Kitabı oku: «Der Chor in den Tragödien des Sophokles», sayfa 19

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Zusammenfassung

Die bestimmenden Aspekte der kleinteiligen Analyse des Dramas sollen im Folgenden zusammengefasst werden. Im Besonderen müssen dabei die Rollenidentität des Chors, seine Einbindung in das Personenspektrum, die Art der chorischen Reflexion sowie deren dramaturgische Funktionalisierung betrachtet werden.

1. Hinsichtlich des in der Einleitung skizzierten Spektrums I (der Chor als kollektive dramatis persona) lässt sich Folgendes festhalten. Mit dem Chor der an den Kriegshandlungen vor Troia unmittelbar Beteiligten ist zunächst der genuin soldatische Kontext der Tragödie umrissen: Der Chor spiegelt und komplettiert den personellen Rahmen des Geschehens, indem in ihm der Sphäre der heroischen Heerführer die Perspektive der einfachen Soldaten gegenübergestellt ist.

Die Konzeption der Rollenidentität des Chors zielt dabei ganz auf den Haupthelden der Handlung: Die salaminischen Schiffsleute bilden die Mannschaft des Aias, sind ihm in jeder Beziehung subordiniert und von ihm abhängig. Solchermaßen ganz in die Handlung integriert nimmt der Chor im Personenspektrum eine fest umrissene Funktion ein: Gemeinsam mit Tekmessa bilden die Choreuten die Angehörigen des Aias. Ihrem Herrn stehen die Schiffsleute dabei mit herausgehobener Loyalität gegenüber: Da sein Wohlergehen sowie die ihm gerade auch von Seiten der anderen griechischen Feldherren entgegengebrachte soziale Achtung unmittelbaren Einfluss auf die Lebenssituation der Choreuten haben, nehmen sie an der Krise des Haupthelden besonderen Anteil. Bereits in der Par­odos gilt ihre Sorge so der Wiederherstellung des Zustands vor der Wahntat, von der die Choreuten allerdings keine genaue Kenntnis besitzen. Die scheinbar gute Lösung der problematischen Situation, wie sie Aias in seiner Trugrede vorzubringen scheint, ist daraufhin Anlass des exaltierten Jubelliedes (zweites Stasimon), vor dessen Hintergrund sich die Verzweiflung der Epipar­odos besonders deutlich abzeichnet.

Der ganz der inneren Logik des Stücks gehorchende Abtritt und Wiederauftritt der Schiffsleute demonstriert zudem die ausgesprochen enge Verzahnung des Chors als dramatis persona mit dem Handlungsgefüge: Aiasʼ Mannschaft fühlt sich soweit für ihren Herrn verantwortlich, dass sie an der Rettungsaktion aktiv teilnimmt.

Das Verhältnis zwischen Chor und Bezugsperson ist dabei in besonderer Weise von Nähe und Distanz geprägt. So kommt es ungeachtet der engen Zugehörigkeit zu bzw. Abhängigkeit von Aias einzig im Amoibaion der Verse 348ff. zu einer direkten kommunikativen Begegnung zwischen den Schiffsleuten und ihrem Herrn, der dem Chor dabei mit großer Sympathie entgegentritt (vgl. die Anrede der Schiffsmannschaft als φίλοι v. 349). Wie gezeigt wurde, bleibt die Position des Chors in dieser Passage allerdings völlig konventionell; von einem wirklichen Austausch zu sprechen, fällt angesichts der ungleichen Gesprächsverteilung sowie der klaren Funktionalisierung der teilweise nichtssagenden chorischen Aussagen schwer. Die vor allem in den beiden Tragödien mit Frauenchören (Elektra und Trachinierinnen) bedeutsame Gesprächssituation Prot­agonist-Chor ist darüber hinaus selbst an dieser Stelle nur in Ansätzen wirklich realisiert, da Aias neben dem Chor auch Tekmessa gegenübersteht. Die den reinen Austausch Prot­agonist-Chor1 (bzw. Bezugsperson-Chor2) ansonsten prägende Intimität wohnt allerdings auch der vorliegenden Szene zu einem gewissen Grad inne: Die forcierte Absetzung dieses ‚Wir‘ gegenüber den als feindlich eingestuften ‚Anderen‘ (Atriden und Odysseus) konstituiert auf Basis eines besonderen Zusammengehörigkeitsgefühls geradezu einen Schutzraum, in dem der Austausch untereinander von äußeren Einflüssen ungestört ablaufen kann. Erst nach dem Tod des Aias wird dieser besondere Kommunikationsraum durch das Auftreten der ‚Gegner‘ geöffnet. Damit geht freilich zugleich die spezielle Intimität der Gesprächssituation(en) des ersten Teils der Tragödie verloren.

Tekmessa ist zudem innerhalb des ersten Epeis­odions Aiasʼ eigentliche Gesprächspartnerin, wohingegen die Bemerkungen des Chors (v. 481ff., 525f., 583ff.) zwar teilweise an Aias selbst gerichtet sind, allerdings keine ausgreifende Kommunikation zwischen den beiden initiieren. Eine besondere Form dieser in sich gestörten Kommunikation zwischen dem Prot­agonisten und dem Chor ist freilich die von Aias bewusst lancierte Trugrede, die bei seiner Mannschaft die gewünschte Wirkung nicht verfehlt.

Mit Teukros übernimmt die von Aias selbst dazu bestimmte Person nach dem Selbstmord die Verantwortung für die Schiffsmannschaft; zu einem nennenswerten Austausch zwischen ihm und dem Chor kommt es dabei allerdings auf Grund der starken Fixierung des Chors auf den Haupthelden nicht.

Weniger distanziert als das Verhältnis des Chors zum Haupthelden ist die Relation zu Tekmessa, mit der die Schiffsleute die Sorge um Aias sowie ein vergleichbarer subordinierter Stand3 verbindet. Sie ist dementsprechend die eigentliche Gesprächspartnerin des Chors: Mit ihr treten die Schiffsleute nach dem Auftritt in lebendigen Austausch, von ihr erfahren sie Details bezüglich des Geschehens der unmittelbaren Vergangenheit. Die Reinszenierung dieser Gesprächssituation im Anschluss an die Epiparodos markiert zudem den Beginn des zweiten Teils der Tragödie.

Der Dichter nutzt diese Konstellation einer weiblichen Person als kommunikativem Hauptpartner des männlich-soldatischen Chors zur Einbindung besonders emotionaler Szenen: Während so der Chor der Schiffsleute das männlich-soldatische Moment der Handlung repräsentiert, symbolisiert Tekmessa (samt ihrem Sohn) vor allem die familiäre Dimension. Dieses Neben- und Miteinander der unterschiedlichen Sphären innerhalb der engsten Angehörigen des Haupthelden ermöglicht es, ein besonders breites Spektrum verschiedener Reaktionen, Ausdeutungen und Perspektiven abzudecken.

Bestimmendes Moment des chorischen Selbstverständnisses im ersten Teil der Tragödie ist zudem, wie bereits angesprochen, die Abgrenzung gegenüber Odysseus und den Atriden, die den Schiffsleuten als regelrechte Feindbilder vor Augen stehen (vgl. v. 148ff.). Diese Kontrastierung verliert allerdings nach dem Selbstmord des Haupthelden an Schärfe: In den Agonszenen zwischen Teukros und den Atriden ruft der Chor so beiderseits zur Mäßigung auf (gegenüber Menelaos v. 1091f., gegenüber Teukros 1118f., sowohl gegenüber Agamemnon als auch Teukros v. 1264), er setzt in Odysseusʼ Ankunft am Ort besondere Hoffnung (v. 1316f.), und lobt schließlich dessen erfolgreiches Eingreifen (v. 1374f.).

2. Ein Blick auf die Inhalte der chorischen Reflexion soll die Einordnung in das zweite Spektrum (Reflexionsstrategien) ermöglichen. Thematisch kreisen die chorischen Partien um zwei maßgebliche Bezugspunkte: die Gestalt des Haupthelden sowie die mit ihm aufs engste verknüpfte eigene Lage der Choreuten. Bereits die Par­odos mitsamt der ihr vorgeschalteten anapästischen Verse demonstriert diese Bipolarität, wenn der Chor gleich zu Beginn sein eigenes Wohlergehen an das seines Herrn knüpft (v. 136) und im Folgenden das Verhältnis von Großen und Kleinen reflektiert (v. 158ff.).

Die Thematisierung von Aiasʼ (mentaler) Verfassung ist dabei zugleich Fluchtpunkt und thematisches Zentrum der Lieder, um das herum sich die Imagination der den Chor betreffenden Auswirkungen gruppiert. Den drei Stasima entsprechen dabei die drei Zustände des Haupthelden, die dem Chor jeweils Anlass geben, die eigene Lage und damit die dramatische Situation zu bewerten: Das erste Stasimon stellt die Konsequenzen des Wahns dar (v. 611), das zweite nimmt die vorgebliche Gesundung des Helden in den Blick (v. 706), das dritte verarbeitet Aiasʼ Tod (v. 1214f.) und die sich daraus ergebenden Folgen. Diese passgenaue, inhaltlich an (vermeintlichen) Wendepunkten der Handlung orientierte Verortung der Stasima lässt die chorische Reflexion den Handlungsfortschritt aus der Perspektive des Chors als einer im Geschehen verorteten dramatis persona abbilden.

In den drei Stasima des Stücks entwirft der Chor dabei auf Basis des zum entsprechenden Zeitpunkt erreichten Handlungsstands jeweils ein Panorama der Situation. Die drei Lieder unterscheiden sich dementsprechend hinsichtlich ihres grundsätzlichen Reflexionszugangs kaum: Sie bieten umfassende Ausleuchtungen der für die Schiffsleute zentralen Momente des Geschehens unter besonders prominenter Selbstverortung des Chors. In allen drei Partien umfasst dieser chorische Blick auf das Geschehen mehrere Zeitebenen, wobei dem ersten und dritten Stasimon zudem die damit verbundene räumliche Dimension „Heimat – Fremde“ eingewoben ist, während das zweite Stasimon ganz das dramatische Hier in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit stellt.4

Wesentliches strukturelles Moment der Lieder ist dabei die visualisierend-imaginierende Gegenüberstellung der verschiedenen zeitlichen und räumlichen Sphären: So kontrastiert das erste Stasimon sowohl Salamis mit Troia (erste Strophe), als auch Aiasʼ glorreiche Vergangenheit mit seinem momentanen Zustand (erste Gegenstrophe), das zweite Stasimon die leidvolle Vergangenheit mit der unmittelbar angebrochenen positiven Gegenwart, das dritte Standlied die Freuden der Heimat mit der Unwirtlichkeit des Krieges sowie die vormalige Schutzfunktion des Aias gegenüber seinen Soldaten mit seinem jetzigen Zustand. Der visualisierend-imaginierende Reflexionszugang wird dabei besonders konsequent verfolgt: Selbst die Beschäftigung mit dem Phänomen „Krieg“ im dritten Stasimon ist in der Verfluchung des Kriegslehrers sowie der konkret ausgemalten Entbehrungen besonders anschaulich gestaltet.

3. Einen umfassenden, das eigentliche Geschehen übersteigenden Deutungsrahmen, vor dessen Hintergrund die Handlung durch die Choreuten eingeordnet würde, entfalten die chorischen Partien nur in Ansätzen (Spektrum III). Besonders auffällig ist, dass die Ausdeutung des Geschehens unter theologisch-personifizierenden Vorzeichen im Lauf der Tragödie an Bedeutung verliert. Dass Aiasʼ Wahn göttlichen Ursprungs sein muss, steht für die Schiffsleute dabei außer Frage (v. 184f.): So stellen die Choreuten in der Par­odos noch Spekulationen an, welche konkrete Gottheit für den außerordentlichen Geisteszustand des Haupthelden verantwortlich sein könnte (v. 172ff.); ihre Bitte um die Abwehr böser Nachrede richten sie dementsprechend auch an Zeus und Apoll (v. 185f.). Auch im ersten Stasimon wird Aiasʼ Manie noch dezidiert als „göttlich“ bezeichnet (v. 611), wobei dem Chor allerdings keine konkrete Gottheit als Verursacher mehr vorschwebt. Der enthemmte Gefühlsausbruch des zweiten Stasimons ist dagegen eine Aufforderung an Pan, den „Tanzmeister der Götter“, den freudigen Reigen anlässlich der Genesung des Helden anzuführen (v. 694ff.), sowie an Apoll, dem Chor beizustehen (v. 703ff.). Für die spontane Gesundung des Helden machen die Schiffsleute dabei in nicht weiter ausgeführter Weise Ares verantwortlich (v. 706).

Weder in der Epiparodos noch im dritten Stasimon sind die Erwähnungen göttlicher Mächte dagegen von besonderer inhaltlicher oder struktureller Bedeutung; anders gesagt: In der Beschäftigung mit dem Tod des Aias und der sich daraus ergebenden Situation spielt für den Chor göttliches Handeln keine erwähnenswerte Rolle mehr. Stattdessen stehen die den Chor persönlich betref­fenden Konsequenzen der dramatischen Situation im Mittelpunkt der Ausleuchtung.

Die am Beginn der Tragödie prominente theologisch-personifizierende Ausdeutung eröffnet so keinen Deutungsrahmen, der für die Sicht des Chors auf das Geschehen im Ganzen prägend wäre.

Als durchgängiger Maßstab der Ausdeutung und Bewertung des Geschehens dient den Schiffsleuten dagegen vielmehr die eigene, von den jüngsten Vorgängen um Aias in meist negativer Weise affizierte Lage: Wesentliches Merkmal der Ausdeutung ist dementsprechend das In-Beziehung-Setzen der eigenen chorischen Person zum aktuellen Bühnengeschehen, d.h. die Selbstverortung des Chors in der dramatischen Situation sowie der aus ihr abgeleiteten Folgen.

Der chorischen Reflexion liegt so ein dem Drama sowie der Rollenidentität des Chors immanenter Bezugsmaßstab zu Grunde, anhand dessen das Handlungsgeschehen ausgedeutet wird. Eine Einordnung in einen Kontext, der den durch die Handlung bzw. die Personenkonstellation gegebenen Rahmen übersteigt, findet dabei nicht systematisch statt.

Den durch seine eigene Einbindung in die dramatische Situation abgesteckten Rahmen verlässt der Chor dabei einzig in der Imagination der Eltern des Helden im zweiten Strophenpaar des ersten Stasimons. Diese Öffnung der Reflexion über den unmittelbaren Bezugsrahmen der Handlung hinweg ist dabei, wie gezeigt wurde, als tragisch-ironische Andeutung des bevorstehenden Todes des Helden klar funktionalisiert. Dagegen ist der Selbstbezug des Chors am Ende des Stücks von so bestimmendem Einfluss, dass die das Bühnengeschehen prägende Bestattungsthematik im dritten Stasimon keine Verarbeitung findet.

Während die chorische Reflexion so zu Beginn der Tragödie eine etwas weitere Perspektive einnimmt, die sowohl göttliches Handeln als auch die Weitung des eng begrenzten Personenspektrums umfasst, konzentriert sich der Blick des Chors mit dem Fortgang der Handlung mehr und mehr auf sein Kernthema: das Verhältnis zwischen ihm und Aias bzw. die Auswirkungen der Handlung auf die Situation des Chors selbst.

4. Bei der Analyse der Tragödie ist klar geworden, dass die Person des Aias das Zentrum der Tragödie, die Achse der ganzen Komposition und das eigentliche movens der Handlung darstellt.5 Die Dramaturgie der Tragödie ist geradezu auf den Prot­agonisten ausgerichtet: Seine Taten bilden den Ausgangspunkt der dramatischen Entwicklung, sein Auftreten bringt die Handlung (wieder) in Gang, seine Person steht auch nach seinem Tod thematisch im Mittelpunkt der Ausführungen des zweiten Teils der Tragödie.

Was lässt sich demgemäß zur dramaturgischen Funktionalisierung der Chorpartien (Spektrum III) festhalten? In ihrem durchgängigen Bezug auf den das Geschehen maßgeblich prägenden Haupthelden sowie das Verhältnis zwischen dem Helden und seiner Mannschaft werden die Chorlieder geradezu zum Spiegel der eigentlichen Handlung aus Sicht der Schiffsleute. Aias, der Zentralpunkt der Handlung, rückt so nie aus der Perspektive der Rezipienten, sondern bleibt auch in den Chorliedern immer präsent. Neben der durch ihn aktiv bestimmten Bühnenhandlung erlauben es die Chorpartien, die Auswirkungen seines Handelns auf andere zu fassen; die chorische Ausdeutung komplettiert so das Bild des Helden auch über dessen Tod hinaus. Der Chor und seine Reflexion dienen dementsprechend geradezu als Folie, auf der sich die Singularität des Haupthelden besonders wirkungsvoll abzeichnet.

Die Reflexion des Chors ist so im Wesentlichen fokussierend funktionalisiert: In ihrer Bezugnahme auf Aias spiegelt sie die entscheidende Person der Handlung und bündelt die Aufmerksamkeit auf dieses zentrale Moment des Geschehens.

5. In ihrer Bezugnahme auf die konkreten Änderungen des (mentalen) Zustands des Haupthelden folgen die chorischen Partien dem Geschehen weitestgehend linear. Neben die drei Stasima treten dabei mit der Par­odos und der Epiparodos sowie dem Kommos unter Beteiligung des Prot­agonisten weitere (teilweise) chorische Partien, in denen zentrale Szenen des Handlungsverlaufs ausgeleuchtet werden.

Mit der Bezugnahme des dritten auf das erste Stasimon, d.h. im Besonderen der Beantwortung der Salamis-/Athen-Motivik durch den Wunsch, den Ort des dramatischen Geschehens zu verlassen (v. 596ff. und 1217ff.), ist dem chorischen Nachvollzug der Handlung allerdings ein das Drama rundender Aspekt einbeschrieben. Die vor dem Hintergrund der kultisch-politischen Einbindung der Tragödienaufführung besonders bedeutsame Athen-Motivik bildet so eine Klammer, die die Einheit der vorliegenden Tragödie auch über die bewusste Zweiteilung gewährleistet.

Die Zusammenfassung hat gezeigt, wie sehr die Struktur der Tragödie den Einsatz des Chors bedingt und dieser wiederum als Werkzeug des Dichters fungiert, um ein dramaturgisch konsistentes Ganzes zu formen und mit der Sonderstellung des Prot­agonisten ein Hauptmotiv der Handlung deutlich zu machen. Die thematische Fixierung des Chors auf Aias, die enge motivische Anbindung der Chorlieder an die gegenwärtige dramatische Situation sowie der offensichtliche Einsatz emotionaler und bühnenwirksamer Effekte im ersten Teil der Tragödie bündeln die Aufmerksamkeit auf das dramatische Geschehen selbst.

Im Vordergrund des dramatischen Interesses steht die monopolare Handlung, die sich im Bereich der Charaktere um die eine Zentralfigur, in der Anordnung der Formteile des Dramas um die zentrale Selbstmordszene in der Mitte der Tragödie gruppiert. Dabei kommt dem Chor nicht die Funktion zu, die Handlung durch Reflexionen zu kontextualisieren. Er fungiert vielmehr als Folie für den Charakter des Prot­agonisten und dient dazu, die Perspektive auf die Handlung und das eigentliche Geschehen zu fokussieren, sowie dem Bühnenstück auch über den bewussten Bruch hinweg thematisch-motivische Geschlossenheit zu verleihen. So hat gerade die Betrachtung der chorischen Binnengliederung gezeigt: Der Aias zerfällt nicht in zwei Teile, er ist vielmehr geradezu konzentrisch in zwei vielfältig aufeinander Bezug nehmenden Teilen um eine zentrale Figur und eine zentrale Szene, den Todesmonolog des Prot­agonisten, komponiert.6

3. Gesamtschau zu den Chören wehrfähiger Männer: Abhängigkeit, Imagination, Fokussierung

Bereits die der Interpretation des Aias vorangestellte Einleitung hat einige Gemeinsamkeiten der in Rede stehenden Tragödien aufgelistet. Darauf aufbauend sollen die folgenden Ausführungen in aller Kürze einige grundlegende Momente der Chorführung der beiden Stücke entfalten und sie im Rahmen der in der Einleitung eröffneten Spektren einordnen.

Als Gruppen wehrfähiger Männer setzen beide Chöre den Rahmen des für die Handlung ausschlaggebenden Milieus: Beide Stücke werden im Wesentlichen durch wehrfähige, männliche Akteure geprägt. Während das Personenspektrum des Philoktet ganz auf das im Chor gespiegelte soldatisch-heroische Milieu beschränkt ist, stellen Tekmessa (und Eurysakes) im Aias daneben ein emotional-familiäres Moment dar.

Hinsichtlich ihrer Rollenidentitäten (Spektrum I) zeigen die Chöre der beiden Tragödien die größten Gemeinsamkeiten: In beiden Fällen stellen Schiffsleute bzw. subordinierte Soldaten den Chor, die zu einem der Akteure in einem besonderen Abhängigkeitsverhältnis stehen. Diese enge Relation zur Bezugsperson ist im Besonderen im Aias für das chorische Selbstverständnis konstitutiv.1 Die – durchaus gebrochene – Identifikation2 des Chors mit Aias lässt so auch die Krise des Haupthelden zu einer existenziellen Bedrohung seiner Mannschaft werden; der Chor des Aias wird dementsprechend zum Resonanzboden der Emotionalität des Prot­agonisten. Die Selbstverortung im Abhängigkeitsverhältnis zur entsprechenden Bezugsperson spielt demgegenüber im Philoktet eine untergeordnete Rolle, wird allerdings gerade durch das als Unterweisungsszenerie gestaltete Auftrittsamoibaion bereits zu Beginn der Tragödie bühnenwirksam inszeniert. Der thematischen Konzentration auf Philoktet gemäß spielt das Seelenleben des Neoptolemos für den Chor dabei keine entscheidende Rolle.

In beiden Fällen unterläuft das Abhängigkeitsverhältnis zwischen Chor und Bezugsperson dabei im Fortgang der Tragödie eine gewisse Veränderung. Auch wenn Neoptolemos als Herr seiner Matrosen den gesamten Verlauf der Tragödie über präsent bleibt, ist dennoch mit der Aufdeckung der Intrige ein wichtiges Moment der Beziehung zwischen ihm und dem Chor weggebrochen; damit ist zwar die Loyalität des Chors gegenüber seinem Herrn nicht in Frage gestellt (vgl. v. 963f. und 1072f.), das gemeinsame, durch die intendierte Täuschung des Haupthelden mehr oder minder fest umrissene Ziel sowie die spezifische, bis zu diesem Punkt maßgeblich durch die Intrigensituation geprägte Art des Umgangs mit Philoktet allerdings ist genommen. Dagegen stellt der Tod des Haupthelden für die Mannschaft des Aias freilich einen besonderen Einschnitt dar. Auch wenn Teukros im Sinne seines Halbbruders daraufhin die Verantwortung über dessen Haushalt (subordinierte Personen wie die Schiffsleute, Tekmessa und den Sohn eingeschlossen) übernimmt, bleibt Aias bzw. sein Verlust ein bestimmendes Moment der eigenen Selbsteinordnung des Chors (vgl. v.a. das dritte Stasimon); eine besondere Bindung zu Teukros stellt der Chor dagegen nicht her.

In beiden in Rede stehenden Tragödien bildet darüber hinaus der Hauptheld das thematische Zentrum der chorischen Reflexion: Während die Schiffsleute des Neoptolemos Philoktet als einem Fremden gegenübertreten, mit dem sie zwar bis auf elementare Gemeinsamkeiten (Geschlecht, Herkunft, Profession) nicht viel verbindet, dessen Situation allerdings den zentralen Gegenstand der chorischen Äußerungen bildet, handelt es sich beim Titelhelden des Aias um die rollenimmanente Bezugsperson des Chors, mit der die Schiffsleute eine Schicksalsgemeinschaft bilden.

Die beiden Chöre sind demnach in doppelter Weise besonders fest im Gefüge der Handlung verankert: Sowohl hinsichtlich ihrer Rolle als dramatis persona innerhalb des Personenspektrums der jeweiligen Tragödie, als auch mit Blick auf die thematische Konzentration der Äußerungen auf die das Geschehen maßgeblich prägende Gestalt sind beide Chöre eng mit dem Zentrum des eigentlichen Geschehens assoziiert. Mehr noch: Die sich selbst im Rahmen der Handlung verortenden Chöre sprechen in der Regel bewusst aus der sie betreffenden dramatischen Situation heraus und versuchen nicht (oder nur in Ansätzen), eine der Aktion enthobene Perspektive einzunehmen, um das Geschehen in größerem Maß auszudeuten und einzuordnen.

Damit sind bereits wesentliche Punkte der Chorführung angesprochen. Wie schlägt sich diese grundlegende Konzeption der beiden Chöre auf die Einbindung chorischer Partien in das Stück, die Komposition der chorischen Partien selbst sowie die Wahl der konkreten Reflexionsstrategien nieder?

Zunächst zum Aufbau der Stücke, d.h. zur Anordnung der Formteile. Beide in Rede stehenden Tragödien sind strukturell mehr oder minder unkonventionell aufgebaut und unterscheiden sich gerade hinsichtlich der strukturellen Funktionalisierung der chorischen Präsenz erheblich. Der weitestgehend dramatisierte, d.h. sich als Akteur mit anderen Akteuren austauschende Chor des Philoktet ist ein entscheidendes Moment des kontinuierlichen Handlungsflusses. Das als dramatische Ausnahmesituation ungefähr in der arithmetischen Mitte des Dramas positionierte reflektierende Stasimon unterbricht dagegen diesen Ablauf für eine gewisse Dauer. Bereits dadurch markiert es den ersten3 entscheidenden Wendepunkt der Tragödie; die das Vorwissen des Zuschauers konterkarierende Ausdeutung der Situation, im Besonderen die Zukunftsaussicht der zweiten Gegenstrophe, verstärken die Sonderstellung dieser einzigen rein reflektierenden Chorpartie. Während also die Dramatisierung des Chors den Fluss der Handlung maßgeblich prägt und damit erheblich zur Kontinuität des Stücks beiträgt, markiert die reflektorische Partie den Einschnitt und Wendepunkt innerhalb der Tragödie.

Geradezu umgekehrt verhält es sich im Aias. Innerhalb der geradezu konzentrisch um die Selbstmordszene aufgebauten Struktur kommt dem Chor eine doppelte Funktion zu: Als drastischer Bühneneffekt sowie Reinszenierung des Beginns der Handlung tragen Ab- und Wiederauftritt des Chors zur Trennung der beiden Hälften bei, wohingegen die Bezugnahme des dritten auf das erste Stasimon dem Stück über den so inszenierten Bruch in seiner Mitte hinweg besondere formale und thematische Geschlossenheit verleiht. Während also der Versuch des Chors, in den Gang der Geschehnisse einzugreifen, d.h. seine bühnenwirksam selbst auf Kosten der Gattungskonvention punktuell auf ein Höchstmaß gesteigerte Dramatisierung die Zweiteilung der Tragödie betont, ist es das reflektorische Moment seiner Präsenz, das (unter anderem4) die Einheit der Tragödie sicherstellt.

Trotz dieser grundlegend anderen strukturellen Funktionalisierung der chorischen Partien lassen sich innerhalb der Reflexion gewisse Gemeinsamkeiten erkennen (Spektrum II). In beiden Tragödien dominiert geradezu durchgängig der imaginative Reflexionszugang: Beide Chöre bieten in ihren Partien keine argumentativ-logischen Gedankengänge, sondern suchen, gewisse Situationen, Stimmungen oder Gegebenheiten besonders eindringlich darzustellen. Selbst wenn dabei, wie im Aias, abstraktere Momente wie Heimatferne und Mühen des Krieges behandelt werden, steht keine thematische Durchdringung dieser Themen, sondern ihre Ausleuchtung als die Choreuten konkret betreffende Umstände im Vordergrund. Dabei hebt sich der konkrete Ich-Bezug in den chorischen Äußerungen des Aias von der fast ausschließlichen Konzentration auf die Gestalt des Haupthelden im Philoktet besonders ab: Während sich die Schiffsleute des Aias in den von ihnen gezeichneten Panoramen der dramatischen Situation selbst gezielt verorten und ihre Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft miteinander vergleichen, ist die eigene Person kein zentrales Moment in der Situationsausleuchtung der Matrosen des Neoptolemos.

Hinsichtlich ihrer dramaturgischen Funktionalisierung bieten die chorischen Partien der beiden Tragödien ein in sich jeweils besonders homogenes und grundsätzlich vergleichbares Bild: Sie dienen im Wesentlichen der Fokussierung auf das Geschehen bzw. auf mit dem Geschehen unmittelbar zusammenhängende Momente, im Besonderen auf den jeweiligen Prot­agonisten und dessen Situation.

Der vergleichbaren Komposition der Chöre hinsichtlich ihrer Rollenidentitäten sowie der Reflexionsstrategien entspricht eine ganz ähnliche dramaturgische Funktionalisierung (Spektrum III). In diesem Punkt unterscheiden sich die beiden Tragödien nicht wesentlich, sondern einzig im Grad der Fokussierung: Während sich die Äußerungen des Chors im Philoktet mit besonderer Konsequenz rein auf das eigentliche Geschehen konzentrieren, das sie weniger ausdeuten bzw. interpretieren, als vielmehr intensivieren, eröffnen die reflektorischen Partien des Aias (im Besondern das erste und dritte Stasimon, zum Teil auch die Par­odos) noch einen gewissen Deutungsrahmen5 und weiten durch Vor- und Rückblenden6 den unmittelbaren Rahmen des Geschehens.

Zusammenfassend kann man festhalten: Die beiden Tragödien mit einem Chor wehrfähiger Männer konstituieren innerhalb der uns überlieferten Tragödien hinsichtlich der Chorführung eine eigene Gruppe. Trotz der Unterschiede in der Komposition der beiden Stücke, der Gestaltung des Verhältnisses zwischen Chor und Bezugsperson im Einzelnen sowie dem Grad der Konzentration auf das Geschehen lassen sich mit den Begriffen „Abhängigkeit“, „Imagination“ und „Fokussierung“ die drei Hauptmerkmale der Nutzbarmachung des Chors innerhalb der beiden Dramen umreißen. Damit ist die Verwendung des Chors in beiden Tragödien im Rahmen der drei in der Einleitung eröffneten Spektren verortet.

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