Kitabı oku: «Joseph Roth - Letzter Donauwalzer», sayfa 4
2. 2. Stationschef Fallmerayer
2. 2. 1. Entstehung und Inhalt
Die Novelle über etwa 30 Seiten und in 13 kurze Kapitel unterteilt, erscheint als erste nur im Ausland, 1933 im Amsterdamer Verlag Allert de Lange in der von Hermann Kesten56 herausgegebenen Sammlung Novellen deutscher Dichter der Gegenwart. Bei dem biederen Bahnhofswärter ändert die plötzliche Erkenntnis über ein bislang falsches Leben alles. Die Initiation erfolgt zufällig (Prinzip Tyche), die Folgen sind zwanghaft (Prinzip Ananke). Adornos Maxime „Es gibt kein richtiges Leben im Falschen“57 – kein richtiges Sich-Ausstrecken in der falschen Badewanne und keine öffentliche Existenz, wenn die private durch Unterdrückung der Authentizität eine Schieflage besitzt –erfährt durch einen magischen Augenblick (Prinzip Kairos) potenzierten Ausdruck.
Der bislang zufrieden verheiratete Familienvater Fallmerayer lernt durch ein Zugunglück die russische Gräfin Anja Walewska kennen. „Sie ... hinterließ in allen Zimmern und besonders im Bett Fallmerayers einen unauslöschbaren Duft von Juchten und einem namenlosen Parfüm.“58
In dieser Nacht entdeckt er den wahren Kern in sich, der nicht in der Routine eines Stationschefs aufgeht. Vom Augenblick ihrer Begegnung und ohne ein Wort verändert sich sein Leben: er gibt seine alte Existenz auf, lernt russisch, verlässt seine Frau und Kinder, zieht in den Krieg, schlägt sich zu ihrem Landgut durch, wird ihr Geliebter und verschwindet doch ohne Gegenwehr über Nacht, als ihr schwer verwundeter Gatte überraschend aus dem Kriegslazarett auftaucht. „Man hat nie mehr etwas von ihm gehört.“
Wie in Stefan Zweigs Novelle Phantastische Nacht geht es um einen Mann, der seine wahren Gefühle in sich abgetötet hat, um gemächlich in den Tag hinein zu leben. Er stößt auf ein Geheimnis, das sich Liebenden selber sind und das durch die Verkettung mehrere Zufälle Macht über ihn gewinnt, so dass sie eine Rückkehr zur gewohnten Existenzform vereiteln. Wiederholt bei Roth ist es der slawische Typ Frau, der von animalischer Anziehungskraft ist. Eros mit seinem alles oder nichts-Prinzip vermag auf Dauer Rationalität nicht standzuhalten. Die mythische Begegnung (strömender Regen, entgleisender Zug, das Stufensteigen „in trockene, lichtvolle Wärme“) impliziert neben der physischen Handlung eine übertragene: nicht nur ein Zug, auch sein Leben ist entgleist. Aus der Bahn geworfen, sieht sich der biedere Mann zu einer neuen Lebensform gezwungen. Nichts mehr kann so sein, wie es vor der Begegnung war.
Der Erste Weltkrieg wirkt nicht als Gefahr, sondern als Chance für eine neue Identität. Roth erinnert daran, wie viele junge Menschen, darunter sein Freund Ernst Toller, begeistert und freiwillig in den Krieg zogen. Er bietet Fallmerayer die Möglichkeit, seiner Familie und damit dem alten Trott zu entfliehen. An der russischen Front ringt er um die Klärung seiner Gefühle. Der Schwerpunkt liegt jeweils auf dem Bruch mit der in Routine erstarrten Alltagswelt durch die vehemente Sehnsucht nach einem leidenschaftlichen Gefühl voller Düfte und Farben, das ihnen in der grauen Welt und dem eintönigen Geruch verloren gegangen ist. Fallmerayer unterliegt der Faszination der aristokratischen Welt wie in Zweigs Erzählung der Baron dem Reiz plebejischer Vergnügungen. Schlüsselbegriff ist „das merkwürdige Schicksal“, das über den persönlichen Lebensplan in Kleist´scher Vollendung triumphiert.
Im übergeordneten Kontext fällt der Brüche mit der traditionellen Welt mit traumatisierten Kriegsheimkehrern, politischem Machtvakuum und sich bildender Diktatur zusammen. Zehn Jahre liegen zwischen den beiden Erzählungen, der Resignation nach dem Untergang des Habsburger Reiches und dem Anspruch auf die totale Macht in einem großdeutschen Reich. Sie zeitigt eine Gesellschaft der Gestürzten und Orientierungslosen, eine Generation der sinnsuchenden Verlierer.
Nomen est omen. Fallmerayer trägt den Namen bereits in sich; er muss fallen, denn er verkörpert einen Zeitgeist der Auflösung und der Orientierungslosigkeit, die auf eine festgelegte Ordnung folgt. Die alte Welt implodiert; auf den lauten Knall folgt eine Epoche des leisen Verschwindens.
2. 2. 2. Symbolismus
Die Geschichte ist trotz der Banalität ihrer Handlung: Mann verlässt Familie, wird Geliebter einer verheirateten Frau und räumt seinen Platz klaglos, als der Gatte heimkehrt, mehr als ein Sündenfall oder eine Liebesgeschichte. Schon der Name der Gräfin Walewska verweist auf eine historische Situation; Maria Walewska war die sechzehnjährig mit einem Greis zwangsverheiratete Tochter eines polnischen Grafen, die nach einem Ball in Warschau die mit zwanzig Jahren die Geliebte Napoleons wurde und einen Sohn mit ihm besaß. Der Name war seiner Generation vertraut und daher nicht absichtslos gewählt. Da die leidenschaftliche Beziehung abrupt endete, darf sie als prophetischer Hinweis gedeutet werden. Der Vorname Fallmerayer ist gleichfalls prägnant: Adam.
Die Konstellation ist evident um Wahrung von Menschlichkeit bemüht; das Opfer des Stationschefs ist groß, doch er nimmt es klaglos hin, wie ein Spieler, der seinen Einsatz nicht bereut. Auch Roth bricht in ein neues Land auf, eine neue Existenz: Frankreich und das Los eines Exilautoren.
„Obwohl die Sonne noch nicht untergegangen war, dämmerte es bereits, vom Regen kam es.“ Neben Zeit und Ort sind auch Naturphänomene symbolisch eingebettet. Bei allen wesentlichen Ereignissen, dem Zusammentreffen und dem Wiedersehen mit als auch dem Abschied von der Gräfin regnet es. Die Tropfen bzw. Bindfäden übernehmen die Funktion der Nornen, Parzen oder Moiren, nur dass anstelle der Geburt eine zweite, eine gewählte Wiedergeburt tritt und der physische Tod einem spurlosen Verschwinden weicht.
Zum Dingsymbol wird der Pelz der Gräfin, nicht nur, weil er für die Welt der Fallmerayer unerschwinglich ist, sondern weil er Kultur und Natur vereint. Zudem verhüllt er das Substantielle. Die Entgleisung des Zugs – „die Katastrophe war da“ – verweist auf den Krieg und das Ende einer Ära. Überall Trümmer, Schreie, Verwundete, Tote, ganz wie auf einem Schlachtfeld.
Das Grauen wird mit Ästhetik verbunden: „Die langen, weißen Hände lagen über dem Pelz, regungslos auch sie, zwei wunderbare Leichen.“59 Physische Katalepsie wird transformiert auf die psychische Starre des Stationschefs, dem erst der Geruch der schönen Frau Leben einflößt. Der Entgleisung des Zuges folgt die des Stationschefs.
Sowohl Schicksal als auch Duft sehen sich mit dem Adjektiv merkwürdig assoziiert und damit verknüpft. Mit dem Duft verbindet der Mann Exotik und Freiheit, gleichzeitig mit dem Namen seiner Frau Klara Klarheit und Routine. Ebenso versieht Roth Länder und Herzen mit der Eigenschaft verschieden; er denkt nicht national sondern individuell. Zunächst erkennt ihn die Gräfin nicht: der Soldat ist auch nicht mehr der Stationschef, doch dieser vertraut darauf, dass eine solche Begegnung nicht ohne unwiderstehlichen Antrieb bleibt.
Für das Wesentliche braucht es keine Worte: „Und ohne eine Zustimmung abzuwarten, stürzte er in sein Zimmer, kam mit dem Mantel zurück, legte ihn der Frau um die Schultern, wie er ihr einmal den Pelz umgelegt hatte, damals, an dem unvergeßlichen Abend der Katastrophe, und hierauf den Arm um den Mantel. Und so gingen sie in die Nacht und in den Regen.“
Das Wort Katastrophe taucht häufig auf, als ob zwischen dem Mantel und dem Regen gleichfalls ein Zusammenhang bestünde, unsichtbar, aber mit verehrenden Folgen. Der Aufbruch ins Ungewisse endet magisch mit einem Kuss. Somnambul haben sich zwei Menschen unter unwahrscheinlichen Umständen und entgegen aller Konventionen gefunden. Der Krieg erweist sich als Segen für die beiden, die in einem fast vergessenen Paradies nur für sich leben können, bis die Folgen des Krieges auch die russische Provinz erreichen. „Ein kluger Instinkt sagte den beiden Liebenden, daß in einer Zeit, in der das wahrhaftige Chaos auf der ganzen Erde herrschte, das ewige Meer die einzige Freiheit bedeuten müsse.“60
2. 3. Triumph der Schönheit
2. 3. 1. Entstehung und Inhalt
Die Novelle wird im September 1935 in der Zeitschrift Les Nouvelles littéraires unter dem Titel Le Triomphe de la Beauté publiziert. Roth, der für die wichtigste antifaschistische Zeitung in Paris schreibt, liefert selbst die Übersetzung seines in Deutsch verfassten Manuskripts von etwa 25 Seiten Länge. Die Erzählung entsteht in Sanary-sur-Mer nahe dem französischen Militärhafen Toulon, etwa 70 km in Marseille entfernt. In Buchform wird sie wie erst posthum bei Kiepenheuer gedruckt. Die Erzählung gehört zur Reihe der Geschichten aus der Habsburger Monarchie und spielt in der Zeit unmittelbar vor und nach dem Ersten Weltkrieg.
Einige Figuren wie Dr. Skowronnek aus Radetzkymarsch oder der Ungar Laktatos aus Beichte eines Mörders kommen darin vor. Durch die Krankheit seine Frau Frederike (Friedl), die er in einer exklusiven Wiener Privatklinik hat zurücklassen müssen, spielt die Zerrüttung der Seele eine gewichtige Rolle für die Erzählung. Die Protagonistin Gwendolin leidet wie Friedl an hysterischer Neurose. Roth verarbeitet seine Schuldgefühle an ihrer Schizophrenie literarisch.
Die Novelle, von dem Gespräch zwischen einem Arzt und dem Erzähler gerahmt und in 13 Kapitel gegliedert, handelt von einem sorglos in den Tag hineinlebenden Ingenieur, der sich in eine, wie sich herausstellt, neurotische Frau namens Gwendolin verliebt „Er fand sie tapfer, tollkühn, opfermutig und obendrein sehr gescheit.“ Die Braut stammt aus besseren englischen Adelskreisen, und ihr Markenzeichen sind Lächeln und blendend weiße Zähne. Schon an der Art, wie sie ein Monokel zum Auge führt, wie sie ihre Röcke trägt und wie sie mit der Zunge rollt, ist dem Arzt sofort klar: sie ist eine Schlange. Bald nach der Hochzeit erkrankt sie, als ein ernster Konflikt eintritt. Geht etwas nicht nach ihrem Willen zerstört sie das Leben ihres Mannes. Die Grundüberzeugung des Frauenarztes ist, dass hinter jeder kranken Frau ein unerfüllter Wunsch steht.
Die Diagnose lautet auf Bandwurm; die Patientin findet darin die Entschuldigung für all ihre Launen; sie trinkt und betrügt ihren Mann mit dem perfiden Tänzer Lakatos. Der Ingenieur verdrängt und verschweigt, aus Diskretion, aber auch, weil er weiß, dass indiskrete Geständnisse Freundschaften zerstören. Der Krieg forciert eine lange Trennung der beiden Ehepartner. Anstelle sie in eine Klinik zu geben, pflegt er sie als Co-Abgängiger zu Hause und überschreitet dabei seine Grenzen. Am Ende erkrankt tötet er sich aus Eifersucht und Einsicht über seine Lebenslüge, die einen Narren aus ihm gemacht hat. Gwendolin hingegen gesundet und tanzt mit Lakatos aus Budapest fröhlich durchs Leben.
2. 3. 2. Bedeutung der Musik
Der aus Galizien stammende Frauenarzt Skowronnek berichtet dem Icherzähler von seinen Anfängen aus seiner Praxis, damit ihm dieser glaubt: „Unheilbarer Selbstmörder sind die Männer ganz bestimmter kranker Frauen … Wer sich selbst töten will, den kann man nicht retten.“61 Er befreundet sich mit einem gebildeten charmanten und gesunden jungen Mann mit angeborener Noblesse. Aus Briefen ist zu entnehmen, dass Roths Sichtweise sich weitgehend mit der Skowronneks deckt und sich als Plebejer empfindet: „Ehrgeizig ist nur der Plebejer. Der wirklich noble Mensch ist anonym. Ehrgeiz ist … eine Eigenschaft des Plebejers. Er hat keine Zeit. Er kann nicht erwarten, zu Ehre, Ansehen, Ruhm zu gelangen. Der noble Mensch aber hat Zeit zu warten, ja sogar zurückzustehen.“ Der falsche Ehrgeiz bringt den Mann dazu, erst zu verdrängen und dann seine Frau anstelle sich selbst retten zu wollen.
Von Anfang an nimmt Musik eine Schlüsselfunktion ein. Nur eine bestimmte Musik öffnet das Herz des jungen Mannes, ansonsten schweigt auch er, um niemanden zu belasten. Musikgeschmack klingt in mehreren Erzählungen Roths an, zumal er selbst leidlich gut Geige spielt. Mit der Redewendung die Geige hoch drückt er gute Stimmung aus, mit die Geige tief die Depression.
Über die Musik glaubt Skowronnek den Humor, den Takt, das Feingefühl eines Menschen zu erkennen. Die Psychopathin Gwendolin „liebte Wagner. Er beschimpfte ihn. Nichts konnte einen Musiker seiner Art – und auch meiner Art – so sehr reizen wie ein Wohlgefallen an Wagner ... musikalische Menschen könnte man in zwei feindliche Gruppen teilen: in Mozart-Liebhaber und Wagner-Anhänger. Merken Sie, daß ich nicht einmal Wagner-Liebhaber mehr sagen kann? Ich sage: Anhänger. Menschen mit Ohren für Posaunen und Kesselpauken – und Menschen mit Ohren für Cello, Geige und Flöte ... Eher werden sich zwei Taubstumme verständigen als zwei musikalische Menschen ...“
Das Wagnermotiv repräsentiert den Faschismus und eine kranke Mentalität bzw. Geisteshaltung; mit der britischen Passivität gegenüber der aggressiven Politik assoziiert Roth eine internationale Verbreitung des Größenwahns und eine geopolitische Zuordnung. Seine mythische Überzeugung besteht darin, Wagnerianer mit Kriegsbefürworter gleichzusetzen. Der noble Mensch hat feinere Ohren. Roths Ablehnung Wagners folgt Nietzsches Streitschrift Der Fall Wagner. Über Roths Ablehnung besteht kein Zweifel: „Und nun brachte ich meinem Freund ein unerhörtes Opfer ... Ich spielte ... Wagner!... Den Pilgerchor ... Wagner ist ein großer Meister, sagte sie, als wir fertig waren. Ja. Gnädige Frau! Als Heilmittel für kranke Damen ist er unübertrefflich.“62
Wagner, Totalität, Trunkenheit des Verstandes und die blonde Bestie sind für Roth identisch. Außerdem redet er sich erfolgreich an, Gwendolin sei die Frau seiner Träume – er will auf beiden Augen blind und beiden Ohren taub sein. Der Krieg forciert eine lange Trennung der beiden Ehepartner. „Frau Gwendolin ... schien ihr Vaterland, das feindliche England, ihre Abstammung vergessen zu haben. Die äußerst bunte Männlichkeit der österreichisch-ungarischen Armee hatte wahrscheinlich jedes Gefühl für England in ihrem schönen Busen ausgelöscht ... Liebe allein bestimmt die Haltung der Frauen.“
Als ihr Betrug und Alkoholkonsum nicht mehr zu kaschieren sind, flieht sie in die (vorgetäuschte) Krankheit. Skowronnek rät seinem Freund, sie in eine Klinik zu geben, aber stattdessen muss er, seinem inneren Zwang und Schuldgefühl folgend, die Dame rund um die Uhr betreuen. „Der Irrsinn der Welt ist stärker als der gesunde Menschenverstand, die Bosheit ist mächtiger als die Güte.“
Die Krankheit der herrschsüchtigen und egozentrischen Frau, mehr noch die ihres kultivierten Gatten, repräsentieren zwei politische Symptome der Zeit: Faschismus und Pseudo-Liberalismus.
Lakatos ist als diabolischer Kleinbürger gezeichnet, „ein Typus, keine Persönlichkeit“ Nur scheinbar triumphiert die genesende Gwendolin: „Noch ein Jährchen, noch zwei“, prophezeit der Arzt und „verbittert sinkt ihr bald ins Grab und noch tiefer, in die Hölle.“ Der Triumph ihrer äußeren Schönheit bleibt nicht von Dauer und stiftet auch Rausch des Vergessens.
Roths Erzählungen sind moralisch, ohne zu moralisieren. Kern bleibt immer das Seelenbeben, das nach Erlösung oder Heimkehr strebt, was mythologisch dasselbe ist, denn schon Platons Seelenlehre formuliert, dass Erkennen ein Wiedererkennen (anamnesis) beinhaltet. Im Phaidon lehrt er, dass dem Wirklichen nur die Idee des Schönen anhaftet und die Weisheit mit zunehmender Teilhabe an der entstofflichten Idee zunimmt. Roths Erzählung formt das Unsichtbare, das Reich der Fantasie und Spiegel zum Innenleben, das wahre Seelenschöne, über die das Äußere hinwegtäuscht. Geheimnis und Fantasie gleichen einem Schlüssel zur Heimkehr in das verlorene Ich. In der wirklichen Welt plagt sich der gespaltene Mensch mit Einsamkeit und mit der Frage, wer er eigentlich ist. Das romantische Konzept der Vervollkommnung durch kongeniale Ergänzung sieht der Autor als gescheitertes Experiment an, da es nur in Abhängigkeit führt und die Selbständigkeit verhindert.
Viele Erzählungen Roths thematisieren den Leib-Seele Dualismus und das Ineinandergreifen von utopischen Denken (Mystik) mit der realen Handlungsebene. Die meisten seiner Charaktere haben zwei nicht kompatible Seiten, die sie im Inneren spalten. Die Geschichte thematisiert die Genealogie zweier Anomalien („Hysterie ist ansteckender als Typhus“), mit welcher die Frau besser umzugehen versteht als ihr Ehemann, der in einen autodestruktiven Sog gerät. Der tragische Ausgang fast aller Roth basiert auf die Unrettbarkeit des Ich, den Untergang seiner geistigen Heimat und den Triumph der politischen Apokalypse, die er im Antichrist bezeichnet.
2. 4. Die Büste des Kaisers
2. 4. 1. Entstehung und Inhalt
Die in sieben Kapiteln gegliederte Novelle von etwas über zwanzig Seiten entsteht im Anschluss an Triumph der Schönheit im Dezember 1934 und erscheint wie diese im Sommer 1935 im Pariser Tageblatt unter dem Titel Le buste de l'empereur. Die deutschsprachige Erstveröffentlichung findet gleichfalls in der ersten Gesamtausgabe von Kiepenheuer & Witsch in Köln 1964 statt.
Handlungsort ist Ostgalizien zwischen Lemberg und Brody, wo ein Miniatur-Kaiser, der gutherzige und monarchietreue Graf Franz Xaver Morstin für Recht und Ordnung sorgt. Er repräsentiert Transnationalität der k. u. k. Monarchie. Als Dank für seine Gastfreundschaft während eines Manövers erhält Morstin eine Büste des Kaisers, die er wie eine Reliquie verehrt und während des Krieges vor den Russen im Keller versteckt. Nach Kriegsende entrüstet ihn eine billige Kabarettnummer, die den Kaiser verunglimpft und ein Imitat der Stephaniekrone entweiht, so dass er die Büste wieder aufstellt. Als ein polnischer Verwaltungsbeamter daran Anstoß nimmt, findet ein rituelles Begräbnis der Skulptur statt. Mrostin verlässt seine Heimat und sieht seinem Tod an der italienischen Riviera entgegen, will aber nahe seiner Büste begraben werden.
Eine Lesart besteht darin, die Geschichte als Parabel und eine andere, sie als Legende zu lesen. Als Parabel repräsentiert sie die Heimatlosigkeit des Grafen, der ohnehin unterschiedliche genetische Wurzeln besitzt, die aber die Frage seiner Identität nie berühren, da er sich als Diener der Monarchie, als Bürger eines Reiches und im Herzen als Österreicher fühlt. Folglich beginnt seine Odyssee mit dem Ende der Habsburger-Regierung, weil sie mehr ist als ein Apparat: ein Vaterland und eine Religion. Als Legende reflektiert betont Die Büste des Kaisers, was Roth die ironische Ungläubigkeit der mutmaßlichen Stützen im Reich bezeichnet. Unter dieser Perspektive rückt das Schlüsselereignis in der American Bar in den Vordergrund, in der sich Menschen sinnfrei und amoralisch amüsieren und sämtliche Werte sabotieren bzw. diskreditieren, die für einen respektvollen Umgang miteinander unentbehrlich sind.
Der Beginn, nicht untypisch für Roth, beschreibt präzise geografisch und topografisch den Schauplatz des Geschehens, von dem die allermeisten nie gehört haben dürften. Der Ich-Erzähler sieht sich zu einer Erläuterung genötigt aufgrund der „unnatürlichen Launen“ der Geschichte.
2. 4. 2. Utopie und Legende
Eine Utopie ist ortlos, eine Legende zeitlos. Roth impliziert den Tenor des ubique: „Überall trugen die Gendarmen den gleichen Federhut oder den gleichen lehmfarbenen Helm mit goldenem Knauf und dem blinkenden Doppeladler der Habsburger; überall waren die hölzernen Türen der k. u. k. Tabaktrafiken mit schwarz-gelben Diagonalstreifen bemalt; überall trugen die Finanzer die gleichen grünen (beinahe blühenden) Portepees an den blanken Säbeln; in jeder Garnison gab es die gleichen blauen Uniformblusen und die schwarzen Salonhosen der flanierenden Infanterieoffiziere auf dem Korso, die gleichen roten Hosen der Kavalleristen, die gleichen kaffeebraunen Rocke der Artillerie; überall in diesem großen und bunten Reich wurde jeden Abend gleichzeitig, wenn die Uhren von den Kirchtürmen neun schlugen, der gleiche Zapfenstreich geblasen … Überall gab es die gleichen Kaffeehäuser mit den verrauchten Wölbungen, den dunklen Nischen, in denen Schachspieler wie merkwürdige Vogel hockten, mit den Buffets voll farbiger Flaschen und glitzernder Glaser, die von goldblonden und vollbusigen Kassiererinnen verwaltet wurden.“63
Vier rhetorische Stilmittel zeichnen diese Textstelle aus: erstens die Repetition durch Wiederholung einzelner Worte, Syntax und Sinneneindrücke, in diesem Fall Farben. Zweitens die Metonymie diverser Details, die sowohl atmosphärisch verdichten als auch eine Magie der Ganzheit bilden. Zu der optischen Signalwirkung tritt eine rituelle Sprache, deren Kodex von allen Nationalitäten verstanden wird, inkludieren. Drittens die legendär anmutende Zeitlosigkeit; ein Sondermerkmal des Habsburger Reiches besteht in der Koexistenz von Heterogenität unter einem Dach. Viertens die subtile Erotik zwischen den Zeilen, die das Humane und das Lebensgefühl betonen, nicht die großen Ereignisse oder die Politik. Folglich ist auch hier der Mensch wichtiger als das Amt und der Kaiser als Person wichtiger als das Gesetz, die Zugehörigkeit zu einem Reich elementarer als die nationale oder soziale Identität: der konkrete Ort, das Dorf Lopatyny fern der Eisenbahn könnte überall liegen, es ist lediglich ein Platz unter vielen im Kaiserreich.
Das gilt auch für Menschen wie Morstin, der auch polnische Ahnen hat – de facto existiert ein auf das 14. Jahrhundert zurückblickendes Adelsgeschlecht diesen Namens in Krakau –, die es mit der Tradition halten: Leben und leben lassen. Er ist der Prototyp des alten Österreichs mit seinem Mikrokosmos Ostgalizien. Wie ein Kaiser lenkt er die Schicksale auf günstige Bahnen durch seinen Namen, Würde, Charisma wirkt er als guter Geist hinter den Gesetzen. Im Umkehrschluss bedeutet das eine heile Welt, denn wenn es überall einen Morstin gibt herrscht auch überall Frieden und ein gewisses Maß an Glück und Gerechtigkeit. Dass es in der Monarchie vor dem Krieg an verschiedenen Brandherden mehr als gärt, ist unbestritten. Dramaturgisch jedoch kann die Geschichte nicht anders erzählt werden, um den Verlust und die Bedeutung des Kaisers in Gestalt der Büste deutlich zu gestalten.
Der zweite Teil handelt von nusquam; nach dem Krieg und bei der Heimkehr findet sich nirgends mehr das Gleiche, das Vertraute wieder: „Gewiß, es waren noch die gleichen Felder, die gleichen Wälder, die gleichen Hütten, die gleiche Art der Bauern - die gleiche Art, sagen wir-, denn viele von jenen, die der Graf noch gekannt hatte, waren gefallen.“ Der Krieg bedeutet Zäsur.
Negativer Höhepunkt der Sittenlosigkeit ist die American Bar, bereits vom Namen her ein Fremdkörper, in der die ehernen Gesetze nichts mehr gelten und stattdessen Spektakel vorherrscht. In Zürich, zumindest in dieser Nachtbar, sind die Röcke schamlos und die entblößten Knie hässlich, die Typen widerlich, „eine Auslese jener Art von Menschen, die das Erbe der untergegangenen Welt vorläufig verwalteten, um es ein paar Jahre später an die noch moderneren und mörderischen Erben mit Gewinn abzugeben.“
Solche geldgeilen und lüsternen Typen, die ihren Wert im Champagnerglas suchen, findet man in der Tat überall. Es sind die Gespenster neugeborener Nationalitäten. Symbolisch verkörpert das Mixen von Getränken und der beliebige Zugang des Unter- und Oberschicht in den Club, das daraus entstehende Halbwelt-Milieu das Zerrbild dessen, was Morstin als Ganzheit und Heimat kennt. Die Zaubertränke der neuen Zeit verändern auch ihn, wenngleich nur für einen einzigen Augenblick: der würdevolle Mann fällt aus der Rolle und schlägt, um der Schande an seinem Kaiser und Vaterland ein Ende zu bereiten, mit einer Flasche den Tänzer nieder. Symbolisch und grotesk zugleich wirkt sein Versuch, mit der Sodawasserflasche einen imaginären Brand zu löschen.
Mit dem Aufstellen der Sandsteinbüste geht noch einmal ein Ruck durch die Bauern der Region. Sie grüßen ehrfurchtsvoll den Schatten eines verlorenen Reiches und erinnert sich, wie es einmal war.
Morstin wird durch seine gelebte Tradition und wieder eingeführten Rituale zum Oppositionellen der jungen polnischen Republik. Der Ausgang ist vorhersehbar. Die Internationalität seiner Helfer, ein ukrainischer Schreiner, ein polnischer Schmied und ein jüdischer Schreiber sorgen für die Umsetzung seiner Vorhabe, die Büste wie in der Kapuzinergruft einzusargen. „Also begrub man den alten Kaiser zum zweitenmal im Dorfe Lopatyny, im ehemaligen Galizien.“
Obiger Satz steht stellvertretend für die rückwärtsgewandte Utopie, die Roths Erzählungen seit dem Radetzkymarsch auszeichnen. Auch wenn die Darstellung subjektiv emotional erfolgt, so entbehrt sie nicht den politisch-historischen Kern, dass aus dem Zerfall des Reiches Instabilität hervorgeht, der im Wesentlichen auf nationale Chauvinismen rückführbar ist.
Die Erzählung fokussiert die Bedeutung von Sinnbildern für Roth und für die Wirkungsmacht der Donaumonarchie. Denkmal, Krone und Kleidung sind die drei sichtbaren Bausteine des Zusammenhaltes im Vielvölkerstaat Österreich-Ungarn. Die Bargesellschaft bildet den karikierten Gegenentwurf dazu, eine Kohäsion der Beliebigkeit und Geschmacklosigkeit.
Der dritte Aspekt berührt die Begriffe Vater, Vaterland und Vaterhaus, die symbolisch im Kaiser bzw. Morstin zusammenfließen. Haus spielt für einen zunächst freiwilligen, dann im Exil dazu genötigten Schriftsteller eine bedeutsame Rolle. „Heimatlosigkeit und Gefängnis haben ihr positives Korrelat im Bild es Hauses oder Vaterhauses.“64 Der Icherzähler spricht von einer Entwicklung der Behausung, die in Höhlen begann, über Hütten und Häuser führte, nun aber Menschen wie Gefangene in Käfigen zu leben zwingt.
Das Leben im Labor, im Provisorium oder im permanenten Übergang erzeugt im Denk-Mal mehr als nur kollektives Gedächtnis und persönliche Erinnerung; es schafft eine Verweigerung und damit Revolte in Camus´ Sinne, unter Gewaltverzicht aber mit Solidarität zu allen Verlierern und Heimatlosen dieser Welt. Roth stellt der natürlichen familiären Ordnung die des Terrors eines Nationalstaates entgegen.