Kitabı oku: «Wirtschaftsethik und Menschenrechte», sayfa 3

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V. Ist es die billigste Methode anständig zu sein, um anständig zu erscheinen?

Die ökonomische Ethik verweist darauf, dass sich Moral für Unternehmen bezahlt machen müsse. Nun impliziert Sollen aber Können. Wie die Chancen für eine rentable Moral stehen, hängt auch davon ab, wie wahrscheinlich es ist, dass Moral unter den gegebenen Rahmenordnungen zu Gewinnen führt und das ist empirisch kontrovers. Es gibt inzwischen hunderte von Studien über diese Frage und die Ergebnisse sind uneinheitlich. So zeigten 2003 von 109 Studien 54 einen positiven Zusammenhang von Moral und Gewinnen, 20 gemischte Resultate, 28 nicht signifikante Resultate und sieben einen negativen Zusammenhang (Margolis und Walsh 2003). Das beweist aber noch keinen positiven Zusammenhang. Denn den sich zeigenden Zusammenhang kann man auch wie folgt erklären: Ethische Maßnahmen verbessern nicht die Performance, sondern erfolgreiche Unternehmen setzen ethische Instrumente eher ein als andere. Ihr überdurchschnittlicher finanzieller Erfolg besteht aber schon vor dieser Maßnahme (Garcia-Castro et al. 2010). Eine Vielzahl von Studien legt jedoch dennoch einen positiven Zusammenhang von Unternehmensgewinnen mit Maßnahmen nahe, die als moralisch gelten. Allerdings zeigt die Empirie auch, dass diese Win-win-Verhältnisse a) sich kaum sicher berechnen lassen, da der Markt ständig wechselnde Aktivitäten honoriert (Bird et al. 2007, 200) und b) sich schnell auflösen, wenn grundlegende moralische Reformen durchgeführt werden, die ein Minimalmaß überschreiten (Bird et al. 2007, 198). Wenn man moralische Innovationen also an Gewinne koppelt, dann werden wirklich tiefgreifende Reformen nicht durchgeführt und hier liegen Gefahren. Es wäre zumindest zu zeigen, wie diese Probleme, die auch unter den heute gegebenen differenzierten Rahmenordnungen der Industrienationen gegeben sind, durch weitere |20|Veränderungen der Rahmenordnung einzudämmen sind. Weiterhin muss bedacht werden, dass es häufig auch etwas kostet, neue Anreize zu setzen. Steuervergünstigungen, zinsarme Kredite usw. müssen gegenfinanziert werden.

Was Win-win-Situationen zwischen Moral und Eigennutzen schafft, ist nicht nur der Rahmen, sondern auch ein positives Image eines Unternehmens in der Öffentlichkeit.[15] Das kann sich aber auch durch Maßnahmen bewerkstelligen lassen, die sich in den Medien als moralisch verkaufen lassen, dies aber keineswegs sind. Das ist zumindest dann eine mögliche Handlungsstrategie, solange ein Verhalten vom Rahmen nicht verboten wird. Konformität mit dem Rahmen wird unternehmerischen Handlungen von der ökonomischen Ethik ja vorgeschrieben. Zwar könnte sich langfristig aus Täuschungen ein Nachteil für ein Unternehmen ergeben, aber ob dieser sich einstellt und ob er gravierend ist, ist ungewiss. Wieso sollte man sich etwa um Randgruppen kümmern, die medial kaum Aufmerksamkeit erhalten? Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, dass sich das später einmal ändert und diese Randgruppen es dem Unternehmen heimzahlen können? Es gibt jedoch das vertragstheoretische Argument, dass eine Ordnung instabil wird, wenn sie zu Lasten Dritter geht. Wenn der Rahmen also grobe Defekte aufweist, hätte das Unternehmen einen Grund so zu handeln, als ob ein guter Rahmen existierte. Das sichert langfristig die Stabilität des Systems. Aber: Das bereitet auch Kosten, wenn sich nicht alle Konkurrenten ebenso verhalten. Unternehmensethik darf das Unternehmen jedoch netto nichts kosten und die Vorwegnahme eines guten Rahmens könnte solche Kosten verursachen. Das heißt, es verbleibt nur die „ordnungspolitische“ Strategie, die Rahmendefizite zu beklagen, anzuprangern und auszunutzen, solange sie bestehen. (Ein Programm zur Förderung unternehmerischer Schizophrenie.)

Damit bleiben Täuschungen möglich und vertragstheoretisch kann man Täuschungen auf Kosten der Moral nicht verurteilen, wenn sie gelingen. Dagegen schreibt N. Hoerster: „Die sicherste und billigste Methode, anständig zu erscheinen, ist immer noch die, anständig zu sein.“ (Hoerster 2003, 201) Das mag für das Individuum stimmen, aber für |21|ein Unternehmen mit einer gewieften Marketingabteilung liegt das weit weniger offensichtlich auf der Hand. Wenn es da die billigste Methode wäre, die Wahrheit zu sagen, wären die zahllosen Versuche nicht zu erklären, das zu umgehen, – ein Stoff aus dem Skandale sind. Also: Zwischen moralisch scheinen und moralisch sein, muss man auf Ebene der Vertragstheorie nicht wertend unterscheiden. Die ökonomische Ethik kann aufgrund von situativen Vorteilskalkülen Mal zu moralischem oder Mal zu unmoralischem Verhalten motivieren. Dabei ist allerdings auf Basis obiger Studien einzuräumen, dass diese Umstände derzeit eher zu begrenzt moralischem Handeln motivieren. Gleichwohl: Wenn sich ethische Maßnahmen rechnen müssen, kann eine eklatante Lücke zwischen Moral und Gewinn offen bleiben, von der nicht klar wird, wie der Rahmen sie schließen könnte. Damit betrachte ich mein erstes Beweisziel als eingelöst: Die Vertragstheorie stellt keinen ausreichenden normativen Rahmen bereit.

VI. Die Vertragstheoretiker träumen vom Konsens

Die ökonomische Ethik behauptet, dass in der (sozialen) Marktwirtschaft das Wohl jedes Vertragspartners (wahlweise gedacht für unsere Industriegesellschaften oder im Rahmen eines „Weltgesellschaftsvertrages“) vergrößert werde, insbesondere in der Konsumentenrolle. Nur dann ist es der ökonomischen Ethik zufolge überhaupt möglich, das vertragstheoretisch erforderliche Konsenskriterium zu erfüllen. Das ist aber problematisch, denn bei weitem nicht jeder Mensch auf der Welt oder in den Industriegesellschaften konsumiert die Früchte des globalen Marktes oder hat auf anderen Wegen Anteil an den Vorteilen des Wachstums.

Global agierende Großunternehmen nehmen sich z.B. Sonderstellungen auf Kosten normaler Bürger heraus. Sie haben durchaus Erfahrungen damit, die Bürgerpflicht als good corporate citizen und Steuerzahler zu umgehen. Viele der DAX30 Unternehmen verfügen beispielsweise über Tochterunternehmen in sogenannten Steueroasen, d.h. Staaten mit besonders niedrigen Steuersätzen. So belaufen sich die Verluste durch Steuerhinterziehung und Steuervermeidung von Unternehmen in der gesamten EU auf über eine Billion Euro pro Jahr (WDR2015).[16] Profitiert davon haben in erster Linie Management |22|und Investoren. Ob solche Entwicklungen eine behebbare Entgleisung sind oder eine Schwachstelle des Systems aufweisen, lasse ich dahingestellt. Die Menge der Lebewesen, die vom Markt profitieren, ist jedenfalls nicht identisch mit der Menge der von den Handlungen im Wirtschaftssystem Betroffenen, die zu achten die Moral gebietet (s.o.). So konsumieren zukünftige Generationen noch nicht und unsere Art zu wirtschaften beraubt sie der Grundlagen, das jemals zu tun. Dass die Vertragstheorie ihre Ansprüche nicht anerkennt (s.o.), macht die Theorie nicht besser …

Es gibt viele Indizien dafür, dass viele aktuell lebende Bürger der Staaten der „dritten Welt“ nicht von der Marktwirtschaft profitieren bzw. von ihr geschädigt werden. Lokale Märkte werden durch internationalen Freihandel ruiniert, insbesondere in Afrika, wo kein sozialer Ausgleich stattfindet, der die Zustimmung zum Wirtschaftssystem schaffen würde.[17] Das ist ein Problem für die Vertragstheorie, denn diese Betroffenen sind, anders als zukünftige Lebewesen, nach ihren eigenen Maßstäben Vertragspartner im Weltgesellschaftsvertrag und sind daher jedenfalls zu berücksichtigen. Alternativ muss man vertreten, dass nicht alle Betroffenen, sondern nur besonders mächtige Vertragspartner relevant sind – ein eklatanter Widerspruch zur Definition von Moral, der den egozentrischen und den nationalen Wirtschaftszweck prägt und diskreditiert.

Das alles soll nicht darüber hinwegtäuschen, dass wir heutigen Bewohner der Industrienationen der Marktwirtschaft sehr viel verdanken. Davon aber auf das gesteigerte Wohl jedes Einzelnen zu schließen, ist verkürzt. Allerdings kann eine marktwirtschaftliche Ordnung angesichts der Aufgabe, die Erfüllung der Bedürfnisse in Massengesellschaften zu koordinieren, derzeit als alternativlos gelten (vgl. die Einleitung).

Es ist jedoch eine offene Frage, ob sich die Marktwirtschaft angesichts der ökologischen Bedrohungen der Zukunft als Erfolgsmodell erweist (vgl. Kpt. 3). Dass die Rahmenordnung die drohenden Katastrophen, z.B. des Klimawandels, aufhalten kann, ist derzeit unwahrscheinlich und unsere Art zu wirtschaften, verursacht diese existentiellen Gefahren. Diese Wirtschaftsweise bewirkt zudem, dass Staaten als Akteure geschwächt werden, weshalb es in Zeiten der Globalisierung als schwierig erscheint, mit der ökonomischen Ethik auf von Staaten durchgesetzte Rahmenordnungen zu setzen. Sicher hat die Marktwirtschaft dafür gesorgt, dass es vielen Bewohnern der Industrienationen |23|besser geht als denen vor 65 Jahren. Aber wenn die Marktwirtschaft über die Klimakatastrophe oder über atomare Verseuchung zu einer Verelendung der Menschheit führt, dann vernichtet sie das Wohl vieler einzelner Individuen und letztlich auch in der Summe mehr Nutzen, als sie geschaffen hat. So würde dann manche spontane Zustimmung zur Marktwirtschaft zurückgezogen werden, wenn diese Wirtschaftsform langfristig als gegen die wahren Präferenzen nicht nur einiger, sondern vieler Betroffener verstoßend entlarvt würde. Marktwirtschaft ist also kein Weltbeglücker, sondern eine lebensgefährliche Notwendigkeit, die nicht automatisch auf den Konsens aller Betroffenen setzen kann.

Zusätzlich muss man fragen, ob Konsum und das marktwirtschaftliche, auf Wachstum ausgerichtete System wenigstens alle Menschen in den reichen Ländern der „ersten Welt“ weiter glücklich machen. Dabei setze ich voraus, dass „Glück“, „Wohlergehen“ oder „Lebenszufriedenheit“, für wen auch immer, Ziel des Wirtschaftens sind. Bezüglich eines linearen Zusammenhangs von Glück und Wohlstand lehrt die empirische Glücksforschung seit Jahrzehnten Skepsis (Diener und Seligman 2004). Das sogenannte „Easterlin-Paradox“ sorgt für Irritationen: Wenn die Existenz gesichert ist, führt mehr Einkommen nicht automatisch zu mehr Glück (Clark et al. 2008).[18] Jedenfalls kann durch manche Teile der Glücksforschung der Befund erhärtet werden, dass Marktwirtschaft und Wachstum nicht einmal alle Bürger der „ersten Welt“ wirklich glücklich machen. Im Gegenteil, sie kosten diese vieles, was sie glücklicher machen würde (Muße, echte persönliche Bindungen etc.). Also liegt auch hier Potenzial dafür bereit, dass Betroffene der marktwirtschaftlichen Ordnung nicht den Segen erteilen werden. Sollte die Vertragstheorie darauf reagieren, indem sie auch einige mächtige Vertragspartner ignoriert? Was ist die Idee vom Konsens aller dann noch wert? Damit betrachte ich mein zweites Beweisziel als eingelöst: die These, dass ein Konsens aller über die Marktwirtschaft nicht wahrscheinlich ist (vgl. Gesang 2011, 3. Kpt.). Das gilt selbst wenn die Individuen immer dem zustimmen, was zu ihrem Vorteil führt. Ob es auch andere Formen der Marktwirtschaft geben könnte, die konsensfähiger sind, bleibt Spekulation. Jedenfalls beziehen wir uns mit der ökonomischen Ethik auf die heutige soziale Marktwirtschaft.

Die Befunde der Glücksforschung belegen die allgemeinere These, dass die ökonomische Ethik die wahren, aufgeklärten Präferenzen der |24|Individuen aus den Augen verliert, welche die Glücksforschung z.T. ausführt. Die aufgrund des Konsenskriteriums der Vertragstheorie notwendige Zustimmung jedes Einzelnen zur Wettbewerbswirtschaft wird also noch fragwürdiger, wenn man von den voll informierten Präferenzen der Vertragsparteien ausgeht. Die ökonomischen Ethiker denken hingegen, dass gerade Aufklärung Zustimmung zur Marktwirtschaft schaffe. Aufklärung zeige, dass Marktwirtschaft die Interessen eines HO erfülle, die letztlich jeder habe („wenn’s um die Wurst gehe“). Aber dass diese HO-Präferenzen nicht immer die wahren Präferenzen der Individuen sind, werden wir im Folgenden weiter vertiefen.

VII. Ist Dagobert Duck der Held der Moderne?

Bevor näher auf den HO eingegangen werden kann, ist zunächst eine problematische Annahme der ökonomischen Ethik zu diskutieren: Die Annahme, dass der Wettbewerb derartig scharf sei, dass Unternehmen, die nicht in jedem Augenblick Gewinne maximieren, aus dem Markt ausscheiden müssten (Homann und Blome-Drees, 1992, 34).[19] Dabei verwechselt die ökonomische Ethik allerdings Modell und Wirklichkeit (dazu auch: Sautter 1994, 67). Diesen Vorwurf muss man dieser Ethik ganz allgemein machen. Unsere Marktwirtschaft wird de facto an so vielen Stellen eingeschränkt, dass das Vorgehen der ökonomischen Ethik, erst vom idealen Rahmensystem und vom idealen Wettbewerb auszugehen und dann Störfälle zu behandeln, wie eine Lehrbuchweisheit erscheint, die mit der Realität wenig zu tun hat. Die Wirklichkeit beschreibt der Ökonom N. Stern sehr gut, wenn er zahlreiche Gründe für Marktversagen anführt, etwa unvollständige Informationen, unvollkommene Kapitalmärkte, politische Eingriffe, nicht repräsentierte Konsumenten etc. (Stern 2009, 101). Diese Faktoren sind nicht etwa temporäre Übergangserscheinungen auf dem Weg hin zum perfekten Markt, sondern es gibt keine empirische Begründung, nach der sie sich als vorläufig erweisen würden. Zum Teil liegen sie im Wesen des Menschen begründet.

Die strikten Wettbewerbsbedingungen, von denen die ökonomische Ethik ausgeht, werden durch zahllose Gegenbeispiele in Frage gestellt |25|(Kimakowitz et al. 2011, 1f; Diercksmeier 2014, 60f).[20] So konnte ein Marktführer wie Levi-Strauss sehr wohl häufiger zugunsten ethischer Standards auf Gewinne verzichten (Shaw 2005, 178–182). Ebenso sind Unternehmen wie SAP, BASF und Danone zu nennen, die sich explizit Social-Business-Projekten verschrieben haben, bei denen die erwirtschafteten Profite zurück in das jeweilige soziale Projekt fließen. Hier ist unklar, ob sich das durch Know-How-Gewinne oder neue Vertriebsstrukturen für besondere Märkte gegenrechnen lässt. Banken, die sämtliche Dienstleistungen anhand von Nachhaltigkeitskriterien neu strukturieren (zum Beispiel ABN Amro Real oder die Triodos Bank), entlarven den Mythos der Wettbewerbszwänge ebenso. Sämtliche Fälle von Fehlmanagement und Verschwendung (nicht zuletzt bei Vorstandsgehältern und Abfindungen vgl. Kpt. 5. VI) durch Unternehmen, die diese Vorfälle überlebt haben, sind zu ergänzen. Daher meine These: Unternehmen, können – begrenzt – Normen umsetzen, die langfristige Gewinneinbußen bedeuten. Das zeigt, dass man auch auf Märkten nicht immer als HO handeln muss, wenn man überleben will.

Die gerade diagnostizierte Verwechselung von Modell und Wirklichkeit geht in der ökonomischen Ethik noch weiter: Das HO-Modell wird von Homann, Suchanek und Pies als allumfassendes Prognoseinstrument für Dilemmasituationen eingeführt: „Da allen Interaktionen Dilemmastrukturen zugrundeliegen, wird das langfristige Resultat von Interaktionen durch diesen homo oeconomicus zuverlässig abgebildet.“ (Homann und Suchanek 2000, 420) Das ist leider falsch. Um das zu erkennen, muss man erst einmal begrifflich nachforschen: Das Konzept des HO kann man auf zwei Weisen interpretieren (und die ökonomischen Ethiker machen erfrischend von beiden Gebrauch):

Das enge HO-Konzept, das die Ökonomie beherrscht, besteht in der Annahme, dass Menschen informiert sind und ihre egoistischen Präferenzen maximieren (klassisch: Sie wünschen wie Dagobert Duck zum morgendlichen Bad im Geldspeicher anzutreten …) (Kirchgäßner 1991, 2000, 16). Auf den naheliegenden Hinweis, es gäbe aber auch |26|altruistisches Verhalten, reagiert die ökonomische Ethik, indem sie betont, es handele sich beim HO nur um ein „Modell“ (vgl. Suchanek 2007, 177–184). Dieses sei nur eine Beschreibung der Wirklichkeit in Dilemmasituationen, d.h. unter Konkurrenz, da Menschen in diesen Situationen ihre „egoistischen“ Präferenzen dominieren lassen würden (Homann und Blome-Drees 1992, 94).[21] Zudem seien Konkurrenzsituationen die in der Marktwirtschaft typischen Situationen (Homann und Suchanek 2000, 420). Diese Aussagen sollen es erlauben, empirische Gegenbeispiele abzuwehren. So wird darauf verwiesen, dass Modelle stets die Welt vereinfachen müssten, was in diesem Fall bedeute, dass das Modell nur strikt auf Handeln in Konkurrenzsituationen zuträfe (Homann und Suchanek 2000, 421).

Zu bedenken bleibt allerdings: Auch Modelle haben Verbindungen zur Empirie, jedenfalls sollte jedes Modell, wenngleich es die Zusammenhänge vereinfacht, „der Wahrheit (…) hinreichend nahe“ (Popper 2000, 355) sein, wie K. Popper sagt. Das heißt, wenn man es auf den Menschen insgesamt anwendet, sollte es wenigstens die statistischen Normalverhältnisse beschreiben.[22] Ob das hier der Fall ist, werden wir noch sehen. Diese Verbindung zur Empirie verschleiern die ökonomischen Ethiker beständig, indem sie den „präempirischen“ Charakter des HO betonen (Homann und Blome-Drees 1992, 94; Homann und Suchanek 2000, 418), aus dem sie dann im nächsten Atemzug klare empirische Konsequenzen in puncto „Gegenausbeutung“ ableiten (Homann und Suchanek 2000, 420; ein offenes Bekenntnis zur empirischen Verankerung des HO: Homann und Suchanek 2000, 422f.)

Das weite HO-Konzept setzt sich aus zwei Komponenten zusammen: Einem Schema, das vor aller Erfahrung gelten soll und einer empirischen Zusatzannahme. Das Schema besteht darin, jeden informierten Menschen bei jedem Handeln als Maximierer von Präferenzen zu verstehen, gleichgültig, wie diese beschaffen sind (psychologischer Egoismus) (vgl. v. Kutschera 1982, 60f.; Popper 2000, 356f.). Nur so wird sein Handeln überhaupt verständlich: Jeder Mensch tut alles, was er |27|tut, um seine Präferenzen zu erfüllen und er will dies immer im größtmöglichen Maße. Dabei verfolgt der Akteur sowohl im klassischen Sinne eigennützige Präferenzen, wie aber auch solche, die zu seiner Präferenzerfüllung beitragen, indem sie Präferenzen anderer Subjekte erfüllen (altruistische Präferenzen). Mutter Teresa hat demnach Armen geholfen, weil sie den Wunsch dazu hatte und es sie befriedigt hat, ihn zu erfüllen. Dass die Erfüllung dieses Wunsches anderen geholfen hat, ändert nichts daran, dass sie ihren eigenen Wunsch umsetzte. Sie war „egoistisch“ im Sinne des psychologischen Egoismus, insofern sie nur auf Grundlage eigener Wünsche handelte. Aber sie war auch nicht egoistisch im Sinne eines umfassenden und im Alltag zugrunde gelegten Begriffsverständnisses (dazu: Fehige 2001, 61; Haller 2012, 25f.), weil der Inhalt ihrer Wünsche das Wohl anderer war. Es handelt sich beim psychologischen Egoismus laut Homann um eine Rationalitätsannahme vor aller Erfahrung. Von solchen Annahmen meint Popper, dass wir sie selbst bei der Interpretation des Verhaltens von Verrückten machen sollten, wenn wir diese verstehen wollen (Popper 2000, 356f.). Das erlaubt es, auch altruistisches Handeln als existent und rational zu beschreiben und so auf besagte Kritik am engen Konzept des HO einzugehen. Wie G. Becker es ausdrückt: „Alles menschliche Verhalten kann vielmehr so betrachtet werden, als habe man es mit Akteuren zu tun, die ihren Nutzen bezogen auf ein stabiles Präferenzsystem, maximieren.“ (Becker 1993, 15) Auch mildtätige Personen fallen für Becker unter diese Beschreibung (Becker 1993, 306). Das ist der Teil der HO-Annahme, der vor aller Erfahrung gilt und der empirisch ergänzt wird. Empirisch kommt mindestens die Annahme hinzu, dass Menschen in Dilemmasituationen zur „präventiven Gegenausbeutung“ greifen, d.h. ihre klassisch egoistischen Präferenzen in solchen Situationen dominieren lassen (Homann und Blome-Drees 1992, 42, 94).[23] Diese Annahme braucht man, um etwa den HO-Test überhaupt anwendbar zu machen (s.u.). Der besagt: Wenn andere auf Kosten der Ehrlichen schwarzfahren, überlegen die Ehrlichen sich auf Dauer, ob sie die „Dummen“ sein sollen, welche die Schwarzfahrer finanzieren oder ob sie selbst schwarzfahren sollen und am Ende fahren auch die Ehrlichen definitiv schwarz.

Zur Kritik beider Konzepte: Die experimentelle Ökonomik führt dazu, die mit den Konzepten verbundenen empirischen Annahmen ein|28|zuschränken: „In einer umfassenden Studie an 15 Kulturen haben Henrich et al. das Standardmodell des Homo Oeconomicus experimentell überprüft und dabei festgestellt, dass das ‚canonical model – based on self-interest – fails in all of the societies studied‘.“ (Haller 2012, 48) Es zeigt sich: Die Annahme des HOs versagt selbst dabei, nur das Verhalten in bestimmten Situationen zu prognostizieren: Akteure verzichten auch in Dilemmasituationen bei besonderen Public-Good-Spielen auf eigenen Nutzen (Auszahlungen), wenn sie unfaire Mitspieler strafen können (vgl. Sigmund et al. 2002, 98; vgl. Aßländer und Nutzinger 2010) und das ohne sich davon eine Disziplinierung der Mitspieler in weiteren Spielrunden zu versprechen. Es geht ihnen einfach um Gerechtigkeit oder, unschöner formuliert, um Revanche für unfaires Verhalten oder, noch banaler, um Rache. Die Akteure haben eben auch Fairnesspräferenzen und wollen unfaire Mitspieler strafen, was durch den HO begründete Erwartungen über Ausgänge dieser Spiele über den Haufen wirft. Also können die auf das Wohl anderer Menschen bezogenen Präferenzen die im engeren Sinne egoistischen Interessen auch dauerhaft überwiegen. Dabei muss zugestanden werden, dass dies in anonymen Massengesellschaften ohne „Strafmechanismen“ für unfaire Akteure wohl nicht der Regelfall ist. Es gilt gleichwohl auch in Dilemmasituationen: Wer (nur) auf den HO baut, hat auf Sand gebaut (Fehr und Gächter 2000).

Zwar zeigt sich, dass die Fairnesspräferenzen bei starker Konkurrenz weniger wirksam werden (wobei selbst dann immer noch keine mit der HO-Annahme übereinstimmenden Ergebnisse herauskommen) (Panther 2005, 82f.). Das heißt aber höchstens, dass der HO bei perfekten Märkten bestätigt wird. Solche Märkte haben wir jedoch nicht (s.o.), solange Menschen an Märkten teilnehmen. Zudem wird aus den Befunden der experimentellen Ökonomik klar, dass es viele Akteure mit Fairnesspräferenzen gibt. Diese werden vielleicht in faktischen Wirtschaftszusammenhängen nicht aktiviert, sie sind aber potenziell aktivierbar, wenn man das Setting verändert und einen Strafmechanismus für unfaire Aktionen garantiert.

Weitere Befunde lassen sich anführen, die für beide HO-Konzepte problematisch sind: Kooperatives Verhalten wurde auch in Experimenten festgestellt, in welchen eigens Gefangenen-Dilemmata konstruiert wurden. Diese Spiele sind dadurch gekennzeichnet, dass kooperatives Verhalten eines Spielers vom anderen Spieler ausgebeutet werden kann. Cooper et al. führten ein Experiment durch, in welchem Spieler zwanzig Mal anonym auf einen jeweils anderen Spieler trafen. In den letzten |29|zehn Runden, also nachdem den Spielern definitiv bewusst war, dass sie ausgebeutet werden können, war der Anteil kooperativen Handelns zwar zu einem Minderheitenverhalten geschrumpft, lag aber immer noch bei etwa 22 Prozent (vgl. Cooper et al. 1996, 199). Ein Fazit zu diesen Fragen gibt E. Fehr: In zahlreichen Experimenten zeigt sich, „that a substantial percentage of the people are strongly motivated by other-regarding preferences and that concerns for the well-being of others, for fairness and for reciprocity, cannot be ignored in social interactions.“ (Fehr und Schmidt 2005, 1) Die These der ökonomischen Ethik, dass sich Individuen in Dilemmasituationen prinzipiell nicht ausbeuten lassen würden, ist empirisch falsch, da eine Übergeneralisierung.[24] Dass die These jedoch ein Mehrheitsverhalten unter Konkurrenz beschreibt, ist damit noch nicht widerlegt. Diese wenigstens statistische Adäquatheit war ja oben mit Popper zur Bedingung eines sinnvollen Modells gemacht worden.

Das trifft auch das weite Konzept, weil man die empirische Zusatzannahme des Konzepts fallen lassen muss. Diese Annahme ist aber für das Konzept entscheidend. Was ansonsten bleibt, ist eine für ökonomische Zwecke leere Erklärungsstrategie (der psychologische Egoismus), mit der allein man beim HO-Test gar kein Ergebnis erzielen kann. Wie soll man ein Testergebnis prognostizieren, wenn sich die Hälfte der Fahrgäste bei der Bahn gemäß dem ersten Teil des (weiten) HO-Konzepts verhalten und als Spender für die Bahn statt als Schwarzfahrer auftreten können, weil sie auf das Gemeinwohl zielende, nicht zur „Gegenausbeutung“ verführbare, Präferenzen haben? Der Erfolg des HO-Tests hängt am Primat klassischer egoistischer Präferenzen, nur dann ist die Anwendung dieses Tests informativ. Diesen Primat bestätigt die Empirie aber nicht durchgängig. Für das weite HO-Konzept ergibt sich die Problematik, dass es in den Situationen, in denen seine Verwendung interessant wird, mit dem engen zusammenfällt. In allen anderen Situationen erklärt es jedes Verhalten (vgl. Schulte 2014, 39f.; Haller 2012, 23f.) und man kann (je nach Lage der empirischen Präferenzen) alles Mögliche mit ihm vorhersagen.

Eindeutig versagen beide HO-Modelle selbst für Homann in ganz fremden Kulturkreisen wie dem chinesischen (Homann 2002, 86), wo sie weder insgesamt noch unter Konkurrenz ein Mehrheitsverhalten abbilden (vgl. Haller 2012, 48). Sie versagen zudem allgemein dann, wenn |30|Menschen von einer Idee begeistert sind, wie Widerstandsbewegungen wie die „Weiße Rose“ zeigen, bei denen Menschen für uneigennützige Zwecke erhebliche Gefahren auf sich nehmen. Das extremste Beispiel sind religiöse Fanatiker[25], die selbst in Dilemmasituationen, in denen ihr Leben auf dem Spiel steht, nicht als HOs handeln. Diese Begeisterung kann verstärkt durch massenpsychologisch erklärbare Mechanismen offenbar ganze revolutionäre Massenbewegungen wie bei der Befreiung der DDR tragen, bei der große unbewaffnete Mengen gegen gefährliche Soldaten demonstrierten. Tatsächlich setze ich Hoffnung darauf, dass Menschen unter dem Eindruck einer starken moralischen Idee ihren Egoismus häufig und vielleicht sogar auch mehrheitlich überwinden können. Solche Ansätze gilt es mit allen Mitteln von Bildung, Psychologie (z.B. auch „Nudging“; vgl. Thaler und Sunstein 2009) etc. zu fördern und die oft flüchtige Begeisterung zu verstetigen. Das Pendant zu besagter Begeisterung kann Furcht bilden. Wenn die Furcht vor der Zukunft – durch einzelne kleinere Katastrophen bewirkt – groß genug wird, kann das ebenfalls ein Verhalten auslösen, bei dem der HO (mehrheitlich) überwunden wird (Jonas 1979/1985, 391f.). Letztlich kann man vielleicht sagen, dass das HO-Modell (und der Singular ist gerechtfertigt, da weites und enges Konzept letztlich zusammenfallen) ein faktisches Mehrheitsideal in unserem Kulturkreis abbildet (Cooper et al. 1996, 199; Bonoli und Häusermann 2009, 201), demgemäß sich die meisten Menschen unter Konkurrenz wenigstens verhalten wollen. Aber sie scheitern häufig aufgrund von Fehlinformationen und anderer menschlicher Schwächen daran (Kahneman und Krueger 2006). Das Modell unterschlägt das Potenzial zu einem anderen Verhalten, das empirisch ebenfalls verbürgt ist. Damit ist das HO-Modell also gemessen an obigen Adäquatheitsbedingungen geschwächt, aber doch bestätigt.[26]

Folglich betrachte ich auch mein drittes Beweisziel als eingelöst: die aufgeklärten Präferenzen der Individuen fallen nicht auto|31|matisch mit denen eines HO zusammen. Zudem überzeugen die mit HO-Modellen verbundenen Aussagen nicht umfassend. Sie vernachlässigen eine existente und vergrößerbare Gruppe von Akteuren in unserem Kulturkreis. Damit ist ein einstimmiger Konsens über die Marktwirtschaft unwahrscheinlicher, als es die ökonomische Ethik annimmt, denn die wahren Interessen der Akteure fallen nicht bei allen mit den HO-Interessen zusammen: Aufklärung von Interessen führt nicht automatisch zum Konsens über Marktwirtschaft. Also gute Nachrichten für die Menschheit: Der Mensch ist besser als sein Ruf!

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