Kitabı oku: «Der Chor in den Tragödien des Sophokles», sayfa 17
In Vers 879 vereinen sich die beiden Halbchöre wieder. Wenngleich der Abschnitt (v. 879–890) metrisch schon als erste Strophe zum folgenden Kommos gehört, so reflektiert er dennoch abschließend die ergebnislose Suche nach Aias. Der Chor richtet dabei zunächst die Frage nach dem Verbleib seines Herrn an drei Gruppen (v. 879–884): die Fischer, die auch in den Morgenstunden ihrer Arbeit nachgehen, die Nymphen des mysischen Olymps,10 eines Berges in der entfernten Umgegend Troias,11 sowie die Flüsse, die sich in den Bosporos ergießen.12 Das dreimalige Interrogativum τίς (v. 879 sowie 881) ist dabei sinnfälliger sprachlicher Ausdruck der virulenten Ungewissheit der Schiffsleute. Schändlich sei es, so der Chor im Folgenden, dass er sich nicht in glückbringendem Lauf (οὐρίῳ δρόμῳ) nähere, sondern nicht sehe, wo sich Aias, der „schwache Mann“,13 aufhalte.
Es ist deutlich, wie Sophokles hier die unterschiedlichen Kenntnisstände von Chor und Publikum in besonders expliziter Weise aufeinanderprallen lässt: Er nutzt die Informationshoheit des Zuschauers auf der Folie des suchenden Chors, um im Sinne der tragischen Ironie die Erwartung der bevorstehenden Konfrontation zu steigern. Die Epiparodos an sich, d.h. die rein chorische Partie (v. 866–890) dient dabei ganz und gar der Ausgestaltung des Wiederauftritts des Chors und der Inszenierung seiner angstvollen Ungewissheit.
Erst der Auftritt der Tekmessa setzt der Stimmung der Epiparodos ein Ende: Wie am Beginn der Tragödie ist es auch hier ein Amoibaion, in dem die Hinzugetretene den Choreuten die Sachlage aufdeckt und deren suchender Ungewissheit die reale Gegebenheit entgegensetzt.
Die oben bereits formal analysierte Partie weist eine differenzierte Binnenstruktur auf, die die einzelnen Abschnitte in sich noch einmal gliedert: Schnelle, emotionale Sprecherwechsel in den dialogischen Partien der Strophe stehen ausführlicheren Betrachtungen der beiden Beteiligten gegenüber; diese Ausgewogenheit rahmender Reflexion und pathetischer, emotionaler Klage bildet die innere, formale Spannung des Kommos.
Wir müssen nicht ausführlich auf den Inhalt des Klagegesangs eingehen, ein kurzer Überblick soll auch hier genügen: Tekmessa hat bei ihrem Auftritt die Leiche des Aias entdeckt und offenbart nun dem Chor, dass dieser tot am Boden liege (v. 898), von eigener Hand gerichtet (v. 906). Auf beide Informationen antwortet der Chor mit einem Klageausbruch: Er verzweifelt zunächst an seiner eigenen Rückkehr in die Heimat (v. 900ff.) und macht sich darauf Vorwürfe, unachtsam, unwissend und ohne rechte Sorge gewesen zu sein (v. 908). Den Beginn der Epiparodos durch die effektgeladene Wiederholung des πᾷ wieder aufgreifend fragt er diesmal nach der Leiche des Aias.14 Von besonderem Interesse sind dabei die zu Aiasʼ und des Chors eigener Charakterisierung verwendeten Adjektive: Das betont auf sich selbst (ἐγὼ δʼ) bezogene und durch πάντα κωφός durch ein visuell-ästhetisches Moment gesteigerte πάντʼ ἄιδρις (v. 911)15 kontrastiert die Selbsteinschätzung des Chors im Angesicht der Katastrophe mit der eben noch erbetenen Einsicht von Seiten vermeintlich kundiger Dritter. In den Aias zukommenden Bezeichnungen spiegeln sich im Besonderen Momente anderer Partien: So nimmt ἄφαρκτος φίλων (v. 910) die Apostrophierung des Chors durch Aias als φίλοι (v. 349, 406; ähnlich ἑταῖροι v. 687) wieder auf und konterkariert das durch den Haupthelden sowie durch Tekmessa (vgl. v. 328ff.) verschiedentlich evozierte Freundschaftsverhältnis. Die dem Eigennamen des Haupthelden direkt beigestellten Adjektive δυστράπελος und δυσώνυμος (v. 914) bilden zudem einen durch die Doppelung verstärkten Anklang an Vers 609, in dem die Anwesenheit des als δυσθεράπευτος bezeichneten Aias als der Gipfel der durch die Choreuten zu ertragenden Mühen genannt wurde.
Tekmessa bedeckt daraufhin den Leichnam mit einem Tuch und wehrt den Chor ab, der einen Blick auf Aias werfen möchte. Dennoch beschreibt sie den grausigen Anblick des Toten, verleiht ihrer Hoffnung auf die baldige Ankunft des Teukros Ausdruck und spricht ihren toten Gemahl direkt an: Mittlerweile habe er es verdient, sogar von seinen Feinden beklagt zu werden (v. 923f.).
In der folgenden Gegenstrophe nimmt der Chor Tekmessas Impuls auf und wendet sich direkt an seinen toten Herrn: Er, Aias, habe schon seit geraumer Zeit beabsichtigt, das „üble Schicksal der unendlichen Leiden“ (κακὰν μοῖραν ἀπειρεσίων πόνων v. 926f.) zu vollenden.16 Solchermaßen Hasserfülltes habe er bei Nacht und bei Tag gegen die Atriden ausgestoßen; ursächlich dafür sei die Zeit gewesen, als der Streit um die Waffen des Achill entschieden wurde.
Mit στερεόφρων (v. 926) und ὠμόφρων (v. 930) sind auch in dieser Wortmeldung des Chors zwei besonders gewichtige Adjektive gebraucht, die den Charakter des Haupthelden auszuleuchten suchen. In besonderer Weise ist mit ὠμόφρων das in der Strophe von Aias ausgesagte ὠμόθυμον (v. 885) sowie Tekmessas Einschätzung ihres Mannes als ὠμοκρατής (v. 205) wieder aufgenommen.
In der sich anschließenden Wechselrede (v. 937–960) verbalisiert zunächst Tekmessa ihre Sorge um die Zukunft und bekundet ihre Gewissheit, dass die Einwirkung Athenes zu Gunsten des Odysseus einen wesentlichen Beitrag zur gegenwärtigen Situation geleistet habe (v. 950 sowie 952f.). Der Chor stimmt Tekmessa weitestgehend zu und imaginiert in den Versen 955ff. die seines Erachtens wahrscheinliche Reaktion des Odysseus: Dieser werde sich in Spott (ἐφυβρίζει) und mitsamt den Atriden in Lachen über das vorliegende Leid ergehen.
Die Tekmessa im Anschluss zukommenden iambischen Verse (961–974) gehören formal noch zur kommatischen Partie, ihr genauer inhaltlicher Nachvollzug ist aber hier entbehrlich. Festzuhalten bleibt, dass Tekmessa erneut den großen Verlust betont, den Aiasʼ Tod für sie bedeute, die Bedeutung des göttlichen Einflusses unterstreicht und hinsichtlich einer möglichen Verhöhnung des Toten durch Odysseus oder die Atriden ihr eigenes Leid herausstellt.
Folgendes soll festgehalten werden. Der Kommos entspinnt sich aus einer dem Beginn des ersten Epeisodions ähnlichen dramaturgischen Situation: Tekmessas Auftreten setzt der Ungewissheit der Schiffsmannschaft die Kenntnis der wahren Umstände entgegen. Der Wechselgesang nimmt dabei thematisch auf den ersten Kommos Bezug: Wie schon zu Beginn des Stücks stellen die Feindschaft zu den Atriden, die ungewissen Zukunftsaussichten der Angehörigen des Aias sowie die schiere Ohnmacht gegenüber der Tatkraft und Entschlossenheit des Helden Hauptmotive des Austauschs dar. War dabei die Lage, in der sich Tekmessa und der Chor als Aiasʼ Vertraute zu Beginn des ersten Epeisodions befanden, bereits kritisch, so hat sich die Problematik durch den Tod des Helden potenziert. Gerade auf der Folie des in der Parodos verbalisierten Schutz- und Abhängigkeitsverhältnisses zwischen Aias und den Schiffsleuten (v. 158ff.) erhält die düstere Zukunftsaussicht, wie sie Tekmessa entwirft (vgl. v. 944), besondere Brisanz. Der Chor fungiert hierbei als Resonanzboden der Emotionalität Tekmessas und flicht mit den Bemerkungen zu den Atriden (v. 946ff.) eine beißende Note in die Reflexion ein, die die unversöhnliche Haltung gegenüber den Heerführern unterstreicht. Dass darüber hinaus sowohl Tekmessa als auch dem Chor gerade Odysseus als konkretes Feindbild vorschwebt, stellt eine weitere Parallele zum ersten Kommos dar. Hatte die dortige Charakterzeichnung des Odysseus sein Verhalten in der Prologszene konterkariert, so dient die hier erneut vorliegende negative Zeichnung des Odysseus als Folie für sein Verhalten, wie es das Ende der Tragödie inszenieren wird: Keineswegs wird er sich nach seinem Auftritt in Vers 1316 in Spott über Aias ergehen; vielmehr wird erst das Einschreiten des an unserer Stelle erneut als besonders feindselig geschilderten Helden die entscheidende Wende im Streit um die Bestattung des Aias bringen und so das durch den Chor gezeichnete Charakterbild erneut revidieren.
Als mittlerweile dritter Klagegesang innerhalb der Tragödie präsentiert sich die vorliegende Partie so als ein erneutes Moment pathetischer Gefühlsbekundungen. In seinen reflektierenden Teilen lässt sie die bisherige Entwicklung der Handlung aus der nun gewonnenen Perspektive noch einmal präsent werden und bekundet den Erkenntnisgewinn des Chors angesichts der zuvor falsch eingeschätzten Lage. Das beinhaltet freilich auch die Einsicht, durch Aiasʼ Vorgehen im Vorfeld der Selbsttötung getäuscht worden zu sein (vgl. v. 911ff. sowie 925ff.). Rückblickend entlarvt so der Chor selbst seinen Jubelausbruch im zweiten Stasimon als fehlgeleitet; dass dabei allerdings augenscheinliche Parallelen zwischen den beiden Partien fehlen, keine motivischen oder begrifflichen Anklänge zu finden sind, erklärt sich aus der Situativität und Dramatisierung der kommatischen Partie. Anders gesagt: Die Schiffsleute sind in solchem Maß in das momentane Geschehen eingebunden, dass eine explizite Reflexion über den eigenen Irrtum nur in Ansätzen erfolgt.
War also der Todesmonolog des Haupthelden eine bedeutende Gelenkstelle der gesamten Tragödie, die unter Wiederaufnahme und Verarbeitung prominenter Motive den ersten Teil des Dramas mit dem zweiten verknüpfte, so greifen wir hier den forcierten Wiederbeginn der Handlung, die mit dem Tod des Protagonisten zu einem vorläufigen Ende gekommen war. Der Wiederauftritt des Chors und das Dazustoßen Tekmessas sind dabei als genuin dramatische Ereignisse inszeniert, die die Bühnenaktion selbst mit einem Höchstmaß an Emotionalität, dialogischer Vehemenz und visueller Drastik aufladen. Dennoch sind es auch hier nicht Tekmessa und der Chor, sondern ein Eingriff von außen, der die Handlung erneut in Gang bringt: der Auftritt des Teukros. Auch darin gleichen sich der Kommos am Beginn des ersten Epeisodions und die vorliegende Partie: Nach der Information durch Tekmessa stieß erst der Auftritt des Haupthelden die Handlung wieder an.
Richten wir unser Augenmerk kurz auf die Figur des Teukros und seine Einführung in die dramatische Handlung, da wir an diesem Detail die Fügung der beiden Teile des Dramas besonders gut greifen können. Teukros dient als verbindendes Element zwischen den beiden Teilen des Dramas: Er übernimmt nach seinem Auftritt die wesentliche Handlungsführung, indem er die Vorbereitungen zur Beerdigung seines Halbbruders einleitet und sich mit Menelaos und Agamemnon zwei Rededuelle über die anstehende Bestattung liefert. Er betritt dabei die Bühne nicht unangekündigt: Ähnlich wie nach dem Kommos und der Sprechpartie zwischen Tekmessa und dem Chor (v. 333) ist es auch hier (v. 974) zunächst ein hinterszenischer Klageruf, der den Auftritt vorbereitet. Der Chor heißt Tekmessa daraufhin schweigen und identifiziert die gehörte Stimme als die des Teukros, der darauf sofort die Bühne betritt.
Auch im ersten Teil des Dramas war die Ankunft des Teukros (v.a. von Aias) mit besonderer Intensität erwartet bzw. herbeigesehnt worden. So galt schon die erste Äußerung des Protagonisten nach den Klagerufen vor seinem eigentlichen Wiederauftritt im ersten Epeisodion dem Halbbruder (Τεῦκρον καλῶ. ποῦ Τεῦκρος; v. 342). Dreimal kam Aias im Folgenden noch explizit auf seinen Halbbruder zu sprechen: Er versprach seinen Angehörigen in Vers 562, er werde ihnen Teukros als Schutz zurücklassen, bat in Vers 688, Teukros, wenn er komme, daran zu erinnern, sich um ihn selbst zu kümmern sowie seine Angehörigen wohlwollend zu behandeln, und erbat kurz vor seinem Tod von Zeus, ein Bote möge die Todesnachricht zu Teukros bringen, damit dieser ihn begrabe (v. 826f.). Teukros spielte für Aias, wie wir sehen, bei der Vorbereitung seines Selbstmordes eine entscheidende Rolle und war ein zentraler Bezugspunkt seiner Überlegungen. Die Frage nach Teukros und die damit verbundene Erwartung seiner Ankunft zog sich indes geradezu leitmotivisch durch den ersten Teil des Dramas und wurde von Tekmessa an zwei prominenten Stellen wörtlich wiederholt: So fragte sie, nachdem der Bote sie über die für Aias drohende Gefahr informiert hatte, ebenso nach Teukros (v. 797) wie im Kommos im Anschluss an den Tod ihres Mannes (v. 921).
Fassen wir zusammen: Die Figur des Teukros war in den Aussagen von Aias und Tekmessa vom Wiederauftritt des Protagonisten an präsent. Durch die Wünsche und Aufträge seines Halbbruders wird Teukros zum Nachlassverwalter des Aias, er übernimmt bis zu einem gewissen Grad dessen Stelle17 und hält, wie noch zu zeigen sein wird, in besonderem Maße die dramatischen Fäden des zweiten Teils zusammen. Die Erwartung seiner Ankunft stellte ein Leitmotiv des ersten Teils der Tragödie dar, deren Erfüllung die Überleitung zum zweiten Teil bildet.
Drittes Stasimon (v. 1185–1222)
Mit dem dritten Standlied greifen wir die letzte umfangreichere lyrische Partie des Chores innerhalb der Tragödie. Machen wir uns die dramatische Situation zu Beginn des Liedes klar, indem wir die Handlung nach dem Auftritt des Teukros bis zu diesem Punkt wiedergeben.
Die Reaktion des Teukros auf den Tod seines Halbbruders ist von Trauer und Klage geprägt: Nach einer kurzen Information durch den Chor (v. 979–985) beauftragt er zunächst Tekmessa, ihren Sohn zu holen, um sicherzustellen, dass er nicht von „einem der Böswilligen“ (τις δυσμενῶν v. 986f.) geraubt würde. Tekmessa verlässt daraufhin die Bühne; sie wird erst in Vers 1168 mit dem Knaben zurückkehren. Nach einer ermunternden Zwischenbemerkung des Chors (v. 990f.) beklagt Teukros in einem ausgreifenden Monolog (v. 992–1039) die Schwere des Schicksals, seine eigene schwierige Situation und die Verbindung des gegenwärtigen Leids mit der Vorgeschichte. Von besonderem Interesse hinsichtlich der Motivik ist dabei eine Passage aus der Mitte des Monologs: Nachdem es Teukros ermöglicht wurde, einen Blick auf seinen toten Halbbruder zu werfen (v. 1003ff.), stellt er sich vor, wie der gemeinsame Vater bei seiner Rückkehr auf die Nachricht von Aiasʼ Tod reagieren werde: Er, Telamon, werde ihm, Teukros, den Vorwurf machen, den Bruder aus Feigheit im Stich gelassen zu haben (v. 1014), womöglich sogar mit List gehandelt zu haben, um nun Herrschaft und Einfluss des Verstorbenen an sich zu nehmen (v. 1015f.). Mit diesen Ausführungen sowie der Charakterisierung des Vaters ist die Gestalt Telamons zum dritten Mal nach dem ersten Stasimon (v. 641ff.) sowie Aiasʼ Todesmonolog (v. 848) Bezugspunkt der Reflexion. Im Vordergrund steht hier allerdings nicht die imaginierte Trauer über den Tod des Aias, sondern das ohnehin angespannte Verhältnis zwischen Teukros und seinem Vater, das durch die neuesten Ereignisse eine weitere Verschlechterung erfahren dürfte.
Der vom Chor in Vers 1040 angekündigte Auftritt des Menelaos unterbricht daraufhin Teukrosʼ Reflexion über das Verhältnis von Hektor und Aias (v. 1028–1039) und leitet das folgende Streitgespräch zwischen dem Heerführer und Teukros ein. Auf ein kurzes Wechselgespräch (v. 1047–1051) folgen Monologe der beiden Konkurrenten (v. 1052–1090 sowie 1093–1116), ein stichomythischer Teil (v. 1120–1141) und noch einmal abschließende monologische Partien (v. 1142–1149 und 1150–1158) sowie die in je einem Verspaar vorgebrachte Abtrittsbekundung des Menelaos und deren Kommentierung durch Teukros (v. 1159f. und 1161f.). Inhaltlich stehen sich die beiden Personen unversöhnlich gegenüber: Teukros tritt für die rasche Bestattung seines Halbbruders ein, die Menelaos mit Betonung auf der Gefahr, die vom rasenden Aias für die anderen Griechen ausging, verbietet. Der Streit endet nach dem Austausch einiger Argumente, denen persönliche Angriffe und Spitzen nicht fehlen (vgl. v. 1137, 1157ff.), ergebnislos mit dem wütenden Abgang des Menelaos und der ungebrochenen Entschlossenheit des Teukros. Während der Auseinandersetzung hatte sich der Chor zurückgehalten und nur durch moderierende Einwürfe in Form des standardisierten Doppelverses nach der Rhesis eines Akteurs beide Seiten zur Mäßigung aufgerufen (v. 1091ff., 1118f.). Ihr Hauptanliegen haben die Choreuten dabei schon nach dem Monolog des Teukros, also direkt vor dem Auftritt des Menelaos, vorgebracht. Sie wiederholen es auch nach dem Abgang des Heerführers in den Versen 1163–1167: Teukros solle sich so schnell wie möglich (ταχύνας σπεῦσον v. 1164f.) um eine geeignete Grabstätte für Aias kümmern und die Beerdigung vollziehen. Dabei sind sich die Choreuten sicher, dass bezüglich dieser Angelegenheit eine überaus konfliktreiche Auseinandersetzung (μεγάλης ἔριδός τις ἀγών v. 1163) noch bevorstehe.
Im Anschluss daran betritt Tekmessa mit dem Sohn des Aias die Bühne. Teukros begrüßt die Angehörigen seines Halbbruders (v. 1168–1170) und inszeniert eine vorweggenommene Grabspende, indem er je eine Haarlocke von Tekmessa, Eurysakes und sich selbst abtrennt und sie dem Jungen in die Hand gibt (v. 1174). Dieser solle, während Teukros selbst sich nach einem geeigneten Grab umsehe, beim Leichnam seines Vaters stehen bleiben und so als Schutzflehender (ἱκέτης v. 1172, sowie ἱκτήριον θησαυρόν v. 1175 von den Haarlocken gesagt) garantieren, dass keiner den toten Aias fortschaffen oder die Bestattung in anderer Weise behindern könne. Etwaige Übertreter dieser solchermaßen kultisch geschützten Totenruhe belegt er zudem mit einem Fluch (v. 1175ff.).1 Mit der Aufforderung an die Schiffsmannschaft, nicht als Weiber statt als Männer daneben zu stehen, sondern auch gegen Widerstand Dritter aktiv mitzuhelfen (ἀρήγετʼ v. 1183), bis er sich um ein Grab gekümmert habe, verlässt Teukros die Bühne.
Unter unseren Gesichtspunkten ist besonders die formale Gestaltung dieser letzten Partie des Epeisodions, genauer: die Abgrenzung der vom Monolog des Teukros geprägten Szene von der vorangegangenen Konfliktszene von Interesse. Kamen dem Chor in der ersten, umfangreichen, vom Rededuell der beiden Akteure Teukros und Menelaos geprägten Szene im Wesentlichen die charakteristischen Doppelverse zu, so komponiert der Dichter in deren Anschluss ein kurzes anapästisches System (v. 1163–1167). Damit ist einerseits das Ende der Menelaos-Szene formal besonders deutlich markiert,2 andererseits die Kontinuität des Epeisodions gewahrt. Statt es nach der ersten Konfliktszene zu beenden, Teukros abtreten und ein Stasimon folgen zu lassen, ereignet sich mit dem Wiederauftritt Tekmessas und ihres Kindes sowie Teukrosʼ Ansprache an sie und den Knaben ein völliger Stimmungswandel. Standen sich mit Teukros und Menelaos eben noch der Sachverwalter des Haupthelden sowie dessen Antagonist in lebhaftem Austausch gegenüber, so inszeniert die angeschlossene kurze Szene einen besonders intimen Moment der Familienzusammenführung, die zudem ganz entschieden die Führungsrolle des Teukros hervorhebt. Dass sowohl Frau als auch Kind des Toten im Folgenden bei der Leiche verbleiben und so während der nach dem dritten Stasimon folgenden Exodos neben dem Streitgespräch zwischen Teukros und Agamemnon einen zweiten Fokus auf der Bühne darstellen, erhöht freilich die emotionale Spannung der folgenden Konfrontation. Anders gesagt: Wird sich auch die Auseinandersetzung mit Agamemnon im Folgenden zunächst auf die Rolle und den sozialen Stand des Teukros konzentrieren (vgl. im Besonderen Agamemnons Monolog v. 1226–1263, der sich nur am Rand mit der Bestattungsproblematik auseinandersetzt), so bleibt die Frage nach der Behandlung, die dem Leichnam des Haupthelden zukommen soll, visuell präsent.
Die anapästischen Verse des Chors tragen zwar inhaltlich nichts Wesentliches zur Situation bei, sind allerdings, wie gezeigt wurde, ein wesentliches Moment zur Strukturierung und Phasierung des Epeisodions. Mit äußerster dramaturgischer Ökonomie erreicht Sophokles hier die Abteilung einer gänzlich anders gearteten Szene, deren Emotionalität und Innerlichkeit einen besonderen Kontrast sowohl zum vorausgegangenen offenen Konflikt als auch dem folgenden darstellen.
Hinsichtlich der dramaturgischen Ausgangssituation des folgenden Stasimons soll Folgendes festgehalten werden. Die Auseinandersetzung zwischen Teukros und Menelaos hat neue Dynamik in die Handlung gebracht: Das Motiv der feindseligen Atriden, wie es der Chor und Aias selbst im ersten Teil der Tragödie entfaltet hatten, findet hier seine dramatische Umsetzung. Menelaos bestätigt dabei die besonders vom Chor geäußerten Vorurteile gegenüber den Atriden; das so verschiedentlich thematisierte Feindbild wird damit personell greifbar. Mit der Frage nach der Bestattung des Aias widmet sich die Tragödie in ihrem zweiten Teil einer konfliktorientierten Thematik, wobei die Person des Aias und seine Taten auch nach dem Tod noch im Zentrum der Auseinandersetzung stehen. Mit Teukros auf der einen und den Atriden auf der anderen Seite sind die Positionen des Streits offenkundig und stehen sich nach diesem Auftritt unversöhnt gegenüber. Erst das vermittelnde Einschreiten des Odysseus wird nach einer weiteren Streitszene mit Agamemnon die Lösung des Konflikts herbeiführen.
Durch den von Teukrosʼ Ansprache an Tekmessa und den Knaben geprägten familiären Szenenschluss endet das Epeisodion zwar nicht mit dem konfliktreichen Aufeinanderprallen der beiden Antipoden, sondern setzt der verbalen Dramatik des Redeagons eine eher ruhige Szene entgegen. Die der gesamten Situation innewohnende Spannung mitsamt der ihr eigenen Feindseligkeit und potentiellen Gefahr ist dabei aber keineswegs gelöst, sondern geradezu sublimiert und in der bis auf Teukrosʼ Anweisungen stummen Hikesie wie in einem Standbild eingefroren.
Den Chor, der nach dem Abtritt des Teukros in Vers 1185 das dritte Standlied beginnt, scheint weder der vorangegangene Konflikt zwischen Teukros und Menelaos noch die Hikesieszene zu beschäftigen; Thema des Stasimons ist die Härte des Krieges, der verlorene Schutz durch Aias und die Sehnsucht der salaminischen Seeleute nach ihrer attischen Heimat.
Eine doppelte Frage (τίς bezogen auf νέατος, möglicherweise zu ergänzen ἔσται;3 sowie ἐς πότε bezogen auf λήξει) leitet das Stasimon ein: Wann werde die Zahl der „umherirrenden Jahre“ (πολυπλάγκτων ἐτέων ἀριθμός) erfüllt sein, die die Schiffsleute mit Mühen und Leiden vor Troia verbringen müssen? Die angeschlossene Partizipialkonstruktion bestimmt die solchermaßen umrissene Zeit genauer: Sie füge den Choreuten (ἐμοί v. 1187) hier vor Troia4 immerzu das „Unheil speerschleudernder Mühen“ (δορυσσοήτων μόχθων ἄταν) zu und sei – so die an das Ende der Strophe gestellte Apposition – eine unselige Schande der Griechen (δύστανον ὄνειδος Ἑλλάνων v. 1191).
Die mit drastischen Worten das Ungemach des Krieges malende Frage zieht sich so durch die gesamte Strophe und weitet an ihrem Ende den Blick über die enge Sphäre der Angehörigen des Aias hinaus. Die Choreuten verstehen dabei ihre Sorge und Not als geradezu exemplarisch für den Zustand des gesamten griechischen Heeres.
In diesem allgemeinen Zusammenhang fährt der Chor fort, wenn er in der ersten Gegenstrophe den „Lehrer“ des Kriegs verflucht, indem er einen unerfüllbaren Wunsch formuliert (ὄφελε v. 1192): Wäre doch derjenige, der den Griechen den gemeinsamen Krieg (κοινὸν Ἄρη) zeigte, d.h. lehrte, besser im weiten Aither (αἰθέρα μέγαν v. 1192f.) oder im Hades versunken (δῦναι)! Nach dem besonders emotionalen Ausruf ὦ πόνοι πρόγονοι πόνων (v. 1197)5 erfolgt die Begründung der Verfluchung: Jener Kriegslehrer nämlich habe Menschen zu Grunde gerichtet. Der ausgedehnten Frage der Strophe antwortet hier also ein ähnlich ausgreifender irrealer Wunschsatz, der erneut das gesamtgriechische Schicksal in den Blick nimmt, bevor mit dem Schlussvers der Gegenstrophe eine ganz allgemeine Schilderung des verderblichen Wirkens des troianischen Krieges gegeben wird. KAMERBEEKs Bemerkung, der Chor ergehe sich hier in der Verfluchung des πρῶτος εὑρετής,6 also des allgemein ersten Lehrers der jeweils in Rede stehenden verdammungswürdigen Kulturerscheinung, läuft dabei Gefahr, die Aussagen des Chors in höherem Maß zu verallgemeinern, als es der Wortlaut nahelegt: Im Fokus der Schiffsleute steht – ganz aus ihrer eigenen Situation gesprochen – dezidiert der Mann, der die Griechen den „gemeinsamen Krieg“, d.h. den Kampf vor und um Troia lehrte, nicht etwa der erste Erfinder des Kriegs an sich.7 Der Chor bleibt so an unserer Stelle in einem relativ engen thematischen Bereich, wenn er auch den Blick kurzzeitig von seiner ganz eigenen, persönlichen Situation auf das Schicksal des ganzen griechischen Heeres und die nicht weiter genannten Opfer des troianischen Kriegs lenkt. Eine wirklich generelle, abstrakte Deutung des Phänomens „Krieg“ ist allerdings hier nicht zu finden. Die von Sophokles gewählte Form der Verfluchung des für den Krieg der Griechen Verantwortlichen trägt unter Berücksichtigung der oben erwähnten Einschränkungen einzig gewisse Züge einer Verdammung des πρῶτος εὑρετής und spielt so ganz bewusst mit dem Verhältnis von Allgemeingültigkeit und konkreter Anlassbezogenheit.
Das erste Strophenpaar hat so den thematischen Rahmen des gesamten Stasimons im Wesentlichen abgesteckt: Ausgehend von der konkreten Situation der Choreuten, die sich ein Ende der Kriegsmühen vor Troia wünschen, weitet sich der Blick zu einer etwas allgemeineren Perspektive, die dennoch den Rahmen der Situation, d.h. konkret die spezifische Kriegssituation der Griechen, nicht aus dem Blick verliert. Mit dem (troianischen) Krieg ist dabei das Grundübel thematisiert, aus dem sich weitere Übel entwickelt haben (vgl. v. 1197).
Die Folgen des Krieges beschreibt die zweite Strophe personalisiert als direktes Eingreifen des Kriegslehrers der Griechen in das Leben des Einzelnen. Mit ἐκεῖνος (v. 1199) ist damit die Bezeichnung κεῖνος aus dem vorhergehenden Vers wieder aufgenommen, was die beiden Strophenpaare besonders eng miteinander verknüpft. Die Perspektive hat sich allerdings wieder verengt: Als Betroffener der mit dem Krieg einhergehenden Entbehrungen erscheint hier erneut der Chor (ἐμοί v. 1201). Jener Kriegslehrer gewähre es ihnen weder, an Kränzen (στεφάνων v. 1199), d.h. dem symposialen Kopfschmuck, noch an der Freude gefüllter Becher (βαθεῖαν κυλίκων τέρψιν) teilzunehmen, ebenso wenig den angenehmen Klang von Flöten (γλυκὺν αὐλῶν ὄτοβον) zu hören oder nächtliche Freude (ἐννυχίαν τέρψιν) zu genießen. Diese Bemerkung wird mit Vers 1205f. konkretisiert: Auch vom Liebesgenuss (wiederholtes ἐρώτων) habe der Kriegslehrer die Schiffsleute zurückgehalten. Die einzelnen aufgezählten Entbehrungen entwerfen so das Panorama symposialer Festfreude, das in der offenen Thematisierung der Erotik seinen Abschluss findet.8
Statt diesen angenehmen Zeitvertreib genießen zu können, liege er, so die durch δʼ (v. 1206) angeschlossene Antithese, vernachlässigt (ἀμέριμνος) im offenen Felde und habe vom Tau (und anderem Niederschlag) feuchte Haare. Der Kontrast zur Schilderung der symposialen Gebräuche ist in diesem Detail besonders deutlich: Während beim Gastmahl den Haaren mit dem (hier nicht erwähnten) Salben/Einölen sowie dem Bekränzen (v. 1199) ein besonders festlicher Schmuck zukommt, sind sie in der konkreten Situation der Choreuten schutzlos der Witterung ausgeliefert. In Analogie zur ersten Strophe9 beschließt auch hier eine Satzapposition die Periode: Dies alles seien für den Chor „Erinnerungen an das unheilvolle Troia“ (λυγρᾶς μνήματα Τροίας v. 1209f.),10 sie führen dem Chor also deutlich vor Augen, dass er sich in der unwirtlichen Belagerungssituation befindet, und rufen ihn so geradezu aus der Imagination der symposialen Phantasie wieder in die dramatische Realität.
Mit der kontrastiven Schilderung der Realität vor Troia hat die erste Strophe hier ihre Konkretisierung erfahren. Dabei steht allerdings nicht das eigentliche Kriegsgeschäft im Vordergrund, sondern damit einhergehende Begleiterscheinungen, die zu Verzicht und dem Verlust an Lebensqualität führen. Die Unbill des Krieges ist so e negativo besonders eindrucksvoll geschildert.
Auf Aias und die nach seinem Tod veränderte Lage kommt der Chor mit der zweiten Gegenstrophe zu sprechen, die zunächst ganz von der Gegenüberstellung zweier Zeitebenen geprägt ist: Früher (πρίν v. 1211) sei dem Chor der kampfeslustige Aias allezeit eine „Schutzwehr gegen nächtliches Entsetzen und Geschosse“ gewesen (νυχίου δείματος ἦν μοι προβολὰ καὶ βελέων v. 1211f.). Nun allerdings (νῦν δʼ v. 1214) sei Aias einem „verhassten Daimon“ geweiht. Damit scheint für den Chor der letzte Rückhalt genommen; die Enttäuschung der Choreuten entlädt sich in einer emotionalen Frage, die durch die Wiederholung des τίς (v. 1215) den Beginn des Stasimons wieder aufruft und geradezu überbietet: Welche Freude (τέρψις) werde für den Chor (μοι) noch übrigbleiben (v. 1215f.)? Mit dem in der Mitte der Strophe gesetzten Begriff τέρψις ist dabei das Leitmotiv des Strophenpaares erneut aufgerufen (vgl. v. 1201 sowie 1204), was dem zweiten Strophenpaar eine besondere formal-begriffliche Geschlossenheit verleiht.11
Syntaktisch ohne Verbindung schließt sich ein durch den kupitiven Optativ γενοίμαν (v. 1217) eingeleiteter Wunsch an: Die Schiffsleute sehnen sich danach, am Vorgebirge des Kap Sunion zu sein, um von dort das „heilige Athen“ (ἱερὰς Ἀθάνας v. 1221f.) begrüßen zu können. Mit dieser Imagination, die den Zielpunkt der Fluchtphantasie an das Ende der Periode stellt, schließt das Chorlied.
Teukros, mit dem Ende des Liedes wieder aufgetreten, gibt in den folgenden drei iambischen Versen 1223ff. die Auftrittsankündigung für Agamemnon,12 dessen Unheil verkündenden Gesichtsausdruck er bereits bemerkt habe. In Vers 1226 beginnt der Heerführer daraufhin seinen Monolog, der den zweiten Redeagon der Tragödie einleitet.
Führen wir uns rasch noch einmal die Gedankenbewegung des Stasimons vor Augen: Ausgehend von der Frage nach dem Ende des für die Choreuten schwer erträglichen Aufenthalts vor Troia nahm der Chor im Besonderen in der ersten Gegenstrophe eine allgemeinere Perspektive ein, wohingegen er mit dem zweiten Strophenpaar wieder die eigene Person in den Vordergrund stellte. Seinen konkreten Anknüpfungspunkt an die Handlungsentwicklung der Tragödie birgt das Stasimon schließlich in der zweiten Gegenstrophe, in der mit νῦν δʼ (v. 1214) die mit dem Tod des Haupthelden eingetretene Situation verbalisiert wird. Dass der Chor dabei angesichts der mittlerweile bereits fortgeschrittenen Handlung, d.h. des eskalierten Konflikts zwischen Teukros und Menelaos hinter dem erreichten Handlungsstand zurückbleibt, ist ein besonderes Moment des Stasimons, das im Folgenden noch zu bewerten sein wird. Mit dem abschließenden Wunsch der Choreuten, angesichts der virulenten Problematik den Ort des Geschehens zu verlassen und in ihre Heimat zurückzukehren, wird das Lied geradezu zum Musterbeispiel der sogenannten escape lyrics.13 Der Blick fort vom eigentlichen Handlungsort am Ende des Liedes steht damit in besonderem Kontrast zur bewussten Fokussierung auf das vor Augen liegende Ungemach der Choreuten, die den Beginn des Stasimons geprägt hatte (vgl. im Besonderen v. 1190). Solchermaßen geradezu kontrastiv gerundet entwickelt das Lied motivisch eine besondere Sogwirkung, die das Ende der Tragödie in den Blick nimmt.