Kitabı oku: «Dismatched: View und Brachvogel», sayfa 3

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Solches hätte Brachvogel keinem anderen Mann­ling gegenüber geäußert. Doch Agror war sein einziger Vertrauter und seit ihrer gemeinsa­men Zeit in der Stätte der Aufzucht schätzten sie einander wert. Weder dass der eine Gehilfling und der andere nur Springling war, noch dass sie meistens eine unterschiedliche Meinung ver­fochten, hatte jemals einen Keil zwischen sie treiben können.

„Ich kann nicht ergründen, wie sich das im Einzelnen und im Ganzen zueinander verhält und will auch über unsere Regeln den Stab nicht brechen“, entgeg­nete Agror. Auch wenn er es so nicht auszudrücken vermocht hätte, war er im Grunde doch überzeugt davon, dass die Rituale der Archontin und das den Alltag beherrschende Regelwerk zumindest niemandem schadeten, sondern im Gegenteil Vertrauen und Sicher­heit vermittelten und dafür sorgten, dass alle an einem Strang zogen.

„Wie dem auch immer sein mag“, knurrte Brachvogel, „jedenfalls sind wir bedingungslos Luna, der Archontin und dem Kreis der Weisen Frauen anheimgegeben und es ist uns verwehrt, den eigenen Brägen gebrauchen.“

Das Thema war ein immerwährender Streitpunkt zwischen ihnen. Während Brachvogel ständig mit neuen – und meistens undurchführbaren – Ideen schwanger ging, wollte Agror alles so belassen, wie es war. Weniger, weil er wie viele seinesgleichen ein träges Gemüt hatte, sondern weil er fest daran glaubte, dass die Welt, so wie sie war, zum Gedeih aller eingerichtet war und es dem Menschen nicht zustand, den Dingen bis auf den letzten Grund zu gehen.

Nach einer Weile hatten sie etwa auf Höhe des großen Versammlungsplatzes eine Stromschnelle der Lunagleiß erreicht, an der die Wasser mehrere Spannen in die Tiefe stürzten. Hier lagen die Getreidemühle, die Sägemühle und die Ölmühle, deren Mechaniken ebenfalls durch Wasser­räder in Rotation versetzt wurden. Diese Gewerke benötigten mehr Kraft als die flussabwärts gelegenen und so hatten die Baumeisterinnen der Klave oberhalb und unterhalb der Strom­schnelle längs des Flusslaufs schmale Gräben treiben lassen, in denen die Wasserräder aufge­hängt waren. Durch diese Engführung erreichte das Wasser eine höhere Strömungsgeschwin­digkeit und das hier starke Gefälle der Lunagleiß ermöglichte einen Versprung zwischen Ober- und Untergraben, so dass das vor der Stromschnelle durch den Obergraben zulaufende Wasser die Schaufelkränze der Wasserräder aus mehreren Spannen Höhe traf und so seine ganze Kraft entfalten konnte, ehe es durch den deutlich tiefer liegenden Untergraben hinter der Stromschnelle wieder in den Fluss zurückgeleitet wurde.

In der Ferne konnten Brachvogel und Agror nun auch in der Nähe des nordöstlichen Walles die am Hafen liegenden Lagerhäuser und die letzte Dreiergruppe Wasserräder erkennen, die dort viele kleine Mechaniken antrieben. Hier vereinte sich ihr Zug von Mannlingen mit denjenigen, die ebenfalls den breiten Fahrweg gewählt hatten und vom anderen Ende der Klave zum großen Rund der Versammlung und Kündung strebten. Es mochten wohl an die sechshundert Häupter sein, schätzte Brachvogel. Vereinzelt waren auch schon Weisungsfrauen in ihren bodenlangen Gewändern zu sehen. Sie hatten Kränze aus ineinander verflochtenen Reisern über der linken Schulter hängen, die sie immer wieder einmal abnahmen, um allzu saumselige Mannlinge anzutreiben, indem sie ihnen damit sanft auf den Rücken tippten.

Die beiden Freunde bogen nach rechts ab und folgten einem breiten Weg aufwärts in Richtung des Zentrums der Klave. Zu beiden Seiten erstreckte sich das von schmalen Gassen und Gässchen durchzogene Wirrwarr der Hüttenkränze der einzelnen Frauschaften, aus dem weitere Mannlinge zu ihnen stießen. Nach einer Weile erweiterte sich der Weg und sie betraten einem kreisrunden Platz, an dessen zur Flanke der Fernwarte gelegenen Seite sich ein zweistöckiges aus Stein errichtetes Gebäude erhob: Der Hort der Beratung. Immer mehr Mannlinge drängten nun nach und allmählich füllte sich das Rund. Wie Schafe in den Pferch trieben die Weisungsfrauen die Mannlinge nun in geordneten Reihen zusammen und hießen sie, für die Zeremonie, in der in Bälde die Ar­chontin zu ihnen sprechen würde, Aufstellung zu nehmen.

Nachdem Ruhe in die tief gestaffelten Reihen der Mannlinge eingekehrt war, sah Brachvogel sich um. Zusätzlich zum Licht der Mondin wurde die Freifläche von zwei Reihen Fackeln erhellt, die parallel zueinander in regelmäßigen Abständen vom Hort der Beratung bis zur Mitte des Platzes hin aufgestellt waren. Dort standen über Lagen von Holzkohle Dreibeine, an denen Kupferkessel hingen, in denen Kräuter schwelten und den Platz mit ihrem Duft schwängerten. Ganz offensichtlich nahm die Archontin ihre neue Regel, in Nächten der vollen Luna dieser kein von Menschen gemachtes Licht entgegenstrahlen zu lassen, in Bezug auf ihr eigenes Auftreten nicht allzu ernst. Auf ihre Wirkung erpicht, würde sie wahrscheinlich zwischen den Fackelreihen hindurch zum Zentrum des Platzes schreiten. Das mondüber­strahlte Rund mit der erwartungsvollen Menge der Mannlinge, auf welche die qualmenden Fackeln zuckende Schatten warfen, bot in der Tat einen eindrucksvollen Anblick. Neben dem harzigen Geruch der Fackeln und dem Duft der Kräuter stieg Brachvogel, wie schon so oft während solcher Ansprachen, die kaum wahrnehmbare Spur eines leicht pilzigen Aroms in die Nase. Wurde er davon leicht benommen oder bildete er sich das nur ein? Die anderen Mannlinge um ihn herum schienen jedenfalls nichts zu bemerken und auch niemand sonst wunderte sich über die Fackeln.

System / ClockedCounter / Update_566 / Takt_15.592.006

View sah sich um. Wie immer war die CinemaHall ihres Habitats bis auf den letzten Platz besetzt. Ein Member der Authority of PoliticalIndoctrination betrat die Bühne.

„Ich hoffe, bei euch ist alles im Mittel? Wie immer freue ich mich, euch zu unserer gigataktlichen BadPastLesson in diesem historischen Ambiente begrüßen zu können. Wieder einmal möchte ich euch zu unser aller Erstaunen und Erheiterung von den Absonderlichkeiten und Kruditäten aus der Zeit vor dem Finalen Kataklysmus berichten.“

Gar nichts war im Mittel, grollte View innerlich. Wie jeder Citizen war sie es gewohnt, sich über die Immersionsfunktion ihres AeroFlats, wo und wann auch immer sie wollte, Bildinformationen direkt auf die Netzhaut projizieren zu lassen und so tief in das Geschehen eintauchen zu können. Hier dagegen saß man Ellenbogen an Ellenbogen, Reihe um Reihe auf mega niedergaußen Sitzgelegenheiten, die auf einer schiefen Ebene angeordnet, jedem dem Blick auf die sogenannte „Leinwand“ erlauben sollten, über die die von der Authority of PoliticalIndoctrination aus historischen Beständen zusammengestellten „Filme“ flimmerten.

Die CinemaHall war einem der sogenannten „Kinos“ nachempfunden, wie sie vor dem Kataklysmus üblich gewesen waren. Viel FakeWood und die Wände von einer roten, wallenden Textur bedeckt, die wohl „Samt“ oder „Plüsch“ geheißen hatte. Die Toninformationen schepperten aus „Lautsprecher“ genannten Kästen, die ebenfalls an der Wand hingen. Die Luft roch stumpf und abgestanden. Im Licht der „Scheinwerfer“ stiegen und sanken unzählige Staubpartikel. View schau­derte. Wenn die Atmosphäre in ihrem Hexagon so kontaminiert wäre, würde sie umgehend eine ServiceUnit ordern, damit die Filter durchgecheckt würden. Doch dauerten die Lessons nie so lange, dass ihr die Luft schädlich wer­den konnte und sie lernte so manches Wissenswerte über eine Vergangenheit, die die Urb zum Glück längst hinter sich gelassen hatte. Vieles von dem, was sie hier erfuhr, konnte sie kaum glauben und vieles ängstigte sie sogar.

„Heute werden wir sehen, wie sich die Menschen vor dem Kataklysmus eingezwängt in sogenannte Automobile fortbewegt haben. Diese, nennen wir sie besser Zerknalltreiblinge, bezogen ihre Energie aus einem Explosionsmotor, in dem die zu einer sirupartigen, schwarzen Flüssigkeit zusammengepressten Überreste von Tieren und Pflanzen verbrannt wurden. Diese Motoren verursachten einen Höllenlärm und stießen stinkende Abgase aus, die die gesamte Umwelt vergifteten. Aber seht und – vor allem – riecht selbst.“

Die Authority machte nie viele Worte, sondern ließ die Bilder sprechen, die auf archaischen Datenträgern in Archiven gefunden worden waren, die die Wirren des Kataklysmus weitgehend unbeschadet überstanden hatten.

Auf der Leinwand erschien ein körniges Bild, das sich flackernd in Bewegung setzte. Aus großer Höhe zoomte die Kamera auf eine endlose Schlange leidlich aerodynamisch geformter Vehikel, über der die Luft vor Hitze flimmerte. Nur alle paar MinorTakte schob sich die Kolonne ein paar Meter vorwärts, um dann wieder zum Stillstand zu kommen. Die Gesichter der Insassen hinter den geschlossenen Scheiben der Vehikel sahen nicht besonders glücklich aus. Aus den Lautsprechern hämmerte der Lärm der Motoren und jetzt emittierten verborgene SmellJets den beißenden Gestank der Verbrennungsmotoren, der den Teilnehmern der BadPastLesson binnen MicroTakten die Tränen in die Augen trieb.

„Und sollten die Blechkisten tatsächlich einmal freie Fahrt gehabt haben, ist es oft zu schrecklichen Unfällen gekommen“, verkündete der Moderator der Authority.

Unversehens wechselte der RetinaLaser von Views AeoroFlat aus dem StandBy in den Modus höchster Immersion und ihre Netzhaut wurde mit einer Flut beängstigender Bilder überzogen. Sie saß am Steuer einer solchen Blechkiste. Die Frontscheibe war voller Schlieren, doch konnte View sehen, dass sie mit rasender Geschwindigkeit unausweichlich auf ein Hindernis, offensichtlich ein anderes Automobil, zusteuerte. Der Aufprall raubte ihr sämtliche Sinne. Ihr Sitz bebte.

Die Immersion brach ab und View fand sich zitternd im Saal des antiken Kinos wieder.

„Für viele von euch mag die heutige Vorführung etwas drastisch gewesen sein“, beruhigte der Moderator seine Teilnehmer. „Aber ihr kennt die GuideLine der Authority: So schonend wie möglich, um eure, an den Komfort und die Sicherheit der Urb gewöhnten Gemüter nicht zu erschüttern, aber so authentisch wie nötig, um euch vor Augen zu führen, dass wir durch den Prozess der Mittelung im Begriff sind, die beste aller Welten zu erschaffen.“

Immer noch mit weichen Knien, drängelte sich View neben den anderen Citizens durch die engen Türen der CinemaHall in die gewohnte antiseptische Weite der Urb und war froh, für ihren anstehenden Besuch bei dem Recruiter der Agency die AntiGrav benutzen zu können.

Als sie die ihrem Habitat nächstgelegene TransmissionStation am Rand ihres LivingGround betrat, erstreckte sich vor ihr das Panorama der Urb über mehrere Plattformen, die in unterschiedlicher Höhe und Ausdehnung in die v-förmig gegrätschten Pfeiler der gewaltigen Pylone eingehangen waren, die auch die Kup­peln der Domes stützten, die die Urb überspannten. Jede der 32 auf 8 Höhenleveln versetzt zueinander angeordneten Ebenen trug eine Sektion, einen Ground der Urb, dessen Skyline jeweils von den Flagshipstores eines bestimmten Premiumanbieters beherrscht wurde. Während sich View auf ihrem Ground 22 auf Level 6 im unmittelbaren Umfeld ihres Habitats mit sämtlichen Produkten des täglichen Verbrauchs versorgen konnte, besuchte sie für viele Events oder eine möglichst repräsentative Shoppingtour auch die anderen Ebenen. Wie immer, wenn sie ihre Plattform länger nicht verlassen hatte, genoss sie die Weitsicht, die sich ihr von der Station aus bot.

Unmittelbar vor ihr dehnten sich die Bänder der AntiGrav in die Ferne, über deren ZeroGravitationStrings Gütertransport und Individualverkehr der gesamten Urb verliefen. Die 4 parallel angeordneten Strings waren um diese Zeit dicht mit geräuschlos dahingleitenden Cabs besetzt, die auf den äußeren Bändern mit hoher Geschwindigkeit passierten, während das Tempo auf den inneren Spuren kontinuierlich abnahm. Direkt über View trafen 2 Kuppeln aufeinander, deren Dome­Animation an den Rändern fließend ineinander überging. Heute Morgen projizierten die Laser einen strahlend blauen Sommerhimmel in die Wölbungen der Domes und ließen einen glutroten, scharf konturierten Sonnenball seine Bahn ziehen, ohne dass dabei Licht und Wärme der natürlichen Sonne abgeblockt wurden. Eine Schönwetterwolke, die von der über Ground 28 stehenden animierten Sonne rötlich angestrahlt wurde, schwamm von Ground 24 über Views LivingGround. Die Kongruenzfunktion der DomeAnimation sorgte dafür, dass der simulierte Himmel auch unter die tragenden Flächen aller Plattformen projiziert wurde und sich dort nahtlos fortsetzte, so dass für den Betrachter, dessen Position sich unterhalb einer Ebene befand, der Eindruck entstand, als würde sie schweben. Tief unter sich blickte View auf die mit üppiger Vegetation besetzten Dächer der vielstöckigen DomeScraper von Ground 18 und leicht versetzt noch darunter lagen die Tops der Habitate von Ground 12. Die Sockel vieler Gebäude standen in Feuchtbiotopen, deren Wasser durch den Wasserdruck und die an den Außenhüllen anliegenden Antischwerkraftfelder direkt an den Wänden in die Höhe geleitet wurde. Der so entstehende dünne Wasserfilm versorgte die Moose und Kletterpflanzen, mit denen die Wände bewachsen waren und schuf so ausgedehnte Verdunstungsflächen, die die Atmosphäre unter den Kuppeln verbesserten. Links von View war die Luft vom Tosen eines Wasserfalls erfüllt, der hoch über ihr von Ground 32 auf den weit unter ihr schwebenden Ground 16 hinunterstürzte. Feiner Nebel stieg auf, der in allen Farben des Regenbogens glitzerte, den die DomeAnimation in die Wassermassen projizierte. Die Kaskade war Teil der GaußKatarakte, deren Kreislauf die Grounds 32, 24, 16 und 8 miteinander verband.

View schnupperte: Die SmellJets emittierten einen Geruch von Jasmin. Aus den SoundSpheres erklang der neueste Hit der Mediatics, der allerdings im Don­nern des herabstürzenden Wassers fast unterging. Geschieht euch recht, dachte View. Zwar standen die Mediatics in den Rankings ihrer SocialUnit ganz oben, aber sie fand ihre Harmonien einfach nur einfältig und plump. Unterschwellig wunderte sie das, denn in allen anderen Rankings war sie zu 95 Prozent gemittelt, aber was Musik anging, war sie offensichtlich etwas eigen. Wenn, wie sie mit hoher Wahrscheinlichkeit erwartete, das Gespräch mit dem Recruiter der Agency erfolgreich verlaufen war, würde sie sich in ihrem neuen CatharsisEgg erst einmal eine Session mit ihrer Lieblingsband, den Averagers, gönnen.

Das Egg war eine eiförmige Entspannungseinheit, deren Deckel View hinter sich zuziehen und sich so von der Außenwelt hermetisch abkapseln konnte. Die innere Wölbung des MusicCaves des Eggs ihrer Wonne war ganzflächig mit SoundSpheres bestückt, deren Klänge ihren Körper wie ein zähflüssiges Fluidum umhüllten und die Liege, auf der sie sich wohlig ausstreckte, in frequenzgenaue Schwingungen versetzte, die sich unmittelbar ihrem Rückgrat mitteilten. View genoss es, auf den Klängen ihrer Lieblingsband zu floaten. Das Egg war kostspielig und von ihrem Grundein­kommen hätte sie sich diesen Luxus nicht leisten können. Aber Pear.Inc, die MateCompany, die als Kundenpate Views Werdegang sponserte, hatte ihr zum Abschluss der UniqueSchool mit der Basisversion des KatharsisEgg einen langgehegten Wunsch erfüllt. Sollte sie einmal richtig Pay­Points verdienen, würde sie sich die AdvancedVersion des Egg zulegen, deren SensoHaptoren nicht nur den Anschein der Schwerelosigkeit erweckten, sondern den Floater tatsächlich schweben ließen.

Jeder Citizen ging im Alter von 12 Jahren mit einem Anbieter seiner Wahl eine auf Langfristigkeit angelegte Kundenbindung ein. Mit Zwölf hatte jeder hinreichende Produkt- und Angebotskenntnisse sowie genügend Markttransparenz erworben, um eine begründete Wahl für diese wichtige Partnerschaft treffen zu können, die exklusiv, aber nicht verbindlich war. Kunden und Unternehmen sahen in dieser Allianz eher Chance als Pflicht. Vonseiten der Anbieter, die ihre angehenden Kunden mit einer Patenschaft umwarben, hieß es daher:

„Wir haben die Verpflichtung, unseren Kunden zu dienen. Unsere Kunden aber nicht die Pflicht, bei uns zu kaufen.“

Mit dem Zustandekommen eines Clientingkontrakts wurden die jungen Citizens zu Markenbotschaftern ihrer MateCompany. Sie testeten Warenmuster, bevor die Produkte in den offenen Verkauf kamen und beantworteten im Zuge von Neuentwicklungen entsprechende Fragen zu Design und Funktionalität. Im Gegenzug gewährte ihnen der Konzern Sonderkonditionen, sponserte ihre Ausbildung und stellte einen Arbeitsplatz in Aussicht, den sie antreten konnten, falls ihnen das System keine anderen Möglichkeiten antrug. Die Unternehmen hatten mit ihren Patenkunden Scouts und Multiplikatoren in den Zielgruppen und konnten hoffen, lebenslang einen begeisterten Kunden zu haben und dessen Ertragswert in Form des CustomerLifetimeValue voll auszuschöpfen.

Die jungen Citizens ließen sich das Logo ihrer MateCompany auf die Innenseite ihres linken Unterarms einskinnen. Auf Views Arm prangte das Bildlogo von Pear: eine stilisierte auf der rechten Seite angebissene Birne, mit einem einzelnen, ebenfalls nach rechts gerichteten Blatt. Lange vor Views Zeit hatte Pear mit dem PearMonchalard den Prototyp eines portablen Kommunikators auf den Markt gebracht. Die Technik dieses AirSolidifiers beruhte darauf, durch Ionisation aus einer nur wenige Moleküle mächtigen Luftschicht ein nanostrukturiertes Gitter zu formen, das als Projektionsfläche für die durch einen Laser projizierten Inhalte diente und wie ein Touchscreen benutzt werden konnte. Inzwischen trug jeder ein solches, AeroFlat genanntes Gadget am Arm, über das die gesamte mobile Kommunikation lief. Die MatchingEyes, die alle Citizens, zwei Armlängen über ihren Köpfen schwebend, wie ihr persönlicher Duft überallhin begleiteten, stellten als HotSpot die Verbindung zum System her.

View war sich lange nicht sicher gewesen, welches Unternehmen sie zu ihrer MateCompany machen sollte, aber neben den gaußen Produkten, dem besonderen Flair und der Stimmigkeit der Markenwelt hatten letztlich ihre Einkaufsstatistik und ihre Rankings und Suchen im OmniNet den Ausschlag für Pear gegeben. View hatte sich bei ihren Peers sehr engagiert für ihre Company eingesetzt und war mit der Zeit für ihre Alterskohorte zu einer der maßgebenden OpinionLeader geworden. Und jetzt hatte sich das Unternehmen dafür erkenntlich gezeigt. Dass MateCompanies ihren Paten zum Abschluss der UniqueSchool Geschenke machten, war durchaus üblich, wenn auch nicht in dieser Großzügigkeit. Das nagelneue KatharsisEgg in ihrem Hexagon führte View auf sehr angenehme Weise vor Augen, damals zur richtigen Entscheidung geleitet worden zu sein. Pear war einfach eine doppelgauße Company. View hatte immer gedacht, einmal hier zu arbeiten, aber gerade aufgrund ihres Erfolgs als Multiplikatorin und des Gespürs für wirtschafts-soziale Zusammenhänge und die entsprechenden individuellen Befindlichkeiten, die sie damit unter Beweis gestellt hatte, hatte ihr das System in letzter Zeit vermehrt Auswertungen angetragen, die ihr ausgezeichnete Analysefähigkeiten sowie einen äußerst hohen Score in Networking und emotionaler Intelligenz bestätigten. Konsequenterweise konnte das nur auf einen Job in der Agency hinauslaufen. Und hier war sie nun auf ihrem Weg zum Einstellungsgespräch!

Um zur Agency zu gelangen, musste View die halbe Urb durchqueren. Der Sitz der Sozialtechniker lag auf Ground 32, 2 Höhenlevel über ihrem Habitat auf Ebene 22. Sie gab die Zielkoordinaten auf dem Reif ihres AeroFlats ein und nach kurzem Takt scherte eine Einheit der AntiGrav aus dem endlosen Strom der an ihr vorbeiziehenden Cabs aus und hielt direkt vor ihr. Sie stieg in die rundum transparente Kabine und sank in den Sitz, dessen Gurte sich sofort locker um ihr Becken und ihre Unterschenkel wanden, die Arme aber frei ließen. Mit dem Schließen der Einlassöffnung hob sich das Cab an, setzte sich langsam in Bewegung und driftete allmählich nach außen, wobei es zunehmend Geschwindigkeit aufnahm, bis schließlich auf dem äußersten String die wuchtigen Blöcke der Schwerkraftneutralisatoren aus massivem Cavorit in immer schnellerer Folge unter ihr vorbeiwischten und zu einem einzigen grauen Streifen verschwammen, als die Höchstgeschwindigkeit erreicht war. Da innerhalb der Kabine nun Schwerelosigkeit herrschte, teilte sich Views Körper die rapide Beschleunigung nicht mit. Während die Gurte sie sanft in ihrem Sitz hielten, genoss sie das Gefühl, ihre Arme ohne jede Muskelanstrengung in der Luft schweben lassen zu können. Eine ganze Weile glitt sie zwischen den Grounds auf dem Höhenlevel ihrer eigenen Ebene dahin, bis sich ihr Cab verlangsamte, um dann in einem senkrechten Uplift zum nächsten und übernächsten Höhen­level hinauf zu schwimmen. Hier querte View noch 2 weitere Plattformen und umrundete fast den halben Ground 32, bis endlich die Station in Sicht kam, die ihr der TrafficPilot als DockingStation für diese Ebene zugewiesen hatte. Das Cab manövrierte nach innen, verringerte die Geschwindigkeit, kam kurz zum Stillstand, um sich dann auf einem der 8 Strings einzuordnen, über die der Verkehr transGround auf den Plattformen onGround verteilt wurde.

Auf Ground 32 gab es keine Habitate und Wohnkuben, es war die kleinste und höchstgelegene aller Plattformen und wurde nicht umsonst CapitalGround genannt. Hier waren neben den Headquartern der maßgeblichen MarketPlayer und der Agency of SocialTechnology auch alle anderen administrativen Organisationen angesiedelt: die MatchingAdministration und ihre gigantischen Datenspeicher; die BigDataAlliance mit ihren mächtigen Kumulatoren und Aggregatoren; das Board of PredictiveProfiling, dessen Wahrscheinlichkeitsberechnungen sämtliche Aktionen der SecurePatrol steuerten und die sozial-urbanen Planungen fundierten; die Authority of PoliticalIndoctrination, die unter anderem für die BadPastLessons verantwortlich war; die BuyingGuidance, deren BuyingGuards darauf achteten, dass jeder Citizen sein Persönlichkeitsprofil über eine stringente Einkaufsbiographie stärkte; die für die Einführung von Produktinnovationen zuständige BetterLifeCorporation; die PeerNetworkingParty, die während ihres gesamten Konsumentenlebens die Vergleichswerte der Einkäufe der Peers einer Alterskohorte verwaltete und deren CustomerLifetimeValue erstellte, der SocialRankingCircle, der die Wahlen der Citizens anleitete, die ihre sozialen Aktivi­täten betrafen, und viele weitere Organisationen, die dafür sorgten, dass das Leben der 3 Millionen Citizens der Urb komfortabel und sicher war, weil es in gemittelten und erwartbaren Bahnen verlief, deren Eintretenswahrscheinlichkeit exakt quantifizierbar war. Es wurde gemunkelt, dass sogar die Zentraleinheit des Systems auf dem CapitalGround untergebracht war.

Heute Morgen schien die halbe Citizenship der Urb hier zu tun zu haben, doch der TrafficPilot verteilte den Andrang wie immer souverän und der Verkehr lief zwar langsam, aber flüssig. View ließ ihre Arme über ihrem Kopf schweben und die Werbung auf sich wirken, die auf die megaformatigen InfluenceBoards gestreamed wurde, die sich zwischen den Gebäuden spannten und an deren Wänden hochzogen. Im jeweiligen Einflussbereich eines Boards emittierte ihr Cab den jeweils passenden Sound. Wie 98,5 Prozent der Peers ihrer Bezugsgruppe genoss View intelligent gemachte Werbung und fand es erstaunlich, welchen Output an faszinierenden Produkten und sinnvollen Services die Corporations der Urb leisteten. Sie freute sich darauf, durch eine Tätigkeit in der Agency zukünftig dazu beitragen zu können, dass dieser nie versiegende Strom an Leistungen in den Bahnen verlief, die Komfort, Wellness und Sicherheit aller Citizens steigerten. View fand es wesentlich beeindruckender, die Commercials auf den Influen­ceBoards zu verfolgen als auf dem Screen ihres Hexagons. Die riesigen Bilder und bewegten Szenen vor der im Licht der DomeAnimation flirrenden Kulisse der Urb unter den weit gespannten Kuppeln zu erleben, überwältigte sie jedes Mal von neuem.

Aha, da waren ja die CoatingColours, die ihr Siema gestern Abend vorgeführt hatte. Und hier: Offenbar gab es eine noch neuere Version des KatharsisEgg, die mit einem Set von Düften arbeitete, das man entsprechend der Musikrichtung wählen konnte, mit der man den MusicCave des Eggs beschallte. Sie wies ihr Matching­Eye per VocalCommand an, einen entsprechenden CommercialMarker in ihren DayStream zu setzen: Dieses gaußaktuelle KatharsisEggOdour wollte sie sich gemütlich zuhause im OmniNet näher ansehen. Sie war gespannt, welche Duftalternativen ihr das System für die Musik der Averagers antragen würde.

Regelmäßig wurde die Werbung durch Indoctrinations des Systems oder irgendeiner Administration unterbrochen, deren Urheber immer kurz nach dem Slogan eingeblendet wurde.

„Korrelationen ermöglichen Berechenbarkeit. − Berechenbarkeit schafft Sicherheit.“ Das musste von der MatchingAdministration und BigDataAlliance kommen. Korrekt!

„Sicherheit ermöglicht Freiheit. − Freiheit erfordert Sicherheit.“ Das war mit hoher Wahrscheinlichkeit ihr mit hoher Wahrscheinlichkeit zukünftiger Arbeit­geber. Richtig, das Logo der Agency erschien: eine stilisierte gaußsche Glockenkurve.

„Wer die Zukunft er-mittelt, sichert die Gegenwart.“ Board of PredictiveProfiling.

„Nur ein professionell angeleiteter Kauf stärkt dein Persönlichkeitsprofil!“ BuyingGuidance.

„Messen, wählen, teilen. Was nicht messbar ist, existiert nicht.“ SocialRankingCircle.

Der Screen flimmerte und wurde völlig dunkel. Dann erschienen große weiße Schriftzeichen. Kein Clip, kein Ton, nur Text.

„Dein Schlaf gehört dir!“

Das konnte View nicht einordnen. Ein Anbieter von Luxusliegen? Kein Urheber. Da, auch auf dem nächsten InfluenceBoard.

„Dein Schlaf gehört dir!“

Jetzt überlagerte dieser seltsame Slogan immer wieder für einige MicroTakte die Werbung auf sämtlichen Boards, die View passierte, ohne dass jemals angezeigt wurde, von wem er stammte. Dann war es vorbei und die üblichen Reminder erschienen wieder.

Inzwischen war der Tower der Agency in Sichtweite gerückt. Er lag mitten in einem Geschäftsviertel, an dessen Peripherie die AntiGrav endete. View verließ ihr Cab, gewöhnte sich kurz an die Schwerkraft, die ihre Arme nun wieder nach unten zog, und bestieg einen der bereitstehenden Hover, mit denen Kurzstrecken zurückgelegt wurden. Als Member der Agency hätte sie einen speziellen Zubringer der AntiGrav nutzen können, aber noch hatte sie keinen Kontrakt mit ihrer DNA gesiegelt und so schlängelte sie sich durch die Menge der Citizens, die ganz offensichtlich ihre CasualFreeTime genossen und durch die ShoppingMalls flanierten, die eine der Prachtstraßen der Urb, die GaußAvenue, säumten. Selbst in diesem dichten Gedränge konnte sie sich erlauben, den SpeedoMat des Hovers hochzuziehen, denn dessen CrashDefender verhinderten Zusammenstöße, verur­sach­ten aber des Öfteren einen ziemlichen Schlingerkurs, um eben diese zu vermeiden.

Vor View tauchte eine Citizen auf, deren Brust und Rücken mit Tafeln behängt waren, auf denen Werbung für RetroFashion aufgebracht war. Richtig, die BadPastLessons hatten ja wieder einmal CuriosityWeeks ausgerufen, deren Thema diesmal „Die Entwicklung der Werbung vor dem Finalen Kataklysmus“ war. Diese Citizen war eine SandwichWoman, ein wandelnder Werbeträger und EyeCatcher, wie er damals wohl üblich gewesen war. View grinste vor sich hin. Kurios, in der Tat. Sie konnte sich nicht vorstellen, sich mit solch statischen und analogen Informationen begnügen zu müssen, sondern liebte es, alle Pros und Cons von Angeboten umfassend und in allen Fassetten im OmniNet zu recherchieren und sämtliche Rankings der Peers ihrer SocialUnit dazu einholen zu können. Nur so ließ sich eine sichere und ihrem Psychogramm kongruente Kaufentscheidung treffen.

Die GaußAvenue endete unter einem monumentalen Bogen in Gestalt einer Glockenkurve, der auf den MesotesCircus führte, einen weitläufigen Platz, auf dem der Tower der Agency bis fast unter die Kuppel ragte. „Ohne Mittelung keine Freiheit. – Abweichung erfordert Intervention.“, stand über dem Portal. Diese Botschaft wurde nicht wie üblich auf ein InfluenceBoard gestreamed, sondern war als gewissermaßen in Stein gehauenes MissionStatement in weithin sichtbaren Lettern in das Material der Außenhaut des Gebäudes eingelassen. View stellte ihren Hover ab und sah sich um. Der Platz war dicht mit Citizens besetzt, die nach ihrer Shoppingtour an einer der zahlreichen Fontänen saßen oder in das Foyer des AgencyTowers strömten, um sich vor Ort die neuesten Statistiken anzusehen, was vor dem Hintergrund dieses Ambientes wesentlich eindrucksvoller war, als die Daten lediglich im OmniNet abzurufen.

View fiel ein Citizen auf, der sich gerade auf eine Mauer schwang, die eine der Fontänen einfasste. Seine Erscheinung wirkte irgendwie deran­giert, ohne dass sie hätte sagen können, woran das lag. Der Mann breitete die Arme aus und schrie etwas über die schwach blinkenden Statusanzeigen der MatchingEyes hinweg, die über den Köpfen der Menge schwebten. View konnte nur den Rest verstehen:

„Ich bin ein Rufer in der Wüste und wahrlich, ich sage euch:

Die Fülle des Daseins ist verdorrt,

das Salz des Lebens ist verweht,

das eherne Regime der Mittelung verurteilt euch zu ewigem Gleichmaß.

Was ihr nicht suchet, werdet ihr nicht finden.

Was ihr nicht erwartet, wird euch nicht geschenkt werden.

Was ihr euch nicht vorstellen könnt, wird euch nicht beglücken.“

Erst als die Gestalt von der Mauer sprang und zwischen den Citizens untertauch­te, wurde View klar, was ihr so seltsam vorgekommen war. Ein Solist? Konnte es sein, dass über dem Kopf dieses „Rufers“ kein MatchingEye schwebte? Doch ehe sie darüber Gewissheit erlangen konnte, war er schon in der Menge verschwunden.

Sie wies dem Vorfall keine besondere Bedeutung zu und betrat das Foyer der Agency, dessen Decke sich erst in der Höhe mehrerer Stockwerke über ihr wölbte. Auf den HoloSäulen, mit denen der weitläufige Raum bestückt war, tickerten die aktuellen Statistiken und Umfrageergebnisse und nahmen in um die eigene Achse rotierenden Kubusdiagrammen dreidimensionale Formen an.

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