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1916/17 bis 1921: das Opportunitätsfenster
Die letzten Jahre des Ersten Weltkriegs, das Kriegsende und die unmittelbare Nachkriegszeit waren Umbruchzeiten, die von geopolitischen Neuordnungen, revolutionären Bewegungen, sozialen Konflikten und politischen Polarisierungen markiert waren. Es war auch eine Zeit des Wiederaufkommens und Erstarkens pazifistischer und internationalistischer Strömungen – und der Ruf nach mehr sozialer Gerechtigkeit und der Gleichberechtigung der Geschlechter wurde lauter. 1917 führte die Russische Revolution die formale Geschlechtergleichstellung ein. 1918 erhielten die Frauen in Deutschland, Österreich, Polen, Luxemburg sowie mit Einschränkungen in Ungarn, Grossbritannien und Kanada das Wahlrecht, 1919 folgten die Niederlande und Schweden, 1920 Island sowie mit Einschränkungen die USA und Belgien. Im Schweizer Generalstreik vom November 1918 erhob das Streikkomitee die Forderung des aktiven und passiven Wahlrechts der Frauen. Weniger als einen Monat später reichten die Nationalräte Herman Greulich (1842–1925) und Emil Göttisheim (1863–1938) je eine Motion zugunsten des Frauenstimmrechts ein. 1919 sprachen sich auch erstmals der BSF43 und sogar der Schweizerische Gemeinnützige Frauenverein (SGF) für das integrale Frauenstimmrecht aus.44
In dieser Phase sozialpolitischen Aufbruchs erfolgten zahlreiche politische Interventionen auf kantonaler Ebene. Letztlich kam es aber nur zu fünf Abstimmungen über die Einführung des integralen Frauenstimmrechts auf kantonaler und kommunaler Ebene. Sie gingen alle negativ aus.
Aufbruch in der zweiten Kriegshälfte
Der Erste Weltkrieg ertränkte vorerst jegliche progressive Reformbemühung unter einer Welle patriotischen Enthusiasmus. Doch bereits ab 1915 erwachte international wieder der Geist pazifistischen und antimilitaristischen Protests, zuerst bei den sozialistischen Frauen und der Jugend, die in der Schweiz internationale Kongresse abhielten. Wie vor dem Krieg waren es sozialdemokratische Parlamentarier, die erste Anträge zugunsten des Frauenstimmrechts einbrachten, so im November 1915 in Neuenburg, dann im Mai 1916 in Bern. In beiden Fällen sollte die Einführung des Frauenstimmrechts, in Neuenburg kantonal, in Bern kommunal, ohne Verfassungsrevision im Rahmen der Debatten über das Gesetz über die politischen Rechte geschehen. In beiden Fällen arbeiteten die Aktivistinnen und Aktivisten eng mit den Antragstellern zusammen. In Neuenburg war der Sozialdemokrat Charles Schürch (1882–1951), der auch Gründungsmitglied des Frauenstimmrechtsvereins von La Chaux-de-Fonds war, der institutionelle Vermittler einer Petition der kantonalen Stimmrechtsvereine. In Bern reagierte Eugen Münch (1880–1919) sehr wahrscheinlich auf das Anliegen des sozialdemokratischen Frauenvereins Bern, der ein Jahr zuvor den Antrag gestellt hatte, dass die SP eine Initiative auf Bundesebene lancieren sollte. Obschon er sein Vorgehen mit der Berner Stimmrechtsbewegung nicht abgesprochen hatte, wurde er von dieser durch die Lancierung einer Petition und anderen Aktionen sofort unterstützt.45 In beiden Fällen hatten die Anträge ebenso wenig Chancen wie zwei frühere Versuchsballone von zwei sozialdemokratischen Abgeordneten in den Kantonen St. Gallen und Bern.
1917 kam das Frauenstimmrecht in vier weiteren Kantonen auf die politische Traktandenliste. Im August verlangte eine Motion des Sozialdemokraten Greulich und 49 Mitunterzeichnern das integrale Frauenstimmrecht auf Kantons-, Distrikt- und Gemeindeebene im Kanton Zürich (später durch eine parlamentarische Initiative des Sozialdemokraten Otto Lang, 1863–1936, und 74 Mitunterzeichner ersetzt). Im November folgte eine Motion des Waadtländer Sozialdemokraten Anton Suter (1863–1942). Im Dezember war es am Basler Grossen Rat, die schon ältere Motion des sozialdemokratischen Anwalts Franz Welti (1879–1934) und Konsorten zu akzeptieren. In Genf hingegen kam dem Sozialdemokraten Jean Sigg (1865–1922) der Vertreter der Parti indépendant, Louis Guillermin (1845–1924), zuvor, allerdings mit einer beschränkten Formel: ein Stimmrecht nur auf Gemeindeebene und für Frauen über 25 (während Männer mit 20 Jahren abstimmen durften). Knapp zwei Wochen nach dem Landesstreik, am 28. November 1918, schlug im Kanton Aargau der freisinnige Anwalt Arthur Widmer (1877–1947), der auch im Nationalrat sass, ein «aktives und passives Wahlrecht und Stimmrecht in Kirchen-, Schul-, Armen- und Krankensachen» vor. Der Regierungsrat erklärte sich im Januar 1919 nur bereit, die Frage des Frauenstimmrechts als Anregung anlässlich einer Behandlung der Totalrevision der Staatsverfassung zu prüfen, womit das Problem auf unbestimmte Zeit vertagt war. Eine Petition mit 7327 Unterschriften der aargauischen Frauenorganisationen, die zum Ziel hatte, den Frauen wenigstens das aktive und passive Stimm- und Wahlrecht im Sozialbereich einzuräumen, blieb ungehört.46 Von den Grossräten abgeschmettert wurden auch die Motionen in den Kantonen Genf und Waadt. (Im Kanton Waadt allerdings erst am 15. Februar 1921, da der Regierungsrat die Behandlung des Anliegens bis dahin hinausgezögert hatte.)
Der SVF hatte sich inzwischen auf nationaler Ebene in eine Sackgasse manövriert. Am 13. Mai 1917 hatte die Delegiertenversammlung zwar die Lancierung einer Volksinitiative beschlossen, doch die Präsidentin, die Genferin Emilie Gourd (1876–1946), war bezüglich der Opportunität skeptisch und liess die Dinge liegen. Seit März 1918 hoffte der SVF stattdessen auf die Motion zur Totalrevision der Bundesverfassung des St. Galler Nationalrats Josef Scherrer-Füllemann (1847–1924) von der Demokratischen Partei. Als am 12. November 1918 der Generalstreik begann und das Neun-Punkte-Programm der Streikenden bekannt wurde, richtete Gourd sofort ein Telegramm an den Bundesrat,47 dass der SVF die Forderung des Frauenstimmrechts unterstützen würde, nicht aber die Methoden der Streikenden. Doch die Delegiertenversammlung vom 25. November desavouierte die Präsidentin mit 27 zu 17 Stimmen. Mit diesem Entscheid, sich von der Frauenstimmrechts-Forderung zu distanzieren, da sie von der falschen Seite kam, dürften die Aktivistinnen paradoxerweise das Gegenteil dessen erreicht haben, was sie wollten. Statt die Forderung zu entpolitisieren, politisierten sie diese: Das Frauenstimmrecht war nun keine parteipolitisch neutrale Forderung mehr. Als Scherrer-Füllemann am 3. Dezember seine Motion einführte, wurde zudem klar, dass er überhaupt nicht an das Frauenstimmrecht dachte. Am 4. und 5. Dezember folgten zwar die beiden Motionen Greulich und Göttisheim, doch wurden sie vom Nationalrat nur als unverbindlichere Postulate überwiesen. Beide verschwanden daraufhin für Jahrzehnte in der Schublade. Der damals im Bundesrat hegemoniale Freisinn verzichtete in den folgenden Jahrzehnten auf seine Handlungskompetenz, denn ansonsten hätte er seine beiden Verbündeten im bürgerlichen Machtblock vor den Kopf gestossen, so meine These: Die Katholisch-Konservativen und die Bauern-, Gewerbe- und Bürgerpartei (BGB) waren die vehementesten Gegner.48
Es blieb also nur die kantonale Ebene.
Kantone als erste Kampffelder
In fünf Kantonen kam es in den Jahren 1919 bis 1921 schliesslich zu einer Abstimmung über das integrale Stimmrecht auf Kantons- und Gemeindeebene: in den Kantonen Neuenburg, Basel-Stadt und Zürich aufgrund sozialdemokratischer Motionen, in Glarus aufgrund einer Eingabe an die Landsgemeinde durch den Anwalt Léonard Jenni (1881–1967), Grütlianer und Sozialdemokrat, in Genf aufgrund einer Volksinitiative des Frauenstimmrechtsvereins. Alle gingen negativ aus.49
Die erste Abstimmung fand am 29. Juni 1919 in Neuenburg statt. Ihr kommt nicht nur Laborcharakter zu, sie kann auch als Beispiel für ein gut funktionierendes Zusammenspiel zwischen Stimmrechtsbefürwortern auf der institutionellen Ebene und Aktivistinnen und Aktivisten der Zivilgesellschaft dienen. Auslöser war 1916 eine neue Motion von Schürch, nachdem er ein Jahr zuvor aus formalen Gründen gescheitert war. Diesmal forderten er und seine acht sozialdemokratischen Mitunterzeichner eine Partialrevision der Kantonsverfassung. Ihre Motion wurde im November 1917 überwiesen, allerdings ohne verbindlichen Zeitplan. Um Druck auszuüben, verlangte die kantonale Sektion des SVF eine Unterredung mit dem Regierungsrat. Sie wurde ihnen am 9. März 1918 zwar gewährt, doch verlief sie ergebnislos. Daraufhin lancierten die Frauen eine Petition. Sie sammelten 9849 Unterschriften, eine Zahl, die etwa einem Viertel der erwachsenen Frauen des Kantons entsprach. Den Regierungsrat beeindruckte das nicht. Statt auf die weibliche Bevölkerung stützte er sich lieber auf die Kommunalbehörden des Kantons, die er zur Einführung des Frauenstimmrechts auf Gemeindeebene befragte. Da sich erwartungsgemäss nur fünf Gemeinden (darunter die sozialdemokratisch regierten Städte La Chaux-de-Fonds und Le Locle) uneingeschränkt positiv äusserten, kam er in seinem am 14. Februar 1919 veröffentlichten Bericht zum Schluss, dass eine Abstimmung verfrüht sei. Der Grosse Rat war anderer Meinung und verlangte einen Vorschlag für eine Verfassungsänderung. Die Kantonsregierung wechselte nun von der Verzögerungszur Dramatisierungstaktik. Sie lieferte ihren Bericht und Vorschlag für die Einführung des Frauenstimmrechts auf kantonaler und kommunaler Ebene binnen zwei Wochen, unterstrich die weitreichenden Konsequenzen eines solchen Schritts aber drastisch. Sie setzte die Abstimmung zudem äusserst kurzfristig an, was den Befürworterinnen und Befürwortern wenig Zeit für ihre Kampagne liess. Nur die Sozialdemokratische Partei gab die Ja-Parole aus und engagierte sich in der Abstimmungskampagne. Die beiden bürgerlichen Parteien, Freisinn und Liberale, optierten für die Stimmfreigabe. Unterstützung bot ein kantonales Männerkomitee mit 121 Namen aus einem breiten sozioprofessionellen Spektrum («pasteurs, professeurs, étudiants, commerçants, industriels, employés»).50 Ausserdem hielt der SVF seine Generalversammlung im Kanton ab. Das half alles nichts. Nur rund 30,8 Prozent der stimmberechtigten Männer legten ein Ja in die Urne. Das starke regionale Gefälle folgte einem Stadt-Land-Graben. In der Uhrenarbeiterstadt Le Locle, die einen der damals höchsten gewerkschaftlichen Organisationsgrade der Schweiz aufwies, fehlten zwar nur 30 Stimmen für eine Mehrheit, in La Chaux-de-Fonds betrug der Ja-Stimmenanteil 44 Prozent, doch auch in diesen beiden linken Städten konnte sich die sozialdemokratische Abstimmungsparole nicht durchsetzen.
Das relativ beste Resultat dieser fünf Abstimmungen wurde in Basel-Stadt mit 35 Prozent Ja-Stimmen erzielt, obschon Freisinn, Katholische Volkspartei und Bürger- und Gewerbepartei die Nein-Parole ausgegeben hatten, während die Liberalen sich für Stimmfreigabe und die Sozialdemokraten für die Ja-Parole entschieden hatten. Die SP war allerdings in der Stadt Basel die stärkste Partei; zusammen mit den Grütlianern und ab 1921 der Kommunistischen Partei (KP) verfügte sie zwischen 1920 und 1923 sogar über die Mehrheit. Ausserdem waren auch prominente Liberale wie der Chefredaktor der Basler Nachrichten Albert Oeri (1875–1950), langjähriges Vorstandsmitglied der Vereinigung für Frauenstimmrecht Basel und Umgebung, engagierte Vertreter des Frauenstimmrechts.
Das schlechteste Resultat dieser fünf Kantone wies Zürich mit weniger als einem Fünftel Ja-Stimmen (19,6%) auf. Dort hatte sich im Vergleich zu den Kantonen Neuenburg (60:33) und Basel-Stadt (63:34) bereits im Grossen Rat eine bedeutende Gegnerschaft gezeigt (103:90). In der Stadt Zürich sprachen sich 27 Prozent der stimmberechtigten Männer für das Frauenstimmrecht aus. Die Zustimmung in den Arbeiterquartieren, den Kreisen 3, 4 und vor allem 5, lag mit bis zu 36 Prozent höher, während sie in damals noch eher ländlichen Gemeinden wie Affoltern, Seebach und Schwamendingen (heute Kreis 11) mit 27 Prozent deutlich tiefer war. Die niedrigste Zustimmungsrate zeigten jedoch die bürgerlichen Kreise 2 und 7 und das Stadtzentrum mit zwischen 20 und 23 Prozent. Auch wenn lange nicht alle Arbeiter für das Frauenstimmrecht stimmten, korrelierte die Unterstützung doch mit der sozialdemokratischen Parteibindung.51
Im Kanton Glarus erfolgte am 1. Mai 1921 eine Abstimmung über das Frauenstimmrecht. Sie beruhte auf einem Vorstoss von Dr. iur. Léonard Jenni, der Ende 1920 im Namen von 60 Kantonsbewohnern (darunter 22 Frauen) einen Vorstoss einreichte. Die Landsgemeinde erteilte dem Anliegen, wie es der Landammann empfohlen hatte, «mit grossem Mehr» eine Absage.
Den Abschluss dieser ersten Reihe von Abstimmungen über ein kantonales und kommunales Frauenstimmrecht machte der Kanton Genf am 16. Oktober 1921. Erstmals lancierten die Stimmrechtsaktivistinnen eine Initiative, ein politisches Instrument, das sie auf eidgenössischer Ebene nie, auf kantonaler nur ganz selten ergreifen sollten. Die Genfer Sektion des SVF hatte am 4. Oktober 1920 eine von 2915 Stimmbürgern, also nur von Männern, unterzeichnete Initiative auf der Staatskanzlei deponiert. Sie verlangte die Ergänzung von Art. 21 der Kantonsverfassung, «les citoyens âgés de 20 ans révolus ont l’exercice des droits politiques», durch die drei Wörter «des deux sexes». Die Abstimmungskampagne verlief heftig und brachte nicht nur Gegnerinnen auf den Plan, sondern auch ein männliches Unterstützungskomitee. Doch nur 31,9 Prozent der Stimmbürger sagten Ja.52
Im Kanton Tessin erfolgten in dieser Zeit zwei Vorstösse auf Ebene der Legislative. 1919 akzeptierte der Grosse Rat die Möglichkeit, dass eine Frau, wenn sie einer grundbesitzenden Familie angehörte, anstelle ihres Mannes in ihrer Bürgergemeinde (patriziato) stimmen dürfte; das Referendum wurde nicht ergriffen. Neu konnten sich Frauen auch als Vertreterinnen ins ufficio wählen lassen, das heisst in die Exekutive der patriziati. Es handelte sich um ein Familienstimm- und Wahlrecht auf Zensusbasis. Auch wenn die Novität unter diesen Bedingungen eine weibliche Ermächtigung bedeutete, so folgte sie doch einer anderen Logik, denn im Tessin fehlte es wegen der starken Migration an Männern.53 Ein zweiter Vorstoss, diesmal für ein Frauenstimmrecht auf Gemeindeebene, also auf der Ebene der Wohngemeinde, wurde 1921 von der sozialdemokratischen Fraktion des Verfassungsrats mit Unterstützung durch persönliche Anträge mehrerer bürgerlicher Parteivertreter lanciert. Er scheiterte hingegen bereits im Grossen Rat.54 Die von der Zeitschrift Frauenbestrebungen geäusserte Hoffnung, dass die Tessinerinnen als Erste politische Rechte erhalten würden, erfüllte sich nicht.55
Die Aufbruchsphase war von kurzer Dauer. Im Vergleich zu ihren ausländischen Schwestern, die in zahlreichen Ländern das Wahlrecht erhalten hatten, waren die Schweizer Feministinnen ins Hintertreffen geraten, wie sie im Juni 1920 als Gastgeberinnen des Genfer Kongresses des Weltbundes für Frauenstimmrecht, der erste nach Kriegsende, enttäuscht konstatieren mussten.56
Die Zwischenkriegszeit und die Kriegsjahre: Stagnation und Rückschläge
Zwischen 1921 und 1940 wurde in der Schweiz nur ein einziges Mal über die Frage der weiblichen Partizipation auf Kantons- und Gemeindeebene abgestimmt. Am 15. Mai 1927 stimmten die stimmberechtigten Basler Männer über eine entsprechende Initiative der KP ab. Sie erreichte nicht einmal dreissig Prozent Ja-Stimmen, das Frauenstimmrecht wurde also noch höher verworfen als 1920.57 Zwei weitere Abstimmungen verliefen ebenfalls negativ, betrafen aber nur die Bezirks- und Gemeindeebene (Zürich 1923) und die Schul- und Armenkommission (Basel-Landschaft 1926).
Beschränktes Aktionsrepertoire
In einer Standortbestimmung analysierte der SVF 1921 seine Handlungsmöglichkeiten.58 Sie waren bescheiden. Zum einen fehlte den Frauen eine direkte Einflussmöglichkeit in den politischen Parteien, denn ausser der SP nahm keine der grossen Parteien Frauen auf. Zum anderen blieben ihnen die wichtigsten institutionellen politischen Handlungsinstrumente (Initiative, Referendum, parlamentarische Intervention) verwehrt; genutzt werden konnten sie höchstens über männliche Vermittler. Um sich Zugang zu den politischen Entscheidungsträgern zu verschaffen, verfügten die Aktivistinnen für das Frauenstimmrecht nur über die Petition oder die Entsendung einer Delegation zu den Behörden, beides Mittel mit geringer Wirksamkeit. Auch öffentliche Versammlungen und die Vereinspresse waren wenig effektive politische Druckmittel. Obschon sich der SVF über die Beschränktheit seiner Handlungsoptionen im Klaren war, entschied er sich gleichwohl, auf militante Protestformen zu verzichten. Damals zur Diskussion gestanden hatten auch ein Steuerstreik, der Abbruch jedes weiteren sozialen oder philanthropischen Engagements und die Verweigerung von Spenden bei Geldsammlungen.59
Der SVF beschränkte sein Aktionsrepertoire Anfang der 1920er-Jahre ganz bewusst auf den Rahmen von Verfassungs- und Gesetzeskonformität. Bis zur ersten eidgenössischen Abstimmung von 1959 behielt er dies auch bei. Nur in Einzelfällen griff er zu expressiven Aktionen wie Demonstrationen, so 1928 anlässlich des SAFFA-Umzugs mit der überdimensionierten Schnecke, die den Fortschritt des Frauenstimmrechts symbolisieren sollte, oder am 13. Juli 1935 mit einer Protestkundgebung mit Automobilen durch die Stadt Genf, weil Frauen von der für die Zukunft der Demokratie entscheidenden Abstimmung über die Totalrevision der Bundesverfassung ausgeschlossen blieben.60 Initiantin war in beiden Fällen die dem egalitaristischen Feminismus zugehörige Emilie Gourd. Nach den Abstimmungsniederlagen Anfang der 1920er-Jahre verlagerte der SVF seinen Fokus von der formalen auf die faktische Gleichstellung, indem er sich für die Mutterschaftsversicherung und die Lohngleichheit engagierte. Parallel dazu verstärkte er seine Mobilisierungsanstrengungen sowohl intern als auch extern. Intern schuf er mit den Sommerferienkursen und der Präsidentinnenkonferenz neue Strukturen, die sowohl den Austausch und den Zusammenhalt zwischen den Aktivistinnen stärken als auch neues Wissen und eine gemeinsame praktische Erfahrung ermöglichen sollten. Extern galt es dank der Subventionen, welche die Amerikanerinnen ab 1924 jährlich an die Sektionen der IWSA verteilten, die noch für das Frauenstimmrecht kämpfen mussten, die Vereinspresse und die Propaganda aufzubauen.61
Dabei setzte der SVF weiterhin auf die bislang eingeschlagene Strategie der partiellen Verfassungsrevision. Erst Aussenstehende brachten mit der Idee der Verfassungsinterpretation eine davon abweichende Strategie ein. Am 5. April 1923 versuchte die Bernerin Hilda Lehmann, Angestellte beim Metallarbeitersekretariat in Bern, sich ins Stimmregister der Stadt eintragen zu lassen, scheiterte aber. Rechtsanwalt Jenni appellierte daraufhin beim Kanton und ging danach bis vor Bundesgericht. Er argumentiere mit der in Art. 4 BV festgehaltenen Rechtsgleichheit, doch sein Rekurs wurde zurückgewiesen. Ein zweiter, ähnlicher Versuch 1928 bei der höchsten Schweizer Gerichtsinstanz scheiterte ebenfalls.62 Der SVF distanzierte sich öffentlich von Jennis Vorgehensweise.63
Das Frauenstimmrecht galt in den 1920er-Jahren selbst bei Frauenorganisationen vermehrt als extrem und verlor an Unterstützung. Anlässlich der nationalen Ausstellung zur Frauenarbeit SAFFA, die vom 26. August bis zum 30. September 1928 in Bern stattfand und mit 800 000 Besucherinnen und Besuchern ein Publikumserfolg war, musste sich der SVF mit einer Ecke im Ausstellungsbereich Soziale Arbeit begnügen. Für die Mehrheit der Ausstellungskommission galt die Forderung nun als ein Sonderdesiderat. Die Katholikinnen, der konservative Flügel der Sittlichkeitsbewegung sowie Teile des SGF lehnten Werbung für das Frauenstimmrecht an der SAFFA ab. Die Ausstellung war als Leistungsschau der Schweizer Frauen gedacht und auf Konsens ausgerichtet; sie sollte in erster Linie die weibliche Erwerbstätigkeit legitimieren, ohne die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung und die Zentralität der Mutterrolle infrage zu stellen. Problemfelder wie die weibliche Doppelbelastung und die Lohnungleichheit wurden daher nicht oder jedenfalls nur indirekt angesprochen. Vorherrschend war ein dualistisches Emanzipationsverständnis, wie es etwa Anna Louise Grütter (1879–1959), die Leiterin der Propagandaabteilung der SAFFA und Präsidentin des Stimmrechtsvereins Bern vertrat. Die promovierte Lehrerin erachtete nach den erfolglosen kantonalen Abstimmungen den egalitaristischen Feminismus als überholt, die radikalen Feministinnen hätten mit ihrem Gerechtigkeitspostulat und ihrem urbanen Habitus der Sache geschadet, besonders auf dem Land.64 Das Projekt des SVF, während des Grossereignisses eine Petition für das Frauenstimmrecht zu lancieren, wurde abgelehnt. Allerdings gelang es dem SVF dank Gourds Initiative, eine Riesenschnecke durch die Stadt Bern zu ziehen, dennoch auf das Frauenstimmrecht aufmerksam zu machen. Im Nachhinein entwickelte sich das Bild der Schneckenaktion zur feministischen Ikone. Doch an der SAFFA wurde das Artefakt in eine der hintersten Ecken verbannt.
Die Petition musste auf das Jahr 1929 verschoben werden. Mit nahezu 250 000 Unterschriften (wovon 78 800 von Männern) erlangte sie einen historischen Rekord, ohne dass dies ihre politische Wirkung gefördert hätte.
Erstens standen nur wenige Frauenorganisationen hinter der Petition: Neben dem SVF und einzelnen Berufsvereinen wie dem Lehrerinnenverein und dem Akademikerinnenverband engagierten sich die Freundinnen junger Mädchen sowie Friedens- und Abstinentenorganisationen. Daneben unterstützten die zwei Linksparteien SP und die KP sowie drei Arbeitnehmerorganisationen, der Verband des Personals der öffentlichen Dienste, der Verband evangelischer Arbeiter und Angestellter und der Schweizerische Gewerkschaftsbund, die Unterschriftensammlung. Nur dank der mobilisierungsfähigen und kampagnengeübten Linksorganisationen und Gewerkschaften kamen derart viele Unterschriften zusammen.
Zweitens stammten die Unterschriften hauptsächlich aus zwölf Kantonen: vor allem aus der reformierten oder vom Protestantismus geprägten Westschweiz. In Neuenburg unterzeichnete ein Viertel der Schweizer Wohnbevölkerung (24,4%) und rund ein Drittel der Frauen, in Genf über ein Fünftel (22,4%) und im Kanton Waadt nahezu ein Fünftel (17,9%). Gut schnitten auch die stark urban geprägten Deutschschweizer Kantone Basel, Schaffhausen, Zürich, Bern und Solothurn mit 10 bis 15 Prozent Zustimmung ab. Wenig Sympathie fand die Petition in den übrigen, eher ländlichen und katholischen Kantonen. Die beiden Halbkantone Ob- und Nidwalden lieferten zusammen gerade mal 34 Unterschriften.65
Drittens hatte die Petition als politische Partizipationsform keine verpflichtende Wirkung für die Behörden. Sie wurde denn auch einfach schubladisiert.
Viertens aktivierte die Petition wieder die Gegnerinnen, deren Gewicht die Behörden hoch veranschlagten. Die von der Waadtländerin Susanne Besson (1885–1957) 1919 gegründete Ligue vaudoise féministe antisuffragiste, hervorgegangen aus der Ligue vaudoise pour les réformes sociales und im Jahr darauf zur hyperaktiven, doch kurzlebigen nationalen Ligue suisse des femmes patriotes ausgebaut, wurde nun als Schweizerische Liga gegen das politische Frauenstimmrecht mit Sitz in Bern wiederbelebt. Sie verfocht eine Mitsprache der Frauen ohne formales Stimm- und Wahlrecht. Ihre Eingabe wanderte zu den Akten der Petition – sozusagen als Gegengewicht.66