Kitabı oku: «Verloren », sayfa 4

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KAPITEL SIEBEN

Als Rileys Handy klingelte, hallte Blaines letzter Schuss noch in ihren Ohren. Widerwillig griff sie nach ihrem Handy. Sie hatte gehofft, einen Morgen nur für Blaine und sich zu haben. Als sie auf das Telefon schaute, wusste sie, dass sie enttäuscht werden würde. Der Anruf kam von Brent Meredith.

Es hatte sie überrascht, wie viel Spaß es ihr gemacht hatte, Blaine das Schießen mit seiner neuen Pistole beizubringen. Was auch immer Meredith von ihr wollte, Riley war sich sicher, dass es den besten Tag, den sie seit Langem gehabt hatte, unterbrechen würde.

Doch sie hatte keine Wahl, sie musste den Anruf annehmen.

Wie immer war Meredith kurz angebunden und kam sofort zur Sache.

„Es gibt einen neuen Fall. Wir brauchen Sie. Wie schnell können Sie in Quantico sein?”

Riley unterdrückte ein Seufzen. Jetzt da Bill beurlaubt war, hatte Riley gehofft, dass auch sie einige Zeit frei hätte, bis dass der Schmerz über Lucys Tod ein wenig abgeklungen wäre.

Kein Glück, dachte sie.

Ohne Zweifel würde sie bald die Stadt verlassen. Hatte sie genug Zeit, nach hause zu rennen, alle noch einmal zu sehen und sich umzuziehen?

„Wie wäre es mit in einer Stunde?” fragte Riley.

„Sein Sie schneller. Kommen Sie in mein Büro. Und bringen Sie Ihre Notausrüstung mit.”

Meredith beendete den Anruf, ohne auf Antwort zu warten.

Blaine stand dort und wartete auf Sie. Er zog seine Augen- und Ohrenschutzkleidung ab und fragte, „Hat es mit der Arbeit zu tun?”

Riley seufzte laut.

„Ja, ich muss sofort nach Quantico.”

Blaine nickte ohne sich zu beschweren und entlud die Pistole.

„Ich fahr dich hin”, sagte er.

„Nein, ich brauche meine Notausrüstung. Die ist zuhause in meinem Auto. Ich fürchte, du musst mich bei mir zuhause absetzen. Leider haben wir es eilig.”

„Kein Problem”, sagte Blaine, und verstaute seine neue Waffe vorsichtig im Koffer.

Riley küsste ihn auf die Wange.

„Es klingt danach, als müsse ich die Stadt verlassen”, sagte sie. „Das gefällt mir gar nicht. Ich hatte so eine wundervolle Zeit.”

Blaine lächelte und küsste sie zurück.

„Ich hatte auch eine wundervolle Zeit mit dir”, sagte er. „Mach dir keine Sorgen. Wenn du wiederkommst, machen wir da weiter, wo wir aufgehört haben.”

Als sie den Schießplatz verließen und durch den Waffenladen nach draußen gingen, verabschiedete sich der Besitzer herzlich von ihnen.

*

Nachdem Blaine sie vor ihrem Haus abgesetzt hatte, eilte Riley hinein, um allen mitzuteilen, dass sie für eine Weile weg müsste. Sie hatte nicht einmal Zeit, sich umzuziehen, doch zumindest hatte sie am Morgen bei Blaine zuhause geduscht. Sie war erleichtert, dass ihre Familie die plötzliche Planänderung gelassen zu sehen schien.

Sie gewöhnen sich daran, ohne mich klarzukommen, dachte sie. Sie war nicht sicher, ob ihr dieses Szenario gefiel, sich wusste sie, dass es in Anbetracht ihrer Lebensumstände notwendig war.

Riley überprüfte, ob alles, was sie brauchen würde, in ihrem Auto war und machte sich dann auf den kurzen Weg nach Quantico. Als sie das BAU Gebäude erreichte, lief sie schnurstracks zu Brent Merediths Büro. Zu ihrer Bestürzung begegnete sie Jenn Roston, die in derselben Richtung den Flur entlang ging. Rileys und Jenns Augen trafen sich für einen kurzen Moment, dann eilten beide ohne ein Wort zu sagen weiter. Riley fragte sich, on Jenn sich genauso unwohl fühlte wie sie es that. Erst gestern hatten sie ein unangenehmes Zusammentreffen gehabt und Riley war sich nach wie vor unsicher, ob sie nicht einen furchtbaren Fehler begangen hatte, als sie Jenn den USB Stick gegeben hatte.

Doch Jenn machte sich darüber wahrscheinlich keine Gedanken, schloss Riley.

Schließlich hatte Jenn gestern die Oberhand behalten. Sie hatte die Situation geschickt für ihre eigenen Zwecke genutzt. Hatte Riley je zuvor jemanden gekannt, der es verstanden hatte, sie so zu manipulieren?

Schnell wurde ihr klar—natürlich gab es da jemanden.

Diese Person war Shane Hatcher.

Ohne anzuhalten und den Blick weiterhin zielstrebig nach vorne gerichtet, sprach die jüngere Agentin leise. „Es ist nichts dabei herausgekommen.”

„Was?” fragte Riley, ohne ihren eigenen Schritt zu verlangsamen.

„Die Finanzauskünfte auf dem USB Stick. Hatcher hatte Beträge auf diesen Konten gelagert. Doch das Geld wurde abgehoben und die Konten wurden geschlossen.”

Riley widerstand den Impuls, „Ich weiß” zu sagen.

Immerhin hatte ihr Hatcher das gestern schon in seiner Drohnachricht mitgeteilt. Für einen Moment wusste Riley nicht, was sie sagen sollte. Sie lief weiter, ohne zu antworten.

Dachte Jenn, dass Riley sie hintergangen hätte, indem sie ihr eine falsche Datei hatte zukommen lassen?

Endlich sagte Riley: „Die Datei ist alles, was ich habe. Ich halte nichts vor dir zurück.”

Jenn antwortete nicht. Riley wünschte, sie hätte eine Ahnung, ob sie ihr glaubte.

Sie fragte sich auch—hätte sie diese Information früher zur Nutzung freigegeben, säße Hatcher heute hinter Gittern? Wäre er gar tot?

Als sie die Tür zu Merediths Büro erreichten, hielt Riley an, und Jenn tat es ihr gleich. Riley fühlte sich leicht alarmiert.

Jenn wollte offensichtlich auch zu Meredith.

Warum war die neue Agentin bei diesem Meeting dabei? Hatte sie Meredith darüber informiert, dass Riley Informationen zurückgehalten hatte?

Doch Jenn stand bloß da und schaute sie immer noch nicht an.

Riley klopfte an Merediths Tür und sie und Jenn traten ein.

Direktor Meredith saß hinter seinem Schreibtisch und sah, wie immer, einschüchternd aus.

„Setzen Sie sich, beide”, sagte er.

Riley und Jenn setzen sich gehorsam auf die Stühle vor seinem Schreibtisch.

Meredith war einen Moment lang still.

Dann sagte er: „Agentin Paige, Agentin Roston—Ich möchte Ihnen jeweils Ihre neue Partnerin vorstellen.”

Riley unterdrückte ein Schlucken. Sie blickte zu Jenn Roston, deren dunkelbraune Augen sich bei der Neuigkeit geleitet hatten.

„Das sollte besser kein Problem sein”, sagte Meredith. „Bei der BAU sind wir gerade mit Fällen überlastet. Jetzt, da Agent Jeffrey beurlaubt ist und alle anderen im Einsatz sind, bekommen sie einander. Betrachten Sie es als abgemacht.”

Riley stellte fest, dass Meredith recht hatte. Der einzige andere Agent mit dem sie gerade wirklich arbeiten wollen würde, war Craig Huang, doch der war damit beschäftigt, ihr Haus zu überwachen.

„Das geht in Ordnung, Herr Direktor”, sagte Riley zu Meredith.

„Es wäre mir eine Ehre mit Agentin Paige zusammenzuarbeiten, Herr Direktor.” sagte Jenn.

Diese Worte überraschten Riley ein wenig. Sie fragte sich, ob Jenn sie wirklich ernst meinte.

„Freuen Sie sich nicht zu sehr”, sagte er. „Dieser Fall wird vermutlich nicht viel ergeben. Gerade erst heute Morgen wurde die vergrabene Leiche eines Mädchens im Teenage-Alter auf einem Stück Farmland in der Nähe von Angier, einer kleinen Stadt in Iowa, gefunden.”

„Ein einzelner Mord?” fragte Jenn.

„Warum soll sich die BAU mit dem Fall befassen?” fragte Riley.

Meredith trommelte mit seinen Fingern auf den Schreibtisch.

„Meine Vermutung ist, dass es uns nicht wirklich betrifft”, sagte er. „Doch ein weiteres Mädchen ist zu einem früheren Zeitpunkt aus der selben Stadt verschwunden, und man hat sie immer noch nicht gefunden. Es handelt sich um eine überschaubare und ruhige Gegend, und solche Dinge passieren dort einfach nicht. Die Leute sagen, dass beide Mädchen nicht der Typ gewesen wären, der einfach abhaut oder mit Fremden mitgeht.”

Riley schüttelte zweifelnd ihren Kopf.

„Also, was gibt es denn konkret, das einen glauben machen könnte, es handle sich um eine Mordserie?“ fragte sie. „Ist das ohne eine weitere Leiche nicht ein bisschen voreilig?”

Meredith zuckte mit den Achseln.

„Ja, so sehe ich das auch. Doch der Polizeidirektor in Angier, Joseph Sinard, ist darüber in Panik geraten.”

Rileys kräuselte sich beim Klang des Namens.

„Sinard”, sagte sie. „Wo habe ich den Namen bloß schon einmal gehört?”

Meredith lächelte leicht und sagte, „Vielleicht denken Sie an den stellvertretenden Geschäftsführer des FBI, Forrest Sinard. Joe Sinard ist sein Bruder.”

Riley hätte beinahe mit den Augen gerollt. Nun ergab alles Sinn. Eine Person, die in der FBI Nahrungskette weit oben stand, wurde von einem Verwandten vom Land gepeinigt, so dass der Fall dem BAU aufgebürdet worden war. Sie hatte sich früher schon mit politisch motivierten Untersuchungen, wie dieser, befassen müssen.

Meredith sagte: „Ihr zwei müsst dort hinfahren und nachschauen, ob es überhaupt einen Fall gibt, in dem es sich zu ermitteln lohnt.”

„Was ist mit meiner Arbeit an dem Hatcher Fall?”, fragte Jenn Roston.

Meredith sagte, „Daran arbeiten eine Menge Menschen—Techniker und and Faktenermittler und so weiter. Ich nehme an, dass sie Zugang zu allen Ihren Informationen haben.”

Jenn nickte.

Meredith sagte: „Für ein paar Tage können die ruhig auf Sie verzichten. Sollte das hier überhaupt solange dauern.”

Riley hatte ausgesprochen gemischte Gefühle. Abgesehen davon, dass sie nicht sicher war, ob sie mit Jenn Roston arbeiten wollte, war sie nicht darauf erpicht, ihre Zeit mit einem Fall zu verschwende, der vermutlich die Hilfe des BAUs gar nicht benötigte.

Viel lieber hülfe sie Blaine dabei, zu lernen, wie man schießt.

Es gäbe auch noch andere Dinge, die ich mit Blaine anstellen könnte, dachte sie und unterdrückte ein Lächeln.

„Also, wann geht es los?” fragte Jenn.

„So früh wie möglich”, sagte Meredith. „Ich habe Direktir Sinard gebeten, die Leiche bis zu Ihrer Ankunft nicht zu bewegen. Sie fliegen nach Des Moines, wo Kommissar Sinards Leute euch abholen und nach Angier fahren werden. Von Des Moines ist es etwa eine Stunde entfernt. Wir müssen das Flugzeug auftanken und startbereit machen. Entfernen Sie sich in der Zwischenzeit nicht zu weit von hier. Der Start soll in weniger als zwei Stunden sein.”

Riley und Jenn verließen left Merediths Büro. Riley lief geradewegs zu ihrem Büro, setzte sich für einen Moment hin und schaute ziellos umher.

Des Moines, dachte sie.

Sie war nur ein paar Mal dort gewesen, doch ihre ältere Schwester Wendy lebte dort. Riley und Wendy hatten sich über die jähre voneinander entfremdet und im letzten Herbst anlässlich des Todes ihres Vaters Kontakt aufgenommen. Wendy, nicht Riley, war bei Vati gewesen als er starb.

An Wendy zu denken, erweckte in ihr Schuldgefühle sowie andere verstörende Erinnerungen. Vati war mit Rileys Schwester sehr streng gewesen, und Wendy war mit fünfzehn von zuhause weggelaufen. Riley war erst fünf gewesen. Nachdem ihr Vater gestorben war, hatten sie sich geschworen, den Kontakt zu halten, doch bislang hatten sie nur einmal per Videochat miteinander gesprochen.

Riley wusste, dass sie Wendy besuchen sollte, wenn sie die Chance schon einmal hatte. Natürlich nicht sofort. Meredith hatte gesagt, dass Angier eine Stunde von Des Moines entfernt lag, und dass die örtliche Polizei sie am Flughafen abholen würde.

Vielleicht kann ich Wendy sehen, bevor ich zurück nach Quantico fahre, dachte sie.

Jetzt gerade hatte sie ein wenig Zeit zu überbrücken, bevor das BAU Flugzeug abhob.

Und es gab jemanden, den sie sehen wollte.

Sie machte sich Sorgen um ihren langjährigen Partner, Bill Jeffreys. Er wohnte in der Nähe der Basis, doch hatte sie ihn seit mehreren Tagen nicht gesehen. Bill litt an PTBS und Riley wusste aus eigener Erfahrung wie schwer es war, sich davon zu erholen.

Sie nahm ihr Handy und tippte eine Nachricht.

Dachte, ich könnte für ein paar Minuten vorbeischauen. Biste zuhause?

Sie wartete einige Augenblicke. Die Nachricht war als „angekommen”, doch nicht gelesen gekennzeichnet.

Riley seufzte ein wenig. Sie hatte keine Zeit darauf zu warten, dass Bill seine Nachrichten abrief. Wenn sie ihn vor ihrer Abfahrt noch sehen wollte, musste sie jetzt vorbeischauen und hoffen, dass er zuhause war.

*

Vom BAU Gebäude bis zu Bills kleiner Wohnung in Quantico Stadt waren es nur wenige Minuten Fahrt. Als sie ihr Auto parkte und auf das Gebäude zu ging, fiel ihr einmal mehr auf, was für ein deprimierender Ort es war.

Für ein Mehrfamilienhaus gab es eigentlich nichts wirklich daran auszusetzen––es war ein normales rotes Backsteingebäude, kein Mietshaus oder irgendetwas vergleichbares.

Doch Riley konnte nicht anders, als sich an das schöne Haus in einem Vorort zu erinnern, in dem Bill bis zu seiner Scheidung gelebt hatte. Im Vergleich dazu besaß dieser Ort keinen Charme, und Bill lebte jetzt allein.

Riley betrat das Gebäude und lief auf direktem Weg zu Bills Wohnung im zweiten Stock. Sie klopfte an die Tür und wartete.

Alles blieb still. Sie klopfte erneut und bekam immer noch keine Antwort. Sie kramte ihr Handy hervor und sah, dass die Nachricht immer noch nicht gelesen wurde.

Sie fühlte, wie sie die Sorge überkam. War Bill etwas passiert?

Sie griff nach dem Türknopf und drehte ihn. Beunruhigt bemerkte sie, dass die Tür nicht verschlossen war und sich öffnete.

KAPITEL ACHT

Bills Wohnung sah aus, als wäre sie geplündert worden. Riley blieb für einen Moment wie erstarrt in der Tür stehen, bereit, ihre Pistole zu ziehen, sollte immer noch ein Eindringling in der Wohnung sein. Dann entspannte sie sich. Die Dinge, die überall verstreut lagen, waren Lebensmittelverpackungen, dreckige Teller und Gläser. Es herrschte Chaos, doch es war ein selbst verursachtes Chaos. Sie rief Bills Namen.

Sie konnte keine Antwort hören.

Sie rief erneut.

Dieses Mal glaubte sie, aus einem nahegelegenen Raum ein Stöhnen zu hören.

Als sie durch die Tür in Bills Schlafzimmer eilte, spürte sie ihr Herz erneut pochen. Der Raum war dämmrig, und die Jalousien waren geschlossen. Bill lag in zerknitterter Kleidung auf dem nicht gemachten Bett und starrte an die Decke.

„Bill, warum hast du nicht abgehoben, als ich anrief?”, fragte sie leicht irritiert.

„Habe ich doch”, sagte er beinahe flüsternd. „Du hast mich nicht gehört. Könntest du aufhören, so laut zu sein?”

Riley bemerkte, dass auf dem Nachtisch eine fast leere Flasche Bourbon stand. Auf einmal wurde ihr alles klar. Sie setze sich neben ihn auf das Bett.

„Ich hatte eine ziemlich harte Nacht”, sagte Bill und versuchte, sich zu einem schwachen Lachen zu zwingen. „Du weißt, wie das ist.”

„Ja, das tue ich”, sagte Riley.

Verzweiflung hatte schließlich auch sie zu ihren Exzessen, samt anschließendem Kater, getrieben.

Sie berührte seine feuchte Stirn, und versuchte sich vorzustellen, wie krank er sich fühlte.

„Was hat dich bewegt, zu trinken?” fragte sie.

Bill ächzte.

„Es waren meine Jungs”, sagte er.

Dann wurde er still. Riley hatte Bills Söhne schon seit einer Weile nicht gesehen. Sie vermutete, dass sie inzwischen neun und elf Jahre alt sein müssten.

„Was ist mit ihnen?”, fragte Riley.

„Sie kamen gestern zu Besuch. Es lief nicht gut. Die Wohnung war ein einziges Durcheinander, und ich war so reizbar und angespannt. Sie konnten es kaum erwarten, wieder nach hause zu fahren. Riley, es war furchtbar. Ich war furchtbar. Noch ein Besuch, wie dieser, und Maggie wird mich die beiden nicht mehr sehen lassen. Sie sucht doch nur nach irgendeinem Grund, sie mir endgültig wegzunehmen.”

Bill machte ein Geräusch, das fast wie ein Schluchzen klang. Zum Weinen schien ihm jedoch die Energie zu fehlen. Riley vermutete, dass er viel alleine geweint hatte.

Bill sagte: „Riley, wenn ich als Vater nichts mehr tauge, welchen Wert habe ich dann noch? Als Agent tauge ich auch nichts mehr. Was bleibt da noch?”

Riley fühlte eine stechende Traurigkeit in ihrer Kehle.

„Bill, sag so etwas nicht”, sagte sie. „Du bist ein guter Vater. Und du bist ein großartiger Agent. Vielleicht nicht heute, aber an jedem anderen Tag im Jahr.”

Bill schüttelte müde den Kopf.

„Gestern habe ich mich sicher nicht wie ein Vater gefühlt. Und ich höre einfach immer wieder diesen Schuss. Ich erinnere mich, wie ich in das Gebäude gerannt bin, und Lucy dort blutend habe liegen sehen.”

Riley fühlte, wie ihr eigene Körper zu zittern anfing.

Auch sie erinnerte sich nur zu gut.

Sich keiner Gefahr bewusst, hatte Lucy ein verlassenes Gebäude betreten, nur um von der Kugel eines Scharfschützen getroffen zu werden. Bill, der ihr direkt gefolgt war, hatte aus Versehen einen jungen Mann erschossen, der versucht hatte, ihr zu helfen. Als Riley eintraf, hatte Lucy den Scharfschützen gerade mit letzter Kraft in einem Schusswechsel getötet.

Kurz darauf war Lucy gestorben.

Es war ein furchtbarer Anblick gewesen.

Riley konnte sich kaum an schlimmere Situationen in ihrer Karriere erinnern.

„Ich bin sogar noch später als du gekommen”, sagte sie.

„Ja, aber du hast auf keinen unschuldigen jungen Menschen geschossen.”

„Es war nicht dein Fehler. Es war dunkel. Du konntest es nicht wissen. Außerdem geht es dem jungen Mann heute gut.”

Bill schüttelte den Kopf. Er hob eine zitternde Hand.

„Schau mich an. Sehe ich aus, wie jemand, der jemals wieder arbeiten gehen kann?”

Riley war nun fast verärgert. Er sah wirklich furchtbar aus—ganz sicher nicht, wie der scharfsinnige, mutige Partner, dem sie ihr Leben anzuvertrauen gelernt hatte, und auch nicht, wie der gut aussehende Mann, zu dem sie sich, ganz unbedacht, von Zeit zu Zeit hingezogen gefühlt hatte.

Und all das Selbstmitleid stand ihm nicht.

Doch, erinnerte sie sich streng …

Ich habe das auch durchgemacht. Ich weiß doch, wie es ist.

Und als es ihr so ging, war Bill immer für sie da gewesen und hatte ihr geholfen, damit fertig zu werden. Manchmal hatte er hart zu ihr sein müssen.

Sie schloß, dass er jetzt ebenfalls etwas von dieser Härte brauchte.

„Du siehts echt scheiße aus”, sagte sie. „Doch der Zustand, indem du dich gerade befindest—also, das hast du dir angetan. Und du bist der Einzige, der es auch wieder richten kann.”

Bill schaute hoch und blickte sie an. Sie spürte, dass sie jetzt seine volle Aufmerksamkeit hatte.

„Setz dich auf”, sagte sie. „Reiß dich zusammen.”

Bill zog sich knirschend hoch und setzte sich auf die Bettkante neben Riley.

„Hat die Behörde dir einen Therapeuten vermittelt?”, fragte sie.

Bill nickte.

„Wer ist es?”, fragte Riley.

„Ist doch egal”, sagte Bill.

„Es ist todsicher nicht egal”, sagte Riley. „Wer ist es also?”

Bill antwortet nicht. Doch Riley konnte es auch erraten. Bills Psychiater war Leonard Ralston, der Öffentlichkeit bekannt als „Dr. Leo.” Sie fühlte Ärger in sich aufsteigen. Doch auf Bill war sie jetzt nicht mehr sauer.

„Oh, mein Gott”, sagte sie. „Sie haben dich mit Dr. Leo abgefertigt. Wessen Idee war das denn? Walders, darauf würde ich wetten.”

„Wie ich schon sagte, es spielt keine Rolle.”

Riley wollte ihn schütteln.

„Er ist ein Quacksalber”, sagte sie. „Das weißt du so gut, wie ich. Er glaubt an Hypnose, wiederhergestellte Erinnerung, an all diesen widerlegten Mist. Erinnerst du dich nicht mehr, als er letztes Jahr einen unschuldigen Mann davon überzeugt hat, dass er sich eines Mordes schuldig gemacht habe? Walder gefällt Dr. Leo, weil er Bücher geschrieben hat und schon oft im fernsehen zu sehen war.”

„Ich lasse nicht zu, dass er mich durcheinander bringt”, sagte Bill. „Ich lasse mich auch nicht von ihm hypnotisieren.”

Riley versuchte ihre Stimme unter Kontrolle zu behalten.

„Darum geht es nicht. Du brauchst jemanden, der dir helfen kann”

„Und wer sollte das sein?” fragte Bill.

Riley musste nicht lange nachdenken.

„Ich mach dir einen Kaffee”, sagte sie. „Wenn ich zurückkomme, erwarte ich, dass du wieder aufrecht stehst und bereit bist, das Haus zu verlassen.”

Auf dem Weg in Bills Küche schaute Riley auf die Uhr. Ihr blieb nur wenig Zeit, bevor das Flugzeug startbereit sein würde. Sie musste schnell handeln.

Sie nahm ihr Handy und tippte die private Nummer von Mike Nevins, einem forensischen Psychiater aus Washington, der von Zeit zur Zeit für das Büro arbeitete, ein.

Riley sah in ihm einen engen Freund, und er hatte ihr in der Vergangenheit mehrfach geholfen, persönliche Krisen durchzustehen, darunter auch ein schrecklicher Fall von PTBS.

Als Mikes Telefon klingelte, stellte sie ihr Handy auf Lautsprecher, ließ es auf der Küchenplatte liegen und began Bills Kaffeemaschine zu präparieren. Sie war erleichtert, als Mike abnahm.

„Riley! Wie schön, von dir zu hören! Wie sieht es aus? Wie geht es deiner wachsenden Familie?”

Der Klang von Mikes Stimme war erfrischend, und fast konnte sie den stets übereifrigen, gut angezogenen Mann mit seinem angenehmen Ausdruck vor sich sehen.

Sie wünschte, sie könnte sich mit ihm unterhalten und sich über Neuigkeiten austauschen, doch dafür fehlte die Zeit.

„Mir geht es gut, Mike. Doch gerade bin ich ziemlich in Eile. Ich muss in Kürze einen Flug antreten. Vorher wollte ich dich um einen Gefallen bitten.”

„Schieß los”, sagte Mike.

„Mein Partner, Bill Jeffreys, macht nach unserem letzten Fall gerade eine schwere Zeit durch.”

Sie konnte ernstgemeinte Sorge in seiner Stimme hören.

„Oh je, davon habe ich gehört. Fruchtbare Sache, der Tod deines jungen Schützlings. Stimmt es, dass dein Partner beurlaubt wurde? Wegen Schüssen auf einen Unbeteiligten?”

„Das stimmt. Er braucht deine Hilfe. Und er braucht sie sofort. Er trinkt, Mike. Ich hab ihn noch nie in so schlechter Verfassung gesehen.”

Es war kurz still.

„Ich bin mir nicht sicher, ob ich verstehe”, sagte Mike. „Wurde er keinem Therapeuten zugeteilt?”

„Ja, aber der tut Bill nicht gut.”

Jetzt hörte sie einen Anflug von Vorsicht in Mikes Stimme.

„Ich weiß nicht, Riley. Ich fühle mich allgemein nicht wohl damit, Patienten anzunehmen, die schon von jemand anderem betreut werden.”

Riley fühlte, wie sie Sorge überkam. Sie hatte keine Zeit, sich jetzt um Mikes ethische Bedenken zu kümmern.

„Mike, er wurde Dr. Leo zugeteilt.”

Es herrschte erneut Stille.

Ich wette, das hat gewirkt, dachte Riley. Sie wusste nur zu gut, dass Mike den prominenten Therapeuten von ganzem Herzen verachtete.

Endlich sagte Mike: „Wann kann Bill vorbeikommen?”

„Was machst du jetzt?”

„Ich bin im Büro. ich werde für ein paar Stunden beschäftigt sein, doch danach habe ich Zeit.”

„Großartig. Er wird es bis dahin zu dir schaffen. Doch bitte, lass es mich wissen, falls er nicht auftauchen sollte.”

„Das werde ich mache.”

Als sie den Anruf beendeten, war der Kaffee durchgelaufen. Riley schüttete Kaffee in eine Tasse und ging zurück zu Bills Schlafzimmer. Er war nicht da. Doch die Tür zum anschließenden Bad war geschlossen, und Riley konnte Bills elektrischen Rasierer auf der anderen Seite hören.

Riley klopfte an die Tür.

„Ja, ich bin wieder etwas ansehnlicher”, sagte Bill.

Riley öffnete die Tür und sah, wie Bill sich rasierte. Sie stellte den Kaffee auf der Kante des Waschbeckens ab.

„Ich habe dir einen Termin bei Mike Nevins gemacht”, sagte sie.

„Für wann?”

„Jetzt sofort. Sobald du hier wegkommst und dort hinfährst. Ich schicke dir die Adresse seiner Praxis per SMS.”

Bill schaute überrascht. Das war verständlich, denn Riley hatte ihm nichts davon erzählt, dass sie in Eile war.

„Ich muss für einen Fall nach Iowa”, erklärte Riley. „Das Flugzeug wartet. Bill, schwänz den Termin bei Mike Nevins nicht. Ich werde es herausfinden, und du wirst es bereuen.”

Bill grummelte, doch sagte dann: „Okay, ich werde hingehen.”

Riley drehte sich um und ging. Dann fiel ihr noch etwas ein, wobei sie nicht ganz sicher war, ob sie es ansprechen sollte.

Schließlich sagte sie: „Bill, Shane Hatcher ist immer noch auf freiem Fuß. Vor meinem Haus sind Agenten stationiert. Doch ich habe eine Droh-SMS von ihm bekommen, und davon weiß keiner, außer du. Ich glaube nicht, dass er meine Familie angreifen würde, aber sicher kann ich nicht sein. Ich frage mich, ob du vielleicht…”

Bill nickte.

„Ich behalte die Situation im Auge”, sagte er. „Ich brauche eine sinnvolles Beschäftigung.”

Riley gab ihm eine schnelle Umarmung und verließ die Wohnung.

Als sie zum Auto lief, schaute sie erneut auf die Uhr.

Falls sie nicht in einen Stau käme, sollte sie es eigentlich rechtzeitig zur Start- und Landebahn schaffen.

Jetzt musste sie sich erst einmal auf ihren neuen Fall konzentrieren, doch darüber machte sie sich nicht wirklich Sorgen. Wahrscheinlich würde dieser Einsatz nicht lange dauern.

Was sollte ein einzelner Mord in einer Kleinstadt schon an Zeit und Einsatz erfordern?

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