Kitabı oku: «Die Zecke», sayfa 5
9. Gelegenheit macht Freunde
Es war Gründonnerstag. Die Arbeitstage vor Feiertagen liefen nicht wie übliche Arbeitstage ab: Sie wurden zelebriert.
Morgens wurde allenfalls das Kalenderblatt aktualisiert und höflicherweise das Stempelkissen aufgeklappt. Einige Belege und Akten wurden geschäftig über den Schreibtisch verteilt. Dann nahm ich mir einen leeren Aktenordner als Tarnung und holte aus meinem Lederpausenbrottäschchen etwas Schönes zum Lesen. Dazu gab es den guten Dallmayr-Prodomo.
Wenn der Kaffee kochte und dampfend in der Thermoskanne auf mich wartete, konnte ich den ganzen Tag lang lesen, aus dem Fenster schauen und in der Nase popeln – zumindest, wenn Horst nicht im Büro war. Aber Horst war an solchen Tagen ohnehin meist krank oder tigerte den ganzen Tag im Amt von Kollegin zu Kollegin. Im Moment war er ohnehin in Kenia. Bei Haselnussplätzchen, die ich aus der halb geöffneten Schublade holte, ließ es sich gut aushalten.
In meinem Lederpausenbrottäschchen hatte ich heute besonders feine Sachen: Ein Brötchen mit Bratklops und zwei Stückchen Käse-Sahnetorte.
Nachdem ich zuerst das Quiz „Bester Autofahrer Deutschlands” in der Autozeitschrift gelöst hatte, las ich jetzt: „Stirb, du Memme”, das delikate Werk eines jungen Krimiautoren, der wirklich etwas von seinem Handwerk verstand. 33 Menschen wurden auf 252 Seiten unglaublich bestialisch und mit psychologischem Pfiff unterhaltsam hingerichtet.
Gerade als ein unbedarfter Tischlergeselle von einer Kettensäge erfasst wurde, die der Auszubildende vorher präpariert hatte, klingelte das Telefon. Nur widerstrebend klappte ich das Buch zu.
Es war Eberhard Pfannengaul. Eberhard war ein Abtrünniger, ein Verräter. Wir waren beide zur selben Zeit zur mündlichen Steuerinspektorenprüfung geladen worden. Im Gegensatz zu mir endete die Prüfung bei ihm nicht in einem spektakulären Absturz, sondern war der Beginn eines beneidenswerten Höhenfluges gewesen. Vor zwei Jahren hatte er die Steuerberaterprüfung abgelegt und sich in eine bis dahin friedliebende Steuerberaterpraxis eingekauft. Diese war rasch zu einer hinterhältigen Kampfmaschine mutiert. Gefürchtete Wellen von Dienstaufsichtsbeschwerden überrollten nun von Zeit zu Zeit das Amt. Besonders doll trieb er es, bevor die Beurteilungen im Finanzamt geschrieben wurden. Seine Anträge und Einsprüche, die meistens mehrere Abteilungen gleichzeitig beschäftigten, liefen bald unter der Bezeichnung „Satanische Verse”. Bei all dem besaß Eberhard auch noch die Frechheit, am Telefon so zu tun, als wäre er immer noch der Kumpel aus der Kaffeerunde im Nachbarzimmer.
So auch jetzt. „Hallöli, Harti! Holst du dir mal schnell die Akte von Prof. Dr. Baumgärtl und gleichst mit mir die Abschreibung für die Wohnung Schlossgarten ab”, flötete er auffordernd am Telefon. Ich war nicht „Harti” und auf „Hallöli” konnte ich schon gar nicht! Aber ich würde ihn schon irgendwie vergraulen.
„Moment”, sagte ich und stellte den Hörer tot.
Während der Pfannengaul wartete, las ich weiter in „Stirb, du Memme”. Nachdem der Tischlergeselle die Konsistenz von Hackfleisch angenommen hatte, hielt ich es für angemessen, mich mal wieder bei Eberhard zu melden: „Entschuldige Eberhard, ich glaube die Steuernummer, die du mir genannt hast, stimmt irgendwie nicht.” Im Stillen lachte ich mir ins Fäustchen.
Eberhard gab mir noch einmal die Steuernummer durch und fügte in einem beißendem Tonfall hinzu: „Jetzt aber zack, zack, Hartmuttchen! Ich habe schon drei Gespräche parallel von Mandanten in der Leitung!”
Eberhard konnte mich mal, und zwar dreimal parallel kreuzweise. Der Geist des Krimiautoren gab mir wertvolle Anregungen für einige auf Eberhard zugeschnittene Foltermethoden. Aber derart niederen Instinkten durfte ich mich jetzt nicht hingeben. Er brachte es fertig und verpasste mir schneller als ich gucken konnte eineDienstaufsichtsbeschwerde. Daher beeilte ich mich jetzt, die Akte aufzutreiben. Ein bisschen Speichel lecken konnte im Übrigen nicht schaden. Deshalb sagte ich zum Abschluss des Gesprächs zu Eberhard: „Du musst ja wirklich viel um die Ohren haben.”
Die Bemerkung ging Eberhard runter wie Öl. „Wenn es nur das wäre!”, stöhnte Eberhard in den Hörer. „Ich verkaufe gerade meine Eigentumswohnung – lästig, kann ich dir sagen. Für private Dinge habe ich eigentlich gar keine Zeit.”
Bei dem Stichwort „Eigentumswohnung” wurde in meinem Hirn wie von einem Bewegungsmelder ein gleißendes Flutlicht ausgelöst. „Wie groß ist denn die Wohnung?”, fragte ich so beiläufig wie möglich.
Es waren vier Zimmer, insgesamt 110 qm. Die Gegend war auch akzeptabel, da würde wahrscheinlich selbst Britta nicht murren. Was den Preis anbetraf, wand sich Eberhard hin und her aber er versicherte mir, dass der Preis kein Thema sein sollte. Am liebsten hätte ich Eberhard jetzt abgeknutscht und mich auf der Stelle mit ihm verbrüdert.
Zunächst blieb mir nichts weiter übrig, als mich mit Eberhard zu einem Besichtigungstermin zu verabreden. Ich wünschte ihm aufrichtig „Schöne Feiertage” und legte glücklich den Hörer auf.
10. Eberhards Wohnung
Wir fuhren die Heinestraße entlang. Da hinten musste die Wohnanlage sein, in der sich Eberhards Eigentumswohnung befand. Im Gegensatz zu unserer jetzigen Wohngegend war hier alles schön begrünt. Idyllische Reihen- und Einfamilienhäuser säumten die Straße. Selbst in der Telefonzelle war das Glas noch intakt und ein liebevoll selbstgemaltes Tempo-30-Schild beruhigte besorgte Reihenhausmuttis und -vatis.
Die treppenförmig an das hügelige Gelände angepasste Wohnanlage machte einen gepflegten Eindruck. Sie bestand aus fünf Blöcken mit drei bis sieben Stockwerken. Die Blöcke waren durch verschiedene Grüntöne voneinander abgesetzt.
Eberhard stand bereits vor einem gurkenfarbenen, siebenstöckigem Block. Seit seinem Wechsel zwischen den Steuerfronten hatte ich Eberhard nur am Telefon gesprochen. Er hatte mindestens zehn Kilo zugelegt. Wie früher musterten einen die kleinen kurzsichtigen Augen hinter dem kantigen Metallbrillengestell stets flink und tückisch.
Als Eberhard noch als Sachbearbeiter im Amt tätig war, verstieß er regelmäßig gegen den Grundsatz, die Kuh, die gemolken werde, dürfe nicht geschlachtet werden. Vielleicht wurde er deshalb nicht so schnell befördert, wie er es erwartet hatte. Er schlachtete nämlich alle ab: die Omi, die die Zinsen aus einem Sparbuch übersehen hatte, die Herbalife-Vertreterin, bei der seine Frau sogar Probeeinkäufe machen musste und überdies seinen ehemaligen Zahnarzt, der es gewagt hatte, bei einer Behandlung mehr als den 3,5-fachen Satz abzurechnen. Abschlachten, das hieß bei ihm: Steuererklärungen und Belege bis auf den letzten Cent zu sezieren und mit Vorliebe Steuerstrafverfahren einzuleiten. In der Kaffeepause prahlte er dann wie ein Formel-1-Sieger mit der astronomischen Höhe seiner erzielten Mehrergebnisse.
Nach seiner Steuerberaterprüfung häutete sich Eberhard Pfannengaul zum Finanzbeamtenschreck. Er ließ keine Gelegenheit aus, einem Betriebsprüfer Knüppel zwischen die Beine zu werfen und seine tückischen Hinhalte- und Verschleierungstechniken hatten die perfide Perfektion eines Talibankämpfers.
Eberhard war nicht nur dicker geworden, er hatte sich in den letzten Jahren auch sonst äußerlich stark verändert. In seinem Häutungsprozess hatte er die billigen Jeans und den rostroten Pulli abgestreift. Er trug jetzt eine italienische Stoffhose und ein seriöses Sakko, kombiniert mit einer modischen Seidenkrawatte.
Eberhard begrüßte uns überschwänglich. Gerade noch konnte ich eine Umarmung abwehren.
Die Wohnung lag im siebten Stock. Zum Glück gab es einen Fahrstuhl. Als wir in den winzigen Fahrstuhl stiegen, gab er bedenklich nach. Eingezwängt, wie Hühner in einem Transportkäfig, fuhren wir nach oben. Wenigstens würde ich in dem Ding meine Bierkästen bequem transportieren können.
Kurz bevor ich glaubte, ersticken zu müssen, hielt der Fahrstuhl abrupt an und die Stahltür öffnete sich zögerlich.
Beim Aussteigen sagte Eberhard: „Ach, hatte ich schon erwähnt, dass die Wohnung derzeit noch vermietet ist? Alter Kumpel von mir. Aber ich brauche nur ein Wort zu sagen und er packt die paar Kisten zusammen und die Wohnung ist leer.” Die Bemerkung sollte wie zufällig und völlig unbedeutend klingen, klang sie aber nicht.
Im siebten Stockwerk gab es vier Wohnungen. Aus einer Wohnung klangen dumpfe Bässe. Genau vor dieser Wohnung blieb Eberhard stehen und drückte den Klingelknopf. Statt des üblichen penetranten Brummtons einer gewöhnlichen Wohnblockklingel oder der veredelten Variante mit Mozarts kleiner Nachtmusik, mühte sich ein Kuckuck aus Leibeskräften, die Besucher anzukündigen. Eberhard hielt den Klingelknopf fest und seufzte: „Fred hört ein bisschen schlecht”. Der Kuckuck schrie unbeirrt weiter, als besäße er den Ehrgeiz, die Musik zu übertönen.
Plötzlich wurde die Tür aufgerissen. Mit dieser Reaktion hatten wir nicht gerechnet. Eberhard konnte sich gar nicht von dem Klingelknopf lösen. Der Kuckuck schien auch ganz überrascht von seinem Erfolg zu sein, denn er fing plötzlich an zu stottern: „Ku Ku uck uck uck…”.
In der Tür stand ein etwa sechsjähriger Junge mit schulterlangem, fransigem blau gefärbten Haar und Stirnband. Er trat einen Schritt vor, zückte ein Plastik-MG und mähte uns nieder. Eberhard krümmte sich und wurde mit einem letzten Kugelhagel zu Boden geworfen. Der Kuckuck verstummte mit einem letzten „uck uck”. Ich war von Eberhards schauspielerischem Talent ganz beeindruckt. Vor allem hatte ich ihm so viel Kinderliebe gar nicht zugetraut.
Der Kleine rannte nun mit triumphierendem Geschrei in den hinteren Teil der Wohnung. Eberhard rappelte sich auf und folgte dem kleinen Satansbraten.
Das Wohnzimmer war abgedunkelt. Im Schein von roten und grünen Blitzen einer Lichtorgel sah ich, wie sich ein halb nackter Männerkörper im Rhythmus von Technoklängen krümmte.
Eberhard zog einfach den Stecker der Stereoanlage aus der Steckdose und schaltete das Licht ein. Er ging auf den noch immer zuckenden tätowierten Körper zu und schrie: „Fred, alter Indianer! Ich will dir ein paar Freunde vorstellen.”
Fred kam langsam zu Bewusstsein. „Du willst mich also doch loswerden!”, flüsterte er böse.
Auf Freds Bizeps war das geöffnete Maul einer Python eintätowiert. Er verschränkte seine Arme hinter dem Kopf und spannte seinen Bizeps an. Dabei weitete sich der Rachen des Reptils bedrohlich. Irgendwo hatte ich diese Visage schon einmal gesehen. Fred hatte eine Rübe mit drei Millimeter kurz geschorenen gelben Stoppelborsten und eine markant gebrochene Nase. Stimmt! Ich erinnerte mich: Er war Disk-Jockey im „Shogun”, einer für erfolgreiche Razzien und Schlägereien berüchtigten Szenedisko. Die Steuerfahndung hatte dem „Shogun” gerade letzten Monat einen erfolgreichen Hausbesuch abgestattet – davon sprach das ganze Finanzamt. Und neulich hatte ich in der Zeitung einen Bericht über Drogen- und Steuerfahndungen im „Shogun” gelesen. Auf dem Foto in der Zeitung war Fred gerade im Begriff, einen Polizisten sorgfältig um einen Laternenpfahl zu wickeln.
Ich wollte mich gerade in der Wohnung ein bisschen umsehen, da bekam ich plötzlich einen kräftigen Tritt vors Schienenbein. Ich konnte mir nicht verkneifen, kurz aufzujaulen. Hinter meinem Rücken kreischte der Satansbraten vergnügt auf und hüpfte wild um mich herum. Fred nickte ihm anerkennend zu.
Das Kind war jetzt schon durch und durch verdorben, madig vom Stiel bis zur Kappe. Aus dem Gör würde nicht mal ein anständiger Terrorist werden. Fred war bestimmt noch nicht einmal in der Lage, ihm eine grundsolide anarchistische Gesinnung einzuimpfen.
Als mir der Kleine in den Hintern treten wollte, griff ich blitzschnell zu und schnappte mir sein Bein. Der Kleine flog überrascht auf den Boden und brüllte wie am Spieß. Das hätte ich besser lassen sollen, denn Fred mochte es gar nicht, wenn jemand seiner Brut etwas zuleide tat. Fred kam wortlos auf mich zu. Britta wurde kreidebleich und stammelte: „War doch gar nicht so schlimm.” Aus Trotz schrie der Satansbraten noch einmal gellend auf. Man hätte meinen können, ich hätte ihm ein Bein ausgerissen. Dadurch geriet Fred noch mehr in Rage. Er baute sich bedrohlich vor mir auf. Fred war mindestens zwei Köpfe größer als ich und sein Bizeps hatte den Durchmesser meiner Oberschenkel. Während er auf meinen bis dahin noch ungebrochenen Riechkolben zielte, war ich spontan bereit, mit meinem Leben abzuschließen. Ich spürte bereits die kratzige graue Wolldecke, die die Feuerwehrleute über mich zogen, um neugierigen Nachbarn den grausamen Anblick zu ersparen. Ich hörte das Ratschen des Reißverschlusses des grauen Plastiküberzugs, in dem sie meine sterblichen Überreste bis zur Pathologie transportieren würden. Bevor Fred zuschlug, wechselte ich mitBritta, der beneidenswerten Erbin meiner Lebensversicherung, noch einen letzten Blick. Sie war starr vor Schreck.
In dem Bruchteil der Sekunde, in der Fred zuschlug, musste Eberhard heftig niesen. Dabei reckte er seinen Kopf ruckartig nach vorn und wurde von dem wuchtigen Schlag getroffen. Die kostbare Metallbrille flog zu Boden.
Sofort sprang der kleine Satansbraten auf und hüpfte mit einem Satz auf die Brille, die den Flug bis dahin erstaunlicherweise schadlos überstanden hatte. Es knirschte unangenehm, als die Porsche-Brille sich in ihre Bestandteile auflöste. Fred grinste stolz. Beim Grinsen zeigten sich seine Zähne oder vielmehr das, was davon noch übrig geblieben war – es war anzunehmen, dass er Currywurst mit Pommes nur im pürierten Zustand zu sich nehmen konnte.
Er gab seinem Spross einen freundschaftlichen Schubs und grunzte: „Ben, du Sauhund, das war echt krass! Aber verpiss dich jetzt in deine Grotte, altes Arschloch!”
Ich war gewappnet und hatte mich hinter Brittas breitem Kreuz verschanzt. Eberhard hatte es die Sprache verschlagen. Seine Nase machte noch einen ganz ordentlichen Eindruck. Wahrscheinlich hatte die Brille den Schlag abgefangen. Eberhard beugte sich zu Boden und puzzelte an den Überresten der Brille herum.
„Die ist ja hin!”, stammelte er entgeistert. „Ist einfach so draufgesprungen!”
Fred erwiderte: „Du hast doch die Kohle – Memme!”
Aber da kannte er Eberhard schlecht. Wenn Eberhard vor die Wahl gestellt worden wäre, heile Brille oder gebrochene Nase, wäre er den Rest seines Lebens lieber mit einer markant gebrochenen Nase herumgelaufen, als seine Porsche-Brille einzubüßen. Eberhard hatte sich eisern aus einer bescheidenen Eisenbahnerfamilie hochgearbeitet und wenn er sich ein Porsche-Gestell für 2.160 Euro leistete, durfte man daraus nicht den Schluss ziehen, er wüsste nicht über die Cent-Bestände in seinem Portemonnaie Bescheid. Jeder Cent, der aus seiner Tasche wanderte, hatte zuvormehrere Excel-Tabellen und Kalkulationsprogramme durchlaufen und war auf In-und Output eingehend durchleuchtet worden.
Eberhard lief dunkelrot an. Seine Mundwinkel zuckten: „Den Schaden bezahlt deine Haftpflichtversicherung!”
„Hab keine”, erwiderte Fred respektlos.
Eberhard nahm ihn ins Visier und zischte: „Wenn du mir den Schaden nicht bezahlst, dann verkloppe ich das Keyboard und die Lichtorgel! Und wenn du dich jetzt nicht augenblicklich mit deinem Gnom verziehst, dann schmeiß´ ich den ganzen Krempel, der hier steht, aus dem Fenster!”
Das zeigte Wirkung. Fred holte Ben aus dem Badezimmer, wo Ben gerade damit beschäftigt war, Silberfischchen mit Kloreiniger zu ertränken und stürmte hinaus. Mit einem lauten Knall flog die Wohnungstür zu.
Nachdem sich Eberhard ein bisschen beruhigt hatte, fragte ich ihn: „Sag mal, wie kommst du eigentlich an eine solche Brut?”
Für jede Frage gibt es so etwas wie einen ganz und gar unpassenden Moment. Eberhard platzte: „Weil ich ein Idiot bin! Um die Sonderabschreibung in Anspruch nehmen zu können, musste ich einen Mieter mit Wohnberechtigungsschein finden. Das war gar nicht so einfach – du weißt, ich verkehre nicht mit solchem Pack. Und dann hat mir einer meiner Azubis Fred vermittelt.”
Jetzt dämmerte mir, warum Eberhard die Wohnung verkaufen wollte: Die satte Steuervergünstigung hatte er bis auf den letzten Tropfen ausgekostet, und jetzt, nachdem die Abschreibung ausgelaufen war, wollte er sich des Packs elegant entledigen! Ich hatte es doch gewusst, Eberhard war schon immer ein Systemgewinner, ein elender Überläufer, nur auf den eigenen Vorteil bedacht!
Eigentlich hätten wir auf der Stelle auf dem Absatz kehrt machen müssen. Aber ich hieße nicht Hartmut Schminke, wenn mir meine Eltern nicht eine gehörige Portion Dummheit vererbt hätten. Nur so war es zu erklären, dass wir uns nun in der Wohnung in Ruhe umsahen.
Die ehemals weiße Raufasertapete hatte sich vom Kiffen gelb gefärbt. Bens Zimmer quoll über mit zerfledderten Comics und Spielzeugschrott. Aus einem Terrarium stank es nach verwesendem Fleisch.
In Freds Schlafzimmer lagen drei Matratzen wie zufällig auf dem Boden verstreut, darüber Berge von Kissen und Laken. Es konnte mich nicht mehr in Erstaunen versetzen, als sich plötzlich eine Bettdecke bewegte, ein dünner Frauenarm ausfuhr, nach einer der zahllos herumstehenden Wodkaflaschen griff und Arm mit Flasche wieder eingezogen wurde. Wir hörten drei ordinäre Gluckser, dann war wieder Ruhe.
Eberhard hatte den Zwischenfall völlig ignoriert. Er sagte nur: „Und dieses Zimmer lässt sich später einmal phantastisch als Kinderzimmer nutzen.”
Wenn man einmal von dem verwahrlosten Zustand absah, war die Wohnung wirklich nicht schlecht: Vier große helle Räume, zwei Bäder und ein großer Balkon.
Britta und ich traten an das Wohnzimmerfenster. Mit diesem Ausblick hatten wir nun wirklich nicht gerechnet: Unserem Blick bot sich eine kleine Parkanlage. Dahinter war ein kleiner Badesee, in dem einige Kinder herumplanschten.
In dem Moment machte es bei uns „Klick”. Das ganze Chaos schien nicht mehr vorhanden zu sein. Selbst eine Kakerlakenstraße vom Abzugsschacht im Badezimmer bis zur Küche, hätte uns jetzt nicht mehr abschrecken können.
Britta flüsterte mir ins Ohr: „Das ist es, Hartmut! Genau so eine Wohnung habe ich mir vorgestellt!”
Eberhard trat hinzu und ich fragte: „Was soll sie denn kosten?” Auf diese Frage hatte Eberhard gewartet. Er wusste nun, dass er uns in der Hand hatte und diesen Moment genoss er sichtlich. In seinen kurzsichtigen Augen sah ich schon die Dollarzeichen.
„180.000 Euro”, sagte Eberhard. Als ich merklich schluckte, verbesserte er sich schnell: „Na, weil ihr es seid, 175.000 Euro. Das ist ein absolut fairer Preis.”
Die Summe lag noch um 25.000 Euro über unserer Schmerzgrenze. Mir lag Handeln und Feilschen überhaupt nicht. Am liebsten gehe ich in einen Aldi-Laden, zahle meine 2,60 Euro für 465 Gramm Gouda und das war’s dann. Und hätte ich 175.000 Euro gerade zufällig bei mir gehabt, wäre das Geschäft auf der Stelle perfekt gewesen. So musste ich mich wohl oder übel mit dieser Giftnatter herumschlagen.
Da kam mir mit einem Mal ein rettender Gedanke: Es gab noch einen Joker, um den Kaufpreis zu drücken und der hieß Fred!
„Eberhard”, höhnte ich, „du glaubst doch nicht im Ernst, dass dein Kumpel mit seinem Krümelmonster hier freiwillig ausziehen wird!” Eberhard war empört.
Seine spontane Reaktion auf den Einwand hätte uns schon stutzig machen müssen. Denn als wenn er mit diesem Einwand gerechnet hatte, zog er sofort einen Briefumschlag aus seinem Sakko. In dem Briefumschlag war eine Erklärung, mit der sich Fred verpflichtete, innerhalb von einem Monat nach Verkauf der Wohnung auszuziehen.
Mutig schlug ich dennoch einen Preis von 150.000 Euro vor, um das Restrisiko abzudecken und verwies auf den Zustand der Wohnung: „Wenn es ein freistehendes Haus wäre, müsste man es abreißen lassen!”, bemerkte ich kühn.
Eberhards Augen traten hervor, es hätte nicht viel gefehlt und er wäre mir an die Gurgel gegangen: Er hätte es nicht nötig, die Wohnung zu verschenken! Und dann folgten einige unschöne beleidigende Äußerungen über meinen Berufsstand. 165.000 Euro wollte er haben und keinen Cent weniger!
Intuitiv wusste ich: Diese Zahl steht fest. 165.000 Euro – das war der Preis unseres Ruins. Ich sah Britta an, die verträumt aus dem Wohnzimmerfenster auf den Badesee starrte und spürte, dass es nun kein Entrinnen mehr gab.
Als ich in Eberhards Hand einschlug, sah ich in das schmerzverzerrte Gesicht eines gebrochenen Mannes, dem man das Letzte für ein gammliges Butterbrot abgenommen hatte.
Aber die Eiligkeit, mit der er den Notartermin ausmachte, ließ bei mir wieder Zweifel an der Richtigkeit unserer Entscheidung aufkommen…
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