Kitabı oku: «Seewölfe Paket 19», sayfa 23
„Was hat dich eigentlich hierher verschlagen?“ fragte er.
„Das ist eine lange Geschichte. Ich erzähle sie dir später.“
„Und woher stammst du?“
„Aus Paris.“
„Du bist dort geboren?“
„Nein“, antwortete sie. „Wo meine Wiege stand, weiß ich selbst nicht.“
„Du bist noch sehr jung“, sagte er mit einem prüfenden Blick.
„Einundzwanzig“, sagte sie. „Aber unser Gespräch soll doch wohl hoffentlich nicht in ein Verhör ausarten.“
Er schüttelte den Kopf. „Nein, nein. Gibt es hier kein ruhigeres Plätzchen, an dem man sich ganz ungestört unterhalten kann?“
„Doch. Aber ganz einig sind wir uns noch nicht, oder?“ Sie blickte ihn mit verschmitzter Miene an.
„Wie wär’s mit einem Silberling?“ fragte er.
Sie schüttelte den Kopf. „Der reicht nicht mal für einen Spaziergang am Hafen. Sagen wir – drei Silberlinge.“
„Und was bietest du dafür?“
„Siehst du das nicht?“
Er beugte sich zu ihr hinüber und blickte in ihren Ausschnitt. Dann rückte er grinsend näher zu ihr heran. „Ich meine etwas anderes. Ich stelle ganz bestimmte Forderungen.“ Er setzte ihr auseinander, was er von ihr verlangte, in allen Einzelheiten.
„Einverstanden, wenn du fünf Münzen springen läßt.“
„Es bleibt bei drei Silberlingen“, sagte er.
„Schönen Dank für den Wein“, sagte sie. „Aber wenn das so ist, gehe ich lieber.“ Sie wollte aufstehen, aber er hielt sie am Arm fest.
„Hör mal, ist denn das, was ich will, so ungewöhnlich?“ fragte er mit etwas heiserer Stimme.
„Ziemlich.“
„Gut, dann schlage ich vier Silberlinge vor.“
Sie schien zu zögern, dann aber willigte sie ein, und das Feilschen hatte ein Ende. Nazario zahlte die Zeche. Sie verließen die Kneipengrotte. Es war schon seit einiger Zeit dunkel geworden. Sterne funkelten am samten wirkenden Nachthimmel. An den Piers und an der Kaimauer plätscherte das Wasser. Joao Nazario atmete tief durch, legte die Hand um Esthers Hüfte und dachte, was für ein guter Gedanke es doch gewesen war, nach Tortuga zu segeln.
„Du hast mir noch gar nicht gesagt, wie du heißt“, sagte er.
„Esther.“
„Gut, Esther. Ich heiße Joao.“
„Wir werden zwei schöne Stunden miteinander haben“, sagte sie, aber sie wußte nicht, wie sehr sie sich irrte.
8.
Sie stiegen zu einer höher in den Bergen gelegenen Hütte hinauf, die Esther für ihr Gewerbe übernommen hatte. In der „Schildkröte“ war nicht genug Raum für alle Mädchen und deren Freier, und so waren viele von ihnen auf Unterkünfte ausgewichen, die ihnen selbstverständlich Diego empfohlen hatte, der dafür wiederum „Vermittlungsgeld“ kassierte.
Die Hütte war bis vor einem Jahr von einem alten Seemann bewohnt worden, den eines Tages ein Kreole im Inselurwald tot aufgefunden hatte. Man wußte nicht, woran der Alte gestorben war, aber es hieß, es sei nicht alles mit rechten Dingen zugegangen.
Weiter wurde gemunkelt, auf der Hütte laste ein Fluch, und so hatte jeder den rot angestrichenen, etwas windschiefen Bretterverschlag gemieden. Diego hatte Esther natürlich nichts von dem Gerede erzählt, aber sie war im übrigen auch nicht abergläubisch und hätte sich ohnehin den Teufel darum geschert.
Esther öffnete die in rostigen Angeln knarrende Tür, tat drei Schritte bis in die Mitte des Raumes und entfachte eine Öllampe, deren Docht weit heruntergedreht war. Im dämmrig-rötlichen Licht trat auch Joao Nazario ein, drückte die Tür hinter sich zu und blieb stehen.
Sein Blick war auf das Mädchen gerichtet. Sie drehte sich zu ihm um und begann, an ihrem Kleid zu nesteln.
„Möchtest du Wein trinken?“ fragte sie ihn.
„Später. Jetzt möchte ich etwas anderes.“
Esther ließ ihr Kleid zu Boden gleiten. Als auch Joao Nazario sich seiner Sachen entledigt hatte, sanken sie auf das Lager und ließen sich vom Rausch der Leidenschaft entführen. Nazario war ein temperamentvoller, ausdauernder Liebhaber. Esther enttäuschte ihn in keiner Beziehung.
Später saßen sie nebeneinander auf dem zerwühlten Nachtlager, und Esther steckte sich die Haare hoch.
„Du warst gut, das muß man dir lassen“, sagte sie.
„Also gibt es einen Preisnachlaß?“
„Nein, auf keinen Fall.“
„Keine Angst, du kriegst dein Geld“, sagte er lachend. „Ich bleibe auch noch ein paar Tage und schätze, daß wir uns wiedersehen – vielleicht schon morgen nacht.“
„Ich wäre nicht abgeneigt“, sagte sie. Aber wie würde es sein, wenn sie erst ein bürgerliches Dasein führte? Die Siedler von El Triunfo waren die Verbündeten des Seewolfs, sie würden mit größter Wahrscheinlichkeit in Hispaniola seßhaft werden, wie das vereinzelt schon angeklungen war. Der eine oder andere Kerl interessierte sie, sie konnte ihn sich als Ehemann vorstellen.
Aber war das auf Dauer etwas für sie? Würde sie irgendwann nicht doch ihrem Gewerbe nachtrauern? Darüber nachzudenken, war dringend erforderlich. Sie nahm sich auch vor, mit Manon und den anderen darüber zu sprechen.
Nazario überlegte, daß die Gelegenheit günstig sei, das Mädchen ein wenig auszuhorchen. Vielleicht wußte sie das, was Sarraux und ihm an Information noch fehlte.
„Bist du schon lange hier?“ fragte er sie.
„Nicht sehr lange. Erst ein paar Tage. Meine Freundinnen und ich sind mit einer Galeone aus Frankreich herübergesegelt“, erwiderte sie.
Sie schien jetzt auskunftswilliger zu sein als zuvor. Nazario beschloß, die Gelegenheit zu nutzen.
„Ein paar Tage“, murmelte er. „Aber die Schlacht, die hier stattgefunden hat, hast du also schon miterlebt. Hast du keine Angst gehabt?“
„Kaum“, entgegnete sie. „Aber woher weißt du von dem Gefecht?“
„Ich bin mit meinem Freund Sarraux, dem Bretonen, von Hispaniola hierhergesegelt. Die Geschichte hat sich schnell herumgesprochen. Ich weiß auch, daß der Seewolf mit insgesamt fünf Schiffen hier war.“
„Ach so.“ Sie erhob sich und schritt im Schein der Öllampe durch den Raum. „Möchtest du jetzt Wein?“
„Ja, gern. Hast du eine Ahnung, wo der Seewolf zur Zeit steckt? Er ist doch schon vor ein oder zwei Tagen mit seinem Verband ausgelaufen, oder? Was hat er vor?“
Esther blieb vor einer Anrichte stehen und holte zwei Becher und eine Flasche Rotwein heraus. Sie hielt Nazario den Rücken zugewandt, er konnte nicht sehen, was sie tat.
„Ich weiß nichts über den Seewolf“, erwiderte sie. „Er war in der ‚Schildkröte‘, aber ich habe ihn nur flüchtig gesehen.“
„Aber du könntest doch etwas über ihn herauskriegen, oder?“
„Ja, ich denke schon.“
„Ich meine, du könntest doch mal diesen Arne von Manteuffel ein bißchen aushorchen.“
„Über was denn?“ fragte sie.
„Über die Pläne des Seewolfs. Ich würde gern wissen, wo er jetzt steckt.“
Esther öffnete ein winziges Fläschchen und streute ein weißes Pülverchen in den einen Becher, bevor sie den Wein einschenkte. Geschickt ließ sie das Fläschchen wieder verschwinden, füllte die Becher mit Wein und kehrte zu dem Portugiesen an die Lagerstatt zurück. Belladonna, ein Pflanzenextrakt – Joao Nazario würde in einen tiefen Schlaf verfallen und so schnell nicht wieder aufwachen.
Sie blieb vor ihm stehen und reichte ihm seinen Becher. Er leerte ihn in einem einzigen Zug und gab ihn ihr zurück.
„Noch mal bitte“, sagte er. „Die Liebe läßt durstig werden.“
Esther holte die Flasche. „Warum bist du eigentlich so sehr an diesem Philip Hasard Killigrew interessiert?“
„Er soll ein guter Kapitän sein“, erwiderte er. „Ich würde gern bei ihm anmustern.“
Lügner, dachte Esther. Sie wußte jetzt, daß er auf Tortuga erschienen war, um etwas auszukundschaften. Wie konnte er über das Gefecht Bescheid wissen? Die Kunde von dem Ausgang der Schlacht konnte sich nicht schneller verbreiten, als ein Schiff brauchte, um die Nachbarinseln anzulaufen.
Hispaniola – war die Black Queen etwa dort gelandet? War er, Nazario, dort mit ihr zusammengetroffen?
Dieser Mann ist ein Spion, dachte Esther entsetzt. Laut sagte sie: „Du könntest auch direkt mit Arne von Manteuffel reden, wenn du das willst. Oder mit Mister O’Brien. Vielleicht auch mit Carlos Rivero oder Willem Tomdijk.“
„Es wäre mir lieber, Kontakt mit dem Seewolf aufzunehmen“, sagte Nazario. „Ist denn das so schwierig? Ich glaube, er ist an neuen Männern für seine vielen Schiffe interessiert. Auch Gilbert Sarraux würde gern bei ihm anmustern. Läßt sich das nicht arrangieren?“ Er gähnte, während Esther Wein nachfüllte.
„Hör zu“, sagte Esther, um ihn nicht mißtrauisch zu stimmen. Sie ließ sich auf dem Bettrand nieder. „Ich kann da bestimmt etwas unternehmen. Ich brauche mich darüber nur mal mit Manon zu unterhalten.“
„Wer ist das, Manon?“ fragte der Portugiese mit schläfriger Miene.
„Eine meiner Freundinnen.“
„Gut. Und noch etwas: Wie viele Leute halten sich jetzt noch auf Tortuga auf? Dieser Arne von Manteuffel samt seiner Crew – und wer noch?“ wieder gähnte Nazario.
„Wir Mädchen“, entgegnete Esther. „Und dann natürlich Diego und die anderen, die gewöhnlich hier hausen. Es sind aber nicht viele.“
„Wo könnte man am besten landen, wenn man ungesehen in den Hafen wollte?“ fragte er. Seine Zunge wurde ihm schwer, er lallte fast.
„Warum willst du das wissen?“
„Nur so. Ich will jemandem einen Streich spielen. Vielleicht dir. Es ist ein Scherz, ver-verstehst du?“ Hölle, er konnte überhaupt nicht mehr sprechen. Was war los? Er versuchte, sich aufzurichten, aber gleich beim ersten Versuch sank er kraftlos auf das Lager zurück.
Esther verhielt sich weiterhin so arglos wie möglich und gab ihm ein paar falsche Auskünfte. Dann stand sie vorsichtig wieder auf. Nazario waren die Augen zugefallen, er begann zu schnarchen.
Verdammter Hund, dachte sie, wenn die Black Queen deine Auftraggeberin ist, hat deine Stunde geschlagen.
Sie kleidete sich hastig an, warf noch einen Blick auf Nazario, der ihr bestätigte, daß das Mittel bestens gewirkt hatte, und wollte die Hütte verlassen.
Sie hatte die Tür schon geöffnet, da verstellte ihr draußen ein Schatten den Weg. Sie zuckte vor Schreck zusammen und stöhnte auf. Am liebsten hätte sie geschrien, aber etwas schien ihr die Kehle zuzuschnüren.
„Keine Angst“, sagte eine Männerstimme – auf französisch. „Ich will dir nichts tun. Ich will nur nachsehen, was mit Joao los ist.“
Esther überlegte fieberhaft. Noch zitterten ihr die Knie, aber sie konnte schon wieder klare Gedanken fassen. Dieser Mann konnte nur Sarraux sein – der Kumpan des Portugiesen. In der Dunkelheit hatte sie ihn nicht gleich wiedererkannt, aber jetzt trat er näher auf sie zu, und in dem rötlichen Schein der Öllampe, der durch den Türspalt ins Freie fiel, sah sie sein Gesicht und seine Gestalt deutlicher vor sich.
Was sollte sie tun? Einfach ausweichen und fliehen? Er konnte bestimmt schnell laufen. Und er war bewaffnet. Nein, sie mußte mit List vorgehen. Wenn sie wirklich zum Hafen gelangen wollte, um Willem Tomdijk oder Carlos Rivero zu verständigen, mußte sie diesen Kerl in Sicherheit wiegen.
„Was soll mit ihm los sein?“ fragte sie. „Er ist hier, bei mir – und er schläft. Vor Erschöpfung.“
Sarraux grinste hart. „Er hat mal wieder übertrieben, was? Na, ich kenne den Bruder ja. Er kann den Hals nicht voll genug kriegen. Ich war mit meiner kleinen Hafenhure schneller fertig, bei mir darf nichts zu lange dauern.“ In drohend wirkender Haltung schob er sich auf sie zu. „Und du? Wohin willst du – mitten in der Nacht?“
„Wasser holen.“
„Du hast den Kübel vergessen.“
„Er steht neben dem Brunnen“, sagte sie.
„Ich habe hier keinen Brunnen gesehen“, sagte Gilbert Sarraux. Er spürte, daß etwas nicht stimmte, und schob sie in die Hütte zurück. „Aber das ist ja auch egal. Laß uns warten, bis Joao wieder aufwacht. Ich nehme ihn dann gleich mit, verstehst du? Wir haben noch was anderes vor, als nur mit Weibern rumzumachen.“
Er schlug die Tür hinter sich zu und warf einen Blick auf den schnarchenden Portugiesen. „Ha, da ist er ja.“ Er hob die Stimme und brüllte: „He, Joao, wach auf! Los, wir wollen noch was unternehmen! Laß dich nicht hängen! Wird’s bald?“ Sarraux hatte von dem Mädchen, mit dem er zusammengewesen war, vernommen, daß es unweit des Hafens eine recht günstige, kleine Ankerbucht gab, in der man ungesehen landen konnte. Die wollte er sich anschauen, für alle Fälle, und zwar jetzt, im Dunkeln, aber nicht ohne Joao Nazario.
Nazario rührte sich nicht, er schnarchte weiter. Sarraux war mit wenigen Schritten bei ihm, packte seine Schulter und schüttelte ihn. Auch jetzt wachte der Portugiese nicht auf. Sarraux fuhr zu Esther herum.
„Was hast du mit ihm angestellt?“ schrie er, rückte auf sie zu und zückte sein Messer.
„Nichts!“ rief sie entsetzt. „Er schläft doch!“
„So tief nie! Ich kenne seine Gewohnheiten!“
„Dann weiß ich nicht, was er hat“, sagte sie mit bebender Stimme. „Steck das Messer weg.“
„Du hast ihm ein Schlafmittel eingetrichtert!“ Sarraux holte aus und verpaßte ihr eine schallende Ohrfeige, die sie zurückwarf. „Warum? He, warum? Was hat er dir erzählt? Hast du ihn ausgehorcht?“
„Nein!“
„Du wolltest ihn ausplündern, wie?“ Sarraux bückte sich nach Nazarios Hose und hob sie auf. Münzen fielen aus den Taschen und rollten über den Boden.
„Nein, das ist es auch nicht“, sagte er. „Du warst ja schon auf der Flucht, als ich erschien. Ohne das Geld wärst du nicht abgehauen, wenn du hättest klauen wollen.“ Wieder schritt er drohend auf sie zu. „Also, was ist es? Hat er sich verplappert? Hat er preisgegeben, daß wir als Agenten auf Tortuga sind?“
„Nein!“ stieß sie in panischer Angst hervor. „Ich weiß von nichts! Ich will nichts wissen!“ Und doch hatte sie jetzt die Bestätigung dafür, daß sie sich nicht geirrt hatte. Spione auf Tortuga! Feinde des Seewolfs und seiner Verbündeten! Sie mußte Tomdijk und Rivero warnen!
Sie wich vor dem Bretonen zurück.
„Sei doch mal vernünftig – bitte“, sagte sie flehend. „Ich habe nichts gegen deinen Freund, ganz im Gegenteil. Wir haben uns großartig amüsiert. Und ich interessiere mich nicht für die privaten Angelegenheiten meiner Kunden. Glaub mir, bitte. Wir sind doch Landsleute, nicht wahr?“
„Ich sehe dir an, wie du lügst“, zischte der Bretone. „Bleib stehen. Hilf mir, Joao wieder auf die Beine zu bringen.“ Er hob das Messer um einen Deut an. „Sei brav. Oder muß ich böse werden?“
Esther hatte den Tisch erreicht, auf dem die Öllampe stand. Blitzschnell duckte sie sich, fuhr halb herum und schleuderte die Lampe vom Tisch. Sie flog auf Sarraux zu. Er stieß einen wilden Fluch aus und wich aus. Esther rannte zur Tür, riß sie auf und stürzte ins Freie. Sarraux war hinter ihr, aber sie hoffte, im Dickicht, das unweit der Hütte begann, untertauchen zu können.
Das Messer flog durch die Nacht, sie sah es nicht und hörte es nicht. Aber sie spürte, wie es sich brennendheiß in ihren Rücken bohrte. Sie glaubte, den Boden unter den Füßen zu verlieren, eine unsichtbare Kraft hob sie hoch und schmetterte sie auf die Felsen. Doch den Aufprall fühlte sie nicht mehr. Sie war tot, als Gilbert Sarraux sie erreichte und sich über sie beugte.
Er verzog keine Miene, nahm sein Messer wieder an sich und schleppte die Tote zurück in die Hütte. Er ließ sie achtlos zu Boden sinken, ging zum Bett, lud sich den besinnungslosen Kumpan auf die Schulter und verließ die Hütte. Die Öllampe hatte er aufgehoben und gelöscht.
Im Freien blieb er kurz stehen und spuckte verächtlich aus.
„Weiberpack“, murmelte er. „Ihr taugt nur zu dem einen, zu nichts anderem.“ Er ging weiter und verschwand mit Nazario im Dickicht.
Unweit der Hütte, an einer Quelle, die einer Felsspalte entsprang, verharrte Sarraux und lud den Portugiesen auf dem Boden ab. Er hielt ihn so, daß das kalte Wasser über seinen Kopf sprudelte. Einige Zeit mußte er warten, und fast sah es so aus, als würde die Behandlung nichts nutzen. Dann aber erlangte Joao Nazario das Bewußtsein wieder.
„Was ist los?“ murmelte er. „Wo, zum Teufel, bin ich?“
„In Sicherheit“, erwiderte der Bretone. „Aber die Hure hat dir einen Schlaftrunk eingeflößt. Sie wollte dich verpfeifen, glaube ich. Hast du ihr was verraten?“
„Nein, aber sie muß was geahnt haben. Hölle – und ich Narr bin ihr auf den Leim gegangen. Wo ist sie jetzt? Ich will sie mir kaufen. Das wird sie mir büßen.“
„Das ist nicht mehr nötig“, sagte der Bretone. „Ich habe bereits alles erledigt.“
9.
Manon saß in einer der Nischen der „Schildkröte“ und unterhielt sich mit dem grauhaarigen Engländer, der zurückgekehrt war. Er hatte noch einen Schlummertrunk zu sich nehmen wollen, aber bei dem einen Becher war es nicht geblieben. Jetzt lallte er nur noch und versuchte, Manon etwas über seine Heimat Northumbria zu erzählen, aber nicht einmal das wollte ihm mehr gelingen.
Manon hörte nur mit halbem Ohr hin. Immer wieder sah sie zur Tür, ob Esther zurückkehrte. Sie hatte das Mädchen mit dem dunkelhaarigen Mann gehen sehen, und sie wußte, daß sie zu der roten Hütte hinaufgestiegen waren. Manon und ihre Freundinnen hatten untereinander eine Sicherheitsabsprache. Sie gaben sich ein Zeichen, wenn sie sich mit einem Kunden zurückzogen. Wenn sie dann nach Ablauf einer bestimmten Frist nicht wiederauftauchten, mußte zwangsläufig irgend etwas passiert sein.
Befand Esther sich in Gefahr? Manon beschloß, sich unverzüglich Gewißheit zu verschaffen. Sie stand auf und verließ die Nische, fast unbemerkt eilte sie aus der „Schildkröte“ ins Freie, versäumte es aber nicht, Cécile und Julie ein entsprechendes Zeichen zu geben.
Der Grauhaarige bemerkte nicht, daß Manon plötzlich verschwunden war. Er schlief am Tisch ein. Diego grinste, als er ihn entdeckte.
„Du solltest lieber Stockfisch fressen, statt mit den Mädchen anzubändeln, alter Mann“, sagte er. „Bei dir läuft der Kahn nicht mehr, es herrscht totale Kalme.“
Manon hatte unterdessen die rote Hütte fast erreicht. Sie hastete die Steigung hinauf, ihr Herz schlug schnell und wild. Sie kümmerte sich nicht darum, mit jedem Schritt wuchs ihre Sorge um Esther.
Atemlos erreichte sie die Hütte. Sie sah im Mondlicht, daß die Tür halb offenstand und verharrte wie vom Donner gerührt. Kein Licht brannte im Inneren, und doch spürte sie instinktiv, daß Esther hier sein mußte. Leise rief sie ihren Namen, aber sie erhielt keine Antwort.
Manon gab sich einen Ruck und trat ins Innere. Ein Streifen fahlen Mondlichts fiel durch das einzige winzige Fenster der Behausung, und sofort entdeckte sie die reglose Gestalt am Boden.
„Mein Gott, Esther“, sagte sie fassungslos.
Sie kniete sich neben sie hin, beugte sich über sie und fühlte nach ihrem Puls – ergebnislos. Sie versuchte festzustellen, ob Esther atmete, aber das Heben und Senken des Brustkorbes hatte für immer ausgesetzt. Dann drehte Manon sie auf die Seite und sah die Wunde in ihrem Rücken.
Mit einem Aufschrei ließ sie sie wieder los, sprang auf, wich zurück und preßte beide Fäuste gegen den Mund. Dann hatte sie sich wieder in der Gewalt und überlegte, was sie tun sollte. Mord – wo steckte der Täter? Hielt er sich noch in der Umgebung auf? Befand sie selbst, Manon, sich in Gefahr?
Sie kehrte nach draußen zurück, blickte sich vorsichtig nach allen Seiten um und schlug sich in die Büsche. Das einzig Richtige, was sie jetzt tun konnte, war, Hilfe zu holen. Allein konnte sie nichts unternehmen. Beherzt kehrte sie zum Hafen zurück und eilte in die „Schildkröte“. Hier traf sie Diego und Willem Tomdijk an der Theke an – und Carlos Rivero, der inzwischen kurz noch einmal zurückgekehrt war, um Joaquin Solimonte ein paar Fragen zu stellen, die ihm inzwischen eingefallen waren.
Diego begriff sofort, daß etwas nicht in Ordnung war, er brauchte Manon nur anzuschauen.
„Was ist passiert?“ fragte er dann sofort, als ahnte er etwas von dem Unheil. „Wo ist Esther? Hast du nach ihr gesucht?“
„Sie ist tot“, stammelte Manon. „Sie liegt in der Hütte. Die Rückenwunde – ich glaube, das ist ein Messerstich. Sehr tief. Sie muß gleich tot gewesen sein.“ Aus weit aufgerissenen Augen sah sie die betroffenen Männer an. „Was hat sie denn getan? Weshalb mußte sie sterben? Ich kann mir das nicht erklären.“
„Sie war mit diesem Portugiesen zusammen“, sagte Diego grimmig. „Joao Nazario. Wo steckt er? Hast du ihn nicht gesehen?“
„Nein“, erwiderte sie.
Diego ließ seinen Blick durch die Grotte wandern. „Hier ist er nicht. Und auch sein Freund, der Bretone, dieser Gilbert Sarraux, ist weg. Ich wette, die beiden können uns was erzählen.“
„Keine voreiligen Schlüsse ziehen, Diego“, sagte Carlos. „Vielleicht war dieser Portugiese längst nicht mehr bei Esther, als sie umgebracht wurde. Wir können vermuten, daß er mit dem Mord zu tun hat, aber wir dürfen es nicht voraussetzen.“
„Das wichtigste ist jetzt, daß wir alle einen klaren Kopf behalten“, sagte Willem. „Ich schlage vor, wir organisieren eine Suchaktion und holen uns den Portugiesen und den Bretonen. Wir vernehmen sie und sehen dann weiter. Das arme Mädchen! So ein grausames Ende hat sie wirklich nicht verdient!“
Inzwischen hatte das Gespräch an der Theke die allgemeine Aufmerksamkeit erregt. El Tiburon, ein drahtiger kleiner Spanier namens Pedro und zehn, zwölf andere Kneipengäste näherten sich und umringten Manon, Willem, Carlos und Diego. Jeder wollte wissen, was geschehen sei, und Manon selbst setzte es ihnen hastig auseinander.
„Schweinerei!“ stieß der kleine Pedro hervor. „Wenn ich den Hund erwische, der das getan hat, drehe ich ihm eigenhändig den Hals um!“
„Los, wir dürfen keine Zeit verlieren!“ rief Carlos. „Eine Gruppe bleibt als Wache am Hafen zurück – für den Fall, daß der Portugiese und der Bretone abzuhauen versuchen. Alle anderen folgen mir zu der Hütte. Wir kämmen die ganze Umgebung ab, wenn es sein muß, die ganze Insel.“
„Recht so“, pflichtete Willem ihm bei. „Ich bleibe mit den Wachtposten am Hafen. Ihr wißt ja, ich bin schlecht zu Fuß. Gnade Gott diesem Nazario und seinem Freund Sarraux, wenn sie kein Alibi für die Tatzeit haben! Läßt sich überhaupt feststellen, wann das arme Ding gestorben ist?“
„Sie war noch ganz warm“, entgegnete Manon und konnte sich eines trockenen Schluchzens nicht erwehren. „Sie kann noch nicht lange tot gewesen sein, als ich sie gefunden habe.“
„Auf was warten wir noch?“ rief El Tiburon. „Wir verlieren nur kostbare Zeit. Pedro, du begleitest mich! Wir beiden drehen jeden Stein um und sehen hinter jeden Strauch. Notfalls krempeln wir den ganzen Dschungel um.“ Es selbst hatte einiges für Esther übriggehabt und hatte an diesem Abend mit dem Blick immer wieder nach ihr gesucht. Gern hätte er eine Nacht mit ihr verbracht, doch daraus wurde jetzt nichts mehr. Ihr Tod versetzte El Tiburon in Wut. Er haßte Männer, die sich an wehrlosen Frauen vergriffen, und wenn Joao Nazario tatsächlich der Mörder war, dann würde er seine Tat noch schwer bereuen.
Vor der „Schildkröte“, wurden die Suchtrupps eingeteilt. Inzwischen trafen auch einige der Siedler von El Triunfo ein und schlossen sich Diego, Carlos und Willem an. Rasch war alles Erforderliche besprochen und geklärt, die Gruppen trennten sich und brachen auf.
Willem blieb mit sechs Männern am Hafen zurück. Er hatte sich vergewissert, daß während der letzten Stunden kein Boot und kein Einmaster die Bucht verlassen hatten. Das würde auch in den nun folgenden Stunden nicht der Fall sein, schwor er sich. Wer Tortuga den Rücken kehren wollte, der würde kurzerhand festgenommen werden. Die einmastige Pinasse, die nach Aussage von Diego nur dem Portugiesen und dem Bretonen gehören konnte, wurde von nun an schwer bewacht.
Fünf Trupps von jeweils acht Mann stiegen in den Felsen auf und untersuchten zuerst Esthers Hütte. Carlos und Diego bestätigten, was Manon bereits festgestellt hatte: Esther war durch einen tiefen Messerstich getötet worden. Nach der Art der Wunde zu urteilen, konnte der Mörder das Messer auch geschleudert haben.
„Von hinten hat er sie umgebracht“, sagte Diego. Sein Gesicht war jetzt weiß vor Wut. „Meuchlings. Dieser dreckige Hund. Feiges Schwein. Gemeine Ratte. Sie hat nicht mal die Chance gehabt, sich zu verteidigen.“
„Wir bestatten das Mädchen später“, sagte Carlos. „Laßt uns jetzt weitersuchen. Je mehr Zeit vergeht, desto größer ist die Chance der beiden Kerle, sich irgendwo zu verstecken.“
Es war nach wie vor nicht bewiesen, daß Nazario und Sarraux für den Tod des Mädchens verantwortlich waren. Aber die Wahrscheinlichkeit nahm immer mehr zu. Warum waren sie verschwunden? Warum war Joao Nazario nach dem Treffen mit Esther nicht in die „Schildkröte“ zurückgekehrt? Die Pinasse der beiden lag nach wie vor im Hafen, aber sie hielten sich versteckt und waren nicht aufzufinden.
Es gab demnach genügend Verdachtsmomente, und alles konzentrierte sich darauf, die beiden Männer zu finden. Willem Tomdijk stand unterdessen an der Hafenbucht von Tortuga und überlegte, ob er auch Arne von Manteuffel an Bord der „Wappen von Kolberg“ über das Geschehen unterrichten sollte.
Er verzichtete aber darauf. Die Männer der Galeone sollten ihre Ruhe haben. Die Ankerwache schien nichts bemerkt zu haben, und das war auch gut so, befand Willem. Die Sache mit dem Mord an Esther war sozusagen eine „interne“ Angelegenheit, die Freunde von der „Wappen von Kolberg“ brauchten damit nicht belästigt zu werden.
Nach zwei Stunden trafen sich die Trupps wie vereinbart vor Diegos Kneipe wieder.
„Nichts“, sagte Carlos. „Keine Spur von den Kerlen.“
„Aber irgendwo müssen sie sein“, sagte Diego. „Sie können die Insel nicht schwimmend verlassen haben. Nein, das würden sie ganz bestimmt nicht riskieren, vor allem wegen der Haie nicht.“
„Ich habe einen Vorschlag“, sagte El Tiburon. „Wir sollten uns in Zweiergruppen aufteilen. Auf diese Weise können wir ein größeres Gebiet in kürzerer Zeit absuchen.“
„Einverstanden“, sagte Carlos. „Eine gute Idee, El Tiburon.“
„Die Suche geht also weiter?“ fragte einer der Siedler von El Triunfo.
„Jetzt erst recht“, erwiderte Diego grimmig. „Wir kämmen die ganze Insel ab. Systematisch. Jeder kriegt seinen Abschnitt zugeteilt, den er bis zum Morgengrauen abgeforscht haben muß. Und auf diese Weise kriegen wir die Hunde, das schwöre ich euch!“
Wenig später waren die Zwei-Mann-Abteilungen eingeteilt. Unverzüglich brachen sie auf, um die Insel Quadratyard für Quadratyard abzusuchen.
Manon, Cécile, Julie und ein paar andere Mädchen bargen derweil die tote Esther aus der roten Hütte und trugen sie zum Hafen hinunter. Hier wurde sie in Diegos Kneipe aufgebahrt. Im Morgengrauen sollte sie bestattet werden.
El Tiburon hatte wieder den kleinen Pedro zur Seite, der sich schon bei der ersten Suchaktion als fleißiger Helfer erwiesen hatte. Joaquin hatte den Mann erst an diesem Abend in der „Schildkröte“ kennengelernt, und sie waren miteinander ins Gespräch geraten, Pedro stammte aus derselben Gegend wie El Tiburon. Sie verstanden sich auf Anhieb gut und hatten ihre Erfahrungen und Erlebnisse ausgetauscht.
Der Weg der beiden führte an der roten Hütte vorbei. Dann wandten sie sich nach Nordosten und mußten sich kurze Zeit später trennen, da das bergige Gelände zu unwegsam war und sie sich nur gegenseitig behinderten.
El Tiburon geriet in einen Hohlweg und beschloß, ihn einer genauen Untersuchung zu unterziehen. Gab es Höhlen, die von diesem Weg abzweigten? Kleine, versteckte Grotten, in denen zwei Männer sich mühelos verkriechen konnten? War er dem Portugiesen und dem Bretonen vielleicht endlich auf der Spur?
Die Antwort auf die Fragen, die er sich im stillen stellte, erhielt El Tiburon auf ebenso überraschende wie schmerzhafte Weise. Plötzlich wuchs der Schatten einer Gestalt hinter ihm hoch, als er den Hohlweg etwa zur Hälfte durchquert hatte. Er fuhr noch herum und griff zum Dolch, aber es gelang ihm nicht mehr, die Waffe zu zücken. Ein harter Gegenstand sauste auf seinen Hinterkopf.
Er krümmte sich und griff mit beiden Händen nach dem Kopf, dann sank er vornüber und blieb reglos liegen. Er sah nicht mehr den Mann, der sich nach ihm bückte, und hörte auch nicht, wie dieser den Stein weglegte, mit dem er ihn niedergeschlagen hatte.
El Tiburon war zäh und hart im Nehmen. Seine Bewußtlosigkeit hielt nicht lange an. Die rasenden Schmerzen in seinem Hinterkopf drohten ihm wieder die Sinne zu rauben, aber er biß die Zähne zusammen und kämpfte dagegen an. Verkrümmt lag er auf der linken Körperseite und vernahm gedämpfte Stimmen. Er hütete sich, sich auch nur um einen Deut zu regen. Nur vorsichtig öffnete er die Augen und versuchte, blinzelnd etwas zu erspähen.
Es waren zwei Männer, die sich in dem Dunkel einer Höhle unterhielten. El Tiburon konnte ihre Gestalten erkennen, als sich seine Augen an die Finsternis gewöhnt hatten.
Kein Zweifel, es handelte sich um Joao Nazario und Gilbert Sarraux. Diego hatte sie beschrieben, und ihm selbst fiel jetzt ein, daß er die Kerle in der „Schildkröte“ kurz gesehen hatte, ohne sich jedoch sonderlich um sie zu kümmern. Sie hatten an einem der Nebentische gesessen, als er Arne, O’Brien, Carlos und Willem kennengelernt und Diego die Geschichte mit Chagall erzählt hatte.
Joao Nazario mußte es gewesen sein, der ihn in dem Hohlweg niedergeschlagen hatte. El Tiburons Vermutung bestätigte sich – eine Höhle zweigte von dem Weg ab, und hier hinein hatten die Kerle ihn geschleppt.
Rasende Wut stieg in El Tiburon auf. Er war versucht, aufzuspringen und sich auf sie zu stürzen. Aber er wußte, daß er keine Chance gegen sie hatte. Sie hatten ihm die Waffen abgenommen, und er war noch halb benommen von dem Hieb.
Wo steckte Pedro? Hatte er nichts gehört? Nein, El Tiburon konnte nicht auf ihn zählen. Er war auf sich allein angewiesen. Was sollte er tun? Hatte es Sinn zu fliehen? Erst jetzt bemerkte er, daß sie ihm die Füße mit einem Strick gefesselt hatten. Er konnte also nicht einmal davonlaufen.
Zur Hölle, dachte er, ich laufe nicht davon. Bei der ersten Gelegenheit haue ich diese Hundesöhne mit den Köpfen zusammen und töte sie – und wenn ich selbst dabei drauf gehe.