Kitabı oku: «Strafrecht für die Polizei», sayfa 5

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c.Rechtfertigender Notstand gem. § 34 StGB

Neben § 32 StGB gibt es, wie schon gesagt, noch eine Reihe anderer Rechtfertigungsgründe. Um einen davon, der praktisch bedeutsam ist, aber anders als Notwehr viel weniger bekannt, nämlich § 34 StGB, soll es nun gehen.

Fall (nach einer Originalentscheidung des BGH[31]):

B und seine Ehefrau, die einen Bungalow mit umzäuntem Garten am Waldrand bewohnen, bekommen seit Wochen alle zwei bis drei Nächte „Besuch“ von dem Spanner S. Dieser erschien zunächst nur auf dem Grundstück und stand vor dem Schlafzimmerfenster. Zwischenzeitlich war es ihm aber sogar einige Male gelungen, nachts in das Haus einzudringen und im Schlafzimmer zu stehen. Alle Versuche, ihn durch Kameras und Zusatzschlösser abzuschrecken, schlugen fehl; ebenso alle Versuche, seine Identität festzustellen. Eines Nachts wacht B auf und sieht, das S wieder im Schlafzimmer ist. Als S sieht, dass B aufwacht, ergreift er sofort die Flucht. B springt auf, holt ein zwischenzeitlich von ihm angeschafftes Gewehr und schießt S durch Schüsse auf die Beine fluchtunfähig, wobei er auf S erst schießt, als dieser schon außerhalb des umzäunten Grundstückes ist. Ist B nach § 223 StGB strafbar?

Strafbarkeit des B nach § 223 StGB:

Objektiver Tatbestand:

B hat S körperlich misshandelt. Dies geschah auch kausal durch den Schuss des B.

Subjektiver Tatbestand:

B wollte S anschießen und damit verletzen, weil er nur so erreichen konnte, dass der S stehen bleibt und seine Identität festgestellt werden kann. B handelte mithin mit Absicht.

Rechtswidrigkeit:

Ist B durch Notwehr, § 32 StGB, gerechtfertigt (diese ist vor § 34 StGB zu prüfen, zur Prüfungsreihenfolge später mehr)?

Es gab eine Verletzung von Bs Hausrecht, womit ein Angriff des S vorlag.

Der (aktuelle) Angriff war mit Verlassen des Grundstücks beendet. Der zu erwartende erneute „Besuch“ durch den S stand noch nicht an, sondern drohte erst in ein paar Tagen. Gegenwärtig war der Angriff daher nicht mehr, soweit es den aktuellen „Besuch“ angeht und noch nicht, soweit es zukünftige betrifft. Es gab auch kein noch rettbares Rechtsgut, denn der S hatte ja nichts mitgenommen, was der B durch seine Handlung noch wiedererhalten könnte.

B ist mithin nicht nach § 32 StGB gerechtfertigt, da schon keine Notwehrlage vorlag.

B könnte indes wegen eines rechtfertigenden Notstands gem. § 34 StGB gerechtfertigt sein.

Dem Normtext sind die folgenden Tatbestandsmerkmale zu entnehmen:

§ 34 StGB

Wer in einer gegenwärtigen, nicht anders abwendbaren Gefahr für Leben, Leib, Freiheit, Ehre, Eigentum oder ein anderes Rechtsgut eine Tat begeht, um die Gefahr von sich oder einem anderen abzuwenden, handelt nicht rechtswidrig, wenn bei Abwägung der widerstreitenden Interessen, namentlich der betroffenen Rechtsgüter und des Grades der ihnen drohenden Gefahren, das geschützte Interesse das beeinträchtigte wesentlich überwiegt. Dies gilt jedoch nur, soweit die Tat ein angemessenes Mittel ist, die Gefahr abzuwenden.

Dies ergibt folgendes Prüfungsschema § 34 StGB:

Notstandslage:

–Gefahr–Gegenwärtigkeit

Notstandshandlung:

–„nicht anders abwendbar“: Erforderlichkeit

Abwägung: wesentliches Überwiegen des geschütztem gegenüber dem geopferten Rechtsgut

(Angemessenheit)

Notstandswille

Im Fall: liegt ein rechtfertigender Notstand vor?

Es bedarf zunächst einer Notstandslage:

Erforderlich ist zunächst eine Gefahr für ein Rechtsgut des B.

Die Definition für „Gefahr“ lautet: Ein Zustand, der eine Rechtsgutsverletzung mit hinreichender Wahrscheinlichkeit erwarten lässt.[32]

Im Fall geht es um eine Verletzung von Hausrecht (und Intimsphäre). Die akute Rechtsgutsverletzung ist zwar mit der Flucht des S beendet. Es ist aber sicher anzunehmen, dass S wiederkommt. Es ist also mit hinreichender Wahrscheinlichkeit eine erneute Rechtsgutsverletzung durch S zu erwarten. Eine Gefahr liegt damit vor.

Der Begriff „Gefahr“ ist also weiter als der des Angriffs! Dies wird noch deutlicher, wenn man noch die Definition von „Gegenwärtigkeit“ der Gefahr hinzunimmt:

Die Definition „gegenwärtig“ ist: Die Gefahr ist gegenwärtig, wenn der Eintritt eines Schadens sicher oder höchstwahrscheinlich ist, falls nicht alsbald Abwehrmaßnahmen ergriffen werden.[33]

Beachte dabei: Obwohl der Begriff der Gegenwärtigkeit in § 32 und § 34 StGB gleichlautend auftauchen, werden sie jeweils anders definiert. Das ist nicht so ungewöhnlich: Identische Begriffe in verschiedenen Normen können gleichbedeutend sein, müssen es aber nicht! Sie müssen also jeweils darauf achten, wo Definitionen normübergreifend gleich sind und wo verschieden.

Unternimmt im Fall der B nicht sofort etwas, wird S sicher wiederkommen und erneut eine Tat nach § 123 StGB begehen.

Eine Gefahr kann danach auch vor und nach der Rechtsgutsverletzung selbst schon bzw. noch vorliegen:

Davor, wenn die Rechtsgutsverletzung zwar noch nicht begonnen hat, aber schon geplant und vorbereitet ist.

Ein Beispiel wäre: Zwei Täter verabreden, drei Nächte später einen Dritten anzugreifen.

Danach, wenn eine sogenannte Dauergefahr vorliegt, bei der erneute, gleichartige Rechtsgutsverletzungen sicher sind oder wenn ein gefährlicher Zustand entsteht, der andauert (etwa bei einem dauerhaft einsturzgefährdeten Gebäude).[34]

Beachte dabei: Eine Gefahr im Sinne des § 34 StGB muss nicht durch einen Menschen verursacht worden sein! Auch durch Tiere, Sachen oder natürliche Abläufe entstandene Gefahren für ein Rechtsgut können eine Gefahr im Sinne des § 34 StGB sein, z. B. Krankheiten, Unfallfolgen pp.[35]

Im Fall drohen neue Hausrechtsverletzungen durch den S. Es liegt also eine Gefahr in Form der Dauergefahr vor.

Die Unterschiede Notwehrlage – Notstandslage sind also:

•Die Notstandslage ist zeitlich deutlich weiter, Dauergefahren reichen.•Die Quelle der Gefahr ist bei § 34 StGB irrelevant.

Liegt eine Notstandslage vor, ist die Notstandshandlung zu prüfen.

Die Gefahr darf „nicht anders abwendbar“ sein. Dies ist identisch mit „Erforderlichkeit“ im Sinne des § 32 StGB – und hier auch mit gleicher Definition.

Im Fall: ein milderes, wirksames Mittel gab es nicht mehr.

Beachte:

Die Notstandshandlung kann sich – anders als bei Notwehr – auch gegen Rechtsgüter Dritter oder der Allgemeinheit richten!

Ein Beispiel: ein Täter fährt mit 1,3 Promille Auto, um einen schwer verletzten Freund aus einem Funkloch zum nächsten Krankenhaus zu bringen (Straftat nach § 316 StGB und damit ein Eingriff in das Rechtsgut „Sicherheit des Straßenverkehrs“, die aber nach § 34 StGB gerechtfertigt sein kann).

Die Unterschiede zwischen Notwehr- und Notstandshandlung sind also:

Notwehr erlaubt nur Eingriffe in Rechtsgüter des Angreifers

Notstand erlaubt auch Eingriffe in Rechte Dritter und der Allgemeineinheit!

Sodann bedarf es bei § 34 StGB einer Abwägung.

Der Zweck der Abwägung ist folgender: Weil der Gefahrbegriff weit ist und auch in Rechtsgüter Dritter eingegriffen werden kann, muss das gerettete Rechtsgut dem bedrohten im konkreten Fall wesentlich überwiegen.

Gegenüberzustellen ist dabei:

•Abstrakter Wert der betroffenen Rechtsgüter•Grad der im Fall drohenden Gefahr•Herkunft der Gefahr: wird in das Rechtsgut eines Dritten eingegriffen oder in das eines Angreifers?[36]

Im Fall liefe dies wie folgt:

Zunächst ist der abstrakte Wert der betroffenen Rechtsgüter gegenüberzustellen. Im Fall steht das Hausrecht des B gegen die Gesundheit des S. Die Gesundheit ist generell mehr wert als das Hausrecht. Der abstrakte Wert des (durch B) geretteten Rechtsguts ist also sogar niedriger als der des (bei S) verletzten Rechtsguts. Selbst wenn man davon ausginge, dass der B und seine Frau Schlafprobleme wegen S bekommen, wäre der abstrakte Wert des durch B geretteten Rechtsguts (Gesundheit) gleich hoch wie der des (bei S) verletzten, was auch nicht ausreichen würde, da das gerettete Rechtsgut eben überwiegen muss.

Zu klären ist daher, ob sich ein wesentliches Überwiegen aus dem Grad der im Fall konkret drohenden Gefahr für die betroffenen Rechtsgüter ergibt. Die Hausrechtsverletzungen treten wiederholt auf und sind mit einem Eindringen ins Schlafzimmer bei Nacht erheblich. Die konkret drohende Gefahr für das Hausrecht ist mithin massiv. Die Gesundheit des S ist zwar durch den Schuss des B nur einmal bedroht, allerdings ist ein Schuss in eine von wichtigen Blutbahnen durchzogene Region wie das Knie sehr ­gefährlich. Insoweit ist auch die Gesundheit des S stark bedroht. Ein wesentliches Überwiegen des von B geretteten Rechtsguts gibt es also auch hier nicht (dies könnte man wegen der Vielzahl der „Besuche“ des S bei B auch anders sehen).

Zu prüfen ist daher, ob sich aus der Herkunft der Gefahr etwas anderes ergibt. Maßgeblich ist, ob in das Rechtsgut eines Dritten eingegriffen wird oder in das des Angreifers. Denn wird in ein Rechtsgut eines Angreifers eingegriffen, der die Gefahr bewusst verursacht hat, muss auf dessen Rechtsgüter eben nicht die gleiche Rücksicht genommen werden wie bei einem Eingreifen in die Rechtsgüter Unbeteiligter. Im Fall wird nur in Rechte des Spanners S eingegriffen. Daraus lässt sich – zusammen mit der hohen konkreten Gefahr für Bs Rechte – ein wesentliches Überwiegen der geretteten Güter herleiten.

Beachte zur Abwägung: Das Erfordernis eines wesentlichen Überwiegens des geretteten Rechtsguts gegenüber dem Verletzten führt dazu, dass Tötungshandlungen zur Abwehr einer Gefahr generell nicht nach § 34 StGB gerechtfertigt werden können. Denn was immer auch der Täter retten will, wesentlich wertvoller als menschliches Leben kann es nicht sein. Dies gilt auch bei der Tötung von einem zur Rettung mehrerer, denn menschliches Leben ist nicht quantifizierbar[37] (die weiter im Schema zu findende Angemessenheit hat nur wenig Bedeutung und ist nur anzusprechen, wenn sie im Fall relevant ist. Ihre Funktion ist – ähnlich der Gebotenheit bei § 32 StGB – eine wertende Ergebniskorrektur in Fällen, in denen zwar alle anderen Merkmale des § 34 StGB vorliegen, aber es sachwidrig erscheint, dem Täter eine Rechtfertigung zuzugestehen. Der Fall ist dies namentlich, wenn ein Täter durch Straftaten ein Problem lösen will, für dessen Lösung es rechtlich geordnete Verfahren gibt. Ein Beispiel wäre der Diebstahl teurer Medikamente durch den schwerkranken, bettelarmen B).[38]

Letzter Punkt im Fall ist dann der Notstandswille.

Dieser ist so zu verstehen wie der Notwehrwille. Dem Täter muss es bei der Vornahme der erforderlichen Rettungshandlung also gerade darum gehen, die Gefahr abzuwehren.

B hatte im Fall auch Notstandswillen.

B ist mithin nach § 34 StGB gerechtfertigt. B ist nicht nach § 223 StGB strafbar.

d.Notstandsregeln des BGB
aa.Einführung

Zwei weitere Rechtfertigungsgründe, die Notstandshandlungen erlauben, finden sich im BGB: § 228 (sog. Defensivnotstand) und § 904 BGB (sog. Aggressivnotstand). Sie regeln beide (nur) Fälle, in denen der Gefährdete zur Gefahrabwendung eine Sache beschädigt oder zerstört (zum Verhältnis der Notstandsnormen aus StGB und BGB Näheres später).

Der Hintergrund dafür, dass es sie neben § 34 StGB überhaupt gibt, ist, dass im BGB zivilrechtliche Schadensersatzregelungen an die Normen angehängt sind, die für Sie als Polizeibeamte indes unwichtig sind.

Als strafrechtliche Rechtfertigungsgründe lassen diese BGB-Notstände indes bei Straftaten wie die §§ 32 und 34 StGB die Rechtswidrigkeit entfallen. Insoweit sind sie also auch für die Strafverfolgungsbehörden von Relevanz. Dies gilt umso mehr, als vor allem § 228 BGB sich in den Voraussetzungen von § 34 StGB deutlich unterscheidet. Insofern müssen Polizeibeamten auch diese „Exoten“ bekannt sein!

bb.Defensivnotstand: § 228 Satz 1 BGB

Tatbestandsmerkmale nach dem Normtext sind:

§ 228 BGB

„Wer eine fremde Sache beschädigt oder zerstört, um eine durch sie drohende Gefahr von sich oder einem anderen abzuwenden, handelt nicht widerrechtlich, wenn die Beschädigung oder die Zerstörung zur Abwendung der Gefahr erforderlich ist und der Schaden nicht außer Verhältnis zu der Gefahr steht.“

Daraus ergibt sich folgendes Prüfungsschema für § 228 BGB:

Notstandslage:

–Drohende Gefahr für ein Rechtsgut–Gefahr geht von einer (für den Täter) fremden Sache aus

Notstandshandlung:

–Erforderliche Verteidigung–Gegen die Sache, von der die Gefahr ausgeht

Abwägung: verteidigtes Rechtsgut ist nicht wesentlich weniger wert als die beeinträchtigte Sache

Gefahrabwendungswille

Zur Illustration und Erläuterung dient folgender

Fall:

B geht im Park spazieren, wobei er seine brandneuen englischen Herrenschuhe aus Schlangenleder für 1600 Pfund pro Stück trägt. Der große Schäferhund des O riecht das Leder und ist spontan begeistert. Er rennt auf B zu und beginnt, heftig an den Schuhen zu kauen. Os Rufe zu dem Hund, dies zu lassen, bewirken bei dem Hund nichts. Auch Bs Versuche, den Hund mit Geschrei und Gesten wieder auf Abstand zu bringen, bleiben wirkungslos. Gleiches gilt für seine Versuche, ihn abzuschütteln, da der Hund sogleich wieder zubeißt. B schüttelt ihn daher ab und versetzt dem Schäferhund daraufhin einen so heftigen Tritt, dass dieser verstirbt, was B für möglich hielt. Strafbarkeit des B?

Einschlägiger Straftatbestand ist § 303 StGB, Sachbeschädigung (in Betracht käme ferner § 17 Tierschutzgesetz, auf den hier nicht einzugehen ist).

Objektiver Tatbestand:

Der Hund müsste eine Sache sein. Dies ist der Fall, da Tiere zwar nach § 90 BGB keine Sachen sind, aber grundsätzlich für sie die Regeln für Sachen gelten, vgl. § 90a BGB.

Der Hund müsste fremd gewesen sein. Der Hund gehörte O.

Die Tötung ist hier ferner die Tathandlung der „Zerstörung“.

Subjektiver Tatbestand:

Zumindest nahm B die Zerstörung billigend in Kauf.

Rechtswidrigkeit:

B könnte nach § 32 StGB, Notwehr, gerechtfertigt sein:

(Es ist mit Notwehr zu beginnen, da dieser weitergehende Verteidigungsmöglichkeiten vorsieht als alle Notstandsregeln; Näheres später.)

Notwehrlage:

Der O hetzt den Hund nicht auf B. Ein Angriff eines Menschen, auch nicht indirekt, liegt nicht vor.

B ist schon mangels Angriffs nicht durch Notwehr gerechtfertigt.

B könnte indes nach § 228 BGB gerechtfertigt sein (zur Prüfungsreihenfolge nach § 32 StGB später mehr).

Notstandslage:

Es bedürfte zunächst einer drohenden Gefahr für ein Rechtsgut. Es drohte unmittelbar eine Eigentumsverletzung bei B. Damit bestand eine drohende Gefahr für ein Rechtsgut.

Der Begriff „Gefahr“ ist so zu verstehen wie in § 34 StGB.

Die Gefahr müsste weiter von einer fremden Sache ausgehen.

Quelle der Gefahr für B war Os Hund und damit im Rechtssinne eine (für B fremde) Sache.

Notstandshandlung:

Die Verteidigung des B hätte erforderlich sein müssen.

Ein milderes, gleich wirksames Mittel gab es jedenfalls nicht mehr, da alles andere erfolglos war.

Die Erforderlichkeit ist hier so zu verstehen wie in § 32 und § 34 StGB.

Die Abwehrhandlung müsste gegen die Sache gerichtet gewesen sein, von der die Gefahr ausgeht.

Die Verteidigung richtete sich gegen Os Hund, der auch die Quelle der Gefahr für Bs Schuhe war.

Sodann bedarf es einer Abwägung:

Beachte:

Jetzt wird es entscheidend, dass nur erforderlich ist, dass das gerettete Rechtsgut gegenüber der die Gefahr begründenden Sache nicht wesentlich weniger wert ist!

Im Fall: Bs teure Schuhe sind materiell nicht wesentlich weniger wert als Os Hund.

Beachte:

Hier liegt der große Unterschied zu § 34 StGB (und § 904 BGB): Da hier die Sache beschädigt oder zerstört wird, von der die Gefahr ausgeht, ist nur erforderlich, dass das gerettete Rechtsgut gegenüber dieser Sache nicht wesentlich weniger wert ist! Anders als bei § 34 StGB (und § 904 BGB, dazu unten) ist nicht erforderlich, dass die gerettete Sache mehr wert ist als die zur Gefahrenabwehr zerstörte.

Die Abwägung erfolgt dabei grundsätzlich durch Gegenüberstellung des materiellen Wertes. Zumindest dann, wenn es allgemein gesellschaftlich anerkannt und nachvollziehbar ist, kann aber auch das sogenannte Affektionsinteresse (also ideelle Aspekte zum Wert der Sache) mitberücksichtigt werden.[39]

Im Fall könnte man daher vertreten, dass die Schuhe deswegen wesentlich weniger wert sind, weil bei nicht völlig unähnlichem Sachwert Os Hund einen hohen ideellen Wert hat. B wäre dann nicht nach § 228 BGB gerechtfertigt und – da es auch keinen sonstigen Rechtfertigungsgrund gäbe und B auch schuldhaft gehandelt hätte – nach § 303 StGB strafbar.

Vertreten ließe sich aber auch, dass selbst mit dem ideellen Wert des Hundes die neuwertigen und sehr edlen Schuhe des B zwar weniger wert, aber eben nicht wesentlich weniger wert wären als Os Hund. Dann wäre § 228 BGB so weiter zu prüfen, dass B noch Gefahrabwendungswillen bräuchte. B handelte hier, um seine Schuhe gegen den Hund zu verteidigen und damit mit dem Ziel, die Gefahr abzuwenden. B wäre nach dieser Lösung mithin nach § 228 BGB gerechtfertigt und nicht nach § 303 StGB strafbar.

Beachte:

Dass man verschiedene Lösungen gleich gut vertreten kann, ist in juristischen Falllösungen keineswegs ungewöhnlich. Oft (allerdings nicht immer) lässt ein Begriff und eine Definition so viel Spielraum, dass verschiedene Subsumtionsergebnisse möglich sind. In der Klausur geht es in solchen Fällen dann auch nicht darum, dass „richtige“ Ergebnis zu treffen. Es geht vielmehr darum, dass Sie durch eine nachvollziehbare Subsumtion zeigen, das Tatbestandsmerkmal überhaupt richtig verstanden zu haben und es methodisch richtig bearbeiten können!

cc.Aggressivnotstand, § 904 BGB

Während § 228 BGB (nur) erlaubt, eine Sache zu beschädigen oder zu zerstören, von der eine Gefahr ausgeht, erlaubt § 904 BGB die Beschädigung oder Zerstörung einer „unbeteiligten“ Sache, also einer, von der die Gefahr nicht ausgeht.

Der Normtext von § 904 BGB ist sehr verwirrend. Daher gilt hier ausnahmsweise: Das Prüfungsschema ist nicht herzuleiten, sondern einfach auswendig zu lernen! Da es mit dem von § 34 StGB nahezu identisch ist, geht dies aber recht leicht.

Prüfungsschema § 904 BGB (fast identisch mit § 34 StGB):

Notstandslage:

–Gefahr für ein Rechtsgut–Gegenwärtigkeit der Gefahr

Notstandshandlung:

–Erforderliche Verteidigung–Dabei: Beeinträchtigung einer Sache, von der die Gefahr nicht ausgeht

Abwägung: geschütztes Rechtsgut muss die beeinträchtigte Sache wesentlich überwiegen

Gefahrabwendungswille

Das Schema unterscheidet sich vom dem Prüfungsschema des § 34 StGB nur darin, dass die Verteidigungshandlung sich gegen eine Sache richten muss. Ansonsten ist das Schema identisch. Auch alle Tatbestandsmerkmale und damit alle Definitionen sind so zu verstehen wie bei § 34 StGB.

Zur Illustration, für welche Fälle § 904 BGB einschlägig ist, dient folgendes Beispiel: B wird von einem streunenden Hund angefallen. Um sich zu verteidigen, reißt er aus dem neben seinem Weg verlaufenden Gartenzaun des O eine Latte raus und schlägt den Hund damit in die Flucht.

Der Unterschied zu § 228 BGB besteht darin, dass bei § 228 BGB die Gefahr von einer Sache ausgehen muss und Täter diese gefährliche Sache zur Abwehr beschädigt oder zerstört, während bei § 904 BGB die Gefahr von jeder beliebigen Quelle ausgehen kann, der Täter aber eine andere, „unbeteiligte“ Sache zur Verteidigung beschädigt oder zerstört.

e.Das Festnahmerecht gem. § 127 I StPO

Neben den Notwehr- und Notstandsregeln, die den Schwerpunkt bei einer Prüfung der Rechtswidrigkeit darstellen, gibt es noch einige andere Rechtfertigungsgründe. Die wichtigsten sind das allgemeine Festnahmerecht sowie die Einwilligung. Um diese soll es nun gehen.

Das allgemeine Festnahmerecht ist in § 127 I Satz 1 StPO geregelt, der folgenden Wortlaut hat und damit die folgenden Tatbestandsmerkmale ­enthält:

§ 127 I StPO

Wird jemand auf frischer Tat betroffen oder verfolgt, so ist, wenn er der Flucht verdächtig ist oder seine Identität nicht sofort festgestellt werden kann, jedermann befugt, ihn auch ohne richterliche Anordnung vorläufig festzunehmen.

Daraus ergibt sich nachfolgendes Prüfungsschema des § 127 I Satz 1 StPO:

Festnahmelage:

–Täter auf frischer Tat betroffen oder–Täter auf frischer Tat verfolgt–Fluchtverdacht oder–Identität nicht sofort feststellbar

Festnahmehandlung: „vorläufige Festnahme“

Festnahmewille

Zur Erläuterung der Tatbestandsmerkmale dient folgender

Fall:

Der B geht durch ein Wohngebiet, als er aus einer Wohnung im Erdgeschoss zunächst einen gellenden Schrei hört und kurz danach den F mit blutender Verletzung an der Stirn am Fenster sieht. In diesem Moment erkennt er, dass der O aus dem Haus rennt. B ist nun sicher, dass der O den F blutig geschlagen hat und flüchten will. Er rennt dem O nach und drückt ihn fest gegen eine Hauswand, bis die Polizei, die ein anderer Passant auf Bs Bitte hin gerufen hat, erscheint. Tatsächlich hatte der F sich über eine Spinne erschrocken und dabei eine unwillkürliche Bewegung gemacht, die zu einem Stoß an einem Regal und der blutenden Verletzung führte. O, der in einer anderen Wohnung lebt, war aus dem Haus gerannt, um den Bus noch zu kriegen. Der O erleidet durch Bs Drücken Hämatome und Schmerzen am Rücken und den Armen. Dass dies durch das Drücken passieren kann, ist dem B dabei bewusst, er meint aber, anders den O nicht aufhalten zu können. Strafbarkeit des B nach § 223 StGB?

Strafbarkeit des B nach § 223 I StGB:

Objektiver Tatbestand:

Das Drücken gegen die Hauswand ist eine üble Behandlung, die Os Wohlbefinden beeinträchtigt. Eine körperliche Misshandlung liegt daher vor.

Ebenfalls gegeben (wenn auch nur alternativ neben der körperlichen Misshandlung nötig) ist eine Gesundheitsschädigung in Form der Hämatome und Schmerzen, die pathologische Zustände sind.

Das Drücken des B ist auch die Ursache der Hämatome und damit kausal (und objektiv zurechenbar).

Subjektiver Tatbestand:

B erkannte die Gefahr von Hämatomen pp. und nahm sie billigend in Kauf, sodass er bedingt vorsätzlich handelte.

Rechtswidrigkeit:

§ 32 StGB, Nothilfe

Zur Erinnerung: Nothilfe ist Notwehr für Dritte. Sie wird genauso wie Notwehr zur Verteidigung eigener Rechte nach § 32 StGB geprüft. Einzige Besonderheit, die aber nur anzusprechen ist, wenn es im Fall ein Problem ist: Nothilfe kann nicht geleistet werden (und ist daher nicht erforderlich), wenn der Angegriffene, dem man helfen will, gar keine Hilfe möchte.

Beachte ferner: Auch hier im Fall sollten Sie zunächst § 32 StGB prüfen, da dieser weitergehende Rechte einräumt als § 127 StPO. Abschließendes zur Prüfungsreihenfolge finden Sie am Ende des Kapitels zu den Rechtfertigungsgründen.

Zu klären ist im Fall zunächst, ob eine Notwehrlage vorlag:

Schon ein Angriff lag nicht vor: es gab schlicht keine Bedrohung rechtlich geschützter Güter durch menschliches Verhalten vor der Festnahme.

B ist daher nicht durch Notwehr gerechtfertigt.

Beachte also: Die Notwehrlage muss – wie bei den §§ 228, 904 BGB und 34 StGB die Notstandslage – tatsächlich, also objektiv, bestehen! Fehlt es schon daran, ist der Täter auch dann nicht gerechtfertigt, wenn er glaubt, ein Angriff bzw. eine Gefahr läge vor.

Im Fall fehlt es wie gesehen daran.

B könnte aber nach § 127 I StPO gerechtfertigt sein.

Zu prüfen ist zunächst die Festnahmelage:

O müsste auf frischer Tat betroffen oder verfolgt sein.

Nach dem Wortlaut würde hier das Gleiche gelten wie zum Angriff bei § 32 StGB: „auf frischer Tat“ verlangt der Formulierung nach, dass es tatsächlich, also objektiv, eine Tat gibt.

Bei § 127 StPO – und nur bei § 127 StPO – macht die Rechtsprechung nun jedoch eine Ausnahme: hier – und nur hier – lässt sie es genügen, wenn ein Tatverdacht besteht![40]

Daraus ergibt sich daher folgende Definition „frische Tat“: Eine frische Tat liegt vor, wenn die Gesamtschau aller erkennbaren äußeren Umstände im Tatzeitpunkt nach der Lebenserfahrung im Urteil des Festnehmenden den Schluss auf eine rechtswidrige Tat zulässt.

Maßgeblich ist also, ob der Festnehmende Grund hat, anzunehmen, dass es eine Straftat gab. Ob sie tatsächlich vorlag, ist unerheblich.

Im Fall läge danach eine „frische Tat“ vor: Die Umstände (Schrei des F, Verletzung des F, die von einem Schlag stammen konnte, Wegrennen des O) begründeten einen Tatverdacht. Mehr ist nicht verlangt.

Der Täter (also im Fall der B) muss ferner auf frischer Tat betroffen oder verfolgt sein.

Die Definitionen lauten:

Definition „betroffen“: Betroffen ist, wer am Tatort als Täter festgestellt wird.

Definition „verfolgt“: Verfolgt ist, wer sich zwar schon vom Tatort entfernt hat, aber aufgrund sicherer Anhaltspunkte als Täter erscheint.[41]

Im Fall war O nicht mehr in der Wohnung, wo die „Tat“ stattfand bzw. stattgefunden zu haben scheint, und auch nicht einmal mehr in dem Haus, also nicht mehr am „Tatort“ und daher nicht „(auf frischer Tat) betroffen“.

O erschien wegen des Wegrennens nach der „Tat“ aber als der „Täter“ und war daher „(auf frischer Tat) verfolgt“.

Erforderlich ist weiter ein Fluchtverdacht (oder alternativ eine Nichtfeststellbarkeit der Identität, dazu sogleich).

O schien abzuhauen, mithin bestand hier auch Fluchtverdacht.

Die Definition „Fluchtverdacht“ lautet: Fluchtverdacht besteht, wenn der Festnehmende nach dem erkennbaren Verhalten des Tatverdächtigen vernünftigerweise davon ausgehen muss, dieser werde sich ohne Festnahme dem Verfahren entziehen.[42]

Hier genügt schon nach dem Wortlaut der Norm der bloße (begründete) Verdacht. Ob der Tatverdächtige tatsächlich fliehen will, wird der Festnehmende im Zweifel ja auch kaum feststellen können, sodass mehr als die Feststellung entsprechender Anhaltspunkte nicht verlangt werden kann.

Inwieweit – zurück im Fall – Os Identität nicht sofort feststellbar war – was zum Fluchtverdacht grundsätzlich im alternativen Verhältnis steht und hier nur angesprochen wird, um das Merkmal zu erläutern – ist fraglich:

Hätte F den O gekannt und hätte B dies durch einen raschen Zuruf sicher klären können, hätte es einer Festnahme unter diesem Aspekt nicht mehr bedurft. Im Sachverhalt ist dies aber unklar.

Allgemein gilt also zum Merkmal „Identität nicht sofort feststellbar“ (wobei Sie hier ohne Definition unter den Wortlaut subsumieren dürfen):

Ist bekannt oder ohne jeden Zeitverzug sicher (!) feststellbar, wie die Personalien des Täters sind, ist seine Identität „sofort feststellbar“. Lässt sich dies aber nicht sofort klären – und sei es auch, weil der Täter zwar etwas angibt, was aber nicht sogleich überprüft werden kann –, ist seine Identität nicht sofort feststellbar und kann er (bei Vorliegen auch der übrigen Voraussetzungen) vorläufig festgenommen werden.[43]

Im Fall lag damit eine Festnahmelage vor.

Beachte: Fluchtverdacht und Nicht-Feststellbarkeit der Identität sind grundsätzlich alternativ („oder“). Ist die Identität indes bekannt, wird ein Fluchtverdacht nur noch in Betracht kommen, wenn zu befürchten ist, dass der Tatverdächtige sich dem Verfahren entziehen wird, obwohl man weiß, wer er ist und ihn daher grundsätzlich im weiteren Verfahren als Beschuldigten problemlos laden kann. Denkbar wäre dies etwa, wenn die Gefahr besteht, dass der bekannte Tatverdächtige sich ins Ausland absetzt o. ä.

Im Fall weiter zu prüfen ist sodann die Festnahmehandlung:

§ 127 StPO erlaubt dem Wortlaut nach die „Festnahme“. Der Straftatbestand, der nach dieser Norm gerechtfertigt werden kann, ist daher grundsätzlich nur die Freiheitsberaubung nach § 239 StGB.

Im Fall hat B aber (auch) den objektiven und subjektiven Tatbestand einer Körperverletzung nach § 223 StGB verwirklicht, und ob er nach § 223 StGB strafbar ist, ist das, was zu prüfen ist.

Fraglich ist, inwieweit § 127 StPO auch andere Straftaten als Freiheitsberaubungen rechtfertigt.

Dabei gilt: Neben Freiheitsberaubungen sind andere Delikte gerechtfertigt, wenn sie zur Festnahme unvermeidlich und wenig gravierend sind. Beispiele sind leichte Körperverletzungen oder Nötigungen gem. § 240 StGB. Nicht gerechtfertigt sind schwerere Begleitdelikte sowie ganz generell der Einsatz von Schusswaffen über bloßes Drohen und Warnschüsse hinaus. Ob Letzteres auch gilt, wenn es um die Festnahme beim Verdacht auf sehr schwere Straftaten geht, ist umstritten und selbst in der Judikatur des BGH bisher nicht einheitlich entschieden.[44]

B hat im Fall den O nur zum Zwecke des Festhaltens leicht körperlich misshandelt. Dies ist im Rahmen der Festnahme erlaubt.

Nötig ist im Fall schließlich noch ein Festnahmewille:

Der Täter darf nur zu dem Zweck festnehmen, den Festgenommenen unverzüglich der Polizei zu übergeben.

Im Fall ging es B nur darum, den „Täter“ an der Flucht zu hindern, bis die Polizei kommt.

B ist daher nach § 127 I StPO gerechtfertigt und nicht nach § 223 StGB strafbar.

Beachte noch (fallunabhängig):

Wie (fast) alle Eingriffe in die Rechte eines Betroffenen muss auch die vorläufige Festnahme nach § 127 I StPO verhältnismäßig sein. Da dies aber durch einen festnehmenden Bürger kaum geprüft werden kann, erst recht nicht im meistens hektischen Moment der Entscheidung über die Festnahme, wird die Rechtmäßigkeit einer solchen Festnahme an deren Unverhältnismäßigkeit nur scheitern, wenn sie offensichtlich unverhältnismäßig ist. Da dies eine seltene Ausnahme ist,[45] muss es nur geprüft werden, wenn es im Fall tatsächlich in Betracht kommt. Als Prüfungsort kann dafür dann die Festnahmehandlung gewählt und dort diskutiert werden, ob eine Festnahmehandlung überhaupt nötig war.

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