb. Trimeter


2. Strophe 2. Gegenstrophe
Sprecher Verse Metrik Sprecher Verse Metrik
Aias 4 doch./iamb. Aias 4 doch./iamb.
Tekmessa 1 iamb. Trimeter Chor 1 iamb. Trimeter
Aias 2 iamb. Trimeter + Interjektion Aias 2 iamb. Trimeter + Interjektion
1 iamb. Trimeter Chor 1 iamb. Trimeter
Aias 5 doch./iamb. Aias 5 doch./iamb.
Chor 2 iamb. Trimeter Tekmessa 2 iamb. Trimeter
3. Strophe 3. Gegenstrophe
Sprecher Verse Metrik Sprecher Verse Metrik
Aias 17 Interjektion + doch./iamb. Aias 17 Interjektion + doch./iamb.
Tekmessa 2 iamb. Trimeter 2 iamb. Trimeter

Die durchdachte Symmetrie des Wechselgesangs ist offenkundig. Halten wir einige wichtige Punkte fest: Im Zentrum des Kommos steht Aias mit seinen Ausführungen, die durch Tekmessa oder den Chor meist kurz kommentiert werden, wobei Äußerungen des Entsetzens (v. 354f. u.a.) oder Einhalt gebietende Ausrufe (v. 368, 371, 386 u.a.) überwiegen. In noch höherem Maß als das erste wirkt das dritte Strophenpaar dabei nahezu als lyrischer Monolog, als Arie des Prot­agonisten, die nur noch durch zwei Einwürfe gegliedert wird.11

Wie schlägt sich dabei die Emotionalität der Szene in der sprachlichen Gestaltung nieder? Beachtenswert ist zunächst die Häufung der Interjektionen, durch die in den Versen 333ff. der Auftritt des Aias bereits angekündigt wurde. Innerhalb des Kommos sind sie wirkungsvoll an den Beginn der Strophen (erstes und drittes Strophenpaar) bzw. in deren Mitte (zweites Strophenpaar) gesetzt und leisten so einen nicht unerheblichen Beitrag zur Gliederung der Partie im Einzelnen. Die hinterszenischen Rufe des Prot­agonisten finden so in seinen Äußerungen während des Kommos eine erweiterte Fortsetzung.

Führen wir uns als Beispiel der affektgeladenen Stilisierung der Sprache des Weiteren das dritte Strophenpaar vor Augen: Jeweils durch eine Interjektion und die Anrede unbelebter Entitäten eingeleitet (ἰὼ σκότος, ἐμὸν φάος v. 394 – ἰὼ πόροι ἁλίρροθοι v. 412) kommen besonders wirksame poetische Mittel zur Anwendung: affektvolle Wiederholungen (ἕλεσθʼ ἕλεσθέ με v. 396, πολὺν πολύν με … v. 414 ), rhetorische und an sich selbst gestellte Fragen (ποῖ τις οὖν φύγῃ; ποῖ μολὼν μενῶ; v. 404), Steigerungen und Ausgestaltungen bereits getroffener Aussagen (οὐκέτι μʼ, οὐκέτʼ ἀμπνοὰς ἔχοντα v. 415). Die für uns verlorene Musik der Tragödie wird den Eindruck des Kommos noch verstärkt haben. Dabei ist bemerkenswert, dass die Emotionalisierung der Partie durch die Anwendung starker sprachlicher Mittel ausschließlich in den lyrischen Partien stattfindet und damit im Wesentlichen dem Prot­agonisten obliegt.

Inhaltlich steht für Aias seine Tat und die sich daraus ergebende Entehrung gegenüber den anderen griechischen Kriegern im Mittelpunkt. Wir können die gedankliche Entwicklung der Partie für unsere Zwecke kurz nachvollziehen; da gedankliche und metrische Gliederung einander weitestgehend entsprechen, bietet sich ein rascher Durchgang der einzelnen Strophen an.

Die erste Strophe ist dabei ein einziger Anruf des Prot­agonisten an seine Schiffsleute, in denen er die ihm allein verbliebenen treuen Freunde sieht (ἐμμένοντες ὀρθῷ νόμῳ v. 350): Sie sollten ihn, der gleich einer Welle vom Sturm umhergepeitscht werde, betrachten (ἴδεσθέ μʼ).

Die Gegenstrophe eröffnet eine erneute Apostrophierung der Schiffsmannschaft, in der Aias den einzigen Helfer gegen sein Leiden sieht (μόνον πημονὰν ποιμένων ἐπαρκέσοντʼ v. 360). Die Hauptaussage birgt erneut ein Imperativ: Aias fordert seine Mannschaft auf, ihn zu töten,12 was die Choreuten in ihrer kurzen Antwort (v. 361f.) freilich entrüstet ablehnen.

Ein eindrückliches Bild seines moralischen Falls entwirft der Hauptheld in der zweiten Strophe: Wiederum in direkter Anrede seiner Mannschaft stellt er seine heroischen Qualitäten den Taten der vergangenen Nacht und der damit einhergehenden Entehrung entgegen. Nachdem er daraufhin Tekmessa davon abgehalten hat, sich ihm und der Hütte zu nähern (v. 369), kontrastiert er seine eigentliche Intention mit dem Ergebnis seines Wütens: Die eigentlichen Missetäter (ἀλάστορας v. 373) habe er gehen lassen (μεθῆκα) und sich stattdessen mit dem Blut von Rindern besudelt.

Die zweite Gegenstrophe richtet sich daraufhin ganz gegen Odysseus, der bereits den Schiffsleuten in der Par­odos als Feindbild schlechthin vorschwebte (vgl. v. 148ff. sowie 187ff.): Unter wüsten Beschimpfungen unterstellt Aias ihm, er werde mit Gelächter auf die vorliegende Situation reagieren. Obwohl der Plan, die Heeresführer und Odysseus zu töten, nach dem Eingreifen der Athene gescheitert war und er sich mittlerweile mit dem Ergebnis seines Handelns konfrontiert sieht, hegt Aias, wie die Verse 386ff. zeigen, immer noch konkrete Rachegedanken: Die Anrufung des Göttervaters in Vers 387 eröffnet die Frage, wie Aias nach vollbrachter Tötung seiner Gegner (ὀλέσσας v. 390) schließlich den eigenen Tod finden könne (πῶς […] τέλος θάνοιμι καὐτός v. 391).

Das dritte Strophenpaar konzentriert sich daraufhin ganz auf die bereits evozierte Todesthematik. Aias ruft die Unterwelt an, ihn als Bewohner aufzunehmen (v. 396f.), da er selbst nicht mehr würdig sei, Götter oder Menschen zu sehen. Ihn martere die „wehrhafte Tochter des Zeus“, d.h. Athene; zudem bestehe die Möglichkeit, dass das ganze, von den beiden Atriden geführte (δίπαλτος) Heer ihn auf Grund seiner entehrenden Tat töte (v. 408f.).

Die dritte Gegenstrophe schließlich stellt die Apostrophierung der unmittelbaren Umgegend des Handlungsraums dar: Aias bekundet in direkter Ansprache an die Natur, dass diese ihn bereits lange Zeit vor Troia festgehalten habe, er allerdings schon jetzt nicht mehr er selbst sei und kein „Atmen“ mehr besitze (οὐκέτʼ ἀμπνοὰς ἔχοντα v. 416f.), d.h. nun bereits eigentlich nicht mehr lebe. Ein erneuter Anruf des Skamander wandelt den Gedanken daraufhin leicht ab: Unter keinen Umständen13 werde der apostrophierte Fluss „diesen Mann“ (ἄνδρα τόνδʼ v. 420f.), d.h. Aias mehr lebend sehen – Aias, der mit keinem der übrigen Griechen vor Troia verglichen werden konnte. Nun aber, so sein hoffnungsloses Fazit, sei er vor aller Augen solchermaßen entehrt (ἄτιμος ὧδε πρόκειμαι v. 426f.).

Die gedankliche Entwicklung der Partie schlägt einen motivischen Bogen, der alle bisher thematisierten Aspekte des Dramas aufnimmt und aus der Sicht des Prot­agonisten einem Ziel zuführt. Dabei werden die einzelnen Themen und Motive nicht der Reihe nach abgehandelt, sondern durch Wiederaufnahmen und Parallelen zu einem umfangreichen Panorama verknüpft: Während die erste Strophe vor allem als Bündelung der Aufmerksamkeit auf den Prot­agonisten und seinen Auftritt fungiert, entfaltet bereits die erste Gegenstrophe das viru­lente Todesmotiv (v. 361), das in der zweiten Gegenstrophe wiederholt wird (v. 391) und in der Anrufung der Unterwelt (v. 393ff.) sowie den Versicherungen gegenüber der Natur (v. 416ff.) innerhalb des dritten Strophenpaares seine Klimax erfährt. Solchermaßen gerahmt bildet die Kontrastierung der heroischen Vergangenheit gegenüber der ehrlosen Gegenwart den Gegenstand der zweiten Strophe, die Auseinandersetzung mit den Gegnern den der entsprechenden Gegenstrophe. Beide Motive klingen daraufhin im dritten Strophenpaar erneut an (v. 423ff. sowie 408 und 420).

Dabei obliegt die motivisch-thematische Arbeit innerhalb der Partie ganz dem Prot­agonisten.14 Gegenüber den lyrischen Äußerungen des Aias sind die Kommentare und kurzen Antworten des Chors und Tekmessas von völlig untergeordneter Bedeutung: Die Versicherung an Tekmessa, „im Übermaß Zutreffendes“ vorhergesagt zu haben (v. 354f.), legt Zeugnis von der Überraschung des Chors ab, bleibt aber darüber hinaus wenig konkret; die Mahnungen an Aias, nicht durch weiteres Übel das bisher eingetretene zu vergrößern (v. 362f.) bzw. sich seines Verstandes zu bedienen (v. 371), sind formal und inhaltlich konventionell, wohingegen sich die Einwürfe in den Versen 377f.15 und 383 als geradezu nichtssagend erweisen. Die Schlussverse des Chors (v. 428f.) verbalisieren zwar sinnfällig die Ratlosigkeit der Schiffsleute, entbehren sonst allerdings jeder spezifischen Konnotation. Besondere Aufmerksamkeit verdient in diesem Zusammenhang einzig die im eigentlichen Sinne sympathische Bemerkung Tekmessas, die in Vers 393f. ihrer tiefen Verbundenheit mit Aias Ausdruck verleiht und angibt, sich im Falle seines Todes den eigenen Tod zu wünschen. Das Todesmotiv als prägender thematischer Grundton der gesamten Partie wird hier in der Äußerung der zentralen Nebenrolle gespiegelt. Dass die Einwürfe weiterhin auf Aias keinen Einfluss haben, er vielmehr unbeirrt mit seinen Ausführungen fortfährt,16 ist sinnfälliger Ausdruck der geradezu monologischen Gesprächsstruktur der Partie.17

Tekmessa und der Chor sind so zwar am Amoibaion beteiligt, vertreten aber keine besonders profilierte eigene Position, die es erlauben würde, von ihnen als wirklichen Mitspielern zu sprechen. Sie sind vielmehr im Wesentlichen Folie und Resonanzboden der Emotionalität des Prot­agonisten; gerade die teilweise nichtssagenden Aussagen des Chors gehorchen dabei ausschließlich dramaturgischen Maßgaben. Anders gesagt: Während der Chor in der Par­odos seine dezidiert eigene Ausdeutung der Lage gab, sich dabei im Verhältnis zu Aias positionierte und so eine eigene Stellung zum Geschehen einnahm, befindet er sich an unserer Stelle nunmehr ausschließlich in dramaturgischer Abhängigkeit vom Prot­agonisten und etabliert keine eigene Sicht der Dinge.

Machen wir uns also zusammenfassend klar: Sophokles gestaltet die vorliegende Partie als besonders effektgeladene und emotionsreiche Szene, die in geschickter Umkehrung formaler Prinzipien den Haupthelden in den Fokus der Aufmerksamkeit stellt: Ausdeuter der Situation ist dabei Aias selbst, dem Tekmessa und der Chor als Resonanzboden seiner Äußerungen gegenübergestellt sind. Dass gerade ihm dabei die lyrischen Verse zukommen, er im letzten Abschnitt der Partie zudem fast ungestört singt und sich auch trotz der Einwürfe kein wirklicher Austausch zwischen den Beteiligten entwickelt, ist eine besonders wirkungsvolle Verkehrung möglicher Erwartungen.18

Welche dramaturgische Funktion nimmt diese Passage im Ablauf der Tragödie ein? Der analysierte Klagegesang inszeniert den ersten Auftritt des Haupthelden, nachdem er aus seinem Wahn erwacht ist, als besonders effektvollen und emotionsgeladenen Moment. Die Schiffsmannschaft sieht sich nun mit ihrem Herrn konfrontiert, der von Anfang an den Mittelpunkt ihrer Reflexionen ausgemacht hatte. Betrachten wir den stetig ansteigenden Grad an Pathos in den vorangegangenen lyrischen Partien, so erscheint unsere Passage geradezu als Gipfel einer auf dieses Ziel hin komponierten Bewegung. Mit dem erneuten Auftritt des Aias schließt so ein erster dramaturgischer Großabschnitt, der von der Sorge des Chors und der schrittweisen Aufdeckung der Geschehnisse bestimmt war. Auch inhaltlich greift der Wechselgesang, wie bereits gesehen, die Themen und Aspekte des vorangegangenen Abschnitts auf und führt sie in der direkten Auseinandersetzung mit dem Haupthelden und seinen eigenen Äußerungen einem (vorläufigen) Abschluss entgegen. Indem der Dichter so in der Person des Aias alle thematischen und motivischen Fäden zusammenführt, macht er die zentrale Stellung des Haupthelden innerhalb des dramatischen Geschehens und der dramaturgischen Komposition unmissverständlich deutlich: Erst seine Erscheinung bündelt alle vorangegangenen Reflexionen und stößt die eigentliche Handlung erneut an.

Ins Auge fällt bei der dramaturgischen Eingliederung des Kommos in das Ganze des Dramas ein weiterer Aspekt: Das erste Epeis­odion erstreckt sich vom Ende der Par­odos (v. 201) bis zum Beginn des ersten Standliedes (v. 596) über annähernd 400 Verse und erreicht so eine gewaltige Ausdehnung. Der analysierte Kommos nimmt innerhalb dieses Epeis­odions die Mitte ein und trennt sowohl formal durch den Auftritt eines weiteren Schauspielers als auch thematisch zwei ähnlich lange Abschnitte (v. 201–347: 146 Verse sowie v. 430–595: 165 Verse). Das erste Epeis­odion erreicht so im Auftritt des Aias und seiner lyrischen Auseinandersetzung mit Tekmessa und dem Chor sein thematisches Zentrum, das wiederum selbst die Überleitung zum folgenden Abschnitt darstellt. Der umfangreiche Kommos erfüllt damit in gewisser Weise die Funktion eines Stasimons, indem er Vorhergegangenes abschließt und das Kommende einleitet. Die geschickte Komposition des Dichters ermöglicht es, den Übergang zu einem neuen dramaturgischen Großabschnitt – der mit dem Selbstmord des Prot­agonisten enden wird – in thematischer und formaler Stringenz mit dem Vorangegangenen zu verbinden. Gerade die virulente Todesthematik der beinahe solistischen Äußerungen des fest entschlossenen Prot­agonisten im dritten Strophenpaar entfalten eine ungeheure dramaturgische Sogwirkung. Sie lassen den antiken, mit dem Mythos vertrauten Rezipienten den Tod des Aias bereits antizipieren. Dass allerdings nach dem Prolog und der Vorführung des wahnsinnigen Helden sowie seinem zweiten, von emotionaler Klage und Pathos bestimmten Auftritt inmitten des von ihm angerichteten Blutbades eine dritte drastische und bildgewaltige Szene den Selbstmord des Prot­agonisten inszenieren wird, ist einem mit den Bühnenkonventionen seiner Zeit vertrauten Publikum noch nicht bewusst. Mit unserem Kommos erreicht so das Stück seinen vorläufigen und aus Sicht des Rezipienten nicht zu überbietenden Höhepunkt an drastischer Bühnenwirkung.

Nicht so ausführlich soll der folgende Teil des ersten Epeis­odions (v. 430–595) untersucht werden.19 Formal gliedert sich die Szene in drei ausgedehnte Monologe (Aias v. 430–480, Tekmessa v. 485–524 und wiederum Aias v. 545–582), wobei sich zunächst eine stichomythische Partie (v. 525–544), schließlich eine teils antilabische Passage anschließt (v. 591–595). Dem Chor fällt dabei nur eine moderierende Rolle zu; seine Äußerungen beschränken sich – ähnlich wie im Kommos – auf abwehrende oder zur Vernunft rufende Einwürfe (v. 481–484; 525f. und 583f.).

Das Publikum wird dabei im Lauf der Szene Zeuge, wie Aias nach einem Ausweg aus seiner entehrenden Lage sucht, den eigenen Tod in Erwägung zieht und schließlich die ersten Vorbereitungen seines bevorstehenden Selbstmords trifft. Es ist hier nicht der Ort, in den Monologen des Aias nach den Beweisen seiner festen Entschlossenheit zu suchen.20 Bereits die Aussagen des Haupthelden im Kommos (vgl. v.a. drittes Strophenpaar) haben meines Erachtens deutlich gezeigt, dass Aias seinen eigenen Tod fest vor Augen hat. Seine Ausführungen im zweiten Teil des ersten Epeis­odions wirken demgegenüber geradezu als in ihrer Emotionalität gedrosselte Rekapitulation des bereits erreichten Zustands unumstößlicher Gewissheit.

Die emotionale Szene, in deren Verlauf Eurysakes auf Aiasʼ eigenes Geheiß mit den Taten des Vaters konfrontiert wird (v. 545ff.) und der Prot­agonist im Folgenden jede Nachfrage nach seinen Plänen schroff zurückweist (v. 586), erhält so ihre dramatische Spannung aus einem Ungleichgewicht: Während dem Publikum – bald aus Kenntnis des Mythos, bald aus den Äußerungen des Prot­agonisten selbst – der bevorstehende Tod des Aias bereits vor Augen steht, entzieht sich diese Aussicht dem Erfahrungshorizont der anderen am dramatischen Geschehen Beteiligten völlig: Weder für Tekmessa noch für den Chor ist ein Selbstmord des Helden denkbar. So stehen in einer ähnlichen Situation wie nach dem Prolog unwissende und rätselnde Personen einem informierten Publikum gegenüber.

Das lange erste Epeis­odion schließt mit der nach Fortsetzung drängenden Entschlossenheit des Prot­agonisten, durch dessen Andeutungen zu Tod und Selbstmord die Handlung wieder in Gang gekommen ist. Zum zweiten Mal nach dem Prolog herrscht unter den Angehörigen des Aias sorgenvolle Ungewissheit über das weitere Schicksal des Helden, nachdem sich die anfängliche Spannung durch den emotionalen und drastischen Auftritt des Haupthelden gelöst hatte. Mit der noch wirkmächtigeren Abfolge von zweitem Stasimon (v. 693–718), sorgenvollem Gespräch zwischen dem Boten, Tekmessa und dem Chor (v. 719–814) sowie dem Wiederauftritt des Chors nach dem Selbstmord des Aias (v. 866–960) wird auch dieser Spannungsbogen sein Ende finden.

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