Kitabı oku: «Seewölfe Paket 17», sayfa 4
Der Soldat stieß einen lauten Schmerzensschrei aus, verzog sein Gesicht zu einer haßvollen Grimasse und ließ die Muskete reflexartig los.
Doch dieser Sieg nutzte dem Deutschen nichts mehr.
Die beiden anderen Polen erreichten ihn fast gleichzeitig. Dann schlugen sie hart mit den Kolben ihrer Waffen zu.
Strakuweits Hände wurden schlaff und ließen die erbeutete Muskete in den Sand fallen. Aus seinem Mund drang ein gurgelnder Laut, dann sank er blutüberströmt zu Boden. Die beiden Soldaten hatten ihn mit mehreren wuchtigen Hieben am Schädel erwischt, aus einer Platzwunde schoß Blut.
Fritz Strakuweit rührte sich nicht mehr. Sein Körper lag seltsam verkrümmt im Sand, die Augen waren geschlossen.
„Der hat genug“, sagte der Hagere. „Hätte gar nicht gedacht, daß der Kerl so gefährlich ist. Am besten, wir schnappen uns jetzt den Sack und verschwinden von hier. Teilen können wir auch noch woanders.“
„Soll ich ihm noch eine Kugel verpassen?“ fragte derjenige, der von Strakuweit angegriffen worden war.
„Nicht nötig“, erwiderte der Hagere, der noch einen raschen Blick auf den blutüberströmten Deutschen warf. „Der ist mausetot und klaut bestimmt keine Bernsteine mehr!“
Diese Feststellung des beutelüsternen Halunken sollte sich jedoch schon recht bald als folgenschwerer Irrtum erweisen.
5.
Die Ausläufer des nächtlichen Sturms hatten die „Isabella IX.“ und die „Wappen von Kolberg“ stark an die Küste versetzt. Ein Beidrehen der Galeonen war jedoch nicht notwendig geworden, weil man die Segel stark verkürzt hatte, damit sie nicht von den tobenden Naturgewalten in Fetzen gerissen wurden.
Jetzt, am Morgen des 2. April, klüsten die beiden Schiffe wieder unter vollem Zeug an der Küste südwärts und entschieden sich schließlich dafür, bei dem herrschenden Westwind auf Kreuzkurs zu gehen, um quer über die Danziger Bucht zu segeln.
In der Höhe von Palmnicken, einem kleinen, gottverlassenen Küstennest, gingen die Segler auf ihren ersten Kreuzschlag.
Die „Isabella“ hatte gerade mit dem Anluven begonnen und drehte das Heck dem Land zu, da begann sich Gary Andrews, der im Hauptmars Ausguck hielt, zu rühren.
„Deck!“ rief er und drehte mit hastigen Bewegungen an der Optik seines Spektivs. „Am Strand liegt jemand! Sieht aus wie eine Leiche, die angetrieben worden ist. Um ein Haar hätte ich die Gestalt nicht gesehen.“
„Täuschst du dich auch nicht?“ fragte Ben Brighton zurück. „Vielleicht siehst du auch nur einige Tangbündel. Davon dürfte in der vergangenen Nacht genug angeschwemmt worden sein.“
„Nein, es ist eine menschliche Gestalt“, beharrte Gary. „Und ich verschlucke einen Holystone, ohne nachzuspülen, wenn sie sich nicht schwach bewegt! Da – der rechte Arm hat seine Lage verändert! Kein Zweifel, Sir, da ist jemand verletzt!“
Ben Brighton blickte den Seewolf fragend an.
Hasard zuckte mit den Schultern und griff selber nach seinem Spektiv. Wortlos sah er hindurch, dann nickte er.
„Da liegt tatsächlich jemand. Und Bewegungen glaube ich auch erkennen zu können.“
Old Donegal, der alles mitangehört hatte, zog die Stirn in Falten.
„Sir“, sagte er ahnungsvoll, „du wirst doch wohl nicht …?“
„Es wird uns nichts anderes übrigbleiben, Donegal“, antwortete der Seewolf, „das gebietet uns schon die Christenpflicht. Wer immer das auch sein mag, der halbtot dort drüben liegt – er braucht unsere Hilfe!“
„Aber Sir!“ begehrte Old O’Flynn auf. „Du weißt so gut wie ich, daß das ein Trick sein kann. Es wäre nicht das erste Mal, daß man uns mit List und Tücke an einen Strand lockt, um dann über uns herzufallen.“
„Ich weiß, Donegal“, sagte Hasard. „Man hat unsere Hilfsbereitschaft schon oft genug auszunutzen versucht, aber dennoch können wir es nicht verantworten, einen Menschen, der wirklich Hilfe braucht, einfach liegen zu lassen – das geht gegen unsere Prinzipien. Außerdem: Wer soll uns zu dieser Zeit schon am Strand auflauern wollen? Es kann ja niemand gewußt haben, daß uns der Sturm hierher verschlägt. Und zu sehen ist auch niemand.“
Old O’Flynn zeigte ein mißtrauisches Gesicht und fuhr sich durch die Bartstoppeln.
„Ich weiß nicht recht“, murmelte er. „Da könnten beispielsweise Polen hinter den Sanddünen auf der Lauer liegen. Es wäre ja immerhin möglich, daß sie jetzt ihr Glück an Land versuchen, nachdem wir ihnen auf See kräftig die Hucke vollgegeben haben.“
„Diesmal irrst du dich bestimmt“, erwiderte Hasard. „Die Polen konnten nun wirklich nicht wissen, daß wir hier auftauchen. Und wenn die Gestalt dort drüben ein Lockvogel wäre, würde sie sich wesentlich auffälliger benehmen. Es war ohnehin schon reiner Zufall, daß Gary sie überhaupt bemerkt hat.“
Der Alte wiegte zweifelnd den Kopf hin und her.
Da verzog Edwin Carberry das zernarbte Gesicht zu einem freundlichen Lächeln, das freilich nur Eingeweihte als solches zu erkennen vermochten.
„Soll ich dir einen Hocker bringen, Mister O’Flynn, was, wie? Oder vielleicht ein leeres Wasserfaß?“
Old Donegal sah ihn verständnislos an.
„Was, zum Teufel, soll ich damit?“
„Wenn du da draufsteigst“, fuhr der Profos fort, „kannst du besser hinter die Kimm schauen – zumindest aber hinter die Sanddünen! Und wenn du dich dabei noch anstrengst, kannst du den Rübenschweinen, die dort lauern, auf die Köpfe spucken.“
Der alte O’Flynn stieß ein verärgertes Knurren aus.
„Solche Spinnereien sehen dir wieder ähnlich, du quergestreifter Kinderschreck! Aber wenn die Kerle erst einmal über dich herfallen und dir …“
„Laßt es gut sein“, mischte sich Hasard in die sich anbahnende hitzige Diskussion. „Wir wollen den Teufel lieber nicht an die Wand malen und die Zeit mit geistreichen Debatten verbringen, während dort vielleicht ein Mensch hilflos zugrunde geht. Gebt Arne einige Signale – dann wird die kleine Jolle ausgesetzt! Das Kommando übernehme ich. Batuti, Nils, Jan und Ed, ihr begleitet mich. Außerdem soll der Kutscher mit dabeisein, er kann den Zustand des Mannes am besten beurteilen.“
Das war eine klare Entscheidung, und niemand lehnte sich dagegen auf, zumal außer Old Donegal sowieso alle einer Meinung mit Hasard waren, zumindest, was die einsame Gestalt dort drüben am Strand der sogenannten Bernsteinküste betraf.
Die Befehle des Seewolfs wurden sofort weitergegeben. Beide Galeonen geiten die Segel auf und warfen Anker. Kurze Zeit später hielt die kleine Jolle der „Isabella“ bereits auf den Strand zu.
Auf der „Isabella“ hatte Ben Brighton das Kommando übernommen. Er würde den Männern – falls sich die düsteren Ahnungen des alten O’Flynn wider Erwarten bewahrheiten sollten – entsprechenden Feuerschutz geben.
Auch auf der „Wappen von Kolberg“ hatte man aufgrund der Signale die Gestalt bemerkt, die sich erfolglos bemühte, aufzustehen. Arne von Manteuffel ließ ebenfalls ein Boot abfieren und zum Strand hinüberpullen.
Bald konnten die Seewölfe die Gestalt als einen Mann in zerschlissener Kleidung identifizieren. Sie waren höchstens noch eine Kabellänge vom Strand entfernt.
„Er rührt sich nicht mehr“, sagte Hasard, der den Kieker ans Auge gesetzt hatte. „Wahrscheinlich ist er wieder ohnmächtig geworden. Kopf und Kleidung sind blutverschmiert.“
Wenig später gingen die Seewölfe an Land. Der Kutscher ging sofort daran, den besinnungslosen Mann zu untersuchen.
„Er hat eine schlimme Schädelverletzung“, stellte er fest. „Ein Wunder, daß der überhaupt noch am Leben ist. Es muß sich um einen außerordentlich zähen Burschen handeln.“
„Ist es eine Schußverletzung?“ fragte Hasard.
Der Kutscher schüttelte den Kopf.
„Danach sieht es nicht aus. Ich vermute eher, daß man ihn mit einem schweren Schlaginstrument bearbeitet hat. Er muß viel Blut verloren haben. Hier kann ich kaum etwas für ihn tun. Wenn er am Leben bleiben soll, müßten wir ihn schon mit an Bord nehmen.“
„Das geht in Ordnung“, sagte Hasard. „Wir können ihn ja hier nicht liegen lassen.“ Gleichzeitig bückte er sich und hob ein faustgroßes, abgeschliffenes Stück Bernstein auf. Nachdenklich betrachtete er den wertvollen Fund, der zudem noch zahlreiche Insekteneinschlüsse aufwies.
„Hat man ihn damit niedergeschlagen?“ fragte Nils Larsen.
„Mit Sicherheit nicht“, erwiderte Hasard. „Sonst würde man zumindest Blutspuren an dem Stein finden. Ich vermute eher, daß dieses Stück während des Kampfes, der hier ohne Zweifel stattgefunden hat, verlorenging. Wie der Sand hier umgewühlt ist, muß sich einiges getan haben.“
Nun traf Batuti, der den Strand ein Stück abgegangen war, wieder bei der kleinen Gruppe ein.
„Es gibt Spuren“, berichtete er. „Ein Mann muß eine ziemlich weite Strecke den Strand entlanggegangen sein. Zwischendurch ist er immer wieder stehengeblieben, besonders bei den Tanginseln. Dort ist nämlich gewühlt worden, das hat Batuti deutlich gesehen.“
„Vielleicht hat er nach Bernstein gesucht“, sagte der Kutscher. „Das soll ja mit dem Tang an Land treiben.“
„Das ist möglich“, sagte Hasard. „Und er hat zumindest diesen einen Brokken hier gefunden.“
„Batuti sieht noch weitere Spuren“, fuhr der Gambia-Mann fort. Dabei deutete er auf Eindrücke, die sich bis zum Fundort des Schwerverletzten hinzogen. „Es müssen drei andere Männer hiergewesen sein. Einer näherte sich aus Norden, einer aus Osten und einer aus Süden. Aber alle drei müssen sich nach Osten entfernt haben, und zwar gemeinsam. Vorher aber ist hier gekämpft worden.“
Hasard war der Meinung, daß Batuti die Vorgänge ziemlich klar umrissen hatte. Schließlich war der schwarze Herkules ein hervorragender Spurenleser.
„Damit steht zumindest fest“, sagte der Seewolf, „daß man diesen Mann hier überfallen und zusammengeschlagen hat.“
Arne von Manteuffel und vier seiner Männer sprangen in das seichte Wasser und zogen ihr Boot auf den Sand. Mit raschen Schritten näherten sie sich der kleinen Seewölfe-Crew.
Arne machte eine entschuldigende Geste.
„Gut, daß ihr den armen Teufel bemerkt habt“, sagte er. „Unser Ausguck hat ihn nicht gesehen.“
„Bei uns wurde er auch nur durch Zufall entdeckt“, erwiderte Hasard. „Wir werden ihn mit an Bord nehmen, damit ihn der Kutscher richtig verarzten kann.“
„Demnach lebt er noch“, sagte der große, breitschultrige Deutsche, der dem Seewolf bis auf die Haarfarbe so ähnlich war. Er trat näher und ging in die Hocke, um sich den Verletzten etwas genauer anzusehen.
Kaum hatten seine Blicke die ärmlich gekleidete Gestalt mit dem blutverkrusteten Gesicht gestreift, fuhr er wieder hoch.
„Das gibt es doch nicht!“ stieß er hervor. „So viele Zufälle auf einem Haufen kann es doch gar nicht geben!“
Hasard und die übrigen Männer sahen ihn verwundert an.
„Kennst du den Mann etwa?“ fragte der Seewolf.
Arne fuhr sich mit der Hand durch die blonde Haarmähne.
„Ja und nein“, erwiderte er. „Ich kenne zwar seinen Namen nicht, aber ich habe ihn vor etwa einem Jahr in Pillau gesehen, und zwar bei einem Bernsteinhändler, der die Steine auch drechselt und schleift. Der Händler sagte mir damals im Vertrauen, dieser Mann wäre einer seiner besten Zulieferer. Sonst aber würde er sein Dasein als Fischer in Palmnicken fristen.“
„Das ist ja interessant!“ entfuhr es Hasard. „Dann liegen wir mit unseren bisherigen Vermutungen und Feststellungen gar nicht so verkehrt.“ Mit wenigen Worten schilderte er Arne die verschiedenen Fußspuren, die Batuti ausgewertet hatte, und erläuterte ihm die Schlußfolgerungen, die sich daraus ergaben.
„Das paßt alles genau zusammen“, meinte Arne von Manteuffel. „Der Sturm der vergangenen Nacht hat viel Tang hier angeschwemmt und damit auch Bernstein. Aus diesem Grund wohl war der Fischer hier unterwegs gewesen. Man hat ihn überfallen, halbtot geschlagen und ihm den gesammelten Bernstein geraubt, denn außer dem einen Stück, das man wahrscheinlich übersehen hat, ist ja nichts da.“
Hasard nickte.
„Die Räuber müssen ihn für tot gehalten haben, und das war sein Glück – je nachdem, wie man das sieht. Wie stehen seine Chancen, Kutscher?“
„Die Verletzungen sind ernst, aber nicht hoffnungslos“, antwortete der Feldscher der „Isabella“. „Ich nehme an, daß ich ihn durchkriege, aber versprechen kann ich das natürlich nicht.“
Hasard und Arne beschlossen, vorerst noch vor Anker zu bleiben und abzuwarten, was der Mann zu berichten hatte, wenn er ins Bewußtsein zurückkehrte. Dann würde man weitersehen.
Zunächst aber brachte man den Schwerverletzten vorsichtig in die Jolle der Seewölfe und bettete ihn zwischen die Duchten. Dann wurde das Boot eilig zurückgepullt.
6.
Old O’Flynn zog ein griesgrämiges Gesicht, als die Jollen-Crew an Bord zurückkehrte und den Verletzten in den Krankenraum transportierte.
„Dir paßt es wohl nicht, daß keine Rübenschweine hinter den Sanddünen gelauert haben, was, wie?“ fragte der Profos. „Es wäre dir wohl lieber gewesen, wenn uns irgendwelche Kerle ins Genick gesprungen wären. Dann könntest du wenigstens sagen: ‚Ich, Mister Donegal Daniel O’Flynn, habe es ja gleich gewußt, aber ihr Hurenböcke habt ja nicht auf mich gehört!‘ Gib’s doch zu, Donegal, ich kenne dich!“
„Ha!“ sagte der Alte verbiestert. „Du und mich kennen, daß ich nicht lache! Und bilde dir nur nicht ein, daß ich mich geirrt habe! Auch wenn bis jetzt noch nichts geschehen ist – es ist noch lange nicht aller Tage Abend. Das dicke Ende folgt schon noch, darauf kannst du dich verlassen!“
„Juckt dich vielleicht das Holzbein?“ fragte Ed treuherzig.
„Heute nicht“, sagte Old Donegal beinahe würdevoll. „Aber ich werde dennoch das verdammte Gefühl nicht los, daß es in dieser Gegend Ärger gibt. Und zwar im Zusammenhang mit diesem – äh – mit diesem Fremden, den ihr an Bord gebracht habt.“
„Du bist heute wieder ein richtiger Schwarzmaler“, sagte der Profos. „Der arme Wicht, an dem sich jetzt der Kutscher und Mac Pellew austoben, wird uns bestimmt keinen Ärger bereiten. Der ist froh, wenn er dem Sensemann noch mal von der Schippe springen kann. Irgendwelche Rübenschweine haben ihm wegen der Klunkerchen, die angeblich mit dem Tang an den Strand gespült werden, was über den Scheitel gegeben.“
„Ja, ja“, sinnierte Old O’Flynn. „Die Gier nach Gold und Geld, nach Macht und Reichtum hat schon immer Ärger und Unglück gebracht. Darüber war ich mir schon damals auf der alten ‚Empress of Sea‘ im klaren, und ich kann dir nur sagen …“
„Schon gut, Donegal“, sagte der Profos. „Jetzt fang nur nicht wieder bei der Arche Noahs und der Sintflut an. Ich weiß schon, daß du damals als Erster Offizier auf der Arche gefahren bist. Und die Sintflut hat Noah nur überlebt, weil er auf dich gehört hat!“
„Witzbold!“ knurrte Old Donegal und marschierte beleidigt über die Kuhl. Bis zum Ablauf des Stundenglases war der Profos Luft für ihn, das stand jetzt schon fest. Aber spätestens dann würden sie wieder ein Herz und eine Seele sein und zusammenhalten wie Pech und Schwefel.
Zu allem Überfluß landete jetzt auch noch Sir John auf dem Handlauf des Schanzkleides.
„Ziegenkäse, Hafenratten, Töpfegucker!“ krakeelte er zusammenhanglos.
Der alte O’Flynn drehte sich um und warf dem Papagei einen wütenden Blick zu.
„Jetzt fang du nur auch noch an, du Mistvieh!“ rief er. „Aber bei einem solchen Holzkopf von einem Herrchen kann man ja nichts anderes erwarten, nicht wahr?“
Wieder war es Gary Andrews, der hagere Fockmastgast, der die Männer auf den Decks auf eine merkwürdige Begebenheit hinwies.
„Am Strand tauchen eine Menge Leute auf!“ rief er. „Alle aus südlicher Richtung!“
Gleich darauf sahen auch die übrigen Seewölfe jene seltsame Prozession, die sich dicht am Wasser entlangbewegte. Bei dem, was sich in der nächsten Zeit ihren Augen darbot, kamen sie aus dem Kopfschütteln nicht mehr heraus.
Die morgendlichen Dunstschwaden hatten sich verzogen, die Sonnenstrahlen ließen die kabbeligen Küstengewässer silbrig aufglänzen. Der Wind wehte noch immer aus Westen und ließ die beiden Galeonen an den Ankertrossen schwojen. Alles in allem bot dieser Morgen an der samländischen Bernsteinküste ein Bild des Friedens.
Dieser Eindruck wurde jedoch durch das, was am Strand geschah, jäh zerstört.
Eine Schar von Menschen zog langsam durch den weichen Sand, und zwar so, als müßte sie Tausende von Erbsen aufsammeln, die jemand in der Nacht ausgestreut hatte. Wie die Seewölfe rasch feststellten, befanden sich auch Frauen und Kinder bei jener morgendlichen Prozession. Und sie brauchten natürlich nicht lange herumzurätseln, um zu wissen, was dort geschah.
Die Menschen sammelten Bernstein, besser gesagt, sie mußten Bernstein sammeln, denn die ärmlich gekleideten Männer, Frauen und Kinder waren nicht allein, sondern wurden von einer doppelten Anzahl Uniformierter umgeben, die, wie deutlich zu erkennen war, sogar Peitschen schwangen. Von ihren Pferden aus hielten sie die Menge auf Trab.
Das Bernsteinsammeln erfolgte demnach unter Zwang und Bewachung, und der Erlös floß logischerweise nicht in die Taschen der armen Küstenbevölkerung, sondern in die Kassen jener Leute, die niemals kennengelernt hatten, was Hunger bedeutete.
„Das dürften schätzungsweise fünfundzwanzig Leute sein“, sagte Hasard. „Hinzu kommen ungefähr sechzig Soldaten. Das ist nicht zu fassen!“
Edwin Carberry warf dem alten O’Flynn einen verstohlenen Blick zu, doch der hob würdevoll die Nase, als müsse er mit ihr die Windrichtung feststellen.
„Die Leute sind ja wirklich beschissen dran“, meinte der Profos dann. „Dabei könnten diese Rübenschweine von Soldaten doppelt soviel Arbeit leisten als diese Schar zerlumpter Gestalten, wenn sie sich nur erst von ihren verlausten Ziegenbökken schwingen würden. Aber das haben diese im Suff gezeugten Hurensöhne natürlich nicht nötig. Das Schwingen der Peitschen ist da viel bequemer.“ Zu Hasard gewandt, fuhr er fort: „Sir, ich kann mir nicht helfen, aber wenn ich das sehe, da kribbelt es mir so merkwürdig in den Händen.“
Hasard zuckte mit den Schultern.
„Zu deiner Beruhigung, Ed, bei mir kribbelt es da auch, aber daran ist meines Wissens noch niemand gestorben. Das legt sich auch wieder.“
„Bei mir aber nicht, Sir“, sagte Carberry. „Ich brauche da meistens ein bißchen Bewegung, um dieses elende Gefühl wieder loszukriegen. Ob das eine Krankheit ist, was, wie?“
„Wie man’s nimmt, Ed“, entgegnete Hasard hinterhältig. „Die stinkende, schwarze Salbe, die der Kutscher zubereitet hat, soll dagegen schon geholfen haben. Man muß nur beide Hände bis an die Ellbogen hineinstecken.“
„Gott bewahre mich!“ entfuhr es dem Profos. „Von dieser Stinkschmiere dampft mir jetzt noch die Nase, wenn ich nur an die Zeit in der Krankenkammer zurückdenke. Du wirst mich doch nicht dem Kutscher ausliefern wollen, was, wie?“
„Das hängt ganz davon ab, wie lange das Kribbeln anhält, Ed. Aber vielleicht finden wir auch noch eine andere Möglichkeit, es wieder loszuwerden.“
Edwin Carberry atmete auf.
„Ganz bestimmt, Sir, davon bin ich überzeugt!“ Er rieb sich unternehmungslustig die riesigen Pranken.
Der Seewolf hatte durchaus Verständnis dafür, daß seinen Männern die Wut hochstieg, wenn sie das brutale, menschenunwürdige Treiben am Strand beobachteten. Schließlich empfand er das auch nicht anders. Aber sie konnten deshalb nicht einfach die Kanonen ausrennen und einige Kugeln in die Menge donnern. Das würde mit Sicherheit unschuldige Menschen, Frauen und Kinder erwischen. Also mußte zunächst die weitere Entwicklung der Dinge abgewartet werden. Zum Glück wurde ja niemand umgebracht, sondern man trieb die Menschenmenge lediglich zur Arbeit an. Zur Zwangsarbeit, versteht sich.
Von der „Wappen von Kolberg“ löste sich ein Boot, Arne von Manteuffel ließ sich zur „Isabella“ übersetzen. Offenbar hatte auch er angesichts dieser Machenschaften das Bedürfnis, sich mit seinem Vetter zu besprechen.
Kurze Zeit später enterte er an Bord und eilte zum Achterdeck. Sein Gesicht wirkte kantig vor Wut.
„Mir juckt es gewaltig in den Fingern“, sagte er und Nils übersetzte.
„So was Ähnliches habe ich heute schon mal gehört“, erwiderte Hasard und warf einen vielsagenden Blick auf seinen Profos.
Dieser nickte eifrig.
„Siehst du, Sir“, sagte er, „diese Krankheit ist sogar ansteckend!“
Arne deutete zum Strand hinüber.
„Das sind polnische Soldaten“, erklärte er, „und der Bernstein, der dort gefunden wird, wandert in die Schatzkammer der polnischen Krone. Die armen Küstenbewohner kriegen nicht den geringsten Lohn für das Einsammeln, sondern werden mit Fußtritten, Peitschenhieben und Knüffen abgespeist.“
Damit übertrieb Arne von Manteuffel nicht, denn auch die Seewölfe beobachteten, wie die Frauen sogar ins Wasser waten mußten, um die noch schwimmenden Tanginseln mit langen Haken an Land zu ziehen. Der Strand wurde regelrecht abgegrast. Bei den Bewachern handelte es sich offensichtlich um brutale, verrohte Kerle, denen es eine sadistische Freude bereitete, Gewalt auszuüben und die ihnen hilflos ausgelieferten Leute zu schikanieren.
Zwei Offiziere ritten lässig hinter dem Haufen her. Ihre Aufgabe war es, darüber zu wachen, daß keiner der armen Menschen heimlich ein Stück Bernstein verschwinden ließ. Die Funde wanderten fein säuberlich in Ledersäcke, mit denen Lastpferde behangen waren.
„Das Bild ist typisch“, knurrte Arne. „Was ihr hier seht, ist ein Teil des sogenannten Bernsteinregals, das der polnische König Sigismund III. für sich beansprucht.“
„Ich verstehe das nicht ganz“, sagte Hasard. „Dieses Land ist doch nicht polnisch, was haben also die Polen hier zu suchen?“
Arne lächelte erbittert.
„Deine Frage ist berechtigt“, erwiderte er. „Doch es gibt da einige Zusammenhänge und Hintergründe, die uns das Treiben dort drüben zumindest in politischer Hinsicht erklären. Das Herzogtum Preußen, zu dem auch das Samland gehört, ist ein Lehen der polnischen Krone an die Herzöge von Preußen. Demnach hat Sigismund III. das Sagen, und wenn er das Bernsteinregal für sich beansprucht, dann hat der Markgraf Georg Friedrich von Brandenburg, der das Herzogtum zur Zeit anstelle seines blödsinnig gewordenen Vetters Albrecht Friedrich von Preußen regiert, nichts dagegen zu vermelden. Würde er gegen diese Machenschaften aufmucken, könnte er schnell das Lehen verlieren. Und das wird er wegen des Bernsteins wohl kaum riskieren wollen.“
„So ist es überall“, sagte Hasard. „Wer die Macht hat, kann die Puppen tanzen lassen!“
Arne nickte. Die Wut in seinem Gesicht war unverkennbar. Er hatte beide Hände zur Fäusten geballt.
„Am liebsten würde ich das Soldatenpack in Grund und Boden schießen!“ stieß er hervor. „Aber leider geht das nicht, wenn wir die Samländer nicht in Gefahr bringen wollen.“
Die beiden Galeonen, die in Strandnähe vor Anker lagen, waren natürlich längst von den polnischen Soldaten gesichtet worden. Nur konnte sich offenbar noch niemand einen Reim darauf bilden, was die fremden Schiffe hier wollten. Waren die Besatzungen vielleicht auch hinter dem kostbaren Bernstein her? Was anderes gab es hier schließlich nicht zu holen.
Einer der beiden Offiziere jagte nach kurzer Besprechung voraus. Er schien es plötzlich sehr eilig zu haben, denn er dachte nicht daran, seine Richtung zu ändern, als es ein älterer Mann nicht mehr schaffte, ihm rechtzeitig auszuweichen. Er ritt ihn einfach über den Haufen und zügelte sein Pferd erst in der Nähe jener Stelle, wo die Seewölfe den schwerverletzten Mann gefunden hatten.
Der Offizier dirigierte sein Pferd sogar noch einige Schritte ins seichte Wasser, dann stellte er sich in die Steigbügel.
„Was wollt ihr hier?“ brüllte er zu den beiden Galeonen hinüber. „Seht zu, daß ihr verschwindet, und das ein bißchen plötzlich!“
Ein richtiger Schreihals war das – aufgeblasen, wichtigtuerisch und arrogant.
Die Seewölfe spuckten ob des lächerlichen Reiterleins verächtlich ins Wasser.
„Dieser Eierkopf bildet sich wohl ein, daß wir vor lauter Angst über Bord springen und davonschwimmen, was, wie?“ sagte Carberry. „Der soll lieber aufpassen, daß niemand von uns husten muß, sonst wird er von seinem verlausten Ziegenbock geblasen!“
„Eine Flaschenbombe sollte man diesem Kerl vor die Füße werfen“, meinte Ferris Tucker. „Nur so zum Erschrecken!“
Edwin Carberry grinste.
„Dem geht doch der Schreck glatt in die Hose“, sagte er sachkundig. „Dann stinkt sein alter Ackergaul noch mehr!“
Bis jetzt hatte sich niemand bequemt, dem gespreizten Gockel von einem Offizier eine offizielle Antwort zu geben. Das schien ihn erst richtig in Fahrt zu bringen.
„Wollt ihr endlich eure verdammten Mäuler aufreißen?“ brüllte er. „Ich habe euch gefragt, was ihr hier zu suchen habt!“
Nun ergriff Arne von Manteuffel, der die polnische Sprache beherrschte, das Wort.
„Warum so neugierig, Freund?“ brüllte er zurück. „Wir haben hier nur geankert, weil der Kapitän dieses Schiffes den plötzlichen Drang verspürte, an dieser wunderschönen Küste Eier zu legen!“
Infernalisches Gelächter donnerte über das Wasser. Die Seewölfe hieben sich auf die Schenkel, und Arnes Männer auf der „Wappen von Kolberg“ hingen lachend am Schanzkleid.
Der polnische Offizier fiel vor Wut fast vom Pferd, als er merkte, daß er verulkt wurde. Das Tier begann zu tänzeln, bis das Wasser an seine Stiefel hochspritzte. Der arrogante Kerl stieß einige Flüche aus, schwang drohend eine Faust und gab dann seinem Pferd die Hacken.
Er jagte südwärts – vorbei an dem jämmerlichen Haufen, aus dessen Reihen trotz der Peitschenhiebe einiger Soldaten ebenfalls Gelächter drang. Nicht einmal bei seinem Offizierskollegen zügelte er sein Pferd. Die Wut über die schmachvolle Abfuhr, die man ihm erteilt hatte, ließ ihn wie ein Wilder davonpreschen.
„Das wird noch ein Nachspiel haben“, sagte Hasard. „Aber bitte sehr – wir sind darauf eingerichtet, unseren Standpunkt zu vertreten!“