Kitabı oku: «Perry Rhodan Neo Paket 2: Expedition Wega», sayfa 11
16.
26. Juli 2036
Reginald Bull
Bull steuerte den Hubschrauber eigenhändig.
Es war ein WZ-12 der chinesischen Volksbefreiungsarmee, ein Modell mit überragenden Stealth-Eigenschaften, dessen Existenz von offizieller Seite stets bestritten wurde. General Bai Jun hatte eine Handvoll der Kampfhubschrauber mit auf die Seite Rhodans gebracht, als er übergelaufen war. Bull, der Techniknarr, hatte sich in der ersten freien Minute auf die Fluggeräte gestürzt. Mithilfe chinesischer Mechaniker hatte er eines buchstäblich auseinandergenommen und wieder zusammengesetzt – und hatte sie ausnahmslos entwaffnen lassen.
Die Ankunft der Arkoniden hatte jedes Produkt menschlicher Technologie schlagartig veralten lassen. Dennoch blieben die Kampfhubschrauber tödliche Werkzeuge. Es wäre töricht gewesen, sie zu ignorieren.
Reginald Bull gab Schub. Der WZ-12 sprang ruckartig in den Himmel. Am Boden blieb der schwere Transporthubschrauber zurück, der die Soldaten befördert hatte. Das Letzte, was Bull von ihnen sah, waren zwei Staubwolken, als sie die Bullets heranfuhren, um sie abzutransportieren.
»Mister Bull?« Ein Räuspern. »Sir?«
Es war Julian Tifflor, der sich den Dieben in den Weg gestellt hatte. Unbewaffnet. Verrückt hatte ihn Raskujan genannt. Raskujan hatte es als Beleidigung gedacht. Bull hatte es genau andersherum aufgefasst. Er hatte eine Schwäche für Verrückte. Insbesondere für Verrückte mit Schneid.
»Für meine Freunde Reginald.« Er schüttelte spielerisch tadelnd den Kopf. »Oder einfach Reg, Julian.«
Der junge Mann – Bull schätzte ihn auf Anfang zwanzig – schluckte hörbar, fasste sich aber augenblicklich. »Tiff. Meine Freunde nennen mich Tiff.« Er zeigte auf die Wüste, die sich zweihundert Meter unter ihnen erstreckte. Bull hatte Fahrt aufgenommen, zog nach und nach größer werdende Kreise, während er auf die Anweisungen Tatjana Michalownas wartete. Aber das konnte der junge Mann nicht wissen.
»Wohin fliegen wir?«
»Zum Versteck dieser Diebe.«
»Ich habe es gewusst!« Julian Tifflor schlug sich mit der Faust auf den Oberschenkel. »Aber … aber woher wissen Sie, ich meine, weißt du, wo es ist? Haben die Soldaten einen Hinweis im Gepäck gefunden? Oder hat eine Drohne ihre Flucht aufgezeichnet?«
»Weder noch. Es ist viel simpler – und viel komplizierter. Hier, Miss Michalowna«, er sah zu der Telepathin, die auf dem Platz des Kopiloten saß, »ich meine, Tatjana, kann es erklären.«
Es war eine Geste. Die Telepathin verstand sie augenblicklich. Ihre Augen weiteten sich vor Überraschung, und plötzlich stand in ihrem Blick ein Ausdruck, den er von ihr nicht gekannt hatte: Dankbarkeit. Bull hatte die Mutantin für sich gewonnen.
»Natürlich, Reg«, sagte sie und wandte sich Julian zu. »Ich besitze eine außergewöhnliche Gabe. Ich bin Telepathin.«
»Was? Du kannst Gedanken lesen?« Mildred hatte die Frage gestellt. Die junge Frau hatte sich neben Julian gestellt. Sie hatte lange schwarze Haare, und in ihren Zügen glaubte Bull eine seltene Kombination zu lesen: Wärme und Härte. Das letzte Mitglied des Trios, Timothy Harnahan, hatte sich ganz hinten in der Kabine zurückgezogen. Der schlaksige junge Mann mit dem Zopf spielte mit seinem Tablet herum. Seine Umwelt schien er vergessen zu haben. Es war Timothy gewesen, der den Notruf abgesetzt hatte, der Bull auf die Spur der Rico-Diebe geführt hatte.
»Genau«, antwortete Tatjana Michalowna.
»Wie geht das?«
»Ehrlich gesagt: Ich weiß es nicht. Ich kann es einfach.«
»Aber …« Julian stieß Mildred in die Seite. Liebevoll, aber bestimmt. »Deshalb hast du gewusst, wie der Typ heißt, Reg?«, fragte er. »Tatjana hat es dir gesagt?«
»Auch, aber das war nicht nötig. Ich hätte ihn auch so erkannt. Stepan Raskujan war Kosmonaut, bis vor Kurzem der Superstar des großrussischen Raumfahrtprogramms. Er war ursprünglich Offizier, hat sich in den Grenzkriegen im Kaukasus zum Helden Großrusslands hochgearbeitet. Dann kam irgendwer im Kreml darauf, den Helden ins All zu schicken.«
Bull schwieg einen Moment, dachte an seine erste Begegnung mit Stepan Raskujan zurück. Es war bei einem Koordinationstreffen zwischen Vertretern der NASA und der großrussischen Raumfahrtbehörde Roskosmos gewesen. Man hatte die Möglichkeiten einer gemeinsamen bemannten Venus-Mission ausgelotet. Raskujan war eben erst zum Kosmonauten bestimmt worden, hatte sowohl in Rang wie Erfahrung unter den übrigen Anwesenden gestanden. Und doch hatte er das Treffen dominiert. Der schlanke, bleiche Mann hatte etwas Aristokratisches. Raskujan glaubte von sich selbst, zu Großem bestimmt zu sein. Dem Arbeitersohn Bull war er vom ersten Moment an zuwider gewesen.
Bull zuckte die Achseln, schüttelte die Erinnerung ab. Laut sagte er: »Aber das war einmal. Die Helden von gestern sind die Lumpen von heute.«
»Und die anderen beiden?«, fragte Julian.
»Der Beifahrer heißt Artjom Tomisenkow«, antwortete die Telepathin. »Ebenfalls Kosmonaut. Oder besser: Exkosmonaut.«
»Ebenfalls Exkriegsheld?«
»Nein. Tomisenkow war Schwimmer, mehrfacher Olympiasieger. Bis der Kreml ihn zum Kosmonauten machte.«
»Zwei Helden als einfache Diebe«, meldete sich Mildred zu Wort. »Was geht in ihnen vor?«
»Das kann ich dir sagen. Sie sind verbittert. Raskujan und Tomisenkow waren Helden – bis vor einem Monat die STARDUST mit Crest an Bord in der Gobi gelandet ist. Jetzt steht Großrussland davor, auseinanderzubrechen. Und ihr stolzes Raumfahrtprogramm hat sich als schlechter Witz entpuppt.«
»Die beiden können froh sein, dass ihr geliebtes Großrussland sie nicht zum Mond geschickt hat«, schnaubte Bull. »Sonst wären sie längst tot!«
»Wahrscheinlich, aber so sehen sie es nicht.«
»Was ist mit der Frau?«, fragte Julian. »Sie ist keine Kosmonautin, nicht?«
»Nein.« Die Telepathin zögerte. »Zumindest glaube ich es nicht. Sie heißt Ishy Matsu und ist Japanerin. Mehr konnte ich nicht in ihr lesen. Das ist ungewöhnlich. Man könnte fast meinen, sie wäre …«
Auf der Cockpitscheibe entstand ein Bild. Bai Jun, semitransparent und bleich wie ein Gespenst, auf dem Dach des Stardust Towers.
»Bull?«
»Bai Jun, was gibt es?«
»Perry Rhodan ist auf dem Rückweg.«
Bull spürte, wie ein Teil der Anspannung ihn schlagartig verließ. Perry hatte es geschafft! Der Arkonidenraumer gehörte ihnen!
»Alles nach Plan gelaufen?«, fragte er.
»Anscheinend nicht. Aber Rhodan, Thora und Marshall ist es wohl gelungen, die amerikanischen Soldaten an Bord zu überwältigen. Wie … darauf bin ich gespannt.« Der ehemalige General sah auf die Uhr. »Rhodan wird in wenigen Minuten eintreffen. Ich lasse einen Heldenempfang für ihn vorbereiten. Wie ist der Stand bei Ihnen?«
»Wir sind so gut wie auf dem Rückweg. Tatjana hat die Gedanken der Rico-Diebe gelesen. Sie haben den Roboter in der Wüste versteckt. Wir holen ihn ab und sind rechtzeitig zu Ihrem großen Empfang zurück.«
»Bestens.« Sollte Bai Jun über Bulls vertrauliche Anrede für die Telepathin überrascht sein, zeigte er es nicht. Er sah schräg zur Seite auf eines der vielen Displays. »Meine Leute haben übrigens recherchiert. Eine Freiwillige, die in der Klinik gearbeitet hat, ist seit heute Morgen verschwunden. Eine Japanerin. Sie heißt Ishy Matsu.«
»Sie ist einer der Diebe, neben zwei ehemaligen russischen Kosmonauten! Wie haben sie den Diebstahl angestellt?«
»Ehrlich gesagt? Wir haben nicht die geringste Ahnung. Die Klinik wimmelt …«
»Ich schon!«, unterbrach ihn Tatjana Michalowna. »Ich konnte ihre Gedanken nicht lesen. Sie muss eine Mutantin sein!«
Bai Jun strich sich über das Kinn. »Das würde einiges erklären. Was für eine Gabe besitzt diese Frau?«
»Das kann ich nicht sagen. Tut mir leid.«
»Das macht nichts. Wir werden es herausfinden, sobald unsere Soldaten die Diebe nach Terrania bringen.«
»Ich fürchte, das wird nichts«, schaltete sich Bull wieder ein. »Ich habe die drei ziehen lassen.«
»Sie haben was?« Bai Jun versteifte sich. »Wieso haben Sie das getan, Bull? Es sind Diebe, sie haben Strafe verdient. Und diese Japanerin … Wenn sie wirklich eine Mutantin sein sollte, ist sie von unschätzbarem Wert für uns!«
»Möglicherweise. Aber sie ist kein Werkzeug. Sie ist ein Mensch. Wenn sie auf unsere Seite tritt, dann aus freien Stücken.«
»Aber denken Sie nur, was …«
»Ich denke, dass es unmöglich ist, einen Menschen zu seinem Glück zu zwingen. Selbst wenn man die besten aller Absichten verfolgt. Das dürfen wir nicht vergessen. Sonst wird unsere schöne neue Welt so schön, dass es darin nicht auszuhalten ist, nicht?«
Bai Jun starrte Bull an, seine Züge zu einer Maske erstarrt. Dann holte er tief Luft und sagte: »Sie haben recht, Bull.«
»Hin und wieder. Aber vor allem habe ich dazugelernt. Nicht zuletzt von Ihnen.«
»Hier muss es sein!«, rief Tatjana Michalowna. Die Telepathin hatte die Augen geschlossen, konzentrierte sich auf die Bilder, die sie in den Gedanken der beiden ehemaligen Kosmonauten gefunden hatte. Kleine Schweißperlen bildeten sich auf ihrer Stirn.
»Wir sehen uns gleich, Bai Jun!« Reginald Bull unterbrach die Verbindung. Er ließ den WZ-12 kreisen. Sie hatten die Mündung des Tals erreicht. Die sandige Ebene begann hier. Am Horizont stand die Skyline Terranias. In der flimmernden Hitze des Mittags erschien die Stadt wie eine Fata Morgana.
»Sie haben Rico unter einem Felsen versteckt«, sagte die Telepathin.
»Das bietet sich an.« Unter ihnen war ein Meer von Felsen. Es musste buchstäblich Tausende von Verstecken geben.
»Ich kann ihn genau sehen, in Gedanken.« Tatjana Michalowna öffnete die Augen, sah auf den Boden, während Bull die Maschine weiter Kreise ziehen ließ. »Aber nicht mit meinen Augen!« Sie sagte es wütend. Die Schweißperlen auf ihrer Stirn vereinten sich zu kleinen Strömen. Schweiß lief ihr in die Augen, röteten sie erneut. »Von oben sieht die Landschaft ganz anders aus!«
»Ich gehe tiefer.« Bull drückte den WZ-12 nach unten. Er fand die Fahrspur, folgte ihr im Langsamflug und in wenigen Metern Höhe das Tal hinauf.
Tatjana Michalowna beugte sich vor. Ihre Hände umklammerten die Seitenlehnen des Sitzes. »Es … es geht nicht«, sagte sie. »Es ist zu anders.«
Bull nickte. »Keine Sorge, wir bekommen das hin. Wir landen und gehen die Strecke zu Fuß ab. Das wird eine Weile dauern, aber wir …«
»Ich weiß, wie wir das hinkriegen!« Timothy Harnahan war zwischen den Sitz des Piloten und des Kopiloten getreten. Seine Freunde hatten ihm bereitwillig Platz gemacht.
»Du kennst dich mit Telepathie aus?« Bull beäugte den schlaksigen jungen Mann skeptisch.
»Nein, aber damit!« Er hielt sein Tablet zwischen Bull und Michalowna. »Ich habe mir die Freiheit genommen, die Videodaten zu speichern, die Mildreds am Lenker der Bullet befestigter Pod aufgenommen hat. Ich habe die Daten hier auf dem Tablet und getaggt.«
»Aha. Und das bedeutet?«
»Das hier!« Auf der Cockpitscheibe erschienen die Fahrspur und das Tal – aufgenommen von der Kamera Timothys. »Das ist dieselbe Perspektive, die die Diebe hatten. Vielleicht kann Tatjana meine Aufnahmen mit den Bildern zusammenbringen, die sie in den Gedanken der Kosmonauten gesehen hat?«
Bull sah fragend zu der Telepathin. Sie nickte. »Einen Versuch ist es wert.«
Timothy ließ die Aufnahmen ablaufen. Zweimal innerhalb kurzer Zeit ließ die Telepathin sie anhalten, zweimal verwarf sie die Stellen. Schließlich rief sie ein drittes Mal: »Halt!«
Timothy stoppte die Aufnahme.
»Da rechts!« Michalowna beugte sich vor, tippte mit dem Finger auf eine Felsplatte. Ihre Spitze lag auf einem Felsen auf, der senkrecht einen Meter hochragte. Die Platte lag schräg. »In dieser Spalte muss es sein!«
Timothys Finger huschten über das Tablet. Die Aufnahme der Kamera verschwand, machte einer Koordinatenangabe Platz. Bull steuerte den Punkt an. Er befand sich im unteren Drittel des Tals. Neben der Fahrspur war ein ausreichend großer freier Platz, um den Hubschrauber zu landen. Er stellte die Turbinen ab. Noch während die Rotorblätter ausliefen, verließen sie die Maschine und eilten zu der Felsspalte.
Julian Tifflor blieb mit Bull gleichauf. »Reg, was haben die Diebe eigentlich gestohlen? Bai Jun hat etwas von einem Roboter gesagt. Und ›Rico‹, nicht?«
»Du hast richtig gehört. Ich erkläre es euch, sobald wir ihn gefunden haben, okay?«
»Okay!«
Bull merkte, dass er zu rennen begonnen hatte. Wieso eigentlich?, fragte er sich. Auf ein paar Sekunden früher oder später kommt es doch nicht an. Niemand klaut uns die verkohlten Reste.
Tatjana schloss zu ihm auf, übernahm die Führung. »Da!«, rief sie. »Ich sehe ihn!« Sie beschleunigte auf ein Tempo, das Bull der zierlichen Russin nicht zugetraut hätte. Er blieb dran, aber nur mit Mühe. Sie überquerten die breite Fahrspur. Dahinter begannen die Felsen. Die Telepathin verfiel in einen Zickzack, ohne langsamer zu werden.
Sie gelangten zu der schräg liegenden Felsplatte. Sie bildete eine schmale, an ihrer höchsten Stelle hüfthohe Spalte. Im grellen Licht der Mittagssonne wirkte der Schatten wie Schwärze. Bull ging in die Knie, um den Rucksack mit Rico aus der Spalte zu ziehen.
Sie war leer.
»Das ist doch …«
Er musste sich irren. Er ging auf alle viere, kroch unter den Fels. Da war nichts. Die Felsspalte war leer.
Er kroch wieder hinaus. Erwartungsvolle Blicke erwarteten ihn. Julian und seine Freunde und die Telepathin hatten einen Halbkreis gebildet.
»Nichts. Da ist nichts.« Bull stand auf. »Sie müssen sich geirrt haben, Tatjana.«
Sie schüttelte den Kopf. »Nein, das ist die Felsspalte. Ich habe ganz genau vor Augen, wie Raskujan den Rucksack hierher gebracht hat.« Sie wandte sich um. »Er kam hier entlang. Tomisenkow hatte den Geländewagen weiter vorne angehalten. Raskujan hat nach einem guten Platz gesucht, der nicht von der Fahrspur einzusehen ist.«
»Da ist ein Stiefelabdruck im Sand!« Julian war einige Meter in die Richtung gelaufen, die die Telepathin angegeben hatte. »Er stammt von keinem von uns!«
»Dann sind wir richtig hier«, schloss Bull. »Die Chance, in dieser Einöde zufällig auf die Spur eines Menschen zu treffen, ist gleich null. Aber was ist dann mit Rico geschehen?«
»Hier sind weitere Spuren, von einem Tier!«, rief Julian.
»Was sollte ein Tier mit einem Roboter anfangen?«
»Vielleicht gehörte es einem Nomaden? In der Gobi gibt es doch Ureinwohner. Vielleicht hat einer von ihnen gesehen, wie Raskujan den Rucksack versteckte, und hat ihn mitgenommen, nachdem der Geländewagen weitergefahren ist?«
Reginald Bull sah über die Wüste. Bis an den Horizont, wo Terrania aufragte, war keine Menschenseele zu sehen, kein Fahrzeug, kein Haus oder eine andere von Menschen geschaffene Struktur. Was Julian anbot, war eine mögliche Erklärung. Aber Bull glaubte nicht daran. Zu unwahrscheinlich. Er …
Sein Pod summte. Bull zog ihn aus der Tasche, aktivierte ihn. Das Gesicht Perry Rhodans erschien auf dem Display.
»Perry!«, rief er. »Ihr habt es geschafft! Wie habt ihr …« Er brach ab, als er den Ernst bemerkte, der in den Zügen des Freundes stand. »Was ist los? Habt ihr das Schiff im letzten Moment verloren?«
»Nein. Aber ich bitte dich, so schnell wie möglich nach Terrania zurückzukommen. Ich brauche dich!«
17.
27. Juli 2036
Perry Rhodan
Perry Rhodan lauschte der Stimme.
Die Aufnahme war klar. Schloss er die Augen, glaubte er, der Sprecher stünde vor ihm.
Eine Illusion. Eine Entfernung, so gewaltig, dass sie das menschliche Vorstellungsvermögen sprengte, trennte ihn von dem Sprecher.
Der Sprecher war kein Mensch. Er sprach Arkonidisch. Keine Sprache, die Menschen vertraut war. Und doch war Rhodan vertraut, was die Stimme mitteilte. Ihre Heiserkeit, die betonten, harten Plosiv-Laute drückten eine Verzweiflung aus, die Rhodan bewegte.
Er spielte die Aufnahme ein weiteres Mal ab, versuchte, sich den Sprecher auszumalen. Als die letzten Laute verklungen waren, sagte eine Stimme leise hinter ihm: »Echsen haben uns gefunden. Sie werden das System überrennen! Dunkelheit verdrängt das Licht! Du lebst länger als die Sonne, heißt es. Eile herbei! Kerlon.«
Die Stimme gehörte einer Frau. Sie sprach Englisch, übersetzte den Notruf. Mit einer Makellosigkeit, die einer Nachrichtensprecherin gut angestanden hätte.
Doch diese Frau war kein Mensch.
Perry Rhodan stoppte die Wiedergabe mit einem Nicken in Richtung des leuchtenden Hufeisens und wandte sich um. Thora da Zoltral hatte ihren Platz in der Zentrale-Mitte der GOOD HOPE verlassen. »Sie machen sich Sorgen?«, fragte die Arkonidin. Sie hatte ihre Fassung wiedergewonnen, war distanziert und beherrscht. Doch Rhodan hatte gelernt, dass es sich dabei um eine Maske handelte und die wahre Thora eine andere war.
»Sagen wir, Gedanken.«
»Verraten Sie sie mir? Ich bin keine Gedankenleserin, und meine Kenntnisse der menschlichen Mimik gehen noch nicht weit genug, um sie zu erraten.« Thora trug eine ausgemusterte chinesische Armeeuniform. Die Ranginsignien waren entfernt, aber auch unnötig. Ihre Haltung zeigte an, dass sie es war, die in dem arkonidischen Raumschiff das Sagen hatte.
»Die offensichtlichen«, entgegnete Rhodan. »Zum Beispiel: Wer sind diese Echsen? Oder wer ist dieser Kerlon, der den Notruf abgesendet hat? Und an wen ist er gerichtet? Wer ist es, der herbeieilen soll?«
Die weiteren Fragen, die ihn bewegten, behielt Rhodan für sich. Wie war es möglich, dass sich die Erschütterung der Arkonidin binnen vierundzwanzig Stunden in Entschlossenheit verwandelt hatte? Eine Entschlossenheit, spürte Rhodan, die nicht aus der Einsicht erwuchs, sich einer schwierigen Situation stellen zu müssen, sondern einer Aufregung, die unerklärlich schien. Als erhoffe sich Thora eine Erlösung von dem Flug. Glaubte sie, dass sich ihr damit das Tor zur Rückkehr nach Arkon öffnete?
»Das sind wichtige Fragen, das gebe ich zu.« Thora verschränkte die Arme in einer Geste, die sie unbewusst von den Menschen übernommen haben musste. »Aber fest steht, dass das Leben von Arkoniden auf dem Spiel steht. Und dass wir über diese Fragen bis an das Ende unserer Tage spekulieren können. Die Antworten können wir nur an dem Ort finden, von dem dieser Notruf stammt: aus dem System der Sonne, die Sie Menschen Wega nennen.«
»Das hoffe ich.«
»Wieso hoffen?«
»Der Notruf wurde in einem Kode der Flotte des Großen Imperiums gesandt. Einem Kode, der jahrtausendealt ist.«
»Das ist richtig.« Sein Einwurf erschütterte die Selbstsicherheit der Arkonidin. »Aber wir sollten …«
»… uns überlegen, was das bedeutet«, schnitt ihr eine Stimme das Wort ab. Sie gehörte Reginald Bull. Der Freund erschien so unvermittelt zwischen Rhodan und Thora, als hätte ihn ein Teleporter in die Zentrale der GOOD HOPE gebracht. Allerdings war dieser Bull, der sich von der Spitze des Stardust Towers über Funk einschaltete, lediglich zweidimensional – geschuldet der unvollkommenen Kopplung von irdischer und arkonidischer Technologie.
»Dieser Notruf ist aller Wahrscheinlichkeit nach jahrtausendealt«, fuhr Bull fort. »Wer immer dieser Kerlon sein mag, er ist längst tot.«
»Tatsächlich?« Blanke Wut funkelte in Thoras Augen, als sie Bull musterte. Seine Hemdsärmeligkeit und ihr arkonidisches Standesbewusstsein waren wie zwei chemische Elemente, die bei Berührung heftig miteinander reagierten. »Und wie erklären Sie sich, Mister Bull, dass wir diesen Funkspruch vor einem Tag Ihrer Zeit aufgefangen haben?«
Bull zuckte die Achseln. »Was weiß ich? Ein hyperphysikalisches Phänomen? Sie sind die Expertin hier, nicht?«
Tränen der Erregung traten in Thoras Augen. Sie ballte die Hände zu Fäusten – und entschied sich gegen die Konfrontation. »Der Start erfolgt in fünf Minuten«, sagte sie eisig. »Fassen Sie sich kurz!« Sie wandte sich ab und ging zurück in die Zentrale-Mitte, an den Platz der Kommandantin.
Die beiden Freunde sahen ihr wortlos nach. »Was gibt es, Reg?«, brach Rhodan schließlich das Schweigen. »Ein letzter Versuch, mich umzustimmen?«
Bull grinste versöhnlich. Mit dem Freund ließ sich gut streiten – aber mindestens ebenso gut versöhnen. »Natürlich. Was hast du erwartet?« Er strich sich über das Kinn. Rote Bartstoppeln zeigten an, dass er auch an diesem Morgen nicht dazu gekommen war, sich zu rasieren. »Perry … auch auf die Gefahr hin, dass ich wie der Warnhinweis auf einer Zigarettenschachtel klinge, halte ich es für meine Pflicht als Freund, dich ein letztes Mal daran zu erinnern: Der Raumflug mit einem schrottreifen, zehntausend Jahre alten Schiff außerirdischer Herkunft zu einem fremden Stern, um einem mysteriösen Notruf Folge zu leisten, kann unvorhergesehene Auswirkungen auf Ihren Leib und Ihr Leben haben – und das Ihrer Angehörigen!«
»Ich weiß.« Perry Rhodan konnte sich ein Schmunzeln nicht verkneifen. Niemand konnte Reginald Bull das Wasser reichen, wenn es darum ging, seine Bedenken auf eine Art zu äußern, die das Gegenüber entwaffnete.
»Sagt der Kettenraucher und zündet sich die nächste Kippe an!«, sagte Bull. »Perry, dieser Flug ist Wahnsinn, und du weißt das!«
»Es wäre Wahnsinn, ihn nicht zu unternehmen. Siebenundzwanzig Lichtjahre sind in den neuen Dimensionen, in denen wir denken müssen, ein Nichts. Das ist unser Vorgarten. Wir müssen wissen, was im Wega-System geschieht. Thora und Crest haben in dieser Hinsicht recht.«
»Ja? Was kümmert es uns, wenn Heuschrecken über den Garten herfallen?« Bull schüttelte den Kopf. Sein Gesicht war rot angelaufen. Die beiden Narben, die er sich beim Absturz der STARDUST über der Gobi eingehandelt hatte, traten hervor. Sie waren bleich. »Wir müssen sehen, dass uns hier auf der Erde der Laden nicht auseinanderfliegt!«
»Wir müssen sehen, dass wir morgen noch einen Laden besitzen«, widersprach Rhodan. »Die Arkoniden sind sozusagen nur die Spitze des Eisbergs. Dort draußen, zwischen den Sternen, wimmelt es von Leben. Intelligentem Leben. Dutzende, Hunderte, vielleicht Tausende von Arten beherrschen die Raumfahrt auf einem Niveau ähnlich dem der Arkoniden – und besitzen ein militärisches Potenzial, das es ihnen erlaubt, die Erde auf Knopfdruck einzuäschern!«
»Und?« Bull zuckte die Achseln. »Womit sie keinen Laden erben würden, sondern einen Haufen Asche, der ihnen zwischen den Fingern davonrieselt – ergibt nicht besonders viel Sinn, wenn du mich fragst.«
»Wenn du mich fragst, auch nicht. Aber schau dich mal um, was auf der Erde passiert, was dir und mir widerfahren ist, seit wir die STARDUST in der Gobi gelandet haben. Ergibt das Sinn?«
»Nicht besonders viel.«
»Genau. Und trotzdem ist es passiert. Weil wir Menschen fehlbar und schwach sind, wir von Ängsten getrieben sind und Sehnsüchten, die wir uns selbst nicht erklären können. Wie die Arkoniden. Und wie – wage ich zu behaupten – alle anderen Wesen dort draußen.«
»Mag sein. Aber was wollt ihr schon ausrichten?« Bull hob beschwörend die Hände. »Die GOOD HOPE ist ein Beiboot! Was immer bei der Wega vorgehen mag, ihr werdet nichts ausrichten können!«
»Reg«, sagte Rhodan beschwörend. »Das ist mir klar. Und ich verstehe, dass dir unser Flug nicht schmeckt. Aber er muss sein. Es ist eine Erkundung, mehr nicht. Wir fliegen zur Wega, sehen nach, was dort los ist, und kehren zurück. Das ist alles. In spätestens vierundzwanzig Stunden sind wir zurück.«
»Sagst du!« Bull strich sich durch das rote Borstenhaar. »Also gut, ich gebe auf. Ich weiß, dass ich dich nicht aufhalten kann. Aber versprich mir wenigstens eins: Stell keinen Unsinn an, okay?«
Perry Rhodan musterte den Freund. Den treuen Kameraden, der stets für jeden Unsinn zu haben war – und erkannte, was in ihm vorging.
»Reg, Hand aufs Herz! Du würdest am liebsten mitfliegen, nicht?«
»Quatsch!« Es kam zu schnell und zu laut. »Könntest du dir jemanden vorstellen, der besser geeignet wäre, Haus und Herd zu hüten, als ich?«
»Ich bin sicher, dass dir nicht langweilig wird«, tröstete er ihn.
»Ich auch!« Bull beugte sich vor, der Kamera entgegen. »Perry, pass auf dich auf, ja? Es gibt hier nach vorsichtigen Schätzungen ungefähr ein bis zwei Milliarden Menschen, die sich nichts sehnlicher wünschen, als dass du spurlos vom Antlitz dieser Erde verschwindest und sie endlich ihre kleine, beschauliche Welt wiederbekommen, die eben im Begriff war, zum Teufel zu gehen – aber ich sentimentaler, treuherziger Exastronaut, dem man das Schiff unter dem Hintern weggeschossen hat, würde dich vermissen, klar?«
»Klar. Wir sehen uns morgen, Reg!«
Reginald Bull verschwand, als er die Verbindung unterbrach, und gab den Blick in die Zentrale der GOOD HOPE frei.
Die Zentrale war ein kreisrunder Raum von etwas über zehn Metern Durchmesser, die Decke eine Kuppel. In ihrer Mitte stand Thora. Leuchtende, virtuelle Schaltflächen umgaben sie in Hüfthöhe. Der Streit schien vergessen. In dieser Hinsicht glich die Arkonidin Bull mehr, als sie sich jemals eingestehen würde. Ihre Wut war wie eine Stichflamme. Heiß und verzehrend, aber nur von kurzer Dauer.
Die Arkonidin bediente die Schaltflächen mit souveränen, flinken Handbewegungen. Perry Rhodan war an eine Dirigentin erinnert – und er und die übrige Mannschaft stellten ihr Orchester dar.
Holografische Steuerelemente flammten vor Rhodan auf. Einige wenige, ein Bruchteil der Komplexität, die Thora so spielerisch bewältigte. Der Lernmodus. Thora war die Einzige unter ihnen, die das Schiff beherrschte. Sollte ihr etwas zustoßen, war Rhodan bewusst, würden er und seine Kameraden gestrandet sein, unendlich weit weg von ihrer Heimat. Ein weiterer Risikofaktor unter vielen, tröstete er sich.
Rhodan ließ den Blick über die Zentrale schweifen, sah in die Gesichter der Kameraden, die mit ihm zusammen den ersten Flug wagten, den Menschen zu einem fremden Stern wagen würden. Es waren acht. Vier davon waren ehemalige Astronauten wie er selbst.
Rod Nyssen, sehnig, beinahe ausgemergelt. Ein Marathonläufer, der über die Jahre das letzte Gramm Fett von seinem Körper abgeschmolzen hatte. Er wirkte fahrig. Rhodan beunruhigte es nicht. Er kannte den Grund: Rod Nyssen rauchte, er vermisste bereits jetzt seine Zigaretten.
Conrad Deringhouse, ein schlaksiger, hochgeschossener Mann. Er wirkte wie ein großer Junge. Und das war er auch. Deringhouse ging Risiken mit der Unbekümmertheit eines Kindes ein, dem der Gedanke, es könne sich etwas tun, fremd war.
Darja Morosowa. Die ehemalige großrussische Kosmonautin war still und unscheinbar. Doch sie besaß einen wachen Geist und eine außergewöhnliche Wahrnehmungsgabe. Morosowa sah stets hinter die Kulissen.
Schließlich Alexander Baturin. Ein Intellektueller, in dem man nicht einen der zähesten Kosmonauten der großrussischen Raumfahrt vermutet hätte.
Für Rhodan und die Astronauten und Kosmonauten erfüllte sich mit dem Flug der GOOD HOPE eine Sehnsucht, die sie bis vor Kurzem für einen unerfüllbaren Traum gehalten hatten.
Die übrigen vier Kameraden waren Mutanten.
Ras Tschubai. Der Sudanese war tiefschwarz, athletisch und unerschütterlich. Rhodan und Bull hatten ihm das Leben zu verdanken. Tschubai, der Teleporter, hatte sie mithilfe seiner Psi-Gabe vor den Bewohnern einer australischen Kleinstadt gerettet, die die beiden hatten lynchen wollen.
Tako Kakuta. Die Eltern des schmächtigen Japaners waren an den Spätfolgen ihrer Verstrahlung durch die Fukushima-Havarie gestorben. Der Waise, ein Teleporter, war von Clifford Monterny aufgespürt worden. Monterny hatte Kakuta wohl das Leben gerettet – doch die Schuld, einem Verbrecher gedient zu haben, lastete schwer auf dem Japaner. Rhodan hoffte, dass er sie fern von der Erde würde abschütteln können.
Anne Sloane. Ihre Gabe hatte die Telekinetin zu einer Meister-Surferin gemacht. Sloane war sportlich drahtig, gab sich ausgelassen. Aber Rhodan spürte, dass sich hinter dieser Maske eine zweite Anne Sloane verbarg, vielleicht die wahre. Anne beachtete die Steuerelemente nicht, ihr Blick war auf Rod Nyssen fixiert. Rhodan versuchte ihn vergeblich zu deuten. Er hoffte, dass es keine Differenzen zwischen Nyssen und Sloane gab. Auch wenn ihre Mission nur kurz sein würde, kam es darauf an, dass sie reibungslos zusammenarbeiteten.
Der vierte Mutant war Wuriu Sengu. Wie Kakuta ein Opfer der Katastrophe von Fukushima. Der dicke junge Mann, der wie ein Rapper aus dem frühen einundzwanzigsten Jahrhundert wirkte, besaß eine Gabe, die man »Spähen« getauft hatte. Sengu vermochte durch feste Materie zu sehen, als wäre sie nicht vorhanden.
Thora leitete den Start ein. Die Triebwerke der GOOD HOPE dröhnten auf, ließen das gesamte Schiff vibrieren. Drei der Triebwerke fehlten. Die Autoreparatur-Routinen des Schiffs hatten unter der Anleitung der Arkonidin innerhalb von vierundzwanzig Stunden Wunder bewirkt – nahezu. Die in Stücke gerissenen und zerschmolzenen Triebwerke hatten sie nicht ersetzen können. Stattdessen hatte das Schiff die Löcher in seinem Rumpf verschlossen. Rhodan muteten sie an wie zugewachsen, als handele es sich bei dem Schiff um ein Lebewesen.
Thora hatte versichert, dass der geflickte Rumpf den Belastungen des Fluges würde standhalten können.
Entlang der Zentralewände entstand ein Holo. Es zeigte den Startplatz und seine Umgebung, als blickten sie durch ein Panoramafenster, das das gesamte Rund der Zentrale umlief.
Die GOOD HOPE löste sich vom Boden.
Rhodan spürte den Start nicht, er sah ihn nur über das Holo. Die Andruckabsorber, die alle Beschleunigungs- und Bremskräfte neutralisierten, arbeiteten wieder. Es war die Vorbedingung für ihren Flug gewesen. Ohne Andruckabsorber hätte der Schub der Triebwerke die Besatzung zerquetscht.
Meter um Meter hob sich die GOOD HOPE in den Himmel über Terrania. Thora wandte nur einen Bruchteil der möglichen Triebwerksleistung auf. Die Arkonidin wollte der Menschenmenge, die den Start verfolgte, ein Schauspiel bieten.
Rhodan hatte den Start der GOOD HOPE angekündigt. Offiziell führte der Flug zur Venus, zu der arkonidischen Basis, die Thora durch einen Zufall entdeckt hatte.
Ein zweites Holo entstand über ihren Köpfen, als die GOOD HOPE die Atmosphäre durchstieß. Es bildete den Raum ab, der vor ihnen lag. Innerhalb von Minuten erreichte das Schiff den Mond.
Rhodans Blick blieb an der bleichen, kraterübersäten Kugel hängen. War es ein Zufall, dass sie den Trabanten der Erde in nächster Nähe passierten? Oder handelte es sich um eine Spitze Thoras, eine beiläufige Demonstration der arkonidischen Überlegenheit? Rhodans STARDUST hatte drei Tage benötigt, um die Distanz zwischen Erde und Mond zu bewältigen.


