Kitabı oku: «Vom Imperiengeschäft», sayfa 2
Natürlich hat CTS Eventim unlängst nachgezogen und eine eigene Abteilung namens »Eventim Brand Connect« ins Leben gerufen, die sich um Unternehmenskunden kümmert, die sich für Marketing- und Sponsoring-Maßnahmen im Livebereich interessieren. Mit der neuen Geschäftseinheit bietet CTS Eventim »Kampagnenmöglichkeiten entlang der gesamten Fan Connection«.13 Denn »Marketingpartnerschaften« sind für CTS Eventim »ein strategisches Wachstumsfeld«, wie Frithjof Pils, der Geschäftsführer der neuen Abteilung und auch Geschäftsführer der Medusa Music Group, erklärte: »Wir verfügen über wesentliche Assets und Kompetenzen, um Werbepartnern einen erheblichen Mehrwert für ihre Kampagnen zu bieten.« Eventim Brand Connect biete dazu »eine in Europa einzigartige Reichweite und Internationalität« mit Zugang zu rund 3000 Veranstaltungen von mehr als 20 Promotern in zehn Ländern mit Besucherzahlen von mehr als zehn Millionen Menschen pro Jahr.14 Und Pils verweist auf einen anderen Vorteil eines Konzert- und Ticketkonzerns: »Bei uns kauft der Kunde in der Regel 150 Tage vorher. Wir können ihn also ein halbes Jahr lang begleiten«. Heißt: mit Werbung eindecken und seine Daten absaugen.15 Und für den Aufbau des neuen Unternehmensbereichs Marketing, Partnerships und Sponsorship hat CTS Eventim Anfang 2017 einen ausgewiesenen Experten an Land gezogen: Simon Lewis. Er war zuvor Präsident von ...? Genau: Live Nation Europe.
Grundsätzlich sieht es bei der CTS Eventim AG nicht anders als bei Live Nation aus. Man operiert nur auf etwas niedrigerem Level. Der drittgrößte Konzertveranstalter und zweitgrößte Tickethändler der Welt verzeichnete 2017 erstmals in der Firmengeschichte Einnahmen von mehr als einer Milliarde Euro und konnte den Umsatz im Jahr 2018 nochmals um mehr als 20 Prozent auf 1,242 Milliarden Euro16 steigern. Das Betriebsergebnis (das normalisierte EBITDA)17 lag 2017 bei 204,7 und 2018 bei 231,1 Millionen Euro (eine Steigerung von 12,9 Prozent). CTS Eventim ist in gewisser Weise und rein wirtschaftlich gesehen ein sehr deutsches Gegenmodell zu Live Nation: Man schreibt bevorzugt schwarze Zahlen; die Zukäufe werden nicht durch gigantische Verluste finanziert wie bei Live Nation, sondern eher seriös; und das Wachstum des Konzerns schreitet deswegen langsamer voran. Doch im übrigen ist das Prinzip ähnlich: Man setzt auf das Betreiben von Konzertarenen (die Lanxess Arena in Köln, die Berliner Waldbühne und die Arena Berlin, Eventim Apollo in London, K. B. Hallen in Kopenhagen) und den Zukauf von nationalen Tourneeveranstaltern in ganz Europa sowie auf Festivals.
In Großbritannien wurde heftig kritisiert, daß Live Nation mehr als 25 Prozent aller dortigen Festivals mit mehr als 5000 Zuschauern dominiert. Darüber kann die deutsche Konzertbranche nur müde lächeln: In Deutschland kontrollieren CTS Eventim-Firmen heute gut zwei Drittel der großen Rock- und Pop-Festivals. Und vor allem verdient CTS Eventim am Ticketing: Während der Konzertbereich des Konzerns 2017 bei einem Umsatz von 626,7 Millionen Euro nur 25,5 Millionen Euro Gewinn (normalisiertes EBITDA) machte (und 2018 bei einem Umsatz von 812,5 Mio. Euro nur 35,3 Mio. Gewinn), lag der Erlös im Ticketing-Bereich 2017 bei einem Umsatz von 418,4 Millionen Euro bei 178,6 Millionen und 2018 bei einem Umsatz von 447,1 Millionen Euro bei 195,8 Millionen (jeweils EBITDA).
Die EBITDA-Marge des CTS-Konzertgeschäfts liegt derzeit bei etwas über 4 Prozent (mit dem tiefsten Wert seit 2005, nämlich 4,2 Prozent, in 2017 und dem zweittiefsten Wert in 2018: 4,4 Prozent; 2010 lag der Wert noch bei 8,0 Prozent, 2012 bei 9,3 Prozent, 2013 bei 8,7 Prozent), während die EBITDA-Marge im Ticketing bei CTS seit fünf Jahren bei über 40 Prozent liegt, mit kontinuierlich steigender Tendenz (mit dem höchsten Wert im Jahr 2018: 43,8 Prozent).
Das bedeutet im Klartext: Die extrem hohen Gewinne aus dem Unternehmensbereich Ticketing verschaffen CTS Eventim die Möglichkeit, zu expandieren und weitere Konzertfirmen zu kaufen, die wiederum dafür sorgen, daß die Ticketeinnahmen von CTS Eventim weiter steigen, was CTS Eventim wiederum die Möglichkeit verschafft, zu expandieren und weitere Konzertfirmen zu kaufen und so weiter und so fort. Die Erfindung des Perpetuum mobile – im Konzertbusiness ist sie gelungen, als sowohl vertikales wie horizontales Imperiengeschäft.
Das war übrigens von Anfang an das Erfolgsmodell von CTS Eventim: Im Jahr 1996 hatte Klaus-Peter Schulenberg den seinerzeit hochdefizitären Kartenvermarkter »Computer Ticket Service«, CTS, einen Dienstleister für Vorverkaufsstellen, von den damaligen Granden der deutschen Konzertveranstalter-Szene gekauft, von Marek Lieberberg, Matthias Hoffmann und Marcel Avram. CTS soll damals mit 10 Millionen D-Mark verschuldet gewesen sein.18 Schulenberg sanierte den Laden und brachte ihn im Jahr 2000 unter dem Namen »CTS Eventim« an die Börse. Mit dem Cashflow aus dem Börsengang stand Schulenberg und seiner jungen Aktiengesellschaft neues Kapital zur Verfügung, das investiert werden konnte. Zunächst plante Schulenberg, 12 Millionen D-Mark in eine umfassende Werbekampagne für seine Kartenfirma zu stecken, um Kunden auf die Websites des Unternehmens zu locken. Doch das Konzept ging nicht auf. »Wir hatten 2 Millionen DM ausgegeben und keinen Mehrumsatz gemacht«, wird Schulenberg zitiert.19 Schulenberg stellte die teure Werbekampagne ein. Stattdessen investierte er den zweistelligen Millionenbetrag, der übriggeblieben war, in Konzert- und Ticketfirmen – Wachstum durch Übernahmen. Schulenberg kaufte Kartenportale, vor allem aber Konzertveranstalter, und zwar die größten und renommiertesten. Unter anderem den Marktführer, die Marek Lieberberg Konzertagentur, sowie Semmel Concerts (der Tourneeveranstalter von Helene Fischer war im Jahr 2018 laut Pollstar der vierterfolgreichste Konzertveranstalter der Welt mit über 4,47 Millionen verkaufter Tickets),20 außerdem Peter Rieger, Dirk Becker oder später FKP Scorpio. Diese Zukäufe waren für Schulenberg, der über seine »KPS Stiftung« 43,2 Prozent des Grundkapitals und der Stimmrechte an CTS Eventim hält,21 der »einfachste Weg, die Marke CTS Eventim an die Künstler zu bringen«.22 Mit mehr als dreißig Firmenübernahmen hat Schulenberg aus einer Firma mit einst 6,5 Millionen D-Mark Umsatz ein Milliardenimperium aufgebaut, das den Ticketmarkt für Konzerte und Sportveranstaltungen in Deutschland dominiert und auch in ganz Europa mal mehr, mal etwas weniger mitbeherrscht und gleichzeitig im europäischen Konzertgeschäft mit Live Nation ein Duopol bildet. Und last but not least ist Schulenberg mit seinen Geschäften binnen nur siebzehn Jahren selbst zum Milliardär geworden.
Faktisch haben die Ticketingkonzerne (oder präziser: die Ticketingabteilungen der Live Entertainment-Konzerne) die Macht im Konzertgeschäft übernommen. Diese Macht hängt mit mehreren Faktoren zusammen: Bekanntlich tragen die Ticketanbieter im Gegensatz zu den Konzertveranstaltern keinerlei unternehmerisches Risiko, sie betreiben ein reines Provisionsgeschäft. Werden für ein Konzert wenig Tickets verkauft, verdient der Tickethändler eben ein bißchen weniger, während der Konzertveranstalter in die Bredouille gerät und Verlust macht. Der stärkste Grund für die Gewinne im Ticketing aber lautet: das Internet! Die Menge der von CTS Eventim im Internet verkauften Tickets steigt in Riesenschritten: 2005 waren es noch 3,5 Millionen Tickets, 2010 bereits 17,1 Millionen, 2017 hat CTS Eventim 48,9 Millionen und 2018 erstmals über 50 Millionen Tickets im Internet verkauft, nämlich 54,3 Millionen Online-Tickets. Dabei kommen den Ticketingfirmen vor allem ihre geringen Kosten zugute. Während im alten Modell die Kartenverkaufsstellen ganz konkret eine Bude auf dem Markt hatten (mit Kosten für Miete, Ausstattung, Computer und Personal), die sie von ihren 10 Prozent Vorverkaufsgebühren finanzierten, fallen die meisten dieser Kosten im Internet weg. Die Ticketingkonzerne können neben ihrer weiterhin erhobenen »System«- beziehungsweise »Buchungsgebühr« (zwischen 1 und 2 Euro) nun den größten Teil der Vorverkaufsgebühren selbst als Gewinn verbuchen. Und außerdem verlangen die Großkonzerne im Ticketgeschäft bekanntlich noch absurde Zusatzgebühren wie zum Beispiel die »Print at Home«-Gebühr für Kund*innen, die sich ihre Tickets selbst am Drucker ausdrucken. Dafür, daß sie selbst die Arbeit machen, das Equipment zur Verfügung stellen und den Toner selbst bezahlt haben, wurden die Kunden von CTS Eventim nochmal mit einer »Servicegebühr« von 2,50 Euro zur Kasse gebeten. Auch »Reservix« und die mit ihr verbundene »AD Ticket«, Nummer drei im deutschen Ticketinggeschäft, verlangen immer noch (allerdings geringere) »Print at Home«-Gebühren, während Ticketmaster diese Zusatzgebühren für den deutschen Markt mittlerweile aus freien Stücken abgeschafft hat. Der Bundesgerichtshof (BGH) hat die »Print at Home«-Gebühren der CTS Eventim AG im August 2018 höchstrichterlich gekippt – jedenfalls wenn diese Gebühr 2,50 Euro beträgt. Denn der BGH-Entscheid gilt nicht grundsätzlich für derartige Gebühren, sondern lediglich für ihre Höhe. Und so hat ein CTS-Eventim-Sprecher auch unmittelbar nach dem Gerichtsentscheid frech angekündigt, daß man zwar »vorerst« auf diese Gebühr verzichten, aber »wenn nötig Anpassungen vornehmen« werde. Möglicherweise könne die Gebühr »auch in verringerter Höhe beibehalten werden«.23
Der Kunde ist ganz offensichtlich der Feind. In kaum einer anderen Branche werden die Kund*innen derart arrogant und schlecht behandelt wie im Konzertgeschäft beim Kartenkauf.
Dies kann man auch bei den Versandkosten feststellen. Ohne daß irgendwelche besonderen Serviceleistungen wie zum Beispiel der Versand per Einschreiben angeboten würde, verlangen die beiden größten Ticketingkonzerne absurd hohe Gebühren beim Ticketversand: 4,90 Euro sind es beim deutschen Marktführer CTS Eventim, neuerdings sogar 5,90 Euro bei der deutschen Dependance des Weltmarktführers Ticketmaster. Zur Erinnerung: Das Porto für einen Standardbrief, mit dem die Tickets versandt werden, beträgt hierzulande (Stand Frühjahr 2019) 70 Cent. Ein Briefumschlag ist für weniger als 2 Cent zu haben, und selbst wenn man die Kosten für Versandstraßen und Personal einkalkuliert, dürften die Gewinne bei den Versandgebühren bei deutlich über 3 Euro pro Sendung liegen. Laut Angaben eines CTS Eventim-Sprechers werden »weniger als zehn Prozent« (Handelsblatt) beziehungsweise »etwa fünf Prozent« (Spiegel Online) der in Deutschland über die Verkaufsplattform Eventim.de verarbeiteten Kundenaufträge mittels »Print at Home« verarbeitet – was im Klartext bedeutet, daß der weitaus größte Teil der hierzulande von den Ticketingkonzernen verkauften Eintrittskarten weiterhin per Post mit noch höheren Versandgebühren und entsprechend noch höheren Gewinnen verschickt wird. Und warum machen CTS Eventim und Ticketmaster das? Ganz einfach: weil sie’s können. Weil niemand diesem modernen Raubrittertum zu Lasten der zig Millionen Konzertfans Einhalt gebietet.
Wie dreist diese Konzerne mittlerweile vorgehen, zeigte sich Ende 2014, als die Karten für die Tournee von AC/DC exklusiv über CTS Eventim in den Vorverkauf gelangten. Diese Tournee wurde nicht von einer der Firmen der CTS Eventim AG, sondern von United Promoters veranstaltet. Die Marktmacht des Quasi-Monopolisten im Ticketbereich zeigt sich daran, daß selbst bei einer derartigen Mainstream-Tournee offensichtlich kein Weg an CTS Eventim vorbeiführt. Die AC/DC-Karten wurden vom Konzertveranstalter zum Fixpreis von 80 Euro auf den Markt gebracht – »zuzüglich Gebühren«. Und bei diesen Gebühren langten die Raubritter von CTS Eventim gewaltig zu:
AC/DC Tournee 2015 | |
Ticket-Fixpreis | 80 Euro |
Vorverkaufsgebühr | 21,55 Euro (üblich: 10 Prozent, hier: mehr als 25 Prozent) |
Premiumversand24 | 19,90 Euro (Versand erfolgte mit Standardporto 0,60 €) |
Zahlungsgebühr | 8,72 Euro (für Bezahlung per Kreditkarte oder Lastschrift) |
Gesamtpreis pro Ticket25 | 130,17 Euro (bei einem Fixpreis von 80 Euro), entspricht einem Aufschlag von 62,71 Prozent |
Schon in den ersten 63 Minuten des Vorverkaufs griffen 325 000 Fans zu und kauften Tickets für die AC/DC-Konzerte. Der Konzertveranstalter, noch mehr aber die Ticketbosse von CTS Eventim durften sich die Hände reiben.
Immerhin, die Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen hat CTS Eventim wegen der »Abzock-Entgelte« bei den Bezahlgebühren abgemahnt, weil CTS nur gebührenpflichtige Zahlmethoden angeboten hatte, was unzulässig ist, es muß immer auch eine kostenneutrale Zahlungsmöglichkeit zur Verfügung stehen. Die überhöhte Vorverkaufsgebühr von knapp 27 Prozent und der sogenannte Premiumversand allerdings bleiben zulässig, jedenfalls juristisch, wenn auch ganz sicher nicht moralisch. Aber um Moral oder nur Legitimität kümmert sich CTS Eventim naturgemäß nicht, wenn es um die Profitmaximierung geht: »Wir bedauern die Vorwürfe der Verbraucherzentrale, da die Gebühren aus unserer Sicht im Rahmen des öffentlichen Vorverkaufs marktüblich und rechtskonform sind.«26
Diese Abzockerei ist nicht nur ärgerlich, sondern sie trägt auch zu einem schlechten Image der Konzertbranche in der Öffentlichkeit bei und richtet zudem einen nicht zu unterschätzenden kulturellen Schaden an. Den Fans wurden in den genannten Fällen zwischen 21 und mehr als 40 Euro zu viel abgeknöpft. Das entspricht einem oder zwei Tickets für ein gutes Club-Konzert, für das die Fans dann kein Geld mehr übrig haben. CTS Eventim schadet hier also auch den kleineren Bands und den vielen engagierten Clubs, die auf den Besuch von Fans dringend angewiesen sind.
Die Praxis der überhöhten Zusatzgebühren läßt sich nicht nur bei Rockkonzerten beobachten. Am 11. Mai 2019 gastierte Igor Levit, einer der angesagtesten und interessantesten Pianisten unserer Tage, im Kammermusiksaal der Berliner Philharmonie. Das Konzert wurde von einem freien Veranstalter, First Classics, organisiert. Auf der Webseite des Konzertveranstalters wurden Eintrittskarten in fünf Kategorien angeboten, von 35 Euro bis 55 Euro. Dazu erhebt der Veranstalter eine Bearbeitungsgebühr von 5 Euro. Bei CTS Eventim kosteten die Tickets der besten Kategorie statt 55 Euro jedoch 64,95 Euro, bei Ticketmaster immerhin noch 62,95 Euro. Für die günstigsten Tickets von 35 Euro zahlte man bei CTS 42,55 Euro und bei Ticketmaster 40,55 Euro, alles zuzüglich der überhöhten Versandgebühren von 4,90 Euro (CTS) beziehungsweise 5,90 Euro (TM). Für »Ticketdirect«, das CTS-eigene »Print at Home«-Angebot, verlangt der Monopolist derzeit keine Zusatzgebühr, wohl aber für das »Mobile Ticket« – 2,50 Euro. Man denkt sich eben immer neue Wege aus, um an das Geld der Kunden zu kommen. Der Kauf von zwei Eintrittskarten der besten Kategorie kostete beim Konzertveranstalter 115 Euro, bei CTS Eventim 134,80 Euro (17,22 Prozent mehr) und bei Ticketmaster 131,80 Euro (jeweils inklusive aller Gebühren). Natürlich stellt sich die Frage, warum die Leute ihre Konzertkarten nicht direkt bei den Konzertveranstaltern, sondern bei den Ticket-Gangstern kaufen? Die Antwort ist einfach. Wer im Frühjahr 2019 bei Google »Igor Levit Berlin« eingab, erhielt als Top-Suchergebnis eine bezahlte Anzeige von eventim.de. Mit den relativ geringen Kosten einer bezahlten Anzeige auf Google wurde potenziellen Kund*innen die Ticketing-Plattform des deutschen Monopolisten für den Kartenkauf angeboten, um den Eindruck zu erwecken, dies sei die einzige Möglichkeit, an die Karten zu kommen. Auf der ersten Seite der Google-Suche fand sich keine andere Kaufmöglichkeit für die Tickets. Weiter unten erschien dann übrigens nochmal der Verweis auf eventim.de, diesmal mit dem schönen Zusatz: »Igor Levit Tickets – Karten jetzt zu Top-Preisen bestellen«. »Top-Preis« offensichtlich im Sinne von »Höchstpreis«.
Aber man glaube nicht, daß es nur die Ticketgiganten sind, die abzocken. Auch unabhängige Vorverkaufsstellen langen gerne mal zu. Bei Tickets für die Bands A Perfect Circle und Chain & The Gang wurden 2018 in Berlin in vier verschiedenen Vorverkaufsstellen Zusatzgebühren von 1 Euro bis 4,40 Euro erhoben. Wohlgemerkt zusätzlich zu den zehn Prozent des Ticketpreises, den die Vorverkaufsstellen bereits als Vorverkaufsgebühr erhielten!
Ein weiteres Geschäftsfeld stellt der sogenannte »Zweitmarkt« dar. Gemeint ist der mittlerweile größtenteils kommerzielle Weiterverkauf von Konzertkarten zu teilweise drastisch erhöhten Preisen. Früher nannte man das einfach »Schwarzmarkt«, wenn fragwürdige Gestalten vor den Konzertsälen oder Stadien Karten für ausverkaufte Veranstaltungen anboten und mit der Differenz zum aufgedruckten Eintrittspreis ihr mehr oder minder kleines Geschäft machten. Aber der eigentliche Schwarzmarkt findet heute im Internet statt. Er ist dort geradezu explodiert und wird von großen Firmen dominiert, die sich auf den Weiterverkauf von Tickets mit einer nennenswerten Gewinnmarge spezialisiert haben. Diese Zweitmarkthändler kaufen beträchtliche Kartenkontingente für Konzerte, Fußballspiele und andere Events auf und bieten sie im großen Stil auf eBay oder einschlägigen Zweitmarktplattformen wie Stubhub, Ticketbande oder Viagogo an. Preisaufschläge von 250 Prozent und mehr sind dabei keine Ausnahme. Je attraktiver das Angebot, desto höher der Aufschlag. Es ist Kapitalismus pur. Nicht der Künstler legt den Wert seiner geistigen, schöpferischen Arbeit fest, sondern eine Plattform, auf der Kunst als handelbare Ware feilgeboten und mit ihr Mehrwert (Profit) gemacht wird. Menschen, die der Ideologie vom sogenannten freien Markt und einer nachfrageorientierten Wirtschaft nachhängen, dürften am Ticketing-Zweitmarkt ihre helle Freude haben.
Nun haben Musiker und Konzertveranstalter das alte Marxsche Gebrauchswert-Modell teilweise überwunden, indem die Musiker über die reine Bezahlung ihrer »Dienstleistung« hinaus auch an den Gewinnen einer Konzertveranstaltung beteiligt werden. In Club-Konzerten ist eine Gewinnbeteiligung von 70 Prozent nach Break Even, also zuzüglich zur etwaigen Festgage, gang und gäbe, bei Hallenkonzerten sind 80 bis 85 Prozent mittlerweile Standard, bei Stadionkonzerten geht sie bis zu 100 Prozent, und wie oben bereits ausgeführt wurde, bietet Live Nation den Musikern teilweise sogar mehr als 100 Prozent der Einnahmen, um die Musiker zur Zusammenarbeit mit dem Konzern zu gewinnen (um dann mit den Ticketing- und Sponsoring-Einnahmen Profit zu machen).
Der Eintrittskarten-Zweitmarkt allerdings torpediert die Möglichkeiten der Musiker*innen, tatsächlich mit ihrer Arbeit oder mit ihrer »Dienstleistung« (wie Marx sagen würde) an den Gewinnen an ihrer Darbietung beteiligt zu werden, denn die gesamten Gewinne aus dem über den ursprünglichen Eintrittspreis hinausgehenden Verkaufspreis eines Zweitmarkt-Tickets streichen ja die Wiederverkäufer sowie die Plattformen ein. Weder die Künstler noch die Veranstalter, also diejenigen, die die Konzert-Arbeit leisten und die gewissermaßen die gemeinsamen »Unternehmer« sind, erhalten einen Anteil an diesem zusätzlichen Gewinn. Vielmehr werden sie um diesen Teil möglicher Einnahmen betrogen.
Natürlich ist der Ticket-Zweitmarkt unfair gegenüber den Konzertbesucher*innen, auch wenn die Fans dort natürlich »freiwillig« die überhöhten Preise für die Eintrittskarten bezahlen. Sie wollen eben unbedingt an dem Event teilnehmen, koste es, was es wolle. Das Hauptmotiv der Ticketkonzerne, sich dem Kampf gegen den Ticket-Zweitmarkt zu verschreiben, dürfte letztlich darin begründet sein, daß derartige Plattformen den Ticket-Großkonzernen massive Probleme bereiten. Die Trennung von Primary und Secondary Ticketing ist ja lediglich eine interne Sicht der Konzertindustrie. Die Fans machen diesen Unterschied nicht, sie kaufen die überteuerten Tickets, wenn sie unbedingt auf ein bestimmtes Konzert gehen wollen, bei Viagogo oder bei Stubhub, und so wurde Stubhub zu einem der größten Tickethändler in den USA, der dem dortigen Marktführer Ticketmaster bedrohlich nahegekommen ist. Dies dürfte der Grund sein, warum die größten Tickethändler Ticketmaster und CTS Eventim eigene Zweitmarkt-Plattformen auf den Markt gebracht haben.
Großveranstalter (auch solche, die zu Konzernen wie CTS Eventim gehören) haben sich mittlerweile zu einer Initiative namens »Face-Value Alliance for Ticketing« (FEAT), also einer »Allianz für den Nennwert beim Ticketing«, zusammengeschlossen. Ihr Ziel: Lobbyarbeit für gesetzgeberische Initiativen, um Fans und Künstler vor Ticketspekulanten und -betrügern zu schützen. In Großbritannien gibt es eine entsprechende Initiative namens »FanFair Alliance«, und in Frankreich, das in dieser Hinsicht führend in Europa ist, gibt es sogar ein Gesetz gegen Zweitmarkt-Plattformen wie Viagogo. Entsprechende Gesetze auf europäischer Ebene wären wünschenswert, wenn sie sich aber lediglich auf den Zweitmarkt beschränken, statt auch die von den Großkonzernen wie CTS Eventim und Ticketmaster eingeführten, Fan-feindlichen Zusatzgebühren zu berücksichtigen, greift diese Initiative zu kurz. Sie beschränkt sich auf eine oberflächlichen Anbiederung an Fans und Künstler, während die Ticketkonzerne weiter ihr legales Unwesen treiben.
Zu den Maßnahmen der Ticketingkonzerne gegen die Konkurrenten vom Zweitmarkt gehören auch die »Verified Fan«-Vorverkäufe oder die sogenannten »Platin-Tickets«, mit denen ein begrenztes Kontingent von Karten zu nachfrageorientierten Preisen erst dann angeboten wird, wenn die Konzerte »ausverkauft« sind. Das Ziel ist, die letzte Eintrittskarte möglichst erst am Konzerttag zu verkaufen, um den gewerblichen Weiterkauf von Tickets mit drastischen Aufschlägen einzudämmen und, natürlich, den gesamten Erlös bei den Künstler*innen und ihren Partnern, den Konzernen, zu belassen. Derartige Platin-Tickets sind keineswegs VIP-Tickets, auch wenn die Fans das oft annehmen. Es handelt sich lediglich um die angeblich besten Plätze zum Zeitpunkt des Kartenkaufs.
Die einfachste und vernünftigste Art und Weise, dem Ticket-Zweitmarkt den Hahn zuzudrehen, wäre ein Modell, das längst zur Verfügung steht, aber hierzulande viel zu selten genutzt wird: das papierlose Ticket. Dieses befindet sich auf dem Smartphone und wird beim Einlaß zum Konzert gescannt, wie wir es zum Beispiel bei Flügen kennen. Die ID des Käufers kann durch anonymisierte Tokens festgestellt werden, wie sie beispielsweise Apple Pay verwendet. Vorteil: Diese digitale Einlaßberechtigung (und nichts anderes ist ja ein Ticket) kann nicht zu überhöhten Preisen weiterverkauft werden, denn sie kann gar nicht weiterverkauft werden, sie ist ja an die ID der Nutzer*innen gekoppelt. Und wenn Käufer*innen aus irgendwelchen Gründen ihre Einlaßberechtigung (ihr papierloses Ticket) nicht nutzen können, weil sie zum Beispiel verhindert sind, müssen die Ticketinganbieter gegen eine geringe Gebühr eine Plattform anbieten, auf denen das papierlose Ticket an Interessent*innen zum Originalpreis weiterverkauft werden kann – die ebenfalls mit einer Käufer*innen-ID belegen, daß sie keine kommerziellen Weiterverkäufer*innen sind.
Go paperless, und ihr seid das lästige Secondary-Ticketing-Problem los!
Der amerikanische Philosoph Michael Sandel hat in seinem Buch »Was man für Geld nicht kaufen kann« von einer »Ethik des Schlangestehens« gesprochen: Wer als erster kommt, wird als erster bedient. Wer später kommt, muß sich anstellen und kommt später dran. Es geht, wie man so sagt, »immer der Reihe nach«, und es gehört sich nicht, sich vorzudrängeln. Man könnte sagen, die Schlange macht uns gleich. Oder sie erinnert uns daran, daß wir in einer Demokratie zumindest theoretisch alle gleich sind, daß zu den Idealen der Aufklärung neben »Freiheit« und »Brüderlichkeit« eben auch die »Gleichheit« zählt. Wenn nun aber jemand, der Karten für ein ausverkauftes Konzert erwerben möchte und bereit ist, nicht den ursprünglichen, von Künstlern und Veranstaltern festgelegten, sondern einen beträchtlich überhöhten Eintrittspreis zu zahlen, dann wird die Gleichheit außer Kraft gesetzt. Diejenigen, die sich mit ihrem Geld das Privileg erkaufen wollen und können, die Schlange zu ignorieren und statt derjenigen, die den normalen Eintrittspreis bezahlen, in die Veranstaltung gelangen, sind im Grunde Egoisten, die ihre Ellbogen ausfahren und die sich rücksichtslos und zum Nachteil der anderen vordrängeln. Wollen wir wirklich in einer Welt der Vordrängler leben? In einer Welt, in der sich die mit dem meisten Geld durchsetzen? In der die Gleichheit aller Menschen nur auf dem Papier existiert?
Es gibt ja immer noch Musiker*innen wie auch Veranstalter*innen, denen es nicht egal ist, wie hoch die Eintrittspreise sind. Das Recht auf Preisgestaltung und letztlich auf Gleichbehandlung der Konzertbesucher*innen wird jedoch durch neue Ticketing-Modelle aufgeweicht, die der neoliberalen Wirtschaftsweise und den Möglichkeiten der Digitalisierung abgeschaut worden sind. Zu diesen Modellen gehört das »Dynamic Pricing«, wie wir es zum Beispiel von Fluglinien oder aus der Hotellerie kennen. In der Konzertbranche bedeutet Dynamic Pricing vor allem: Je höher die Nachfrage nach Tickets, desto teurer werden sie. Und je größer die Nachfrage nach einem bestimmten Ticket (z. B. dem vermeintlichen »Best Seat«), desto teurer wird dieser beste Platz. Umgekehrt gilt: Wenn für ein Konzert im Vorverkauf nur wenige Karten abgesetzt werden, könnten die Eintrittspreise billiger werden, um den Verkauf anzukurbeln. Ticketverkauf zu wechselnden Preisen je nach Nachfrage.
Live Nation / Ticketmaster haben allein durch die Praxis des Dynamic Pricing für das Geschäftsjahr 2018 Zuwächse in Höhe von 500 Millionen US-Dollar erwartet. Mit Dynamic Pricing kann man also noch mehr Profit aus den Konzerten herausholen. Dynamic Pricing nutzt dabei die Datensammelwut sowohl der Handelsriesen als auch der Internetplattformen. Letzteren ist zum Beispiel bekannt, mit welcher Hardware ihre Kunden die Seiten ansteuern. Nach einer Recherche des SWR-Magazins Marktcheck bezahlen Apple-Nutzer teilweise höhere Preise für einzelne Produkte, weil sie von den Konzernen als zahlungsstärker eingestuft werden. Auch Amazon hat eingestanden, daß Kunden für Amazon-Produkte zum Teil unterschiedliche Preise zahlen.*
* »Wenn wir das Gefühl haben, es entwickelt sich für den Kunden ein neuer Marktpreis, und das kann bei manchen Produkten mehrmals am Tag sein, reagieren wir darauf.« Ralf Kleber, Deutschland-Chef von Amazon, in: »Amazon-Chef: Wir passen den Preis den Kunden an«, Süddeutsche Zeitung, 1. 11. 2015.
Und die Informatikerin Constanze Kurz hat beschrieben, wie sogenannte »Tracker«, die in Apps auf dem verbreiteten Android-Betriebssystem enthalten sind, ohne daß die Nutzer*innen davon Kenntnis haben, pausenlos »Daten aus den Mobiltelefonen an Unternehmen senden, die Nutzerprofile anlegen und sie meistens Werbekunden anbieten«. Laut einer Studie von Forschern der Universität Oxford haben 90 Prozent aller Apps, die im »Google Play Store« angeboten werden, Tracker eingebaut, und fast alle gehören US-amerikanischen Unternehmen, die diese Nutzerdaten erhalten. Etwa zehn Prozent der Apps senden ihre Trackerdaten nicht nur an US-Firmen, sondern »zusätzlich in andere Länder, in denen Profilfirmen sitzen«. Im Klartext bedeutet das: »Fremde Dritte sitzen massenhaft und unbemerkt in unseren Mobiltelefonen und vermerken unser Verhalten oder unsere politische Gesinnung, um uns später maßgeschneiderte Werbung schicken zu können.«27
Es wäre technisch für CTS Eventim oder Ticketmaster, die über Kundendaten im gigantischen Ausmaß verfügen, ein leichtes, Kunden, die sich über ein Apple-Notebook, ein iPhone oder ein iPad auf ihren Websites einloggen, höhere Ticketpreise abzuverlangen als jenen, die mit einem Aldi-Laptop ihr Portal besuchen. Und man darf getrost davon ausgehen, daß zu den »fremden Dritten«, die in unseren sogenannten Smartphones sitzen, längst auch die Ticketing-Konzerne gehören. Der zusätzliche Vorteil für die Ticketing-Konzerne bei Dynamic-Pricing-Modellen: Die Musiker bekommen von den erhöhten Eintrittspreisen in der Regel nichts mit, die Konzerne müssen diese Zusatzprofite also nicht mit den Musiker*innen teilen (es sei denn, die haben smarte, mit allen Wassern der Digitalwirtschaft gewaschene Manager*innen). Kein Wunder, daß Michael Rapino, CEO von Live Nation, also Chef des weltgrößten Konzertveranstalters und des weltgrößten Ticketinghändlers, ausgesprochener Freund von »Best Sale«-Modellen und ganz allgemein von höheren Eintrittspreisen ist. Rapino tritt dafür ein, Künstler davon zu überzeugen, »bei der Preisgestaltung mehr zu wagen«. Ohnehin seien »Ticketpreise im Durchschnitt noch zu niedrig«. Man müsse lediglich »den Umsatz im eigenen Haus behalten, indem man den Kuchen in viele unterschiedlich große Stücke« schneide. »Besseres, offensiveres Pricing« sei zwar ein kontroverses Thema, doch die Konzertindustrie müsse »Feuer mit Feuer bekämpfen«.28
Hier zeigt sich der Paradigmenwechsel im Konzertgeschäft: Früher war ein Veranstalter glücklich und zufrieden, wenn er eine Halle oder gar ein Stadion zügig ausverkauft hatte, und für die Promoter der alten Schule dürfte das auch heute noch gelten: Man hat ein großes Publikum für die Musiker*innen und Bands gefunden, die man veranstaltet – was will man mehr? Aber die neuen Herren der internationalen Konzertimperien sehen das anders, sie sind bei einem rasch ausverkauften Konzert der Ansicht, daß der Ticketpreis offensichtlich zu günstig war. Sie ziehen den – rein wirtschaftlich gesehen logischen – Schluß, daß man höhere Ticketpreise hätte verlangen und den Profit noch hätte weiter steigern können. Man muß Michael Rapino geradezu dankbar sein für die Offenheit, mit der er sein Geschäftsmodell vertritt.
Klaus-Peter Schulenberg von CTS Eventim dürfte vieles ähnlich sehen und praktizieren, würde sich aber niemals öffentlich so äußern, wie es der Texaner Michael Rapino mit seiner selbstbewußten Cowboy-Attitüde immer wieder tut. Sowohl Ticketmaster als auch CTS Eventim haben mit Seatwave, Get Me In und fanSALE eigene Zweitmarkt-Plattformen für Eintrittskarten an den Start gebracht. »Wenn ein Besucher bereit ist, für ein Ticket 4000 Dollar zu zahlen, dann ist er nicht der Böse, sondern ein engagierter Fan«, ließ Rapino auf der ILMC verlauten. Es komme eben lediglich darauf an, daß man »den Umsatz im eigenen Haus behält«. Klar: Wenn die Tickets auf der konzerneigenen Zweitmarkt-Plattform ein zweites Mal verkauft werden, streichen die Ticketing-Konzerne ein zweites Mal ihre Prozente ein, laut Brancheninsidern im Falle des Zweitverkaufs nochmal 15 bis 20 Prozent. Sie machen doppelten Profit. Sie perfektionieren ihr Imperiengeschäft.