Kitabı oku: «Perry Rhodan Neo Paket 2: Expedition Wega», sayfa 4

Yazı tipi:

5.

26. Juli 2036

Reginald Bull

»Guten Morgen, Reg!«

Die Stimme war ruhig und freundlich. Reginald Bull kannte sie. Er zog das alte T-Shirt weg, das er sich zusammengerollt über die Augen gelegt hatte, damit ihn die Morgensonne nicht blendete. Sein Apartment im Stardust Tower – er nannte es Kabine, was zu seiner geringen Größe passte – besaß keinen Sonnenschutz. Noch nicht. Er würde kommen, hatte ihm der arkonidische Roboter versprochen, den er sich vorgeknöpft hatte. Sobald der Turm seine endgültige Größe erreicht hatte. Eines Tages. Bis dahin mussten sie sich behelfen.

»Eric!«, sagte er. »Es ist halb sieben – du hast besser einen stichhaltigen medizinischen Grund dafür, mich mitten in der Nacht aus dem Bett zu holen.«

Eric Manoli war ehemaliger Bordarzt der STARDUST und vielleicht der zuverlässigste Mensch, dem Bull je begegnet war. Der unscheinbare Mann mit den schwarzen Haaren sagte: »Hier, deine Medizin!« Er hielt ihm einen großen Becher entgegen. Kaffeeduft drang aus der schmalen Trinköffnung. »Americano. Drei Schuss Espresso, sechs Stück Zucker.«

Bull richtete sich auf, schnappte dem Freund den Becher aus der Hand und nippte daran. Heiß und bittersüß. Genau, wie er ihn mochte. »Okay, ich habe deinen Köder geschluckt. Was willst du von mir?«

»Dir etwas zeigen.«

»Okay, zeig her!«

»Das geht nicht. Du musst mitkommen.«

Bull nahm einen zweiten, längeren Schluck. »Unmöglich. Die Stadtplaner und Geologen warten auf mich. Terrania braucht eine zuverlässige Wasserversorgung.«

»Sicher. Aber wenn du mich fragst, braucht die Wasserversorgung Terranias nicht Reginald Bull. Überlass das den Experten. Sie können das besser. Deine Stärken liegen woanders.«

Bull blickte den Freund verblüfft an. Eric Manoli war so etwas wie die graue Maus der STARDUST-Crew gewesen. Ruhig und unauffällig. Eric schwieg oft, aber wenn er etwas sagte, blieb Bull regelmäßig der Mund offen stehen.

»In Ordnung.« Bull diktierte seinem Pod, den Termin abzusagen, schlug die Decke zurück und stand auf. Er trug immer noch dieselbe ausgemusterte chinesische Uniform, in der er am Vorabend eingeschlafen war.

»Du schläfst in Kleidern?« Eric Manoli verzog eine Braue – ungefähr das Maximum, was er je an Überraschung zu zeigen pflegte.

»Klar, dieses elende An- und Ausziehen überlasse ich anderen, die das besser können.« Bull ging zur Tür, die sich automatisch öffnete. Im Türrahmen drehte er sich um und sagte schmunzelnd: »Worauf wartest du noch? Oder hast du heute Morgen noch nicht deine eigene Medizin gekostet?«

Gemeinsam hangelten sie sich durch den Antigravschacht zum Grund des Towers. Eine Erfahrung, die die menschlichen Sinne in kürzester Zeit durcheinanderbrachte: Man stieß sich an den Seilen ab – aber nach unten. Bull und Manoli fiel es dank ihres Astronautentrainings nicht schwer.

Man weiß eben nie, wozu etwas gut ist, dachte Bull, der sich daran erinnerte, wie er gegen die sinnlos erscheinenden Übungen aufbegehrt hatte. Aber an Lesly K. Pounder, damals Flight Director der NASA, hatte sich Bull die Zähne ausgebissen. Er hatte schließlich nachgegeben, ohne zu ahnen, dass ihm diese Übungen eines Tages zustattenkommen würden. Und noch weniger, dass er mit dem alten Knochen Pounder eines Tages einen Turm bewohnen würde, der von Alien-Robotern gebaut wurde und in einer Stadt in der Wüste stand, die zur Hauptstadt einer neuen Menschheit bestimmt war.

Sie erreichten den Boden des Schachts, der zugleich die Decke des Foyers bildete. »Hier lang, Reg!« Manoli bog nach rechts in das Gewirr von Räumen ab, das innerhalb von zehn Tagen entstanden war.

Das Krankenhaus war das Werk des ehemaligen Bordarztes. Ausgestattet war es – was sonst? – aus den Beständen der ehemaligen chinesischen Armee. Erstklassiges Material, das Manoli in naher Zukunft um arkonidische Technik zu ergänzen hoffte. Besetzt mit hochkarätigen Ärzten und Pflegern aus mehreren Dutzend Nationen. Bislang arbeiteten sie ohne Lohn, auch wenn das Finanzgenie Homer G. Adams versprochen hatte, dass sich das bald ändern würde. Der Einwand Bulls, dass die irdischen Währungen angesichts der globalen Unruhen in Kürze nicht mehr das Papier wert sein würden, auf das sie gedruckt waren, hatte den buckligen alten Mann nicht aus der Fassung gebracht.

»Wie ist der Stand, Eric?«, fragte er. Krankenbetten reihten sich entlang der Korridore. Die meisten von ihnen waren leer, ab und zu passierten sie einen Patienten. Viel war nicht zu sehen. Sie schliefen, während aus Infusionsflaschen tröpfchenweise Flüssigkeit in ihre Körper floss.

»Zum Glück besser.« Der Arzt ging so schnell, dass Bull Mühe hatte, mit ihm gleichauf zu bleiben. »Ich glaube, wir haben das Schlimmste hinter uns. In den ersten Tagen hatten wir vor allem zwei Arten von Verletzten. Solche mit Schusswunden und sehr, sehr viele entkräftete und dehydrierte Menschen. Schusswunden hatten wir seit dem Ende der Belagerung nur noch drei. Zwei davon aufgrund von Unfällen beim Einsammeln der Waffen. Dehydrierung kommt jetzt nur noch selten vor. Jeden Tag vielleicht ein, zwei Dutzend Leute, die sich beim Arbeitseinsatz überschätzt haben.«

»Und trotzdem müsst ihr immer noch Leute auf die Gänge auslagern?«

»Leider. Dank Sid González ist die Atombombe, die der chinesische Geheimdienst platziert hat, weitab von Terrania detoniert. In der Wüste, die eigentlich menschenleer ist. Aber das war sie nicht. Denk an die vielen Tausenden, die versucht haben, zum Schirm vorzudringen. Radioaktive Strahlung ist unsichtbar. Hunderte, ja Tausende haben sich erhöhte Strahlendosen zugezogen – auch wenn es sich angeblich um eine ›saubere‹ Bombe gehandelt hat. Dazu kommen die Unvorsichtigen und Unwissenden, die die Sperrzone um den Explosionsort ignorieren.«

»Ihr könnt ihnen helfen?«

»Leidlich. Ehrlich gesagt, unsere Medizin steht Strahlenvergiftungen immer noch nahezu hilflos gegenüber. Wir können lindern und den Körper unterstützen. Viel mehr nicht.« Es war Manoli anzusehen, dass es ihm nicht behagte. Der ehemalige Bordarzt war mit Leib und Seele Mediziner.

»Was ist mit den Arkoniden?«, fragte Bull.

»Fehlanzeige. Weder Crest noch Thora besitzen eine medizinische Ausbildung. Aber nach dem, was ich von ihnen erfahren habe, ergeht es der arkonidischen Medizin ohnehin nicht viel besser als unserer.«

»Kaum zu glauben.« Bull strich sich durch die Borsten. »Ihre gesamte Zivilisation beruht auf der Energie aus Kernfusion, die wir seit bald hundert Jahren versuchen, in den Griff zu bekommen, ohne mehr als einen Millimeter voranzukommen. Sie bauen Raumschiffe mit einer Masse von Tausenden von Tonnen, fliegen von Stern zu Stern, aber wenn etwas schiefgeht, können sie nur die Hände über dem Kopf zusammenschlagen. Verrückt.«

»Ja, verrückt.« Manoli dachte einen Augenblick nach. »Und irgendwie geradezu verblüffend menschlich, nicht? Unsere Art ist nicht gerade ein Überflieger, wenn es darum geht, hausgemachte Katastrophen zu lösen.« Der Arzt machte vor einer Tür halt, bevor Bull zu einer Entgegnung kam. »Hier ist es schon.« Manoli öffnete die Tür.

Ein Behandlungsraum erwartete Bull. In der Mitte stand eine Liege, umringt von unzähligen Gerätschaften, dem Feinsten, was irdische Medizintechnik aufzubieten hatte. Auf der Liege hatte man einen großen Karton abgestellt. Bull schätzte ihn auf ungefähr zwei Meter Länge. Er konnte sich nicht helfen, der Karton erinnerte ihn an einen Sarg. An der Seitenwand klebte ein Zettel: »medical supplies«. Er hing schief.

Ein Mensch und ein Fremder standen an der Liege.

Dr. Frank Haggard, der Medizin-Nobelpreisträger, zog gerade Gummihandschuhe über. Wie Manoli trug er Weiß. Doch während man in dem unscheinbaren, eher schmächtigen Manoli sofort den Intellektuellen erkannte, wirkte der muskulöse Haggard wie ein Model, das man für eine Rolle in einer Arztserie verpflichtete. Nicht ohne Grund: Der Australier war ein ehemaliger Rugby-Profi und ließ keinen Tag verstreichen, ohne trainiert zu haben. Im Stardust Tower ging das Gerücht um, er habe bereits ein terranisches Rugby-Team gegründet.

Neben ihm, auf einen Stock gestützt, wartete Crest da Zoltral. Vor zwei Wochen noch war der alte Arkonide vom Tode gezeichnet gewesen. Sein Schicksal hätte sich erfüllt, hätten Manoli und Haggard den greisen Arkoniden nicht gerettet. Crest wirkte dürr, ja zerbrechlich, aber in seinen roten Augen war ein Feuer erwacht, das Bull sagte, dass der Arkonide noch lange nicht bereit war, Abschied vom Leben zu nehmen.

»Da seid ihr ja!«, begrüßte Haggard sie. »Können wir endlich anfangen?« Der Mediziner strahlte erwartungsvoll wie ein Junge, der es nicht abwarten konnte, ein Geschenk zu öffnen.

»Was habt ihr da?«, fragte Bull. »Ein neues medizintechnisches Spielzeug?«

»So ähnlich.«

Manoli zog ebenfalls Gummihandschuhe über. Gemeinsam machten sich die beiden Ärzte daran, den Karton zu öffnen. Sie benutzten dazu Skalpelle, zogen die Klingen so vorsichtig über das Material, als handelte es sich dabei um menschliches Gewebe. Ein Geruch machte sich in dem Raum breit.

Bull verzog das Gesicht. Kein Geruch. Es stank. Nach einer Mischung aus verschmortem Plastik und verbranntem Fleisch.

Die Ärzte hatten den Karton in etwa zwanzig Zentimetern Höhe rundum durchtrennt. Das abgetrennte Teil rutschte zur Seite. Manoli und Haggard packten ihn, nickten einander zu, hoben ihn hoch und legten das Kartonteil zur Seite.

Bull trat an die Liege. Der Becher rutschte ihm aus der Hand. Das Gefäß prallte auf den Boden, der Deckel rutschte ab. Eine dampfende braune Brühe breitete sich aus.

Vor ihm lagen die Reste eines Menschen. Wenig mehr als ein Kopf und ein Rumpf waren von ihm geblieben. Die Beine waren in der Mitte der Oberschenkel abgetrennt, der linke Arm fehlte ganz. Der rechte Arm lag an der Seite, mehrfach – und eigentlich unmöglich – verdreht. Der Tote war verbrannt, seine Haut war verkohlt und verschrumpelt. Oder handelte es sich dabei um die Reste von Kleidung, die sich in die Haut gebrannt hatten?

Der Duft von Kaffee mischte sich mit dem Gestank des verbrannten Fleischs. Reginald Bull wurde übel. Er hatte das Glück gehabt, bislang nur wenige Male dem Tod zu begegnen. Eine dieser Begegnungen hatte ihn noch jahrelang in Albträumen verfolgt. Es war ein Autounfall auf der Verbindungsstraße zwischen Nevada Fields und Las Vegas gewesen. Ein kerzengerader Strich durch die Wüste, wenig Verkehr. Und doch waren dort immer wieder schwere Unfälle geschehen, wenn Personal des Space Center nach einem durchgefeierten Wochenende in die Basis zurückkehrte. Bull war der Erste an der Unfallstelle gewesen. Er hatte hilflos zusehen müssen, wie die Insassen des Wagens verbrannt waren, als der Tank des alten Benziners Feuer gefangen hatte.

»W… was wollt ihr mit dem Toten hier?«, brachte Bull hervor, während er aus dem Augenwinkel registrierte, dass Crest ungerührt schien. Der alte Arkonide musste mit dem Tod vertraut sein. »Wer ist das?«

»Das ist kein Toter, Reg«, entgegnete Manoli. »Sieh genau hin!«

»Ich habe genug gesehen. Ich …«

»Sieh auf den Brustkorb, Reg!«

Bull wollte es nicht, aber er hätte Manoli jederzeit sein Leben anvertraut. Er zwang sich, direkt an die Liege zu treten. Der Kopf der Leiche war nach rechts gedreht, von ihm abgewandt. Bull war froh darüber. Er wollte dem Toten nicht in die Augen sehen.

Der Brustkorb war offen, wie von innen nach außen gestülpt. Die Öffnung war eine schwarze Höhle – und darin funkelte im Licht der starken Lampen etwas metallisch.

»Und, geht dir jetzt ein Licht auf?«, fragte Manoli.

»Ein Roboter …?« Einen Moment später blitzte eine Erinnerung in Bull auf. Die Kaserne in den Adirondacks. Fort Sunrise. Crest, von Clifford Monterny als Geisel genommen. Er und Rhodan im verzweifelten Versuch, den alten Arkoniden zu befreien. Eine Gestalt in einem arkonidischen Kampfanzug war Crest zu Hilfe geeilt, nur um von dem Telekineten Roster Deegan getötet zu werden. Er und Rhodan hatten geglaubt, es hätte sich um Thora gehandelt. Ein Irrtum …

»Rico«, übernahm es Crest, für Bull zu antworten. »Die Maschine, die unser aller Leben gerettet hat.«

»Wie kommt … wie kommt er hierher?« Rico war ein Roboter gewesen, keine Person, kein Mensch. »Es« wäre die richtige Bezeichnung gewesen. Aber etwas in Bull sträubte sich gegen das unpersönliche Pronomen.

»Adams, Mercant und Pounder haben es eingefädelt«, antwortete Manoli.

»Mittels Bestechung, Agentenschläue und der Sturheit einer Bulldogge?«

Manoli lachte auf. Früher, erinnerte sich Bull, hatte der Arzt allenfalls ein schuldbewusstes Lächeln für seine Scherze übrig gehabt. »So ungefähr. Du und die Übrigen musstet euch nach dem Tod Monternys so schnell wie möglich davonmachen. Die Armee hat Fort Sunrise eingenommen und sich gleich auf den Jackpot gestürzt: das abgestürzte arkonidische Raumschiff. Rico haben sie sich ebenfalls gesichert, aber nur nebenbei.«

»Und dann spazierte Adams mit seiner dicken Brieftasche daher?«

»Genau, den Rest haben vom Glauben abgefallene Geheimdienstleute und die Weltraumverrückten Pounders erledigt – zusammen mit global verstreuten Schwarzhändlern, die für gewöhnlich ihr Brot mit dem Schmuggel von aussterbenden Arten und Medikamenten verdienen.«

Frank Haggard hatte mittlerweile die Reste der Kartonwände abgeschnitten. Es blieb nur noch die Pappe unter dem Körper. »Ich bin so weit«, sagte er. »Fangen wir an?«

»Du entschuldigst mich, Reg?« Manoli wandte sich ab, nahm aus einem Regal ein Headset und räusperte sich: »Protokoll der Obduktion von …«, er zögerte, »unbekanntem Wesen mit dem Namen Rico. Ausführende Ärzte: Dr. Frank Haggard und Dr. Eric Manoli. Wir beginnen mit der Dokumentation.«

Bewegliche Kameraarme fuhren unter der Liege aus und wanderten langsam über den verstümmelten Körper.

»Nicht übel«, sagte Bull anerkennend. »Habt ihr zwei auch noch was zu tun?« Er hatte ein Faible für technische Spielereien, doch in diesem Moment diente die Bemerkung dazu, seine Beklemmung abzuschütteln.

»Ja, später«, antwortete Haggard. »Wenn wir ihn aufschneiden.«

Bull sagte nichts.

Die Kameraarme klappten wieder ein. Eine enge Röhre schob sich vor, stülpte sich über die gesamte Liege. Ein rotes Licht flammte auf, und kurz darauf drang ein unregelmäßiges Klappern aus der Röhre. »Keine Angst«, sagte Haggard betont. »Da klopft keiner. Gewöhnliche Geräusche bei einem Kernspin.« Er sah auf seinen Pod. »Das wird einige Minuten dauern.«

Die drei Menschen und der Arkonide schwiegen. Nach einiger Zeit fragte Crest: »Sie denken an den Kampf mit Monterny zurück, Mister Bull?«

»Sie nicht?«

»Nein. Zumindest versuche ich es nicht. Was geschehen ist, ist geschehen. Man muss im Leben weitergehen.«

»Ganz meine Linie …« Bull fuhr mit einer Hand über das Gesicht. Seine Finger blieben an der Narbe hängen, die sich über seine Wange zog. Eine Erinnerung an den Abschuss der STARDUST.

»Aber?«, hakte der Arkonide nach.

»Ich weiß nicht.« Bull zog die Hand weg. »Ich halte mich für einen umgänglichen Kerl, auch wenn mir ab und zu der Kragen platzt. Aber seit wir zum Mond aufgebrochen sind … Irgendwie will mir immer irgendwer an den Kragen. Manchmal frage ich mich, was ich falsch mache.«

»Ich kann verstehen, dass Sie sich diese Frage stellen.« Crest bedachte Bull mit einem Blick, als überraschte ihn, dass der polternde Mensch zu solch tiefsinnigen Gedankengängen fähig war. »Aber Sie sollten sich lieber die Frage stellen, was Sie neuerdings richtig machen. Je mehr andere die eigene Person hassen und ihr nachstellen, desto stärker sollte man an dem festhalten, was man glaubt.«

»Sie sprechen aus Erfahrung?«

Crests Augen weiteten sich.

Ein Summen ertönte, die Röhre zog sich zurück und gab den Körper frei. Er lag unverändert.

»Sehen wir uns den Scan an!«, sagte Haggard und deutete auf ein Display, das eine der Wände beinahe zur Hälfte ausfüllte. »Bitte beachten Sie: Das ist nur eine rudimentäre Aufarbeitung der gewonnenen Daten, die Farbgebung ist von der Software gewählt, die Detailschärfe noch ungenügend. Aber für einen ersten Eindruck genügt es.«

Der Scan bestätigte ihre Vermutungen. Anfangs. Rico war eine Maschine. Statt Adern liefen Leitungen durch seinen Körper, statt Organen füllten Aggregatbündel seinen Rumpf aus. Gleichzeitig war Rico ein Lebewesen. Die Haut, die seinen Körper bedeckte, bestand aus Zellgewebe. Und nicht nur die Haut: Zellgewebe reichte ins Innere des Körpers, füllte die Hohlräume zwischen Leitungen und Aggregaten.

Manoli und Haggard unterhielten sich aufgeregt, riefen immer neue Innenansichten des Körpers auf. Sie vergaßen alles um sich herum.

Crest schwieg. Aus der Hand, die den Knauf des Stocks umklammerte, wich jede Farbe. Der Arkonide zitterte.

»Ist Ihnen nicht gut?«, fragte Bull. Er stützte den Arkoniden mit einer Hand unter der Achsel. Er spürte viele harte Knochen und wenig Fleisch.

»Es ist dieser Roboter, dieses Wesen. Sie wissen, ich bin weder Techniker noch Naturwissenschaftler. Aber Geschichte, die genaue Beobachtung von Gesellschaften ist mein Feld. Man lernt über vieles dabei, auch über Technologie.«

»Sie kennen diese Art von Roboter?«

»Nein!« Crest schüttelte heftig den Kopf in einer Geste, die er unwillkürlich von den Menschen übernommen hatte. »Gerade das ist es. Diese Maschine ist nicht arkonidischen Ursprungs!«

Bull musterte den alten Arkoniden, dem Tränen der Erregung in den Augen standen. Er sah zu den Resten des Roboters auf der Diagnoseliege. Nicht arkonidischen Ursprungs – aber wer hatte diese Maschine, die womöglich überhaupt keine war, dann gebaut? Und wie kam sie auf eine vergessene arkonidische Station auf der Venus? Und wieso hatte Rico sich als Arkoniden ausgegeben – und dabei einen irdischen Namen benutzt?

Crests Eröffnung warf zahllose Fragen auf. Doch Bull kam nicht dazu, sie zu stellen. Die Tür ging auf, ohne dass jemand geklopft hätte, und eine Frau trat in den Raum. Sie war schlank, hatte dunkelbraune, halblange Haare – und einen durchdringenden Blick, der Bull zuwider war.

»Was wollen Sie hier?«, fragte er laut statt einer Begrüßung.

Sie war Tatjana Michalowna, stammte aus Großrussland, konnte Gedanken lesen und war bis vor wenigen Tagen eine willige Helferin des Verbrechers Clifford Monterny gewesen. Bis zum letzten Augenblick, bis zum Kampf in Fort Sunrise. Bull hätte sie dort zurückgelassen, aber Perry Rhodan hatte darauf bestanden, sie nach Terrania mitzunehmen. Somit lief die Telepathin Tatjana Michalowna, der Bull keinen Millimeter weit traute, frei in der Stadt herum.

Jetzt stand sie in diesem Raum, in dem sie nicht das Geringste verloren hatte. Bei den Resten einer mysteriösen Maschine, von deren Anwesenheit in Terrania sie nichts ahnen durfte.

»Ich will mit Crest sprechen«, sagte Tatjana Michalowna.

»Kommen Sie ein andermal wieder. Wie Sie sehen, hat er zu tun.«

»Ich bin sicher, Crest da Zoltral kann einige Minuten für mich erübrigen.« Sie fixierte den Arkoniden mit ihrem durchdringenden Blick. Die grotesken, verschmorten Überreste Ricos beachtete sie nicht. »Nicht wahr?«

Es klang beinahe wie eine Drohung – und der Arkonide gab ihr nach. »Ich denke schon.« Crest machte sich aus Bulls Griff los.

Es war zu viel. Ein Klumpen bildete sich in Bulls Hals. Der Zorn stieg in ihm auf, gewann die Oberhand, und …

… und der aufmerksame Eric Manoli ging dazwischen. »Die Feinauswertung der Daten wird eine Stunde in Anspruch nehmen. Bis dahin gibt es hier nichts zu tun. Genügt Ihnen das für Ihr Gespräch, Miss Michalowna?«

6.

25. Juli 2036

Mildred Orsons

»Hier muss es sein!«

Mildred Orsons und Julian Tifflor irrten seit einer guten Stunde durch Terrania. Die Stadt hatte sich als verwinkelter und vielfältiger erwiesen als vermutet – und als verlassener: Niemand war in diesem Teil Terranias zu sehen. Die Menschen mussten schlafen oder an den Stadträndern arbeiten. Dem vielfachen Scharren nach zu urteilen, das aus der Ferne kam, traf das zu. Und wieso auch nicht? Wenn man schon mit Klappspaten Fundamente in dieser Wüste aushob, dann wenigstens in der Kühle der Nacht.

Die beiden hielten vor einem niedrigen Gebäude an, das sich in nichts von seinen Nachbarn unterschied. Mit einer kleinen, allzu leicht zu übersehenden Ausnahme: Jemand hatte mit Kreide zwei Buchstaben an die Wand gekritzelt.

E. E.

Mildred legte die Hand auf die Buchstaben. Die Wand war weich und hart zugleich, als berühre sie die Flanke eines Tieres und nicht ein statisches Bauwerk. Wenige Augenblicke später entstand eine Tür vor ihnen. Die Wand zog sich zurück wie ein Muskel.

»Nicht übel«, flüsterte Mildred. »Der bucklige Alte war vielleicht doch nicht der Spinner, für den du ihn gehalten hast …«

»Wie würdest du einen Menschen bezeichnen, der durch einen Park geht und selbst gemachte Geldscheine verteilt?«, entgegnete Julian. Er wartete ihre Antwort nicht ab und trat durch die Öffnung.

Mildred sagte nichts. Julian, der eigentlich ein unerschütterliches Naturell besaß, war nicht mehr derselbe, seit ihn in Ulan-Bator die Nachricht vom Verschwinden seines Vaters erreicht hatte – am selben Tag, als sie von ihrem letzten Geld die alten Motorräder gekauft hatten und im Begriff waren, nach Terrania aufzubrechen. Julian hatte vor der Entscheidung gestanden, seinen Träumen zu folgen oder in die Vereinigten Staaten zurückzukehren, um zu versuchen, das Schicksal seines Vaters aufzuklären.

Eine Nacht lang hatte Julian mit sich gerungen, um seiner Sehnsucht zu folgen. Es war die richtige Entscheidung gewesen, Mildred war sich sicher. Julian hätte in den Vereinigten Staaten nichts ausrichten können, wäre allenfalls selbst in Gefahr geraten. Homeland Security schätzte es nicht, wenn einfache Bürger bohrende Fragen stellten. Und in diesen Zeiten würde die Geduld des mächtigsten Ministeriums der Vereinigten Staaten noch begrenzter sein als üblich.

Die richtige Entscheidung, aber die Sorge und seine vermeintliche Schuld lasteten schwer auf Julian Tifflor.

Mildred Orsons litt mit ihm. Sie wusste, wie es sich anfühlte, wenn man seine Eltern so sehr liebte, dass man es nicht mit ihnen aushalten konnte – aber auch nicht ohne sie.

Sie folgte Julian. Sanftes Licht glomm auf. Es kam nicht von Lampen, sondern direkt aus den Wänden. Eine Treppe führte nach unten. Wie der Bucklige angekündigt hatte. Immerhin. Mildred ging weiter. Die Öffnung schloss sich lautlos hinter ihnen.

Die Luft war warm und trocken, nicht feucht und modrig, wie Mildred erwartet hatte. Und es lag ein Unterton in der Luft, der sie an eine Klinik erinnerte. Die Treppe schwenkte nach rechts. Sie mündete in einen Raum, ungefähr so groß wie das Zimmer, das sie im Haus ihrer Eltern in einem Vorort von Seattle bewohnt hatte. Doch Mildreds Zimmer war vollgestopft gewesen mit den unzähligen Ablenkungen, die zum Leben des Nachwuchses der dahinschmelzenden gehobenen Mittelklasse gehörten.

Dieser Raum war nahezu leer.

Ein Bett stand in seiner Mitte. Darin lag ein Mann. Auf dem Rücken, die Augen geschlossen. Die Arme waren über der Decke und über seinem Oberkörper gefaltet. Wie ein Toter, den ein Bestatter pietätvoll für die Leichenschau zurechtgemacht hatte. Am Kopfende war ein kleines Display montiert. Weiße, schnurgerade Linien zogen sich von links nach rechts über einen schwarzen Hintergrund.

Neben dem Bett saß ein zweiter Mann, über ein Tablet gebeugt, und murmelte leise Silben vor sich hin. Sie klangen fremd, stammten aus keiner Sprache, die ihr vertraut gewesen wäre. Der Mann hatte die langen Haare zu einem Zopf zusammengebunden.

Mildred und Julian zögerten, blieben unschlüssig auf dem Absatz stehen. Doch es war zu spät. Der Mann hatte sie bemerkt. Er richtete sich auf und sagte: »Kommt ruhig runter! Ernst und ich beißen nicht.«

Mildred schüttelte ihre Scheu als Erste ab. Sie ging langsam weiter. Eine Ehrfurcht hatte von ihr Besitz ergriffen, die sie sich nicht erklären konnte. Als hätte sie einen besonderen Ort betreten, der nicht zu dieser Stadt Terrania gehörte, die das Tor zu den Sternen sein sollte, aber primitiver war als die meisten Städte, die Mildred in den Monaten gesehen hatte, seit sie um die Welt reiste.

Sie blieben vor dem Bett stehen. Der Mann, der vor ihnen lag, war blass, ja bleich. Er hatte kurze braune Haare. Stoppeln bedeckten sein Kinn. Seine Augen waren geschlossen. Mildred schätzte ihn auf Anfang, Mitte dreißig und damit zehn Jahre älter als sich selbst. Er schien nicht zu atmen, der Brustkorb bewegte sich nicht.

»Wer ist das?«, fragte Mildred.

»Ein Deutscher«, antwortete der Mann neben dem Bett. Er stand auf. »Er heißt Ernst Ellert. Ein Terraner der ersten Stunde.«

Ernst Ellert. Das erklärte das »E. E.« an dem Gebäude.

»Und du bist?«, stellte Mildred die nächste der vielen offenen Fragen.

»Timothy. Timothy Harnahan. Terraner der zweiten oder dritten Stunde.« Der Mann lächelte über seinen milden Scherz. Er war klein und schlaksig, eher ein großer Junge als ein Erwachsener, trotz der unregelmäßig verteilten Bartstoppeln auf seinem Kinn.

»Was machst du hier?«

»Sieht man das nicht? Ich leiste Ernst Gesellschaft. Jeden Tag für zwei oder drei Stunden. Ist eine gute Gelegenheit, zur Ruhe zu kommen. Und …« Timothy hob das Tablet an. Mildred erkannte fremde Schriftzeichen auf dem Display. »… und ich komme dazu, etwas Arkonidisch zu büffeln.«

»Woher weißt du von … von Ernst Ellert?«, fragte Mildred. Sie musste sich zwingen, den Namen auszusprechen. Der Mann im Bett war anwesend – und irgendwie auch nicht. Auf jeden Fall fühlte es sich seltsam an, über ihn zu sprechen. Hörte dieser Ernst Ellert, was sie sagten?

»Ein alter Mann mit einem Buckel hat mir vor ein paar Tagen von ihm erzählt.«

»Uns auch!«, platzte Mildred heraus. »Er hat selbst gemachte Geldscheine verteilt.«

»Dann muss es derselbe sein. Im ersten Moment denkt man, er wäre ein Spinner. Aber wenn man mit ihm redet, merkt man schnell, dass er seinen Verstand beisammenhat. Er denkt nur anders als gewöhnliche Menschen.« Timothy schob das Tablet in die Oberschenkeltasche seiner viel zu weiten Cargohose.

»Was ist mit Ernst Ellert geschehen?« Mildred trat so nahe an das Bett, dass sie es beinahe berührte. Sie roch einen Anflug von Schweiß. Als lebte dieser Mann, der nicht atmete.

»Er hat versucht, zu Perry Rhodan vorzustoßen«, sagte Timothy. »Zusammen mit Freunden, noch während die Chinesen den Landeplatz der STARDUST belagerten und der arkonidische Energieschirm stand. Sie haben einen Tunnel gegraben, aber die Chinesen haben davon Wind bekommen und sie überrascht.«

»Die Chinesen haben auf ihn geschossen?« Es hieß, die Soldaten hätten auf jeden geschossen, der sich zu nahe an den Schirm wagte. Mildred ließ den Blick über den Mann im Bett wandern. Sie konnte keine Verletzungen an ihm erkennen. Vielleicht verbarg die Decke sie? Aber sie glaubte nicht daran. Im Gesicht Ernst Ellerts las Mildred keinen Schmerz, nur eine tiefe Zufriedenheit, wie sie ihr nie zuvor begegnet war.

»Ja, aber sie haben ihn nicht getroffen.« Timothy legte das Tablet auf dem Stuhl ab. »Im selben Moment, als die Chinesen kamen, sind er und seine Kameraden auf Perry Rhodan getroffen. Roboter hatten für Rhodan einen Tunnel gegraben. Der Schirm hatte sich an der Stelle abgeschaltet, um Ernst Ellert und seine Kameraden in Sicherheit schlüpfen zu lassen. Ernst Ellert war vorne. Gerade als er im Begriff war, in den Tunnel Rhodans zu wechseln, schaltete sich der Schirm wieder ein.«

»Aber die Berührung mit einem arkonidischen Energieschirm ist tödlich!«, meldete sich Julian zu Wort. Er hatte bislang geschwiegen, was gar nicht seiner Art entsprach. War es die Sorge um seinen Vater, die ihn schweigsam machte? Oder vielleicht Ehrfurcht?

Mildred musterte ihn. Julian war verändert. Er wirkte wie elektrisiert, auf dem Sprung. Wie der Mann, den sie vor einigen Monaten in den Vorbergen des Himalaja getroffen hatte, um sich augenblicklich in ihn zu verlieben.

»Eigentlich ja.« Timothy rieb sich über die Bartstoppeln. »Aber ihr seht es ja selbst. Ernst Ellert ist nicht verbrannt. Er befindet sich sozusagen in einer Art Winterschlaf. Seine Körpertemperatur liegt bei konstant acht Grad, sein Herz schlägt zweimal die Stunde, er atmet einmal in der Stunde.«

»Wie kommt er hierher?«

»Rhodan und Bull haben ihn versteckt. Im Chaos nach der Explosion der Atombombe hat niemand von ihm weiter Notiz genommen.«

Mildred beugte sich vor und versuchte die langsame Bewegung des Brustkorbs zu erkennen. Es gelang ihr nicht. »Sei mir nicht böse, Timothy – aber die Geschichte klingt zu unglaublich, um wahr zu sein. Allein schon der Zufall, dass genau an der Stelle, an der Ernst und seine Kameraden ihren Tunnel graben, auch Perry Rhodan einen gräbt … Die Wahrscheinlichkeit ist so gering, sie geht gegen null.«

»Ich weiß.« Timothy hob die Schultern. »Aber hier liegt Ernst Ellert. Und ich kann euch nur sagen, was Walt und KaHe mir erzählt haben.«

»Wer?«

»Walt und KaHe. So nennen sie einander. Ihre richtigen Namen kenne ich nicht. Zwei Kameraden Ernsts, die mit ihm zusammen von Deutschland aus zur Gobi aufgebrochen sind. Sie kommen öfters her und schauen nach ihm. Aber immer nur einzeln. Sie sind Kameraden, aber sie scheinen es nicht immer einfach miteinander zu haben.«

»Was glauben sie, was mit Ernst Ellert passiert ist?« Mildred trat wieder einen Schritt zurück. Es schien ihr unpassend, diesen seltsamen Mann wie eine Jahrmarktattraktion zu begutachten.

»Wenn du KaHe fragst, eine Art Schock oder Koma«, antwortete Timothy. »Er ist überzeugt, dass wir der Sache schnell auf den Grund kommen, wenn wir erst einmal das arkonidische Wissen ganz für uns nutzen können. KaHe denkt, dass es eine wissenschaftliche Erklärung für den Zustand Ellerts geben muss.«

»Und was sagt Walt?«

»Walt?« Timothy lächelte, als er an den zweiten Kameraden Ellerts dachte. Es war voller Wärme, verriet, dass Timothy diesen Walt mochte. »Oh, nur, dass Ernst Ellerts Seele oder Geist den Körper verlassen hat. Sein Freund Ernst ist unterwegs, glaubt er. Irgendwo da draußen im unendlichen Universum. Oder in anderen Universen oder anderen Zeiten. Ernst Ellert war ein besonderer Mensch, sagt Walt. Er träumte oft. Aber nicht wie andere Menschen. Ernst Ellert schien in seinen Träumen zu anderen Orten, in andere Zeiten zu reisen.«

Mildred und Julian sahen einander an. Eine schöne Vorstellung. Aber war es denn nicht nur Wunschdenken?

Türler ve etiketler

Yaş sınırı:
18+
Litres'teki yayın tarihi:
11 kasım 2024
Hacim:
1515 s. 10 illüstrasyon
ISBN:
9783845333847
Telif hakkı:
Bookwire
İndirme biçimi: