Kitabı oku: «Perry Rhodan Neo Paket 2: Expedition Wega», sayfa 6

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8.

26. Juli 2036

Crest da Zoltral

»Sie haben einen schönen Blick«, sagte Tatjana Michalowna, als sie in den Raum trat.

»Das bringt die Höhe mit sich«, antwortete Crest unverbindlich.

Crest hatte die Menschenfrau gebeten, ihn in sein Apartment im Stardust Tower zu begleiten. Reginald Bull hatte das mit einem missbilligenden Stirnrunzeln kommentiert. Der Arkonide spürte, dass er von der Menschenfrau nichts zu befürchten hatte. Nicht auf der Ebene wenigstens, die der impulsive Bull befürchtete.

»Ich habe keine Aussicht in meinem Zimmer.« Michalowna drehte sich zu Crest. »Man hat mir einen Keller zugewiesen, am Stadtrand.«

»Die Versorgungslage ist nicht einfach. Das wird sich geben.«

»Sicher.« Sie umfasste mit einer Handbewegung das Gebäude. »Man sagt, Sie hätten den Tower entworfen, Crest?«

Die Menschenfrau hatte ihn mit Sicherheit nicht aufgesucht, um Höflichkeiten auszutauschen. Aber Crest beschloss abzuwarten. Arkoniden wie Menschen hatten in diesem Bereich ähnliche Normen.

»Das ist eine Übertreibung. Ich habe den Robotern den Bau des Turms befohlen, das ist alles. Die Idee stammt von Lesly Pounder. Er hat sich von dem Kontrollturm von Nevada Fields inspirieren lassen. Der Abschied muss ihm schwergefallen sein.«

»Es ist kein gewöhnliches Gebäude.«

»Das war nicht die Absicht. Die STARDUST war ein Symbol für viele Menschen. Wir brauchten für Terrania ein neues.«

Tatjana Michalowna trat auf den Balkon. Noch lag die Kühle des Morgens über der Stadt, aber die Strahlen der Sonne brannten bereits auf der Haut. Crest blieb im Schatten.

»Wie hoch wird er sein?« Die Menschenfrau beugte sich weit über die Brüstung und reckte den Kopf nach oben. Die Höhe schien ihr keine Angst zu machen.

Crest schon. Er beeilte sich, ihr zu folgen, trat so nahe an sie heran, dass er sie hätte packen können, sollte sie das Gleichgewicht verlieren. »So hoch wie nötig«, sagte er. Er hielt ihr auffordernd eine Hand entgegen.

Sie ignorierte die Hand und lehnte sich noch weiter über die Brüstung. »Bei Ihnen zu Hause, auf Arkon. Baut man dort auf diese Weise?«

Was war mit dieser Frau los? Der Arkonide wartete darauf, dass die Stimme in seinem Innern sich zu Wort meldete und ihm riet. Sie schwieg wie so oft, seit er sich zu den Menschen begeben hatte. Als hätte seine Kühnheit ihr die Sprache verschlagen.

»Auf viele Weisen«, antwortete Crest. »Terrania ist ein winziger Einblick in unsere Möglichkeiten. Die einzigen Grenzen, die es für uns Arkoniden gibt, sind die unserer Phantasie.«

Grenzen, die allzu oft so eng waren, dass sie Crest wie eine Fessel angemutet hatten, die ihn langsam, aber sicher erdrosselte. Aber das sagte er Michalowna nicht. Er würde es niemals einem Menschen anvertrauen.

»Sie reden nicht gern über Ihre Heimat, nicht?«

»Wie kommen Sie darauf?«

»Ich spüre es. Mir geht es genauso. Es schmerzt. Es schmerzt so sehr, dass ich schon mehr als einmal am Abgrund stand. Ein Schritt, und der Schmerz ist vorbei …«

Deshalb hatte die Menschenfrau keine Angst vor der Höhe! »Das dürfen Sie nicht! Das Leben ist das wertvollste Gut im Universum!«

»Wer sagt das?« Sie richtete sich wieder auf, ging an ihm vorbei ins Zimmer und sah sich suchend um. »Haben Sie etwas zu trinken?«

Crest folgte ihr. »Natürlich.« Er nahm ein Glas und eine verbeulte Plastikflasche aus einem Schrank. Sie waren mit chinesischen Schriftzeichen verziert, die er nicht lesen konnte. Manchmal fragte er sich, ob er mit dem Englischen nicht die falsche Menschensprache erlernt hatte. Er schenkte ein und hielt der Menschenfrau das Glas hin. »Hier, trinken Sie!«

Sie lachte auf, als hätte er einen Scherz gemacht. »Nein danke.«

»Wieso? Es ist Trinkwasser. Sie …«

»Lassen Sie es gut sein. Ich meinte nicht diese Art von Wasser.« Sie legte eine Hand auf die seine, die das Glas hielt, und führte sie auf das Board. »Sie müssen noch viel über uns Menschen lernen, wenn Sie auf der Erde bestehen wollen.« Sie zog ihre Hand wieder zurück. Crest stellte das Glas ab. »Wissen Sie«, sagte die Menschenfrau, »wo ich herkomme, gibt es immer die andere Art von Wasser – Wodka. Wir haben ihn getrunken, meine Freunde und ich, wenn wir Tusovka gemacht haben. Kennen Sie Tusovka?«

»Nein.«

»Tusovka ist das Leben. Freunde. Gemeinsame Zeit. Zu trinken. Wodka. Viel Wodka. Tusovka ist Geborgenheit.«

»Wieso sind Sie dann nicht zu Hause geblieben?« Diese Menschen … Immer wenn Crest geglaubt hatte, er hätte sie verstanden, musste er erkennen, dass er kaum die Oberfläche angekratzt hatte.

»Weil ich anders bin. Ich habe ein besonderes Talent, das wissen Sie. In vielen Dingen ist es ein Segen. Ich werde selten überrascht und nie übervorteilt. Ich mache mir keine Illusionen über meine Mitmenschen.« Sie presste die Lippen so fest aufeinander, dass sie zu bleichen Strichen wurden. »Sie lügen. Alle Menschen lügen. Aber besonders in Russland. ›Großrussland‹! Der Name allein ist eine Lüge. Ein Land, in dem jeder nur daran denkt, wann er als Nächstes wieder Wodka bekommt, während sein Volk ausstirbt, weil niemand mehr den Mut hat, Kinder in die Welt zu setzen.«

»Das klingt nicht nach einem Ort, dem Sie nachtrauern sollten, Miss Michalowna«, sagte Crest leise.

»Sie haben recht. Ich sage es mir jeden Tag, jede Stunde. Aber es nützt nichts. Es ist meine Heimat. Ich verabscheue sie. Ich liebe sie. Kennen Sie das?«

Ja, nur zu gut!, dachte Crest. Er sprach es nicht aus.

»Also bin ich gegangen, als Clifford Monterny mich aufspürte. Clifford hat mich herausgeholt, hat mich zu dem gemacht, was ich bin.«

Und er hatte Crest entführt, ihn zur Geisel genommen, ihm um ein Haar das Leben genommen – mithilfe Tatjana Michalownas. Der Arkonide wich einen Schritt zurück.

»Sie halten Clifford für einen Verbrecher, nicht? Einen bösen Menschen?« Sie sah ihn unverwandt an. »Ich verrate Ihnen ein Geheimnis: Es gibt keine bösen Menschen. Ich muss es wissen, nicht? Es gibt nur Menschen. Menschen, die glauben, das Richtige zu tun. Und dabei manchmal Böses tun. Unbeschreiblich Böses tun. Aber Clifford war nicht böse!«

Sie rückte zu ihm auf. Er spürte ihren Atem. Er roch schlecht. Crest kam der Geruch bekannt vor, er hatte ihn schon bei anderen Menschen wahrgenommen. Stank so dieser Wodka? Sie streckte die Arme aus, packte seine Handgelenke und umklammerte sie fest. Der Stock entglitt seinen Fingern und kam laut polternd auf dem Boden auf.

»Sie tun mir weh!«, rief er und versuchte sich frei zu machen. Aber sie war zu stark.

»Alle hier glauben, dass Clifford böse war. Und weil ich bei Clifford war, glauben alle, dass ich auch böse bin. Aber das bin ich nicht! Ich will nicht hier sein! Ich will nur wieder zurück nach Hause!« Sie sah ihn beinahe flehend an. Dann sagte sie leise: »Aber ich kann nicht mehr zurück. Zu Hause will mich niemand mehr. Sie würden mich einsperren. So, wie man es mit Ihnen machen würde, Crest. Nicht wahr?«

Der Herzschlag des Arkoniden machte einen Satz. Seine Wangen brannten, als ihm verräterische Röte ins Gesicht schoss. »Lassen Sie mich los!« Er wand sich, auch wenn er wusste, dass er gegen diese Frau nicht ankommen würde. Sie war jung und stark und verzweifelt.

Zu seiner Überraschung gab sie ihn frei. Die Menschenfrau machte einen Schritt zurück. Sie schwankte, als hätte sie Mühe, das Gleichgewicht zu halten. Schweißperlen traten ihr auf die Stirn. »Wieso geben Sie es nicht zu? Es ist offensichtlich. Jeder Mensch, der nur einen Funken Verstand im Kopf hat, ist längst darauf gekommen. Sie und Ihre Artgenossen sind mit einem riesigen Raumschiff auf den Mond gekommen und dort gestrandet. Dort waren Sie wochen-, vielleicht sogar monatelang. Und Sie haben niemanden um Hilfe gerufen? Niemand in Ihrem Großen Imperium hat es für nötig befunden, nachzuforschen, was mit Ihrem Schiff geschehen ist? Und überhaupt: Wieso sollte ein todkranker Mann wie Sie seine Heimat und damit die medizinische Versorgung, die ihn am Leben erhält, hinter sich lassen und sich auf eine Expedition zu einer von Barbaren bevölkerten Welt begeben? Wieso nur?«

Jede Frage der Menschenfrau traf Crest wie ein Schlag. Er sank zurück, lehnte sich mit den Schultern gegen die Wand. Sein Schädel begann zu pochen. Immer schneller und härter, bis er … bis er verstand. Die Telepathin drang mit ihren Psi-Gaben auf ihn ein!

»Hören Sie auf!« Er stieß sich von der Wand ab. »Hören Sie sofort damit auf, in meinen Gedanken herumzuwühlen!«

Ihre Augen weiteten sich. Sie hatte nicht mit einer derartig vehementen Gegenwehr gerechnet.

»Gehen Sie!«, schrie Crest. »Gehen Sie, bevor ich um Hilfe rufe!«

»Nein.« Ihre Pupillen verengten sich wieder. »Das werde ich nicht. Nicht bevor ich mit Ihnen gesprochen habe.«

»Sie sprechen längst mit mir! Was wollen Sie von mir?«

»Dass Sie mich teilhaben lassen.«

»Woran teilhaben? Ich weiß nicht, wovon Sie reden! Meine Gedanken gehören mir. Ihre Gabe versagt bei mir. Sie können meine Gedanken nicht lesen!«

»Nicht jetzt. Vielleicht niemals wieder. Aber einmal ist es mir gelungen. Als Clifford mit Ihnen gesprochen hat.«

»Sie meinen, als er mich verhört hat!«, wies er sie zurecht.

Sie ging nicht darauf ein. »Ich habe mich ganz auf Sie konzentriert, Crest. Und ich habe herausgefunden, weshalb Sie zu uns Menschen gekommen sind. Sie suchen das ewige Leben!«

»Sie … Ich …« Er bekam nicht mehr als ein Stottern heraus. Niemand wusste um sein Geheimnis. Außer er selbst und Thora und der treue Charron, der auf Arkon geblieben war. Niemand!

»Den Planeten des ewigen Lebens. Deshalb haben Sie Arkon den Rücken gekehrt. Ein todkranker Mann – in seiner Heimat unerwünscht –, der alles auf eine Karte setzt, um ein neues Leben zu gewinnen. Ein Leben, frei von Krankheit, Unsterblichkeit.« Sie trat wieder auf ihn zu. Langsam, fast ehrfürchtig. »Sie sind ein mutiger Mann, Crest.«

Er wich zurück, bis er die Ecke erreicht hatte und ihm keine Möglichkeit blieb, weiter auszuweichen.

»Sie brauchen keine Angst vor mir zu haben«, flüsterte die Menschenfrau. »Ich will Ihnen nichts Böses. Ihr Geheimnis ist bei mir in guten Händen. Niemand wird davon erfahren …«

Sie holte tief Luft. Crest roch wieder ihren stinkenden Atem. Er drehte den Kopf zur Seite.

»Niemand wird davon erfahren«, wiederholte sie. »Sie müssen mir nur eines versprechen: Wenn Sie das ewige Leben finden, geben Sie mir davon ab! Werden Sie das tun?«

Crest hielt den Kopf zur Seite gewandt, vermied es, sie anzusehen. Sie wusste es! Leugnen war zwecklos, sie hatte die Wahrheit in seinen Gedanken gelesen – sie war zu weit hergeholt, als dass diese Menschenfrau sie hätte erraten können. Eine Erinnerung kehrte zurück: Monterny, der ihn in Fort Sunrise bedrohte. Michalowna war dabei gewesen, sie hatte alles mitgehört. Crest hatte nur wie von weiter Ferne mitbekommen, was die Menschen von ihm wollten. Schlafmangel und Erschöpfung hatten ihn fest im Griff gehabt.

Tatjana Michalowna hatte ihn jetzt im Griff. Sie konnte ihn jederzeit verraten. Sie …

»Weg von Crest!«, bellte eine Stimme. »Sofort!«

Sie gehörte Reginald Bull. Der ehemalige Astronaut war unbemerkt in den Raum getreten – begleitet von drei chinesischen Soldaten. Sie hatten ihre Sturmgewehre auf Tatjana Michalowna gerichtet.

Die Menschenfrau wandte sich um, hob aufreizend langsam die Hände. »Was wollen Sie von mir? Wir haben nur geredet!«

Bull beachtete sie nicht. Sein Gesicht war gerötet, die bleichen Narben traten hervor. »Entschuldigen Sie bitte diesen Auftritt, Crest. Aber wir haben keine andere Wahl.«

»Ich … ich war nicht in Gefahr«, brachte er hervor. Sie wusste es! Was sollte er nur tun?

»Das hoffe ich.« Bull bebte vor Wut. »Aber ich bin nicht hier, weil ich Angst hatte, dass diese Frau Ihnen etwas antut. Wir mussten sichergehen, dass sie uns nicht entkommt.«

»Wieso das? Ich sehe keinen Grund …«

»Der Körper Ricos ist verschwunden«, unterbrach ihn Bull. »Und ich schwöre, ich werde die amerikanische Staatsbürgerschaft wieder annehmen und mich bei Präsident Drummond persönlich entschuldigen, wenn Miss Michalowna uns nicht sagen kann, was mit Rico geschehen ist!«

9.

26. Juli 2036

Julian Tifflor

Die ersten Strahlen der Morgensonne, die sein Gesicht kitzelten, weckten Julian Tifflor.

Mildred, die in den Nächten von ihm abrückte, weil sie sonst nicht schlafen konnte, um sich dann am frühen Morgen im Tiefschlaf an ihn zu klammern, regte sich. Sie gähnte und schmiegte sich von Neuem an ihn. Ihr Griff war fest.

Timothy Harnahan war bereits wach. Er saß im Licht der Sonne im Schneidersitz auf dem Boden. Das Tablet im Schoß, das er offenbar nie aus der Hand gab. Er murmelte fremde Silben, als meditiere er.

Vielleicht tat er das auch. Aber in erster Linie lernte er Arkonidisch. Eine Sprache, die sich ihm hartnäckig zu entziehen suchte.

Julian hatte keinen Zweifel, dass Timothy sie bezwingen würde. Dem schlaksigen Jungengesicht, das der Sportler und Frauenheld Julian Tifflor in seinen Highschool-Jahren nicht einmal einer bissigen Bemerkung für würdig befunden hätte, wohnte eine Stärke inne, die ihn beeindruckte.

Timothy Harnahan würde seinen Weg gehen – wohin dieser ihn auch führen mochte.

»Guten Morgen!«, sagte Julian. Er machte sich aus Mildreds Griff los und richtete den Oberkörper auf.

»Morgen!«, antwortete Timothy, ohne den Kopf zu wenden. »Fünf Minuten, okay?«

»Okay.«

Timothy murmelte weiter seine arkonidischen Vokabeln. Julian lehnte sich über Mildred. Er rüttelte an ihr, flüsterte ihr sanft ins Ohr. Lange geschah nichts, dann schreckte Mildred hoch. Sie rückte von ihm ab, als habe sie aus Versehen einen Fremden umarmt. Ihre Augen weiteten sich. Wut blitzte in ihnen auf. Auf sich selbst, die Julian in ihr Innerstes Einblick gegeben hatte. Auf Julian, der in ihr Innerstes gesehen hatte. Dann war es vorüber, und sie sagte beiläufig: »Schon Morgen?«

Julian nickte.

Wortlos löste Mildred sich von den selbst aufblasbaren Feldmatten der chinesischen Armee, die ihnen als Bett gedient hatten, und zog sich an.

Julian sah ihr zu und fragte sich, wieso er von Mildred nicht lassen konnte. Sie war schön, auf ihre Art. Nicht wie die Highschool Queens und Cheerleader, denen Julian in seinen Teenagerjahren nachgestellt hatte. Diese Mädchen waren Kunstwerke auf zwei Beinen gewesen. Sorgfältig arrangierte Schönheiten, die endlos lange im Badezimmer gebraucht hatten. Mildred Orsons war meist schneller aus dem Bad, als er brauchte, um sich anzuziehen. Zähne putzen, ein Spritzer Wasser ins Gesicht, Deo unter die Achseln – mehr stand für gewöhnlich nicht auf Mildreds Programm. Mehr brauchte es auch nicht. Mildred Orsons machte immer eine gute Figur. Egal, was sie trug. Egal, was sie anfing.

Und das war, erkannte Julian, was sie von allen anderen Mädchen und Frauen unterschied, mit denen er zu tun gehabt hatte. Mit den anderen hatte man zum Drive-in fahren können, auf dem Rücksitz herummachen, in Clubs bis zum Morgengrauen tanzen. Nicht übel für den Anfang, aber Julian zu wenig. Mit Mildred konnte man buchstäblich alles unternehmen – nicht zuletzt mit ausgemusterten ehemaligen indischen Militärmotorrädern die Wüste Gobi durchqueren, um in einer wenige Tage alten Stadt nach dem Tor zu den Sternen zu suchen.

Mildred hätte seinem Vater gefallen. Er …

»Und, fertig gestaunt?« Mildred war nicht entgangen, dass er sie beobachtete. Sie drehte sich zu ihm, beide Hände in die Hüften gestemmt. Vorgeblich wütend, aber tatsächlich geschmeichelt von seiner Aufmerksamkeit.

Julian ließ demonstrativ seinen Blick von oben nach unten über sie wandern. Dann versuchte er sich an seinem schmierigsten anzüglichen Grinsen und sagte: »Weiß nicht … kommt noch mehr?«

»Klar. Hier!«

Er sah einen Schemen auf sich zukommen. Im nächsten Moment traf ihn sein zusammengeknülltes T-Shirt mitten ins Gesicht.

»Na, Herr Raumkadett? Sind wir jetzt bereit, zu den Sternen aufzubrechen?«

Timothy, Julian und Mildred halfen an einem Versorgungsstand im inneren Bezirk der Stadt. Genauer gesagt: Sie waren der Versorgungsstand. Die übrige Besetzung des Standes erschien nicht. Sie lag, wie Timothy über TerraNet herausfand, im Krankenhaus Terranias. Magen-Darm-Komplikationen.

»Das Übliche«, sagte Timothy, als er das Tablet in der Oberschenkeltasche seiner Cargohose verstaute. »Menschen von überall her kommen zusammen – und ihre Keime.«

Zusammen bauten sie den Stand auf. Viel war nicht zu tun. Drei Klapptische, drei Klappstehstühle. Sie arrangierten sie in einem Dreieck in der Mitte des Platzes. »Optimal für den Ansturm«, sagte Timothy.

Welcher Ansturm?, wollte Julian fragen – die Straßen waren verlassen –, aber im selben Moment hielt ein Laster an dem Stand. Natürlich aus chinesischen Armeebeständen. Die Nationalflaggen auf seiner Karosserie waren mit neuen Insignien übermalt, eine Menschenhand und die Klaue eines Aliens im Handschlag vor dem Hintergrund des Sternenhimmels.

Zusammen mit dem Fahrer – einem älteren dicken Asiaten, der Julian an eine Buddhastatue erinnerte, aber doppelt so viel Gewicht tragen konnte wie er selbst – luden sie die Fracht aus: Wasserflaschen aus Plastik und Gebinde mit Konservendosen.

»Ist das alles?«, fragte Mildred, als der Laster weitergefahren war und sie sich daranmachten, die Vorräte in der Mitte ihres Dreiecks aufzuschichten. »Wasser und Hundefutter?«

»Menschenfutter.« Timothy löste eine Dose aus dem Gebinde, warf sie hoch und fing sie wieder auf wie einen Spielball. »Einmannrationen der chinesische Armee. Wahlweise Reis mit Gemüse oder Gemüse mit Reis.« Er zwinkerte ihr zu. »Wir haben ein paar Millionen davon.« Timothy stellte die Dose wieder ab. »Aber das Wasser …« Er zog sein Tablet heraus, wischte über das Display. »Leider kein Irrtum, die Wasserrationen sind gekürzt. Zwei Liter pro Person.«

»Das ist knapp. In der Hitze.«

»Ja, aber mehr ist nicht drin. Das Wasser war schon während der Belagerung knapp. Die Druckwelle der Atombombe hat einige Tankwagen gekostet, Nachschub kommt keiner durch. Und unser eigenes Wasser kommt nicht so recht voran.«

»Eigenes Wasser?«

»Im Augenblick aus dem Goshunsee. General Bai Jun hatte dort eine Entsalzungsanlage errichten lassen. Beim Ende der Belagerung war sie beinahe fertiggestellt. Aber eben nur beinahe. Die Bohrungen nach Wasseradern waren leider noch nicht erfolgreich.« Er ging zu einer Flasche und drehte den Verschluss auf. »Ein Schluck gefällig?« Julian formte die Hände zu einer Schale und hielt sie unter die Flasche. Timothy füllte sie mit Wasser. Julian trank und musste sich beherrschen, es nicht sofort wieder auszuspucken.

»Der Geschmack der Gobi. Eigen. Aber ich tröste dich, man gewöhnt sich dran.« Timothy sah auf. »Die Nachtschicht kommt! Es geht los!«

Die Freiwilligen kamen von den Baustellen der äußeren Stadt. Sie waren schmutzig. Der Staub der Gobi hatte ihre Kleider durchdrungen, hatte sich mit ihrem Schweiß zu einer öligen grauen Schicht vermischt, die ihre Haut bedeckte. Nur die Augen, die von Schutzbrillen geschützt waren, waren frei geblieben. Es waren sehr müde Augen. Aber auch Augen, in denen der Stolz geschrieben stand, Teil einer großen Sache zu sein.

Geduldig stellten die Freiwilligen sich an, bildeten drei gleich lange Schlangen. Die Ausgabe ging rasch vonstatten. Wasser und Essen waren kostenlos, auch wenn sich eine Handvoll Freiwillige den Spaß machten und mit Solarscheinen bezahlten. Timothy, Julian und Mildred machten den Spaß mit und funktionierten eine leere Schachtel zur Kasse um.

Die Nachricht, dass die Wasserration gekürzt war, nahmen die Freiwilligen ohne weiteres Aufhebens hin.

Mit einer Ausnahme.

»Zwei Liter? Gestern waren es noch vier!«, hörte Julian hinter seinem Rücken. Eine Männerstimme. Schneidend scharf und mit einem tiefen, rollenden »R«, das keinen Zweifel daran ließ, dass Englisch nicht die eigentliche Muttersprache des Manns war.

»Es tut mir leid«, hörte er Timothy antworten. »Aber mehr geht nicht. Wir haben Probleme mit der Entsalzungsanlage und den Quellen.«

»Aber ich habe Durst! Es ist heiß hier! Fürchterlich heiß!«

Julian wandte den Kopf, um den Mann zu sehen. Er war schlank und drahtig, vielleicht Anfang, Mitte dreißig. Er trug eine Uniform ohne Rangabzeichen. Aber keine chinesische, ihr Schnitt war anders. Sie war sauber. Der Mann kam nicht von einer der Baustellen. Er musste zur Verwaltung gehören.

»Es ist heiß für uns alle, Kamerad«, sagte Timothy.

»Aber ich … Wir …« Der Mann brach ab, suchte nach Worten. Als traue er seinen Ohren nicht. Als wäre er es gewohnt, immer das zu bekommen, was er wollte.

»Komm heute Abend wieder, Kamerad«, versuchte Timothy den Mann zu trösten. »Vielleicht läuft bis dahin die Entsalzungsanlage wieder einwandfrei, und wir haben eine zweite Ration für dich.«

»Aber das geht nicht!«

»Mehr geht nicht. Tut mir leid. Aber wenn du willst, kannst du zwei Einmannrationen haben. Davon haben wir genug.«

Es arbeitete im Gesicht des Mannes. Er öffnete den Mund, schloss ihn wieder, schnappte sich eine Flasche und drei der Dosen und stolzierte stocksteif davon.

Timothy, Julian und Mildred sahen ihm nach. »Wenn ihr mich fragt, marschiert er schnurstracks zur nächsten Versorgungsstelle und holt sich dort Wasser«, sagte Mildred.

Timothy zuckte die Achseln. »Soll er es versuchen. Bis er bei der nächsten Stelle ist, wird dort das Wasser bereits aus sein.«

»Vielleicht. Vielleicht auch nicht. Es sollte ein Zuteilungssystem geben, damit niemand betrügen kann.«

»Wozu?«, widersprach Timothy. »Betrüger wie ihn gibt es vielleicht eine Handvoll. Mit einem Zuteilungssystem würde alles für alle komplizierter, und wir brauchten ein paar Dutzend Leute, die es überwachen – statt sinnvolle Arbeiten zu erledigen. So wie wir!«

Sie widmeten sich wieder den Wartenden. Julian wechselte immer wieder Worte mithilfe der Simultanübersetzung von TerraNet. Es war ein merkwürdiges Gefühl, etwas auf Englisch zu sagen und eine Entgegnung in einer unbekannten Sprache zu erhalten. Doch eines, an das er sich rasch gewöhnte.

Nach und nach wurden die Schlangen kürzer, dann hatten sie alle Freiwilligen der Nachtschicht versorgt. Schließlich klatschte Timothy zufrieden in die Hände und setzte sich auf ein Gebinde Dosen, um sich über sein Tablet zu beugen. Es schien, als wäre Timothy jede freie Minute damit zugange.

»Büffelst du wieder Arkonidisch?«, fragte Julian.

»Nein. Heute Abend wieder, wenn ich zu Ernst Ellert gehe.« Er hielt das Tablet so, dass Julian und Mildred das Display sehen konnten. Es zeigte Balkendiagramme und Haufen von Punkten auf Schwarz, die an Sterne erinnerten.

»Was ist das?«

»Datensätze des Radioteleskops in Arecibo. Genauer gesagt: Auswertungen. Ich habe Rechnerzeit in der Cloud von TerraNet reserviert, lasse meine eigenen Analyseprogramme darüber laufen.«

»Arecibo?«, wiederholte Mildred. »Suchen die nicht nach Aliens?«

»Schon seit Jahrzehnten. Und seit es das Netz gibt, kann man selbst mitmachen. Ich bin mit Seti@home groß geworden. Irgendwann kam ich auf die Idee, noch einen draufzusetzen. Lag irgendwie nahe.«

Mildred zwinkerte Timothy zu. »Klar. Was macht man in Kansas sonst, als nach Aliens zu suchen?«

»Na ja, Traktor fahren, sich am Wochenende besaufen …«

»Aber das hat dir nicht genügt?«

»Wie du siehst.«

»Und was treibst du, wenn du nicht gerade Arkonidisch büffelst, über Scheintote wachst, Rationen ausgibst oder nach Aliens suchst?«

»Was wohl?« Timothy erwiderte Mildreds Zwinkern. »Ich schreibe Geschichte. Oral History. Ich lasse Menschen ihr Leben erzählen, schneide es zusammen und stelle es online.«

»Davon kann man leben?«

»Immerhin essen. Und der Rest findet sich. Was ist mit euch?«

»Ich sollte Anwalt werden«, antwortete Julian.

»Das bedeutet Geld.«

»Schmerzensgeld, wenn du mich fragst. Ich will mein Leben nicht am Schreibtisch verschwenden. Ich will zu den Sternen!«

Mildred legte Julian eine Hand auf die Schulter. »Tiff ist etwas verrückt, weißt du?«

»Dann ist er in Terrania richtig. Was ist mit dir, Mildred? Was suchst du?«

Mildreds Griff wurde übergangslos härter. Timothy hatte ihren wunden Punkt getroffen. »Ehrlich gesagt, ich weiß es nicht«, sagte sie. »Ich weiß nur, dass es noch mehr geben muss, als sich immer Sorgen darum zu machen, ob man nach der Uni einen Job findet, und sich dann aus Angst, ihn zu verlieren und die Rechnungen für das Haus und das Auto nicht mehr bezahlen zu können, totzuarbeiten.«

»Leuchtet ein.«

Timothy steckte das Tablet weg, als sich erneut Schlangen an dem Stand bildeten. Freiwillige auf dem Weg zur Frühschicht an den Baustellen oder zu den Planungszirkeln in der inneren Stadt wollten ihre Rationen.

Julian ging in der Aufgabe auf. Terrania war anders, als er es sich vorgestellt hatte. Er hatte eine Stadt voller technologischer Wunder erwartet, Menschen, die mit nichts anderem beschäftigt waren, als das arkonidische Wissen umzusetzen, den Sprung der Menschheit in das All vorzubereiten.

Doch das reale Terrania war ein Ort des Mangels und der Improvisation. Ein Ort, an dem die Menschen mit Spaten im Wüstenboden gruben, bis ihnen die Hände bluteten. Ein Ort, an dem die Menschen von einer Flasche Wasser und aus Dosen lebten.

Doch es störte ihn nicht mehr.

Was zählte, war nicht das Terrania, wie es war. Was zählte, war das Versprechen, für das es stand. Und das Versprechen war überwältigend. Er dachte an den Stardust Tower, der jeden Tag höher in den Himmel wuchs. An Ernst Ellert, der in einem rätselhaften Tiefschlaf lag. An Timothy, den Farmjungen aus Kansas, der an Ellerts Bett wachte, Arkonidisch büffelte und nebenbei nach Aliens suchte.

Er, Julian Tifflor, gehörte an diesen Ort. Er half mit, das Versprechen Terranias wahr zu machen.

»He!«, hörte er Mildred rufen. »Du schon wieder!«

Julian wirbelte herum und sah einen Mann am Tisch seiner Freundin stehen. Staubig, das Gesicht mit Schmutz verschmiert. Ein Freiwilliger von einer der Baustellen, schien es. Ein Nachzügler der Nachtschicht. Er trug einen großen Rucksack. Der Stoff stand unter Spannung. Julian glaubte die Konturen eines Oberarms und einer Schulter zu erkennen. Was …?

»Du hast schon gehabt!«, rief Mildred und versuchte, die Flaschen vom Tisch zu fegen, bevor der Mann nach ihnen greifen konnte. Er war schneller. Der Mann schnappte sich drei Flaschen, drehte sich um und rannte los. Der Stoff des im Takt seiner Schritte auf und ab springenden Rucksacks riss. Eine glänzende, unregelmäßige Kante kam zum Vorschein. Sie glitzerte metallisch.

»Halt!«, rief Julian Tifflor. »Bleib stehen!«

Mit einem langen Satz nahm Julian die Verfolgung auf. Er sprang über den Tisch – und blieb mit der Fußspitze an der Tischkante hängen. Der Schwung ließ den Tisch umkippen. Sein Schuh kam frei, aber es war zu spät, als dass er sich noch hätte abfangen können. Der Länge nach schlug Julian hin. Der Aufprall war hart. Einige Augenblicke lang wurde ihm schwarz vor Augen.

Hände halfen ihm hoch, wollten ihn zurückhalten.

»Lass es gut sein«, sagte Mildred. »Er hat drei Flaschen Wasser, mehr nicht.«

Julian stützte sich auf sie. Sein linkes Knie pochte. Er sah an sich hinunter. Die Hose war aufgerissen, das Knie blutete.

»Es geht nicht um das Wasser!«, keuchte er. »Im Rucksack. Er hat Arkonidentechnik gestohlen! Wir müssen ihn kriegen!«

Julian rannte los. Er wusste nicht, ob Mildred und Timothy ihm folgten. Er wusste nur, dass er diesen Mann einholen musste. Und er würde es!

Julian Tifflor war in seiner Jugend ein Läufer gewesen. Und er musste keinen schweren Rucksack schleppen. Meter um Meter schloss er zu dem Mann auf, der immer öfter den Kopf wandte, um festzustellen, dass sein Verfolger nicht aufgab.

Der Mann erreichte den Rand der inneren Stadt. Staubwolken wirbelten auf, als er an Baugruben entlang in die Wüste hinausrannte. Dorthin, wo er Julian nicht entkommen konnte. In der Stadt hätte der Dieb sich verstecken können, aber in der deckungslosen Ebene würde Julian Tifflor ihn früher oder später einholen.

Eher früher.

Der Mann wurde langsamer, seine Kräfte erlahmten. Hundert Meter trennten Julian noch von dem Dieb, als ihn plötzlich ein Geländewagen überholte und neben dem Dieb in einer Wolke aufstiebenden Sands hielt. Ein Mann saß am Steuer, eine zierliche Frau – eine Asiatin – auf dem Beifahrersitz. Der Dieb streifte den Rucksack ab, wuchtete ihn auf die Ladefläche, sprang hinterher. Im selben Moment, in dem er auf der Pritsche aufkam, gab der Fahrer Gas.

Tifflor blieb hustend in einer Staubwolke zurück, die Hände vor Wut geballt.

Er hörte Schritte. Mildred schloss zu ihm auf, gefolgt von Timothy. »Mist!«, sagte sie. »Die sind auf und davon!«

Julian Tifflor schüttelte den Kopf. »Noch nicht.« Er tippte das Headset an und sagte: »Julio? Hörst du mich?«

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18+
Litres'teki yayın tarihi:
11 kasım 2024
Hacim:
1515 s. 10 illüstrasyon
ISBN:
9783845333847
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