Kitabı oku: «Seewölfe Paket 19», sayfa 16
„Lüge!“ tönte eine Stimme von weit hinten.
„Der Seewolf ist kein Unterdrücker!“ ließ sich ein anderer vernehmen.
„Vor allem ist er kein englischer Bastard!“
Diesmal waren es Diegos Helfer, die die Zwischenrufe von sich gaben. Besonders die letztere Bemerkung brachte ihnen den Beifall der Siedler aus El Triunfo ein.
„Ihr seid auf dem falschen Weg!“ Die Black Queen schleuderte ihre Worte mit überkippender Stimme in die Menge.
Doch nichts als empörtes, heiseres Gebrüll schlug ihr als Antwort entgegen.
Wieder war es Willem Tomdijk, der mit einer einzigen Handbewegung für Ruhe sorgte, nachdem er die ganze Zeit geduldig zugehört hatte.
„Freunde, ich denke, es wurde genug geredet. Laßt uns jetzt abstimmen. Oder hat jemand etwas dagegen einzuwenden?“
Stille.
„Also gut“, fuhr Willem fort. Er nickte zufrieden, und die Hautfalten seines Gesichts wogten auf und ab. „Ich glaube, eure und meine Meinung ist ziemlich klar. Wir sollten uns aus allen Auseinandersetzungen heraushalten. Ist einer von euch dagegen?“
Keine Hand erhob sich. Keine Stimme wurde laut. Auch aus den Nebengelassen der Kneipe war kein Laut zu hören, obwohl Willem lange genug wartete, bis er sicher war, daß seine Frage auch dorthin durchgedrungen war.
„Wenn ihr es so haben wollt“, sagte die Black Queen in die Stille, „dann müßt ihr euch auch über die Folgen im klaren sein. Wer nicht auf meiner Seite steht, kann auch nicht mehr mit meinem Schutz rechnen.“
„Wir wollen auf keiner Seite stehen“, sagte Willem Tomdijk, „wir wollen nur unsere Ruhe und unseren Frieden.“
Von neuem brüllten die Männer Beifall.
Die Black Queen wechselte einen Blick mit Caligula, und er nickte ihr zu. Ohne Tomdijk noch eines Blickes zu würdigen, standen sie auf und bahnten sich einen Weg durch die Menge. Das Beifallsgebrüll für den Ex-Bürgermeister begleitete sie.
Draußen klang es noch in ihren Ohren, als sie die „Schildkröte“ längst hinter sich gelassen hatten.
Schweigend nahmen sie den Weg zur Hafenbucht. Das Ergebnis dieser feinen Bürgerversammlung war niederschmetternd für die künftige „Herrscherin der Karibik“. Nur noch ein harter Kern stand jetzt praktisch auf ihrer Seite, nämlich Jaime Cerrana und seine Meuterer auf der „Aguila“, die Besatzungen der beiden Beutegaleonen und natürlich die Crew der „Caribian Queen“.
Eine direkte Auseinandersetzung mit denen, die sich für Tomdijks Kurs entschieden hatten, konnte sie sich nicht leisten. Darüber gab sich die Black Queen keinen Illusionen hin. Denn jeden Moment konnte die neuerliche Gefahr durch einen Angriff der Flotte von der Schlangen-Insel über sie hereinbrechen. Dieser Gefahr mußte zunächst ihre ganze Aufmerksamkeit gelten.
Erst wenn der Sieg über den verfluchten Seewolf errungen war, konnte man sich wieder den eigenen Problemen zuwenden. Eines schwor sich die Queen in diesem Augenblick: Tortuga, das sie schon so fest in ihrer Hand geglaubt hatte, würde ihr gehören. Jetzt erst recht. Die elenden aufsässigen Kerle würden lernen müssen, was es bedeutete, gegen ihre Entscheidungen anzugehen.
Dieses idiotische Gefasel von Frieden und freiheitlichem Leben mußte aufhören, ein für allemal.
6.
Die Wetterbedingungen entwickelten sich günstiger als erwartet. Lange vor Einbruch der Dunkelheit war eine dünne Wolkendecke von Nordwesten heraufgezogen, und diese Entwicklung hielt auch in den darauffolgenden Abendstunden an. Nur noch vereinzelt gab es Risse in der Wolkendecke, doch das blasse Licht, das Mond und Sterne dann herunterschickten, erreichte die Wasseroberfläche nicht, weil es von neuen Wolken verdeckt wurde.
Eine knappe Stunde vor Mitternacht war der Punkt erreicht, den der Seewolf durch seine Navigation bestimmt hatte. Die fünf Schiffe seines Verbandes waren bis jetzt mit Vollzeug von Norden her auf Tortuga zugesegelt. Obwohl sie sich noch außer Sichtweite befanden, waren längst alle Lampen auf den Decks gelöscht worden.
Die Dunkelheit der Nacht verschluckte den Verband von der Schlangen-Insel. Es hätte keine bessere Tarnung geben können. Es war wie ein vorgehängtes schwarzes Tuch, hinter dem sich die fünf Galeonen verbargen.
Hasard gab das vereinbarte Zeichen.
Auf dem Schwarzen Segler, der „Wappen von Kolberg“ und der „Le Vengeur III.“ wurden die Segel aufgegeit und Treibanker ausgebracht.
Die „Isabella“ und die „Tortuga“ behielten den ursprünglichen Kurs bei, allerdings mit verringerter Segelfläche. Nicht mehr als düstere Schatten waren die beiden schlanken Galeonen, die jetzt auf die rauhe Nordseite der Insel zuglitten.
Noch war Tortuga nicht in Sicht. Doch nach Hasards Berechnungen betrug die Distanz bestenfalls noch zwei Seemeilen. Was für die Schiffe galt, traf auch auf die Insel zu. Die Dunkelheit der Nacht verschluckte alles.
Alle Einzelheiten des Planes waren besprochen worden. Für keinen der Männer von der Schlangen-Insel gab es Ungewißheiten über das, was sich abspielen würde. Jeder einzelne wußte, für was er zu kämpfen hatte. Alle zusammen waren sie eine verschworene Gemeinschaft, die nur das eine Ziel vor Augen hatte – die Gefahr abzuwenden, die ihrem freiheitlichen Leben auf der Schlangen-Insel drohte.
In diesem unabänderlichen Willen, der ihren Kampfgeist beseelte, unterschieden sie sich sehr deutlich von der Moral, wie sie etwa auf spanischen Kriegsgaleonen anzutreffen war. Dort wurde das Geschehen nur von Befehl und Gehorsam bestimmt. Entsprechend gering war oftmals die Motivation der Decksmannschaften und Seesoldaten, die von ihren Offizieren in einen Kampf geschickt wurden, dessen Sinn sie nicht verstanden.
Hasard und Ben Brighton beobachteten vom Achterdeck der „Isabella“ aus die „Tortuga“, die um eine Kabellänge versetzt Steuerbord achteraus segelte.
Zwar war in der Dunkelheit nichts zu erkennen, doch die beiden Männer wußten, daß an Bord der kleineren Galeone bereits die Vorbereitungen für den Sondereinsatz getroffen wurden. Kein Laut wehte herüber. Alle Gespräche wurden im Flüsterton geführt, bei jedem Handschlag achteten die Männer darauf, so wenig Geräusche wie nur möglich zu verursachen.
Das galt auch für die Crew der „Isabella“. Selbst Edwin Carberry hatte sich mittlerweile daran gewöhnt, seine „Affenärsche“ nur noch mit gedämpfter Stimmgewalt über die Decks zu scheuchen.
Das „Viehzeug“ war unter Deck eingesperrt worden. In diesem Punkt hatte sich der Profos diesmal ohne Widerspruch durchgesetzt. Plymmie, die Bordhündin, befand sich für die Dauer des Angriffs auf Tortuga ebenso auf Nummer Sicher wie Arwenack, der Schimpanse, und Sir John, der Papagei.
Auf dem Hauptdeck der „Isabella“ hasteten die Männer auf leisen Sohlen hin und her, doch das Durcheinander war nur scheinbar. Die von Hasard angeordnete Gefechtsbereitschaft wurde mit der gewohnten Schnelligkeit hergestellt.
Auch die beiden Söhne des Seewolfs halfen dabei in der üblichen Manier mit, indem sie Sand auf den Planken ausstreuten und die Kohlebecken zum Zünden der Lunten vorbereiteten. Jeder Handgriff war tausendfach geübt, selbst mit geschlossenen Augen hätten die Männer ihre Arbeit bewältigt.
„Ich glaube“, sagte Ben Brighton leise, „Jerry Reeves ist dankbar, endlich einmal einen besonderen Auftrag zu haben.“
Hasard blickte wieder zur „Tortuga“ hinüber und brummte zustimmend. Das Schwesterschiff der „Le Vengeur III.“ segelte mit einer zusammengewürfelten Crew, die sich aber bereits bestens aufeinander eingespielt hatte. Neben Jerry Reeves und seinen Männern befanden sich an Bord zahlreiche Mitglieder aus Siri-Tongs Crew.
„Jerry war auf der Schlangen-Insel zu lange untätig“, antwortete der Seewolf, „er ist nicht der Mann, der die Hände in den Schoß legen kann. Außerdem dürften er und seine Leute für den Einsatz genau die Richtigen sein.“
Daran gab es keinen Zweifel. Selbst Ben Brighton, der sonst in seiner vorsichtigen Nachdenklichkeit manchmal fast pessimistisch wirkte, stimmte diesmal der gemeinsam getroffenen Entscheidung ohne Einschränkung zu.
Jerry Reeves und seine Freunde hatten bei etlichen Gelegenheiten bewiesen, daß man sich absolut auf sie verlassen konnte. Das war damals gewesen, als sie sich im Teufelskreis der Geschehnisse in der Bretagne kennengelernt hatten.
Ein halblauter Ruf aus dem Großmars riß die Männer aus ihrer Gedankenstille.
„Deck! Lichter Steuerbord voraus!“
„Verstanden!“ antwortete der Erste Offizier der „Isabella“ mit unterdrückter Stimme. Dann griff Ben zum Kieker und folgte damit dem Beispiel Hasards, der das Spektiv bereits angesetzt hatte.
Es dauerte eine Weile, bis sie in der Dunkelheit die schwachen Lichtpunkte geortet hatten. Bill, der den Dienst des Ausgucks versah, bewies wieder einmal, daß die Schärfe seiner Augen ausgezeichnet war.
Sehr rasch erkannten der Seewolf und sein Erster Offizier, daß es sich um die Deckslaternen eines größeren Schiffes handelte. Minuten später gab es bereits endgültige Klarheit.
„Eine dreimastige Galeone“, sagte Hasard, „und sie segelt auf Kollisionskurs.“
„Wahrscheinlich, ohne es zu wissen“, entgegnete Ben, „sonst hätten sie ihre Lampen gelöscht.“
Ein hartes Lächeln kerbte sich in die Mundwinkel des Seewolfs.
„Dann lassen wir sie nicht länger im Ungewissen, Ben. Servieren wir ihnen eine handfeste nächtliche Überraschung.“
„Aye, aye, Sir“, erwiderte der Erste, und seine Augen blitzten im Dunkel.
Ohne Umschweife verstaute Ben Brighton sein Spektiv und griff nach der verhüllten Öllampe, die auf den Planken des Achterdecks bereitstand. Er hob die Lampe und löste die Segeltuchummantelung nur so weit, daß der Lichtschein nach achteraus fiel – dreimal kurz hintereinander.
Auch dieses Zeichen war vereinbart worden. Der Seewolf und seine Gefährten hatten von vornherein die Möglichkeit einkalkuliert, daß ihnen beim Kurs auf Tortuga ein fremdes Schiff in die Quere geraten könnte.
Während Ben Brighton die erforderlichen Kommandos gab, konzentrierte Hasard sich darauf, die unbekannte Galeone zu beobachten. Auf den Decks der „Isabella“ hasteten die Männer an die Brassen. Pete Ballie, der als Gefechtsrudergänger schon bei Beginn der Mission seinen angestammten Platz eingenommen hatte, bewegte das Steuerruder unter seinen ankerklüsengroßen Fäusten.
Mit Eleganz schwenkte das Heck der „Isabella“ durch den Wind. Innerhalb von Sekunden wechselte die ranke Galeone den Kurs und segelte nun über Backbordbug nach West-Süd-West, der fremden Galeone entgegen, um ihr den nötigen Willkommensgruß zu entbieten, wenn es sein mußte.
Daran, daß dieser Gruß aus Feuer und Eisen bestehen würde, zweifelte der Seewolf nicht. Er vermutete, daß es sich bei der Galeone um eins der Schiffe der Black Queen handelte. So nah vor der Küste von Tortuga konnte es sich nur um eine Patrouillenfahrt handeln.
Mit einem kurzen Blick nach achtern überzeugte sich Hasard, daß die „Tortuga“ ihren ursprünglichen Kurs beibehielt. Die Umrisse von Jerry Reeves’ Schiff verschmolzen bereits mit der Dunkelheit.
Die Besatzung der fremden Galeone indessen schien von ihrem „Glück“ noch immer nichts zu ahnen. Die Lichtpunkte der Deckslaternen glitten unverändert zügig heran. Hasard schätzte die Entfernung auf mittlerweile weniger als eine Seemeile.
Mit schneller Fahrt näherte sich die „Isabella“ den offenbar Ahnungslosen – unaufhaltsam, wie von einem unsichtbaren Tau gezogen.
Ben Brighton verständigte sich mit dem Seewolf und schickte Al Conroy und seine Männer an die Steuerbordgeschütze. Sämtliche Rohre der Fünfundzwanzig-Pfünder und der Siebzehn-Pfünder waren bereits geladen. Die Geschützcrews verharrten in gespannter Aufmerksamkeit hinter der Verschanzung, bereit, die Luntenstöcke in die Glut der Kohlebecken zu stoßen und einen feurigen Teufelstanz zu entfachen.
In der Zwischenzeit verringerte die „Tortuga“ ihre Distanz in Richtung der felsigen Nordküste der Insel.
Im Grunde war den Arwenacks das Auftauchen des Patrouillenschiffes nicht einmal unwillkommen. Denn dadurch ergab sich die Gelegenheit, von dem Vorhaben abzulenken, das Jerry Reeves und seine Männer in wenigen Minuten in die Tat umzusetzen hatten.
Noch sechs oder sieben Kabellängen trennten die „Isabella“ von dem Dreimaster. Unvermittelt sah Hasard durch das Spektiv, wie es drüben im Schein der Deckslaternen lebendig wurde. Wuhling entstand. Der Schreck mußte der Crew in alle Knochen gefahren sein. Aber für eine erfolgversprechende Reaktion war es jetzt fast zu spät.
Auch Ben Brighton hatte wieder zum Spektiv gegriffen. Alle Vorkehrungen an Bord der „Isabella“ waren abgeschlossen. Bei raumem Wind über Backbordbug segelnd, stieß die Galeone des Seewolfs auf den noch unbekannten Dreimaster zu – bereit, sich innerhalb von Sekunden in eine feuerspeiende schwimmende Festung zu verwandeln.
„Den Burschen kennen wir doch!“ stieß Ben Brighton hervor. „Der Gehörnte soll mich holen, wenn das nicht eine von den Beutegaleonen der Black Queen ist.“
„Ich glaube, du hast recht“, erwiderte Hasard, „aber ich denke, wir werden es gleich ganz genau wissen.“
Er sollte sich nicht täuschen. Die Entfernung war auf fünf Kabellängen zusammengeschmolzen, als die Galeone eine Wende vollführte und bei halbem Wind Abstand zu gewinnen suchte. Dabei präsentierte sie ihre reichverzierte Heckpartie, im Schein der Hecklaterne war der Namenszug „Buena Estrella“ deutlich zu entziffern.
Doch es gab kein Entrinnen mehr. Der Konfrontation mit der „Isabella“ konnte sich die wesentlich behäbigere Galeone spanischer Bauart nicht mehr entziehen. Geradezu kläglich wirkte ihr Versuch, aus der Reichweite des Angreifers zu gelangen.
Al Conroys Geschützbediener entfachten die Luntenstöcke. Kleine Funken wirbelten knisternd aus den Kohlebecken auf und verloschen im nächsten Moment in der feucht-kühlen nächtlichen Seeluft. Die Männer verharrten wieder neben den Geschützrohren, ihre Muskeln waren angespannt. Sie fieberten dem Moment entgegen, in dem sich mit dem Donner der Geschütze auch ihre eigene Spannung entladen würde.
Die Distanz verringerte sich zusehends. Sekunden später war es soweit. Mit einem Abstand von nur zwei Kabellängen rauschte die „Isabella“ gleichauf mit der „Buena Estrella“. Deren Kapitän hatte den Fehler begangen, seinen Fluchtkurs beizubehalten. Offenbar hatte er bis zum letzten Moment geglaubt, der schlanken englischen Galeone davonlaufen zu können.
Die Arwenacks sahen die reichverzierte Heckgalerie noch immer schräg von achtern. Zu spät begriffen die Kerle drüben auf dem Dreimaster, daß ihre einzige Chance darin bestanden hätte, sich rechtzeitig zum Kampf zu stellen.
„Feuer frei!“ brüllte Ben Brighton.
Al Conroy peilte über das Rohr des vordersten Fünfundzwanzig-Pfünders. Dann gab der schwarzhaarige Stückmeister seinen Geschützmannschaften das Kommando. Wie auf einen Schlag senkten sich die Stöcke mit den glimmenden Lunten auf die Zündlöcher. Zischend und prasselnd fraßen sich die Funken durch die Zündkanäle der tonnenschweren Bronzerohre.
Ein urwelthaftes Brüllen zerriß die Stille. Mit leckenden Feuerzungen, die mitten aus der Hölle zu rasen schienen, donnerte die volle Breitseite der „Isabella“.
Behende sprangen die Männer zurück, ehe der mächtige Rückstoß die Geschützlafetten rumpelnd von den Stückpforten wegstieß, bis sie von den Brooktauen aufgefangen wurden.
Hart krängte die schlanke Galeone nach Backbord, die Planken vibrierten unter dem Stoß. Pulverrauch wölkte auf und verdeckte den Blick auf die Lichter der „Buena Estrella“.
Für Bruchteile von Sekunden war nur das Orgelgeräusch der Geschosse zu hören, dann das Krachen mehrerer Einschläge, Bersten und Splittern von Holz und das Rauschen von säulenartig aufsteigenden Fontänen. Ein paar der schweren Eisenkugeln war beiderseits der gegnerischen Galeone in die Wasseroberfläche geklatscht.
„Zwei Strich Backbord!“ brüllte Ben Brighton.
Pete Ballie reagierte prompt.
Im selben Augenblick setzte auf der Kuhl das Triumphgebrüll der Männer ein. Ihre Stimmen vereinten sich zum alten Kampfruf aus Cornwall, der dem Brüllen der Geschütze wie ein zweites Donnergrollen folgte.
„Ar – we – nack! Ar – we – nack!“
Im verfliegenden Pulverrauch sahen Hasard und Ben Brighton, was Al Conroys vortrefflich gezielte Breitseite angerichtet hatte.
Die Optiken der Spektive zeichneten ein Bild, das von rötlichem Schein erhellt war. Denn Flammen züngelten auf dem Achterdeck der „Buena Estrella“. Eine der Kugeln hatte die Heckbalustrade wegrasiert und die große Laterne quer über die Achterdecksplanken geschleudert.
Der Rudergänger harrte an seinem Platz aus. Schattenhaft huschende Männer versuchten verzweifelt, das brennende, ausgelaufene Öl zu löschen. Doch das Feuer fand rasche Nahrung, und erste Flammen leckten bereits am Besanmast.
Zwei weitere Treffer hatte die ehemals spanische Kriegsgaleone im Heckbereich empfangen. Ein Loch von der Größe eines Ankerspills klaffte dort, wo sich vermutlich die Kapitänskammer befand. Die Heckgalerie war nur noch ein Gewirr von faserigen Splittern. Auch der hübsch verschnörkelte Namenszug existierte nicht mehr.
Während die Männer auf der „Isabella“ die Geschütze nachluden, rauschte die „Tortuga“ von achteraus heran. George Baxter, der fast kahlköpfige Profos, hatte dort drüben an Bord das Kommando übernommen, da er schon immer als Stellvertreter von Jerry Reeves fungiert hatte.
Hasard ließ eine zweite Breitseite abfeuern, die aber mehr dazu dienen sollte, den Gegner endgültig zu demoralisieren.
Die „Tortuga“ stieß von Steuerbord achteraus auf den Flammenschein der „Buena Estrella“ zu und feuerte aus großer Entfernung demonstrativ die beiden vorderen Drehbassen ab. Zwar prasselte das gehackte Blei wirkungslos in die Wasseroberfläche. Aber das beabsichtigte Ergebnis zeigte sich wenig später.
Während der Seewolf die „Isabella“ abfallen ließ und auch George Baxter seinem Beispiel folgte, entfernte sich das brennende Besansegel der „Buena Estrella“ wie eine übergroße Fackel nach Westen.
Die Kerle hatten begriffen, daß sie es mit einem übermächtigen Gegner zu tun hatten. Es blieb ihnen nichts, als ihr Heil in der Flucht zu suchen und die Flammen zu löschen. Daß ihnen letzteres gelang, zeigte sich nach einer Weile, als es über der See wieder vollständig dunkel wurde.
Der Seewolf verspürte indessen keine Neigung, der „Buena Estrella“ den Todesstoß zu versetzen. Der Plan würde so ablaufen wie vorgesehen. Keine voreilige Augenblicksentscheidung sollte daran etwas ändern. Wenn Jerry Reeves seinen Auftrag erfüllte, war der erste Schritt getan. Der Black Queen sollten die Augen übergehen.
7.
Vorsichtig lavierten die Männer das Beiboot durch die Korallenriffe, die der felsigen Nordküste von Tortuga vorgelagert waren. Weiße Schaumkronen und gischtende Fontänen kennzeichneten die Gefahrenstellen, wo die Riffe wie steinharte Schneidewerkzeuge bis an die Wasseroberfläche ragten und den Bootsrumpf im Handumdrehen aufgeschlitzt hätten.
Nachdem der Geschützdonner verklungen war, hatte Jerry Reeves ein paarmal schwache Lichter hoch oben in den Felsen gesehen. Auch meinte er, Stimmen vernommen zu haben. Möglich war immerhin, daß die Gefolgsleute der Black Queen Geschützstellungen eingerichtet hatten. Wegen der Entfernung und der Dunkelheit war es ihnen aber nicht möglich gewesen, in das Gefecht einzugreifen.
Jerry Reeves beschloß, größte Vorsicht walten zu lassen. Sie durften sich nicht zu sicher fühlen und mußten jederzeit damit rechnen, jemandem in die Arme zu laufen. Unbewacht war die Küste jedenfalls nicht. Soviel stand für Jerry schon jetzt fest.
Der hochgewachsene dunkelhaarige Mann hielt die Ruderpinne mit eisernem Griff. Während die übrigen sechs Männer mit geräuschlosen und doch zügigen Schlägen pullten, achtete er sorgfältig darauf, das Boot aus den Gefahrenbereichen herauszuhalten.
Schwarz und düster ragten die Küstenfelsen vor ihnen auf und wuchsen immer näher auf sie zu wie eine unausgesprochene Bedrohung. Jerry Reeves und seine Gefährten sprachen kein Wort. Sie wahrten größtmögliche Geräuschlosigkeit auch bei jeder ihrer Bewegungen.
Für einen kurzen Moment, als die Wolkendecke aufriß, erspähte Jerry einen schmalen Einschnitt zwischen zwei Uferfelsen. Das Boot glitt fast haargenau darauf zu. Eine geringe Korrektur mit der Ruderpinne genügte.
Die Männer reagierten, ohne daß ein Befehl ausgesprochen werden mußte. Rechtzeitig hoben sie die Riemen und stellten sie senkrecht. Dabei paßten sie auf, daß keine Riemenblätter gegeneinanderschlugen. Sekunden später knirschte der Kiel auf das Stückchen Ufersand zwischen den Felsen.
Stoker legte den Riemen flach und schwang sich als erster über das Dollbord. Kein Laut war dabei von dem gedrungen wirkenden Mann zu hören, der auch an Bord der „Tortuga“ die Funktion des Decksältesten übernommen hatte.
Ihm folgte Mulligan, der Schiffszimmermann. Er hatte sein strohblondes Haar mit einer Mütze bedeckt, damit er in der Dunkelheit nicht so leicht zu erkennen war. Ray Hoback war ebenfalls dabei. Er schleppte zwar etliche Pfunde Lebendgewicht mehr mit sich herum als die anderen. Daß er aber nicht minder geschickt war und sich behende bewegen konnte, bewies er jetzt, als er ohne das leiseste Geräusch aus dem Boot ins seichte Uferwasser glitt.
Stoker, Mulligan und Hoback zogen das Boot höher auf die winzige Strandfläche. Dann verließen auch Albert, Gustave Le Testu und Montbars die Jolle. Jerry Reeves folgte als letzter.
Sie packten alle gemeinsam zu, um das Beiboot der „Tortuga“ vollends an Land zu ziehen. Wann sie es wieder abholen konnten, stand vorläufig noch in den Sternen. Gemessen an der Wichtigkeit ihres Auftrags war es der unbedeutendste Punkt.
Jerry Reeves stieß einen Zischlaut aus, und die Männer begriffen sofort. Mehrere Minuten lang verharrten sie regungslos und horchten in die Dunkelheit. Erst danach waren sie absolut sicher, daß sich in unmittelbarer Nähe nichts rührte. Nur der Wind sang sein unstetes Lied in der zerklüfteten Felsenlandschaft, begleitet vorn Rauschen der Brandung.
Längst hatten sich die Augen der Männer an die Finsternis gewöhnt, so daß sie sich gegenseitig schattenhaft wahrnehmen konnten. Jerry beugte sich in das Boot, stellte den Bottich mit Pech auf eine der Duchten und begann, sich Gesicht und Hände zu schwärzen.
Die anderen folgten seinem Beispiel. Bald darauf war nur noch das Weiße ihrer Augen zu sehen, wenn sie sich ansahen. Noch während Montbars und Le Testu ihre Gesichter schwärzten, begannen die anderen, ihre Waffen für den Einsatz herzurichten.
Mit langen Stoffstreifen, die schon auf der „Tortuga“ vorbereitet worden waren, umwickelten sie die Scheiden der Entermesser. Auch die fertig geladenen Pistolen, die Pulverflaschen und die Kugelbeutel wurden entsprechend gesichert, damit sie beim Gehen keine Geräusche hervorriefen.
Etwa eine Viertelstunde nach ihrer Ankunft in der engen Felsenbucht waren sie abmarschbereit. Für ihren Auftrag hatten sie die ganze Nacht zur Verfügung, jedenfalls so lange, wie die Dunkelheit anhielt.
Wortlos übernahm Jerry Reeves die Führung und fand nach kurzem Suchen einen geeigneten Weg für den Aufstieg. Die Oberfläche des Gesteins war an diesem Küstenabschnitt glattgewaschen, verlief jedoch mit verhältnismäßig geringer Steigung landeinwärts. Auf nahezu geradlinigem Weg konnten sie aufsteigen. Jerry und seine Gefährten trugen dünne Ledersandalen, die ihre Schritte zur Lautlosigkeit dämpften und gleichzeitig ihre Fußsohlen vor Schrammen und Schnitten bewahrten.
Auf halbem Weg verwehrte ein senkrecht aufragender haushoher Felsklotz ihr zügiges Vordringen. Jerry verharrte, wandte sich um und hielt Stoker mit der flachen Hand zurück. Der Decksälteste stoppte seine Schritte sofort und gab das Zeichen an die anderen weiter.
Sie warteten, bis ihr Kapitän die Umgebung des Felsbrockens abgesucht hatte und zu ihnen zurückkehrte, nachdem er rechter Hand einen geeigneten Weg für den weiteren Aufstieg gefunden hatte. Danach gelangten sie ohne erneuten Aufenthalt rasch voran. Wenn sie den Kopf wandten, sahen sie die Schaumkronen der Brandung tief unten als kleine weiße Flecken in der nächtlichen Schwärze der Fluten.
Als sie wenig später ein kleines Plateau erreichten, ließen sie sich der Länge nach auf das ebene Gestein sinken und rührten sich nicht. Wieder horchten sie scharf in die Dunkelheit.
Jerry glaubte, gedämpfte Stimmen zu hören – wie aus weiter Ferne. Doch er war nicht sicher. Es mochten ebensogut Windgeräusche sein, die in der Felsenlandschaft die seltsamsten Laute bildeten.
Etwa hundert Yards landeinwärts, so konnte Jerry in einem vorüberwandernden Streifen Mondlichts erkennen, begann eine Zone spärlicher Vegetation. Er entschied sich für diesen Weg. Es hatte keinen Sinn, zu nahe am Küstenverlauf zu bleiben. Felsbrocken, Spalten und Geröllfelder bildeten unberechenbare Hindernisse.
Ohne zuviel Zeit zu verlieren, pirschten sie weiter voran. Wieder übernahm der hochgewachsene Kapitän der „Tortuga“ die Führung. Das Gestrüpp am Rand des Plateaus war fast brusthoch und dornig. Jerry teilte es vorsichtig, und seine Gefährten hielten geringen Abstand. Langsamer jetzt, Schritt für Schritt, drangen sie behutsam vor und vermieden jedes Rascheln. Mehr als dreihundert Yards legten sie auf diese beschwerliche Weise zurück, bis sie freieres Gelände erreichten.
Jerry wandte sich nach links, in südöstlicher Richtung. Anders hatte es keinen Zweck. Sie mußten die bewohnten Teile der Insel ansteuern, wenn sie ihr Ziel erreichen wollten.
Nur zehn, zwölf Schritte legten sie zügig zurück. Jäh verharrten sie von neuem. Jerry Reeves brauchte ihre Blicke nicht erst in die richtige Richtung zu lenken. Sie sahen es alle im selben Moment.
Da war blakender Lichtschein, linker Hand, etwa einen Steinwurf weit entfernt. Auch undeutliche Stimmen waren jetzt zu vernehmen.
Der Kapitän der „Tortuga“ zögerte keine Sekunde. Er stieß Stoker und Mulligan an. Zu sagen brauchte er nichts. Lautlos schlossen sie sich ihm an, während er begann, auf die Lichtquelle zuzupirschen.
Schon wenige Schritte weiter erkannten sie, daß die Lampe hinter hohen Felsbrocken verborgen war. Die Umrisse des Gesteins zeichneten scharfkantige, bizarre Linien. Die Stimmen wurden lauter, aber immer noch wehten nur Wortfetzen herüber.
Im Gehen zog Jerry Reeves vorsichtig sein Entermesser. Kein schabendes Geräusch entstand dabei. Stoker und Mulligan taten es ihm nach.
Nur noch wenige Yards trennten sie jetzt von den Felsbrocken. Sie verlangsamten ihre Schritte und schoben sich behutsam an das kühle Gestein heran. Der Geruch, den die Ölfunzel ausströmte, stieg ihnen in die Nase.
Jetzt waren auch Worte zu verstehen. Die Männer auf der anderen Seite der Gesteinsbrocken sprachen Spanisch, allerdings mit einem schaurigen kehligen Akzent.
„… rühren wir uns hier nicht vom Fleck, wenn ich es euch sage. Die Madam hat einen klaren Befehl erteilt.“
„Stimmt. Daran halten wir uns. Die läßt uns glatt kielholen, wenn ihr gerade der Sinn danach steht.“
„Aber vielleicht sollte einer von uns doch Meldung erstatten. Kann doch sein, daß sie von dem Gefecht nichts mitgekriegt hat. Und wenn die ‚Buena Estrella‘ so stark beschädigt ist, daß sie sinkt, was dann?“
„So ein Quatsch. Die Kanonenschüsse waren bestimmt noch bis nach Hispaniola zu hören. Nein, nein: Der Befehl war klar. Alle Geschützmannschaften bleiben in ihren Stellungen und rühren sich nicht vom Fleck, bis Verstärkung eintrifft.“
„Außerdem hat die Queen schon richtig überlegt. Wenn jede Geschützmannschaft so denkt wie wir, dann fehlt in jeder Stellung jetzt ein Mann. Richtig?“
„Ja, schon, aber …“
Die Männer von der „Tortuga“ hörten nicht länger hin. Sie wußten Bescheid. Die Rechnung ging unerwartet gut auf: Nach den Stimmen zu urteilen, handelte es sich um drei Kerle, die hinter den Felsbrocken palaverten.
Jerry Reeves gab Stoker und Mulligan ein Zeichen, indem er sie kurz an der Schulter berührte. Dann schlich er als erster voran.
Er umrundete den Felsen, hinter dem sie gelauscht hatten. Der Lichtschein verstärkte sich, und dann hatte er plötzlich freien Blick. Innerhalb von einem Sekundenbruchteil erfaßte er die Situation.
Er sah ein Geschützrohr, das auf einer behelfsmäßig zusammengezimmerten Lafette ruhte und auf die See hinauszeigte, Kartuschen unter einer Persenning, aufgestapelte Eisenkugeln und drei Galgenstricke, deren Köpfe, erschrocken herumruckten.
Es durfte keine Gnade geben. Jerry Reeves ließ seine Beinmuskeln explodieren. Wie ein Panther schnellte er auf den vordersten der Kerle zu, noch bevor einer von ihnen den Mund aufreißen konnte.
Nur einen Sekundenbruchteil später waren auch Stoker und Mulligan zur Stelle. Die Klingen der Entermesser blitzten im matten Licht, das aus einer Lücke zwischen zwei Wolkenbänken herabfiel.
Die drei Geschützbediener starben, ohne noch einen Laut von sich zu geben. Jerry Reeves und die beiden anderen richteten sich auf und schoben die Entermesser zurück in die Scheiden.
Während Jerry und Stoker begannen, die Kartuschen zu öffnen und das Schwarzpulver den Abhang hinunterzustreuen, schlich Stoker zurück, um die wartenden Männer zu holen. Minuten später waren sie zur Stelle und halfen mit.
Sämtliche Kartuschen wurden beseitigt. Dann stopften sie nacheinander sechs Eisenkugeln in das Geschützrohr. Es würde elend lange dauern, bis diese Stellung jemals wieder einsatzbereit war.
Die Männer von der „Tortuga“ setzten ihren Weg fort. Wieder wahrten sie die gleiche Vorsicht, die ihnen bis jetzt ein unbehelligtes Vordringen ermöglicht hatte. Schon eine Viertelstunde später zahlte sich das aus.
Abermals verharrten sie, als sie Lichtschein erblickten. Kein Zweifel, daß es sich um eine weitere Geschützstellung handelte, denn auch diesmal schimmerte das Licht zwischen Felsbrocken unmittelbar vor dem Felsenhang der Küste.