Kitabı oku: «Perry Rhodan Neo Paket 2: Expedition Wega», sayfa 5
»Was denkst du, Timothy?«, fragte Mildred.
»Dass ich, wenn es nach meinen Eltern ginge, nicht hier bei diesem Mann wachen sollte, der eigentlich tot sein müsste. Dass ich meinem Vater auf unserer Farm in Kansas zur Hand gehen sollte, damit ich sie eines Tages übernehmen kann. So, wie er es bei seinem Vater getan hat und alle unsere Vorväter seit bald einhundertfünfzig Jahren. Dass ich nicht mit siebzehn hätte durchbrennen sollen und ich mir stattdessen an der Highschool eine nette Farmerstochter hätte angeln sollen, damit mein Sohn eines Tages die Farm wiederum von mir übernehmen kann – und jetzt bin ich hier. Wer hätte das für möglich gehalten?«
»Ja, wer?« Mildred fühlte sich mit Timothy Harnahan verbunden. Seit sie sich erinnern konnte, hatten ihre Eltern große Pläne mit ihr gehabt. Beide hatten Professorentitel, beide hielten viel darauf, »progressiv« zu sein und ihre Tochter von früher Kindheit an zu einem Menschen mit eigenem Kopf zu erziehen – und für beide war eine Welt zusammengebrochen, als Mildred den sicheren Studienplatz in Virologie an einer Elite-Uni samt Stipendium in den Wind geschossen hatte, um eines Morgens auf ihr Fahrrad zu steigen und loszufahren. Zwei Jahre lang hatte Mildred sich durchgeschlagen. Als Kellnerin, als Helferin auf dem Feld, Animateurin in teuren Clubs, als Straßenkünstlerin. Sie hatte nichts vermisst, hatte die ultimative Freiheit genossen, nichts zu besitzen und nicht zu wissen, was der nächste Tag brachte.
Dann hatte sie Julian getroffen und hatte sich auf das Unvorstellbare eingelassen: eine feste Beziehung. Ihr Aufbruch nach Terrania schien ihr daneben beinahe eine Kleinigkeit. Die Durchquerung der Gobi mit den Bullets war ein Aufbruch in eine Ungewissheit gewesen, die ihr vertraut war. Die Beziehung zu Julian dagegen der Vorstoß in ein unbekanntes Land, das ihr zuweilen so viel Angst machte, dass sie ihn in nackter Notwehr von sich stieß.
»Von Ernst Ellert hätte nicht mehr als ein Häufchen Asche bleiben dürfen«, kehrte Timothy wieder zu dem Mann zurück, der vor ihnen lag. »Niemand weiß, wie arkonidische Energieschirme funktionieren – auch wenn KaHe immer was von ›fünfdimensional‹ und ›Feinabstimmung der Feldoszillation‹ sagt –, aber fest steht, dass ihre Berührung tödlich ist. Eigentlich …«
Stille kehrte ein, als die drei ihren Gedanken nachhingen.
Sie endete abrupt, als Timothys Tablet wie ein vorsintflutlicher mechanischer Wecker läutete. Er angelte es aus der Tasche. Das Display pulsierte rot. Timothy wischte über das Display, stoppte den Alarm. Er nahm den Rucksack, den er an das Bett gelehnt hatte. »Ich muss los. Meine Nachtschicht beginnt gleich. Die Entwickler der Echzeitübersetzung für TerraNet treffen sich. Es hat mich gefreut, euch …«
»Mildred Orsons«, warf Mildred rasch ein. »Und das ist Julian. Julian Tifflor …«
»… von seinen Freunden auch ›Tiff‹ genannt«, brachte Julian den Satz zu Ende.
»Ihr seid neu in Terrania?«
Julian sah auf seinen Pod. »Seit drei Stunden und vierundfünfzig Minuten hier. Zählt das noch als neu?«
»Ich schätze, ja.« Timothy lachte. »Ihr habt schon einen Platz zum Schlafen?«
»Ja, aber wir waren noch nicht da.«
»Arbeit? Eine Aufgabe?«
Kopfschütteln. »Wir wollten uns morgen darum kümmern.«
»Irgendeine Ahnung, wie es in Terrania zugeht?«
Mildred und Julian wechselten einen Blick. »Na ja, ein gewisser Julio hat uns …«
»Julio! Ihr habt Glück, dass er euch nicht gleich verkabelt und in die Cyborg-Community assimiliert hat, von der er pausenlos schwärmt!« Timothy hob die Hand und hielt sie vor die Augen. Wie ein Datenvisier – oder ein Brett vor dem Kopf. »Wenn ihr wollt, könnt ihr mit mir kommen. Ich schlafe drei Häuser weiter …«
»Gerne!«, sagte Mildred rasch. Dieser schlaksige Kerl mit dem langen Zopf und seiner viel zu weiten Hose war etwas Besonderes. Sie spürte es.
»Dann kommt!« Timothy Harnahan schulterte den Rucksack und ging zur Treppe. Auf der untersten Stufe hielt er an und drehte sich zu dem Mann im Bett. »Oh, und Ernst, stell keinen Unsinn an, während wir weg sind, ja?«
7.
25. Juli 2036
John Marshall
Was mache ich hier eigentlich?
Die Frage hallte in John Marshalls Gedanken nach, als Thora unweit von Fort Sunrise zur Landung ansetzte. Die Kaserne war aufgegeben. Ein Feuer hatte die Gebäude bis auf verkohlte Grundmauern und verbogene Stahlgerippe reduziert.
Vor einem Monat noch war John Marshall ein Exinvestmentbanker gewesen, der über weit mehr Herz als Verstand verfügte, wie seine Exbankerfreunde es genannt hatten. Ein Spinner, der seine Boni in ein privates Waisenhaus in Houston gesteckt hatte, statt sie zu investieren, um aus seinen Millionen noch weitere Millionen zu machen.
Die Eskorte aus Drohnen steuerte einen von einem Ring von Armeefahrzeugen markierten Platz an, kreiste mehrmals über ihm und stieg wieder in die Höhe. Marshall war erleichtert, die autonomen Kampfmaschinen machten ihm Angst.
Thora hielt den Helikopter über dem Platz. Dunkle, feuchte Erde, von Kettenfahrzeugen zu einer festen Oberfläche verdichtet. Aus dem endlosen Strom der Versorgungsfahrzeuge löste sich ein Geländewagen und raste auf den Landeplatz zu. Er musste General de Soto gehören. Dem Mann, den Rhodan täuschen musste – und dem es nur mit seiner, John Marshalls, Hilfe gelingen konnte.
Thora setzte den Helikopter sanft auf. Das Dröhnen der Turbinen ging in das abschwellende Flapp-flapp der auslaufenden Rotoren über.
Der Geländewagen erreichte den Landeplatz. Schlamm spritzte auf, als der Fahrer hart abbremste. Ein Mann stieg aus. Er war wuchtig. Die Sonne glänzte auf seinem kahlen Schädel.
General Joshua de Soto.
Marshall mochte ihn nicht.
»Bereit?«, fragte Mercant in die Runde. Ohne die Antworten abzuwarten, ging er an die Tür des Hubschraubers, öffnete sie und fuhr die Klapptreppe aus.
»Sitzen die Masken?«, fragte Rhodan.
Mercant stellte sich vor Rhodan. Sein Blick wanderte über das Gesicht, das Marshall fremd und vertraut zugleich war. Marshall hatte zahllose Bilder und Videos von Stanley Drummond im Netz gesehen. Rhodans neues Gesicht glich ihm bis ins letzte Detail. John Marshall befremdete es. Drummond war ein Mann, den das Leben bitter und misstrauisch gemacht hatte. Tiefe Falten hatten sich in das Gesicht des Präsidenten gegraben. Sie passten nicht zu Rhodan.
»Sie sehen hervorragend aus, Mister President«, sagte Mercant, nachdem er seine Prüfung abgeschlossen hatte. Er stellte sich vor Thora auf, musterte prüfend ihr Gesicht. Zwischen den Augenbrauen zeichneten sich zwei tiefe Furchen ab, die Thora eine Strenge verliehen, die unwillkürlich einschüchterte. Sie passten zu der Arkonidin. Und sie passten ebenfalls zu der Rolle, die sie zu spielen hatte.
»Sie ebenfalls, Stabschefin Tansley«, sagte Mercant. Für Marshall hatte Mercant nur einen Seitenblick übrig. Marshall stand nicht auf der Liste der Top-Terroristen von Homeland Security. Es hatte genügt, seine Haare schwarz zu färben und ihm Koteletten anzupassen.
»Dann los!« Rhodan straffte sich und stieg aus dem Hubschrauber. Thora folgte ihm. John Marshall zögerte.
»Alles klar, John?« Sid war neben ihn getreten.
Marshall nickte. »Ich brauche nur einen Augenblick, um mich zu konzentrieren.«
»Du schaffst es.« Der Junge, der ihm beinahe wie ein Sohn war, nahm seine Hand und drückte sie fest. »Ich weiß es. Und wenn es brenzlig wird, hole ich euch raus.« Sid zwinkerte Marshall zu.
Marshall warf ihm einen verwunderten Blick zu. Sid nahm ihn bei der Hand? Vor einem Monat noch war der Junge so scheu gewesen, dass er es nicht geschafft hatte, bei einem Gespräch seinem Gegenüber in die Augen zu sehen. Der Telepath bedankte sich und sah sich nach Anne Sloane um. Die Telekinetin war auf ihrem Platz geblieben. Als sie seinen Blick bemerkte, wandte sie den Kopf ab.
Es hatte keinen Sinn. Marshall trat an die Tür. Rhodan, gefolgt von Thora, überquerte in dem getragenen Tempo, das dem Präsidenten der Vereinigten Staaten anstand, den Landeplatz.
John Marshall hatte Rhodan schon einmal beobachtet. Als er auf Sids flehende Bitten nach Nevada Fields gekommen war, um den Start der STARDUST zu verfolgen. Von der Zuschauertribüne aus hatte er verfolgt, wie Rhodan und seine Kameraden in ihren Raumanzügen zum Startturm marschiert waren. Wie konnte es sein, hatte er sich nur gefragt, dass Männer von ihrem Format ihr Leben auf eine nutzlose Träumerei wie die Weltraumfahrt verschwendeten?
Es war ihm unbegreiflich gewesen.
Doch in den vergangenen Wochen hatte er die Antwort gelernt.
Der Weltraum war real, die Raumfahrt keine Träumerei. Die Arkoniden bewiesen es. Die Menschheit war weder allein im Universum, noch war sie einzigartig.
Die Menschen mussten sich dieser Erkenntnis stellen oder untergehen.
John Marshall, der gewöhnliche Mensch mit einer ungewöhnlichen Gabe, musste sich ihr stellen.
Er gab sich einen Ruck, nahm vorsichtig die Stufen und blieb stehen. John Marshall schloss die Augen, richtete seine Aufmerksamkeit ganz nach innen. Er vergaß die feuchte, nach Sumpf riechende Luft, in die sich die Abgase von Dutzenden im Leerlauf nagelnden Dieselmotoren mischten. Er vergaß die Sommersonne, die auf seiner nackten Haut brannte. Er vergaß die Läufe der Waffen, die auf Marine One, auf seine Kameraden, auf ihn, John Marshall, gerichtet waren. Er vergaß den brennenden Schmerz, der in seiner Wade aufflammte. Die Erinnerung an den Durchschuss, der vor einem Monat das Ende seiner alten Existenz besiegelt hatte.
Er öffnete die Augen wieder und fixierte Joshua de Soto. Der General war groß und kräftig, erinnerte Marshall an einen Bullen. Er stand breitbeinig am Rand des Landefelds und erwartete die Neuankömmlinge. Die Arme verschränkt. Herausfordernd. Nicht, wie ein Offizier seinen obersten Befehlshaber zu empfangen hatte.
Marshall streckte die Fühler seiner Gabe aus, drang in die Gedankenwelt de Sotos ein. Ihm wurde heiß.
Stanley Drummond und Joshua de Soto waren Kameraden, so viel war klar. Aber wie eng waren sie? Was wusste de Soto über Drummond? Was musste Rhodan über de Soto wissen, um seine Rolle spielen zu können?
John Marshall ging in de Soto auf, lebte sein Leben in Schlaglichtern nach.
Die Kindheit im Süden Georgias, geborgen auf einer Farm. Und gelangweilt. Die Jugend. Abhängen mit Freunden. Die ewigen Gespräche über Mädchen und wie man an sie rankam. Langeweile. Saufen, Pillen, illegale Straßenrennen. Leben, als wäre er unsterblich. Leben ohne Sinn. Dann der elfte September. Die Twin Towers, die in Fontänen von Rauch und Schutt in sich zusammenstürzen. Der Sinn. Die Armee. Afghanistan, dann Irak. Staub, Hitze, Durst. Die Angst. Das erste Leben, das er nahm. Die weiteren. Kameraden, die sterben. Kameraden …
Drummond. Wo war Drummond?
… Kameraden, die sterben. Dann: Dschungel. Kolumbien. Der Krieg gegen die Narcos. Und endlich: Drummond. Jung, idealistisch. Ein Hinterhalt. De Soto und Drummond überleben als Einzige ihres Zugs. Geiseln. Lösegeld, das ausbleibt. Folter. Den Narcos ist langweilig. Schläge, Hunger, Durst, simuliertes Ertrinken. Immer wieder simuliertes Ertrinken. De Soto und Drummond klammern sich aneinander. Bis zur Befreiung …
John Marshall flüsterte keuchend, was er sah. Was er spürte. Rhodan und Thora lauschten über Funk seinen Worten.
… Befreiung. Drummond verlässt die Armee, wechselt zu Homeland Security. De Soto bleibt. Die Armee ist sein Leben. Kein anderes ist denkbar. Das Band, die Freundschaft bleibt. Drummond macht steile Karriere, wird Minister, wird Präsident. De Soto steigt langsam auf, lehnt Beförderungen ab. Er vermutet, dass sein Freund Drummond dahintersteckt. Er …
De Soto setzte sich in Bewegung, kam den Neuankömmlingen entgegen. »Stan, was zum Teufel treibst du hier?« Er streckte die Arme aus, drückte Rhodan fest an sich. »Ich dachte, du bist in L. A. und gibst diesen Terroristen, was sie verdienen!«
Rhodan löste sich aus der Umarmung. »So ist es.« Seine Stimme war heiser, glich der des Präsidenten. »Du kannst es im Netz verfolgen.«
»Eben. Wie kannst du dann gleichzeitig hier sein?«
»Wofür gibt es Doubles?«
»Stan, du weißt immer einen Trick, was?« De Soto schüttelte den Kopf. Anerkennend. Und tadelnd. »Wieso fällst du hier dann unangekündigt ein? Mit dem alten Ding? Und nur mit ihm? Meine Leute hätten dich um ein Haar vom Himmel geholt. Zu Recht.«
Marine One flog niemals allein. Mercant hatte es ihnen erläutert. Vier andere, identische Hubschrauber begleiteten die Maschine, um Angreifern einen gezielten Schlag zu erschweren. Doch mehr als einen Hubschrauber umzurüsten hatte ihre Möglichkeiten überstiegen.
»Ungewöhnliche Zeiten erfordern ungewöhnliche Schritte«, sagte Rhodan. »Das Marine Corps hat den Hawk in Reserve vorgehalten – und ein Hubschrauber zieht weniger Aufsehen auf sich als ein halbes Dutzend.«
Wieso kommst du dann mit Marine One und nicht mit irgendeiner Maschine?, las Marshall in de Sotos Gedanken, aber der General sprach es nicht aus. Eine andere Frage war ihm wichtiger. »Verstehe. Und wer sind die beiden? Ich habe ihre Gesichter noch nie gesehen. Was ist mit O'Brian?«
O'Brian, die rechte Hand des Präsidenten. Ein gemeinsamer Freund, las Marshall. Sein Fehlen machte den General misstrauisch. Und seine eigene Anwesenheit und die Thoras behagten ihm nicht. Marshall flüsterte es Rhodan zu.
»O'Brian ist in Los Angeles und leitet die Operationen. Das hier sind Janine Tansley und Joe Markham. Meine neue Interim-Stabschefin und mein neuer Leibwächter.«
De Soto kniff die Augen zusammen, musterte Marshall und Thora. »Spar dir die Märchen für deine Neujahrsansprache, Stan. Wer sind die beiden? Und was murmelt dieser schwitzende Typ ständig vor sich hin?« Er fixierte Marshall. Der Telepath zwang sich, den Kopf nicht abzuwenden.
»Einen Versuch war es wert.« Rhodan grinste jungenhaft. »Es sind Leute Monternys.«
»Das dachte ich mir. Was sollen sie können?«
»Eine Menge. Joe nennen wir einen ›Wellenreiter‹. Er kann sich mit der Kraft seines Geistes in Kommunikationskanäle einklinken, Sendungen hören und sehen.«
De Soto schnaubte. »Das kann jeder Pod!«
»Ja, aber selbst der beste Pod kann nicht mit einer bestechenden Analyse in Echtzeit aufwarten, wie sie Joe gelingt.«
»Deshalb murmelt er ständig?« Marshall mutete es an, als durchbohrte ihn der Blick des Generals.
»Ja.«
»Und das Mädchen?«
»Janine ist eine Technofühlerin. Sie spürt, wie Maschinen ticken. Jemand wie sie fehlt noch in deinem Team.«
De Soto verschränkte erneut die Arme. »Klingt wie ›X-Men‹ Teil siebzehn oder irgendeine bescheuerte Science-Fiction-Geschichte!«
»Stimmt. Wie die Arkoniden. Und jetzt haben wir sie am Hals. Aber nicht mehr lange.« Rhodan sah in Richtung der Zeltplane. »Bring mich auf den Stand, Joshua! Was ist mit dem Schiff?«
»Wir sind dran.«
»Ist es noch flugfähig?«
»Vielleicht. Sieh es dir am besten selbst an. Deshalb bist du doch gekommen, nicht wahr?« Der General bedeutete den Soldaten mit einer Handbewegung, am Landeplatz zu bleiben, und ging los. Allein. Hatte Rhodan sein Misstrauen zerstreut? Marshall konzentrierte sich, versuchte die Gedanken des Generals aufzuschnappen. Er las von den tausend drängenden Aufgaben, die das Kommando mit sich brachte.
Planken bildeten einen provisorischen Weg. Gerade breit genug für den General und den Mann, den er für den Präsidenten hielt. Marshall und Thora hielten zwei Schritte Abstand.
»Wir sind nicht so weit, wie ich es mir wünschte«, sagte de Soto.
»Das ist mir klar, Joshua. Was denkst du, weshalb ich Harrison abgelöst habe?«
»Ich weiß. Und wenn ich nicht schnell Ergebnisse liefere, löst du mich ab. Ich kenne dich, Stan.«
Die Hitze wurde unerträglich. Marshall lockerte den Krawattenknoten, versuchte sich etwas Luft zu verschaffen. Er schwitzte am ganzen Körper. Der Durst! Was hätte er dafür gegeben zu trinken! Er schloss für einen Moment die Augen, fixierte seinen Blick auf den tätowierten Stiernacken des Generals. Es gelang ihm noch einmal, in die Gedanken de Sotos einzudringen …
… ein Junge auf einer Schaukel. Derselbe Junge, ein junger Mann. Ein Diplom in der Hand. Derselbe junge Mann in der Uniform eines Marine. Philip. De Sotos Sohn. In Los Angeles, in diesem Augenblick. Verwundet. Der General hat die Nachricht vor wenigen Minuten erhalten …
Marshall flüsterte es Rhodan zu. Ein Detail, das wichtig werden mochte. Die Gelegenheit für eine Geste.
»Harrison hat viel Zeit damit verschwendet, Truppen zusammenzuziehen.« Der General machte eine wegwerfende Geste. »Überflüssigerweise. Sollten die Chinesen oder Russen oder Brasilianer oder sonst wer sich regen, haben sie einen langen Weg vor sich. Wir würden sie stoppen, lange bevor sie in diese vom lieben Gott verlassenen Berge kommen. Außerdem bezweifle ich, dass sie die nötigen Kapazitäten besitzen. Im Augenblick gibt es keinen Staat auf der Erde, der nicht jeden Bewaffneten brauchte, um die innere Ordnung aufrechtzuerhalten.«
De Soto hielt an, um Rhodan den Vortritt über einen provisorischen Steg zu lassen. Er führte über einen Seitenarm des Flusses. Aufgewühlte Erde hatte das Wasser schmutzig braun gefärbt.
»Und was diesen Verräter von Rhodan angeht, ist alles, was wir an konventionellen Truppen aufzubieten haben, wirkungslos. Das haben die Chinesen in der Gobi gelernt und mit einem Bürgerkrieg bezahlt. Wenn wir uns vor diesem Verrückten schützen wollen, bleibt uns nur eins: das hier!«
Der General blieb stehen. Die runde Zeltplane war nur wenige Schritte entfernt, war ungefähr in Augenhöhe angebracht. Ein hüfthoher, provisorischer Zaun säumte den Rand der Plane. John Marshall blickte zwischen den beiden Männern hindurch und sah, was die Plane verbarg. Ein riesiges Loch im Boden. Es erinnerte ihn an das Foto einer illegalen Diamantenmine in Brasilien, das er einmal gesehen hatte. Ein Trichter, der übergangslos in die Tiefe führte, gegraben von unzähligen Menschen, Ameisen gleich, auf der Suche nach den Schätzen der Erde.
In dieser Grube gab es nur einen Schatz: das Schiff der Arkoniden, mit dem Thora von der Venus gekommen war, um ihren Ziehvater Crest da Zoltral zu retten. Eine stählerne Kugel mit einem Durchmesser von etwa sechzig Metern, an ihrem Äquator ein Wulst, der die Triebwerke beherbergte. Das Schiff lag schräg wie ein Ball, den ein Kind nach seinem Spiel achtlos hatte liegen lassen. Ein geschwärzter, ausgebrannter Ball.
»Wieso ist das Schiff so tief eingesunken?«, fragte Rhodan. Er ließ sich nicht anmerken, was der Anblick in ihm auslöste. Für Drummond stellte das Schiff nur ein Werkzeug dar. Eines unter vielen. »Der Aufprall?«
»Auch. Der Boden hier ist weich, und die Experten schätzen das Gewicht dieses Dings auf mehrere hundert Tonnen, möglicherweise Tausende. Nach einem Sturz aus zweihundertfünfzig Metern Höhe ist das eine gewaltige Wucht. Es ist ein kleines Wunder, dass das Schiff nicht auseinandergebrochen ist.« De Soto zeigte auf den Grund der Grube. Über und über mit Schlamm verschmutzte Soldaten hielten einen Schlauch, aus dem eine zähe graue Masse quoll. »Zement«, erläuterte der General. »Wir versuchen die Grubenwände und den Boden unter dem Schiff zu stabilisieren. Die Wände haben wir inzwischen im Griff. Aber unterirdische Wasseradern reißen uns den Grund unter den Füßen weg. Das Schiff sinkt immer noch zehn Zentimeter die Stunde tiefer ein.«
»Es sieht nicht gut aus«, sagte Rhodan.
John Marshall musste ihm zustimmen Der Rumpf war geschwärzt und an mehreren Stellen aufgerissen. Grotesk verbogener Stahl mutete an wie Arme, die sich Hilfe suchend nach allen Seiten streckten. Als hätten Explosionen im Innern das Schiff zur Strecke gebracht, hätte sich der Druck Wege nach draußen gesucht. Marshall fragte sich, was Thora damit anstellen wollte.
»Leider. Unsere Experten schätzen, dass dieser Goratschin Explosionen ausgelöst hat, die denen taktischer Atomsprengköpfe entsprechen.« De Soto strich sich über sein von Stoppeln übersätes Kinn. »Verrückt. Ein einzelner Mann. Macht die Augen zu, konzentriert sich – und ›bamm!‹ fliegt dieses Wunderding in die Luft. Ich würde es nicht glauben, stünde ich nicht hier.« Er stemmte die Arme in die Hüften. »Hat man diesen Goratschin inzwischen gefasst?«
»Nein.«
»Er darf nicht entkommen. Der Mann ist ein potenzieller Massenmörder. Er muss auf unserer Seite stehen – oder wenigstens nicht auf einer anderen.«
»Wir kriegen ihn, verlass dich darauf.«
In die Trichterwände gegrabene, steile Treppen führten in die Grube. Es fiel John Marshall schwer, das Gleichgewicht zu behalten. Seine Knie zitterten. Die Schusswunde im Unterschenkel versetzte ihm einen schmerzhaften Stich, jedes Mal, wenn er den Fuß aufsetzte.
»Sieht aus wie ein Schrotthaufen, was?«, sagte de Soto, als sie auf einer Handvoll Planken eine Rast einlegten. Der Triebwerkswulst des Schiffs kam dem Steg so nahe, dass man ihn mit ausgestreckten Armen beinahe hätte berühren können. Links von ihnen fehlte ein mehrere Meter durchmessendes Segment des Wulsts. Ein Triebwerk musste an dieser Stelle explodiert sein.
»Aber ich kann dich beruhigen, Stan«, fuhr der General fort. »Von innen sieht es nicht so schlimm aus. Es existiert eine Notenergieversorgung. Auf welcher Basis, steht noch nicht fest. Die Spezialisten sind sich jedenfalls sicher, dass keiner der beiden Fusionsreaktoren in Betrieb ist.«
Eine weitere Treppe führte sie tiefer. Marshall nahm jede Stufe einzeln. Zu seiner Überraschung blieb Thora zurück. Wortlos hielt sie ihm die Hand entgegen. Marshall nahm sie und stützte sich auf die Arkonidin. Ein weiterer Steg erwartete sie – verankert an der Wand und innerhalb des Schiffs. Ein unregelmäßiges Loch, die Ränder geschwärztes und verbogenes Metall. Marshall schätzte den Durchmesser der Öffnung auf ungefähr drei Meter.
Sie traten ein.
Ein Raum erwartete sie, dessen Größe Marshall überraschte. Eine Halle eigentlich. Sie war hell erleuchtet, ohne dass eine Lichtquelle auszumachen gewesen wäre. »Wir halten das hier für einen Hangar«, sagte de Soto. »Allerdings haben wir keine Beiboote oder Rettungskapseln oder Ähnliches gefunden. Wir gehen aber davon aus, dass sie ursprünglich existiert haben.«
»Was ist mit ihnen geschehen?«, fragte Rhodan.
»Darüber können wir nur Vermutungen anstellen. Wir können noch nicht einmal mit Sicherheit sagen, woher dieses Schiff gekommen ist. Es dürfte eigentlich nicht existieren. Es gehört nicht zu dem Schiff der Arkoniden, das wir auf dem Mond vernichtet haben. Wir …«
Marshall wurde schwindlig. Der Boden unter ihm neigte sich. Es fiel ihm schwer, das Gleichgewicht zu behalten. Niemand bemerkte es. De Soto war in seinem Vortrag gefangen, Rhodan in der Rolle des Zuhörers, und Thora, die Arkonidin, schien plötzlich abwesend, von Emotionen überwältigt.
Frische Luft. Er brauchte frische Luft. Marshall ging zurück auf den Steg, atmete tief durch. Draußen war es kühler. Der Grund des Trichters war zu tief, als dass die Strahlen ihn erreicht hätten. Dazu kam die Plane. Er sah nach oben. Vom Mittagshimmel war nur ein schmaler, sichelförmiger Streifen zu sehen.
Die Luft flimmerte.
Marshall erstarrte. Er kannte dieses Flimmern. Er hatte es schon einmal gesehen. In der Gobi. Der Energieschirm der Arkoniden hatte es erzeugt. Das hieß … Er konzentrierte sich auf die Gedanken des Generals, wirbelte herum und rannte in den Hangar.
Er kam zu spät.
Der General hatte die Pistole gezogen. Ihr Lauf zeigte auf Rhodan. »Genug der Spielereien. Sie sind nicht Stan.«
Rhodan behielt die Nerven. »Was soll der Unsinn, Joshua? Ich bin dein alter Kamerad, wer sonst? Seit Kolumbien.«
»Sie haben gut recherchiert. Aber nicht gut genug. Der Kommandowechsel hat sie überrascht. Sie haben Harrison erwartet. Wie kann das sein?, frage ich mich. Stan hat mich persönlich eingesetzt.«
»Das habe ich«, beteuerte Rhodan. »Nur weil ein Mitarbeiter nicht auf dem Stand ist …«
»Genug. Eben hat sich O'Brian gemeldet. Er ist nicht in Los Angeles. Und er weiß nichts von einem Double. Merkwürdig, was?« De Soto flüsterte etwas in sein Funkgerät. Marshall musste nicht seine Gedanken lesen, um zu wissen, dass er Verstärkung aus dem Schiff anforderte.
Und sie waren ihr ausgeliefert. Der Schirm machte eine Flucht unmöglich – und er sperrte Sid und Anne aus, ihre Retter.
»Wer sind Sie?«, fragte der General. »Dieser Rhodan hat Sie geschickt, nicht?«
Rhodan schüttelte den Kopf. »Joshua, ich bitte dich. Wir …«
Rhodan brach mitten im Satz ab, als ein Schemen auf den General zuschoss. Es war Thora. Sie war ganz ausgestreckt, glich einem Pfeil. Ihre Schuhe rammten de Soto ins Gesicht. Ohne einen Laut ging der General zu Boden. Er war bewusstlos. Thora kam in einer fließenden Bewegung, die eine Katze neidisch gemacht hätte, auf dem Boden auf. Die Arkonidin nahm de Soto die Waffe aus den schlaff gewordenen Fingern und warf sie verächtlich zur Seite.
»Was war das?«, fragte Rhodan.
Thora verzog das Gesicht. »Wir nennen es ›Dagor‹. Ich erzähle Ihnen vielleicht einmal mehr darüber. Bei einer passenderen Gelegenheit. Wir müssen weg hier!«
Die Absätze von Stiefeln knallten auf dem Stahl, kamen näher. Die Verstärkung, die de Soto angefordert hatte.
»Schnell!«, rief Thora. Sie rannte auf eine Wand zu – und im letzten Moment, bevor die Arkonidin aufschlug, entstand eine Öffnung.
John Marshall stand wie gelähmt da, traute seinen Augen nicht. Dann packte ihn Rhodan an der Schulter und zog ihn mit sich und durch die Öffnung.
Die Öffnung verschloss sich wieder – und einen Augenblick später prasselten Kugeln wie Hagel gegen die Wand.


