Kitabı oku: «Die Zecke», sayfa 4
6. Ein wirklich guter Makler
Es war Samstag. Heute sollte die Suche nach einer Eigentumswohnung aber wirklich beginnen. Daran würde mich auch heute nichts und niemand hindern. Mama hatte zwar heute früh angerufen und gesagt, dass bei Onkel Heinrich nun wirklich mit dem Ableben zu rechnen sei, aber das war noch lange kein Grund die Sache abzublasen. Onkel Heinrich lag immerhin schon seit acht Jahren im Sterben.
Im Immobilienteil unserer Tageszeitung durchforstete ich die Kleinanzeigen. Mettbrötchen kauend las ich Britta die Anzeigen vor. Aber mit Britta würde es nicht einfach werden, etwas Passendes zu finden. „Lichtdurchflutetes Drei-Zimmer-Appartement, 75 qm, in gepflegter Parkanlage; Souterrain”, las ich ihr gerade vor. Während Britta ihr Müsli wegpickte, fuhr sie mich an: „75 qm! Hartmut, ist das dein Ernst? Da kannst du uns ja gleich einen Baucontainer besorgen! Und wo soll die Lichtflut im Souterrain herkommen? Etwa durch den Gully? Wahrscheinlich wird die Bude wegen akuter Überflutungsgefahr verhökert.”
So ähnlich ging es weiter. Irgendwann war sie mit ihrer Geduld am Ende und riss mir die Zeitung aus den Händen.
Es war schon eigenartig: Frauen wurden immer fündig! Ich konnte stundenlang durch die Stadt gehen ohne auch nur einen Cent auszugeben. Britta hätte mühelos einen mittelprächtigen Sechser im Lotto innerhalb eines Vormittages verjubeln können.
„Schau mal, Hartmut”, sagte sie jetzt, „120 qm, vier Zimmer, in bester Lage, frei zum 1.3., 110.000 Euro Verhandlungsbasis, Billstein-Immobilien.”
„Na”, entgegnete ich, „da steckt doch ein ganz dicker Pferdefuß dahinter! Bei dem Text höre ich ja jetzt schon eine ganze Pferdekoppel wiehern!”
Billstein kannte ich bestens vom Finanzamt. Er war einer der treusten Kunden der Vollstreckungsstelle und hatte ein Abo auf demTourenplan unserer Vollziehungsbeamten. Aber Britta hatte den Angelhaken bereits verschluckt. Und ich wusste ganz genau, je mehr ich jetzt an dem Haken ziehen würde, desto tiefer hätte er sich ins Fleisch gebohrt und der Samstagmorgen hätte überaus ungemütlich geendet. Deshalb rief ich brav bei Billstein an. Noch lachte Billstein am Telefon. Billstein ahnte noch nicht, dass ich ihn durchschaut hatte.
Ja, es wäre „zufällig” noch ein Termin um 12:00 Uhr frei. Ob er uns denn abholen könnte, fragte er. Das fehlte noch! Womöglich sah mich noch einer von den Kollegen in seinem Zuhälterschlitten.
Das Haus lag in der Gartenstraße. Vor dem Haus stand ein grauer Lieferwagen. Es war ein von der Straße etwas abgelegenes Zweifamilienhaus, zugewachsen mit wildem Wein. Wirklich romantisch. Vielleicht hatte ich mich ja doch getäuscht.
Britta war sofort ganz aus dem Häuschen: „Haben wir ein Schwein, Hartmut!”, rief sie begeistert. „Hoffentlich ist die Wohnung noch nicht weg!” Ich blieb skeptisch. „Wollen sehen, welche Sauerei sich Billstein ausgedacht hat”, murmelte ich pessimistisch.
Die Gartenstraße war eine gemütliche Wohn- und Spielstraße, überwiegend mit Einfamilien- und Reihenhäusern bebaut. Das Straßenpflaster war in kurzen, regelmäßigen Abständen mit Bodenwellen durchzogen, um die Autofahrer zum Langsamfahren zu nötigen. In einer solchen Umgebung sollten mal unsere Kinder aufwachsen.
Warum war ich nur immer so argwöhnisch? Doch, ich muss mir eingestehen, mein Beruf hatte mich mit den Jahren verändert. Früher hatte ich noch an Tugenden wie Aufrichtigkeit und Rechtschaffenheit geglaubt. Doch mit jeder Steuererklärung, die durch meine Hände ging, verstärkten sich die Zweifel, schwand der Glaube an das Gute im Menschen. Und wenn ich glaubte, endlich eine ehrliche Haut vor mir zu haben und mein Lineal nahm, um auf dem Stadtplan routinemäßig die Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte abzugleichen, musste ich immer wieder traurig feststellen: Auch dieser Steuerpflichtige – dazu noch ein Pastor – war schwach geworden und hatte um ganze zwei Kilometer aufgerundet! Das hätte ich von einem Gottesmann nicht erwartet! Heute waren es zwei Kilometer – und morgen? Wie viele waren es morgen, wenn die Sache unentdeckt blieb?
Ich betrachtete das Haus mit den heimeligen Gauben und den Fensterläden. Der wilde Naturgarten mit den terrassenförmigen Beetanlagen aus gelben Natursteinen passte zu dem Haus. Doch, das hatte was! Und 110.000 Euro war wirklich ein guter Preis, da konnte man nicht meckern. Während wir auf Billstein warteten dozierte ich: „Wenn man ein wirklich gutes Objekt sucht, muss man eben auch zu einem wirklich guten Makler gehen.”
12:15 Uhr – nichts tat sich. Wir warteten eine weitere Viertelstunde. Britta sah mich vorwurfsvoll an, als wenn es meine Schuld gewesen wäre, dass er nicht kam. So schnell wie mein Zutrauen zu Billstein gewachsen war, schmolz es von Sekunde zu Sekunde dahin. Ich hätte doch lieber auf mein Gefühl hören sollen. Warum war ich überhaupt auf die blöde Idee gekommen, mir ein Haus von Billstein anzusehen? Wir wollten gerade wieder wegfahren, da bog plötzlich ein weißer VW Polo in die Straße ein. Er fuhr etwas zu schnell auf die erste Bodenwelle zu. Der Spoiler kam auf dem Pflaster auf und es knirschte hässlich. Dann schepperte es noch einmal, als die Hinterachse in die Kuhle hüpfte. Jetzt hatte es vermutlich den Auspuff erwischt, denn der Polo röhrte nun wie ein Panzer. Die Baufirma, die diese Spielstraße angelegt hatte, verstand wirklich etwas von ihrem Handwerk.
Billstein war eine Frau, Anfang 20. Sie steckte in einem hautengen, samtigen Kostüm und bewegte sich wie eine Gepardin vorwärts. Eigentlich hatte ich mir vorgenommen, Billstein wegen seiner Unpünktlichkeit eine beachtliche Szene zu machen. Doch dieser Anblick hätte mich auch für eine zweistündige Verspätung entschädigt. Bei jedem Atemzug wurde ihr üppiger Busen wie von einer Luftpumpe aufgeblasen. Für das Kleid war es eine Gnade, dass es über einen hohen Stretchanteil verfügte.
Bemerkenswert, wie sie auf den an ihrem VW Polo entstandenen Schaden reagierte. Wenn ich an ihrer Stelle gewesen wäre, hätte ich mich zur Bestandsaufnahme erst einmal wütend unter den Wagen geschmissen und anschließend den Oberstadtdirektor und das zuständige Bauamt angezeigt.
Sie schaute nur kurz auf den verbogenen Auspuffstummel, zuckte mit den Achseln, lachte schrill auf und flötete: „Die Autos sollten alle ein bisschen höher gelegt werden.” Das war bei ihr bereits geschehen. Ihr prachtvoller Oberbau wurde von nicht enden wollenden Schenkeln getragen. Britta warf ihr einen eifersüchtigen Blick zu.
Fräulein Bremer gab uns beiden die Hand. Keine Papphand, sondern ein angenehmer kurzer, fester Händedruck, der etwas sympathisch Verbindliches an sich hatte, eben ganz nach meinem Geschmack. Sie sagte, sie freue sich, im Namen von Billstein-Immobilien uns dieses Objekt präsentieren zu dürfen. Sie hätten gerade erst den Auftrag für dieses wirklich einmalige Objekt angenommen. Ja, wir freuten uns auch ganz riesig, bekundete ich eifrig. Fräulein Bremer machte wirklich einen ausgesprochen kompetenten Eindruck! Britta sagte fordernd und mit einem aggressiven Unterton: „Nun lassen Sie uns schon hineingehen.”
„Wenn Sie noch einen ganz kleinen Augenblick warten würden”, entgegnete Fräulein Bremer. „Ich muss uns nur eben bei dem Mieter anmelden.” Sie verschwand hinter der Hecke.
Am Zaun hing ein Warnschild, auf dem eine wolfsähnliche Bestie die Zähne fletschte. Über einem Knochenhaufen stand in roter Schrift: „Leichen säumen meinen Weg!” Ich zeigte Britta das Schild und wir mussten beide lachen. Gleich würde ein niedlicher, verspielter Dackel Schwanz wedelnd auftauchen und unsere Schuhe ablecken.
Kein Dackel, stattdessen ertönte ein spitzer Schrei! Fräulein Bremer kam mit langen Sätzen auf das Gartentor zugelaufen, direkt gefolgt von einer Bestie in der Größe eines Schäferhundes. Es war eine bemerkenswert hässliche Abart: lange, dünne Beine,ein wurstartiger Körper mit grauem Fell fußmattenartiger Konsistenz. Seine kleinen stechenden Augen fixierten Fräulein Bremers wohlgeformte Waden. Bei seinem starken Kiefer würde es nur einmal kurz „Knack” machen – als wenn man einen Hähnchenflügel durchbeißt.
Ich hielt Fräulein Bremer das rettende Gartentor auf. Noch konnte sie es schaffen. Aber Angst macht dumm. Sie lief genau in die entgegengesetzte Richtung auf eine undurchdringliche Dornenhecke zu. Mit dem Mut der Verzweiflung warf sie sich über die Hecke. Das blutrünstige Monster schaffte es im letzten Moment, sie in ihre Wade zu zwacken. Sie schrie gellend auf und landete unsanft auf dem Bürgersteig. Wir liefen schnell zu ihr und halfen ihr wieder auf die Beine. Sie blutete zwar nicht, aber ihre Wade schwoll bedrohlich an. Das Hascherl hinkte mit schmerzverzerrtem Gesicht zu ihrem Wagen und rief über Handy ihren Chef an. Obwohl wir einige Meter entfernt standen, hörten wir, wie Billstein cholerisch in den Hörer schrie. Fräulein Bremer setzte sich ins Auto und stöhnte leise vor sich hin. Natürlich wollte ich ihr hilfreich zur Seite stehen, witterte die Chance, diese unglaublichen endlosen Schenkel einmal aus nächster Nähe betrachten oder vielleicht sogar massieren zu dürfen, aber Brittas Blicke sagten mir: „Das lass lieber schön bleiben…” Also warteten wir wieder.
Erst hörten wir ihn – nach dem Auspuff zu urteilen war er schon mehrfach in der Bodenwelle hängen geblieben – dann katapultierte ein Ungeheuer von Chevrolet die Gartenstraße entlang. Was jetzt kam kannten wir schon: In der Senke schlug der Spoiler auf und brach auseinander. Die großkotzige Angeberschnauze des Chevrolets wirkte jetzt wie eine schmerzverzerrte Fratze. Bei dem anschließenden dumpfen Aufprall beim Durchfahren der Bodenwelle mochte so dieses und jenes gebrochen sein.
Der Original-Billstein war da, er trug eine Camel-Lederjacke und eine dicke Havanna im Maul. Sein Chevrolet gehörte zu den Gliedmaßen, mit denen er sich überwiegend fortbewegte. Er stieg nuraus, um einem armen Idioten eine Immobilie aufzuschwatzen oder den Geschlechtsakt zu vollziehen.
Als er den Schaden sah, war er wie von Sinnen, schmiss sich unter den Wagen, um das ganze Ausmaß der Bescherung zu begutachten. Dabei tunkte er seine Lederjacke in eine Öllache, die sich unter dem Wagen gebildet hatte.
Er tauchte unter dem Ungeheuer wieder auf, sah den Fleck und fluchte: „… ich murkse sie ab, diesmal murkse ich sie ab!”
Wen oder was er abmurksen wollte, blieb dabei bedrohlich unklar. Dann holte er aus dem Auto einen langen, schwarzen Schirm mit eisenbeschlagenen Schaft.
„Der Mieter macht manchmal ein bisschen Zoff, muss natürlich raus, sobald der Kaufvertrag unterschrieben ist”, sagte er grimmig. „Aber ich habe jetzt alles geklärt. Wir können uns die Wohnung ohne Probleme ansehen.” Er warf Fräulein Bremer einen verächtlichen Blick zu.
Auch Billstein hinkte ein bisschen. Er hinkte uns voran, wir gingen zögernd und mit einem gehörigen Sicherheitsabstand hinterher, jederzeit zur Flucht bereit.
Die Wohnung lag im Obergeschoss. Während wir die Treppen hinaufstiegen, erwähnte Billstein: „Ich muss gestehen, dass ich die Wohnung noch gar nicht von innen gesehen habe. Sie könnte möglicherweise leicht renovierungsbedürftig sein.” Eine ähnliche Formulierung hat der Makler, der die total verwohnte Grotte in dem Haus meiner Eltern an den Mann bringen wollte, auch immer gebraucht – selbst beim 22. Interessenten. Mir schwante daher das Schlimmste!
Im Treppenhaus hauchte ein Usambara-Veilchen sein Leben aus. Am Fenster strickten sich die Spinnen ihre Hintern wund und verendete Fliegen säumten das Fensterbrett.
Billstein klingelte an der Wohnungstür. Man sah noch die verblasste Stelle, an der mal ein Türschild geklebt hatte. Billstein zupfte an seinem Oberlippenbärtchen und war sichtlich nervös.
War die Bestie etwa in dieser Wohnung? Manche Mieter werden ja richtig ungezogen, wenn sie eine Kündigung erhalten. Manchmal schlachten sie sogar den Makler ab – so stand es jedenfalls gestern in der Zeitung. Warum soll so etwas immer ganz weit weg passieren? Man weiß ja nie, welche Flöhe gerade in den Gehirnwindungen der Leute herumkrabbeln und so mancher Spätfilm im Fernsehen gibt wertvolle Anregungen über geeignete Vollstreckungsmethoden.
Die Tür öffnete sich einen Spalt breit. „Morgen, Herr Kowallick!”, bemühte sich Billstein um einen freundlichen Tonfall.
„Sie schon wieder!”, knurrte Kowallick, drehte sich um und ließ uns ohne weitere Beachtung stehen.
Kowallick war eine von Weinbrand und Zigarren ausgelutschte Gestalt mit brauner Cordhose, die nur von einem Gürtel an dem ausgemergelten Leib gehalten wurde. In einer Ecke des Wohnzimmers lag die Bestie. Mit tückischem Blick beobachtete sie jede unserer Bewegungen.
Plötzlich sprang sie auf und jagte durch den Raum. Ich versuchte mich, so gut es ging, hinter Brittas breitem Rücken zu verstecken. Erleichtert stellte ich jedoch fest, dass wir für die blutrünstige Fressmaschine uninteressant waren. Sie stürzte in eine Ecke des Flures und schlug mit der Tatze auf etwas ein, was ich von meinem Platz aus nicht erkennen konnte. Kowallick, der im Wohnzimmer in einem Sessel Platz genommen hatte und in einer Tabakdunstglocke saß, blickte auf und rief dem Monster anerkennend zu: „Na, Highlander, hast du wieder eine erlegt? Zeig doch mal her!” Der Highlander hörte aufs Wort und kam zu ihm. Er trug vorsichtig etwas im Maul und spuckte es vor Kowallicks Füßen aus. Kowallick nahm es in die Hand.
„Ein Prachtexemplar!”, strahlte er. „Du bist doch ein Goldjunge!” Der Highlander wedelte stolz mit dem Stummelschwanz.
„Schauen Sie doch mal!”, forderte er uns auf und winkte uns zu sich herüber. Da war jedoch Billstein zur Stelle. Erbost ging er auf Kowallick zu und versperrte uns den Weg.
„Kowallick, jetzt ist Schluss!”, knurrte er und streckte ihm bedrohlich die Stahlspitze des Schirms entgegen.
Kowallick aber ließ sich nicht beirren. „Die Herrschaften können ruhig wissen, was hier los ist!”, sagte er, hob schnell die Hand und streckte uns einen kleinen, braunen Insektenkörper entgegen. „Alles verseucht mit Kakerlaken und anderem Ungeziefer!”
Jetzt war es aber um Billsteins Beherrschung geschehen. Er baute sich drohend vor Kowallick auf, setzte ihm die Stahlspitze des Schirms an den Hals und zischte: „Kowallick, ich glaube wir müssen uns jetzt mal ernsthaft unterhalten! Wenn ich eines nicht liebe, dann sind es Subjekte, die meinen, sie könnten mir in meine Geschäfte hineinpfuschen!”
Kowallick ließ sich davon jedoch nicht beeindrucken, lachte nur belustigt auf, schnippte die Kakerlake mit dem Finger weg und wandte sich uns wieder zu: „Die verdammten Viecher sind ganz schön schwer zu fangen. Aber der Highländer ist flink. Dem entwischt so schnell keine.” Dabei streichelte er den Kopf der Bestie. Der Stummelschwanz des Highlanders wedelte im Akkord und bei dem Stichwort „Kakerlake” sabberte er aus dem Maul wie ein Springbrunnen. „Solange die Viecher mich nicht auffressen ist mir das egal.” Kowallick nahm einen Schluck aus seiner Wodka-Flasche und rülpste unanständig.
Billstein trat vor Wut gegen einen Hocker, der zufällig in seiner Nähe stand. Sein Gesicht war knallrot verfärbt und eine dick angelaufene Ader auf seiner Stirn schien einen Kurzschluss anzukündigen. Doch dann besann er sich und kehrte von einer auf die andere Sekunde zu seiner lässig coolen Art zurück: „Alles halb so wild”, sagte er in einem betont gelassenen Tonfall, „hier muss nur einmal ein Kammerjäger kurzen Prozess mit den Viechern machen, dann krabbelt die nächsten zehn Jahre kein Silberfischchen mehr herum.” – und wir vermutlich auch nicht mehr – wollte ich ergänzen. „Für den Preis finden Sie in dieser Gegend jedenfalls keine Wohnung! Und schauen sie sich nur diesen Zuschnitt an!”, bemühte er sich weiter.
Da musste ich ihm wirklich recht geben: Die Wohnung war ansonsten nicht schlecht. Und wenn erst einmal eine neue Tapete an den Wänden klebte, sah alles bestimmt schon ganz anders aus.
Aber Kowallick war für Billstein eine harte Nuss. Er sah uns an und fragte mit einem zynischen Unterton: „Sind sie Pilzfreunde?”
„Wieso?”, fragte Britta irritiert zurück.
„Auch Pilzliebhaber kommen hier nämlich voll auf ihre Kosten: Im Badezimmer und der Küche können sie nämlich ganzjährig ernten…”, grinste Kowallick.
Ich wollte eigentlich noch einen Blick ins Bad werfen, aber Britta zog mich unnachgiebig aus der Wohnung. „Komm Hartmut, ich will nur noch raus!”, zischte sie mir zu. Wir stolperten aus der Wohnung. Billstein fing wieder an, mit Kowallick zu streiten und der Highlander stürzte sich auf ein neues Opfer.
Als wir die Treppe hinuntergingen, kam uns eine Gestalt in einem grauen Gummianzug und Gasmaske entgegen. Ich erinnerte mich plötzlich wieder an den grauen Lieferwagen vor der Tür. Der Froschmann streifte die Gasmaske ab und fragte erstaunt: „Wie kommen Sie denn hier herein? Heute ist doch alles abgesperrt! Wir spritzen nämlich FDS 2000.”
„Was ist denn das?”, fragte ich interessiert zurück.
„Ein hochwirksames Nervengift gegen Ungeziefer und aggressive Bakterien. Unsere Hausmarke. Ich bin ganz begeistert! Einmal sprühen, schon kippt alles um – einfach genial! Hätten wir FDS schon 1938 gehabt, hätten wir den Krieg bestimmt gewonnen!”
Wieder im Freien rangen wir nach Luft.
„Das eine will ich dir sagen, Hartmut”, giftete Britta, „ich komme jedenfalls nicht mehr mit, wenn du dir eine Eigentumswohnung anguckst!”
Langsam begriff ich, dass unsere Ehe auf dem Weg zum Teileigentum noch auf eine harte Probe gestellt werden sollte.
7. Teurer Zahnarzt
In der Kantine stieß ich heute als Letzter zu unserer Frühstücksrunde. Britta hatte sich einfach nicht vom Telefon abhängen lassen. Es ging natürlich wieder um die Eigentumswohnung. Immer wieder fing sie an: Wir sollten uns doch lieber in einer anderen Preiskategorie umschauen oder diese bescheuerte Idee einfach vergessen.
Ich setzte mich Frau Stöhr gegenüber. Sie sollte morgen ein neues Gebiss bekommen. Wurde auch langsam Zeit. Ihre Zähne waren so morsch, dass ich anfangs dachte, sie aß gerade Mehrkornbrötchen. Dabei waren es die Zahnbrösel, die da so knackten.
So wie sie heute wieder die Fleischsalatbrötchen wegspachtelte, sprach vieles dafür, dass sie gerade wieder eine Diät überlebt hatte. Man hörte regelrecht die Fettzellen nach Nahrung schreien.
Ihr marodes Gebiss störte mich im Grunde nicht die Bohne. Schließlich brauchte ich sie ja nicht zu küssen.
Es störte mich aber schon, dass ich immer die ganze Gischt durch ihre Zahnlücken abbekam, wenn sie sprach. Heute war es mal wieder besonders schlimm. Ich konnte ihr zu der Idee mit der Runderneuerung wirklich gratulieren. Bestimmt war es für alle ein Gewinn, besonders natürlich für ihren Zahnarzt.
12.000 Euro sollte der Spaß kosten! Elke sagte schmatzend, selbst der Herzschrittmacher ihres Schwiegervaters sei billiger gewesen. Ihr Schwiegervater sei nämlich privat versichert und sie hätte die Originalrechnung über 9.560 Euro selbst gesehen.
Herr Goller meinte, das sei sicher so ein Preisknüller der Chinesen. Die machten jetzt alle platt: Die Amis, die Japaner – und die Deutschen sowieso.
Frau Stöhr jammerte weiter. Das Geld für die Zähne sei eigentlich schon für die neue Garage verplant gewesen.
Frau Stöhr war ein hoffnungsloser Fall. Sie nahm noch nicht einmal an Demonstrationen teil oder besetzte leer stehende Häuser. Sonst hätte sie wenigstens darauf hoffen können, hin undwieder eins auf die Nuss zu bekommen und die Sanierungsmaßnahmen hätten sich dank einer guten Rechtschutzversicherung auf einen armen Idioten abwälzen lassen können.
8. Erste Anschuldigungen
An Frau Hoppe-Reitemüllers Bürotür prangte seit dem 1.6. ein neues Schild: „Frauenbeauftragte”. Das war fast so gut wie „Sachgebietsleiter”. Frau Hoppe-Reitemüller fühlte sich zum ersten Mal in ihrer Finanzamts-Laufbahn wirklich wichtig. Das ultimative Sahnehäubchen war aber die Bemerkung in dem Geschäftsverteilungsplan – das ist das Verzeichnis der einzelnen Schlafplätze im Finanzamt. Da stand hinter ihrem Namen der Zusatz: „zu 33 % freigestellt”. Donnerwetter! Manche Kollegen würden Gliedmaße opfern, um in den Genuss dieses Privilegs zu gelangen.
Wenn sie ehrlich war, hatte Frau Hoppe-Reitemüller mit ihren 55 Jahren im Finanzamt mehr erreicht, als sie sich jemals vorgestellt hatte. Auch in den anderen Abteilungen wurde sie als Beispiel dafür gehandelt, wie man es mit den steuerlichen Fachkenntnissen in der Größenordnung eines Neutrons so weit bringen konnte. Gewiss, aus ihr war keine Staatssekretärin geworden, aber sie hatte es immerhin bis zur Endstufe im mittleren Dienst mit Zulage geschafft. In den knapp 40 Dienstjahren hatte sie im Finanzamt dabei fast alle Stationen durchlaufen, die man durchlaufen kann.
Bei der Abschlussprüfung war sie durch einen glücklichen Umstand durchs Sieb gerutscht. Das Ergebnis der Prüfungen ihres denkwürdigen Jahrgangs war nämlich so niederschmetternd, dass alle Prüfungsergebnisse um eine Note heraufgesetzt werden mussten. Anderenfalls wäre eine Rüge des Ministeriums sicher gewesen. Nach der Prüfung fiel sie zunächst in das Auffangbecken im Finanzamt gestrandeter Existenzen: die Bewertungsstelle. Aufgabe der Bewertungsstelle war vornehmlich die steuerliche Bewertung von Grundstücken. Wie und warum bewertet wurde, hatte sie nie begriffen. Aber was machte das schon, zum einen war sie da nicht die Einzige und zum anderen konnte man in dieser Stelle eigentlich nichts wirklich kaputtmachen. Wenn es einem tatsächlich einmal gelang, etwas zu verbocken, wurde der Vorgangals nichtig wieder aufgehoben. Damals war Frau Hoppe-Reitemüller noch ein richtig knuspriger Eyecatcher. Ihre Sucht nach weißer Trüffelschokolade entwickelte sich erst viele Jahre später, als sie schon längst mit ihrem Norbert verheiratet war.
Als sie irgendwann dem Sachgebietsleiter der Zentral-Registratur, Herrn Klodwig, in der Kantine das letzte Ei überließ, wurde dieser auf sie aufmerksam. Bei der nächsten passenden Gelegenheit, als ihr Chef gerade im Urlaub war, warb er Frau Hoppe-Reitemüller ab. Ihr Anblick ließ Herrn Klodwig über so manche von Frau Hoppe-Reitemüller verursachte Katastrophe hinwegsehen. Als der Wahnsinn, den sie produzierte, auch für Herrn Klodwig nicht länger tragbar war, wurde sie in die nächste Stelle weitergereicht. Und so lange sie noch nett anzuschauen war, fand sich für Frau Hoppe-Reitemüller auch schnell wieder ein Abnehmer. Jetzt, in der letzten Phase ihres Finanzamtsdaseins hatte der Kopf ihr Aufgabengebiet so zugeschnitten, dass die verursachten Schäden überschaubar blieben.
So hatten zumindest alle gedacht. Wenn da nicht diese Steuererklärung des Dr. Winter gewesen wäre. Dr. Winter war ein Busenfreund des Kopfes. Herr Dr. Winter hatte sich eine fürstliche Steuererstattung von 86.000 Euro ausgerechnet und der Kopf hatte bei Sichtung dieser Steuererklärung bereits ein unübersehbares grünes „Ja” auf die Steuererklärung gepinselt. Eine persönliche Dienstanweisung des Präsidenten der Vereinigten Staaten hätte nur unwesentlich mehr Bedeutung gehabt. Aber Frau Hoppe-Reitemüller hatte die Anweisung überlesen – was bei ihr ab und an mal vorkam – und die Steuererklärung nach Herzenslust seziert – was bei ihr eher selten vorkam. Das eigentlich Schlimme daran: Sie hatte ausnahmsweise einmal recht gehabt, und deshalb flog die Sache erst auf, als Herr Dr. Winter wutentbrannt beim Kopf anrief und ihn höchstpersönlich für die Steuernachzahlung von 14.000 Euro verantwortlich machte. Eine Woche hatten der Kopf und seine Handlanger darüber gebrütet, wie sie Frau Hoppe-Reitemüller unschädlich machen könnten.
Die Lösung konnte sich dann auch wirklich sehen lassen: 30 % Fehlzeit durch Krankheitstage hatte Frau Hoppe-Reitemüller ohnehin aufzuweisen, dazu kam noch die Verantwortung für die Freud- und Leidkasse, eine Einrichtung im Amt, die auch die unbeliebtesten Kollegen zum Geburtstag mit einem Blumenstrauß versorgte – vorausgesetzt sie hatten vorher bei Frau Hoppe-Reitemüller den Jahresbeitrag entrichtet. Wenn man dann noch einbezog, dass Frau Hoppe-Reitemüller irgendwann in die Kantine und zur Toilette gehen musste, blieben noch etwa 30 % Zeit für anderweitige Tätigkeiten zur Verfügung. Mit der 33 %igen Freistellung als Frauenbeaufragte war die Amtsleitung somit auf der sicheren Seite. Und dann bestand immer noch die berechtigte Hoffnung, dass die zunehmenden Migräneanfälle eine solide Grundlage für die Frühpensionierung boten.
Nach nur drei Wochen hatte Frau Hoppe-Reitemüller in ihrem neuen Amt schon den ersten Fall. Am Donnerstag gegen 10:00 Uhr, Frau Hoppe-Reitemüller war gerade aus der Kantine zurück, kündigte sich Frau Stöhr telefonisch an. Es wäre etwas Unglaubliches passiert! Sie müsste als Frauenbeauftragte sofort Schritte einleiten. Sie könnte auch vorsichtshalber schon mit der Oberfinanzdirektion Kontakt aufnehmen.
Zu der Kontaktaufnahme kam es allerdings nicht, weil Frau Hoppe-Reitemüller geschlagene eineinhalb Stunden brauchte, um ein Schild für die Besprechung mit Frau Stöhr anzufertigen mit dem Text:
Das fünfte und damit letzte Mal hatte sie das Schild von „Wichtige Besprechung” in „Vertrauliche Besprechung” abgeändert.
Nun saß Frau Stöhr vor ihr. Vor Aufregung hatte ihre sonst blassrosa Gesichtsfarbe in ein kräftiges schweinchenrosa gewechselt und ihre Neurodermitis am Hals war wieder ausgebrochen.
„Beruhige dich doch erst einmal, Angelika!”, versuchte Frau Hoppe-Reitemüller Frau Stöhr zu beschwichtigen.
Aber schon brach es aus Frau Stöhr heraus: „Ich sage es dir, Rita, der Schminke ist jetzt fällig! Das, was ich heute in der Kantine gehört habe, reicht, um ihn dingfest zu machen.”
„Was hat er denn verbrochen?”, fragte Frau Hoppe-Reitemüller neugierig zurück. Der Job als Frauenbeauftragte schien ja richtig spannend zu werden.
„Also Rita, ich habe ganz genau gehört, wie er zu Herrn Goller gesagt hat: Das fette Suppenhuhn aus der Finanzkasse wird aber auch nach jeder Diät schwabbeliger! Das ist doch wohl der Hammer! Und außerdem dreht er sich jedes Mal, wenn ich an ihm vorbeigehe, nach mir um und stiert mir hinterher.”
Frau Hoppe-Reitemüller musste unwillkürlich grinsen. Frau Stöhr war in den letzten Jahren wirklich regelrecht fett geworden. Ihr war neulich schon aufgefallen, dass bedingt durch die vielen Diäten, Frau Stöhrs Haut an den Unterarmen an die labberige Haut eines aufgetauten Brathähnchens erinnerte. Da hatte sie sich doch trotz ihrer 55 Jahre viel besser gehalten (hihihi). Ihre Freundin Sybille hatte sie neulich sogar gefragt, wo sie sich ihren Busen hat machen lassen und Frau Hoppe-Reitemüller hatte stolz verlauten lassen: „Nein, meine liebe Sybille, alles noch Originalzustand! Das einzige Mal in meinem ganzen Leben bin ich bisher nur wegen eines entzündeten Wespenstichs unterm Messer gewesen.”
„Hast du denn Zeugen?”, fragte Frau Hoppe-Reitemüller Frau Stöhr. Sie reagierte empört: „Zeugen! Ich kenne mindestens zehn Kolleginnen, die bestätigen können, dass bei Schminke ab Körbchengröße C das Hirn automatisch auf Notstromaggregat umschaltet. Ist dir das noch nie aufgefallen, wie er den Frauen hinterher starrt?”
Frau Stöhr war dafür bekannt, sich leicht aufzuregen und dann mit ihren Äußerungen ins peinlich Ordinäre abzudriften. Deshalb versuchte Frau Hoppe-Reitemüller das Gespräch wieder in eine sachlichere Richtung zu lenken: „Und wie steht es mit dem Goller,der hat doch auch gehört, was Schminke über dich gesagt hat.” Frau Stöhr winkte ab: „Goller! Der Goller, dieser Schlappschwanz, der kann sich natürlich an nichts erinnern. Stecken doch alle unter einer Decke, diese Männer! …Wenn’s mal richtige Männer wären!”
Frau Hoppe-Reitemüller überlegte kurz, blätterte in ihrer roten Fibel „Die Frauenbeauftragte im Öffentlichen Dienst” und seufzte: „Tja Angelika, du wirst schon Recht haben, aber ich fürchte das reicht noch nicht ganz, um den Schminke dingfest zu machen. Da müssen wir wohl noch mehr Material sammeln. Halt mich doch auf dem Laufenden, wenn Schminke wieder auffällig wird.”
Von dem Besuch bei der Frauenbeauftragten hatte sich Frau Stöhr nun wirklich mehr versprochen. Bevor sie widerstrebend aus Frau Hoppe-Reitemüllers Büro ging, konnte sie sich nicht die Bemerkung verkneifen: „Früher warst du auch spontaner, Angelika!” Im Moment konnte sich Frau Stöhr nur mit dem Gedanken trösten, dass nächste Woche Tina aus dem Urlaub zurückerwartet wurde. Tina, Körbchengröße 75 D und manchmal sogar ohne BH (!), gehörte seit Kurzem auch zu ihrer Frühstücksrunde in der Kantine. Es würde nur eine Frage der Zeit sein und dann…