Kitabı oku: «Verloren », sayfa 5
KAPITEL NEUN
Noch während sie über die Rollbahn zum Flugzeug ging, bereitete sich Riley innerlich auf ihren neuen Fall vor. Doch es gab eine Sache, die sie tun musste, bevor sie zu sehr davon eingenommen wurde.
Sie sendete eine SMS an Mike Nevins.
Schreib mir, wenn Bill vorbeikommt. Schreib mir auch, falls er nicht kommen sollte.
Sie stieß einen erleichterten Seufzer aus, als Mike sofort antwortete.
Werde ich machen.
Riley sagte sich, dass sie alles getan hatte, was sie momentan für Bill tun konnte, und dass es nun an ihm war, ihrer Hilfe zu nutzen.
Wenn irgendjemand Bill helfen konnte, mit den Dingen, die ihn quälten, fertig zu werden, dann war es Mike, da war sich Riley sicher. Sie kletterte die Stufen hinauf in die Kabine, wo Jenn Roston schon in ihrem Sitz saß und auf ihrem Laptop arbeitete. Als Riley sich ihr am Tisch gegenüber setzte, schaute Jenn auf und nickte ihr zu.
Riley nickte zurück.
Während des Starts, und als das Flugzeug die Flughöhe erklomm, schaute Riley aus dem Fenster.
Ihr missfiel die eisige Stille zwischen Jenn und ihr. Sie fragte sich, ob es Jenn vielleicht genauso ging. Diese Flüge waren normaler Weise eine gute Gelegenheit, die Details eines Falls zu besprechen. Aber bislang gab es zu diesem Fall einfach noch nichts zu sagen. Immerhin war die Leiche erst heute morgen gefunden worden. Riley nahm eine Zeitschrift aus ihrer Tasche und versuchte zu lesen, doch sie konnte sich nicht auf die Worte konzentrieren. Dass ihr Jenn einfach so gegenüber saß, lenkte sie zu sehr ab. Stattdessen saß Riley einfach nur da und gab vor, zu lesen.
So sieht mein Leben aktuell aus, dachte sie.
Es wurde allzu alltäglich, anderen etwas vorzuspielen und zu lügen.
Endlich schaute Jenn von ihrem Computer auf.
„Agentin Paige, ich habe das, was ich in der Besprechung mit Meredith sagte, ernst gemeint.”, sagte sie.
„Wie Bitte?” fragte Riley und schaute von ihrer Zeitschrift hoch.
„Dass es mir eine Ehre sei, mit Ihnen zu arbeiten. Das war immer ein Traum. Seitdem ich auf der Polizeischule war, verfolge ich ihre Arbeit.”
Für einen Moment wusste Riley nicht, was sie sagen sollte. Jenn hatte ihr beinahe die selben Worte schon einmal gesagt. Doch schon wieder konnte Riley in Jenns Gesicht nicht lesen, ob sie es ernst meinte.
„Ich habe Großartiges über Dich gehört”, sagte Riley.
So unverbindlich es auch klang, zumindest war es wahr. Unter anderen Umständen wäre Riley von der Möglichkeit begeistert gewesen, mit einer klugen neuen Agentin zu arbeiten.
Riley fügte mit einem schwachen hen Lächeln hinzu: „Doch, wenn ich Du wäre, würde ich meine Erwartungen nicht zu hoch schrauben—nicht für diesen Fall.”
„Stimmt”, sagte Jenn. „Vermutlich ist es nicht einmal ein Fall für die BAU. Wahrscheinlich fliegen wir heute Nacht zurück nach Quantico. Naja, es wird andere geben.”
Jenn richtete ihre Aufmerksamkeit wieder auf ihren Computer. Riley fragte sich, ob sie an den Shane Hatcher Dokumenten arbeitete. Und natürlich machte sie sich erneut Sorgen, dass sie Jenn den USB Stick besser nicht hätte geben sollen. Doch während sie dort saß und darüber nachdachte, wurde ihr eines klar. Wenn Jenn sie wirklich hätte reinlegen wollen, als sie um die Information bat, hätte sie sie dann nicht längst gegen sie benutzt?
Sie erinnerte sich an das, was Jenn gestern zu ihr gesagt hatte.
„Ich bin mir ziemlich sicher, dass wir genau das Gleiche wollen—Shane Hatchers kriminelle Machenschaften ein für alle Mal zu beenden”
Wenn das stimmte, war Jenn tatsächlich Rileys Verbündete.
Doch wie konnte Riley sich sicher sein? Sie saß da und wog ab, ob sie das Thema direkt ansprechen sollte.
Sie hatte Jenn von Hatchers Drohungen nichts erzählt.
Gab es wirklich einen Grund, es nicht zu tun?
Konnte Jenn ihr nicht eigentlich irgendwie helfen? Vielleicht, doch Riley war immer noch nicht breit, diesen Schritt zu gehen.
Dabei erschien es ihr inzwischen geradezu komisch, dass ihre neue Partnerin sie immer noch Agentin Paige nannte, während sie drauf bestand, dass Riley sie duzte.
„Jenn”, sagte sie.
Jenn schaute von ihrem Computer auf.
„Ich denke, Du solltest mich Riley nennen”, sagte Riley.
Jenn deutet ein Lächeln an und richtete ihre Aufmerksamkeit erneut auf ihren Computer.
Riley legte die Zeitschrift zur Seite und starrte aus dem Fenster auf die Wolken unter ihnen. Die Sonne schien strahlend, doch Riley fand daran nichts Fröhliches. Sie fühlte sich furchtbar einsam. Sie vermisste es, Bill dabei zu haben, dem sie vertrauen, und dem sie sich anvertrauen konnte.
Und sie vermisste Lucy so sehr, dass es weh tat.
*
Als das Flugzeug in den Des Moines International Flughafen einrollte, war es Riley möglich, auf ihr Handy zu schauen. Sie war erfreut, dass sie eine Nachricht von Mike Nevins hatte.
Bill ist gerade bei mir.
Eine Sache weniger, über die sich sorgen musste.
Ein Polizeiauto wartete draußen vor dem Flugzeug. Am Ende der Passagiertreppe standen zwei Polizisten aus Angier und stellten sich ihnen vor. Darryl Laird war ein schlaksiger junger Mann in seinen Zwanzigern, und Howard Doty ein kleinerer um die Vierzig. Beide schauten erschrocken.
„Was sind wir froh, dass sie da sind”, sagte Doty zu Riley und Jenn, während die beiden Polizisten sie zum Auto begleiteten.
Laird sagte: „Diese Geschichte ist einfach nur …”
Der junge Mann schüttelte den Kopf, ohne seinen Gedanken zu Ende zu bringen.
Die Armen, dachte Riley.
Sie waren einfache Kleinstadtpolizisten. Morde waren in einer kleinen Stadt in Iowa sicherlich eine Seltenheit. Vielleicht hatte der ältere Polizist von Zeit zu Zeit schon einmal mit dem ein oder anderen Tötungsdelikt zu tun gehabt, doch Riley vermutete, dass der jüngere noch nie etwas Vergleichbares durchgemacht hatte.
Als Doty losfuhr, bat Riley die beiden Polizisten, ihr und Jenn alles zu erzählen, was geschehen war.
Doty sagte: „Der Name des Mädchens ist Katy Philbin, sie war siebzehn Jahre alt. Eine Schülerin an der Wilson High. Ihren Eltern gehört die Apotheke im Ort. Nettes Mädchen, jeder mochte sie. Der alte George Tully fand ihre Leiche heute Morgen, als er sich mit seinen Jungs auf die Frühjahrsaussaat vorbereitete. Tully besitzt einen Hof kurz vor Angier.”
„Weiß man schon, wie lange sie dort gelegen hat?” fragte Jenn.
„Da müssen Sie Kommissar Sinard fragen. Oder gleich den Gerichtsmediziner.”
Riley dachte zurück an das Wenige, das Meredith ihnen über die Situation hatte sagen können.
„Was ist mit dem anderen Mädchen?”, fragte sie. „Die, die schon länger vermisst wird?”
„Holly Struthers ist ihr Name”, sagte Laird. „Sie war … hm, also vermutlich ist sie nach wie vor eine Schülerin an der anderen Schule im Ort, der Lincoln High. Sie ist seit etwa einer Woche verschwunden. Die ganze Stadt hoffte bisher, dass sie früher oder später einfach wieder auftauchen würde. Doch jetzt … Tja, ich denke, wir müssen weiter hoffen.”
„Und beten”, fügte Doty hinzu.
Riley fühlte eine seltsame Kälte, als er das sagte. Sie hatte nicht die geringste Ahnung, wie oft sie schon gehört hatte, dass Leute beteten, dass eine vermisste Person einfach unversehrt wieder auftauchen würde.
So oder so, sie hatte nie den Eindruck, dass Gebete besonders viel halfen.
Fühlen sich die Leute dadurch überhaupt besser? fragte sie sich.
Sie konnte sich nicht vorstellen, wie oder warum das der Fall sein sollte.
Der Nachmittag war freundlich und klar, als das Auto Des Moines verließ und auf eine breite Autobahn auffuhr. Schon bald wechselte Doty auf eine zweispurige Straße, die sich über die leicht hügelige Landschaft erstreckte.
Riley fühlte ein seltsames, nagendes Gefühl in ihrem Magen. Es dauerte einen Moment bis sie bemerkte, dass ihre Gefühle nichts mit dem Fall zu tun hatten—zumindest nicht direkt.
So fühlte sie sich häufig, wenn sie im mittleren Westen zu tun hatte. Eigentlich litt sie nicht an der Angst vor offenen Räumen—Agoraphobie, nannte man das, meinte sie sich zu erinnern. Doch weite Flächen und Prärien lösten in ihr eine ganz eigene Art der Beklemmung aus. Riley wusste nicht, was schlimmer war—die ewig weiten Flächen, die sie in Staaten wie Nebraska gesehen hatte, die so weit reichten, wie das Auge sah, oder diese sich monoton erstreckende Prärie, mit ihren immer gleichen Bauernhäuser, Städten und Feldern.
So oder so, sie fand es beruhigend, sogar ein wenig übelerregend.
Trotz seines Rufs als gelobtes Land, als dem Inbegriff amerikanischer Werte, den der mittlere Westen allgemein genoß, überraschte es sie nicht besonders, dass hier Menschen zu Mördern wurden. Was sie betraf, fand sie, dass das Landleben allein genügte, um einen Menschen in den Wahnsinn zu treiben.
Auch um sich abzulenken, nahm Riley ihr Handy und schrieb eine SMS an ihre ganze Familie—April, Jilly, Liam, and Gabriela.
Bin gut angekommen.
Sie dachte kurz nach und fügte dann hinzu …
Ihr fehlt mir jetzt schon. Bin wahrscheinlich zurück, bevor ihr meine Abwesenheit überhaupt bemerkt.
*
Nach einer knappen Stunde auf der zweispurigen Autobahn, bog Doty auf eine Schotterpiste ab. Kurz darauf sagte er: „Wir erreichen jetzt George Tullys Grundstück.”
Riley schaute sich um. Die Landschaft sah genauso aus, wie zuvor—riesige Strecken nicht bepflanzter Felder, unterbrochen von Abzugsrinnen, Zäunen und Reihen von Bäumen.
Sie bemerkte ein vereinzeltes großes Haus, das im Zentrum neben einem Schuppen stand. Sie schloss, dass dort Tully und seine Familie wohnten.
Es war ein seltsam aussehendes Haus, das schien, als wäre es, wahrscheinlich schon seit Generationen, weitergebaut und zusammengeschustert worden.
Bald wurde der Wagen der Gerichtsmedizin sichtbar, der auf der Straße parkte. Einige andere Autos parkten in der Nähe. Doty parkte direkt hinter dem Kastenwagen des Pathologen, und Riley und Jenn folgten ihm und seinem jüngeren Kollegen hinaus auf ein frisch bestelltes Feld. Riley sah drei Männer, die über einer Stelle standen, wo die Erde aufgewühlt war.
Sie konnte nicht erkennen, was dort gefunden worden war, doch sie erhaschte einen Blick auf fröhlich bunte Kleidung, die im in der frischen Frühlingsbriese flatterte.
Hier lag sie begraben, erkannte sie.
Und in diesem Moment überkam Riley ein seltsames Bauchgefühl.
Verschwunden war mit einmal Mal die Vermutung, dass Jenn und sie hier nichts zu tun haben würden. Es gab Arbeit für sie—ein Mädchen war tot, und sie würden nicht aufhören, bis dass sie ihren Mörder gefunden hatten.
KAPITEL ZEHN
Neben der erst kürzlich ausgegrabenen Leiche standen zwei Menschen. Riley lief direkt auf einen von den beiden zu, einen muskulösen Mann, der etwa in ihrem Alter war.
„Kommissar Joseph Sinard, vermute ich”, sagte sie und reichte ihm die Hand.
Er nickte, nahm ihre Hand und schüttelte sie.
„Die Leute hier nennen mich Joe.”
Sinard zeigte auf einen übergewichtigen, gelangweilt dreinschauenden Mann in seinen Fünfzigern, der neben ihm stand. „Das ist Barry Teague, der zuständige Gerichtsmediziner. Sie beide sind vermutlich die Leute vom FBI, die wir erwarteten.”
Riley und Jenn holten ihre Dienstmarken hervor und stellten sich vor.
„Das hier ist das Opfer”, sagte Sinard.
Er zeigte auf die niedrige Grube, in der, achtlos ausgestreckt, eine junge Frau in einem orangenen Sommerkleid lag. Das Kleid war ihr bis zu den Oberschenkeln hochgerutscht, und Riley konnte sehen, dass ihre Unterwäsche entfernt worden war. Sie trug keine Schuhe. Ihr Gesicht war unnatürlich blass und ihr offener Mund war noch immer voller Erde. Ihre Augen waren weit geöffnet. Die verdreckte Leiche war von stumpfer Farbe, der Ton erinnerte in keiner Weise mehr an ein lebendiges Wesen.
Riley erschauderte eine wenig. Sie fühlte selten etwas beim Anblick einer Leiche—dafür hatte sie in all den Jahren einfach zu viele gesehen. Doch dieses Mädchen erinnerte sie an April. Riley drehte sich zu dem Gerichtsmediziner um.
„Haben Sie schon irgendwelche Ergebnisse, Mr. Teague?”
Barry kauerte sich neben das Loch, und Riley gesellte sich zu ihm.
„Es ist schlimm—sehr schlimm”, sagte er mit emotionsloser Stimme.
Er deutete auf die Oberschenkel des Mädchens.
„Sehen Sie die blauen Flecken?” fragte er. „Sieht für mich aus, als wäre sie vergewaltigt worden.”
Riley sprach es nicht aus, doch war sie sich sicher, dass er recht hatte. Dem Geruch nach zu urteilen, vermutete sie außerdem, dass das Mädchen in der vorletzten Nacht gestorben war, und seit dem die meiste Zeit unter der Erde verbracht hatte.
Sie fragte den Pathologen: „Was glauben Sie, woran sie gestorben ist?”
Teague stieß ein ungeduldig klingendes Knurren aus.
„Keine Ahnung”, sagte er. „Wenn ihr Leute von der Bundesbehörde erlaubt, dass ich die Leiche berge und meinen Job mache, dann kann ich es Ihnen vielleicht bald sagen.”
Riley sträubte sich innerlich. Die Abneigung dieses Mannes gegenüber der Anwesenheit des FBIs war deutlich spürbar. Würden sie und Jenn Roston hier auf eine Menge Widerstand stoßen?
Sie erinnerte sich daran, dass es Kommissar Sinard war, der um Unterstützung gebeten hatte. Zumindest konnte sie sich auf Sinards Unterstützung verlassen.
Dem Gerichtsmediziner sagte sie: „Sie können sie jetzt mitnehmen.”
Sie richtete sich auf und sah sich um. In etwa fünfzehn Metern Entfernung sah sie einen älteren Mann, der sich gegen einen Traktor lehnte und in Richtung der Leiche starrte.
„Wer ist das?” fragte sie Kommissar Sinard.
„George Tully”, sagte Sinard.
Riley erinnerte sich, dass George Tully der Besitzer des Grundstücks war.
Sie und Jenn liefen zu ihm hinüber und stellten sich vor. Tully schien ihre Anwesenheit kaum zu bemerken. Er starrte immer noch die Leiche an, als Teagues Team vorsichtig ihren Abtransport vorbereitete.
Riley sagte zu ihm: „Mr. Tully, wenn ich richtig verstehe, haben Sie das Mädchen gefunden.”
Er nickte stumpf, ohne seinen Blick von der Leiche abzuwenden.
“Ich weiß, es ist schwer. Doch könnten Sie mir bitte noch einmal erzählen, was passiert ist?”, sagte Riley.
Tully sprach mit schwacher, unbeteiligtster Stimme.
„Da gibt es nicht viel zu sagen. Ich und die Jungs kamen heute früh hier her, um zu pflanzen. Mir fiel gleich auf, dass dieser Fleck Erde hier seltsam aussah. Sein Aussehen störte mich, also fing ich an zu graben … und, da war sie.”
Riley spürte, dass Tully ihr nicht viel würde sagen können.
“Haben Sie irgendeine Idee, wann die Leiche hier hätte verscharrt werden können?”, sagte Jenn.
Tully schüttelte stumm den Kopf.
Riley schaute sich für einen Moment lang um. Das Feld schien frisch bestellt.
„Wann genau haben Sie dieses Feld gepflügt?”, fragte sie.
„Vorgestern. Nein, noch einen Tag früher. Heute wollten wir mit der Aussaat beginnen.”
Riley dachte darüber nach. Es schien zu ihrer Theorie zu passen, dass das Mädchen vorgestern getötet und vergraben worden war.
Tully schielte ein wenig, als er weiterhin geradeaus starrte.
„Kommissar Sinard sagte mir ihren Namen”, sagte er. „Katy—ihr Nachname lautete Philbin, glaube ich. Seltsam, der Name sagt mir nichts. Sie habe ich auch nicht erkannt. Früher einmal …”
Er hielt kurz inne.
„Früher einmal kannte ich alle Familien in der Stadt und ihre Kinder. Die Zeiten ändern sich.”
Es lag eine lähmende, schmerzende Traurigkeit in seiner Stimme.
Riley konnte seinen Schmerz nun nachempfinden. Die fühlte mit Sicherheit, dass er seinen ganzen Leben in dieser Gegend verbracht hatte, genau wie seine Eltern, Großeltern, und auch deren Eltern, und jetzt hoffte er darauf, den Hof an seine eigenen Kinder und Kindeskinder weitergeben zu können.
Niemals hatte er sich vorstellen können, dass so etwas hier passieren könnte.
Und noch etwas anderes wurde ihr klar—Tully rührte sich seit Stunden nicht von der Stelle und starrte, von ungläubigem Schrecken erfüllt, unentwegt auf die Leiche des bedauernswerten Mädchens. Er hatte die Leiche früh am Morgen gefunden, den Vorfall gemeldet, und hatte sich anschließend nicht dazu durchringen können, sich von dort wegzubewegen. Jetzt, da die Leiche geborgen wurde, würde er vielleicht gleich gehen.
Doch Riley wusste, dass das Entsetzen bei ihm bleiben würde.
Seine Worte hallten in ihrem Kopf wieder …
„Die Zeiten ändern sich.”
Er musste sich fühlen, als wäre die Welt verrückt geworden.
Vielleicht ist sie das ja, dachte Riley.
„Es tut uns sehr leid, dass das passiert ist”, sagte Riley zu ihm.
Anschließend liefen sie und Jenn zurück zur ausgehobenen Stelle.
Teagues Team hatte die zugedeckte Leiche inzwischen auf einer Trage abgelegt. Sie transportierten sie umständlich über die gepflügte Erde in Richtung des Wagens der Gerichtsmedizin.
Teague näherte sich Riley und Jenn. Er sprach in dieser immerzu monotonen Stimme, die ihm eigen schien.
„Um Ihre Frage nach der Todesursache zu beantworten … Ich konnte jetzt einen Blick drauf werfen, und sie wurde niedergeknüppelt, mehr als einmal getroffen. Das war es also.”
Ohne ein weiteres Wort drehte er sich um und lief zu seinem Team davon.
Jenn verlieh mit einem verächtlichen Grunzen ihrer Gereiztheit Ausdruck.
„Tja, es klingt so, als sei die Untersuchung von seiner Seite aus beendet.”, sagte sie. „Er ist wirklich herzallerliebst.”
Riley schüttelte bestürzt ihren Kopf.
Dann lief sie zu Kommissar Sinard und fragte: „Wurde außer der Leiche noch irgendetwas gefunden? Eine Handtasche? Ein Handy?”
„Nein”, sagte Sinard. „Wer auch immer das hier getan hat, muss sie behalten haben.”
„Agentin Roston und ich müssen so schnell wie möglich die Familie des Mädchens treffen.”
Kommissar Sinard erstarrte ein wenig.
„Das dürfte ziemlich hart werden” sagte er. „Ihr Vater, Drew, war gerade erst hier, um die Leiche zu identifizieren. Als er uns verließ, ging es ihm ziemlich dreckig.”
„Das verstehe ich”, sagte Riley. „Es ist aber wirklich wichtig.”
Kommissar Sinard nickte, nahm einen Schlüssel aus seiner Hosentasche, und zeigte auf ein nahgelegenes Auto.
„Ich vermute, Sie werden Ihr eigenes Fortbewegungsmittel brauchen”, sagte er. „Solange Sie hier sind, können Sie mein Auto nutzen. Ich werde in einem Polizeiwagen vorausfahren und Ihnen zeigen, wo die Philbins leben.”
Riley ließ Jenn die Schlüssel nehmen und fahren. Bald folgten sie Sinards Wagen in Richtung der Innenstadt von Angier.
Riley fragte ihre neue Partnerin: „Was denkst Du bislang über den Fall?”
Jenn fuhr eine Weile lang schweigend und schien über die Frage nachzudenken.
Dann sagte sie: „Wir wissen, dass das Opfer siebzehn Jahre alt war—also innerhalb der Altersgruppe, aus der die Hälfte aller Opfer dieser Art Verbrechen stammen. Dennoch ist es ein ungewöhnlicher Fall. Die meisten Opfer von Serienvergewaltigern sind Prostituierte. Dieses Mädchen könnte zu den zehn Prozent gehören, die Opfer von ihnen auf die ein oder andere Weise bekannten Personen werden.”
Jenn machte erneut eine Pause.
Dann fügte sie hinzu: „Bei mehr als der Hälfte dieser Morde wurde das Opfer erwürgt. Doch stumpfes Gewalteinwirkung ist die zweithäufigste Todesursache. In diesem Sinne erscheint der Mord also nicht ungewöhnlich. Dennoch, wir müssen noch viel herausfinden. Die wichtigste Frage ist die, ob wir es mit einem Serientäter zu tun haben.”
In Zustimmung nickte Riley grimmig. Jenn sagte ihr nichts Neues, doch wo auch immer ihre Bedenken über ihre neue Partnerin herrührten, zumindest war sie gut informiert.
Und ihnen beiden drohte, dass die Antwort auf die letzte Frage eine furchtbare wäre, und beide hofften, dass dem nicht so sei.
Kurz darauf folgten sie Sinard, der nach Angier hinein, und die Hauptstraße entlang fuhr.
Riley zufolge unterschied sie sich nicht von anderen Hauptstraßen, die sie im mittleren Westen gesehen hatte—reiz- und charakterlose Geschäftszeilen, einige neuer und andere etabliert. Sie konnte kein bisschen Charme oder Idylle erkennen.
Riley brachte der Stadt die gleichen Gefühle entgegen, die sie auch schon auf der Fahrt hierher durch die Weite der Prärie gehabt hatte—ein Gefühl, als würde etwas Düsteres hinter der gepflegten Fassade des mittleren Westens hervorlugen.
Beinahe hätte sie den Gedanken laut ausgesprochen. Doch schnell erinnerte sie sich daran, dass nicht Bill neben ihr saß, sondern eine junge Frau, die sie kaum kannte, und bei der sie sich immer noch nicht sicher war, ob sie ihr vertrauen konnte.
Würde Jenn Roston Rileys Gefühle teilen, oder sie überhaupt erst hören wollen?
Riley konnte es nicht wissen, und das störte sie.
Es war schwierig, keinen Partner zu haben, mit dem sie offen sprechen, und ihre Ideen austauschen konnte, ob sie nun Sinn ergaben oder auch nicht. Sie vermisste Bill mit jeder Minute mehr––und Lucy ebenso.
Die Familie des Opfers lebte in einem alten, doch gut erhaltenen Backsteinbungalow in einer ruhigen Straße und im Hof standen große Bäume.
Der Bordstein und die Einfahrt waren mit Autos zugeparkt. Riley vermutete, dass die Philbins momentan viel Besuch hatten.
Sinard hielt sein beschädigtes Einsatzfahrzeug auf der Straße an und stieg aus. Er wies Jenn eine kleine Parklücke zu und stand dort und gab Anweisungen, um ihr zu helfen, den Wagen in die Lücke zu quetschen.
Als das Auto geparkt war, stiegen Riley und Jenn aus und liefen auf das haus zu. Kommissar Sinard war schon auf dem Weg zur Eingangstür, während sein Einsatzwagen immer noch in zweiter Reihe stand.
Riley fragte sich—würden sie auf eine unschuldig trauernde Familie und viele ernsthafte und wohlgesinnte Freunde und Bezugspersonen treffen?
Oder würden sie auf Menschen treffen, die des Mordes fähig sein könnten?
So oder so, Riley fürchtete diese Besuche stets.
Ücretsiz ön izlemeyi tamamladınız.