Kitabı oku: «Vom Imperiengeschäft», sayfa 4

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Kapitalismus schafft Differenzen, und die alles entscheidende Differenz ist die von arm und reich. Werfen wir einen Blick in die USA: Wäre Kalifornien ein eigenständiger Staat, wäre er wirtschaftlich gesehen der fünftreichste der Welt, dank des Silicon Valley und Hollywood. Aber Kalifornien ist gleichzeitig der ärmste Bundesstaat der USA: 7,4 Millionen Menschen dort sind arm, was 19 Prozent der Bevölkerung ausmacht, die bundesweit mit Abstand höchste Armutsrate. 1,4 Millionen Menschen in Kalifornien hungern.43 Und die Armut ist nicht mehr wie früher auf dem Land am größten, wo es viele billige, häufig nur saisonale Arbeit gibt. Nein, die schlimmste Armut ist in Los Angeles und dem Orange County zu finden. Dort haben zwar 80 Pro­zent der Armen Jobs, aber diese Jobs reichen nicht mehr aus, um die dramatisch steigenden Lebenshaltungskosten zu finanzieren, insbesondere die Kosten fürs Wohnen. Gemeinhin geht man davon aus, daß Haushalte, die mehr als ein Drittel ihres Einkommens für das Wohnen ausgeben, unter existentiellen Druck geraten. In Kalifornien geben laut Angaben des »California Budget and Policy Centre« 56 Pro­zent derjenigen, die unterhalb der Armutsgrenze leben, sogar mehr als die Hälfte ihres Einkommens für Wohnkosten aus. Die hohen Mieten allerdings, die allein von 2013 bis 2017 im Mittel um 32 Prozent gestiegen sind, zeugen auf der anderen Seite vom Erfolg des kalifornischen Kapitalismus – der den Reichen und der oberen Mittelschicht zugute kommt, falls sie Besitzer eigener Häuser oder Wohnungen sind, nicht aber den einfachen Arbeiter*innen, Verkäufer­*in­nen und Dienstleistenden, die keine Gehälter von den erfolgreichen Silicon Valley- oder Hollywood-Konzernen beziehen und für die nur die Armenspeisung bleibt.

Auch in der Bundesrepublik Deutschland waren im Jahr 2017 laut Statistischem Bundesamt bereits 15,5 Millionen Menschen »von Armut oder sozialer Ausgrenzung« betroffen, also ein knappes Fünftel der Bevölkerung.44 »Es ist Reichtum, der immer die Armut zur Voraussetzung hat und sich nur entwickelt, indem er sie entwickelt.« (Karl Marx)45 Wenn wir derartige segregierte Zustände in unseren Gesellschaften erleben und sie akzeptieren, ohne Widerstand zu leisten, warum sollte diese Form von Segregation dann nicht auch im Konzertgeschäft zu finden sein, das ja Teil dieser Gesellschaft ist?

Künstler-Imperien wie die der Rolling Stones oder von Beyoncé und Jay-Z sind ein wesentlicher Teil des Imperiengeschäfts. Das Konzertgeschäft ist ein »Superstar-Ge­schäft«, wie es der US-amerikanische Wirtschaftswissenschaftler Alan Krueger ausdrückte. 2017 erzielten gerade einmal ein Prozent der Musiker*innen und Bands (»Pollstar« spricht von »Performern«) sechzig Prozent der weltweiten Konzerteinnahmen. Und die Eintrittspreise für die Konzerte dieses einen Prozents aller Performer sind mit Abstand die höchsten, und sie verfügen, wie wir gesehen haben, über die ausgeklügeltsten Strategien, was die Preisgestaltung bei ihren Konzerten angeht.46 Und nicht zuletzt steigen die Ticketpreise auf dem Toplevel, also bei Konzerten der Superstars, deutlich schneller als bei allen anderen. Die Superstars und ihre Manager haben das System, den Konzertfans möglichst viel Geld aus den Taschen zu ziehen, perfektioniert. Alan Krueger vertrat die These, dass sich der Markt für Events (ob Konzerte oder Sportveranstaltungen) im Lauf der Zeit wie ein Rohstoffmarkt verhält und die Verbraucher das herrschende Preissystem einfach als gegeben hinnehmen wie einen Mechanismus der notwendigen Rationierung von Rohstoffen.47 Ich bin mir allerdings nicht sicher, ob die sogenannte »Krueger Theory« allein erklären kann, warum Fans überteuerte Tickets kaufen. Sicher, Karten für die Konzerte der Superstars sind in aller Regel ein knappes Gut, insofern funktioniert diese Theorie. Ein wichtiger Aspekt allerdings besteht darin, daß die Konzertveranstalter in ihren langjährigen Preissteigerungsbemühen die Fans erst an stetig steigende Ticketpreise gewöhnt haben, und die Fans eben an den Konzerten der Superstars teilnehmen möchten.

Es ist ein bißchen wie bei Apple: Alle wissen, daß die Geräte der Kalifornier überteuert sind, und dennoch gibt es Millionen Menschen, die sich nur eine Welt innerhalb des Gartenzauns der Apfelwiese vorstellen können. Für 2017 veröffentlichte der Apple-Konzern interessante Geschäftsdaten: Danach ist der Umsatz bei den iPhones allein im vierten Quartal um satte 29 Prozent gestiegen, ohne daß sich die Anzahl der verkauften Smartphones (rund 47 Millionen) nennenswert erhöht hätte.48 Der Apple-Konzern besitzt die Fähigkeit, bei seinen Kunden deutlich höhere Preise durchzusetzen. Man hat ganz offensichtlich die Lizenz zum Gelddrucken erworben, und genau dies ist auch den Konzert- und Ticketing-Giganten gelungen, die zum einen auf dem knapp werdenden Rohstoff »Superstar-Konzerte« sitzen, und die andrerseits über die Fähigkeit verfügen, bei ihren Kunden für diese Konzerte hohe Ticketpreise verlangen zu können.

Während die oberen fünf Prozent der Performer 85 Pro­zent der weltweiten Konzerteinnahmen gerieren, bleiben für die unteren 95 Prozent der Musiker*innen gerade einmal 15 Prozent aller Konzerteinnahmen übrig.49 Und letztlich kümmern sich die weltweiten Konzert-Konzerne mit ihren Imperiengeschäften fast ausschließlich um jene fünf Prozent der Musiker*innen und Bands, die das große Geld machen, die also 85 Prozent aller Einnahmen erwirtschaften. Dies bedeutet im Umkehrschluß nicht nur, daß Live Nation, CTS Eventim, AEG und die übrigen Konzerne der Liveindustrie 95 Prozent aller Musiker*innen und Bands komplett ignorieren, weil mit ihnen nicht genug Geld zu machen ist, sondern es bedeutet auch, daß sich derartige Konzerne nicht mit dem mühsamen »Geschäft« abgeben, Künstler aufzubauen, daß sie schlicht kein Interesse daran haben, neue Bands zu entdecken und deren Karrieren langfristig zu betreuen. Hat man je davon gehört, daß Live Nation, CTS Eventim oder AEG unbekannte Bands aufgebaut und gefördert hätten? Musik ist ihnen im Grunde völlig egal. Sie ist für sie, was für Walt White in Breaking Bad die Drogen sind, lediglich Mittel zum Zweck, und dieser Zweck heißt: Profit.

Doch für die kulturelle Vielfalt ist die Förderung junger Musiker*innen und Bands sehr wichtig. Den Aufbau von neuen Bands und Künstler*innen, die immense Arbeit und die damit verbundenen nötigen Investitionen überlassen die Konzerne den kleinen, unabhängigen Agenturen und den örtlichen Veranstaltern. Wenn dann Bands erfolgreicher werden und allmählich in hohe dreistellige oder gar vierstellige Zuschauerzahlen hineinwachsen, dann macht man ihnen Angebote, denen sie kaum widerstehen können: »Wenn ihr zu uns wechselt, dann könnt ihr auf unseren Festivals spielen, denn wir sind die Festival-Monopolisten.« Oder man bietet ihnen an, als »Special Guests« bei den Tourneen der Stars der eigenen Konzertfirmen aufzutreten.

Manchmal würde man sich wünschen, daß es für unabhängige kleinere Tournee- und Konzertveranstalter, die sich um den Künstleraufbau verdient machen, Regelungen wie im Profifußball gäbe, wo die großen Clubs eine in einem »Solidaritätsmechanismus« festgelegte »Ausbildungsentschädigung« in Höhe von fünf Prozent von jeder Transfersumme, die bei eventuellen Weiterverkäufen im Verlauf der Karriere des Spielers erzielt werden, an die Ausbildungsvereine zahlen müssen.50

Eine immens wichtige Rolle beim Aufbau von neuen Bands und der Förderung junger Musiker*innen, aber auch für die kulturelle Vielfalt im Allgemeinen spielen die örtlichen Veranstalter (die »local promoters«). Anders als die großen Plattenfirmen, die sogenannten Majors, deren Ziel es immer war (und auch heute noch ist), die Musiker*innen auszunehmen und wo es geht zu betrügen (der legendäre britische Radio-DJ John Peel sagte: »Die großen Plattenfirmen haben nie so getan, als seien sie zu etwas anderem da, als möglichst viel Geld zu verdienen, von dem sie den Musikern möglichst wenig abgeben«), nehmen die örtlichen Veranstalter in aller Regel eigenes Geld in die Hand, das sie in die Künstler investieren. Die Veranstalter, die »Örtlichen«, zahlen praktisch alles: Nicht nur die Künstlergagen, sondern auch die Produktionskosten, also Hallenmiete, Tonanlage, Werbung, Catering, Personal usw. Und gute örtliche Veranstalter kennen ihren lokalen Markt, wissen, in welchem Venue eine Band am besten aufgehoben ist, haben engen Kontakt zu lokalen Medien und Radiostationen, wissen, wo plakatiert werden sollte, wo Flyer ausliegen und wo Anzeigen geschaltet werden müssen. Insofern gehören die Örtlichen zu den wichtigsten Partner der Musiker*innen und Bands, auch wenn in aller Regel kein direkter Kontakt zustande kommt, sondern lediglich über den Tourneeveranstalter und zum Teil über den Künstleragenten.

Warum aber investieren örtliche Veranstalter in eine neue Band? Warum sind die Örtlichen bereit, zu Beginn der Karriere einer neuen Band in diese zu investieren und nicht selten viel Geld zu verlieren? Die Begründung ist einfach: Zum einen sind viele örtliche Veranstalter Narren – nämlich Musiknarren. Sie sind vernarrt in eine bestimmte Musik­richtung, und das gilt im Grunde für fast alle Veranstalter*innen der alten Schule, egal, ob sie Rock-, Pop-, Jazz- oder Klassik-Konzerte veranstalten. Sie leben ihre Leidenschaft für Musik. Das ist ein sehr wesentlicher Punkt. Zum anderen aber sind die Örtlichen natürlich meistens auch klug (wie alle wahren Narren): Sie wissen, daß viele Bands sich an ihre Partner aus der Anfangszeit erinnern. Bands kehren, wenn sie größer und erfolgreicher werden, gerne dorthin zurück, wo man sie gut behandelt und eine faire Gage bezahlt hat, als sie noch unbekannt waren. Das altmodische Wort, um das es hier geht, heißt Loyalität, und die beruht auf Gegenseitigkeit. Und natürlich spielen bei dieser Frage der gegenseitigen Loyalität auch die Tourneeveranstalter und die Künstleragenten eine wichtige Rolle. Tourneeveranstalter, denen es gelingt, ihre Bands auch dann zu behalten, wenn sie sehr erfolgreich werden, haben bei örtlichen Veranstaltern natürlich bessere Karten als diejenigen, denen die Bands regelmäßig den Rücken kehren, wenn sie kommerziell erfolgreich werden.

Um besser zu verstehen, was Aufbauarbeit bedeutet, ist es sinnvoll, die Veranstaltung eines Konzerts einmal beispielhaft zu beschreiben. Und zwar erst aus der Sicht der Künstler und dann aus Sicht der Veranstalter. Beide Seiten erleben unterschiedliche wirtschaftliche Realitäten, wenn ein Konzert stattfindet.

Für die Musiker*innen und Bands gilt, daß zunächst ein bestimmter Geldbetrag benötigt wird, bis man auf die Bühne gehen kann. Wenn man nur von einem einzelnen Konzert ausgeht, gehören dazu zum Beispiel die Kosten für Backline, das Fahrzeug, mit dem man zum Konzertort gelangt, bei ausländischen Bands auch die anteiligen Flugkosten, die auf jedes Konzert umgelegt werden müssen, das Personal

(Sound­leute, Tourmanager, bei größeren Bands und Produktionen auch Monitor-Tonleute, Backliner und Roadies), Per diems (Verpflegung) und manches andere mehr. Unbekannte Bands kalkulieren keine eigenen Honorare ein, aber im Grunde sollten auch die in unsere gedachte Kostenaufstellung einfließen. Und betriebswirtschaftlich gedacht müß­ten sogar die Vorabkosten kalkulatorisch berücksichtigt wer­den, also zum Beispiel die Miete eines Proberaums und alle Kosten, die eine Band hat, bevor sie überhaupt auf Tournee gehen kann.

Selbst eine ausländische Band, die am Anfang ihrer Karriere steht, sich selbst keine Gagen auszahlt und an allen Ecken und Enden spart, benötigt, um sich einen Auftritt »leis­ten« zu können, in der Regel mehr als 1000 Euro pro Konzert. Erhält sie weniger, zahlen die Musiker*innen drauf.

Für den örtlichen Veranstalter ergibt sich ein ganz anderes Bild. Er hat jede Menge örtlicher Kosten zu bestreiten: die Kosten für Hallenmiete, Personal, Tonanlage, GEMA, Catering, Werbung und, natürlich, die Künstlergage. Meistens sind es »Produktionskosten«, die die Örtlichen an die Tourneeveranstalter zahlen, denn die deutsche Politik hat in ihrer unendlichen Weisheit entschieden, sich an die Tourveranstalter zu halten, wenn es um die Zahlung von Ausländersteuer und Beiträgen zur Künstlersozialkasse geht,51 was bedeutet, daß die Örtlichen die Produktionskosten an die Tourneeveranstalter zahlen, die davon ihre Provision und je nach Vereinbarung bestimmte Kosten abziehen und vom Restbetrag, der eigentlichen Künstlergage, noch einmal aktuell 15,83 Prozent Ausländersteuer und 4,2 Prozent Künstlersozialabgabe einbehalten müssen. Die örtlichen Kosten sind wie gesagt beträchtlich und gehen schnell in die Tausende.


»Zwei Realitäten-Theorie« Beispielrechnung für eine vierköpfigen US-Band in einem Club mit 250 – 300 Plätzen
Band
Flugkosten, anteilig200
Miete: Van150
Backline100
Benzinkosten60
Personal:Sound150
Tourmanager150
Provisionen:Europaagent (10%)100
Tourveranstalter (10 – 20%)150
Künstlersozialkasse42
Per diems (6 x 20)120
Posterdruck, anteil50
Sonstige50
Gesamt1322
Ergebnis-322

Vereinfachte Rechnung, alle Angaben in Euro. Annahme: Tournee mit ca. 15 Daten in Europa; Gage 1000 Euro; Hotelkosten werden vom Veranstalter übernommen; KSK-Satz jedes Jahr unterschiedlich, hier 2018: 4,2 Prozent; Personalkosten im unteren Bereich, qualifizierte Tourmanager und Tonleute erhalten in der Regel 250 Euro/Tag bzw. Show; Ausländersteuer entfällt wg. Freibetrag von 250 Euro pro Show und Musiker.


Örtlicher Veranstalter
Gage1000
Hotel300
Miete500
Tonanlage (P.A.)entfällt
Personal:Technischer Leiter200
Tontechniker*in200
Hands450
Security330
Kasse75
GEMA275
Werbung:Plakatierung250
Flyer100
Anzeigen250
Social Media100
Bürokostenpauschale200
Essen:Warmes Essen / Buy-Out120
Catering350
Haftpflichtversicherung48
Sonstige100
Gesamt4848
Ergebnisbei 100 Tickets:-3353 (Verlust)
bei 150 Tickets:-2606 (Verlust)
bei 200 Tickets:-1858 (Verlust)
bei 250 Tickets:-1110 (Verlust)
bei 300 Tickets:-363 (Verlust)

Vereinfachte Rechnung, alle Angaben in Euro. Annahme: Durchschnittsmiete, P. A. im Club vorhanden; Personal: Licht­techniker*in wird nicht benötigt, zwei Hands für Auf- und Ab­bau, Security inkl. Fahrtkostenpauschale; Plakatierung Bauzaun (wenn noch möglich, in vielen Städten mittlerweile wg. Verträgen der Kommunen mit Werbefirmen verboten) und In­door; Werbekosten inkl. Grafiker und Verteilung von Postern und Flyern; Ticketpreis 16 Euro im VVK = 14,95 Euro netto.

Man sieht an diesen Zahlen, daß sich Konzerte im Club-Bereich hinten und vorne nicht rechnen. Vor allem für die Veranstalter stellen sie zudem ein großes Risiko dar. Natürlich gibt es Möglichkeiten, Kosten zu sparen, einzelne Posten zu reduzieren, vor allem beim Personal (häufig sind die Technischen Leiter bei Club-Konzerten eine Art Mädchen für alles und übernehmen die Aufgaben zum Beispiel von Hands oder Securitys mit). Auch gibt es die Möglichkeit, Kosten hin und her zu schieben: Die Veranstalter können etwa der Band die Hotelkosten aufdrücken, was heutzutage nicht selten vorkommt, aber letztlich auch nicht viel ändert (es führt nur dazu, daß die Musiker noch mehr draufzahlen).

Die einzige Möglichkeit der Veranstalter, ihr Ergebnis besser zu gestalten, sind selbstverständlich höhere Ticketpreise. Nimmt man statt der hypothetischen 16 Euro zum Bei­spiel 20 Euro, dann wäre der Break-even bei 260 ver­kauf­ten Tickets erreicht (wobei allerdings auch die Gema-Gebühr ansteigen würde).

Von Vorteil ist es natürlich, wenn die Örtlichen den Konzertsaals besitzen (oder Pächter sind). Dann besteht ein gewisser Spielraum bei den Mietkosten. Vor allem aber wandern dann die Einnahmen aus dem Getränkeverkauf (»der Bar«, wie es unter Veranstaltern heißt) in die Kasse des Veranstalters, und mithin können Verluste aus dem eigentlichen Konzertgeschäft durch die Bareinnahmen ein wenig reduziert werden. Allerdings: wo wenige Besucher­*innen kommen, wird auch wenig getrunken. Wie man es auch dreht und wendet: Kleinere Club-Konzerte sind Verlustgeschäfte, und angesichts stetig steigender Kosten verschlechtert sich die Situation der Konzertveranstalter immer mehr. Wer heute Club-Konzerte veranstaltet, ist ein Idealist.

In der Praxis des Tourneegeschäfts geht es nun darum, beide Realitäten, die der Musiker*innen und die der örtlichen Veranstalter*innen, in irgendeiner Form in Einklang zu bringen. Es muß ein Kompromiß gefunden werden, und es ist klar, daß bei Bands, die noch nicht sehr erfolgreich sind, beide Seiten draufzahlen werden. In diesem Sinne sind beide Seiten wirklich Partner, die sich gegenseitig einen Wechsel auf die Zukunft ausstellen, und die Währung dieses Wechsels heißt »Loyalität«. Es geht um ein gemeinsames Vertrauen in die Zukunft sowie – last but not least – um die Liebe zur Musik und den unbedingten Glauben an die Qualität der künstlerischen Darbietung.

Zugegeben, im kapitalistischen Realismus unserer Tage hört sich so etwas ähnlich romantisch verklärt an wie die Idee des legendären argentinischen Fußballtrainers César Luis Menotti, wonach der Fußball ein Fest sein solle, bei dem der Weg das Ziel sei und bei dem die Fantasie gefördert werde. Für Menotti ist die Schönheit des Spiels das Kennzeichen eines »linken Fußballs« – im Gegensatz zum »rechten Fußball« der bloßen Resultate, bei dem der Zweck alle Mittel heiligt und das Motto, das Leben sei ein Kampf, regiert, und man müsse schließlich Opfer bringen ... Menotti verachtet die Söldner des Punktgewinns und die wirtschaftlichen Auswüchse dieses rein marktwirtschaftlich betriebenen Fußballs. Und auf ähnliche Weise müssen wir gegen ein auf bloße Wirtschaftlichkeit setzendes Konzertgeschäft antreten und dem Imperiengeschäft der Konzertgiganten unser Modell einer Gemeinschaft von Musiker*innen, Bands, örtlichen und Tournee-Veranstaltern sowie Agenten entgegensetzen. Und der geborene Verbündete des linken Fußballs wie auch einer sozial und kulturell orientierten Form, Konzerte zu veranstalten, ist natürlich das Publikum. Wir, die wir die Musik lieben, sprechen absichtsvoll von den Künsten, von Musik, von Kultur, und ja, das sind »linke« Qualitäten, so, wie die Schönheit des Fußballs meinethalben »linker Fußball« genannt werden kann.

»Wenn ich Kultur höre, entsichere ich meine Browning«, sagt dagegen eine der Figuren im NS-Propagandastück Schla­geter des NS-Dichterfürsten Hanns Johst,52 uraufgeführt am 20. April 1933, also an »Führers Geburtstag«, in Anwesenheit Hitlers. Diese kulturfeindliche Haltung feiert heute in gewissen Kreisen fröhliche Urständ, doch im Grunde ist auch die reine Profitorientierung der Konzert-Konzerne unserer Tage eine kulturfeindliche Praxis, die die Qualitäten der Kunst ausblendet und alles zu einem Geschäft macht, in dem nur die betriebswirtschaftlichen Ergebnisse zählen. Die Glücksmomente, die uns Musik bescheren kann, und ihre Schönheit finden in den Rechnungen der Finanzstrategen natürlich keine Berücksichtigung.

»Es gibt mehr im Leben als ein bißchen Geld«, sagt Frances McDormand als Marge Gunderson im Film Fargo der Coen-Brüder voller Verachtung. Für 71 Prozent der Besucher*innen sind Konzerte laut einer Studie »das, was ihnen im Leben am meisten gibt«. Für den Durchschnitts-Fan ist ein Konzert sogar wichtiger als Sex. 78 Prozent der Befragten fühlen beim Konzertbesuch eine »hohe emotionale Intensität«, und live erlebte Musik ist für die meisten heute als »einigende Kraft« wichtiger denn je zuvor.53 Die Magie, die entsteht, wenn im Konzertsaal das Licht ausgeht und die Musiker*innen auf die Bühne kommen, die Faszination, wenn die Musik uns in ihren Bann zieht, das Erlebnis, von dem man sich manchmal wünscht, es möge nie zu Ende gehen (»Stay a bit longer«, heißt es bei Jackson Browne in einer Zugabe), es möge ewig währen, wie die große Liebe – all dies ist einzigartig, ein ungeheures Erlebnis, das die Musik-Liebhaber*innen offensichtlich nicht missen wollen.

Um noch einmal auf den Fußball zurückzukommen: Adi Hütter, der Trainer von Eintracht Frankfurt, fragt sich, wenn er in ein leeres Stadion blickt: »Wie füllen wir die Ränge, wie locken wir Leute ins Stadion? Die Antwort: Die Menschen wollen sich begeistern lassen, also müssen wir auf eine entsprechende Art und Weise Fußball spielen. Mit Leidenschaft und Mut.«54 Und genau das ist doch die Frage, um die sich für Konzertveranstalter (und letztlich auch für Musiker*innen) alles dreht oder drehen sollte: Wie können Menschen begeistert werden von Musik, von Konzerten? Wenn diese mit Mut und Leidenschaft dargeboten werden, wenn sie uns bereichern, wenn sie uns Erlebnisse verschaffen, die wir sonst nirgendwo finden, die unerhört sind.

Wenn man sich jedoch betrachtet, wie die Vertreter der Konzertimperien über das Konzertgeschäft sprechen, merkt man, daß sie mit dem Erlebnis Musik, mit der Magie von Konzerten wenig am Hut haben. Hier geht es einzig ums Geschäft: »Wir verantworten den wichtigsten Markt in Zentraleuropa für den größten Entertainmentkonzern der Welt. Alle 18 Minuten beginnt irgendwo auf der Welt ein von Live Nation veranstaltetes Konzert. 2017 haben wir insgesamt 3,5 Millionen Tickets verkauft, das sind rund eine Million mehr als 2016, ohne die Akquise weiterer Veranstalter. 26 Open-Air-Konzerte haben 2017 zu einem absoluten Rekordjahr gemacht. Wir haben uns fokussiert personell vergrößert und im Prozeßmanagement nochmals optimiert und digitalisiert. Trotz einer Verdoppelung des Headcounts bemühen wir uns um organisches Wachstum (...). Unser Know-how, beste Flächen im Bereich Marketing und Promotion, erfolgreiche strategische Partnerschaften wie zum Beispiel mit der Telekom sind weitere essentielle Assets, die uns erfolgreich machen. So sind wir auch verantwortlich für die Vermittlung von Künstlern der Telekom Street Gigs, die Jubiläumsveranstaltungen der Marke Essence oder die ›Penny Goes Party‹-Events, bei denen Künstler in Penny-Märkten auftreten.«

So beantwortet Matt Schwarz, COO/Managing Director Live Nation GSA, die Interviewfrage, woran man den Erfolg von Live Nation GSA festmachen könne.55 Die Sprache ist verräterisch. An keiner Stelle geht es um Musik, ausschließlich um den Markt, um Rekorde und Wachstum, um Prozeßmanagement, Headcounts und Assets, und von Künstlern spricht der Live Nation-Manager das erste Mal, als es um die Vermittlung von Bands auf Telekom-Events oder in Penny-Märkten geht.

Die Tatsache, daß sich Club-Konzerte im Grunde nicht rechnen, hat zur Folge, daß die meisten »freien« Veranstalter derartige Konzerte immer seltener durchführen, häufig nur noch dann, wenn sie solche Bands überhaupt noch von größeren Tourneeveranstaltern und Agenten angeboten be­kommen, sie sich also verpflichtet fühlen, diese Club-Kon­zerte durchzuführen, um auch die größeren, eher kommerziellen Erfolg versprechenden Bands derselben Tourneeveranstalter angeboten zu bekommen, oder weil sie sich erhoffen, daß die Band langfristig Erfolg hat und sich die Anfangsinvestition irgendwann rechnet (oder beides). Allerdings: Da heutzutage die Tourneen von den Europaagenten und die Konzerte von den Tourneeveranstaltern meistens »versteigert« werden (den Zuschlag erhält derjenige mit dem finanziell besten Angebot – was eine direkte Folge der Imperiengeschäfte ist) und weil altmodische Kriterien wie Loyalität und Vertrauen zunehmend zu Fremdwörtern im Konzertgeschäft werden, ist die Wahrscheinlichkeit für den Veranstalter, eine Band auch dann noch promoten zu können, wenn sie erfolgreich ist, ziemlich gering. Vor allem aber haben die Großkonzerne in den letzten Jahren in attraktiven Märkten, also in den Großstädten, eigene örtliche Veranstaltungsbüros aufgebaut, mit denen sie ihre großen und mittleren Konzerte, also diejenigen, die Gewinne versprechen, selbst durchführen. Für unabhängige örtliche Veranstalter, aber auch für Clubs und Kulturzentren wird es immer schwieriger, überhaupt noch Künstler für ihre Veranstaltungen und Hallen zu bekommen.

»Wir sind da im Wettbewerb mit den großen Corporate-Firmen – und das ist nicht leicht«, berichtet der Gründer des Bizarre-Festivals, Veranstalterlegende Ernst-Ludwig Hartz, der seit über vierzig Jahren Konzerte und Festivals aller Größenordnungen veranstaltet.56 Die Großkonzerne nutzen Synergien und veranstalten selbst. Mittelgroße Konzert­agen­turen wie »Landstreicher Konzerte« imitieren dieses Modell und veranstalten ihre eigenen Künstler (AnnenMayKantereit, Casper, K.I.Z., Kraftclub und viele andere) selbst, mittlerweile aber auch Konzerte anderer Tourveranstalter, und betätigen sich so laut Eigenaussage als »Killer von örtlichen Veranstaltern«. Andere Firmen wie das Konzertbüro Schoneberg, ursprünglich selbst örtlicher Veranstalter in Nordrhein-Westfalen, umgehen mit Regionalbüros in ganz Deutschland die örtlichen Veranstalter und betreibt im Grunde ein Geschäftsmodell, in dem sich der klassische nationale Tourveranstalter mit dem klassischen örtlichen Veranstalter zu einem kleinen nationalen Konzertmulti vereinigt, der mit dieser Strategie doppelten Gewinn macht. Übrig bleiben im Grunde für die unabhängigen örtlichen Veranstalter, Clubs und Kulturzentren nur noch die Konzerte, bei denen man draufzahlt. Der legendäre Tourneeveranstalter Karsten Jahnke stellte unlängst fest, beim örtlichen Konzertgeschäft gehe es eigentlich nicht mehr darum, ob, sondern »nur noch darum, wieviel Euro Verlust man macht«.57 Die Folge: Es bleiben immer weniger örtliche Veranstalter übrig, die immer weniger Risiko eingehen (können), was eine Verringerung der kulturellen Vielfalt bedeutet.

Man kann dies seit etlichen Jahren beim Niedergang der sogenannten »Weltmusik«-Konzerte feststellen, die in der Vergangenheit entweder von freien Veranstaltern und Kulturzentren oder von Kulturämtern veranstaltet wurden. Letztere haben nach Budgetkürzungen immer weniger Geld und müssen zudem häufig »Quote« machen, werden also nach kommerziellem Erfolg beurteilt. Und die Kulturzentren und die freien Veranstalter können sich derartige Konzerte nicht mehr leisten, weil sie andere Konzerte, bei denen sie verdienen und somit auch riskantere Konzerte quer­finanzieren können, nicht mehr erhalten. Um so wichtiger ist es, daß die Club-Szene wie auch die soziokulturellen Zentren, die es in einigen Ländern gibt, aber auch die unabhängigen Konzertveranstalter gefördert werden, denn sie sind letztlich Garanten der kulturellen Vielfalt.

Es wundert uns natürlich nicht, daß die Großkonzerne der Konzertindustrie an den hier beschriebenen Club-Konzerten kleiner und junger Bands kein Interesse haben. Ihnen fehlt das kulturelle Selbstverständnis, und da mit solchen Konzerten kein Geld zu verdienen ist, sehen diese Konzerne keinen Sinn darin, sich mit Konzerten dieser Art überhaupt zu beschäftigen. Viel Arbeit für nichts – wozu das alles? Wir bekommen die Bands, die sich langfristig durchsetzen und mit denen Geld zu verdienen ist, doch sowieso, wenn wir es wollen, wir sind doch diejenigen mit den fetten Scheckbüchern, die sich alle Bands der Welt kaufen können ...

Doch es sind nicht nur die Großkonzerne des Musikgeschäfts, die sich der Aufbauarbeit und der kulturellen Vielfalt verweigern. Längst hat sich diese Haltung auf fast allen Ebenen durchgesetzt. Da gibt es die Jungtüchtigen, diese selbstoptimierten Knallchargen der kapitalistischen Leis­tungsgesellschaft, die sämtliche neoliberalen Aussagen aus der Fibel für Dummies als Weisheiten vor sich hin plappern, die sich nicht mehr Konzertagenten oder Tourneeveranstalter oder gar Kulturarbeiter nennen, sondern Kulturmanager oder Booker. Und genau das tun sie: Sie »buchen« etwas, was sie für Musik halten, genauso wie sie einen Flug auf irgendeiner Billigfluglinie oder eine Wohnung auf Airbnb buchen. Alles in ihrem Leben ist platt, deswegen können sie sich etwas anderes als eine Plattform-Ökonomie nicht vorstellen. Und wie sie auf ihren Reisen im Easyjetset nur leichtes Gepäck mitnehmen, um Kosten zu sparen, so ist die Musik, die sie als Booker buchen: größtenteils von leichtem Gewicht. Das, was nicht leichtgewichtig daherkommt, sondern komplizierter, gehaltvoller, tiefer wäre, paßt nicht in ihr beschränktes Konzept. Gebucht wird, was den Vielen gefällt.

Ein Musterbeispiel für diese Fehlentwicklung im Konzertbereich ist das 2012 gegründete Start-Up »Gigmit«, das sich »als Matchingdienst zwischen Veranstaltern und Live-Musikern betätigt«, ein »Portal der Live Music Professionals für einfaches Event- und Bookingmanagement«. Sprache ist verräterisch ... Die »Get a Gig GmbH«, die den Gigmit-Marktplatz betreibt, richtet sich »an alle Profis der Live-Musik-Branche«, wozu »vor allem örtliche Veranstalter, Festivals, Clubs und Locations, Bookingagenturen, Ma­nagements, Eventagenturen sowie natürlich Künstler, Bands und DJs gehören«.58 Der gesamte »Live-Bookingprozess« (was immer das genau sein mag) »vom Erstkontakt bis zum Vertragsabschluß findet auf Gigmit.com statt«, flöten die Gründer, und weil die »intelligente Matching-Funktion des Systems« so toll funktioniert, bedeutet Gigmit: »Alle haben mehr Zeit und weniger Arbeit.« Wer wollte da nicht dabei sein, wenn jemand mehr Zeit und weniger Arbeit verspricht. Auch im 21. Jahrhundert fallen Leute gerne auf Alchimisten herein, die behaupten, aus billigem Rohstoff Gold herstellen zu können.

Das Geschäftsmodell von Gigmit ist eine brutal gewinn­orientierte Konzertvermittlung auf Niedriglohnniveau: Unbekannten Künstlern wird angeboten, Tourneen »provisionsfrei«, aber »zum Festpreis« zu buchen, was kein seriöser Tourneeveranstalter oder Agent so machen würde. Agenten erhalten zum Beispiel in guten wie in schlechten Zeiten den gleichen Provisionssatz von 10 Prozent (was bei einer Show mit 200 Euro »Gage« also 20 Euro bedeutet). Künstleragen­ten glauben an die Bands, die sie vertreten, und sind daher in der Anfangsphase bereit, sich mit minimalen Provisionssätzen, bei denen sie draufzahlen, zufrieden zu geben, weil sie hoffen, daß die Bands, für die sie sich aus musikalischen Gründen entschieden haben, irgendwann höhere Gagen erhalten und sie selbst folglich auch höhere Provisionen.

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