Kitabı oku: «Europarecht», sayfa 16
c) Rückforderungsdurchsetzung nach nationalem Recht
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Die Rückforderung von Beihilfen richtet sich grundsätzlich nach nationalem Recht und erfolgt durch die mitgliedstaatlichen Behörden. Hierbei ist für das deutsche Recht zwischen der Beihilfengewährung mittels Verwaltungsakt (Rn. 347 f.), privatrechtlichem Vertrag (Rn. 349 f.) oder öffentlich-rechtlichem Vertrag (Rn. 351) zu unterscheiden. Alle drei Instrumente werden von den beihilfengewährenden Stellen in Deutschland ebenso verwendet wie auch gelegentlich eine kombinierte öffentlich-rechtliche/privatrechtliche Beihilfengewährung, bei welcher auf erster Stufe über das Ob der Beihilfengewährung per Bescheid (Verwaltungsakt) entschieden wird, während die Modalitäten – das Wie – der Gewährung auf zweiter Stufe durch privatrechtlichen Vertrag vereinbart werden.
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Ungeachtet der Form der Beihilfenbewilligung ist von nationalen Behörden und Gerichten i.R.d. Beihilfenrückforderung der Grundsatz des effet utile zu beachten, wonach nationale Vorschriften die Durchsetzung des Unionsrechts und damit eines Rückforderungsbeschlusses nicht praktisch unmöglich machen dürfen (→ Grundsatz der nationalen Verfahrensautonomie). Des Weiteren greift der → Anwendungsvorrang des EU-Rechts im Falle von dem Unionsrecht widersprechenden nationalen Regelungen. Schließlich müssen die nach nationalem Recht ergriffenen Maßnahmen dazu geeignet sein, die durch die rechtswidrige Beihilfengewährung eingetretene Wettbewerbsverfälschung durch zügige und vollständige Rückforderung der Beihilfe zu beseitigen.
aa) Rückforderung im mitgliedstaatlichen Verwaltungsverfahren
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Erfolgte die Gewährung der unionsrechtswidrigen Beihilfe in Deutschland durch einen Verwaltungsakt, so richtet sich die Rückforderung nach den Vorschriften zur Rücknahme rechtswidriger Verwaltungsakte gem. § 48 VwVfG (Actus-contrarius-Theorie) sowie der sich daran anschließenden Rückforderung der Mittel gem. § 49a VwVfG bzw. den entsprechenden Landesgesetzen. Der Aufhebung der Bewilligung können Vertrauensschutzgesichtspunkte aufgrund Verbrauchs der Beihilfe nach § 48 Abs. 2 S. 1, 2 VwVfG nicht entgegengebracht werden, da entweder das Effizienzgebot der Berücksichtigung entgegensteht oder aber das Vertrauen des Beihilfeempfängers in Abwägung zu dem unionalen Interesse an der Wiederherstellung des unverzerrten Wettbewerbs nicht schutzwürdig ist. Auch kommt die Jahresfrist des § 48 Abs. 4 S. 1 VwVfG nicht zum Tragen. Vielmehr richtet sich die Verjährung auch im nationalen Verwaltungsverfahren nach der 10-Jahres-Frist des Art. 17 Abs. 1 BeihVerfVO.
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Die Rückforderung als solche richtet sich nach § 49a VwVfG. Die Berufung auf Gutgläubigkeit ist dem Beihilfeempfänger verwehrt, da in Parallelität zur Rücknahme der Bewilligung auch hier das Vertrauen des Beihilfeempfängers auf die Rechtmäßigkeit der Bewilligung nicht berücksichtigt wird. Nach gefestigter Rechtsprechung des EuGH (Urt. v. 20.3.1997, C-24/95 – Alcan –, Rn. 25, 30 f., 41) kann ein schutzwürdiges Vertrauen auf die Unionsrechtskonformität einer Beihilfe nur durch Organe der EU (→ Organe und Einrichtungen) selbst erzeugt werden und nicht durch die gewährenden Stellen in den Mitgliedstaaten. Der Beihilfeempfänger kann der Rückforderung daher in der Regel nicht den Einwand der Entreicherung gem. § 49a Abs. 2 S. 1 VwVfG i.V.m. §§ 818 Abs. 3, 817 S. 2 und 814 Alt. 1 BGB entgegenhalten.
bb) Rückforderung vor den Zivilgerichten
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Werden Beihilfen durch privatrechtlichen Vertrag gewährt, so richtet sich die Rückforderung nach den Vorschriften des BGB: Gemäß der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) führt ein Verstoß gegen das Durchführungsverbot des Art. 108 Abs. 3 S. 3 AEUV zur Nichtigkeit des Vertrags gem. § 134 BGB, da Art. 108 Abs. 3 S. 3 AEUV als Verbotsgesetz angesehen wird (BGH, NJW-RR 2008, 429, Rn. 34 ff.). Aufgrund der Nichtigkeit des Vertrags kann die beihilfengewährende Stelle auf dem Zivilrechtsweg nach den Regeln des Bereicherungsrechts der §§ 812 ff. BGB vorgehen. Die Regelungen des Bereicherungsrechts werden wiederum durch die unionsrechtlichen Regelungen überformt. Daher ist dem Beihilfeempfänger der Entreicherungseinwand abgeschnitten. Die §§ 818 Abs. 3, 817 S. 2 sowie 814 Alt. 1 BGB werden nicht angewendet.
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Auch die Verjährung bereicherungsrechtlicher Ansprüche, die gem. §§ 195, 199 Abs. 1 BGB regelmäßig drei Jahre ab Schluss des Jahres des Entstehens des Anspruchs und der Kenntnis von den anspruchsbegründenden Tatsachen und der Person des Schuldners eintritt, wird durch die unionsrechtlichen Beihilfenvorschriften im Zusammenhang mit Konkurrentenklagen überlagert. Zwar müssen Konkurrenten innerhalb der Verjährungsfrist Klage gegen die beihilfengewährende Stelle erheben, wobei aber dem Beihilfeempfänger der Einwand der Verjährung verwehrt ist, wenn die beihilfengewährende Stelle innerhalb von drei Monaten nach Abschluss der Konkurrentenklage die Rückforderung vor den Zivilgerichten geltend macht.
cc) Rückforderung bei öffentlich-rechtlichen Verträgen
351
Im Falle eines Rückforderungsbeschlusses durch die Kommission liegt in der Regel Nichtigkeit des öffentlich-rechtlichen Vertrags gem. § 59 Abs. 1 VwVfG i.V.m. § 134 BGB vor. Eine Nichtigkeit aufgrund Verbotsgesetzes kommt allerdings nur bei einem qualifizierten Rechtsverstoß in Betracht, welcher aber in der Verletzung des Durchführungsverbots als zwingender Regelung zu sehen ist. Geltend gemacht wird die Rückforderung mittels des öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruchs im Wege der allgemeinen Leistungsklage. Die Ausführungen zu privatrechtlichen Verträgen gelten entsprechend.
dd) Vorläufige Maßnahmen
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Die mitgliedstaatlichen Stellen sind dazu verpflichtet, auch alle vorläufigen Maßnahmen zu ergreifen, die die sofortige und tatsächliche Vollziehung eines Rückforderungsbeschlusses der Kommission ermöglichen. Im Rahmen einer Rückforderung nach Rücknahme gem. § 48 VwVfG ist daher die sofortige Vollziehung der Rückforderungsverfügung gem. § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 VwGO anzuordnen.
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Des Weiteren sind Gerichte im Zusammenhang mit Konkurrentenklagen dazu angehalten, einstweilige Maßnahmen zum Schutz des klagenden Wettbewerbers zu treffen. Als Maßnahmen kommen die einstweilige Rückforderung der Beihilfe sowie die Einzahlung der Beihilfe auf ein Sperrkonto in Betracht.
d) Grenzen der Rückforderung
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Der Verpflichtung zur Rückforderung unionsrechtswidriger Beihilfen sind nur wenige Grenzen gesetzt. Gem. Art. 16 Abs. 1 S. 2 BeihVerfVO verlangt die Kommission die Rückforderung der Beihilfe dann nicht, wenn dies gegen allgemeine Grundsätze des Unionsrechts verstoßen würde. Auch nationale Gerichte müssen allgemeine Unionsgrundsätze in Rückforderungsverfahren berücksichtigen. Einziger bislang durch den EuGH (Urt. v. 27.6.2000, C-404/97 – EPAC –, Rn. 52 f.) anerkannter Unionsgrundsatz ist die objektive Unmöglichkeit der Rückforderung. Eine rein rechtliche Unmöglichkeit der Rückforderung genügt hingegen nicht. Auch die wirtschaftliche Unmöglichkeit, bspw. wegen Insolvenz des Beihilfeempfängers, steht der Rückforderung grundsätzlich nicht entgegen. Von einer absoluten Unmöglichkeit ist aber etwa dann auszugehen, wenn bereits die Liquidation des Vermögens des Beihilfeempfängers erfolgt ist. Neben dem Grundsatz der Unmöglichkeit kommt der Grundsatz des → Vertrauensschutzes als Rückforderungsgrenze allenfalls dann in Betracht, wenn das Vertrauen des Mitgliedstaates auf die Rechtmäßigkeit der Beihilfe durch eine unanfechtbare Entscheidung der Kommission begründet ist. Das Vertrauen des Beihilfeempfängers spielt als Grenze der Rückforderung keine Rolle. Von diesem wird vielmehr verlangt, dass er nach Maßstab eines gewissenhaften Gewerbetreibenden vor der Gewährung der Beihilfe bei der Kommission bezüglich deren Rechtmäßigkeit Erkundigungen einholt. Es verdient zudem keinen Vertrauensschutz, dass der Beihilfeempfänger einen ihm vom Staat ohne wirtschaftlich entsprechende Gegenleistung erbrachten Vorteil behalten darf. In zeitlicher Hinsicht sieht Art. 17 Abs. 1 BeihVerfVO für Rückforderungsbeschlüsse der Kommission eine Verjährungsfrist von zehn Jahren vor, beginnend mit der Gewährung der rechtswidrigen Beihilfe.
355
Nationale Behörden und Gerichte sind allerdings dann nicht zu einer Rückforderung bzw. zu einer entsprechenden Verurteilung wegen Verstoßes gegen das Durchführungsverbot verpflichtet, wenn zwischenzeitlich durch Kommissionsbeschluss die materielle Rechtmäßigkeit der Beihilfe bestätigt wurde. In diesem Falle zwingt die bloß formelle Rechtswidrigkeit nicht zur Rückforderung durch nationale Gerichte, wobei Zinsen für die verfrüht gewährte Beihilfe allerdings zu fordern sind.
B › Beistandsfall (Peter Dreist)
Beistandsfall (Peter Dreist)
I.Einleitung356, 357
II.NATO-Bündnisklausel358 – 360
III.EU-Beistandsklausel361 – 373
1.Allgemeines361, 362
2.Bewaffneter Angriff363 – 373
a)Angriffe von Privatpersonen364 – 367
b)Ausgang der Angriffe vom Zielstaat368, 369
c)Zurechnung zu einem Staat370, 371
d)Tragfähiges Ergebnis372, 373
IV.Solidaritätsklausel, Art. 222 AEUV374
V.EU als System gegenseitiger kollektiver Sicherheit375 – 377
VI.Einsatzregeln378
Lit.:
A. Cammilleri-Subrenat, Le droit de la politique européenne de sécurité et de defense dans le cadre du traité de Lisbonne, 2010; P. Dreist, Militärische WEU-Operationen und der Umgang der WEU mit Rules of Engagement, NZWehrr 2009, 1, 55; ders., Rechtsgrundlagen für den Einsatz militärischer Gewalt bei Auslandseinsätzen der Bundeswehr – Ist das deutsche Recht für die Zwangsmittelanwendung in Friedens- und Krisenreaktionsoperationen ergänzungsbedürftig?, UBWV 2015, 225, 289, 331, 353; M. Saalfeld, Entwicklung und Perspektiven der Westeuropäischen Union, 1992; E. v. Puttkamer, Vorgeschichte und Zustandekommen der Pariser Verträge vom 23. Oktober 1954, ZaöRV 17 (1956/57), 448; Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages, Staatliche Selbstverteidigung gegen Terroristen – Völkerrechtliche Bewertung der Terroranschläge von Paris vom 13. November 2015, WD 2 – 3000 – 203/15.
B › Beistandsfall (Peter Dreist) › I. Einleitung
I. Einleitung
356
Im Zuge der Terrorattentate von Paris am 13.11.2015 wurden insgesamt 130 Menschen getötet und 352 Personen verletzt. Ferner wurden bei den Attentaten sieben Terroristen getötet; zu den Anschlägen bekannte sich als Verursacher der sog. Islamische Staat (IS). Frankreich, dessen Präsident Hollande die Attentate als „bewaffneten Angriff“ und „kriegerischen Akt“ bezeichnete, hat am 17.11.2015 erstmalig in der Geschichte der EU die EU-Beistandsklausel aus Art. 42 Abs. 7 EUV aktiviert und die anderen Mitgliedstaaten um Beistand bei der Bekämpfung des IS in Syrien und im Irak gebeten. Einen weiteren Anwendungsfall der EU-Beistandsklausel hat es bis Januar 2017 nicht gegeben.
357
Die EU-Beistandsklausel wird im Einklang mit dem in Art. 51 UN-Charta anerkannten Selbstverteidigungsrecht ausgelöst, das eine Ausnahme vom universellen Gewaltverbot nach Art. 2 Nr. 4 UN-Charta darstellt. In terminologischer Abgrenzung zum Bündnisfall der Nato aus Art. 5 NATO-Vertrag wird für das Instrumentarium der Europäischen Union aus Art. 42 Abs. 7 EUV im Folgenden auf den Begriff Beistandsfall zurückgegriffen.
B › Beistandsfall (Peter Dreist) › II. NATO-Bündnisklausel
II. NATO-Bündnisklausel
358
Zum Verständnis der Reichweite der EU-Beistandsklausel sind Umfang und Inhalt des NATO-Vertrages und der dort eingegangenen Verpflichtungen von Bedeutung. Auslöser der Bündnisverpflichtung ist nach Art. 5 des NATO-Vertrages ein bewaffneter Angriff; bei Auswahl und Umfang der staatlich festzulegenden Beistandsleistungen besteht ein Ermessensspielraum („die sie für erforderlich erachtet“).
359
Nach Art. 7 NATO-Vertrag berührt dieser nicht die Verpflichtungen der Mitglieder aus der UN-Charta; nach Art. 8 NATO-Vertrag erklären die Mitgliedstaaten, dass keine konkurrierenden internationalen Verpflichtungen bestehen, die den Bestimmungen des NATO-Vertrages widersprechen und sie verpflichten sich, keine solchen Vereinbarungen einzugehen. Art. 1 des NATO-Vertrages enthält eine Bekräftigung des Grundsatzes der friedlichen Streitbeilegung i.S.d. Art. 2 Nr. 3 der UN-Charta und Art. 3 NATO-Vertrag die Verpflichtung, die eigene und gemeinsame Widerstandskraft gegen bewaffnete Angriffe zu erhalten und fortzuentwickeln.
360
Der Mechanismus, der den Bündnisfall auslöst, ist eine einstimmige Entscheidung im NATO-Rat. Einziger Anwendungsfall sind bisher die Terrorattacken in den USA am 11.9.2001, in deren Folge der NATO-Rat am 4.10.2001 den Bündnisfall erklärte.
B › Beistandsfall (Peter Dreist) › III. EU-Beistandsklausel
III. EU-Beistandsklausel
1. Allgemeines
361
Art. 42 Abs. 7 UAbs. 1 EUV in der Fassung des Vertrages von Lissabon, der am 1.12.2009 in Kraft trat, enthält die Beistandsklausel, die die EU i.R.d. GSVP zum Militär- und Beistandsbündnis macht: „Im Falle eines bewaffneten Angriffs auf das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaates schulden die anderen Mitgliedstaaten ihm alle in ihrer Macht stehende Hilfe und Unterstützung, im Einklang mit Art. 51 der Charta der Vereinten Nationen. Dies lässt den besonderen Charakter der Sicherheits- und Verteidigungspolitik bestimmter Mitgliedstaaten unberührt.“ Sowohl Art. 42 Abs. 2 UAbs. 2 EUV als auch Art. 42 Abs. 7 UAbs. 2 EUV betonen, dass die Verpflichtungen aus Art. 42 EUV die Verpflichtungen einiger Mitgliedstaaten aus dem NATO-Verteidigungsbündnis, in dem diese ihre gemeinsame Verteidigung verwirklicht sehen, nicht berühren und beide Verpflichtungen miteinander vereinbar sind. Im Ergebnis ist anzunehmen, dass die Beistandsklausel des EU-Vertrages trotz stringenterer Formulierung auch nicht weitergeht als die Bündnisklausel des NATO-Vertrages und den Mitgliedstaaten bei Auswahl und Umfang der staatlich festzulegenden Beistandsleistungen einen Ermessensspielraum einräumt, also keinen Automatismus für den Einsatz der Streitkräfte auslöst (vgl. auch BVerfGE 123, 267 [423 f.]); die Entscheidung über den Einsatz nationaler Streitkräfte liegt weiterhin in der Hand der Mitgliedstaaten.
362
Nach Art. 42 Abs. 4 EUV sind Beschlüsse zur GSVP einstimmig vom Rat auf Vorschlag des → Hohen Vertreters für die Außen- und Sicherheitspolitik oder Initiative eines Mitgliedstaates zu erlassen; ein formelles Beschlussverfahren für die Feststellung des Beistandsfalles ist anders als in der NATO vom EU-Vertrag nicht vorgesehen. In diesem Zusammenhang ist anzumerken, dass ein Beschluss i.S.d. Art. 42 Abs. 4 EUV im Fall der Anschläge von Paris nicht getroffen wurde; die Verteidigungsminister haben das Ersuchen Frankreichs am 17.11.2015 lediglich akzeptiert und Beistandsleistungen versprochen. Diese müssen nicht ausschließlich in der Gestellung von Militärverbänden bestehen; es ist auch möglich, die Verteidigungsbemühungen eines Staates durch entlastende Maßnahmen an anderer Stelle zu unterstützen. Deutschland beteiligt sich u.a. mit Aufklärungsflugzeugen, einem Tankflugzeug und einer Fregatte als Begleitschutz für einen französischen Flugzeugträger im Mittelmeer und angrenzenden Seegebieten direkt an der Bekämpfung des IS in Syrien. Daneben unterstützt Deutschland Frankeich indirekt durch Übernahme einer stärkeren Verantwortung in Mali, durch Ausbildung kurdischer Kämpfer im Nordirak sowie irakischer Soldaten (zuletzt: BT-Drs. 19/25 vom 25.10.2017; BT-Drs. 19/1093 vom 7.3.2018) und Bereitstellung medizinischer Soforthilfe bei eventuellen weiteren Großschadensereignissen in Frankreich (BT-Drs. 18/6866 vom 1.12.2015, S. 8 f.). Ferner unterstützt Deutschland die Bemühungen einer internationalen Staatenkoalition zur Bekämpfung des IS durch Bereitstellung von Besatzungen für NATO-AWACS-Luftraumüberwachungsflugzeuge (BT-Drs. 18/9960 vom 13.10.2016, S. 2, 7, 10; BT-Drs. 19/1093 vom 7.3.2018).
2. Bewaffneter Angriff
363
Auslöser der Beistandsverpflichtung des Art. 42 Abs. 7 EUV ist ein „bewaffneter Angriff“. Herkömmlich wird ein bewaffneter Angriff eines Staates mit seinen zur Durchführung von Kampfhandlungen autorisierten Organen als Auslöser des in Art. 51 UN-Charta anerkannten naturgegebenen Rechts zur individuellen und kollektiven Selbstverteidigung angesehen. Im Weltbild der Autoren der UN-Charta im Jahre 1945 war dies ein Angriff von außerhalb des Zielstaates. Da die Terrorattacken in Paris von Privatpersonen begangen wurden und sich die Terrororganisation IS dazu als Urheber bekannt hat, stellen sich mehrere Fragen: Welche Voraussetzungen müssen erfüllt sein, um einen privaten Angriff einem staatlichen bewaffneten, die Beistandsverpflichtung auslösenden Angriff gleichzusetzen? Kann ein derartiger Angriff auch vom Territorium des Zielstaates aus geschehen? Nach welchen Kriterien dürfen solche Akte einem bestimmten Staat als Urheber zugerechnet werden? Diese Fragen sind zentral, um im bisher einzigen konkreten Anwendungsfall der Anschläge von Paris zu einem tragfähigen Ergebnis zu gelangen.
a) Angriffe von Privatpersonen
364
Ob Angriffe Privater das staatliche Selbstverteidigungsrecht auszulösen vermögen, ist umstritten. Diskutiert wurde diese Frage seit den Terroranschlägen in den USA am 11.9.2001, bei denen etwa 3000 Personen getötet wurden. Der UN-Sicherheitsrat verwies in den Präambelpassagen der Resolutionen S/RES/1368 (2001) vom 12.9.2001 und S/RES/1373 (2001) vom 28.9.2001 auf das naturgegebene Recht zur individuellen und kollektiven Selbstverteidigung, ohne jedoch eine bestimmte Operation der Mitgliedstaaten zu autorisieren. Andererseits ist die Reaktion der US-geführten Koalition i.R.d. Operation Enduring Freedom vom Sicherheitsrat auch nie verurteilt worden. Der Sicherheitsrat bekräftigte, dass in jeder Handlung dieser Art eine Bedrohung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit liege und wiederholte dies und seine Verurteilung aller Terroranschläge seitdem vielfach. Gleichzeitig verlieh er seiner Entschlossenheit Ausdruck, solche Handlungen künftig zu verhüten und betonte die Notwendigkeit, solche Bedrohungen mit allen Mitteln im Einklang mit der UN-Charta zu bekämpfen.
365
Daraus lässt sich schließen, dass der Sicherheitsrat, der über die Argumente der USA zur Urheberschaft der Anschläge ebenso informiert wurde wie über die Reaktionen darauf, jedenfalls die Anschläge in den USA als so schwerwiegend betrachtet, dass sie zur Auslösung des Selbstverteidigungsrechts in der Lage waren. Damit wird deutlich, dass Anschläge Privater einem bewaffneten Angriff eines Staates nur dann gleichkommen können, wenn sie von der Intensität und Erheblichkeit eines staatlichen Angriffs sind. Dies muss für die Anschläge von Paris bezweifelt werden.
366
Resolution 2249 (2015) vom 20.11.2015 wiederholt die genannte rechtliche Einschätzung und enthält im operativen Teil u.a. folgende Passage: „Der Sicherheitsrat […] fordert die Mitgliedstaaten, die dazu in der Lage sind, auf, unter Einhaltung des Völkerrechts, insbesondere der Charta der Vereinten Nationen sowie der internationalen Menschenrechtsnormen, des Flüchtlingsvölkerrechts und des humanitären Völkerrechts, in dem unter der Kontrolle des ISIL, auch bekannt als Daesh, stehenden Gebiet in Syrien und Irak alle notwendigen Maßnahmen zu ergreifen und ihre Anstrengungen zu verstärken und zu koordinieren, um terroristische Handlungen zu verhüten und zu unterbinden, die insbesondere vom ISIL, auch bekannt als Daesh, sowie von der Al-Nusra-Front und allen anderen mit Al-Qaida verbundenen Personen, Gruppen, Unternehmen und Einrichtungen und anderen terroristischen Gruppen begangen werden, […]“ (S/RES/2249, op-5).
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Der Sicherheitsrat hat in zahlreichen Resolutionen zu Terrorangriffen in allen Teilen der Welt immer wieder mit vergleichbarem Wortlaut Stellung genommen. In Resolution 2249 bezieht er sich in erster Linie auf die Lage im Irak und Syrien, auf deren Territorien bewaffnete Kampfhandlungen stattfinden; er autorisiert aber keine besondere oder neue Operation wegen der Anschläge in Paris, sondern das Vorgehen der Mitgliedstaaten gegen die genannten Terrororganisationen im Einklang mit dem ohnehin geltenden Völkerrecht. Unklar bleibt dabei allerdings weiterhin, welche Größenordnung ein Terrorangriff Privater haben muss, um das Selbstverteidigungsrecht auszulösen, wie der Zurechnungszusammenhang mit einem Staat als Verursacher zu bewerten ist und ob auch ein Angriff, der im Zielstaat geplant und durchgeführt wird, das staatliche Selbstverteidigungsrecht auslösen kann.