Kitabı oku: «Europarecht», sayfa 15
c) Sonstige ermessenbasierte Ausnahmetatbestände
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Gem. Art. 107 Abs. 3 Buchst. b) AEUV können Beihilfen zur Förderung wichtiger Vorhaben von gemeinsamem europäischem Interesse oder zur Behebung einer beträchtlichen Störung im Wirtschaftsleben eines Mitgliedstaates mit dem Binnenmarkt vereinbar sein. Die erste Alternative dieser Vorschrift kam bislang kaum zur Anwendung. Im Jahr 2014 erließ die Kommission allerdings eine Mitteilung zur Darlegung der Kriterien für die Würdigung der Vereinbarkeit von staatlichen Beihilfen zur Förderung wichtiger Vorhaben von gemeinsamem europäischem Interesse mit dem Binnenmarkt (MT 2014/C 188/02). Insbesondere mit dem Beginn der Wirtschafts- und Finanzkrise im Jahre 2008 hat die zweite Alternative des Art. 107 Abs. 3 Buchst b) AEUV an Bedeutung gewonnen. Auf der Grundlage dieser Ermessenausnahme ist bspw. die sog. Bankenmitteilung (MT 2013/C 216/01) zur Stützung von Banken im Kontext der Finanzkrise erlassen worden.
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Art. 107 Abs. 3 Buchst. d) AEUV umfasst Beihilfen zur Förderung der Kultur und der Erhaltung des kulturellen Erbes. Diese Ermessensausnahme vom Beihilfenverbot ist indes von eher geringer praktischer Bedeutung. Dies liegt in erster Linie daran, dass der Kulturbetrieb in vielen Fällen keine wirtschaftliche Betätigung darstellt und daher von Anfang an nicht dem Beihilfenverbot des Art. 107 Abs. 1 AEUV unterfällt. Eine Ausnahme stellt jedoch die Regelung im Bereich der Förderung von Filmen und anderen audiovisuellen Werken dar. Diesbezüglich hat die Kommission die Kriterien zur Vereinbarkeit von Beihilfen in ihrer Mitteilung über staatliche Beihilfen für Filme und andere audiovisuelle Werke (MT 2013/C 332/01) niedergelegt.
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Art. 107 Abs. 3 Buchst. e) AEUV sieht schließlich auch vor, dass der Rat durch einen Beschluss auf Vorschlag der Kommission sonstige Arten von Beihilfen bestimmen kann, die von dem Verbot des Art. 107 Abs. 1 AEUV ausgenommen werden sollen. Von dieser Möglichkeit wird derzeit jedoch kein Gebrauch gemacht.
d) De-Minimis-Verordnung
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Aufgrund der im AEU-Vertrag vorgesehenen grundsätzlichen Geltung des Beihilfenverbots für alle staatlichen Beihilfen unabhängig von ihrem Umfang kennt das EU-Beihilfenrecht keine Schwellenwerte und kein Spürbarkeitserfordernis. Aus Praktikabilitätserwägungen hat die Kommission in ihrer De-Minimis-VO allerdings nun doch einen Schwellenwert für Beihilfenbeträge festgelegt, bei dessen Unterschreitung sie davon ausgeht, dass die Beihilfe weder Auswirkungen auf den Handel zwischen Mitgliedstaaten habe noch sie den Wettbewerb zu verfälschen drohe, so dass in solchen Fällen keine tatbestandliche Beihilfe vorliege und damit derartige staatliche Maßnahmen nicht dem Anwendungsbereich der Beihilferegelungen unterfielen. Der Schwellenwert liegt gem. Art. 3 Abs. 2 De-Minimis-VO bei einem Beihilfenbetrag von 200.000 EUR in drei Steuerjahren, wobei sich dieser Wert auf das geförderte Unternehmen bezieht und nicht auf die jeweilige Förderung. Für Unternehmen im Straßengüterverkehr liegt der Schwellenwert bei 100.000 EUR.
e) Allgemeine Gruppenfreistellungsverordnung (AGVO)
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Von größter Bedeutung für die Anwendung des Beihilfenverbots in der Praxis ist die AGVO in der Fassung von Mai 2017. Durch sie werden bestimmte Gruppen von Beihilfen von der Notifizierungspflicht des Art. 108 Abs. 3 S. 1 AEUV freigestellt. Diese Freistellung bedeutet, dass Beihilfen ohne vorherige Anmeldung bei der Kommission von den Mitgliedstaaten gewährt werden dürfen. Die mittelgewährende Stelle in dem Mitgliedstaat muss die Voraussetzungen der AGVO im Wege der Selbsteinschätzung ex-ante prüfen. Die Kommission erhält lediglich Informationen über die dann gewährten Beihilfen, welche es ihr ermöglichen, ggf. eine Ex-post-Kontrolle durchzuführen. Zweck der AGVO ist es, eine Verfahrensvereinfachung herbeizuführen, indem diejenigen Beihilfen, von denen regelmäßig keine negativen Auswirkungen auf den Wettbewerb im zwischenstaatlichen Handel erwartet werden, lediglich einer fakultativen Ex-post-Kontrolle unterworfen werden sollen. Damit soll es zum einen der Kommission ermöglicht werden, sich auf die Kontrolle solcher staatlichen Beihilfen zu konzentrieren, die potentiell besonders gravierende Auswirkungen auf den Wettbewerb haben. Zum anderen soll es Mitgliedstaaten ermöglicht werden, nach der AGVO unbedenkliche Beihilfen zügiger gewähren zu können. Aufgrund des erheblichen Umfangs der von der AGVO erfassten Beihilfen führt diese Verordnung de facto zu einem Paradigmenwechsel im Beihilfenrecht hin zu einem System der Legalausnahme. Die unterschiedlichen Beihilfegruppen sind in Art. 1 Nr. 1 AGVO festgelegt.
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Eine Freistellung nach der AGVO erfolgt, wenn die betreffende staatliche Beihilfe alle allgemeinen Voraussetzungen des Kapitels I der AGVO sowie die besonderen, für die jeweilige Gruppe von Beihilfen geltenden Voraussetzungen des Kapitels III erfüllt. Jede Beihilfe muss hierzu (1) die in Art. 4 AGVO niedergelegten Anmeldeschwellen für die verschiedenen Gruppen von Beihilfen einhalten, (2) transparent sein, (3) einen Anreizeffekt besitzen und (4) die Vorgaben des Art. 9 AGVO zur Veröffentlichung der Beihilfe einhalten. Um Missbräuchen bei der Gewährung von Beihilfen unter Anwendung der AGVO vorzubeugen, sieht Kapitel II der AGVO Kontroll- und Sanktionsbefugnisse der Kommission vor. Insbesondere kann die Kommission gem. Art 10 AGVO einem Mitgliedstaat, der Beihilfen gewährt hat, die angeblich unter die AGVO fallen, ohne dass aber tatsächlich deren Voraussetzungen erfüllt sind, den Vorteil der Freistellung entziehen, so dass die Beihilfe dieses Mitgliedstaates wieder der allgemeinen Notifizierungspflicht unterliegt.
3. Ausnahmen nach Art. 106 Abs. 2 AEUV
a) Allgemeines
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Neben den in Art. 107 Abs. 2 und 3 AEUV genannten Ausnahmen können Beihilfen an solche Unternehmen, die mit der Wahrnehmung von Aufgaben von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse betraut sind, auch nach Art. 106 Abs. 2 AEUV mit dem Binnenmarkt vereinbar und damit dem Verbot des Art. 107 Abs. 1 AEUV entzogen sein. Der EuGH sieht Art. 106 Abs. 2 AEUV praktisch als einen (zusätzlichen) Ausnahmetatbestand zu Art. 107 Abs. 1 AEUV an, obwohl er nach der Systematik des AEU-Vertrages nicht zu den beihilfenrechtlichen Regelungen zählt. Strikt zu unterscheiden ist die Ausnahme nach Art. 106 Abs. 2 AEUV allerdings von der Altmark-Trans-Rechtsprechung (s. dazu Rn. 311). Werden die Altmark-Trans-Kriterien erfüllt, so liegt nämlich bereits tatbestandlich keine Beihilfe i.S.d. Art. 107 Abs. 1 AEUV vor. Beihilfen, welche unter den Ausnahmetatbestand des Art. 106 Abs. 2 AEUV fallen, stellen staatliche Beihilfen dar und müssen in jedem Fall bei der Kommission angemeldet werden, welche dann das Eingreifen einer Ausnahme anhand der Voraussetzungen des Art. 106 Abs. 2 AEUV prüft.
b) Voraussetzungen
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Die Vereinbarkeit von Beihilfen für DAWI gem. Art. 106 Abs. 2 AEUV setzt voraus, dass es sich bei der Beihilfe um (1) eine Dienstleistung von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse handelt, die von dem den Ausgleich gewährenden Mitgliedstaat als solche klar definiert worden ist, und dass (2) das Unternehmen, welches die DAWI erbringt, durch den Mitgliedstaat mit dieser Aufgabe betraut worden ist. Darüber hinaus muss (3) die Aufgabenerfüllung durch das Beihilfenverbot des Art. 107 Abs. 1 AEUV verhindert werden und (4) die Beihilfe darf nicht dazu führen, dass die Entwicklung des Handelsverkehrs in einem Ausmaß beeinträchtigt wird, das dem Unionsinteresse zuwiderläuft (Verhältnismäßigkeitsgrundsatz).
c) DAWI-Beschluss und DAWI-De-Minimis-Verordnung
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Für DAWI gelten ferner folgende Besonderheiten: Nicht jede Beihilfe für die Erbringung von DAWI muss bei der Kommission angemeldet werden. Sie sieht die Möglichkeit der Freistellung von der Notifizierungspflicht für bestimmte DAWI vor, bei welchen grundsätzlich von einer Vereinbarkeit mit dem Binnenmarkt (DAWI-Beschluss) oder von nur geringfügigen negativen Auswirkungen auf den Wettbewerb im Binnenmarkt (DAWI-De-Minimis-VO) auszugehen ist.
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In Art. 2 Abs. 1 Buchst. a)–e) des DAWI-Beschlusses sind Kategorien von Beihilfen aufgelistet, die bei Erfüllung sämtlicher Voraussetzungen des DAWI-Beschlusses ohne vorherige Anmeldung bei der Kommission gewährt werden können. Dies sind zunächst jegliche Beihilfen für DAWI von nicht mehr als 15 Mio. EUR pro Jahr mit Ausnahme des Verkehrssektors. Ohne Schwellenwert können Beihilfen für die Erbringung von DAWI durch Krankenhäuser, für DAWI zur Deckung des sozialen Bedarfs in bestimmten Bereichen (z.B. Gesundheitsdienste und Kinderbetreuung) sowie für die Erbringung von DAWI im Flug- oder Schiffsverkehr zu Inseln und für Flug- und Seeverkehrshäfen gewährt werden.
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Beihilfen, deren Gesamtbetrag in drei Steuerjahren 500.000 EUR nicht übersteigt, sind gem. Art. 2 Abs. 1 DAWI-De-Minimis-VO ebenfalls von der Notifizierungspflicht befreit, wenn auch die übrigen in Art. 2 Abs. 2–8 DAWI-De-Minimis-VO genannten Voraussetzungen vorliegen. Zu berücksichtigen ist hier insbesondere, dass sich der Schwellenwert auf das die DAWI erbringende Unternehmen bezieht und nicht auf die jeweilige Betrauung mit einer DAWI.
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IV. Beihilfenverfahren
1. Grundsätze des Verfahrens
a) Überblick über die Verfahrensregelungen und die Verfahrensschritte
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Art. 108 AEUV normiert die wesentlichen Verfahrensregeln für das EU-Beihilfenrecht. Sie werden durch die BeihVerfVO konkretisiert. Für die Beihilfenpraxis sind die Beihilfenverfahrensvorschriften von elementarer Bedeutung und nicht von den materiell-rechtlichen Vorschriften zum EU-Beihilfenrecht zu trennen.
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Art. 108 Abs. 1 AEUV und die Art. 21–Art. 23 BeihVerfVO regeln zunächst das Verfahren bei bestehenden Beihilferegelungen. Bestehende Beihilfen sind gem. Art. 1 Buchst. b) BeihVerfVO alle Beihilferegelungen und Einzelbeihilfen, die vor Inkrafttreten des AEU-Vertrages in dem entsprechenden Mitgliedstaat eingeführt worden und auch nach dessen Inkrafttreten noch anwendbar sind. Zu unterscheiden sind demnach Einzelbeihilfen und Beihilferegelungen. Nach Art. 1 Buchst. d) BeihVerfVO ist eine Beihilferegelung eine Regelung, wonach Unternehmen, die in der Regelung in einer allgemeinen und abstrakten Weise definiert werden, ohne nähere Durchführungsmaßnahmen Einzelbeihilfen gewährt werden können, bzw. eine Regelung, wonach einem oder mehreren Unternehmen nicht an ein bestimmtes Vorhaben gebundene Beihilfen für unbestimmte Zeit und/oder in unbestimmter Höhe gewährt werden können. Bestehende Beihilferegelungen unterliegen wegen ihrer auf eine Dauer angelegten Wirkung einer fortlaufenden Ex-post-Kontrolle durch die Kommission. Gelangt die Kommission gem. Art. 21 BeihVerfVO aufgrund übermittelter Auskünfte zu dem Schluss, dass die bestehende Beihilferegelung mit dem Binnenmarkt nicht oder nicht mehr vereinbar ist, so schlägt sie dem betreffenden Mitgliedstaat zweckdienliche Maßnahmen zur Umgestaltung der Beihilferegelung oder zu deren Abschaffung vor. Wird der Vorschlag durch den Mitgliedstaat angenommen, so setzt die Kommission diesen gem. Art. 23 Abs. 1 BeihVerfVO fest und der Mitgliedstaat ist dann verpflichtet, den Vorschlag umzusetzen. Lehnt der Mitgliedstaat den Vorschlag der Kommission ab, so kann die Kommission ein förmliches Prüfverfahren eröffnen.
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Art. 108 Abs. 3 S. 1, Abs. 2 UAbs. 1 AEUV und Art. 4–Art. 11 BeihVerfVO regeln das Verfahren für neue Beihilfen und die Änderung bestehender Beihilfen. Neue Beihilfen sind gem. Art 1 Buchst. c) BeihVerfVO alle Beihilfen, also Beihilferegelungen und Einzelbeihilfen, die keine bestehenden Beihilfen sind, einschließlich Änderungen bestehender Beihilfen. Auf einer ersten Stufe, dem sog. Vorprüfverfahren, wird die angemeldete Beihilfe nur kursorisch geprüft, um der Kommission eine erste Einschätzung zu ermöglichen. Stellt die Kommission im Vorprüfverfahren gem. Art. 4 Abs. 3 BeihVerfVO fest, dass die angemeldete Beihilfe keinen Anlass zu Bedenken hinsichtlich ihrer Vereinbarkeit mit dem Binnenmarkt gibt, so beschließt sie, dass die Maßnahme mit dem Binnenmarkt vereinbar ist. Anderenfalls eröffnet sie auf einer nächsten Stufe das förmliche Prüfverfahren, welches in Art. 6 BeihVerfVO geregelt ist. Dieses Verfahren stellt ein kontradiktorisches Verfahren zwischen der Kommission und dem jeweiligen Mitgliedstaat dar. Die Kommission prüft i.R.d. förmlichen Prüfverfahrens die Vereinbarkeit der Beihilfe mit dem Binnenmarkt anhand der in Rn. 320–322 beschriebenen Grundsätze. Gelangt die Kommission i.R. ihrer Prüfung zu dem Schluss, dass die Beihilfe nicht mit dem Binnenmarkt vereinbar ist, so beschließt sie gem. Art. 9 Abs. 5 BeihVerfVO, dass diese Beihilfe nicht eingeführt werden darf (sog. Negativbeschluss); stuft sie die Beihilfe hingegen als vereinbar mit dem Binnenmarkt ein, so erlässt sie einen sog. Positivbeschluss.
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Art. 108 Abs. 3 S. 3, Abs. 2 UAbs. 1 AEUV sowie Art. 12–Art. 19 BeihVerfVO regeln schließlich das Verfahren bei rechtswidrigen Beihilfen. Rechtswidrig ist eine Beihilfe gem. Art. 1 Buchst. f) BeihVerfVO, wenn sie unter Verstoß gegen die Notifizierungspflicht des Art. 108 Abs. 3 S. 1 AEUV eingeführt wurde. Art. 15 BeihVerfVO verweist auf die Vorschriften für das Verfahren bei neuen Beihilfen. Im Wesentlichen richtet sich das Verfahren bei rechtswidrigen Beihilfen nach diesen Vorschriften. Es ist mithin ebenfalls zweistufig aufgebaut, wobei einige Besonderheiten gelten, die sich aus dem Verstoß gegen die Stillhalteverpflichtung des Art. 108 Abs. 3 S. 3 AEUV ergeben. So kann die Kommission gem. Art. 13 BeihVerfVO die Aussetzung oder einstweilige Rückforderung der Beihilfe anordnen. Ergeht am Ende des Verfahrens ein Negativbeschluss, so ordnet die Kommission grundsätzlich gem. Art. 16 BeihVerfVO die Rückforderung der Beihilfe durch den Mitgliedstaat an.
b) Notifizierungspflicht und Genehmigungsmonopol
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Die Mitgliedstaaten der EU sind gem. Art. 108 Abs. 3 S. 1 AEUV verpflichtet, neue Beihilfen und die Umgestaltungen bestehender Beihilfen bei der Kommission anzumelden (Notifizierungspflicht). Die Anmeldung kann ausschließlich durch die Mitgliedstaaten erfolgen und nicht etwa durch die Beihilfeempfänger. Die Notifizierungspflicht dient der Ex-ante-Kontrolle von Beihilfen durch die Kommission. Sie hat auch das Genehmigungsmonopol i.R.d. Prüfung der Vereinbarkeit einer Beihilfe mit dem Binnenmarkt gem. Art. 107 Abs. 2, 3 AEUV. Notifizierungspflicht und Genehmigungsmonopol stellen die beiden zentralen Instrumente zur Gewährleistung einer effizienten Umsetzung der beihilfenrechtlichen Wettbewerbskontrolle dar. Eine gewisse Aufweichung erfährt dieser Ansatz dadurch, dass der weit überwiegende Teil von Beihilfen nunmehr durch die AGVO und weitere Freistellungstatbestände ohne vorherige Notifizierung gewährt werden kann und somit in eine Ex-post-Kontrolle überführt worden ist.
c) Stillhalteverpflichtung der Mitgliedstaaten
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Aus Art. 108 Abs. 3 S. 3 AEUV sowie Art. 3 BeihVerfVO ergibt sich, dass Mitgliedstaaten eine Beihilfe nicht gewähren dürfen, solange ein verfahrensabschließender, die Beihilfe genehmigender Beschluss der Kommission hierüber noch nicht getroffen wurde. Eine dennoch gewährte Beihilfe ist in jedem Falle formell rechtswidrig. Die Stillhalteverpflichtung (auch Durchführungsverbot genannt) betrifft neue Beihilfen sowie die Umgestaltung bestehender Beihilfen und nicht angemeldete rechtswidrige Beihilfen. Freigestellte Beihilfen unterliegen dieser Verpflichtung nicht. Die in Art. 108 Abs. 3 S. 3 AEUV normierte Pflicht steht im Zusammenhang mit der Notifizierungspflicht des Art. 108 Abs. 3 S. 1 AEUV. Die Pflicht zur Anmeldung von Beihilfen stellt nur dann einen effektiven Schutz vor verbotenen Beihilfen dar, wenn diese Beihilfen nicht vor Abschluss des Prüfverfahrens gewährt werden dürfen. Die Stillhalteverpflichtung entfaltet unmittelbare Wirkung und ist damit drittschützend. Konkurrenten der Beihilfeempfänger sollen vor nationalen Gerichten im Wege des von der Kommission lancierten private enforcement gegen die Gewährung von staatlichen Beihilfen vorgehen können, wobei es insoweit noch erhebliche und grundlegende Probleme gibt, wie z.B. die Frage der Bindungswirkung von nationalen Gerichten an Feststellungen der Kommission (z.B. BGH, MDR 71 [2017], 844).
d) Rechte im Verfahren
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Bezüglich der Verfahrensrechte ist zunächst zwischen den Parteien des Verfahrens und den am Verfahren Beteiligten zu unterscheiden. Das Beihilfenverfahren stellt ein Verfahren zwischen der Kommission und dem betreffenden Mitgliedstaat dar. Die einzelnen Rechte der Parteien werden weder in Art. 108 AEUV noch in der BeihVerfVO geregelt. Art. 108 Abs. 2 UAbs. 1 AEUV sieht lediglich vor, dass allen Beteiligten die Möglichkeit zur Äußerung gegeben werden muss. Anhörungs- und Verteidigungsrechte werden aus allgemeinen Unionsprinzipien hergleitet und stehen den Mitgliedstaaten in vollem Umfang zu. Beteiligte des Verfahrens sind gem. Art. 1 Buchst. h) BeihVerfVO Mitgliedstaaten, Personen, Unternehmen oder Unternehmensvereinigungen, deren Interessen aufgrund der Gewährung einer Beihilfe beeinträchtigt sein können, insbesondere der Beihilfeempfänger, Wettbewerber und Berufsverbände. Die Rechte der Beteiligten werden in Art. 24 BeihVerVO geregelt. Hiernach haben Beteiligte, mithin insbesondere auch der Beihilfeempfänger, nur sehr eingeschränkte Rechte. Die einzigen normierten Verfahrensrechte, die Beihilfeempfänger betreffen, sind das Recht zur Abgabe einer Stellungnahme nach Eröffnung des förmlichen Prüfverfahrens sowie das Recht, Kopien der verfahrensabschließenden Beschlüsse anzufordern. Grund für die geringen Verfahrensrechte der Beihilfeempfänger ist, dass die Rückforderung von Beihilfen nicht als Sanktion angesehen wird, sondern lediglich der Wiederherstellung des status-quo-ante dient. Zudem spielt es eine nicht unerhebliche Rolle, dass der Empfänger einer EU-rechtswidrigen Beihilfe grundsätzlich als nicht schutzbedürftig angesehen wird.
2. Verpflichtungen der Mitgliedstaaten nach nationalem Recht
a) Allgemeines
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Die EU-rechtlichen Vorgaben des Beihilfenrechts werden ergänzt durch eine Vielzahl von Verpflichtungen, die die Mitgliedstaaten aus dem nationalen Recht treffen und welche sämtlich der bestmöglichen Umsetzung des EU-Beihilfenverbots dienen sollen und somit dem Rechtsgedanken des effet utile Rechnung tragen. Die Mitgliedstaaten und damit auch ihre nationalen Gerichte prüfen das Vorliegen einer Beihilfe sowie die Voraussetzungen einer Freistellung eigenständig. Dies bedeutet, dass auf Behördenseite das Prinzip der Selbsteinschätzung gilt. Gerichte müssen die Rückforderung einer gewährten Beihilfe anordnen, wenn eine staatliche Beihilfe vorliegt, die weder freigestellt ist noch durch die Kommission genehmigt wurde. Im Rahmen der Rückforderung von Beihilfen sind die Mitgliedstaaten verpflichtet, effektive innerstaatliche Strukturen bereitzustellen, welche die Rückforderung der Beihilfe nicht erschweren oder gar unmöglich machen.
b) Rückforderungsgrund für EU-rechtswidrige Beihilfen
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Nach ständiger Rechtsprechung des EuGH ist die Rückforderung materiell rechtswidriger Beihilfen die logische Folge der rechtswidrigen Beihilfengewährung. Die durch die rechtswidrige Beihilfengewährung eingetretene (potentielle) Wettbewerbsverfälschung kann demnach nur beseitigt und damit die Situation ex ante wiederhergestellt werden, wenn diese Beihilfen konsequent zurückgefordert werden. Gem. Art. 16 Abs. 1 BeihVerfVO ist die Kommission daher verpflichtet, im Falle eines Negativbeschlusses die Rückforderung der Beihilfe anzuordnen. Der Rückforderungsbeschluss der Kommission ergeht gegenüber dem betreffenden Mitgliedstaat. Dieser ist dann verpflichtet, die Beihilfe vollständig und unverzüglich zurückzufordern und hierzu alle notwendigen Maßnahmen zu ergreifen. Die Rückforderung beinhaltet auch die Zahlung von Zinsen. Diese sind nach Art. 16 Abs. 2 BeihVerfVO ab Gewährung der Beihilfe bis zu ihrer Rückerstattung zu leisten. Rückforderungsschuldner ist der jeweilige Beihilfeempfänger.
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Zu einer Rückforderung von Beihilfen kann es einerseits aufgrund entsprechenden Beschlusses der Kommission gem. Art. 16 Abs. 1 BeihVerfVO kommen sowie andererseits durch Konkurrentenklagen. Nach bereits gewährter Beihilfe können Konkurrenten in Deutschland im Wege der Anfechtungsklage, verbunden mit einer allgemeinen Leistungsklage, vor den Verwaltungsgerichten oder mittels quasi-negatorischer Unterlassungs- und Beseitigungsklage vor den Zivilgerichten die Rückforderung der Beihilfe erstreiten. Nationale Gerichte müssen in derartigen Rückforderungsverfahren Beihilfen, die unter Verletzung des Durchführungsverbots (Stillhalteverpflichtung; s. Rn. 340) gewährt wurden, vollständig zurückfordern. Dabei ist unerheblich, ob die Beihilfe in materieller Hinsicht mit dem Binnenmarkt vereinbar ist, zumal die Kommission ohnehin ausschließlich befugt ist, die Vereinbarkeit einer staatlichen Beihilfe mit dem Binnenmarkt zu erklären, und das nationale Gericht eine solche Feststellung nicht vornehmen darf. Es kommt zudem auch keine Aussetzung des Verfahrens vor dem nationalen Gericht bis zum Abschluss des Prüfverfahrens bei der Kommission in Betracht. Liegt allerdings bereits ein Positivbeschluss der Kommission vor, so ist lediglich der Verfrühungsvorteil abzuschöpfen. Dies bedeutet, dass die Rückforderung in diesen Fällen lediglich eine Verzinsung für den Zeitraum ab Gewährung der Beihilfe bis zum Ergehen des Positivbeschlusses der Kommission erfordert.