Kitabı oku: «Perry Rhodan Neo Paket 2: Expedition Wega», sayfa 9
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25. Juli 2036
John Marshall
Das Schiff fiel.
John Marshall fiel. Er fühlte sich hochgehoben. Leicht. Einen Moment lang waren die schmerzenden Glieder, das Hämmern in seinem Schädel, der quälende Durst vergessen.
Die Triebwerke hatten ausgesetzt. Es war still. Für gewöhnliche Menschen, nicht für John Marshall. Der Telepath hörte Gedanken, die Angstschreie von Dutzenden, ja Hunderten von Menschen. Sie waren unerträglich laut, hallten in seinen Gedanken wider. John rollte sich zusammen, barg den Schädel zwischen den Händen, presste die Finger in die Ohren. Es nützte nichts.
Thora zischte laut. Es mussten arkonidische Flüche sein. Ihre Hände rasten über das Hufeisen aus Licht, das vor ihr schwebte. John musste an einen Schlagzeuger denken, der ein Solo spielte.
»Was ist los?«, fragte Perry Rhodan.
»Triebwerk drei ist explodiert.«
»Wie kann das sein? Das Schiff hat es als einsatzbereit gemeldet!«
»Ich weiß.« Die Arkonidin hielt einen Moment lang inne. Ihre Augen glänzten feucht. Sie zitterte. Nicht vor Angst, vor Wut. Dann rief sie: »Legen Sie sich flach auf den Boden!«
Rhodan warf sich blitzschnell hin. John ließ sich nach links kippen. Sein Oberkörper rutschte auf den kalten Stahl.
Die Triebwerke setzten dröhnend ein. Abrupt endete die Leichtigkeit des freien Falls. John wurde mit einer Macht gegen den Boden gedrückt, als hätte sich sein eigenes Gewicht vervielfacht.
Er hörte Rhodan stöhnen, der neben ihm am Boden lag. Sein Gesicht war eine Fratze. Unsichtbare Finger versuchten das Fleisch von den Knochen zu ziehen.
Er hörte sich selbst aufschreien.
Er hörte in Gedanken die Schreie der Soldaten. Niemand hatte sie vor dem gewarnt, was kommen würde. Sie … Ein Gedankenstrang stach aus dem Chor der Stimmen hervor. Er war ruhig, gelassen. John kannte diese eine Stimme …
Das erdrückende Gewicht ließ langsam nach.
»Geschafft«, sagte Thora und wischte mit einer Bewegung, die beinahe ein Streicheln war, über das Hufeisen aus Licht. »Der Absturz ist gestoppt. Das Schiff ist wieder stabil.«
Rhodan stand auf. Mühelos. Als hätte ihn die Beschleunigung nicht ebenfalls zu zerquetschen gedroht. Es musste das Training sein, fiel John ein. Sid hatte ihm oft genug davon vorgeschwärmt, welchen außerordentlichen Belastungen die Astronauten, die er wie Helden verehrte, standhalten mussten. Perry Rhodan war bis vor Kurzem einer gewesen.
»Wie konnte es zu der Explosion kommen?«, fragte Rhodan.
»Ich vermute, defekte Diagnosefühler. Die Steuerung muss dem Triebwerk einen weit überhöhten Energiewert zugeführt haben. Oder …«
John hörte Thoras Stimme wie aus weiter Ferne. Sein Geist konzentrierte sich auf die vertraute Gedankenstimme. Er spürte Entschlossenheit, die ihm Angst machte.
»… oder«, fuhr Thora fort, »die Leute General de Sotos haben das Triebwerk unwissentlich beschädigt. Sie untersuchen das ganze …«
De Soto! Er fing die Gedanken des Generals auf!
»D… de S… Soto!« John bekam nur ein heiseres Krächzen hervor. Sein Mund war ausgetrocknet. »E… es war kein Unfall! De Soto hat das Triebwerk sprengen lassen!«
Rhodan und Thora sahen ihn entgeistert an. Rhodan kniete neben ihm nieder, stützte seinen Kopf. »Hat der Mann den Verstand verloren? Das ist glatter Selbstmord!«
»Das weiß er. Aber bevor er das Schiff uns überlässt, vernichtet er es!«
»Sind Sie sich sicher, John?«
Der Telepath horchte auf die Gedankenstimme. »Ja. Er ist fest entschlossen.«
Er spürte, wie Rhodans Hand an seinem Hinterkopf sich einen Augenblick lang verkrampfte. »John, weiß de Soto, wer wir sind?«
Der Telepath konzentrierte sich. »Nein. Er hält uns für Mutanten Monternys, die zu Rhodan übergelaufen sind.«
»Gut.« Rhodan legte Johns Kopf sanft auf dem Boden ab. »Bleiben Sie liegen, John. Schonen Sie Ihre Kräfte, ja? Wir brauchen Sie!«
Rhodan stand auf. »Thora, können Sie eine Verbindung zu de Soto herstellen?«
»Natürlich. Wozu?«
»Ich will mit ihm reden. Wir müssen diesen Wahnsinn stoppen.«
»Ich glaube nicht, dass dieser Mensch …«
»Ich auch nicht. Aber wir müssen es versuchen. Ich bitte Sie, stellen Sie die Verbindung her!«
Thora zögerte einen Augenblick – musste sie ihren Stolz überwinden? –, dann erschienen zwei dieser Hologramme, die John wie Fenster anmuteten, durch die man blickte. Thora nannte sie knapp »Holos«.
Rhodan räusperte sich. »General de Soto!«
Der wuchtige Mann drehte sich langsam zur Kamera. Hatte er geahnt, was kommen würde? Ja, las John Marshall in seinen Gedanken.
»Ah, unser Möchtegern-Präsident!«, sagte er. »Sie wollen sich ergeben?«
»Dazu besteht kein Anlass.«
»Glauben Sie? Meine Pioniere sind gerade dabei, die übrigen Triebwerke zu präparieren. In …«, der General hob den Arm und sah auf seine Armbanduhr, »… in vier Minuten und siebenunddreißig Sekunden werden wir ein weiteres Triebwerk sprengen.«
»Ich bitte Sie, General, überdenken Sie noch einmal Ihren Entschluss. Es handelt sich bei diesem Schiff um ein besseres Wrack. Wollen Sie dafür Ihr Leben opfern? Und das Leben der Männer und Frauen, die Ihnen unterstellt sind?« Rhodans Ton war betont sachlich.
»Wenn es nötig ist, ja. Ich bin Soldat. Ich habe einen Eid geleistet, mein Heimatland zu beschützen. Wenn nötig, auch unter Einsatz meines Lebens. Ich habe nicht die Absicht, diesen Eid zu brechen.«
»Ich zolle Ihrem Mut und Ihrer Integrität meinen Respekt, General. Aber es ist eine neue Zeit angebrochen! Ihr Eid …«
»Was hat dieser Verräter Rhodan nur mit Ihnen angestellt?«, schnitt ihm der General das Wort ab. »Haben seine Mutanten Sie einer Gehirnwäsche unterzogen? Oder verraten Sie Ihre Heimat für Geld? Sind …«
Rhodan gab Thora ein Zeichen. Das Holo verschwand, als hätte es nie existiert.
»John?« Rhodan blickte ihn fragend an.
»E… er meint jedes Wort ernst«, sagte John. Sein Mund war so ausgetrocknet, dass ihm jede Silbe wehtat. »De Soto ist in der Armee, seit er achtzehn ist. Er hat sein ganzes erwachsenes Leben in ihr verbracht. Ein halbes Dutzend Kriege, vier Verwundungen, Gefangenschaft, Folter … alles für das Vaterland. Er kann nicht nachgeben.«
»Dann müssen wir ihn und seine Leute außer Gefecht setzen.« Rhodan wandte sich an die Arkonidin. »Thora, Sie sagen, diese Notzentrale ist unter anderem für den Fall einer Meuterei gedacht. Sie müssen also über Möglichkeiten verfügen, Meuterer zu bekämpfen, nicht?«
»Im Prinzip ja. Ich habe die Wahl, ob ich die Meuterer vergifte, ersticken lasse oder lediglich betäube. Aber Sie haben leider recht: Dieses Schiff ist momentan tatsächlich ein besseres Wrack, die Funktionen reagieren nicht.«
»Was ist mit Robotern? Können wir Maschinen gegen de Soto einsetzen?«
»Sie kennen die Antwort: im Prinzip ja. Doch dieses Schiff verfügt über keine.«
»Was ist mit einem Überraschungsangriff?«, ließ Rhodan nicht locker.
»Mit bloßen Händen? Die Waffenkammern sind leer. Auch die der Notzentrale.«
Die Zeit wurde knapp. John fing auf, wie der General befahl, den Zünder der Sprengladung an Triebwerk 6 scharf zu machen.
»Unter diesen Umständen sehe ich keine andere Möglichkeit, als uns zu ergeben«, sagte Rhodan.
»Was?« Thora ruckte herum. »Haben Sie den Verstand verloren? Haben Sie schon vergessen, was diese Menschen Crest angetan haben?«
»Sie haben ihn vor Gericht gestellt.« Rhodan hielt ihrem zornigen Blick stand. »Aber bis dahin haben sie ihn gut behandelt. Sie wussten, wie wertvoll er ist. Und de Soto ist kein Dummkopf. Er will uns lebend. Aber er wird nicht lange Freude an uns haben. Sid González und Mercant werden uns herausholen.«
»Wenn sie uns finden! De Soto und Drummond sind keine Dummköpfe – Sie haben recht, Rhodan. Diese Menschen werden dafür sorgen, dass man uns nicht findet. Und dann …« Tränen schossen in Thoras Augen. »Nein! Ich werde mich nicht ergeben.«
»Dann werden wir sterben!«
»Nein, sie werden sterben!«
»Was meinen Sie damit?«
»Dass wir keine Waffen brauchen, um mit de Soto fertig zu werden.« Sie zeigte auf das leuchtende Hufeisen. »Ich steuere die Funktionen des Schiffs. Unter anderem die Schleusen und Schotten.«
»Was nützt uns das? Wenn Sie alle Durchgänge verschließen, haben Sie die Soldaten eingesperrt. Aber das hindert sie nicht daran, die Triebwerke zu sprengen!«
»Ich denke nicht an Schließen, sondern an Öffnen.«
Rhodan musterte das leuchtende Hufeisen. »Das funktioniert nicht. Wir befinden uns auf knapp dreitausend Metern Höhe. Die Luft ist dünn, aber nicht dünn genug, als dass die Soldaten das Bewusstsein verlieren würden. De Soto wird Gelegenheit haben, die Sprengsätze zu zünden!«
»Nicht, wenn wir es richtig anfangen. Sie haben erlebt, welche Schubkraft die Triebwerke entfalten. De Soto und seine Leute werden hilflos am Boden kleben, bis wir den Weltraum erreichen …«
Rhodan wurde schlagartig blass. »Wo sie ersticken! Das wäre Mord!«
»Falsch, Notwehr! Diese Menschen wollen uns umbringen, nicht wir sie.«
»Und wir sollen uns auf eine Stufe mit ihnen stellen? Nein!«
»Dann machen Sie einen besseren Vorschlag, Rhodan. Sie haben noch zwei Minuten und vierzehn Sekunden!«
John stöhnte. Es war zu viel. Die Wut Rhodans. Die Wut Thoras. Die Verzweiflung der Arkonidin. Die grimmige Entschlossenheit de Sotos. Die Angst der Soldaten, in Schach gehalten von der Disziplin, die man ihnen eingebläut hatte.
Der Telepath konnte sich nicht mehr erwehren. Aus fremder Wut wurde die seine, aus fremder Verzweiflung die seine. Er bäumte sich auf. Er wollte weg hier. Sich verkriechen. Allein sein. Endlich wieder allein. Und trinken. Der Durst … »W… Wasser … zu trinken … Ich …«
Rhodan beugte sich über ihn. »Gleich, John. De Soto wird Ihnen Wasser geben. Der General …«
Thora unterbrach ihn. »Wasser!«, rief sie. »Das ist es!« Sie löste die Gurte, ging neben John Marshall in die Knie. Sie legte ihm die Hand auf die Stirn. Die Finger muteten ihm eiskalt an. Die Berührung tat ihm gut.
»John, Sie sagen, de Soto hat keine Angst vor dem Tod. Aber jeder Arkonide, jeder Mensch, jedes Lebewesen hat vor etwas Angst. Sie haben in den Gedanken des Generals gelesen, dass die Narcos ihn und Drummond gefangen hielten, nicht?«
»J… ja.«
»Die Narcos haben ihn und Drummond gequält. Sie haben de Soto Angst gemacht. Mit Wasser!« Thora nahm die Hand von seiner Stirn, fasste die seine. »John, können Sie noch einmal horchen? Können Sie das bestätigen?«
»Ich … ich kann es versuchen.« Der Telepath schloss die Augen, öffnete sich ganz de Soto, tauchte erneut in die Gedankenwelt des Generals ein. Kehrte zurück nach Afghanistan, in den Irak, nach Kolumbien … und blieb dort hängen.
Eine Hütte im Dschungel. Durst, immer Durst. Ungeziefer. Ein Narco-Soldat, der sagt: »Du hast Durst? Wir geben dir Wasser!« Dann: ein Tisch. Vier Männer, die ihn festhalten. Ein Tuch spannt sich über sein Gesicht. »Hier hast du Wasser!«, sagt der Narco-Soldat. Kaltes Wasser spritzt über ihn. Ein Strom, der kein Ende nimmt, ihm über das Gesicht rinnt, den Mund, in die Nase, in ihn hinein …
John Marshall bäumte sich auf. Er schnappte nach Luft, aber da war nur Wasser. Es drang in seine Lungen. Er würgte. Er …
»John!«, hörte er eine Stimme. »John, es ist vorbei! Sie sind bei uns!« Hände hielten seinen Kopf, seine Schultern. Hände, die an ihm zogen, ihn zurückholten zu sich selbst.
Aus dem Würgen wurde ein Husten. Er öffnete die Augen. Rhodan und Thora, ihre Gesichter ganz nahe. Voller Sorge.
»John?«, sagte Rhodan. »Geht es wieder?«
»J… ja.« Er hustete. »Der General … man hat ihn gefoltert, in Kolumbien … simuliertes Ertränken. Allein der Gedanke daran, zu ertrinken, löst Panik in ihm aus.«
»Damit können wir ihn brechen!«, sagte Thora. »Er hat größere Furcht vor dem Ertrinken als vor dem Tod!«
»Nein!« Rhodan sagte es laut, aber er schrie nicht.
»Wieso?« Thora musterte ihn befremdet. »Ist mein Plan fehlerhaft?«
»Nein. Aber er ist falsch. Moralisch falsch.«
Es arbeitete in Thora. »Dieser Mann will uns töten. Er will Ihren Traum töten. Das ist moralisch falsch!«
»Das bedeutet noch lange nicht, dass wir uns …«
Eine zweite Explosion erschütterte das Schiff. John Marshall schrie auf, als der Schlag ihn gegen die Wand schleuderte. Er spürte, wie ein Körper auf ihn fiel. Rhodan. Es hatte ihn von den Beinen gerissen. Er kam nicht wieder hoch. Das Schiff begann zu taumeln.
»Dieser unverschämte Emporkömmling!«, schrie Thora. »Was bildet dieser Mensch sich ein?« Die Gurte hielten sie sicher im Sessel. Ihre Hände wischten rasch über das leuchtende Hufeisen. Die Triebwerke brüllten auf, setzten mit einer Wucht ein, die Marshall die Luft aus den Lungen presste. Nach langen, endlos langen Sekunden ließ der Druck wieder nach.
»De Soto!« Ein neues Holo war entstanden. Es zeigte den wuchtigen Soldaten. Er war auf den Knien.
»Hören Sie auf der Stelle mit diesem Unsinn auf!« Thora forderte es in demselben Tonfall, wie man ein Kind zurechtwies.
Der General blinzelte. Er war ein feinfühliger Mann. »Sie zwingen mich zu diesem ›Unsinn‹. Wenn Sie dem gesunden Menschenverstand folgen würden und …«
»Das ist mir unmöglich.«
»Machen Sie sich nicht kleiner, als Sie sind. Sie …«
»Ich bin kein Mensch.«
Thora senkte den Kopf, barg das Gesicht in beiden Händen. Ihre langen Fingernägel schnitten in die Haut der Stirn. Sie hob den Kopf wieder und riss sich mit einem Ruck die Maske von der Stirn. Bleiche, makellose Haut kam zum Vorschein. Ein langes arkonidisches Gesicht, in dem zwei Gefühle miteinander stritten: Wut und Ekel.
Die Augen des Generals weiteten sich. »Sie … Sie sind diese Arkonidin! Thora!«
»Richtig. Thora da Zoltral. Aus dem Geschlecht der Gonozal, einer der ältesten, edelsten der Familien, die Arkon zu seiner Größe geführt haben, beispiellos in der Galaxis. Meine Vorfahren sind zu den Sternen vorgestoßen, haben ihre Wunder gekostet, als Ihre Vorfahren noch damit beschäftigt waren, in ihren Höhlen zu frieren und das Mark aus den Knochen ihrer mageren Beute zu schlagen.«
Mit zwei schnellen Handbewegungen machte sie sich von den Kontaktlinsen frei. John Marshall mutete es an, als brenne in den roten Pupillen, die zum Vorschein kamen, ein Feuer. »Thora da Zoltral, die für Barbaren wie Sie nur Verachtung kennt. Thora da Zoltral, die ein Blutbad unter den chinesischen Belagerern der Energiekuppel angerichtet hat. Thora da Zoltral, die vor wenigen Tagen in ihrem gerechten Zorn in diesem Schiff um Ihren lächerlichen kleinen Planeten gerast ist und nach Gutdünken zerstört hat, was ihr nicht gefiel. Sie wollen sich mir ernsthaft entgegenstellen?«
Der General war ein Mann von außergewöhnlichem Mut. »Ja«, sagte er nur und meinte es. John las es in seinen Gedanken.
»Ich räume Ihnen eine letzte Chance ein, General. Ich gebe Ihnen und Ihren Leuten fünf Minuten Ihrer Zeit, die Zentrale und die übrigen Teile des Schiffs zu räumen und sich in Hangar vier zu versammeln. Ich sichere Ihnen bei der Ehre meines Geschlechts zu, dass Sie und Ihre Soldaten ungeschoren bleiben und nach der Landung des Schiffs in Ihre Heimat zurückkehren dürfen.«
»Sie verkennen die Lage, Thora da Zoltral. Ich bin es, der die Forderungen stellt.« Der General hatte die Hände in die Hüften gestemmt. Auf seiner Stirn traten Zornesadern hervor.
Die Arkonidin ging nicht darauf ein. »Sie glauben, für eine gerechte Sache zu kämpfen, General, nicht?«
»So ist es.«
»Wofür? Für eine Nation?«
»Ja. Die Vereinigten Staaten von Amerika.«
»Glauben Sie, dieser lächerliche Planet wäre amerikanisch? Sein Mond, auf dem Ihresgleichen Ihre lächerliche Flagge gepflanzt haben? Dieses Sonnensystem? Diese Galaxis?«
»Die Ideale unserer Nation sind universell.«
»Verschonen Sie mich mit Ihrem Geschwätz von Idealen, General! Sie drohen, mich umzubringen. Mich, meine Kameraden und Ihre Soldaten!«
»Es ist mein Ideal, für meine Nation selbst das letzte Opfer zu bringen.«
Thora schwieg einige Sekunden. Dann sagte sie leise: »Sie glauben, Sie haben nichts zu fürchten, General, nicht wahr?«
»Ich kenne den Tod zu gut, um ihn zu fürchten.«
»Sie täuschen sich«, sagte Thora leise.
Das unterdrückte Dröhnen der Triebwerke, die das Schiff in der Luft hielten, verstummte abrupt. Sie fielen.
»Erinnern Sie sich an Kolumbien, General?«, fragte Thora. »Ein schmutziger Krieg, um ein schmutziges Geschäft zum Stillstand zu bringen. Sie und Stan haben dort aus tiefster Überzeugung gekämpft. Für eine gerechte Sache. Trotzdem haben Sie dort gelernt, was Furcht bedeutet …«
»Was … Woher wissen Sie von …?«
»Ich weiß es, General. Ich weiß noch viel mehr über Sie. Und ich wünsche Ihnen und den Ihren nur das Beste. Ich bin sicher, Ihr Sohn Philip wird durchkommen.«
»Woher …?« Der General brach ab. »Kein Mensch kann das wissen!«
»Sie vergessen, mit wem Sie es zu tun haben. Ich bin kein Mensch. Ihre Erde ist nicht mehr der exklusive Spielplatz Ihrer Art. Sie wird es nie wieder sein.« Thora sah auf das leuchtende Hufeisen. »Eintausend Meter Höhe.« Sie blickte wieder auf. »Aber zurück zur Furcht. Man hat Sie in Kolumbien gefoltert, General. Doch man hat Sie nicht brechen können. Bis zu dem Tag, als man Ihnen ein Tuch über das Gesicht …«
»Hören Sie auf!«
»Wieso sollte ich? Es muss furchtbar sein, zu ertrinken – was glauben Sie?« Sie warf einen weiteren Blick auf das Hufeisen. »Keine fünfhundert Meter mehr. Unter uns ist der Nordatlantik. Wasser. So weit das Auge reicht.« Thora legte die linke Hand auf das leuchtende Hufeisen. Das Fallgeräusch veränderte sich, wurde zu einem Pfeifen. »Riechen Sie die salzige, würzige Luft, General? Seeluft. Sie dringt durch die offenen Schleusen des Schiffs …«
Die Triebwerke setzten ein, bremsten den Fall. Ein harter Schlag folgte. Etwas klatschte gegen den Rumpf. Es waren Wellen.
Wasser!
John Marshall hörte den General in Gedanken aufschreien.
»Sie kennen sich doch auf diesem Planeten aus, General. Was glauben Sie, wie tief ist das Meer an dieser Stelle?«
De Soto zitterte. Das Schiff begann zu schaukeln, als der Wellengang es erfasste.
»Wieso antworten Sie mir nicht, General? Sie sind doch sonst nie um eine Antwort verlegen …«
Thora rief weitere Holos auf. Sie zeigten, wie dunkles Meerwasser in reißenden Strömen in das unterste Deck des Schiffs strömte. »Hier, General, Sie sollen den Untergang auch miterleben.« De Soto sah nach oben. Thora musste dieselben Holos in die Zentrale geschaltet haben.
»Was glauben Sie, General, wie lange wird das Schiff brauchen, um zu sinken?«
»Das werden Sie nicht zulassen!«
»Glauben Sie etwa, Sie wären hier der Einzige, der bereit ist, sein Leben für eine gerechte Sache zu opfern? Was, denken Sie, ist das Fundament des Großen Imperiums? Es sind nicht unsere Kriegsschiffe, unsere technologische Überlegenheit. Nein. Es ist die bedingungslose Opferbereitschaft der Arkoniden. Es ist mir eine Genugtuung, meinen Ahnen die Ehre zu erweisen!«
Das Schiff begann zu sinken. Das Wasser des Atlantiks lief durch eines der Löcher im Rumpf herein. Das Schiff legte sich langsam zur Seite.
»Aber keine Sorge, General. Sie werden nicht lange leiden. Wie lange kann ein Mensch ohne Luft überleben? Eine, vielleicht zwei Minuten, dann ist es vorbei. Glauben Sie, dass Ihre Ahnen Sie im Jenseits erwarten?«
»Ich … ich …« John Marshall stöhnte auf, als die Panik des Generals seine eigenen Gedanken überschwemmte. Dann, übergangslos, war es vorbei. De Soto war gebrochen.
»Sie haben gewonnen, Arkonidin«, flüsterte der General tonlos. »Wir ergeben uns.«
»Begeben Sie sich in den Hangar!«
Thora beugte sich über das Hufeisen. Mit heulenden Triebwerken befreite sich das Schiff aus den Wellen.
14.
26. Juli 2036
Julian Tifflor
»Aus dem Weg!«
Julian Tifflor sah in die Mündung des Sturmgewehrs.
Es war, als verlangsame sich die Zeit. Sein Puls, den die Aufregung der Jagd nach den Dieben eben noch hatte hämmern lassen, schien stillzustehen. Julian spürte jeden Stein unter seinen Stiefeln, als schützten ihn keine Sohlen. Die Sonne brannte auf seiner Haut, die heiße Luft stach in seinen Lungen, trocknete ihn von innen aus. Er hatte Durst.
Julian Tifflor hatte Angst. Er wollte weg.
Aber er durfte, nein, er konnte es nicht.
Er zwang seinen Blick weg von dem Gewehr auf den Mann. »Die Waffe ist nichts«, hatte sein Vater ihm immer wieder gesagt, wenn sie auf die Fälle zu sprechen kamen, die er vertrat, »es ist der Mensch, der sie hält, der zählt.«
Der Mann, der die Waffe hielt, war schlank und blass. Er hatte sein Gesicht gewaschen, den Schmutz aus seiner Kleidung geklopft. Er musste es während der Fahrt gemacht haben, mit dem wertvollen Wasser, das er in Terrania gestohlen hatte. Es musste ihm viel bedeuten, wie er auftrat. Und: Was er gestohlen hatte, musste ihm viel bedeuten. Sonst hätte er sich nicht dazu herabgelassen, sich zu beschmutzen.
»Hörst du nicht?«, brüllte der Mann. Englisch war nicht seine Muttersprache, das harte, rollende »R« verriet es. »Aus dem Weg!«
Als Julian ein Kind gewesen war, hatte sein Vater einmal einen Einbrecher in ihrem Haus gestellt. Er war bewaffnet gewesen. Sein Vater, der eben erst für die National Rifle Association einen Präzedenzfall gewonnen hatte, der den freien Zugang zu Handfeuerwaffen absicherte, war unbewaffnet gewesen – für sich persönlich lehnte er Schusswaffen ab. Julians Mutter, die niemals die Fassung verlor, hatte seinen Vater hinterher angeschrien. Wie hatte er nur so verrückt sein können, sich mit bloßen Händen einem Bewaffneten entgegenzustellen?
Sein Vater hatte geantwortet: »Es war nicht verrückt. Ich war stärker als er. Ich wusste, dass ich für eine richtige Sache stand. Er wusste, dass es falsch war, was er tat.«
Die Antwort hatte sich Julian eingeprägt. Aber erst jetzt, Tausende Kilometer entfernt, in dieser Wüste, verstand er sie ganz.
Dieser Mann und seine Begleiter hatten gestohlen. Arkonidische Technik, von der sie sich wohl Geld und ein Leben in Luxus erhofften oder was auch immer. Ihr Antrieb war stark – aber verglichen mit seinem war er schwach.
Julian Tifflor wusste, dass er für eine richtige Sache stand. Er war stärker als der Mann mit dem Gewehr.
»Nein«, sagte er.
Julian sah über den Mann hinweg auf dessen beide Begleiter, die sitzen geblieben waren und zu dem Gewehr aufblickten. Eine Frau und ein Mann. Ihre Augen waren geweitet. Als fürchteten sie den Mann mit dem Gewehr.
Mildred und Timothy hatten aufgeschlossen. In Rufweite, aber viel zu weit entfernt, um ihm helfen zu können. Timothy hatte sich über sein Tablet gebeugt, schien alles um sich herum vergessen zu haben. Er murmelte vor sich hin. Mildred suchte Blickkontakt mit Julian und schüttelte langsam den Kopf. Sie kannte ihn. Sie wusste, dass er nicht nachgeben würde. Sie hielt ihn für verrückt – und gleichzeitig liebte sie ihn dafür. Ein warmes Gefühl breitete sich in Julians Bauch aus, stärkte ihn.
»Zum letzten Mal, Junge!«, schrie der Mann. »Geh aus dem Weg! Du hast kein Recht, uns aufzuhalten!«
»Sie irren sich. Ich habe das Recht.«
»Ja? Gehört dir etwa die Wüste?«
»Ja. Genauso wie Ihnen und Ihren Freunden. Ich bin Terraner.« Er legte eine Hand auf die Armbinde, die er in Terrania erhalten hatte. »Genauso wie ihr Terraner seid. Die Erde gehört uns allen, genauso wie diese Wüste und Terrania – und alles, was dazugehört. Aber ihr habt gestohlen! Ihr seid Diebe!«
»Du bist verrückt, Junge!«
»Das höre ich öfter.«
»Wo ich herkomme, macht man mit Verrückten kurzen Prozess.« Der Mann schoss. Die Kugel schlug zu Julians Füßen ein, spaltete einen Stein und raste als Querschläger weiter. Das Echo des Knalls untermalte ihr Heulen.
Julian Tifflor wäre am liebsten davongerannt und hätte sich verkrochen.
Er rührte sich nicht.
Die Frau, die auf dem Rücksitz saß, schnellte hoch, wollte dem Schützen eine Hand auf den Arm legen. Aber im letzten Moment zögerte sie, sank wieder auf den Sitz zurück. In dem Winkel seines Geistes, der nüchtern beobachtete, registrierte Julian, dass sie zierlich war. Eine Asiatin, jünger als die beiden Männer.
»Das nächste Mal ziele ich auf dich. Aus dem Weg!«
»Nein!«
»Wie du willst. Ich habe dich gewarnt.« Der Mann hob das Sturmgewehr erneut und zielte.
Julian Tifflor schloss die Augen. Er dachte an seinen Vater, der niemals nachgab, wenn er für eine Sache eintrat, die er für gerecht hielt. An Mildred, die sich von niemandem etwas vorschreiben ließ. An Ernst Ellert, der alles für seinen Traum gegeben hatte und jetzt im Niemandsland zwischen Leben und Tod in einem Keller in Terrania lag. Er …
»Sie sind kein Mörder, Raskujan«, rief plötzlich eine Stimme. »Legen Sie die Waffe weg!«
Julian öffnete die Augen. Ein Mann stand neben ihm, gedrungen und kräftig. Er hatte kurze rote Haare. Eine Wunde, kaum verheilt, zog sich über seine linke Wange. Eine zweite verlief entlang der Augenbraue. War das nicht …?
»Reginald Bull!«, rief der Mann mit dem Gewehr. »Wie kommen Sie hierher?« Der Lauf des Gewehrs senkte sich etwas.
Bull ging nicht auf die Frage ein. »Noch einmal: Legen Sie das Gewehr weg, Raskujan. Es passt nicht zu Ihnen. Nicht annähernd so gut wie das Sektglas, das Sie in der Hand hielten, als wir uns das letzte Mal in Baikonur gesehen haben.«
»Das ist lange her.«
»Keine drei Jahre.«
»In einem anderen Zeitalter.« Der Lauf des Gewehrs ruckte hoch. Raskujan hatte sich entschieden. »Das ist vorbei! Und jetzt gehen Sie aus dem Weg – beide!«
»Ich denke nicht daran. Und ich bin sicher, wir werden zu einer vernünftigen Lösung kommen – wie zivilisierte Menschen.« Bull schnippte mit dem Finger. Er hob den Kopf, sah demonstrativ nach oben.
Julian folgte seinem Blick. Überall auf den Felsen waren chinesische Soldaten in Position gegangen. Es mussten ein Dutzend oder mehr sein. Sie hatten ihre Gewehre auf Raskujan gerichtet.
Raskujan schwieg. Er blinzelte, als traue er seinen Augen nicht, wolle er die plötzliche Wendung der Ereignisse nicht wahrhaben. Dann senkte er das Sturmgewehr, sicherte es und warf es neben den Geländewagen. Verächtlich, als ärgere er sich über sich selbst, so tief gesunken zu sein, zu Gewalt zu greifen.
»Ich wusste, dass ich mich auf Sie verlassen kann, Raskujan.« Bull nickte zufrieden. »Und jetzt will ich wissen, was hier los ist! Wieso fuchteln Sie mit einem Gewehr herum?«
»Ich habe lediglich versucht, den Weg frei zu machen.«
»Wohin fahren Sie?«
»Wohin wohl? Nach Hause.«
»Terrania gefällt Ihnen nicht?«
»Terrania ist ein schlechter Scherz!« Raskujan ballte die Hände. »Es soll die Hauptstadt der Erde sein, der Ort, von dem wir zu den Sternen aufbrechen sollen. Und Sie lassen die Leute mit Klappspaten im Boden wühlen! Meine Freunde und ich haben genug davon. Das ist alles. Wir waren auf dem Weg nach Hause – und dann kommt dieses halbe Kind und stellt sich uns in den Weg! Sagen Sie ihm, er soll verschwinden!«
Bull wandte sich an Julian. »Wir kennen uns noch nicht. Wer bist du?«
»Julian … Julian Tifflor.«
»Und die beiden?« Bull nickte in Richtung seiner Freunde, die von der Maschine gestiegen waren, aber weiter Abstand von dem Geländewagen hielten.
»Mildred und Timothy. Wir sind Freiwillige.«
»Das dachte ich mir. Wieso haltet ihr Raskujan auf?«
»Er ist ein Dieb!« Julian berichtete von der Versorgungsstelle und den Vorfällen des Morgens.
»Der Junge phantasiert!«, rief Raskujan.. »Was ist schon dabei, Wasser zu holen? Wir brauchen es, um Terrania verlassen zu können. Die Wüste ist groß. Was soll daran ein Verbrechen sein?«
»Das werden wir sehen«, sagte Bull nur.
Er gab den Soldaten ein Zeichen. Zwei von ihnen blieben auf den Felsen, die übrigen kletterten herunter auf den Weg und umstellten den Geländewagen. Bei ihnen war eine Frau. Eine Europäerin, vielleicht Mitte zwanzig. Als sie Julians neugierigen Blick bemerkte, wandte sie den Kopf ab. Doch Julian entging nicht, dass ihre Augen rot unterlaufen waren. Als hätte sie vor Kurzem noch geweint. Wer war diese Frau? Was tat sie bei Bull?
Die Soldaten machten sich daran, den Geländewagen zu durchsuchen. Raskujan und seine Begleiter stiegen aus, verfolgten trotzig den Vorgang. Der Mann war kräftiger als Raskujan. Seine Züge waren kantig, ließen ihn auf den ersten Blick hart erscheinen. Doch in seinem Blick lag eine Wärme, die überraschte. Er nahm die zierliche Asiatin in die Arme, flüsterte ihr beruhigend ins Ohr. Julian registrierte, dass der kleine Finger ihrer linken Hand ungewöhnlich kurz war. Die Spitze mit dem Nagel fehlte.
Mildred kam zu Julian, nahm seine Hand. »Alles in Ordnung?«
Er drückte ihre Hand. »Ja, klar.«
Sie erwiderte seinen Händedruck. So fest, dass es wehtat. »Von wegen ›ja, klar‹! Wenn du noch einmal so ein Ding bringst, erschieße ich dich persönlich, klar?«
Die Durchsuchung dauerte nur Minuten. Neben einem Verbands- und Werkzeugkasten förderte sie Proviant, eine große Reisetasche, drei Schlafsäcke und Matten sowie einen Rucksack zutage. Die Soldaten legten sie neben dem Wagen auf dem Boden ab.
»Darf ich bitten?«, sagte Bull.
Raskujan ging in die Knie und öffnete zuerst die Tasche, anschließend den Rucksack. Er verteilte den Inhalt auf dem Geröll. Eine Uniform kam zum Vorschein, ähnlich der, die Raskujan trug. An den Ärmeln waren russische Flaggen aufgenäht. Weitere Kleidungsstücke, ein Kulturbeutel, mehrere Tablets.
»Habe ich es nicht gleich gesagt?«, sagte Raskujan. »Der Junge phantasiert!«
Julian spürte, wie ihm Röte ins Gesicht schoss. »Aber das ist unmöglich! Ich habe es mit eigenen Augen gesehen. Sein Rucksack war prall! An einer Stelle hatte sich Metall durch den Stoff gebohrt und stand heraus!«
Raskujan nahm den Rucksack, drehte ihn. »Ich sehe kein Loch.«
»Dann …« Julian überlegte. »Dann müssen Sie den Rucksack weggeschafft haben!«
»Natürlich. In der Wüste. Erst sollen wir ach so wertvolle Arkonidentechnik gestohlen haben – und dann werfen wir sie einfach weg. Der Junge ist verrückt!« Raskujan stemmte beide Hände in die Hüften.
Bull schwieg einige Sekunden lang, als wäre er in Gedanken. Er warf der Frau mit den traurigen Augen einen Blick zu, dann nickte er langsam. »Sie können gehen, Raskujan«, sagte er. »Entschuldigen Sie bitte, dass wir Sie aufgehalten haben. Aber auch wenn Terrania Sie enttäuscht hat, werden Sie sicherlich verstehen, dass wir in keiner einfachen Lage sind und jedem Hinweis nachgehen müssen.« Er gab den Soldaten ein Zeichen. Zwei von ihnen schoben Julians Bullet zur Seite, damit der Geländewagen passieren konnte.
Raskujan und seine Begleiter packten ihre Habseligkeiten ein und verstauten sie wieder auf der Ladefläche.
Reginald Bull wünschte ihnen eine gute Fahrt. Raskujan bellte etwas, das im Aufheulen des Motors unterging. Sekunden später war der Geländewagen um die nächste Biegung des Tals verschwunden.


