Kitabı oku: «Dismatched: View und Brachvogel», sayfa 5

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An einer bestimmten Landmarke hieß die im Heck sitzende Weisungsfrau die Mannlinge ans Ufer steuern und die erste Gruppe verließ das Boot und machte sich zu den ihr zugeteilten Äckern auf. Dies wiederholte sich einige Male, bis schließlich auch die beiden Freunde an der Reihe waren. Obwohl das Pflügen zu den Obliegenheiten der Springlinge gehörte, hatte es die Eisenfrau auf Brachvogels Bitte hin so einzurichten gewusst, dass diesmal auch ihr Gehilfling Agror mit zum Pflügen ausfuhr. Denn lange schon bewegte Brachvogel eine Idee in seinem Kopf und hatte deren praktische Umsetzung, die er in dieser Nacht erproben wollte, auch schon mit seinem Freunde ausgeheckt.

Vom Fluss war es noch eine Strecke Weges bis zu den Äckern und die beiden Mannlinge schritten, nachdem sie Morast und Röhricht des Ufers hinter sich gelassen hatten, kräftig aus. Der schmale, wenig ausgetretene Pfad wand sich um einige Hügel, bis sie schließlich auf eine weit gestreckte Ebene kamen, von der die Weisen Frauen einst aus Gründen, die sich Brach­vogels Nachvollzug entzogen, orakelt hatten, dass sie geeignet sei, Frucht zu tragen. Am Rande einer kleinen Baumgruppe hoben sich drei kreisrunde und nach dem Sicheln und Jäten schon wieder von handbreit hoch stehenden Unkräutern überwucherte Flächen von den grasbestandenen und mit kleinen und größeren Steinen übersäten Bodenwellen ab. Der jeweils in ihrer Mitte ragende Pflugpfahl warf schon einen deutlich längeren Schatten als Brachvogel zum Zeitpunkt seines Aufbruchs.

Da kam ihnen auch schon sichtlich ungeduldig eine Gestalt entgegen. Gewiss die Wächterin, die hier Wacht hielt und ihrer schon geharrt hatte. Als sie näherkam, erkannte Brachvogel, um wen es sich handelte. „Natürlich, ausgerechnet Bruna“, stöhnte er innerlich, denn mit dieser Frau lag er in Dauerfehde und sie drangsalierte und kujonierte ihn, wo und wie sie nur konnte.

„Um Lunas Willen, wo bleibt ihr denn? Bequemt ihr tumbes Mannlingsvolk euch auch endlich mal her?, herrschte sie die beiden Freunde an. „Brachvogel, du magst zwar Zeugungsträger sein“, sie richtete einen despektierlichen Blick auf seinen Schritt, „aber auch solche wie du haben mit anzupacken. Wir haben jetzt viel­leicht noch fünf Stunden, bis die Sonne aufgeht und unsere Mühen hinfällig werden lässt. Los ihr Tränentiere, kommt in die Hufe und sputet euch gefälligst.“

Wie bittere, den Schlund hochsteigende Galle schluckte Brachvogel eine scharfzüngige Ent­gegnung hinunter. Im Laufe der Zeit hatte er ge­lernt, dass es sinnlos war, zu versuchen, den Frauen auf ihrem angestammten Feld etwas ent­gegenzusetzen. Sie hatten nun einmal das Heft in der Hand und die meisten Mannlinge waren zudem so gestrickt, dass sie ihren Antreibe­rinnen willig folgten wie eine Herde Schafe. Da half es nicht weiter, wenn ein Mannling in alltäg­lichen Belangen den Widerborst spielte und viel­leicht sogar einmal in einem Wortgefecht den Sieg davontrug. Wenn Brachvogel etwas ändern wollte, musste er auf grundlegenderer Ebene ansetzen. Er musste den Kreis der Weisen Frauen und insbesondere die Archontin davon überzeugen, dass es Möglichkeiten gab, die Dinge zu verbessern. Dass das, was seit Genera­tionen althergebracht war und mit den natürli­chen Kreisläufen in Übereinstimmung lag, nicht notwendig auch immer das Beste für die Klave sein musste. Gelang es ihm, seine Ideen umzusetzen, war das der Beweis, dass Mannlinge mehr waren als nur willfährige Gehilflinge und kräftige Arbeitstiere, die von Ebseln im Grunde nur unterschied, dass sie sich Befehle und Anweisungen merken und der Reihe nach abarbeiten konnten. Und das vorzubereiten, bot sich vielleicht heute Nacht die Gelegenheit. Also machte sich Brachvogel ans Werk, ohne Bruna ihren Ausbruch mit gleicher Münze heimzuzahlen. Aus dem Augenwinkel heraus vermeinte er in ihrer Miene Enttäuschung darüber zu lesen, dass er auf ihren Ausfall nicht eingegangen war, den sie auf ihn losgelassen hatte, wie man einem Hund einen Knochen hinwarf.

Es galt als Ackerfrevel, Mutter Erde ihre Früchte frech in einer schnurgeraden Furche abzu­trot­zen. Nach Art der Frauen schmeichelte man ihr die Bitte um Gaben vielmehr in Form einer kreisrunden Furche in den Acker ein. Zu diesem Behufe wurde in die Mitte des Feldes der Pflugpfahl eingeschlagen, um den herum, durch ein Seil geführt, der Pflug seine Kreise zog. Jede der drei Brachen, die Brachvogel zu bearbeiten hatte, erstreckte sich etwa über einhundertvierzig Schritt, also betrug der Halbmesser siebzig Schritt. Das eine Ende eines Seils etwa dieser Länge hieß Brachvogel Agror nun unten um den Pflugpfahl schlingen, während er das andere Ende an dem Joch befestigte, in das er den Zugebsel spannte, der am Rande der Brachen angepflockt war. Dann hakten sie den Pflug in das Geschirr, machten sich geschäftig hier und da zu schaffen und warteten auf den Moment, in dem Bruna, die sie unablässig im Auge hielt, in ihrer Aufmerksamkeit nachlassen würde. Da diese sie aber nach wie vor mit scharfen Blicken überzog, ergriff Brachvogel den Pflug, schnalzte mit der Zunge und der Ebsel zog an. Wider Willen sammelte sich Brachvogel, denn es erforderte einiges Geschick, das Tier so zu führen, dass es den Pflugpfahl nicht aus der Erde zog, (was es mühelos gekonnt hätte), das Seil aber stets so gespannt zu halten, dass der Pflug einen makellosen Kreis zog und die Furche nicht zum Kreismittelpunkt hin einbrach. Da sich die Länge des Seils nach jeder vollen Runde um den Durchmesser des Pflugpfahles verringerte, um den es sich wickelte, wurden die Kreise allmählich immer näher an ihren Mittelpunkt herangeführt. Lagen dann nach etlichen Runden schließlich mehrere Schichten Seils übereinander, wurde der Abstand zwischen den Furchen immer größer. Deshalb setzte Agror dann dort, wo das Seil die Wicklung verließ, eine Markie­rung, streifte die ganze Wicklung von unten nach oben über den zu diesem Zweck gut ein­geölten Pflugpfahl und schlang das Seil an der markierten Stelle erneut um das Holz. So erreichten sie, dass der Abstand zwischen den Furchen in etwa gleichblieb.

Als sie sah, dass alles reibungslos lief, wandte Bruna sich endlich ab und schickte sich an, sich die Beine zu vertreten. Nun war endlich der Moment gekommen, dass Brachvogel seine Kopf­geburt zur Welt bringen konnte.

Getreu der Losung, sich nur das zu nehmen, was die Natur freiwillig zu geben bereit war, nutzte die Klave seit Frauengedenken Pflüge, die nicht ungestüm und tief in die Erde einbra­chen, sondern deren Sporn den Boden zur Aufnahme des Samens allenfalls anderthalb Handbreit tief ritzten. Die Unkräuter, die die Brachen nach dem Jäten wieder oder noch bedeckten, wurden so zwar entwurzelt, blieben aber auf dem Acker liegen und mussten entfernt werden, bevor gesät und das Saatgut in die vom Pflug gezogenen Rillen eingearbeitet wurde. Nachdem Brachvogel unzählige Male zu solcher Fron eingeteilt worden war, schoss ihm die Idee für einen Pflug durch den Kopf, der die Erde nicht nur ritzen, sondern auch gleich in großen Schollen umwerfen würde. Die Unkräuter würden so nicht nur entwurzelt, sondern untergepflügt werden. Er hatte einmal beobachtet, wie aus einem in die Erde gesunkenen Wurzelballen, der zuoberst der Pflanzen lag, die aus ihm hervorgegangen waren, abermals besonders dichtes Grün spross. Offensichtlich spendeten Pflanzen in der Erde dieser im Vergehen Nährstoffe für neues Wachstum. Vor allem aber würde der Samen so auf eine viel größere Fläche aufnahmebereiter, schwarzer Erde fallen, als nur in die schmalen Furchen eingestreut, die der Ritzpflug hinterließ. Um das zu erreichen hatte er eine Vorrichtung ersonnen, die statt der schmalen Spitze des Ritzpfluges wie eine hohle Hand durch die Erde fahren, diese erst aufwölben und dann umwerfen und zerkrümeln würde.

Um zu erproben, ob sich dies auch in der Praxis so verhielt, führte Brachvogel in seinem Pro­viant­beutel einen handspannenbreiten Holzkeil mit, der sich zu zwei Seiten hin ver­jüngte. Diesen brachte er jetzt zusammen mit Agror mittels eines Seiles dergestalt an dem Pflug an, dass die breite Seite des Keiles an dessen Sporn anlag. Das würde nicht lange halten, dürfte aber genügen, um zu erweisen, ob seine Idee wirklich umsetzbar war. Brachvogel packte die Griffe des Pflugs und der Ebsel zog an. Und in der Tat: Das Unterste kehrte sich zuoberst. Über dem Keil wölbte sich die Erde auf und in schneller Folge sanken fruchtba­re, schwarze Erdklumpen auf die Seite. Zwar riss nach nur wenigen Spannen der Keil ab, die Vorteile der Konstruktion aber waren nur zu offenbar geworden. Brachvogel war aufgefallen, dass der veränderte Pflug dem Ebsel deutlich mehr Widerstand entgegengesetzt hatte. Vielleicht konnte man das mit einem Dop­pelgespann von Ebseln ausglei­chen. Er ging in die Knie, um sich die Lage der Erdschol­len genauer anzusehen, vielleicht sollte er auch den Winkel seines Erdumwerfers noch steiler machen. Aber das waren nur Kleinigkeiten, denen er sich später widmen konnte. Im Prinzip hatte sich seine Idee als tragfähig erwiesen und nur darauf kam es an. Als er sich wieder aufrichtete, wurde er gewahr, dass Bruna sie aus der Ferne beobachtete. Für sie musste die Erprobung des Erdumwerfers so ausgesehen haben, als hätten sie einen Stein aus dem Weg geräumt. Brachvo­gel nahm seine Runden wieder auf und Agror bezog seine Stellung am Pflugpfahl, um die Seilwicklungen zu überwachen.

Bruna war inzwischen nahe herangekommen. Stur und mit zusammengebissenen Zähnen zog Brachvogel seine Runden. Er empfand die ausgeklügelte Prozedur des nächtens im Kreise Pflügens als völlig überflüssige Schnörkelei, die niemandem etwas nutzte. Nicht sollte die Klave der Natur, sondern die Natur der Klave dienen. Was war falsch daran, sich das Leben zu erleichtern? Was war falsch daran, durch Einsatz der richtigen Mittel, die zugegebe­nermaßen tiefer in die Erde eingriffen, einem Acker mehr Frucht abzuringen, als mit einem Ritzpflug möglich war? Was war falsch daran, die altüberkommenen und ausgetretenen Pfade zu verlassen und Neues auszuprobieren? Die Dinge konnten doch nur besser werden! Je län­ger er das Treiben in der Klave von seiner Warte aus betrachtete, desto stärker drängte sich ihm der Verdacht auf, dass es dem Kreis der Weisen Frauen um die Archontin mit all ihrer Demut und Besonnenheit und dem stoischen Beharren auf dem, was schon immer so gewesen war, weniger darum ging, Übel von der Klave abzu­wen­den, als vielmehr darum, die eigene Macht zu festigen und die Mannlinge in Abhängigkeit zu halten.

Aus der Ferne ließ sich jetzt ein kehliges Trompeten vernehmen. Brachvogel hielt inne, blickte voll gespannter Erwartung nach oben und suchte den Himmel ab. Richtig: Von Süden her zog eine Kette von Kranichen ihre pfeilgerade Schnur in die Luft. Es begann wieder! Von nun an würden täglich tausende dieser großen Vögel über den Himmel ziehen. Sie schienen immer ganz genau zu wissen, wohin sie wollten und in den offenen Horizont hinein geradewegs auf ihr Ziel zuzufliegen. Es war dies eine Zeit des Aufbruchs. Alles in der Natur keimte, spross, wuchs, üppigte und geilte, drängte vorwärts, verdrängte dabei anderes und strebte möglichst schnell in die Breite und Höhe, um sich Licht, Luft und Raum zu erobern. Auch Brachvogels Blut wallte vor unbestimmtem Verlangen, grenzenloser Sehnsucht und unbändigem Tatendrang.

Für die Klave aber war das Symbol des Kranzes, das die Archontin eben während der Zeremonie mithilfe des dunklen Tönens in den Köpfen der Mannlinge heraufbeschworen hatte, leider nur allzu treffend: Ihrer aller Leben verlief im Kreis, war erstarrt im ewig immer Gleichen. Doch Brachvogel war es satt, wie ein Ebsel an der Leine im Kreis herumzulaufen. Die Eintönigkeit seiner Tage und das eherne Gehäuse der Riten und Kreisläufe schnürten ihm schier den Odem ab. Er sehnte sich nach dem offenen Horizont. Er wollte wider den Stachel löcken, wollte das Reis sein, das aus dem Rund des Kranzes ausbrach. Er würde sehen, ob er der Archontin nicht die Vorteile seines Pfluges schmackhaft machen konnte. Mochten Demut und Besonnenheit Luna, dem Mondtag und den Müttern gehören, Tatkraft und Stärke der Männer aber gehörten Sol und dem Sonnentag.

System / ClockedCounter / Update_567 / Takt_17.856.730

Dein Schlaf gehört dir!

Agitation der Oneironauten

Die leichten Bewegungen des in völliger Dunkelheit auf dem Wasser treibenden Körpers lösten leise Wellen aus, die sich an den würfelförmigen Ausstülpungen der Wände des schalltoten Raumes brachen. Die Citizen war völlig nackt. Lediglich ihre Kopfhaut war mit einem supraleitfähigen Gel überzogen, in das ein engmaschiges Netz von Elektroden eingebettet war, die Art und Intensität der Aktivitäten ihrer unterschiedlichen Hirnhemisphären ausforschten. Das 34,8 Grad warme Wasser entsprach exakt der Außentemperatur ihrer Haut und seine durch den Zusatz von Magnesiumsulfat erhöhte Dichte hielt sie völlig schwerelos in der Schwebe. Dergestalt von allen äußeren Sinnesreizen abgeschirmt hatte sich die Citizen ganz in ihre Innenwelten zurückgezogen.

Diese waren Gegenstand des Interesses einer Gruppe von Citizens, die auf ein Set von Monitoren blickten, die Aufschluss über das Geschehen im Inneren des SensoryDeprivationTanks gaben, der alle äußeren Sinnesreize ausschloss. Infrarotkameras übertrugen Lage und Bewegungen des Körpers und vor allem in Großaufnahme das Gesicht der Citizen, die auf der Salzwasserlösung schwebte: Ihre Züge waren völlig entspannt, lediglich die Augen unter den geschlossenen Lidern befanden sich in ständiger Bewegung. Die Kurven und Linien des Enzephalogramms, das die Elektroden auf ihrer Kopfhaut übermittelten, gaben die Aktivität ihrer Hirnhemisphären wieder. Auf einem Bildschirm überlagerten sich die Amplituden von Theta-, Alpha- und Betawellen in einem charakteristischen Muster. Ein untrüglicher Indikator dafür, dass die Synapsen ihres limbischen Systems mit höchster Intensität feuerten.

Die Citizen träumte tief. Dass sie sich, obwohl von allen Sinnesreizen abgeschottet, innerlich im Zustand höchsten Erlebens befand, zeigten auch ihr angestiegener Blutdruck, die unregelmäßige Atmung und der bis auf die Muskelringe um die Augen herabgesetzte Muskeltonus; ein Mechanismus, der den unwillkürlichen Impuls, geträumte Bewegungen körperlich umzusetzen, ins Leere laufen ließ und sie so vor Verletzungen schützte.

„Esther tritt jetzt in die fünfte REM-Phase ihres Schlafs ein“, bestätigte eine hochgewachsene Frau, die dem neben ihr stehenden Traumnovizen als Seherin Kassandra vorgestellt worden war. „Siehst du, wie ihre Augen unter geschlossenen Lidern Bewegungen und Abläufen folgen, die sie im Traum wahrnimmt? Sie durchlebt in der Regel 4 bis 6 solch intensiver Traumphasen, von denen jede jeweils etwas länger dauert, die fünfte im Mittel etwa 40 MinorTakte. Aber da wir weder exakt wissen, wie lange sie diesmal in REM5 bleibt, noch sicher davon ausgehen können, dass sie tatsächlich eine noch längere sechste Tieftraumphase erlebt, werden wir sie in 35 MinorTakten wecken. Unmittelbar aus dem REM-Schlaf erwachend, können wir uns nämlich am intensivsten an unsere Träume erinnern.“

„Warum träumt Esther im Tank und nicht in ihrem Bett?“

„In der REM-Phase schlafen wir nicht so fest wie im traumlosen Tiefschlaf, sind also prinzipiell störungsanfällig. Wir glauben, durch den Ausschluss aller äußeren Sinneseindrücke die Intensität des Traumerlebnisses steigern und beim Aufwachen im Tank eine besonders unverfälschte Traumerinnerung provozieren zu können. Deswegen nennen wir die Salzlake, auf der Esther treibt, auch ,Mne­mosyne‛. Mnemosyne hieß bei den alten Griechen, eines der vielen mythischen Völker vor dem Finalen Kataklysmus, ein Fluss, dessen Wasser die Erinnerung zurückbringen sollte.“

Auf die Wellenmuster auf dem Bildschirm deutend fuhr Kassandra fort: „Um dir zu vergegenwärtigen, was die einzelnen Kurven bedeuten, stelle dir das Bewusstsein und das Unbewusste einmal als die entgegengesetzten Punkte eines Kontinuums vor, das von Wellen unterschiedlicher Länge durchzogen wird. Je niedriger nun die Frequenz einer Hirnwelle, je länger sie also ist, umso eher weist sie auf eine Aktivität hin, die in den Zentren des Hirns angesiedelt ist, die unterbewusste oder unbewusste Inhalte verarbeiten. Je höher die Frequenz einer Hirnwelle, also je kürzer sie ist, umso mehr zeigt sie eine Aktivität des Wachbewusstseins oder einen Zustand höchster Konzentration oder Intensität an.

Hier nun haben wir viele lange Wellen mit relativ niedriger Frequenz ‒ Thetawellen. Die Kurven mit etwas höherer Frequenz sind Alphawellen und die ganz kurzen hochfrequenten, Betawellen.

Die Thetawellen signalisieren die Aktivität des persönlichen Unterbewusstseins und stehen auch für die Verarbeitung von Inhalten des überpersönlichen Unbewussten. Sie sind charakteristisch für die Phase tiefen Träumens, das sich vor allem in den Regionen des limbischen Systems und hier besonders in einer Amygdala genannten Hemisphäre abspielt. Neben dem Stammhirn ist das limbische System die tiefste und älteste Hirnschicht und von der Amygdala wird gesagt, dass hier der Ursprung der Emotionen liegt. Du kannst dir denken, dass das limbische System und die Amygdala beim Träumen besonders aktiv sind.

Dann sind da noch die Alphawellen. Sie können bei geschlossenen Augen im Zustand geistiger Entspanntheit gemessen werden. Sobald die Augen geöffnet sind, treten Betawellen an ihre Stelle, die charakteristisch für den Wachzustand sind. Dass wir hier bei der schlafenden Esther auch die hochfrequenten, kurzen Betawellen finden, ist ein Hinweis darauf, dass während des Träumens Eindrücke des Wachbewusstseins verarbeitet werden. Alphawellen sind ein ziemlich verlässlicher Indikator dafür, dass zwischen verschiedenen Hemisphären unseres Hirns ein besonders intensiver Austausch stattfindet. Die ihnen zugrundeliegende Aktivität sorgt etwa während des Träumens dafür, dass Trauminhalte vom limbischen System in die Großhirnrinde, den Neocortex wandern, wo sie abgespeichert und im Zustand des Wachbewusstseins erinnert werden können.

In der Phase des Tiefschlafs findet kein Austausch zwischen den Hirnregionen statt, der Tiefschlaf ist eine in sich geschlossene Sphäre. Wir vermuten, dass wir hier dem überpersönlichen Unbewussten am nächsten sind. Sollten wir im Tiefschlaf träumen, könnten wir uns nicht daran erinnern. Erinnerungsfähig sind Inhalte des Vor- und Unbewussten lediglich dann, wenn sie ins individuelle Un­terbewusste gespült werden, was dann in der REM-Phase die charakteristischen Thetawellen verursacht.

Gehen wir in der Aufzeichnung einmal in die Tiefschlafphase vor der jetzt aktuellen REM-Phase zurück. Siehst du? Keine zwischen den Hemisphären vermittelnden Alphawellen, also keine Erinnerung und statt der für das Träumen charakteristischen Thetawellen Wellen mit einem noch bedeutend längeren Ausschlag. Das sind Deltawellen, die in der Phase des vermutlich traumlosen Tiefschlafs produziert werden. Die weitläufigen Schwingungen der Deltawellen in den niedrigsten noch messbaren Frequenzen zeigen Aktivitäten in den Hemisphären unseres Hirns an, die Inhalte des überpersönlichen Unbewussten verarbeiten. Hier kommen gewissermaßen die Umfeld- und erlebnisbedingten kurzwelligen Ausschläge der Verarbeitung individueller Eindrücke des Einzelnen zum Stillstand und die Welle holt weit aus, um sich in die Unendlichkeit der stammesgeschichtlichen Phylogenese und das kollektive Unbewusste der Menschheit hinein zu verlängern.

Hier wollen wir hin, hier liegt der Ursprung der Traumsymbole, die wir erfassen wollen, um zu begreifen, was den Menschen ausmacht und welche Geschichte er hat. Wir glauben, dass die Analyse und bewusste Aneignung der Inhalte unserer Träume die Ödnis der Angebote der Wirtschaftssozialität des Systems durchbrechen und uns auf das für die Menschen Wesentliche zurückführen können.“

„Und um das zu verhindern, unterdrückt das System unsere Träume?“

„Genau das ist der Grund für die Integration des Morpheustrons in die MatchingEyes. Tagsüber überwacht es uns und nachts stiehlt es uns unsere Träume. Das Morpheustron bewahrt nicht unseren Schlaf, sondern unterdrückt unsere Träume. Genau genommen unterdrückt es nicht das Träumen, sondern verhindert, dass wir uns an unsere Träume erinnern. Was im Ergebnis aber auf das Gleiche herauskommt: Das System verhin­dert, dass wir bewusst zu unseren Ursprüngen zurückgelangen können.“

„Also träumen wir durchaus. Aber unsere Träume dringen nicht zu uns durch und ihre Botschaft bleibt uns so verschlossen?“

„Richtig. Du musst wissen, dass es für einen funktionsfähigen menschlichen Geist und Organismus unerlässlich ist zu träumen. Im Traum verarbeiten wir unsere Erlebnisse, deuten unsere Erfahrungen, wir lernen und festigen unser Wissen und unsere Fähigkeiten, wir bewältigen Unbewältigtes. Der Traum verhilft uns auf eine konstruktive und für uns förderliche Art und Weise zu dem zu werden, der wir sind und vor allem, zu dem zu werden, der wir sein wollen und wohl auch sein sollen. In den Zeiten vor dem Kataklysmus wusste man um diese Bedeutung des Schlafs und also des Traums. Da gab es beispielsweise Redewendungen wie: ,Das lerne ich doch im Schlaf.‛ Oder: ,Darüber muss ich noch einmal schlafen.‛ Dauernder Schlafentzug ist also letztendlich nicht nur deshalb tödlich, weil der Organismus nun einmal Ruhephasen braucht, um sich zu regenerieren, sondern auch, weil er verhindert, dass wir träumen können. Ein Mensch der nicht träumt, kann seine Erlebnisse nicht verarbeiten und bekommt irgendwann massive Probleme mit sich. Und da ihm der Zugang zu den überindividuellen Inhalten der Menschheitsentwicklung versperrt ist, irgendwann auch Probleme mit den anderen. Würde das System das Träumen unterdrücken, liefe es also Gefahr, jede Menge Psychopathen zu produzieren, die nicht in seinem Sinne funktionieren würden, da ihre Reaktionen höchst individuell und damit nicht mehr berechenbar wären. Das Verhalten eines Citizens, der nicht träumt, wäre nicht zu mitteln. Das Träumen als solches zu verhindern, wäre also für das System kontraproduktiv. Trotzdem aber schneidet es uns den Zugang zu unseren inneren Welten ab, indem es verhindert, dass wir uns an unsere Träume erinnern.

Wir können experimentell eindeutig nachweisen, dass das Morpheustron während des Traumschlafs gezielt diejenigen Regionen des Gehirns stört, die Alphawellen aussenden. Würden wir an Esthers MatchingEye jetzt das Morpheustron aktivieren, blieben exakt diese Wellen aus, ein Zeichen dafür, dass die vermittelnde Aktivität zwischen ihrem limbischen System, das ihre Träume evoziert und ihrem Neocortex, in dessen Sphäre die Träume bewusst verarbeitet werden, zum Erliegen gekommen ist. Esther würde sich nicht mehr an ihren Traum erinnern. So ergeht es allen Citizens, deren Morpheustron automatisch aktiviert wird, sobald sie einschlafen. Offensichtlich lässt das Morpheustron noch genügend Traumaktivität zu, dass wir unterbewusst unsere Erlebnisse verarbeiten und unsere Erfahrungen und unser Wissen festigen können, aber es nimmt uns jede Chance, uns an unsere Träume zu erinnern.

Du selbst bist der Gnade teilhaftig geworden, erfahren zu dürfen, wie überaus belebend und bereichernd es ist, den Abglanz eines Traumes festzuhalten und in den Tag hinüberzuretten, um den Eindrücken und Gefühlen nachzuspüren, die dir deine Traumgesichte im Schlaf vermittelt haben. Nur so erfährst du, wer du wirklich bist und was für einen Sinn es hat, ein Mensch zu sein. Wir dürfen uns nicht länger mit den vermeintlich freien Wahlen und den ach so gaußen Angeboten des Systems abspeisen lassen, sondern müssen dafür sorgen, dass auch möglichst viele andere diese Traumerfahrung machen können. Es gibt weitaus Tragenderes und Tieferes als die oberflächlichen, faden, öden und kurzzeitigen Befriedigungen des Systems. Genau deshalb fordern wir: Unser Schlaf und alles, was daraus erwachsen mag, gehört uns!“

„Und was genau macht ihr nun hier? Ihr legt euch reihum in den Tank, zeichnet die Gehirnaktivitäten während des Träumens auf und berichtet euch dann, was ihr geträumt habt?“

„Im Grunde genommen tun wir genau das, weil das ergänzend zum Studium des alten Kulturguts, zu dem wir Zugang haben, die einzige Art von strukturierter wissenschaftlicher Empirie ist, die wir mit unseren beschränkten Mitteln durchführen können und die uns sozusagen am eigenen Leib Aufschluss über die Träume geben kann. Unser Zugang zum Mysterium des Traums ist dabei ein sehr grobschlächtiger. Sicher lassen sich spezifische Phänomene bestimmten Hirnarealen zuordnen, doch arbeiten diese nicht isoliert voneinander, sondern sind in äußerst komplexer Weise mit anderen Hirnhemisphären verschaltet. Und wir sind weit davon entfernt, die vielschichtigen Wechselwirkungen dieses neuronalen Netzes zu verstehen. Wir träumen aber davon“, Kassandra lachte, „irgendwann einmal die Traumsymbole und ihre Bedeutungen zur Gänze erfasst zu haben und mit den dafür spezifischen Mustern von Hirnwellen abgleichen zu können. Aber dazu bräuchten wir Hunderttausende von Citizens als Probanden und weitaus mehr Rechenkapazität als das kleine Eckchen, das wir dem System abgerungen haben und ständig gegen seine SearchBots verteidigen müssen.“

Ein leiser Glockenton ertönte. „Es ist Zeit“, sagte jemand.

„Wir werden Esther jetzt aus ihrem Traum holen“, wandte sich Kassandra wieder an den Citizen. „Damit unterbrechen wir zwar vielleicht eine für sie wichtige Botschaft, aber es gibt keine andere Möglichkeit. Nie sind die Bedingungen so günstig, möglichst viele Eindrücke aus einem Traum unverfälscht ins Wachbewusstsein hinüber gleiten zu lassen, als während des unmittelbaren Erwachens aus einer intensiven REM-Phase. Wir wecken die Probanden sehr behutsam über einen Zeitraum von 10 MinorTakten, damit möglichst wenig Sinneserfahrungen aus dem Wachbewusstsein auf sie einwirken, die die Traumempfindung überla­gern und damit schwächen können. Vor allem darf während und nach dem Aufwachen die Körperhaltung nicht verändert werden. Die Bedingungen im Tank bieten dafür die ideale Aufwachumgebung. Wir werden ihn also keinesfalls öffnen, sondern über Kamera und Micro agieren.“

Der Monitor, der die Ansicht aus dem Inneren des Tanks übertrug, zeigte, dass dort jetzt über dem Kopf der Träumenden ein rötliches Licht aufglomm. Die SoundSpheres übermittelten ein leises, tiefes Summen.

„Weil beim Aufwachen die Hirnwellen mit niedriger Frequenz allmählich von denen mit höherer Frequenz überlagert werden, spiegelt das Lichtspektrum, mit dem wir das Erwachen stimulieren, diese Tendenz wieder: Wir beginnen mit dem langwelligem Rot, gehen dann sukzessive zu Orange, Gelb, Grün und Blau über und enden mit dem kurzwelligem Violett. Das Gleiche gilt für die Klangabfolge: von dunklen zu hohen Tönen. Sobald Esther irgendwie reagiert, fahren wir Licht und Ton sofort wieder auf Null zurück.“

Nach Ablauf der 10 MinorTakte zeigte die Probandin im Tank keine Regung.

„Wenn jemand bei dieser Licht- und Tonstärke noch keine Anzeichen von Erwachen zeigt, erhöhen wir die Intensität nicht weiter. Ein Erwachen bei zu viel Licht und Ton wäre zu abrupt und wir liefen Gefahr, die Traumerinnerung zu vertreiben. Aber hier, siehst du, die Alpha- und Betawellen ihres Enzephalogramms nehmen zu. Es besteht also eine signifikante Tendenz zum Aufwachen. Wir fahren Licht und Ton runter und sprechen sie direkt an.“

„Esther, Esther – hörst du mich?“

„Mhm.“

„Da war etwas. Was war?

„Geträumt. Habe geträumt.“

„Wo warst du?“

„Nicht hier. Nicht in der Urb. Mitten. Innerst. Innerstes.“

„Das Innerste von was?“

„Irgendwie eingesponnen in ein warmes Gefühl. Gleichzeitig weit, uferlos, sich endlos erstreckend und doch warm, vertrauensvoll in sich zurückgebogen, geborgen. Bin süffig, gierig, süchtig danach, will, dass es nicht aufhört.“

„Was hast du gesehen?“

„Da war ein Innen, unregelmäßige Struktur, fremde Materialien, nicht hier: draußen. Flackerndes, unregelmäßiges Licht. Tiefe Schattentäler. Im Zentrum: Wärme, Hitze. Ein offenes Feuer. Qualm in den Augen. Stechender Geruch nach – nach Kräutern? Trotzdem Glück. Geborgen. Dann Gestalten. Bewegung. Rhythmus. Weite, wirbelnde Kleidung. Konturen verwischen. Keine Gesichter. Haare, lange Haare. Dann Stim­men. Bewegung. Rhythmus. Die Gestalten singen. Kann nicht verstehen. Möchte teilhaben. Dann Begreifen: ,Schonet die Schöpfung‛ singen sie. ,Schonet die Schöpfung‛.“

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