Kitabı oku: «Strafrecht für die Polizei», sayfa 6

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Praxisbox:

Die herrschende Meinung geht davon aus, dass das „Jedermann“-Festnahmerecht auch Polizeibeamten zusteht, sofern die Maßnahme nicht nur auf die Feststellung der Identität der Person gerichtet ist (dann gilt § 163b StPO), sondern auf den Fluchtverdacht.[46]

Beachte dabei:

Ist ein Täter handlungsfähig auf frischer Tat betroffen, lässt sich seine Identität nicht sofort feststellen, etwa weil der Verdächtige nicht bekannt ist, sich nicht ausweisen kann oder sonst unkooperativ ist, oder läuft er gar weg, kann Fluchtverdacht ohne Weiteres bejaht werden. Auf die Haftgründe des § 127 II StPO kommt es in dieser Situation nicht an.[47]

Ein solcher Fluchtverdacht besteht so lange fort, bis alle für oder gegen Fluchtgefahr erheblichen Umstände geklärt sind. Darunter fallen die Ermittlung aller feststellbaren relevanten Tatsachen (z. B. häufiger Wohnortwechsel, regelmäßige Berufsausübung, Arbeitslosigkeit, familiäre Bindungen, Befolgung oder Nichtbe­folgung bisheriger polizeilichen/staatsanwaltschaftlichen/gerichtlichen Auflagen) und deren sorgsame Abwägung. Dies ist meist vor Ort nicht abschließend möglich, sodass eine Verbringung zur Polizeiwache (und somit die vorläufige Festnahme nach § 127 I StPO) bei solchen Konstellationen in der Regel notwendig ist.

f.Einwilligung

Als letzter Rechtfertigungsgrund im Polizei-Studium ist noch die Einwilligung anzusprechen. Diese hat mit allen anderen Rechtfertigungsgründen gemeinsam, bei der Rechtswidrigkeit geprüft zu werden und diese – und damit die Strafbarkeit insgesamt – bei Vorliegen aller ihrer Tatbestandsmerkmale entfallen zu lassen. In der Sache betrifft sie aber ganz andere Fallkonstellationen als die Notwehr- und Notstandsregeln:

Grund der Rechtfertigung bei Notwehr und Notstand ist die Abwehr eines Angriffs bzw. einer Gefahr.

Grund der Rechtfertigung bei Einwilligung hingegen ist die Erlaubnis des Geschädigten, sein Rechtsgut zu verletzen.

Ein Beispiel aus dem Beginn des Buches wäre etwa: B ist gefrustet und will sich abreagieren. O erlaubt ihm, sein Altauto zu zerbeulen. B beschädigt hier vorsätzlich eine fremde Sache. Wegen der „Erlaubnis“ (= Einwilligung) von O handelt er aber nicht rechtswidrig.

Die Einwilligung hat unter den Rechtfertigungsgründen schon daher eine Sonderstellung.

Eine weitere Besonderheit ist, dass die Einwilligung nicht im Gesetz steht. Ihre Existenz wird lediglich in § 228 StGB vorausgesetzt. Das Prüfungs­schema kann also nicht am Normtext hergeleitet werden, sondern muss einfach so gelernt werden. Es lautet:

Prüfungsschema Einwilligung

Objektives Rechtfertigungselement:

–Dispositionsbefugnis des Opfers über das Rechtsgut–Erklärung der Einwilligung–Einwilligungsfähigkeit–Keine Willensmängel–Bei Körperverletzungen: Keine Sittenwidrigkeit der Tat, § 228 StGB

Subjektives Rechtfertigungselement: Handeln in Kenntnis der Einwilligung

Noch etwas folgt aus der fehlenden gesetzlichen Regelung: Die einzelnen Tatbestandsmerkmale sind in der Rechtswissenschaft teils sehr umstritten. Dass vieles bei der Einwilligung also auch anders gesehen werden kann, als es hier geschehen wird (und sich daher in anderen Lehrbüchern teils auch andere Darstellungen finden), ist bei den nachfolgenden Erläuterungen also stets mitzudenken.

Die einzelnen Tatbestandsmerkmale sind nun wie folgt zu verstehen:

Dispositionsbefugnis des Opfers über das Rechtsgut:

Es muss sich bei dem Rechtsgut, in das der Täter eingreift, um ein Individualrechtsgut des Opfers handeln (Bsp.: Eigentum, Gesundheit, Freiheit des Opfers). Das Opfer kann eben dem Täter nur erlauben, in seine eigenen Rechtsgüter einzugreifen. Einen Eingriff in Rechtsgüter Dritter oder der Allgemeinheit kann das Opfer – natürlich – nicht wirksam gestatten.

Bei einem Rechtsgut fehlt dem Opfer die Dispositionsbefugnis indes auch dann, wenn es nur es selber betrifft: beim Rechtsgut Leben. Eine Einwilligung in die eigene Tötung ist daher mangels Dispositionsbefugnis unwirksam. Daher ist die Tötung auf Verlangen strafbar und nicht dadurch gerechtfertigt, dass der Getötete in seine Tötung eingewilligt hat.[48]

Erklärung der Einwilligung:

Das Opfer muss grundsätzlich ausdrücklich zustimmen, wobei dies mündlich, schriftlich, aber auch durch schlüssiges Verhalten erfolgen kann. Es muss nur klar und eindeutig sein.[49]

Ergänzt sei aber, dass es Fälle gibt, in denen das Opfer schlicht nicht einwilligen kann, etwa, wenn bei einem Hauseigentümer, der sich gerade im Urlaub befindet, ein Feuer ausbricht und der Nachbar zum Löschen die Tür aufbricht. Dann ist der Täter gerechtfertigt, wenn das Opfer vernünftigerweise eingewilligt hätte (sog. mutmaßliche Einwilligung).[50]

Einwilligungsfähigkeit:

Gemeint ist hier, dass das Opfer allgemein die Tragweite seiner Entscheidung verstehen können muss. Diese Voraussetzung ist namentlich bei Kindern und geistig Behinderten oft nicht gegeben.

Formale Altersgrenzen gibt es dabei indes nicht. Es ist jeweils im Einzelfall zu entscheiden, ob das konkrete (minderjährige oder geistig behinderte) Opfer bei der konkreten Straftat, in die es eingewilligt hat, grundsätzlich verstehen konnte, worauf es sich einlässt.[51]

Keine Willensmängel:

Gemeint ist hiermit, dass das – an sich einwilligungsfähige! – Opfer bei der konkreten Entscheidung nicht frei entscheiden konnte, weil es bedroht oder berauscht war. Es geht hier also um an sich einwilligungsfähige, also erwachsene und nicht geistig behinderte Opfer, die aber in der Entscheidungssituation gehandicapt waren.[52]

Hierunter fiele eine starke akute Berauschung, aber auch bedrohte Opfer. Dazu folgendes Beispiel: Der Täter droht, kompromittierende Fotos des Opfers zu veröffentlichen, falls das Opfer sich nicht schlagen lässt. Wenn das Opfer hier in den Schlag „einwilligt“, ist der Täter gleichwohl strafbar, denn die Einwilligung des Opfers ist wegen Willensmängeln unwirksam.

Bei Körperverletzungen: keine Sittenwidrigkeit der Tat, § 228 StGB

Bei Einwilligung in eine Körperverletzung kommt zu den übrigen Voraussetzungen eine weitere hinzu: die Tat, in die eingewilligt wird, darf nicht gegen die guten Sitten verstoßen. Dies folgt aus § 228 StGB. Gemeint ist: die Tat darf nicht „eklatant unvernünftig“ sein. Ist die Tat „eklatant unvernünftig“, ist die Einwilligung auch bei sonstigem Vorliegen aller Tatbestandsvoraussetzungen unwirksam und der Täter – trotz „Erlaubnis“ des Opfers – strafbar!

Als Kriterien für die Einordnung kann insbesondere das Ausmaß der entstandenen Gefahr für Leib und Leben des Opfers gelten, ferner auch das Eskalationsrisiko.[53] Relevant ist indes auch die soziale Akzeptanz, etwa bei gefährlichen Kampfsportarten.

Beispiele für „eklatant unvernünftige“ Taten sind etwa: Verbotenes Doping, verabredete Gruppenschlägerei, Körperverletzung als Aufnahmeritual in eine Gang.[54]

Praxisbox:

Polizeiliche Relevanz (für Schutz- wie Kriminalpolizei) entwickelte die Frage nach der Einwilligung insbesondere bei rivalisierenden (Fußball-)Fangruppen, die sich regelmäßig zu Schlägereien im Rahmen der „dritten Halbzeit“ verabredeten. Der BGH entschied, dass die Einwilligung – wegen des immensen Eskalationsrisikos und damit wegen der Sittenwidrigkeit der Tat – unwirksam ist und die Beteiligten sich somit (wegen §§ 223, 224 StGB) strafbar gemacht haben.[55] Lassen Sie sich also von irgendwelchen Erklärungen zur Freiwilligkeit der Teilnahme der Beteiligten an einer etwaigen Straftat nicht ins Bockshorn jagen! An der Anzeigenaufnahme wie auch an den erforderlichen Gefahrenabwehrmaßnahmen hindern solche Einlassungen nicht; entsprechende Erklärungen sind nur mit ­aufzunehmen. Die Bewertung, ob wirklich eine – wirksame – Einwilligung vorlag, trifft am Ende der Sachverhaltsklärung die Justiz.

Subjektives Rechtfertigungselement:

Subjektiv erforderlich ist ein Handeln aufgrund der Einwilligung. Dies liegt aber schon vor, wenn der Täter um die Einwilligung des Opfers weiß.[56]

Praxisbox:

Im Rahmen der polizeilichen Einsatzwahrnehmung wird man unweigerlich früher oder später mit dem Phänomen der HG (Häuslichen Gewalt) konfrontiert.

Tatbestandlich handelt es sich bei HG fast immer um eines der Körperver­letzungsdelikte, §§ 223, 224 StGB. Im Rahmen dieser Einsatzwahrnehmung wird man von den beteiligten Personen z. T. spektakuläre Darstellungen des Geschehens zu hören bekommen. Neben Schutzbehauptungen für erkennbare Ver­letzungen ([Treppen-]Sturz, selbst zugeführte Verletzungen, Missgeschicke) wird z. T. auch die Einwilligung angeführt, und zwar teils sogar durch das Opfer selbst (in vielen Fällen wird die Polizei auch gar nicht durch dieses, sondern durch besorgte Nachbarn verständigt).

In diesem Fall ist besonders akkurat zu prüfen welche Folgemaßnahmen zu treffen sind. Die bloße Behauptung eines Unfalls oder einer Einwilligung jedenfalls lässt den Anfangsverdacht nicht entfallen, solange anhand anderer Beweismittel zumindest im Raume steht, dass eine Körperverletzung begangen wurde und eine Einwilligung in Wahrheit nicht vorlag. Das gilt auch, wenn das mutmaßliche Opfer behauptet, es sei nichts strafrechtlich Relevantes passiert!

Im Zweifel ist daher immer von einer häuslichen Gewalt auszugehen, die sodann entsprechend die Rechtsfolgen der einschlägigen polizeirechtlichen Befugnisnormen einleitet (Wohnungsverweisung, Rückkehrverbot). In jedem Fall ist eine Strafanzeige zu fertigen. Über das Vorliegen eines Rechtfertigungsgrundes entscheidet dann (wie stets) die zuständige Staatsanwaltschaft, und dies abschließend auch erst, wenn alle Fakten des Falls bekannt sind.

g.Prüfungsreihenfolge der Rechtfertigungsgründe

Die prüfungsrelevanten Rechtfertigungsgründe sind also: Notwehr nach § 32 StGB, die Notstandsnormen nach den §§ 34 StGB, 228, 904 BGB, die vorläufige Festnahme nach § 127 I StPO und die Einwilligung.

Kommen Rechtfertigungsgründe in der Klausur gar nicht in Betracht, muss keiner der Rechtfertigungsgründe auch nur angeprüft werden!

Kommen Rechtfertigungsgründe hingegen in Betracht, müssen sie geprüft werden, auch wenn man sie am Ende vielleicht verneint. Die Frage ist dann: In welcher Reihenfolge sind die genannten Rechtfertigungsgründe zu prüfen? Hierbei gilt Folgendes:

Wenn es um die Abwehr eines Angriffs bzw. einer Gefahr geht, gilt folgende Reihenfolge:

(1)Immer zuerst zu prüfen: Notwehr, § 32 StGB(2)(Falls Notwehr scheitert und es nach dem Sachverhalt denkbar ist: § 127 StPO)(3)Falls keine Notwehr (und kein Festnahmerecht) vorliegt und…a.…der Täter zur Gefahrenabwehr eine Sache beschädigt:aa.§ 228 BGB und falls dieser nicht vorliegt…bb.§ 904 BGBb.…der Täter zur Gefahrenabwehr andere Rechtsgüter als Sachen beeinträchtig: § 34 StGB

Wenn eine „Erlaubnis“ des Geschädigten in Betracht kommt, gilt hingegen:

(sofort) Einwilligung prüfen!

Zur – ergänzenden – Erläuterung:

Die Prüfungsreihenfolge bei Abwehr eines Angriffs bzw. einer Gefahr orientiert sich daran, zuerst die Rechtfertigungsgründe zu prüfen, die für den Täter am besten wären, weil sie die weitestgehende Verteidigung erlauben. Daher beginnt man immer mit Notwehr, bei der es keine Verhältnismäßigkeit bzw. Abwägung gibt und prüft die Notstandsregeln nur, wenn Notwehr (und falls im Fall überhaupt denkbar: auch das Festnahmerecht) scheitern.

Dass diese Reihenfolge bei der Einwilligung anders ist, liegt daran, dass die Einwilligung wie dargelegt ganz andere Fallgruppen als Notwehr und Notstand betrifft. Kommt eine Einwilligung in Betracht und geht es schlicht nicht um die Rettung gegen Angriffe oder Gefahren, ist die Einwilligung daher sogleich zu prüfen. Sonst aber bleibt es dabei, dass immer zuerst Notwehr zu prüfen ist.

h.Notwehr für Polizeibeamte

Inwieweit sich Polizeibeamte in Ausübung ihres Dienstes auf ­Notwehrrechte nach § 32 StGB berufen können, ist umstritten, weil polizeiliches Handeln grundsätzlich einer speziellen – eingriffsrechtlichen – Rechtsgrundlage bedarf, die umgangen werden könnte, wenn man daneben § 32 StGB zulassen würde. Die Rechtsprechung indes billigt Polizeibeamten zu, ihr Verhalten im Falle eines Angriffs auf sie oder Dritte – natürlich nur bei Vorliegen aller Voraussetzungen des § 32 StGB – auch auf dieses allgemeine Notwehrrecht zu stützen:

„Einem Polizeibeamten steht bei Ausübung seines Dienstes das Notwehrrecht uneingeschränkt zur Seite. Der Polizeibeamte ist kein Bürger minderen Rechts. Was jedem Privaten nach § 32 StGB erlaubt ist, kann den Polizeibeamten nicht verwehrt sein.“[57]

Das Notwehrrecht gilt damit für Bürger, aber im Falle eines Angriffs auf sie oder Dritte genauso für Polizeibeamte im Dienst.

Allerdings bedeutet dies nur, dass so handelnde Polizeibeamte strafrechtlich gerechtfertigt sind! Eine hoheitliche Ermächtigungsgrundlage für polizeiliches Handeln im eingriffsrechtlichen Sinne stellt § 32 StGB deswegen nicht dar. Disziplinarrechtliche Sanktionen gegen einen in Notwehr handelnden, dabei aber polizeiliche Befugnisse überschreitenden Polizeibeamten bleiben möglich.[58]

Große praktische Relevanz hat diese Frage indes nicht mehr, da die eingriffsrechtlichen Befugnisse meist ohnehin ausreichen und § 32 StGB gar keinen „Mehrwert“ (in Form von weitergehender Handlungsmöglichkeiten) mehr bringt. Nur beim Schusswaffengebrauch gegen Personen sind in der Praxis noch Fälle möglich, in denen der dann einschlägige § 64 PolG NRW weniger zulässt als § 32 StGB.

Sollte die Konstellation daher einmal in einer Klausur vorkommen, wäre der Prüfungsort nach dem objektiven und subjektiven TB in der Rechtswidrigkeit vor § 32 StGB.

Ein Formulierungs-Beispiel dazu sähe so aus:

„B könnte durch Notwehr gerechtfertigt sein. Fraglich ist indes, ob B sich als Polizeibeamter im Dienst auf Notwehr überhaupt berufen kann. Polizeibeamte sind keine Bürger minderen Rechts. Das Notwehrrecht steht ihnen daher so zu wie jedem anderen Bürger auch. B kann sich also grundsätzlich auf § 32 StGB berufen. Es müsste dafür aber eine Notwehrlage vorgelegen haben. (…)“

i.„Erlaubnistatbestandsirrtum“

Bei der Besprechung des § 127 StPO wurde bereits thematisiert, dass Notstand/Notwehr eine reale Gefahr verlangen. Es ist also für § 32 StGB wie auch für die §§ 34 StGB, 228, 904 BGB zwingend erforderlich, das objektiv ein Angriff bzw. eine Gefahr tatsächlich vorlagen.

Fehlt diese, liegt keine Notwehr bzw. Notstand vor, auch wenn der Täter an eine Gefahr glaubt. Man spricht in solchen Fällen von „Putativnotwehr“ bzw. „Putativnotstand“.

Bei „Putativnotwehr“ bzw. „Putativnotstand“ gilt also:

Die §§ 32, 34 StGB, 228, 904 BGB liegen schon mangels Notwehr-/Notstandslage nicht vor (nur bei § 127 StPO kann dies, wie ausgeführt, anders sein).

Natürlich wirft dies die Frage auf, ob der Täter, der in Putativnotwehr/-­notstand gehandelt hat, dann einfach strafbar ist oder ob die Strafbarkeit trotz fehlender Rechtfertigung gleichwohl irgendwie entfällt.

Diese Frage nach der Behandlung von Putativnotwehr/-notstand ist sehr umstritten und dies mit teils recht komplexen juristischen Argumentationen. (Angehende) Polizeibeamte brauchen keine Detailkenntnisse zu diesem Streit, sollten aber zumindest das Folgende dazu wissen:

•Gesetzlich ist die Behandlung von Putativnotwehr/-notstand nicht geregelt. Diese fehlende Regelung ist der Grund dafür, dass die Behandlung dieser Fälle so umstritten ist.•Stellen tut sich die Frage nur, wenn abgesehen vom Angriff die übrigen Voraussetzungen der Notwehr gegeben wären. Die „Verteidigungshandlung“ müsste also (wenn es den Angriff wirklich gegeben hätte) erforderlich gewesen sein und es müsste ein Notwehrwille vorliegen.•Der BGH ist, wenn dies der Fall ist, dann recht täterfreundlich, weil der Täter ja tatsächlich gerechtfertigt wäre, wenn der von ihm vorgestellte Angriff wirklich vorgelegen hätte. Der Täter ist eben im Prinzip rechtstreu. Putativnotwehr/-notstand führen nach BGH daher wegen eines sogenannten „Erlaubnistatbestandsirrtums“ in entsprechender Anwendung der Rechtsfolge des § 16 StGB zum Wegfall des Vorsatzes. Der Täter kann daher wegen Vorsatzdelikts nicht bestraft werden, sondern nur wegen fahrlässiger Begehung (wenn diese überhaupt mit Strafe bedroht ist). [59]

Sollte diese Problematik in einer Klausur einmal auftauchen (wovon zumindest in NRW nicht auszugehen ist), könnte dies wie folgt aussehen und gelöst werden:

Sachverhalt:

Der B geht im Park spazieren, als sein Erzfeind E plötzlich aus dem Gebüsch kommt und direkt vor ihm steht und breit grinsend in seine Manteltasche greift. E hatte dem B in der Vergangenheit wiederholt Schläge angedroht und mit seiner ­Schlagring-Sammlung geprahlt. B glaubt nun, E wolle einen solchen herausholen und ihn damit angreifen, weswegen er den E blitzartig niederschlägt. Tatsächlich wollte E nur eine Zigarette aus der Tasche holen. Strafbarkeit des B?

Sie würden hier zunächst § 223 StGB mit objektivem und subjektivem Tatbestand wie gewohnt prüfen und beides bejahen. Sodann prüfen Sie Notwehr an und verneinen diese schon beim Merkmal „Angriff“. § 34 StGB verneinen Sie beim Merkmal „Gefahr“. Danach können Sie schreiben: „Fraglich ist, wie es sich auswirkt, dass der B geglaubt hat, von dem E angegriffen zu werden. Gesetzlich geregelt ist diese Frage nicht. Der BGH ist hier täterfreundlich, da ein Täter, der gerechtfertigt wäre, wenn der von ihm vorgestellte Angriff vorgelegen hätte, im Prinzip rechtstreu ist. In solchen Fällen soll daher in entsprechender Anwendung der Rechtsfolge des § 16 StGB der Vorsatz entfallen. Voraussetzung ist aber, dass abgesehen vom objektiv fehlenden Angriff die weiteren Voraussetzungen des § 32 StGB gegeben wären, also insbesondere eine Erforderlichkeit der ‚Verteidigung‘ und ein Notwehrwille. Erforderlich ist eine Verteidigung, wenn (…). Im Fall…“.

4.Schuld
a.Einführung

Die Schuld ist der letzte Prüfungspunkt im (bisher bekannten) Schema für das vollendete Delikt. Der Unterschied zwischen der davor zu prüfenden Rechtswidrigkeit und der Schuld ist der folgende:

Bei der Rechtswidrigkeit geht es um die Frage: Ist die Tat – ausnahmsweise (da gerechtfertigt) – erlaubt (wer etwa einen anderen in Notwehr tötet, darf dies [ausnahmsweise] und handelt nicht im Widerspruch zur Rechtsordnung)?

Bei der Schuld geht es hingegen um die Frage: kann man die (nicht erlaubte) Tat dem Täter ausnahmsweise nicht vorwerfen?

Ein schwer schizophrener Täter, dem Stimmen im Kopf „befehlen“, einen anderen zu töten, darf dies wegen der Stimmen ja nicht und handelt daher natürlich auch nicht im Einklang mit der Rechtsordnung. Gleichwohl kann man ihm die Tat nicht vorwerfen, da er individuell nicht normgemäß hätte handeln können (weswegen er auch nicht bestraft wird, sondern in der geschlossenen Psychiatrie, dem sogenannten Maßregelvollzug, landet).

Nicht vorwerfbar ist die Tat (und der Täter damit schuldlos) in zwei Kon­stellationen:

Die Schuld entfällt (1) bei fehlender Schuldfähigkeit.

Dies betrifft gem. § 14 StGB Kinder bis vierzehn Jahren und gem. § 20 StGB schwerst psychisch Kranke sowie schwerst Berauschte. Bei psychischen Erkrankungen gilt dies aber nur, wenn die Krankheit die Fähigkeit aufhebt, das Unrecht der Tat einzusehen bzw. nach dieser Einsicht zu handeln. Dies kann etwa bei Psychosen der Fall sein, also wenn der Täter Stimmen hört, im Regelfall aber nicht bei einer Depression oder einer Angststörung. Bei berauschten Tätern gibt es für Alkohol eine Faustformel, wann über Schuldunfähigkeit nachgedacht werden kann, nämlich ab 3,0 Promille (bzw. bei Tötungsdelikten ab 3,3 Promille). Es kommt allerdings trotzdem jeweils auf die individuelle Verträglichkeit an, sodass im Einzelfall auch bei entsprechend hohen Werten Schuldfähigkeit durchaus möglich ist. Bei Drogen gibt es keine Faustformeln, hier ist immer individuell zu prüfen, ob ein festgestellter Konsum Auswirkungen auf die Schuldfähigkeit haben kann.[60]

Neben der Schuldunfähigkeit gem. § 20 StGB gibt es nach § 21 StGB noch die verminderte Schuldfähigkeit. Bei dieser bleibt der Täter schuldfähig und wird daher wegen des begangenen Delikts auch bestraft. Die Strafe ist aber zu mildern, und neben der Strafe (und nicht, wie bei Schuldunfähigkeit statt der Strafe) kann die Unterbringung im Maßregelvollzug ­angeordnet werden. In Klausuren ist die verminderte Schuldfähigkeit indes irrelevant. Denn auch bei verminderter Schuldfähigkeit wäre die Schuld eben zu ­bejahen.

Praxisbox:

Während Schuldfähigkeitsprobleme in der Klausur eher selten vorkommen, sind Täter, deren Schuldfähigkeit zumindest zweifelhaft ist, in der Praxis recht häufig. Namentlich im Rahmen des ersten Zugriffs durch die Schutzpolizei ist es daher wichtig, entsprechende Anzeichen zu erkennen, ggf. weiter zu erforschen und zu dokumentieren!

Entsprechende Anzeichen müssen also zuallererst erkannt werden. Achten Sie also nicht nur auf Hinweise z. B. einer Alkoholisierung wie etwa eine „Fahne“, verwaschene Sprache oder Probleme beim Stehen und Gehen, sondern auch sonst auf Auffälligkeiten wie ständiges angsterfülltes Sich-umschauen auch in eigentlich beruhigten Momenten (als Indiz für einen Täter mit Psychosen, der sich verfolgt fühlt) oder völlig situationsinadäquate Heiterkeit oder Aggressivität (als Indiz für Drogen).

Sehen Sie solche Anzeichen, sollten Sie gezielt in diese Richtung versuchen, aufzuklären. Dazu können Sie (natürlich immer nach Belehrung) den Beschuldigten schlicht fragen. Befragen dazu sollten Sie aber auch mögliche Zeugen. Zu denken ist ferner bei Alkohol und Drogen auch immer an eine Blutuntersuchung, auch wenn es nicht um Verkehrsdelikte geht.

Schließlich sind all Ihre Feststellungen hierzu zu dokumentieren, also in der Anzeige detailliert niederzuschreiben. Denn wenn Sie ein dreiviertel Jahr später als Zeuge dazu aussagen sollen, werden Sie die Details vergessen haben – und gerade auf diese kann es ankommen.

Bedenken Sie bei alledem: Wichtige Hinweise und Indizien für die Schuldfähigkeit lassen sich in späteren Verfahrensstadien oft gar nicht mehr erheben. Wenn etwa am Tattag die Entnahme einer Blutprobe durch die aufnehmende Schutzpolizei nicht veranlasst wurde, obwohl Anlass dazu bestand, kann weder die Kripo ein paar Wochen, noch die Staatsanwaltschaft ein paar Monate später dieses Versäumnis nachholen. Das Beweismittel ist dann also für immer „verloren“. Darum ist es so wichtig, dass schon bei der Aufnahme rechtlich mitgedacht wird – hier wie sonst auch!

Die Schuld entfällt (2) bei Vorliegen eines Entschuldigungsgrundes.

Entschuldigungsgründe sind v. a. § 33 (Notwehrexzess) und § 35 StGB (entschuldigender Notstand). Auf beide soll sogleich noch eingegangen werden.

Generell gilt, dass Entschuldigungsgründe genauso „funktionieren“ wie Rechtfertigungsgründe: Liegen alle Voraussetzungen des Entschuldigungsgrundes vor, entfällt die Schuld, sodass der Täter sich mangels Schuld nicht strafbar gemacht hat. Fehlt es hingegen an einem Entschuldigungsgrund, z. B. weil nicht alle Merkmale eines solchen erfüllt sind, ist der Täter nicht entschuldigt und damit strafbar.

Türler ve etiketler

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520 s. 1 illüstrasyon
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9783415071308
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