Kitabı oku: «Verloren », sayfa 2
KAPITEL ZWEI
Riley und Jennifer Roston saßen sich im Konferenzraum gegenüber und schauten sich fast eine volle Minuet lang schweigend an. Riley konnte die Spannung kaum ertragen.
Endlich sagte Roston, „Ein beeindruckendes Schauspiel, das sie uns da geboten haben, Agentin Paige.”
Riley fühlte sich ertappt und verärgert.
„Das habe ich nicht nötig”, knurrte sie.
Sie stand von ihrem Stuhl auf, um zu gehen.
„Nein, gehen Sie nicht”, sagte Roston. „Nicht, ohne gehört zu haben, was mir vorschwebt.”
Mit einem schrägen Lächeln fügte sie hinzu, „Es könnte Sie überraschen.”
Riley glaubte ganz genau zu wissen, was Roston vorhatte.
Sie war fest entschlossen, Riley zu zerstören.
Nichtsdestotrotz blieb Riley sitzen. Welcher Konflikt auch immer zwischen Roston und ihr schwellte, es war an der Zeit ihn beizulegen. Außerdem war sie neugierig.
Roston sagte, „Zunächst einmal möchte ich feststellen, dass wir einen schlechten Start hatten. Es gab einige Missverständnisse. Ich wollte nie, dass wir Gegnerinnen sind. Bitte glauben Sie mir. Ich bewundere Sie. Sehr sogar. Ich hatte mich darauf gefreut, am BAU mit Ihnen zusammenzuarbeiten.”
Riley war ein wenig verblüfft. Rostons Gesichtsausdruck und ihrer Stimme nach, schien es ihr ernst zu sein. Um genau zu sein hatte alles, was sie über Roston bislang gehört hatte, sie ziemlich beeindruckt. Es hieß, sie hätte an der Polizeischule außergewöhnlich gute Ergebnisse erzielt, und zudem war sie für ihre Polizeiarbeit in Los Angles bereits ausgezeichnet worden.
Jetzt, da sie ihr gegenüber saß, war Riley von Rostons Auftreten erneut beeindruckt. Die Frau war klein, jedoch drahtig und athletisch, und sie strahlte Energie und Enthusiasmus aus. Doch jetzt war nicht der richtige Zeitpunkt, die neue Agentin mit Lob zu überschütten. Es hatte einfach zu viele Spannungen und Misstrauen zwischen ihnen gegeben.
Nach einer kurzen Pause sagte Roston, „Ich glaube, wir könnten einander nützlich sein. Gerade jetzt. Um genau zu sein, ich bin mir ziemlich sicher, dass wir genau das Gleiche wollen.”
„Das wäre?” fragte Riley.
Roston lächelte und neigte ihren Kopf leicht zur Seite.
„Shane Hatchers kriminelle Machenschaften ein für alle Mal zu beenden.”
Riley antwortete nicht. Sie brauchte einen Moment um zu erkennen, dass Roston absolut Recht hatte. Sie sah Shane Hatcher nicht länger als ihren Verbündeten. Um genau zu sein, war er ein gefährlicher Gegner. Und er musste gestoppt werden, bevor er einem ihrer Liebsten etwas antat. Dafür müsste er gefasst oder getötet werden.
„Erzähl mir mehr”, sagte Riley.
Roston stütze ihr Kinn auf ihre Hand und lehnte sich zu Riley.
„Ich habe einiges zu sagen”, sagte sie. “Ich möchte, dass du einfach zuhörst, ohne zu antworten. Du sollst es weder bestreiten, noch zustimmen. Hör einfach nur zu.”
Riley nickte voller Unbehagen.
„Deine Beziehung zu Shane Hatcher lief auch nach seinem Ausbruch aus Sing Sing weiter. Sie wurde sogar noch intensiver. Ihr hattet mehr als einmal Kontakt—mehrmals, da bin ich mir sicher, manchmal von Angesicht zu Angesicht. Er hat Ihnen bei der Aufklärung von Fällen, jedoch auch bei persönlichen Anliegen geholfen. Ihre Beziehung zu ihm entwickelte sich zu einer—wie sagt man? Symbiose.”
Riley musste sich sehr zusammenreißen, um nicht zu reagieren.
Alles Gesagte war natürlich absolut wahr.
Roston sprach weiter, „Ich bin mir ziemlich sicher, dass Sie von seinem Aufenthalt in Ihrer Hütte wussten. Wahrscheinlich haben Sie dem sogar zugestimmt. Der Tod von Shirley Redding war dann allerdings kein Unfall. So hatten sie nicht gewettet. Hatcher hat die Kontrolle verloren, und Sie wollen nichts mehr mit ihm zu tun haben. Doch Sie haben Angst vor ihm. Sie wissen nicht, wie Sie die Verbindung kappen können.”
Zwischen Riley and Roston herrschte eine unangenehme Stille. Riley fragte sich, woher sie das alles wusste. Es erschien ihr regelrecht unheimlich. Doch Riley glaubte nicht an die Kunst des Gedankenlesens.
Nein, sie ist einfach eine verdammt gute Polizistin, dachte Riley.
Diese junge Agentin war sehr schlau, und ihre Instinkte und ihre Intuition schienen so ausgeprägt zu sein, wie bei ihr selbst.
Doch was hatte Roston jetzt vor? Stellte sie ihr eine Falle, um Riley dazu zu bringen, alles, was zwischen ihr und Hatcher vorgefallen war, zuzugeben? Aus irgendeinem Grund sagte Rileys Bauchgefühl ihr etwas anderes.
Aber sollte sie wirklich wagen, Roston zu vertrauen?
Roston lächelte erneut geheimnisvoll.
„Agentin Paige, glauben Sie, ich wüsste nicht, wie Sie sich fühlen? Glauben Sie, ich hätte keine Geheimnisse? Glauben Sie, ich hätte mich noch nie bei etwas verrannt, und mich wider besseren Wissens mit jemandem vebündet? Glauben Sie mir, ich weiß genau, womit Sie es zu tun haben. Sie haben etwa gewagt, und manchmal kann man es mot den Regeln nicht so genau nehmen. Sie haben sie also gebrochen. Nicht viele Agenten haben Ihren Mut. Ich möchte Ihnen wirklich gerne helfen.”
Ohne zu antworten, studierte Riley Rostons Gesichtszüge. Einmal mehr war sie von der Ernsthaftigkeit der jungen Agentin beeindruckt.
Riley fühlte, wie sich ihre Mundwinkel zu einem grimmigen Lächeln verzogen. Anscheinend besaß Agentin Roston ebenfalls eine dunkle Seite, genau wie sie selbst.
Roston sagte, „Agentin Paige, als ich Hatchers Fall übernahm, gaben Sie mir Zugang zu allen Dateien, die es zu seinem Fall gab. Außer zu einer mit dem Titel ‚Gedanken.’ Sie wurde in der Übersicht aufgelistet, ich konnte sie jedoch nicht finden. Sie sagten mir, Sie hätten sie gelöscht. Sie sagten, es hätte sich bloß um einige Stichpunkte und Unwichtigkeiten gehandelt.”
Roston lehnte sich in ihrem Stuhl zurück und entspannte sich ein wenig.
Doch Riley war alles andere als entspannt. Aus einem voreiligen Impuls heraus hatte sie die Datei mit dem Namen „Gedanken“ gelöscht, die eigentlich unerlässliche Informationen zu Hatchers finanziellen Beziehungen enthalten hatte—Beziehungen, die ihm erlaubten, auf freiem Fuß zu bleiben und seine weiterhin beachtliche Macht auszuüben.
Roston sagte, „Ich bin mir ziemlich sicher, dass Sie nach wie vor im Besitz dieser Datei sind.”
Riley unterdrückte ein alarmiertes Schaudern. Die Wahrheit war, sie besaß eine Kopie der Datei auf einem USB Stick. Sie hatte häufig daran gedacht, die Datei einfach zu löschen, aber irgendwie konnte sie sich nicht dazu durchringen. Hatchers Einfluss auf sie war stark gewesen. Vielleicht hatte sie irgendwie geahnt, dass sie diese Information eine Tages noch würde gebrauchen können.
Statt die Datei zu löschen, trug sie sie vor lauter Unentschlossenheit mit sich herum. Der USB Stick befand sich jetzt gerade in ihrer Geldbörse.
„Ich bin davon überzeugt, dass diese Datei wichtig ist”, sagte Roston. „Um genau zu sein, ich denke, sie enthält Informationen, die ich brauche, um Hatcher ein für alle Mal weg zusperren. Und das wollen wir beide. Da bin ich mir sicher.”
Riley musste schlucken.
Ich darf nichts sagen, dachte sie.
Aber waren Rostons Worte nicht von einer bestechenden Logik?
Dieser USB Stick könnte ihr sehr wohl helfen, sich aus Shane Hatchers Fängen zu befreien.
Rostons Züge entspannten sich.
„Agentin Paige, eines verspreche ich Ihnen feierlich. Falls Sie mir die gewünschte Information geben sollten, würde nie jemand davon erfahren, dass Sie sie je zurückgehalten haben. Ich werde keiner Seele etwas sagen. Niemals.”
Riley fühlte ihren Widerstand zusammenbrechen.
Ihr Instinkt versicherte ihr, dass Boston es ernst meinte.
Ohne etwas zu sagen, griff sie in ihre Geldbörse, nahm den USB Stick heraus und gab ihn der jüngeren Agentin. Rostons Augen weiteten sich, doch sie sagte kein Wort. Sie nickte bloß und steckte den Stick in ihre Tasche
Riley hatte das verzweifelte Bedürfnis, die Stille zu durchbrechen.
„Möchten Sie noch etwas besprechen, Agentin Roston?”
Ihr Gegenüber schmunzelte ein wenig.
„Bitte, nennen Sie mich Jenn. Alle meine Freunde nennen mich so.”
Riley blinzelte unsicher, als sich Boston von ihrem Stuhl erhob.
„Wohlgemerkt, ich werde Sie natürlich weiterhin Agentin Paige nennen. Solange Sie es wünschen. Doch bitte, nennen Sie mich Jenn. Ich bestehe darauf.”
Roston verließ den Raum und ließ eine sprachlose Riley zurück .
*
Riley ließ sich in ihrem Büro nieder, um die auf ihrem Schreibtisch liegen gebliebene Arbeit zu erledigen. Immer, wenn sie gerade in keinem Fall ermittelte, schien es, als erwarteten sie eine überwältigende Menge an bürokratischer Eintönigkeit, die, bis zu ihrem erneuten Einsatz, nicht nachließ.
Diese Arbeit war immer unangenehm. Doch heute fiel es ihr besonders schwer, sich zu konzentrieren. Sie wurde mehr und mehr von der Sorge ergriffen, dass sie soeben einen fürchterlichen Fehler begangen hatte.
Warum in aller Welt hatte sie die Datei an Jennifer Roston übergeben—oder „Jenn”, wie sie jetzt von Riley genannt werden wollte?
Es bedeute nicht mehr und nicht weniger, als dass Riley zugab, sich der versuchten Strafvereitlung schuldig gemacht zu haben.
Warum hatte sie die Datei gerade dieser einen Agentin gezeigt, wo sie es doch niemandem sonst gezeigt hatte? Wie könnte eine ehrgeizige junge Agentin etwas anderes tun, als Rileys Verstoß ihren Vorgesetzten zu melden—vielleicht würde sie direkt zu Carl Walder gehen?
Riley könnte jeder Zeit verhaftet werden.
Warum hatte sie die Datei nicht einfach gelöscht?
Sie hätte sie auch verschwinden lassen können, so wie die Goldkette, die Hatcher ihr gegeben hatte. Die Kette war ein Symbol ihrer Verbindung zu Hatcher gewesen. Sie hatte zudem einen Code enthalten, mit dem sie ihn bei Bedarf hatte kontaktieren können.
Riley hatte sie in dem frenetischen Versuch, sich von ihm zu befreien, weggeschmissen. Doch aus irgendeinem Grund war sie nicht in der Lage gewesen, mit dem USB Stick das selbe zu tun.
Warum?
Die Finanzauskünfte, die er enthielt, reichten in jedem Fall aus, um Hatchers Aktivitäten stark einzuschränken. Vielleicht würde es sogar genügen, um ihn zu stoppen.
Es war ihr ein Rätsel, wie so viele Aspekte ihrer Beziehung zu Hatcher.
Während Riley die Papierstapel auf ihrem Schreibtisch sortierte, klingelte ihr Telefon. Es war eine SMS von einer unbekannten Nummer. Riley musste schlucken, als sie laß, was da stand.
Dachtest Du, das würde mich aufhalten? Alles ist schon in Bewegung. Du kannst nicht behaupten, ich hätte dich nicht gewarnt.
Riley viel das Atmen schwer.
Shane Hatcher, dachte sie.
KAPITEL DREI
Riley starrte auf die SMS, und Panik stieg in ihr auf.
Es war nicht schwer, zu erraten, was passiert war. Sobald sie auseinander gegangen waren, hatte Jenn Roston die Datei geöffnet. Sie hatte gefunden, was es zu entdecken gab, und auch schon erste Schritte eingeleitet, um Hatchers Machenschaften ein Ende zu setzen. Doch in seiner Nachricht verkündete Hatcher beinahe trotzig, dass Jenn keinen Erfolg gehabt hatte.
Alles ist schon in Bewegung.
Shane Hatcher war immer noch auf freiem Fuß, und er war verärgert. Jetzt, wo er weiterhin Zugang zu seinen finanziellen Mitteln hatte, könnte er gefährlicher denn je sein.
Ich muss ihm antworten, dachte sie. Ich muss vernünftig mit ihm reden.
Aber wie? Was könnte sie denn sagen, was ih nicht noch mehr verärgern würde?
Dann kam ihr der Gedanke, dass Hatcher vielleicht nicht genau verstand, was passierte.
Woher sollte er wissen, dass Roston sein Netzwerk sabotierte, und nicht Riley? Vielleicht könnte sie ihm zumindest das vermitteln.
Ihre Hände zitterten als sie eine Antwort eintippte.
Lass es mich erklären.
Doch als sie versuchte, die SMS zu senden, wurde sie als „unzustellbar” markiert.
Riley seufzte verzweifelt.
Genau das gleiche war passiert, als sie zum letzten Mal versucht hatte, mit Hatcher zu kommunizieren. Er hatte ihr eine kryptische Nachricht gesendet, und sie dann gemieden. Früher hatte sie mit Hatcher über Videochat, SMS und sogar per Anruf kommuniziert. Doch das war vorbei.
Momentan hatte sie keine Möglichkeit ihn zu erreichen.
Doch er konnte sie noch erreichen.
Der zweite Sagt seiner neusten Nachricht war besonders beunruhigend.
„Du kannst nicht behaupten, ich hätte dich nicht gewarnt.”
Riley dachte zurück daran, was er geschriebenen hatte, als sie das letzte Mal miteinander kommuniziert hatten.
„Du wirst einen Tag erleben, an dem du das bereust. Deine Familie vielleicht nicht mehr..”
Riley schluckte und sagte laut …
„Meine Familie!”
She fummelte an ihrem Telefon herum und wählte hastig die Nummer von zuhause. Sie hörte es klingeln und klingeln. Dann ging der Anrufbeantworter dran, und sie hörte sich selbst sprechen.
Das war alles, was Riley tun konnte, um nicht zu schreien.
Warum antwortete niemand? Es waren doch Frühjahrsferien. Ihre Kinder hätten zuhause sein müssen. Und wo war Rileys Hausangestellte, Gabriela?
Kurz bevor die Ansage endete, hörte sie die Stimme von Jilly, der Dreizehnjährigen, die Riley gerade zu adoptieren versuchte. Jilly klang atemlos.
„Hey, tut mir leid, Mom. Gabriela ist zum Supermarkt gegangen. April, Liam und ich haben im Hinterhof Fußball gespielt. Gabriela sollte jede Minute zurück sein.”
Riley realisierte, dass sie den Atem anhielt. Sie versuchte bewusst, wieder mit dem Atmen anzufangen.
„Ist alles okay?” fragte sie.
„Klar”, sagte Jilly mit einem Schulterzucken. „Was soll schon sein?”
Riley hatte Schwierigkeiten, sich zu beruhigen.
„Jilly, könntest du bitte für mich einen Blick aus dem Fenster zur Straße werfen?”
„OK”, sagte Jilly.
Riley hörte Schritte.
„Ich schaue jetzt raus,” sagte Jilly.
„Ist der Kastenwagen vom FBI noch da?”
„Ja. Auch der in der Allee. Ich habe ihn gerade vom Hinterhof aus gesehen. Falls dieser Shane Hatcher hier auftaucht, werden die ihn sicher festnehmen. Ist irgendetwas nicht in Ordnung? Du machst mir irgendwie Angst.”
Riley zwang sich zu einem Lachen.
„Nein, alles ist gut. Ich verhalte mich bloß—wie eine Mutter.”
„Okay. Bis später.”
Der Anruf war beendet, doch in Riley schwellte immer noch ein ungutes Gefühl. Sie ging den Flur hinunter und direkt zu Brent Meredith Büro.
Sie stammelte: „Mr.Meredith, ich—ich müsste mir den Rest des Tages freinehmen.”
Meredith schaute von seiner Arbeit auf.
„Darf ich fragen wieso, Agentin Paige?” fragte er.
Riley öffnete den Mund, doch es kamen kein Wort heraus. Wenn sie ihm erklärte, dass sie soeben eine Drohung von Shane Hatcher erhalten hatte, würde er nicht darauf bestehen, ihr Nachrichten zu sehen? Wie könnte sie ihm die zeigen, ohne zuzugeben, dass sie gerade die Datei an Jenn Roston übergeben hatte?
Meredith sah nun besorgt aus. Er schein zu wissen, dass etwas nicht in Ordnung war, und dass Riley darüber nicht reden konnte.
„Geh”, sagte er. „Ich hoffe, alles ist in Ordnung.”
Rileys Herz wurde v on Dankbarkeit für Merediths Verständnis und Diskretion überflutet.
„Ich danke Ihnen”, sagte sie.
Dann verließ sie eilig das Gebäude, stieg in ihr Auto und fuhr nach Hause.
*
Als sie sich ihrem Haus in einer ruhigen Gegend von Fredericksburg näherte, stellte sie erleichtert fest, dass der Kastenwagen des FBIs tatsächlich noch da war. Riley wusste, dass ein weiterer Wagen in der Allee hinter dem Haus stationiert war. Obwohl unmarkiert, waren die Fahrzeuge schwerlich unauffällig. Doch daran konnte man nichts ändern.
Riley parkte ihr Auto in der Auffahrt, lief zum Kastenwagen hinüber und schaute durch das offene Beifahrerfenster hinein.
Auf den Vordersitzen saßen zwei junge Agenten—Craig Huang und Bud Wigton. Rileys Laune besserte sich ein wenig. Sie hatte von beiden Agenten eine hohe Meinung, und mit Huang hatte sie in letzter Zeit des öfteren zusammengearbeitet. Als er neu ans BAU kam, war Huang zunächst für Rileys Geschmack ein bisschen zu draufgängerisch gewesen, doch in kürzester Zeit war er zu einem exzellenten Agenten herangewachsen. Wigton kannte sie nicht so gut, doch er hatte einen exzellenten Ruf.
„Irgendetwas los?” fragte sie Riley durch das offene Fenster.
„Absolut gar nichts”, sagte Huang.
Huang klang gelangweilt, doch Riley fühlte sich erleichtert. Was sie betraf, bedeutete keine Neuigkeiten definitiv gute Neuigkeiten. Doch war es zu schön, um wahr zu sein?
„Stört es Sie, wenn ich mich mal im Inneren umschaue?” fragte Riley.
„Seien Sie unser Gast”, sagte Huang.
Die Schiebetür des fensterlosen Kastenwagens öffnete sich, und Riley trat ein. Im Inneren des Vans traf sie auf Grace Lochner, eine weitere Agentin, die wie Riley wusste, am BAU ebenso einen ausgezeichneten Ruf genoß. Lochner saß vor einer Ansammlung von Bildschirmen. Mit einem Lächeln drehte sie sich zu Riley um.
„Was machst du hier so?” fragte Riley.
Lochner zeigte auf einige Bildschirme, die Luftbilder der näheren Umgebung anzeigten und schien dabei begierig, die ihr zu Verfügung stehende Technik vorzuführen. Sie sagte, „Das sind live Satellitenbilder, die innerhalb einer Meile jeden zeigen, der kommt oder geht. Niemand nähert sich uns, ohne dass wir es bemerken.”
Lochner fügte lachend hinzu, „Ich bin froh, dass du in einer ruhigen Gegend wohnst. So gibt es nicht so viel, auf das wir achten müssten.”
Sie zeigte auf einige weitere Bildschirme, die Straßenansichten zeigten.
Sie sagte, „Wir haben in der Nachbarschaft Kameras versteckt, um zu überwachen, was im Detail passiert. So können wir die Kennzeichen aller Fahrzeuge überprüfen, die sich uns nähern.”
Es knackte und aus der Gegensprechanlage ertönte eine Stimme.
„Habt ihr Besuch?”
Lochner antwortete, „Agentin Paige ist vorbeigekommen, um Hallo zu sagen.”
Die Stimme sagte, „Hallo, Agentin Paige. Hier spricht Agent Cole, aus dem Fahrzeug, das hinter Ihrem Haus stationiert ist. Die Agenten Cypher und Hahn sind auch bei mir.”
Riley lächelte. Das waren alles bekannte Namen von angesehenen Agenten.
Riley sagte, „Ich bin glücklich, Sie an Bord zu haben.”
„Machen wir doch gern,” sagte Agent Cole.
Riley war von der reibungslosen Kommunikation zwischen den beiden Fahrzeugen beeindruckt. Sie konnte den Kastenwagen hinter ihrem Haus auf einigen von Lochners Bildschirmen erkennen. Offensichtlich konnte keinem der beiden Teams etwas passieren, ohne dass die anderen es augenblicklich wüssten.
Auch mit dem vorhandenen Waffenarsenal an Bord des Wagens war Riley zufrieden. Das Team verfügte über genügend Waffengewalt, um notfalls eine kleine Armee abzuwehren.
Doch fragte sie sich immer noch—reichte es, um Shane Hatcher aufzuhalten? Sie verließ das Fahrzeug, lief auf ihr Haus zu und versicherte sich, dass es keinen Grund gäbe, sich zu sorgen. Sie konnte sich nicht vorstellen, dass selbst ein Shane Hatcher ein solch hohes Sicherheitsniveau bezwingen könnte. Dennoch, sie konnte nicht aufhören an die SMS zu denken, die sie vorhin erhalten hatte.
„Du kannst nicht behaupten, ich hätte dich nicht gewarnt.”
KAPITEL VIER
Als Riley ihr Haus betrat, erschien ihr die Leere, die dort herrschte, unheimlich.
„Ich bin zuhause”, rief sie.
Niemand antwortete.
Wo sind denn alle? Ihre Sorge schlug in Panik um.
War es möglich, dass Shane Hatcher sich an den Sicherheitsvorkehrungen vorbeigeschlichen hatte?
Riley fiel es schwer, nicht daran zu denken, was passiert sein könnte, wenn dem so wäre. Ihr Puls und ihr Atem beschleunigen sich als sie zum Familienzimmer eilte.
Alle drei Kinder—April, Liam, und Jilly—waren dort. April und Liam spielten Schach und Jilly ein Videospiel.
„Habt ihr mich gar nicht gehört?” fragte sie.
Alle drei schauten sie mit leerem Blick an. Offensichtlich hatten sie sich alle sehr auf ihre Tätigkeiten konzentriert.
Sie wollte gerade fragen, wo Gabriela war, als sie die Stimme ihrer Haushaltshilfe hinter sich hörte
„Sind Sie zuhause, Señora Riley? Ich war unten und dachte, ich hörte Sie nach hause kommen.”
Riley lächelte die kräftige Frau aus Guatemala an.
„Ja, ich bin gerade erst zur Tür reingekommen”, sagte sie, und das Atmen schien ihr schon leichter.
Mit einem begrüßenden Nicken und einem Lächeln drehte sich Gabriela auf dem Absatz um und lief in Richtung Küche.
April blickte von ihrem Spiel mit Liam auf.
„Ist alles okay, Mama? Du siehst irgendwie beunruhigt aus.”
„Mir geht es gut”, sagte Riley.
April widmete ihre Aufmerksamkeit wieder dem Spiel.
Riley staunte für einen Moment, wie erwachsen ihre fünfzehnjährige Tochter wirkte. April war schmal, groß und dunkelhaarig, und sie hatte Rileys nußbraune Augen. In den letzten Monaten hatte April mehr lebensbedrohliche Gefahren überstanden, als es andere Menschen in ihrem ganzen Leben mussten. Dennoch schien es ihr momentan sehr gut zu gehen.
Riley schaute zu Jilly hinüber, einem kleineren Mädchen mit olivfarbener Haut und großen dunklen Augen. Riley war dabei, sie zu adoptieren. In diesem Moment saß Jilly vor einem großen Bildschirm und jagte Bösewichte in die Luft. Riley runzelte ein wenig die Stirn. Sie mochte keine gewalttätigen Videospiele. Ihrem Verständnis nach stellen sie Gewalt, insbesondere Schießereien, sowohl zu attraktiv, als auch zu sauber dar. Sie glaubte, dass sie insbesondere auf Jungs einen schlechten Einfluss ausübten.
Dennoch vermutete Riley, dass diese Spiele im Vergleich zu Jillys persönlichen Erfahrungen eher harmlos waren. Immerhin hatte diese Dreizehnjährige sehr reale Schrecken überlebt. Als Riley Jilly fand, hatte sie aus lauter Verzweiflung versucht, ihren Körper zu verkaufen. Dank Riley hatte Jilly jetzt die Chance auf ein besseres Leben.
Liam schaute vom Schachbrett auf.
„Hey, Riley. ich habe mich gefragt …”
Er zögerte bevor er die Frage stellte.
Liam war der Neuzugang im Haus. Riley plante nicht, den großen schlaksigen Jungen mit den roten Haaren und blauen Augen zu adoptieren. Sie hatten ihn allerdings vor seinem betrunkenen Vater gerettet, der ihr verprügelt hatte. Er brauchte einen Platz zum Wohnen.
„Was ist los, Liam?” fragte Riley.
„Wäre es in Ordnung, wenn ich morgen zu einem Schachturnier ginge?”
„Darf ich auch gehen?” fragte April.
Riley musste erneut lächeln. Liam und April waren miteinander ausgegangen als Liam hier unten in das Familienzimmer gezogen waren, doch sie hatten ihr versprochen, die Beziehung bis auf weiteres auszusetzen. Sie sollten hermanos solamente sein, wie Gabriela es ausdrückte—Bruder und Schwester, sonst nichts.
Riley mochte Liam, auch wegen des positiven Einflusses, den dieser kluge Junge auf April hatte. Er hatte Aprils Interesse an Schach, Fremdsprachen und Schularbeiten im allgemeinen geweckt.
„Natürlich, ihr dürft beide gehen.” sagte sie.
Doch schon fühlte sie, wie die Sorge sie wieder einholte. Sie kramte ihr Handy hervor, fand einige Fotos von Shane Hatcher und zeigte sie allen drei Kindern.
„Doch ihr müsst mir versprechen, euch vor Shane Hatcher in Acht zunehmen”, sagte sie. “Ihr habt die Fotos auf euren eigenen Telefonen. Erinnert euch immer genau daran, wie er aussieht. Kontaktiert mich sofort, falls ihr jemanden seht, der ihm auch nur im Entferntesten ähnlich sieht.”
Liam und April schauten Riley überrascht an.
„Das hast du uns alles schon einmal gesagt”, sagte Jilly. „Und diese Bilder haben wir uns auch schon tausend Mal angesehen. Ist irgendetwas passiert?”
Riley zögerte einen Moment. Sie wollte den Kindern keine Angst machen. Doch sie dachte, es sei besser, sei zu warnen.
„Vor einer Weile bekam ich eine Nachricht von Hatcher”, sagte sie. „Es war …”
Sie zögerte erneut.
„Es war eine Drohung. Deswegen möchte ich, dass ihr besonders vorsichtig seid.”
Zu Rileys Überraschung grinste Jilly sie an.
„Bedeute das etwas, dass wir nach den Frühjahrsferien nicht in die Schule müssen?” fragte sie
Riley war verblüfft über Jillys Unbekümmertheit. Für einen kurzen Moment fragte sie sich, ob Jilly vielleicht recht hatte. Sollte sie die Kindern von der Schule fern halten? Und sollten Liam und April morgen nicht zu dem Schachturnier gehen?
Bevor sie zu einem Entschluss kommen konnte, sagte April: “Sei nicht dumm, Jilly. Natürlich werden wir weiterhin in die Schule gehen. Wir können doch nicht einfach aufhören, unser Leben weiterzuleben.”
Und während sie sich zu Riley umdrehte, fügte April hinzu, „Es ist keine wirkliche Bedrohung. Selbst ich weiß das. Erinnert ihr euch daran, was im Januar passiert ist?”
Riley erinnerte sich nur zu gut. Hatcher hatte April und Rileys Ex-Mann Ryan vor einem Mörder gerettet, der sich an Riley hatte rächen wollen. Sie erinnerte sich auch daran, wie Shane Hatcher ihr den Mörder gefesselt und geknebelt ausgeliefert hatte, so dass sie nach ihrem Belieben mit ihm verfahren konnte.
April fuhr fort, „Hatcher würde uns nichts tun. Er hat viel auf sich genommen, um mich zu retten.”
Vielleicht lag April gar nicht so falsch, dachte Riley. Zumindest was sie und die anderen beiden Kinder betraf. Dennoch war sie froh, dass die FBI Agenten vor dem Haus stationiert waren.
April zuckte mit den Schultern und sagte, „Das Leben geht weiter. Wir müssen alle dort weitermachen, wo wir aufgehört haben.”
Jilly sagte, „Das gilt auch für dich, Mama. Es ist gut, dass du früher nach hause gekommen bist. So hast du reichlich Zeit, dich für heute Abend fertig zu machen.”
Für eine Sekunde konnte sich Riley nicht erinnern, was Jilly meinte.
Dann kehrte die Erinnerung zurück—heute Abend hatte sie eine Verabredung mit ihrem attraktiven ehemaligen Nachbarn, Blaine Hildreth. Blaine gehörte eines der schönsten ungezwungenen Restaurants von Fredericksburg. Der Plan war, dass er vorbeikäme, Riley abholte und sie zu einem wunderbaren Abendessen einlud.
April sprang auf die Füße.
„Hey, das stimmt!” sagte sie. „Komm schon, Mama. Lass uns hoch gehen, dann helfe ich dir, etwas zum Anziehen auszusuchen.”
*
Später am Abend saß Riley auf der kerzenerleuchteten Veranda von Blaines Restaurant, genoß das wundervolle Wetter, exzellente Essen und die charmante Begleitung. Ihr gegenüber am Tisch sitzend machte Blaine wie immer eine gute Figur. Er war nur wenig jünger als Riley, schlank und fit, mit einem leicht rückläufigen Haaransatz über den er sich keine Gedanken zu machen schien
Riley fand zudem, dass man sich sehr gut mit ihm unterhalten konnte. Während die eine vorzügliche Hühnchen-Rosmarin Pasta zum Abendessen aßen, unterhielten sie sich über die neusten Vorkommnisse, Erinnerungen an längst vergangene Zeiten, Reisen und alles, was in Fredericksburg sonst noch so los war.
Riley war erfreut, dass das Thema nicht einmal auf ihre Arbeit am BAU kam. Sie war nicht in der Stimmung, auch nur daran zu denken. Blaine schien dies zu spüren, und das Thema zu vermeiden. Was Riley besonders an ihm mochte, war wie sensibel er auf ihre Stimmung einging.
Tatsächlich gab es wenig, das Riley an Blaine nicht gefiel. Es stimmte, vor einiger Zeit hatten sie eine kleine Auseinandersetzung gehabt. Blaine hatte versucht, Riley mit einer Freundin eifersüchtig zu machen, und es war ihm ein bisschen zu gut gelungen. Jetzt konnten sie beide darüber lachen, wie kindisch sie sich verhalten hatten.
Vielleicht lag es auch am Wein, doch Riley fühlte sich warm und entspannt. Blaine war angenehme Begleitung—frisch geschieden, wie Riley, und drauf bedacht, sein Leben weiterzuleben, auch wenn er nicht ganz wusste, wie.
Endlich kam der Nachtisch—Rileys Lieblingssüßspeise, Himbeer-Cheesecake. Sie musste lächeln, als sie sich daran erinnerte, wie April Blaine vor einer früheren Verabredung heimlich angerufen hatte, um ihn auf Dinge hinzuweisen, die sie mochte, wie Himbeer-Cheesecake und ihr Lieblingslied—„One More Night” von Phil Collins.
Während sie den Cheesecake genoß, sprach Riley von ihren Kindern, vor allem darüber, wie Liam sich eingewöhnte.
„Zuerst habe ich mir etwas Sorgen gemacht”, gab sie zu. “Doch er ist ein furchtbar guter Junge, und wir alle lieben es, wenn er zuhause ist.”
Riley hielt einen Moment inne. Es war ein angenehmer Luxus, mit jemandem über ihre häuslichen Zweifel und Sorgen reden zu können. „Blaine, ich weiß nicht, was ich auf Dauer mit Liam anfangen soll. Ich kann ihn einfach nicht zu diesem versoffenen Kerl von einem Vater zurückschicken und nur Gott weiß, was aus seiner Mutter geworden ist. Doch ich wüsste nicht, wie ich ihn offiziell adoptieren könnte. Jilly aufzunehmen war bisher sehr kompliziert, und es ist nicht nichts in trockenen Tüchern. Ich weiß nicht, ob ich das noch einmal durchstehe.”
Blaine lächelte sie voller Zuneigung an.
„Lass die Dinge auf dich zukommen, würde ich sagen,” schlug er vor. „Und was auch immer du tust, für ihn wird es das Beste sein.”
Riley schüttelte traurig ihren Kopf.
„Ich wünschte, ich wäre mir da so sicher”, sagte sie.
Blaine griff über den Tisch nach ihrer Hand.
„Also, ich gebe dir mein Wort”, sagte er. „Was du bisher für Liam und Jilly getan hast, war wunderbar und großzügig. Dafür bewundere ich dich sehr.”
Riley fühlte einen Klos in ihrer Kehle. Wie oft sagte ihr schon jemand so etwas? Sie war schon oft für ihre Arbeit am BAU gelobt worden und hatte kürzlich eine Auszeichnung für ihre Ausdauer gewonnen. Doch war sie es nicht gewohnt, für ihre Menschlichkeit gelobt zu werden. Sie wusste kaum, wie sie damit umgehen sollte.